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3.

Das Rendezvous

Mild und erwärmend lag die Nachmittagssonne auf dem schönen Land und warf einen ordentlich magischen Schein über die rothblinkenden Stämme eines Tannenwaldes, der, dunkel und dicht gedrängt, die nächste Hügelkette deckte, und über das breite, wohlgepflegte Wiesenthal, das sich am Fuße desselben hinzog. Ein kleiner, schmaler Fluß schlängelte sich hindurch, helle Weidenbäume mit ihrem graugrünen Laube faßten ihn ein, während einzelne hochstämmige Erlen mit den knotigen, oft behackten Stämmen dazwischen standen und malerische Gruppen bildeten. Der Fluß aber sprang murmelnd und rasch zwischen ihnen hin und warf die Sonnenstrahlen wie spielend in blitzenden Lichtern zurück.



Seitwärts aber erhob sich ein kleiner, sorgfältig mit Blüthenbüschen bepflanzter Hügel, aus dessen Strauch- und Baumwerk, von einzelnen schlanken italienischen Pappeln überragt, die Mauern eines stattlichen Schlosses oder Herrenhauses hervorleuchteten, während rechts durch einen tiefen Einschnitt der Hügelkette die Ziegeldächer von Haßburg und der eine Thurm des Domes sichtbar wurden.



In dem Wiesenthale selber, bald dicht am Ufer des kleinen Flusses, bald mitten darin, lagen zerstreute Gruppen von Birken, knorrigen Eichen, Linden und Blutbuchen, als ob sie der Zufall dort hätte keimen lassen. In der That aber waren sie künstlich angelegt und gepflegt, und dienten auch nur dazu, um der ganzen Gegend etwas Parkähnliches zu geben, ohne ihr jedoch den Charakter ihrer ursprünglichen Natürlichkeit zu nehmen.



Der ganze District war auch in der That nur ein erweiterter Theil des unmittelbar an das Schloß stoßenden Gartens, und ein schmaler, aber gut gehaltener und mit Kies überstreuter Fahr- und Reitweg lief, den Windungen des Wassers folgend, auf das Schloß zu. Das Ganze wurde durch einen leichten, grün angestrichenen Drahtzaun eingeschlossen, der aber von Weitem gar nicht sichtbar war und dadurch dem Parke nur noch mehr das Ansehen einer freien Landschaft ließ.



Menschen waren nirgends zu erkennen, nur unten am Fluß, wo das Hochwasser die Uferbank so ausgewaschen hatte, daß die das Erdreich zusammenhaltenden Wurzeln einer uralten Erle fast eine Art von Dach bildeten, kauerte ein Mensch neben einem hier durch die Strömung gewühlten Wasserloch und angelte.



Ob er ein Recht dazu hatte? Es schien kaum so, denn Alles verrieth weit eher, daß er sich hier auf verbotenem Grund oder doch jedenfalls bei einer verbotenen Beschäftigung befand. Er benutzte eine höchst sinnreich so gefertigte Angelruthe, daß sie, wenn er sie zusammenschob, genau in seinen alten Eichstock paßte und durch die unten angeschraubte Zwinge dann vollkommen abgeschlossen und versteckt wurde, und hatte dabei eine alte, abgenutzte, lederne Jagdtasche umgehängt, in welcher auch jedenfalls sein übriges Angelgeräth stak, denn draußen war nichts weiter davon zu bemerken.



Der ganze Bursche sah überhaupt alt und abgenutzt aus. Er trug einen fadenscheinigen, grauen Rock mit fettigem Kragen, alte lederne Gamaschen und derbe Schuhe, auf dem Kopfe eine abgegriffene, graue Mütze, und eine baumwollene Weste, wie sie die ärmsten Bauern zu tragen pflegen. Er schien dabei auch nicht mehr jung; das unter der Mütze hervorquellende Haar war, wenn nicht ganz weiß, doch stark gesprenkelt. Nur der kleine, struppige Schnurrbart, der nicht zu seinem Vortheil Spuren von Schnupftabak zeigte, war völlig weiß, was sich leider nicht von seiner Wäsche sagen ließ, und trotzdem sah der Mensch aus, als ob er schon einmal bessere Tage gesehen hätte, mochte er jetzt auch noch so arg heruntergekommen sein. Seine Stirn war hoch und gewölbt, und das kleine, graue, lebendige Auge konnte, wenn es nicht scheu umherblickte, oft recht trotzig unter den buschigen Brauen hervorleuchten.



In seiner, ob nun hier erlaubten oder verbotenen Kunst schien er übrigens gar nicht so ungeschickt, denn in der kurzen dort verbrachten Zeit hatte er schon zwei mehr als halbpfündige Forellen aus dem fischreichen Strom herausgeworfen, ihnen dann augenblicklich mit einem alten, abgenutzten, aber haarscharfen Genickfänger den Kopf durchstochen und sie, also abgeschlachtet, in seinen Ranzen geschoben.



Übrigens zeigte er wenig Furcht bei seiner Beschäftigung, so versteckt er sie auch trieb; er qualmte aus einer kleinen, kurzen Pfeife mit einem Maserkopf und einer Spitze, die jedem andern Menschen das Rauchen hätte für Lebenszeit verleiden können, und hob nur selten einmal und nur dann, wenn er wieder einen Fisch gefangen, den Kopf, um über den Wiesenrand in den Park hinaus zu sehen. Aber er hatte auch einen Wächter.



Oben unter der Erle saß ein kleiner Spitz, so alt und ruppig und grau gesprenkelt wie sein Herr, ein Auge geschlossen, als ob er auf der Seite schliefe, während das andere aufmerksam bald da, bald dort hinüberflog, und so regungslos, als ob er zu den Wurzeln, zwischen denen er kauerte, gehörte. Der alte Fischer war auch völlig unbesorgt, denn er wußte recht gut, daß ihm das kleine pfiffige Thier das Nahen irgend eines Menschen augenblicklich anzeigen würde – war es doch darauf dressirt.



Übrigens hatte der Alte ein Recht, sich hier im Park aufzuhalten, denn sein angebliches Geschäft war, die Maulwürfe aus den Wiesen wegzufangen, worin er eine ganz besondere Geschicklichkeit besaß. Auch in der Gegend, in welcher er seit etwa drei Jahren sein Wesen trieb, war er bekannt genug, und das Volk nannte ihn kurzweg den »Maulwurfsfänger«. Sodann führte er auch Gift für Ratten und Mäuse bei sich, wußte Mittel gegen jedes andere Ungeziefer, und die Bauern in der Umgegend ließen es sich außerdem nicht nehmen, daß er »mehr verstehe, als Brod essen«, das heißt, daß er auch mit übernatürlichen Dingen Gemeinschaft pflege und in einer Anzahl von »schwarzen Künsten« erfahren sei, die er, wenn er wolle, sowohl zum Nutzen wie zum Schaden seiner Mitmenschen benutzen könne.



Der gräfliche Revierförster, welcher den Maulwurfsfänger vielleicht schon deshalb haßte, weil ihn dieser immer spöttisch »Herr College« nannte, kam der Sache jedenfalls näher, wenn er den Menschen für einen ganz durchtriebenen Burschen hielt, der sich eben so wenig ein Gewissen daraus gemacht hätte, eine Schlinge für einen Maulwurf wie für einen Hasen oder für ein Reh zu legen; wenigstens hatte er schon einige von diesen angetroffen, ohne aber je dem Thäter auf die Spur zu kommen. War es der »alte Fritz«, wie der Bursche in der Nachbarschaft allgemein mit seinem Vornamen hieß, wirklich gewesen, so wußte er es viel zu schlau anzustellen, als sich von einem der Beamten erwischen zu lassen, und da man ihm in der That keine ungesetzliche Handlung nachweisen konnte, gab Graf Monford, dem diese Besitzung gehörte, auch dem Drängen seines Försters nicht nach, dem verdächtigen Gesellen das Betreten des herrschaftlichen Bodens zu verbieten. Er solle nur ordentlich aufpassen, erwiderte er stets dem Förster, und wenn er ihn je einmal ertappe, sei es noch immer Zeit ihn fortzujagen, früher nicht.



Eine Stunde mochte der Mann etwa so unter der alten Erle gesessen und geangelt haben, und hatte eben wieder einen starken Fisch herausgebracht, als der Spitz oben leise knurrte.



»Bravo, mein Hundchen,« lachte der Alte vor sich hin, »und gerade zur rechten Zeit, denn dem Platz hier muß ich doch jetzt ein paar Tage Ruhe geben.«



Mit diesen Worten schlachtete er seine zappelnde Beute ab, schob sie zu den Übrigen in den Ranzen, vertilgte dann rasch soviel als möglich alle Spuren, die da unten seine Beschäftigung hätten verrathen können, und richtete sich vorsichtig in die Höhe. Er brauchte auch nicht lange umher zu suchen, von welcher Seite Jemand nahe, denn der Kopf seines klugen Hundes gab ihm dafür die genaue Richtung an, und dort hinüber sehend, erkannte er bald, daß er von diesem Störenfried nichts zu fürchten habe.



Es war ein sehr elegant, fast etwas auffällig gekleideter Herr, eine Persönlichkeit wie aus einem Modejournal herausgeschnitten, mit sorgfältig gepflegten Locken, kleinem, sehr zierlichem Schnurrbart, Glanzstiefeln, kurz Allem, was dazu gehört. Was sich aber nicht gehörte, war, daß er nicht auf dem Wege her, wo die Thür lag, sondern quer über die Wiese kam, also jedenfalls über den Drahtzaun gestiegen sein mußte. Eben so wenig schien er auf einem gleichgültigen Spaziergang begriffen, sondern weit eher Jemanden zu suchen oder zu erwarten. Dem schlauen Maulwurfsfänger konnte es wenigstens nicht entgehen, daß er sich vorsichtig nach allen Seiten umsah und seine Richtung so über die Wiese nahm, um fortwährend durch die Büsche und Baumgruppen gegen einen Blick von den oberen Schloßfenstern gedeckt zu bleiben.



»Spitz, komm 'runter,« flüsterte der Alte jetzt seinem Hunde zu, denn er hatte seinen Plan geändert, das Versteck zu verlassen, und schien vor der Hand einmal abwarten zu wollen, was der fremde Herr hier im Schilde führe. Möglich auch, daß er selber nicht von ihm gesehen zu werden und deshalb nur noch seine Zeit abzupassen wünschte, um ihn erst hinter die eine oder die andere Baumgruppe zu lassen – und doch war wohl hier nur sehr wenig Gefahr vorhanden, daß der feine Stutzer ihn verrathen oder selbst nur ahnen konnte, was er da getrieben.



Der Spitz gehorchte übrigens augenblicklich. Wie ein Fuchs drückte er sich auf den Boden und kroch dicht an den Wurzeln der Erle hin bis hinter den Stamm, von wo er auf das unmittelbare Flußufer hinabsprang. Hier allerdings schnüffelte er erst einmal nach den, wenn auch vertilgten Blutspuren der abgeschlachteten Fische hin; dann drehte er sich ein paar Mal im Sande herum, bis er die richtige Stellung gefunden hatte, und legte sich zusammengerollt ruhig nieder. Er wußte, daß seine Dienste vor der Hand nicht weiter in Anspruch genommen wurden.



Der Maulwurfsfänger hatte indessen, ohne weitere Notiz von seinem Hund zu nehmen – das Kinn auf die zusammengestellten Fäuste gestützt – die Bewegungen des Nahenden über die Uferbank hin eine ganze Weile beobachtet. Er wußte dabei recht gut, daß er selber nicht gesehen werden konnte, denn seine graue Mütze und sein graues Haar verschwanden auf die Entfernung völlig in der Erdfarbe des Bodens. Plötzlich aber stahl sich ein grimmes Lächeln über seine Züge, denn vom Schloß herunter entdeckte er durch die Büsche ein lichtes Frauenkleid, das mit dem Besuche augenscheinlich in Zusammenhang stand.

 



Der Alte hatte nun allerdings vortreffliche Augen, schien sich aber hier doch nicht allein auf diese verlassen zu wollen, sondern griff in die Brusttasche und holte von dort ein kleines Teleskop hervor, das er auseinander zog und auf die nahende Dame richtete. Nur wenige Secunden sah er aber aufmerksam hindurch, als er auch schon leise vor sich hin pfiff und dann lachend murmelte:



»Sieh, sieh, sieh, Comtesse Paula, auch schon auf der Jagd, und noch dazu, wie es scheint, auf verbotenem Wilddiebstahl – was man doch nicht Alles erlebt, wenn man alt wird! Und wer zum Henker ist denn nur der feine Herr, der nicht offen in's Schloß kommen darf, sondern hinten herum über die Zäune steigen muß, um von der verbotenen Frucht zu naschen? Hm, das Gesicht kenne ich nicht,« setzte er leise hinzu, als er das Glas dort hinüber gerichtet hatte. »Geschniegelt und gebügelt genug sieht er aus, um da oben hinein in die Gesellschaft zu passen, mit goldenen Ketten und Ringen und allem möglichen Firlefanz; wird ihm aber wohl am Besten fehlen, am alten Adel. Ja, mein Schatz, da mußt Du Dir freilich die Graupen nach der jungen Gräfin Monford vergehen lassen, oder…«



Er brach kurz ab, drehte sich um, kauerte sich wieder am Wasser nieder und starrte wie in alte Erinnerungen versunken auf die blitzende Fläche, aber ein höhnisches, ordentlich unheimliches Lächeln zuckte um seine Lippen.



»Puh,« sagte er endlich und blies den Qualm seiner Pfeife in einer dichten Wolke von sich, »es giebt nichts Neues mehr auf der Welt, Alles schon da gewesen, Alles; wird ordentlich langweilig, hier oben noch länger herum zu trampen. Komm, Spitz, wir wollen machen, daß wir nach Hause kommen, was geht's uns Beide an?«



Damit schob er seine Angelruthe wieder sorgfältig zusammen und schraubte die Zwinge fest. Der Spitz hatte sich aufgerichtet und benutzte die ihm gegönnte freie Zeit, um sich erst hier unten am Wasser noch ein paar übrige Flöhe abzukratzen. Sein Herr sah indessen noch einmal über die Uferbank, ohne jedoch das Teleskop mehr zu Hülfe zu nehmen.



Die jungen Leute hatten sich richtig gefunden; die Dame lehnte im Arm des Fremden, das Haupt an seiner Brust, und während er sie mit dem rechten Arm unterstützte, führte er sie auf einem der kleinen Pfade hin, die sich durch die verschiedenen Baumgruppen schlängelten. Dort drinnen ließ sich von hier aus nicht einmal mehr das lichte Kleid der Dame erkennen, und der Maulwurfsfänger faßte ohne Weiteres seinen daran schon gewöhnten Hund auf, hob ihn in die Höhe, warf ihn auf die Uferbank und kletterte ihm dann selber nach, um in die Stadt, wo er seine Wohnung hatte, zurückzukehren.



Er hielt aber dabei eben so wenig den Pfad, wie der junge Herr vorher, sondern schlenderte, von dem Hunde gefolgt, der Schwanz und Ohren hängen ließ, als ob er nicht Drei zählen könnte, quer über die Wiese, und zwar gerade dem Bosquet zu, in welchem die beiden Liebenden verschwunden waren. Er that das aber nicht etwa aus Neugierde, sondern sein nächster Weg lag gerade dort hindurch, und er hielt sich auch nicht einmal mehr im Gehen auf. Nur den Blick warf er, auch mehr aus alter Gewohnheit, suchend umher; aber von dem Pärchen war nichts mehr zu erkennen, und bald darauf betrat er wieder die Wiese, die ihn unten am Schloßberg hin zu dem Hauptfahrweg führte.



Kurz vorher, ehe er diesen erreichte, bemerkte er die gräfliche Equipage, welche aus der Stadt heraufgefahren kam. Er blieb oben auf dem etwas höheren Rasenrand stehen und zog, während wieder das alte spöttische Lächeln um seine Lippen zuckte, mit fast übertriebener Ehrfurcht die Mütze vor den Herrschaften.



Der Graf, ohne mehr als einen flüchtigen Blick nach ihm hinüber zu werfen, dankte durch ein leises Kopfnicken; die Gräfin beachtete ihn gar nicht.



»Ganz unterthänigster und gehorsamster Diener, meine verehrten gräflichen Herrschaften,« spottete indeß der Maulwurfsfänger hinter ihnen her und hielt noch immer die abgezogene Mütze in der Hand; »wünsche eine recht angenehme Fahrt und besonders viel Glück zu dem neuen geheimnißvollen Schwiegersohn des edlen, unbefleckten gräflichen Stammbaumes! Hahahahaha,« lachte er dann toll und lustig auf, indem er die Mütze wieder auf den Kopf stülpte, »ob es denn nicht rein zum Todtschießen ist, wenn man die hochnasige Grethe da im Wagen sitzen sieht und dann zurückdenkt, wie – hei, lustig, Maulwurfsfänger, Kammerjäger! heute wollen wir da unten auch eine gräfliche Mahlzeit halten, zur Erinnerung an die alten Zeiten, und auf die Gesundheit des fidelen Brautpaares eine Flasche guten Weins leeren; habe so lange keinen gekostet – hurrah!«



Damit faßte er seinen durch die Fische beschwerten Ranzen mit der linken Hand, sprang auf den Fahrweg und verfolgte von jetzt an rasch seinen Weg nach Haßburg hinab. –



»Und so lange habe ich Deine süßen, lieben Augen nicht küssen dürfen, meine Paula,« klagte indessen der junge Mann, den der Maulwurfsfänger in den Park hatte schleichen sehen, indem er das junge, schüchterne Mädchen an sich zog und wieder und wieder ihre Stirn und Augen küßte.



»Ach, Rudolph,« seufzte Paula, die immer noch scheu den Blick umherwarf, ob sie nicht von irgend einem Lauscher bemerkt werden könnten, »nur auf Minuten war ich im Stande, mich wegzustehlen, denn Du glaubst nicht, wie mich diese alte, häßliche Gouvernante, die sie jetzt meine Gesellschafterin nennen, quält und peinigt. Eine schöne Gesellschafterin, nicht einmal Raum, an Dich zu denken, läßt sie mir den langen Tag mit ihren ewigen Gesprächen und Büchern, mit ihrer Musik und ihren alten, langweiligen Classikern.«



»Mein armes, armes Kind!« rief Rudolph feurig aus; »aber die Zeit wird ja auch kommen, wo wir uns vor der Welt angehören dürfen, Deine Eltern…«



»Ach, Rudolph,« seufzte das arme Mädchen unter Thränen, »hoffe nicht auf die; nur eine Andeutung machte ich neulich, daß ich glaubte, ich könne auch mit einem Manne glücklich werden, der von geringerem Stande sei, als ich, und meine Mutter gerieth außer sich – ich fürchte Alles!«



»Und ich fürchte nichts,« rief der junge Mann, eigentlich mit etwas zu viel Pathos, »nichts, als die Grenzen Deiner Liebe; laß auch Hindernisse wie Gebirge zwischen uns treten, ich will sie für Treppen nehmen und darüber hin in Louisens Arme fliegen!«



»In Louisens?« sagte das junge Mädchen erschreckt.



»In Deine, mein Herz,« lächelte ihr Geliebter; »kennst Du die wunderbar schöne Stelle aus Kabale und Liebe denn nicht?«



»Ach, Rudolph, mir ist das Herz so schwer; was kann ich gegen den Willen der Eltern thun?«



»Ha, laß doch sehen,« declamirte Rudolph weiter, »ob ihr Adelsbrief älter ist, als der Riß zum unendlichen Weltall; wer kann den Bund zweier Herzen lösen oder die Töne eines Accords auseinander reißen!«



»Aber Du weißt nicht, Rudolph, wie entsetzlich streng die Eltern sein können, wo es, wie sie glauben, die Ehre ihres Hauses gilt; mein Wort verhallt da ohne Klang.«



»So flieh mit mir, Geliebte,« drängte Jener; »was nützt uns Glanz und Pracht, wenn unsere Herzen verbluten? Meine Kunst ernährt uns, wohin wir den Fuß wenden. Dem Namen Handor jauchzt die ganze Künstlerwelt entgegen, und frei und glücklich leben wir den Musen, der Liebe…«



»Ach, Rudolph, ich soll die Mutter, soll den Vater verlassen?«



»Du sollst Vater und Mutter verlassen und dem Manne folgen, gebietet Dir selber die heilige Schrift.«



»Mein armer Vater!«



»Er wird seine Härte bereuen, wenn er sieht, welche ruhmvolle Laufbahn Du gewählt, und erweicht, gerührt Dich an sein Herz zurückrufen.«



»Er wird mir fluchen!«



»Gut, so bleib,« sagte Rudolph resignirt, indem er den Arm wie abwehrend gegen sie ausstreckte, »bleib Deine Lebenszeit ein Sclave jener alternden Vorurtheile und Formen; folge der Hand, die Dich erbarmungslos zur Schlachtbank führt – Dein Rudolph kann entsagen –





»Wie konnte solch ein Glück auch mir beschieden,

Vom Himmel mir gegönnt sein – mir, dem ja

Das Schicksal von der Wiege jede Freude

Verbittert und vergiftet! Dem der Becher,

Zum Trunk gehoben schon, von durst'ger Lippe

So oft und oft gerissen wurde! Geh –

Geh – geh, Zuleima – glücklich wirst Du sein,

Und ich? – Für mich kein Glück – für mich ein Grab!«



Und wie verzweifelnd barg er das Antlitz in den Händen.



»Rudolph, Rudolph, oh, nicht so, Du weißt ja, daß Du mir das Herz mit solchen Reden brichst; thu es nicht, thu es nicht!«



»Aber welcher Ausgang bleibt mir, als der Tod? Du weißt, daß ich nicht ohne Dich leben kann, weißt, daß ich verderben und untergehen müßte, wenn nicht Dein reines Herz mich an dieses Leben fesselt! Aber was kümmert das Dich,« setzte er bitter hinzu, »Du folgst Deinem Vater, Deiner Mutter; der arme Rudolph mag zu Grunde gehen, er ist ja doch nur ein Schauspieler.«



»Und habe ich das um Dich verdient, Rudolph?« sagte Paula mit leisem Vorwurf im Ton, während sie ihr schmerzbewegtes Antlitz zu ihm emporhob. »Habe ich Dir nicht wieder und wieder bewiesen, wie meine ganze Seele nur an Dir hängt, wie ich kein Glück, keine Seligkeit auf dieser Welt kenne, als nur Dich?«



»Und doch willst Du mir entsagen,« erwiderte der junge Mann schmerzvoll, »doch hältst Du es für möglich, daß Du entsagen kannst, während mir schon bei dem bloßen Gedanken daran das Blut zu Eis gerinnt, und meine Pulse aufhören zu schlagen?«



»Laß mir Zeit zum Denken, Rudolph,« bat das arme Kind, »habe Nachsicht mit meiner Schwäche, wenn ich einen Augenblick schwanken und zaudern konnte. Sieh, noch ist es ja auch nicht so weit, noch ist es ja möglich, daß ich der Eltern Herz zum Besten wende; ich will es wenigstens versuchen, ich will Alles thun, was in meinen Kräften steht, um einen Schritt zu vermeiden, der ja doch mein ganzes künftiges Leben, selbst an Deiner Seite, mit einem Vorwurf belasten müßte.«



»Und wenn Alles fehlschlägt?«



»Ich bin Dein, Rudolph, Dein für alle Zeiten,« rief Paula, »Gott sei mir gnädig, aber ich kann nicht anders; was da auch kommen möge, welche Prüfung mir der Himmel auch auferlegt, ich fühle es, daß die Liebe zu Dir stärker ist als alles Andere!«



»Mein Mädchen, mein süßes Leben,« rief Handor, »jetzt bricht auf's Neue ein Strahl der Hoffnung in mein zerrissenes Herz; aber sie werden Dich zwingen wollen!«



»Der Gewalt setz' ich Gewalt entgegen,« rief Paula leidenschaftlich, »treiben sie mich zum Äußersten, so fallen die Folgen auch auf ihr Haupt zurück; Gott hätte diese Liebe zu Dir nicht in mein Herz gelegt, Rudolph, wenn sie nicht göttlich wäre, und seiner Weisung will ich folgen. Aber ich muß jetzt fort.«





»Und kann ich nie

Ein Stündchen ruhig Dir am Busen hängen

Und Brust an Brust und Seel' in Seele drängen?«



klagte Rudolph, Göthe's »Faust« citirend.



»Ich darf nicht länger bleiben,« sagte Paula, »ja, ich fürchte, daß meine Eltern schon zurück sind und nach mir gefragt haben.«



»Und wann sehe ich Dich wieder?«



Paula zögerte einen Augenblick mit der Antwort. »Wir dürfen nicht so oft zusammen kommen,« sagte sie endlich. »Du glaubst nicht, wie viel Augen uns bewachen. Aber es ist doch vielleicht nöthig, daß ich Dir morgen Nachricht gebe; so sei denn morgen Abend – morgen Abend ist kein Theater, nicht wahr?«



»Nein, mein Herz, ich habe den Tag und Abend frei.«



»Gut denn, so sei morgen Abend an der bewußten Stelle neben dem alten Wartthurm. Es ist möglich, daß ich selber Zeit finde, einen Moment dorthin zu kommen, wo nicht, findest Du einen Zettel an dem bestimmten Platz.«



»Tausend Dank, mein süßes Leben!« rief Rudolph leidenschaftlich, indem er sie umschlang und wieder und wieder küßte. Sie gab sich seinen Liebkosungen auch für wenige Secunden hin, dann aber machte sie sich leise von ihm los.



»Lebe wohl, Rudolph, lebe wohl!« rief sie ihm zu, drückte noch einen Kuß auf seine Lippen und floh dann wie ein gescheuchtes Reh den Busch entlang, um erst weiter oben den Pfad wieder zu erreichen, von wo sie nachher langsam, wie von einem Spaziergang kommend, nach dem Schloß zurückkehren konnte.



»Himmlisches Mädchen,« sagte Rudolph, der stehen geblieben war und ihr mit einem behaglichen Lächeln nachgesehen hatte, »lauter Feuer und Gluth, eine lebendige Julia! Und der Alte? Bah, er wird eine Weile wüthen und Rache schnauben, daß die Comtesse mit einem Komödianten durchgegangen, und zuletzt bleibt es immer die alte Geschichte. Was will er denn machen? Es ist die einzige Tochter, und wenn ihm der Schwiegersohn auch gerade nicht genehm sein mag, muß er doch schon gute Miene zum bösen Spiel machen – der alte adelsstolze Narr der.«

 



Und sich erst vergnügt und selbstzufrieden die Hände reibend – von seiner vorigen Verzweiflung war keine Spur mehr zu entdecken –, griff er seinen kleinen Spazierstock wieder vom Boden auf, schlenderte langsam nach dem nächsten Weg hinaus, blieb hier noch einmal s