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11.
Am alten Wartthurm

An dem Nachmittag war es recht still im Monford'schen Park. Graf und Gräfin hatten eine Einladung in die Stadt angenommen, der sich Paula durch vorgeschützte Kopfschmerzen entzog, und Georg ritt schon gleich nach dem Diner auf ein benachbartes Gut – angeblich um ein dort neugekauftes Pferd zu sehen, in Wirklichkeit aber, um die Mitwirkung des ihm befreundeten Gutsherrn zu der theatralischen Vorstellung am Verlobungsabend zu erbitten.

Die Verlobung war nämlich fest bestimmt worden. Paula hatte allerdings noch, selbst an dem Morgen, einen Versuch gemacht, die Eltern wenigstens um Aufschub eines so entscheidenden Schrittes zu bitten, aber umsonst. Die Mutter – heute finsterer und unnahbarer als je – hatte sie kurz abgewiesen, und der Vater sie einfach gefragt, welchen Grund sie für einen solchen Aufschub angeben könne, und sie dann nicht gewagt, Handor's Namen zu nennen. Wußte sie doch auch nur zu gut, mit welcher Entrüstung, mit welchem Zorn nur die Andeutung eines solchen Eidams von den stolzen Eltern zurückgewiesen worden wäre. Ließen ja doch Beide die Ansprüche des Herzens nicht gelten, wo die Ehre ihrer Familie, wie sie meinten, auf dem Spiele stand.

Nicht einmal ein Bürgerlicher hätte wagen dürfen, um die Hand der reichsten Grafentochter des Landes zu werben, viel weniger denn ein Schauspieler, die der Graf selber – so wenig er sich sonst auch dem Fortschritt der Zeit verschlossen zeigte – noch immer als eine untergeordnete Menschenklasse betrachtete, so daß es sogar damals Schwierigkeiten gehabt hatte, seine Erlaubniß zu erhalten, wirkliche Schauspieler zu den Proben ihres kleinen Liebhabertheaters heranzuziehen. An den betreffenden Abenden durften sie aber nie eingeladen werden.

Paula war recht unglücklich und erwartete unter Zittern und Bangen den Abend; wußte sie doch schon im Voraus, in welcher Verzweiflung ihr Rudolph sein würde – und was konnte sie ihm sagen, wie ihn trösten.

Draußen im Park schaffte und arbeitete der alte Gärtner Jonas, der als Knabe, ja, fast als Kind in den Dienst des Vaters der Gräfin gekommen und dann später mit ihr hierher übergesiedelt war. Er galt als eine Art von altem Inventar im Hause, und so stolz die Gräfin selber auch nur die geringste Unterhaltung mit ihren Dienstboten vermied, mit dem alten Jonas plauderte sie oft, wenn sie in den Park kam und ihn bei seiner Arbeit traf, fragte ihn, wie es ihm ginge und was er treibe, und gab ihm auch wohl manchmal ein Stück Geld, um sich eine Extragüte daran zu thun. Der alte Mann hing deshalb auch mit großer Liebe und Verehrung an ihr.

Jonas war heute beschäftigt, die aufgeblühten Blumentrauben von den verschiedenen Büschen und Rosensträuchen abzuschneiden und die Wege unmittelbar um das Schloß herum wieder auszurechen, denn die Aufsicht im Park selber hatte sein Untergebener, ein Gärtnerbursche. Wie er noch daran war, kam der Förster Mäder, die Flinte auf dem Rücken, die kurze Pfeife im Mund, mitten durch die Büsche heraufgestiegen und sah sich hier, ehe er den Alten bemerkte, überall in den Wegen selber aufmerksam um. Aber da war schon jede, sonst vielleicht mögliche Spur durch den Rechen des alten Mannes verwischt und ausgeglichen worden, und der Förster zerbiß einen Fluch über seiner Pfeifenspitze. Eben wollte er sich auch wenden und den Weg hinuntergehen, als er den Alten entdeckte, der mit seiner kurzen Leiter oben in einem Busche emsig beschäftigt war.

»Heh, Jonas,« redete er diesen an, »Ihr kriecht doch manchmal noch nach Dunkelwerden im Park herum, habt Ihr denn nie etwas bemerkt, daß sich hier noch Gesindel nach der Zeit in den Büschen aufhielt?«

»Guten Abend, Herr Förster!« nickte ihm der Alte zu; »ja, ein recht schöner Abend heute.«

»Tauber Esel!« brummte der Förster ergrimmt in den Bart, denn er schien eben nicht besonders guter Laune, und wiederholte dann die Frage mit lauter, fast schreiender Stimme, wobei er dicht unter die Leiter trat.

Der Alte schüttelte mit dem Kopf. »Nein, mein guter Herr Förster,« sagte er ruhig, »Gesindel darf hier schon gar nicht in den Park hinein, die wollten wir bald wieder hinaus haben. Der Einzige, der manchmal noch Abends, wenn ich hier durch ging, herumkroch, war der alte Fritz, welcher nach seinen Fallen sah.«

»Ja, das ist gerade der Rechte.«

»Ja, der hatte das Recht dazu,« nickte der alte Gärtner, »und weiter weiß ich Niemand. Dem hat es aber der Herr Graf auch heute verboten, wie er mir mitgetheilt, ehe er fortfuhr. Er soll nach Sonnenuntergang nicht mehr auf herrschaftliche Grundstücke, was den Maulwürfen wahrscheinlich sehr angenehm sein wird; wie es nachher aber den Wiesen ergeht, ist eine andere Sache.«

»Das ist aber gerade der Lump, der mir meine Fasanen wegfängt!« rief der Förster.

Der alte Mann schüttelte mit dem Kopf.

»Nein,« sagte er, »die Fasanen thun den Wiesen nichts; im Gegentheil fangen sie die Grashüpfer weg und sind auch sonst artige Thiere.«

»Herr Gott von Danzig,« fluchte der Forstmann still vor sich hin, »ob das nicht gerade genug ist, um den Verstand zu verlieren!« – Und um sich nur nicht länger zu ärgern, fuhr er wieder zurück in das Gebüsch und schritt an dem Bergabhang hin der Wiese zu.

Der Förster hatte in der That heute einen ganz ingrimmigen Zorn, und auch vielleicht mit Recht, denn er konnte es sich nicht verhehlen, daß auf seinem Revier gewildert wurde, und war doch auch nicht im Stande, den Frevler zu erwischen, so viel Mühe er sich deshalb schon gegeben.

Er wohnte freilich auch dazu entsetzlich unbequem, denn die eigentliche Jagd des Grafen, ein großes, sehr bedeutendes Waldgehege, stieß nicht einmal an die Stadt, sondern begann erst an dem nächsten Dorf, dessen Gemarkung allerdings an die Stadtflur grenzte. Dort befand sich ein sehr bedeutender Rehstand und ein Thiergarten mit Roth- und Damwild. Nur eine kleine Fasanerie war unmittelbar am Schloß in einem Kieferndickicht angelegt, und die Fasanen machten dem Förster mehr Mühe und Arbeit, als sein ganzer übriger Wildstand zusammen; denn der Fasan ist ein zutraulich dummer Vogel, der leicht dem vierbeinigen wie zweibeinigen Raubzeug zum Opfer fällt.

Heute aber hatte er wieder einmal ganz unleugbare Beweise gefunden, daß ihm irgend Jemand mußte einen Besuch bei den Fasanen abgestattet haben; denn nicht allein daß er schon seit einiger Zeit bedenklich viel Federn in dem kleinen Dickicht gefunden, wo sie hauptsächlich Abends aufbäumten, nein, heute traf er sogar einen augenscheinlich kranken Isabellenhahn, der nicht mehr fort konnte und den ihm sein Hund apportirte, und als er ihn untersuchte, hatte er eine große Fischangel im Körper sitzen, an der noch ein abgerissenes Stück Bindfaden befestigt war.

Wenn er sich nun auch vergebens den Kopf zerbrach, wie um Gottes willen Jemand Fasanen mit der Angelruthe fangen könnte, so blieb es doch keinem Zweifel unterworfen, daß irgend ein nichtsnutziger Geselle hier die Hand im Spiel habe. – Und nun gerade einen Isabellenhahn, von denen der Graf nur drei Stück um theures Geld gekauft und die ihm selber auf die Seele gebunden waren, weil die Frau Gräfin sie so gern hatte! Aber was, um's Himmels willen, ließ sich bei der Sache thun?

Er suchte allerdings das ganze Gehölz auf das Sorgfältigste ab, ob er nicht irgend etwas finden könne, was ihm einen Anhalt geben mochte – denn daß der nichtswürdige Maulwurfsfänger dazwischen stecke, glaubte er sicher –, aber umsonst. War der es gewesen, so fing er die Sache auch überhaupt viel zu schlau an, um sich so leicht zu verrathen, und es blieb ihm nichts Anderes übrig, als von jetzt an seine Wachsamkeit zu verdoppeln und doch vielleicht einmal den Frevler auf frischer That zu ertappen. – »Aber nachher freu' Dich!« dachte er bei sich und ballte dazu in Gedanken die Faust nach der Wiese zu, auf welcher der Mann gewöhnlich wirthschaftete und wo er ihn auch noch vor kaum einer Stunde gesehen hatte.

Den Weg herüber vom Schlosse kam Paula, langsam und das liebe, sonst so fröhliche Antlitz in recht ernste, schmerzliche Falten gelegt. Sie betrat die kleine Terrasse, ohne den alten Gärtner, der noch immer da oben in seinem Busche steckte, nur zu sehen, und schritt auf die niedere Mauer zu, als dessen freundliches: »Gott grüße Sie, gnädige Comtesse!« sie ordentlich zusammenfahren machte.

»Ach, Jonas, wie habt Ihr mich erschreckt!« sagte sie lächelnd. »Was macht Ihr denn da oben?«

»Ja, ich bin gleich fertig, gnädige Comtesse,« sagte der Alte, freundlich sein Mützchen dabei rückend; »das Übrige mag bis morgen bleiben, denn ich muß auch noch die Blumenstöcke am Schlosse nachsehen und die abgeblühten fortnehmen.«

Dabei stieg er von seiner Leiter herunter und hob sich diese auf die Schulter, um nach vorn zu gehen; aber er blieb doch noch einmal neben der jungen Dame stehen, für die er all' die Zärtlichkeit empfand, welche nur ein alter Diener eines Hauses für ein Kind empfinden kann, das unter seinen Augen aufgewachsen ist.

»Und wie geht es sonst, Jonas?« fragte Paula freundlich.

»Ach ja, zu thun giebt's immer, gnädige Comtesse,« nickte ihr der alte Mann lächelnd zu; »in einem so großen Garten reißt's nicht ab das ganze Jahr lang Winter und Sommer.«

»Aber ich dächte, mit dem Gehör ging es recht schlecht, Jonas,« sagte Paula, indem sie sich dicht zu seinem Ohr bog und sehr laut sprach.

»Ach nein, gnädige Comtesse,« lächelte der alte Mann, mit dem Kopf schüttelnd; »ich habe mich vorher mit dem Förster eine ganze Weile unterhalten und jedes Wort verstanden; es macht sich doch noch immer. Freilich, so gut ist's nicht mehr, wie früher. Aber mit Ihnen geht's desto besser. Lieber Gott, wenn ich dran denke, wie Sie hier an der nämlichen Stelle manchmal um mich her im Sand herumkrochen und mit dem großen Neufundländer Hund spielten, den der gnädige Herr Graf damals hatte – armer Tyras, dort drüben unter dem Goldregenbusch haben wir ihn begraben! Ja, wie die Zeit vergeht, und jetzt sind Sie so groß und hübsch herangewachsen und eine vornehme Dame geworden; aber ich sehe Sie immer noch, was Sie für ein liebes, herziges Kindchen waren, mit den langen, blonden Locken, und manches gesegnete Mal hab' ich Sie auf den Armen gehabt und bin dann hier mit Ihnen um den alten Thurm herumgaloppirt.«

 

»Mein alter, guter Jonas!« sagte Paula gerührt; »ja, ich weiß mich selber noch recht gut auf Tyras zu besinnen.«

»Na,« lachte der alte Mann, »die gnädige Frau Mama hatte es freilich manchmal nicht gern, wenn wir zu sehr mitsammen tollten, aber dann hat sie doch auch wieder darüber gelacht.«

Paula sah wohl, daß mit dem alten Mann kein Gespräch mehr zu führen war, mochte ihm aber auch nicht weh thun, nickte ihm freundlich zu und schritt dann zu der Mauer, an der sie stehen blieb und sinnend nach der Stadt hinuntersah. Nur manchmal drehte sie sich nach dem Alten um, der noch immer mit seinem Handwerksgeräth herumwirthschaftete, bis er die Leiter endlich wieder schulterte und mit einem: »Na, Gott behüt' Sie, gnädige Comtesse!« den Kiesweg hinabschritt.

Kaum war er fort, als sie wieder ein kleines Zettelchen aus ihrer Tasche nahm, dasselbe zusammenfaltete, sich vorsichtig noch einmal überall umschaute, und es dann an dieselbe Stelle schob, von der sie heute Morgen das rosafarbene Papier genommen. Dann schritt sie langsam wieder und recht schwer aufseufzend in das Haus zurück.

Der Nachmittag verging so, der Abend dämmerte und um das Haus im Park begannen die Vögel sich zu ihrer Nachtruhe vorzubereiten. Die Amsel, welche den ganzen Tag geschwiegen und mit eisernem Fleiße Futter für sich und die junge Brut zusammengesucht, begann ihr reizendes, melodisches Lied, das sie noch, wie ein Nachtgebet, schmetternd von der höchsten Spitze eines Blüthenbusches hinausjubelte. Hier und da zwitscherte ein Rothkehlchen, um die Gefährtin herbeizurufen und mit ihr gemeinsam den geschützten Platz in irgend einem Gesträuch aufzusuchen, wo sie Nachts nicht von einer gefräßigen und lichtscheuen Eule gefunden werden konnten. Jetzt flatterte ein großer, schwerer Vogel, es war ein Fasanenhahn, der sich in einen der jungen Bäume hinaufschwang und dann mit thörichtem Spectakel, Schreien und Glucksen der Nachbarschaft verkündete, daß er glücklich oben angekommen wäre, und wo er die Nacht schlafen würde. Er hörte auch nicht eher mit Lärmmachen auf, bis er sich ordentlich zurecht gerückt und seine Federn gehörig aufgeblustert hatte.

Dann kam ein anderer und noch ein anderer, wie es dunkler wurde, und die Fledermäuse fingen schon an, ihre Zickzacklinien zu ziehen, während noch hoch in der Luft, und in dem dämmernden Abend selbst unsichtbar, ein Volk Krähen mit lautem Gekreisch nach ihrem Ruheplatz, zu dem fichtenbesetzten Bergabhange hinüberstrich.

Dann wurde es still, ganz still. Nur die Grillen zirpten noch in den Bäumen und unten vom Schloßteiche herauf tönte das monotone, schläfrige Quaken der Frösche. Drüben am östlichen Himmel aber hob sich voll und majestätisch die rothglühende Mondscheibe herauf, und während sich unten im Thal der Nebel sammelte, goß sie hier oben, als sie höher stieg, voll und klar ihr mildes Licht über die Höhen.

Aber anderes Leben regte sich.

Den Kiesweg herauf, der durch den Park führt, trabte ein Reiter. Es war der junge Graf George, welcher von seinem Besuch zurückkehrte, sein Pferd dem herzuspringenden Stallknecht übergab und dann hinauf in sein Zimmer ging.

Zu gleicher Zeit belebte sich auch der Platz am alten Thurm. Zuerst schüttelte sich in geheimnißvoller Weise einer der Wipfel junger Bäume, die dicht an der Mauer standen; dann wurde über dieser ein vorsichtig gehobener Kopf sichtbar, der aber viele Minuten lang aufmerksam in seiner Stellung verharrte und in dem Schatten der dichten Wipfel auch kaum, selbst von der Terrasse aus, hätte erkannt werden können. Erst als Alles ruhig blieb, regte sich die Gestalt auf's Neue, und der Maulwurfsfänger – dem der Graf so ernstlich den Besuch des Grundstücks nach Dunkelwerden verboten hatte – kroch vorsichtig über die niedere Mauer und sprang auf den Rasenrand nieder, der die Büsche umschloß, damit in dem aufgerechten Kiesweg seine Fußstapfen nicht sichtbar wurden.

Irgend etwas Nichtsnutziges hatte der alte Bursche im Werk, das war sicher, er hätte sonst nicht so scheu den dunkelsten Schatten der Bäume gesucht und jede nur mögliche Vorsicht gebraucht, um nicht entdeckt zu werden. So düster der kleine, baumumschlossene Platz hier auch lag, er hielt sich nicht lange dort auf, horchte noch einmal, ob Alles sicher war, und tauchte dann in das dichte Strauchwerk einer kleinen Tujagruppe ein, das sich wie eine Mauer wieder hinter ihm schloß.

Und es war die höchste Zeit gewesen, daß er sich entfernt hatte, denn kaum konnte er den Platz fünf Minuten verlassen haben, als auf dem kleinen Pfad, der hier vom Park heraufführte, ein anderer scheuer Besuch heranschlich, der eben so vorsichtig, wie der ihm vorausgegangene, nach allen Seiten horchte und dann langsam den kleinen Hügel erstieg, auf welchem der alte Thurm lag.

Der jetzige Besuch trug einen dunkeln Mantel und eine ebensolche Mütze, und blieb, als er den obern Raum erreichte, vorsichtig stehen und horchte wieder; aber nichts regte sich, todtenstill lag der Platz, und nur rechts im Dickicht – er drehte erschreckt den Kopf danach um – flatterte ein kleiner Vogel und strich, aufgeschreckt von seinem Ruheplatze, ängstlich zwitschernd über die Hügelgruppe und in das nächste Dickicht hinein.

Handor – denn niemand Anders war der späte und heimliche Besuch – dachte aber nicht daran, daß irgend eine Ursache das kleine Thier erschreckt haben mußte, und daß das möglicher Weise ein Mensch sein könne, dem er hier gerade nicht gern begegnet wäre. Er fühlte sich vollkommen beruhigt, als er sah, daß die Ursache des Geräusches nur ein kleiner, unschuldiger Vogel gewesen. Am Wartthurm war Niemand, und als er sich überzeugt hatte, glitt er zu der nämlichen Stelle der Mauer, wo Paula an jenem Nachmittag erst das kleine Zettelchen verborgen hatte. Das fand er auch und öffnete es, aber es war nicht möglich, bei dem ungewissen Schein des Mondes die noch dazu auf dunkles Papier geschriebenen feinen Schriftzüge zu lesen; er schob den Zettel deshalb in die Tasche, hüllte sich wieder in seinen Mantel und trat dann, um seine Zeit abzuwarten, halb in das nämliche Tujagebüsch hinein, in welchem vorher der Maulwurfsfänger verschwunden war. Aber doch nicht so weit, daß er den freien Platz hier oben nicht vollständig hätte übersehen können, während er beim Nahen irgend einer Gefahr im Stande war, in dem Dickicht zu verschwinden.

So mochte er etwa eine Viertelstunde regungslos, und dem geringsten Geräusch horchend, gestanden haben, als er plötzlich einen großen Vogel weiter drin im Dickicht und etwas mehr den Hang hinunter flattern und mit den Flügeln schlagen hörte. Er horchte hoch auf; das dauerte aber kaum zehn oder zwölf Secunden, dann war wieder Alles todtenstill.

»Was nur mit den verdammten Vögeln heut Abend ist!« flüsterte Handor leise und ärgerlich vor sich hin; »mich können sie doch wahrhaftig nicht gehört haben.«

Aber ihm blieb auch keine lange Zeit, darauf zu achten, denn im Knirschen des Kieses hörte er einen leichten Schritt und erkannte gleich darauf eine dunkle Gestalt, die rasch und scheu den Weg heraufkam. Jetzt fiel das Mondlicht auf sie – es war Paula, und im nächsten Augenblick hielt er die Geliebte in den Armen.

Mit süßen Schmeichelworten wollte er sie begrüßen; aber Paula hatte in diesem Moment nur Thränen, denn Angst und Aufregung, die ihre Nerven zum Äußersten gespannt, übertäubten bei diesem ersten Begegnen jedes andere Gefühl.

»Mein liebes Mädchen,« flüsterte Handor, »beruhige Dich doch, ich bin ja bei Dir, ich halte Dich ja wieder einmal in den Armen! – Was ist Dir denn nur, Deine ganze Gestalt zittert ja wie Espenlaub.«

»Die Angst, entdeckt zu werden, Rudolph,« bat das arme Mädchen; »oh, zürne mir nicht, aber nur mit schwerem Herzen wagte ich den Schritt – nur gezwungen von der Gewalt der Eltern, die mich ihren Standesvorurtheilen opfern wollen.«

»So ist das Furchtbare wahr?«

»Leider ja – morgen in acht Tagen soll ich dem jungen Grafen Bolten verlobt werden; ich habe gebeten und gefleht – umsonst, Vater und Mutter haben kein Erbarmen gegen ihr Kind, und mit Gewalt soll ich zum Altar geschleppt werden!«

»Das dürfen sie nicht, Herz,« rief Handor, »das ist gegen die Gesetze des Landes, und wenn Du Dich weigerst…«

»Aber wie darf ich, wie kann ich denn?« klagte das arme Mädchen. »Bin ich denn im Stande, ihnen zu sagen, daß ich Dich, nur Dich liebe und nie einem andern Manne meine Hand reichen, ihn mit einem schon vergebenen Herzen betrügen würde?«

»Meine Paula…!«

»Ich wage es nicht,« fuhr die Grafentochter fort; »ich kenne meinen Vater, kenne meine stolze Mutter, die mir schon den Gedanken, die Bitte nicht vergeben würden!«

»So flieh mit mir, Geliebte!« drängte Handor. »Was hält Dich hier, wo Du selber keine Hoffnung hast, einer gehaßten und verabscheuten Verbindung zu entgehen, ja, wo eine Aussicht eines öden, trostlosen Lebens vor Dir liegt? Oh, ich weiß,« fuhr er traurig fort, »daß ich Dir das nicht bieten kann, was in den Armen jenes Grafen Deiner wartet – kein stattliches Schloß, keine blendende Equipage, keinen Dienertroß; aber was die Liebe Dir zu bieten vermag, womit die Kunst Dich erfreuen kann, Paula, das ist Dir gewiß, und Deine Eltern – es müßten ja keine Menschen sein, wenn sie dem eigenen Kind entsagen, die einzig Tochter auf ewige Zeiten von sich stoßen würden. Dein Vater wird wüthen, ja, er wird uns verfolgen lassen, um Dich mir mit Gewalt zu entreißen; aber fürchte nichts: in meinem Schutze bist Du sicher, und hat der erste Ärger über einen zerstörten Plan sich ausgetobt, ist der erste Mißmuth vorüber, getäuschter Hoffnung wegen – er gerade am wenigsten wird grausam sein. Denke Dir dann, Herz,« fuhr er fort, während sie sich ängstlich und zitternd an ihn schmiegte, »denke Dir jene selige Zeit, wenn ich, mit Deinen Eltern versöhnt, Dich ihnen wieder zuführen kann, wenn wir vereint zu ihren Füßen liegen und ihr Segen dann die Bande heiligt, die uns des Himmels Seligkeit schon auf Erden gegeben haben!«

»Mein Rudolph, mein Rudolph, oh, wie glücklich, wie namenlos glücklich würde mich Dein Besitz machen!« rief das junge, leidenschaftliche Mädchen. »Ich kann ja nicht ohne Dich leben – Gott nur weiß es, Tag und Nacht sind meine Gedanken bei Dir, und wenn ich mir jetzt denke, daß ich von Deiner Seite gerissen, daß ich einem Manne überliefert werden soll, den ich nicht lieben kann, so liegt mein künftiges Leben kalt und dunkel vor mir wie eine ewige, endlose Winternacht!«

»Meine Paula!« rief Handor und preßte sie fest an sich; aber im nächsten Moment horchte er auch rasch und erschreckt empor. Drinnen im Busch flatterte wieder ein Vogel, aber jetzt weiter entfernt als vorhin, und es war ihm fast, als ob er den Schritt eines Menschen auf dem Kiesboden gehört hätte.

»Komm,« flüsterte er leise und zog die Erschreckte mit sich in das Dickicht hinein, »das Mondlicht ist hier viel zu hell; ein Verrätherauge könnte wachen.«

»Ich darf nicht so lange fortbleiben, wenn ich vermißt werde…«

»Komm nur jetzt; mir war, als ob ich etwas hörte.« Und er zog die nur halb Widerstrebende in den Schutz der Tujas, die ihnen Sicherheit und Deckung boten.

Handor hatte sich übrigens dieses Mal nicht geirrt, denn allerdings kreuzte gerade in diesem Augenblick ein Mann mit einem Gewehr auf dem Rücken den Kiesweg, der dicht unter dem Hügel wegführte. Es war der Förster, der schon seit Dunkelwerden im Park herumkroch und, nachdem er all' die entlegenen Stellen desselben vorsichtig abgesucht, um seinem Fasanendiebe auf die Spur zu kommen, jetzt auch dicht am Schlosse die Hölzer abspüren wollte: denn nirgend anders hatte er etwas Verdächtiges gefunden, während der heutige Abend wie gemacht zu einem derartigen Wilddiebstahl war.

Ein Fasanendieb konnte nämlich im Dunkeln gar nichts ausrichten, und selbst bei Mondschein war, wenn er nicht recht hell, wie gerade heut Abend, schien, die Sache schwierig, da die belaubten Bäume noch zu viel Schatten warfen. Daß aber trotzdem ein schlauer Dieb den Versuch, und zwar nicht erfolglos, gemacht, davon hatte er ja selber die Beweise im Holze – eine Anzahl von Federn und den kranken, mit einem Fischhaken gerissenen Fasanenhahn – gefunden, und der Gesell, welcher da einmal glücklich durchgekommen, würde diesen Abend kaum versäumt haben, um sein Diebeshandwerk fortzusetzen.

Gerade jetzt kreuzte er deshalb, im Schatten der Baumgruppen über die Wiese kommend, den Kiesweg. Es war ihm fast, als ob er ein Geräusch gehört hätte, und er zog sich nun unter dem Wartthurmhügel hin dem Gebüsche zu, wo ebenfalls jede Nacht einige zwanzig Fasanen besonders in einer kleinen Birkenlichtung aufbäumten und dort allerdings einiger Gefahr ausgesetzt waren.

 

Aber nichts wurde laut; wohl eine halbe Stunde stand er regungslos auf seinem Posten. Da plötzlich – ordentlich erschreckt zuckte er empor – hörte er das krampfhafte Flattern eines Fasans, das nämliche, was Handor schon zweimal vorher erschreckt hatte, ohne daß dieser freilich wußte, was es bedeute. Der alte Förster kannte den Laut aber viel zu gut, um auch nur einen Moment darüber in Zweifel zu sein.

Fast unwillkürlich fuhr er mit dem Gewehr in die Höhe; aber er wußte auch recht gut, daß ihm das für den Augenblick nichts helfen konnte. Noch einmal horchte er – der Vogel flatterte noch – jetzt wußte er genau die Richtung, und eine kurze Strecke auf dem Rasen hinspringend, wo sein Schritt geräuschlos verhallte, tauchte er gleich darauf in das die Anlage umgebende und nicht sehr dichte Buschwerk, genau der Richtung zu, wo die Birken standen. –

Der alte Maulwurfsfänger hatte indessen kaum das Dickicht erreicht, als er auch den Hang, wo er jeden Fuß breit des Terrains kannte, vorsichtig hinunterschlich und der Stelle zuhielt, an der, wie er recht gut wußte, die Fasanen Nachts aufbäumten. Trotzdem trug er keine Waffe, mit der man hätte glauben sollen, daß er ihnen gefährlich werden konnte – nichts, als seinen alten Eichenstock. Überdies wußte er ja auch recht gut, daß er in solcher Nähe vom Schloß keinen Schuß wagen durfte, wenn er sich nicht der Gefahr aussetzen wollte, unmittelbar darauf von den Schloßleuten umstellt und gefangen zu werden.

Der alte Bursche wußte aber besseren Bescheid und war, allem Anschein nach, nicht zum ersten Mal auf einem solchen Fang.

Mit der größten Umsicht und Ruhe schlich er langsam vorwärts, bis er den lichteren Platz jenes kleinen Birkenwäldchens, etwas dürrer Boden mit Haidegrund, der weiter nichts Anderes hervorbrachte, erreichte, und hier spionirte er dann so lange herum und suchte die Mondesscheibe hinter die Bäume zu bekommen, bis er den Platz erreichte, wo die Fasanen standen. Aber auch das half ihm anfangs nichts, denn die ersten, welche er traf, waren zu hoch aufgebäumt, als daß er sie hätte erreichen können. Doch nicht alle schienen so vorsichtig gewesen zu sein. Nicht lange, so traf er einen dick aufgeblusterten Hahn, der, den Kopf unter die Flügel gesteckt, fest auf seinem Aste schlief und nicht einmal sein Nahen bemerkt haben konnte.

Der alte Maulwurfsfänger störte ihn auch nicht; leise kroch er zehn oder zwanzig Schritt zurück, bis unter einen dunkeln Busch, und begann hier seine Vorbereitungen.

Erst schraubte er seine Stockzwinge ab und steckte diese, damit sie ihm nicht verloren ginge, in die Westentasche; dann zog er die Angelruthe heraus und befestigte oben an der Spitze derselben einen mächtigen Angelhaken, wie sie bei den kleinen Fischen des innern Landes nie gebraucht werden. Diesen Haken band er so an die Ruthe, daß die Spitze mit dem Widerhaken nach unten zeigte, und als er dieselbe fest und sicher angeschnürt, daß sie ihm nicht wieder abriß, wie neulich einmal mit einem feisten, prächtigen Hahn, hob er sich langsam empor und glitt völlig geräuschlos zu dem Stamm des Baumes, auf dem seine Beute stand.

Ein ungeübtes Auge würde aber in dem belaubten Baum kaum im Stande gewesen sein, den Platz genau zu bestimmen, wo sich das Wild befand; der alte Bursche wußte das besser, und nachdem er nur ein paar Mal mit dem Kopf unter dem Baume hin und her gefahren, hielt er plötzlich still, brachte seine Ruthe vorsichtig in die Höhe und ließ die Angel langsam und geräuschlos an dem Stamm selber hinaufgleiten.

Der Fasan schlief fest; alle Bewegungen waren auch so vollständig geschickt ausgeführt, daß er kaum etwas davon merken konnte, da die Gestalt des Mannes unter dem Baume mit dem gleichfarbigen Untergrund zu einer ununterscheidbaren Masse zusammenschmolz. Jetzt aber hatte der Haken, ohne daß der Maulwurfsfänger von unten das Hinderniß bemerken konnte, gegen einen kleinen, trockenen Zweig gestoßen, und rasch und erschreckt richtete sich der Hahn mit einem leise gluckenden Laut empor.

Der Alte unter dem Baum rührte sich nicht. Wie an den Stamm gewachsen stand er da; nur seine rechte Hand dirigirte vorsichtig den Haken um das Hinderniß herum. Unten am Stocke hatte er sich dabei vorsichtiger Weise ein Zeichen gemacht, nach welcher Seite hin die Biegung des Hakens selber saß; jetzt mußte er damit über dem Hahn sein, und mit einem plötzlichen Ruck riß er den Stock zurück und den unglücklichen Fasan damit von seinem sicher geglaubten Stand herunter.

Dieser schlug allerdings aus Leibeskräften mit den Flügeln, aber nicht lange. Im Nu hatte ihn der Wilddieb gefaßt und ihm auch eben so rasch den Hals abgedreht, wonach er ihn in seine jetzt völlig leere Jagdtasche steckte und sich erst vorsichtiger Weise, ehe er auf neue Beute ausging, unter den nächsten Busch drückte, um abzuwarten, ob das nun einmal nicht zu vermeidende Geräusch nicht doch am Ende unberufene Zeugen herbeigelockt hätte.

Aber nichts ließ sich hören; der Wald war so still, wie je, und nur hier und da in den Bäumen regten sich die benachbarten Fasanen, die durch den Todeskampf des Kameraden munter geworden waren und von da und dort ein leises Glucksen hören ließen.

Jetzt glitt er wieder wie ein Schatten vor. Die schlanke Gestalt des Mannes kroch gebückt und schleichend über das durch den Nachtthau feucht gewordene Laub dahin, bis er unter den rege gewordenen Vögeln eine neue Beute ersehen hatte.

Was schadete es auch, daß sie munter geworden waren! Der Fasan streicht nach Dunkelwerden nur mit großem Widerwillen von seinem einmal eingenommenen Stande ab, weil er recht gut weiß, wie schwer es ihm wird, bei Nacht einen andern Platz zu finden, und sobald der Wilddieb nur die Vorsicht beobachtete, seinen Stock langsam und von dem Stamm wo möglich gedeckt in die Höhe zu bringen, hatte es mit dem Fange keine Schwierigkeit.

Auch den zweiten hatte er sich so gesichert, und wie er ihn herunterbrachte, entdeckte er dicht daneben auf einem ganz niedern Ast einen dritten.

Trotzdem wartete der Maulwurfsfänger wieder eine ganze Weile im Dickicht seine Zeit ab, ehe er sich auf's Neue in das lichtere Holz hineinwagte; wußte er doch recht gut, daß ihn der alte Förster schon lange in Verdacht hatte, und daß der eben so gut die Zeit kannte, in welcher er seinem Fang nachzugehen pflegte.

Eigentlich hatte er sich vorgenommen gehabt, an dem Abend mit zwei Hähnen zufrieden zu sein; der dritte Hahn saß aber zu verlockend da, fast auf dem untersten Ast der Birke, er hätte ihn beinahe mit der Hand erreichen können; so günstige Gelegenheit fand er nicht wieder, und wenn er einen Monat danach gegangen wäre. Nach einer guten Weile erhob er sich deshalb wieder und kroch langsam gegen den Baum vor; der alberne Vogel hatte den Kopf wieder eingesteckt, und bis dicht unter ihn kam er, ehe er durch das doch nicht zu vermeidende Geräusch geweckt wurde und rasch emporfuhr – aber das half ihm nichts mehr. Der verhängnißvolle Haken saß ihm dicht über dem Kragen, der Wilddieb zog an, und der gefangene Fasan stürzte von seinem Ast herunter.

So tief aber hatte er gesessen, daß der untere Theil des Stockes, als ihn der Maulwurfsfänger zurückriß, gegen den Boden stieß und der Fasan dadurch von dem Haken loskam. Ehe er aber die Flügel ordentlich gebrauchen konnte, war der Wilddieb schon mit einem Satz auf ihm, faßte ihn am Halse, drehte ihm den Kopf herum und schob ihn dann schnell in den alten Ranzen zu den übrigen. – Aber erschreckt fuhr er empor – das waren rasch springende Schritte im Laub. Noch einmal horchte er. War es vielleicht ein aufgescheuchtes Stück Damwild, das sich hier in der Nachbarschaft niedergethan und nun den Platz floh? Nein, die Schritte gehörten keinem Stück Wild, und seinen Stock aufgreifend, floh der Dieb, so rasch er konnte, dem schützenden Dickicht zu.