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6.
Jeremias

Ehe sie nur das kaum zweihundert Schritt von dort gelegene neue Wohnhaus des Grafen Rottack erreichten, waren Jeremias und die kleine lebendige französische Bonne, die aber ziemlich gut Deutsch sprach, schon die besten Freunde geworden, und selbst das kleine Helenchen schien sich so wohl bei ihrem neuen Wärter zu befinden, der auch fortwährend mit ihr lachte und plauderte, daß sie nicht die mindeste Furcht mehr vor ihm hatte. Nur der kleine Günther betrachtete ihn noch immer ein wenig scheu und mißtrauisch von der Seite – er konnte augenscheinlich noch nicht recht klug aus ihm werden, und dann war Jeremias doch auch eine von allen denen, mit welchen er bis jetzt verkehrt, so verschiedene Persönlichkeit, daß sich der kleine Bursche fast unwillkürlich von ihm zurückhielt.

Jeremias hatte aber jetzt auch in der That genug mit sich selber zu thun, denn so unbefangen er sich sonst in allen Lebensverhältnissen benahm, so fühlte er sich doch, als er in diesem Augenblick die neue und sehr elegante Wohnung des Grafen Rottack betrat, in einer so vollständig ungewohnten Sphäre, daß er einige Zeit brauchte, um sich hinein zu finden.

In Brasilien hatte er allerdings verschiedene Male mit Grafen und Gräfinnen verkehrt, aber das waren auch ganz andere Verhältnisse gewesen. Titel und Namen mochten sie allerdings gehabt haben, aber der äußere Glanz fehlte ihnen dort, der im alten Vaterland unter solchen Verhältnissen, wenn auch oft auf das Künstlichste, doch stets gewahrt und beobachtet wird, und so unbefangen er anfangs die Einladung zum Diner von dem jungen Grafen angenommen hatte, dessen er sich noch recht gut erinnerte, wie er mit der Violine in Santa Clara herumlief und bei Bohlos an dem nämlichen Tische sein Bier trank, an dem er selber ab und zu einsprach – so befangen fühlte er sich jetzt plötzlich, als er die betreßten Diener sah, die herzusprangen, als Graf und Gräfin das Haus betraten, und die Ehrfurcht bemerkte, mit der das junge Paar von allen Seiten behandelt wurde. Ja, er kam in die größte Verlegenheit, als er Helenchen auf den Boden gesetzt hatte und einer der Diener zusprang und ihm den Hut abnahm, während ein anderer – was er eben an Graf Rottack gethan – auch zu ihm kam, um ihm den Oberrock auszuziehen.

»Bitte,« sagte Jeremias erschreckt, »ich habe nur den einen an und kann doch…« – er hielt plötzlich inne, denn er sah, wie sich die Bonne nur mit Gewalt das Lachen verbiß, und der Diener selber trat etwas bestürzt zurück, weil er bemerkt, daß er den Fremden in Verlegenheit gebracht.

»Kommen Sie nur herein, alter Freund,« rief Rottack, der verhindern wollte, daß er sich vor den spottlustigen Dienern eine Blöße gab, »und thun Sie, als wenn Sie hier zu Hause wären! – Ist das Essen fertig?«

»Es kann jeden Augenblick servirt werden, Herr Graf.«

»Schön, dann lassen Sie auftragen.«

Jeremias folgte der freundlichen Einladung, aber er war noch weit davon entfernt, sich behaglich zu fühlen. Erstlich hatten sie ihm seinen Hut weggenommen, und er wußte jetzt nicht, was er mit seinen Händen anfangen sollte; dann hatte er vergessen, sich draußen abzutreten, und auf dem Teppich hier, den er so schön noch auf keinem Tische gesehen, sollte er jetzt mit den staubigen Stiefeln herumlaufen.

Rottack aber, der sich etwa denken konnte, was in der Seele des kleinen Mannes vorging, und der fest entschlossen schien, ihm jede Verlegenheit zu ersparen, machte all' seinen Bedenklichkeiten ein rasches Ende, indem er ihm ohne Weiteres einen Stuhl zum Tisch rückte, auf den schon einer der aufmerksamen Diener ein Couvert für den Gast gelegt hatte, und ausrief: »So, Jeremias, nun setzen Sie sich daher, und Helene, die den Augenblick zurückkommt, soll sich zu Ihnen auf die Seite und Günther auf die andere setzen, und nun unterhalten Sie sich nur noch einen Augenblick mit den Kindern, ich bin gleich wieder bei Ihnen.«

Jeremias sah sich um – die Diener, vor denen er sich am meisten genirte, hatten ebenfalls das Zimmer verlassen, und die Bonne war damit beschäftigt, die Kinder ihrer Hüte und Mäntelchen zu entledigen, die das Kindermädchen dann in deren Stube hinübertrug – Jeremias war sich selber überlassen, in dem Fall brauchte er nur wenige Minuten, um mit dem kleinen Günther Freundschaft zu schließen. Im Handumdrehen fertigte er ihm aus der goldenen Düte, die er auf ein paar der Suppenteller ausleerte, eine Mütze, und wie Felix zurückkam, hatte er ihn auf dem Knie reiten, und der kleine Bursche lachte und schrie vor Lust und Vergnügen, als das »Pferdchen« mit ihm durchging und in immer wilderen Sätzen Hopp, Hopp machte.

Felix lachte, als er wieder in's Zimmer trat und Helenchen eben auf das andere Knie des kleinen freundlichen Mannes hinaufkletterte, um mit Theil an dem wilden Ritt zu nehmen.

Helene kam jetzt ebenfalls zurück, und die Suppe wurde gebracht; das kleine Volk mußte Ruhe geben und Alle nahmen ihre bestimmten Plätze ein.

»'s ist doch aber wirklich merkwürdig,« sagte Jeremias, »wie sich so Leute auf der Welt wiederfinden können.«

»Sie hätte ich allerdings hier nicht vermuthet,« lächelte Felix. »Nun erzählen Sie uns aber auch einmal vor allen Dingen Alles, was Sie selber betrifft, und wie Sie besonders wieder nach Deutschland zurückgekommen sind. Sie können glauben, daß wir uns dafür interessiren.«

»Na, denke doch,« schmunzelte Jeremias, der, wie er nur erst einmal die Serviette um und den Suppenteller vor sich hatte, auch alles Neue und Fremdartige vergaß, was ihn umgab. »Aber sehen Sie, Herr Graf, wie Sie damals weggingen – Jemine war das eine Zeit, wie wir den großbrodigen Herrn von Reitschen los wurden und den guten Herrn Sarno wiederkriegten – damals…« – er sah sich vorsichtig um, ob keiner von den Dienern mehr im Zimmer war – »damals lief ich noch in Hemdsärmeln herum mit dem Einspänner, dem Handkarren, Sie wissen wohl, und putzte…« – die Bonne genirte ihn doch etwas, daß er nicht recht mit der Sprache heraus mochte – »nun, that allerlei Arbeit, was vorkam, hatte mir aber doch hübsches Geld dabei verdient, denn ich sparte wie ein Hamster und gab keinen Milreis unnöthig aus. Da starb gleich sechs Monate später Bodenlos – Sie kennen ja doch Bohlossen – er hatte sich richtig in aller Stille todtgesoffen, denn äußerlich merkte man ihm nie 'was davon an, und das Wirthshaus wurde verkauft.

»Buttlich, der mit Herrn von Reitschen herübergekommen und so eine Schwindelwirthschaft errichtet hatte, war schon drei Monate vorher durchgebrannt – der arme Baron verlor durch den Lump auch ein paar hundert Milreis, beinahe ein halbes Conto1, und wenn Bohlossen sein Haus gut gehalten wurde, ließen sich Geschäfte damit machen. Herr Rohrland rieth mir auch zu…«

»Und wie geht es den guten Leuten?« fragte Helene.

»Vortrefflich,« nickte Jeremias – »Rohrland ist ein Mann bei der Spritze, immer auf dem Damme, immer fleißig, und die kleine Frau ein Mordswei –, eine prächtige Frau – und alle Jahre Kindtaufe, immer einen kleinen Jungen oder auch einmal ein Mädchen – es wimmelt nur so bei ihnen.«

»Und Sie kauften die Wirthschaft?« fragte Felix, während Helene still vor sich hin lächelte und die Bonne bis hinter die Ohren roth wurde.

»Na ob,« sagte Jeremias, wieder im alten Gleise, »das Haus ging spottbillig weg, das Inventar war ebenfalls zu bezahlen, was ich an Getränken und sonstwie brauchte, lieferte mir Herr Rohrland, und nun ging die Geschichte flott. In Santa Catharina hatte sich's ausgesprochen, daß wir einen guten Director in der Colonie hätten, der etwas auf seine Colonisten hielt, in Rio wurd's auch bekannt, und von allen Seiten kamen jetzt die Auswandererschiffe an, daß der Director und ich manchmal nicht wußten, wo uns der Kopf stand – aber Geld wie Heu. Es war ordentlich, als ob der Segen auf dem alten Hause läge, und wie ich mir noch ein neues dazu baute, hatte ich immer noch nicht Platz genug. Weil ich das baare Geld aber nicht wollte im Kasten liegen lassen – von wegen Buxen und Consorten, die mir damals keinen schlechten Schreck eingejagt –, kaufte ich Land dafür, was sie mir nicht stehlen konnten, und verdiente da wieder dran, Hand über Hand; kurz, in vier Jahren war ich ein gemachter Mann, und da erst, wie ich 'was hatte und es mit dem Besten in der Colonie aufnehmen konnte, kriegt' ich das Heimweh und beschloß, einmal wieder nach Deutschland zurückzukehren. Meine Häuser verkaufte ich um das Doppelte, was ich dafür gegeben hatte, meine Colonien verpachtete ich an arme Colonisten, die noch keinen eigenen Grund und Boden hatten, und – da bin ich…«

»Und wie haben Sie alle unsere Freunde in der alten Colonie verlassen?« fragte Felix – »was macht Sarno, und haben Sie nichts von Günther von Schwartzau mehr gesehen?«

»Herr Sarno ist noch immer der Alte,« erzählte Jeremias, emsig mit einem Gänseschenkel beschäftigt – »immer bei der Spritze, und die Geschichte geht jetzt dort wie am Schnürchen. Wer nicht in die Colonie paßt, den beißt er weg, und die Anderen befinden sich alle wohl, oder wenn sie's nicht thun, ist es ihre eigene Schuld. Einen andern Pfarrer haben sie auch, einen braven, ordentlichen Mann, der nie länger als eine halbe Stunde predigt…«

»Und von Schwartzau wissen Sie nichts?«

»Doch – im vorigen Jahr war er wieder in der Colonie und wohnte ein paar Wochen beim Herrn Director; er war lange krank gewesen und sah recht elend aus. Jetzt ging's ihm aber wieder besser, und kurz vorher, ehe ich wegging, hörte ich, daß er selber Director in San Sebastian oder Gott weiß, wie die neue Colonie heißt, geworden wäre.«

 

»Armer Günther!« seufzte Felix – »so treibt er sich noch immer in der Fremde umher und kann keine Ruhe finden…«

»Und was macht der Baron?« fragte Helene, der eine andere Frage noch am Herzen lag, die sie aber nicht wagte.

»Je, nun,« sagte Jeremias, »der Baron trägt immer noch dieselben Nankinghosen, die beim Waschen immer kürzer werden – armer Teufel – ne, lieber Freund, ich bin noch nicht fertig,« unterbrach er sich rasch und hielt mit beiden Händen seinen Teller, den ihm der aufwartende Diener, weil er ihn einen Augenblick außer Acht gelassen, gerade fortnehmen wollte.

Felix lachte und winkte, ihn in Ruhe zu lassen, und Jeremias, der seinen Gänseschenkel wieder vornahm, fuhr fort:

»Dem armen Teufel geht's eigentlich erbärmlich. Arbeiten kann er und will er nichts, und mit Vornehmthun giebt's in den Colonien nichts aus – der Buttlich betrog ihn, wie gesagt, um eine hübsche Summe – wie er's aus ihm herausgekriegt, weiß ich auch nicht. Nachher ließ er sich in ein Geschäft mit Herrn von Pultele – Hurrjeh!« unterbrach sich Jeremias plötzlich, weil er glaubte, einen Mißgriff gemacht zu haben.

»Erzählen Sie nur weiter,« lachte aber Felix – »also, Herr von Pulteleben ist auch noch in der Colonie…?«

»Jetzt nicht mehr,« sagte Jeremias, der puterroth geworden war und einen verzweifelten Blick nach Helenen hinüberwarf. »Es war eine Seele von einem Menschen, aber – aber ein bischen – ein bischen unpraktisch, und da kam er auf die unglückliche Idee, mit dem Baron eine Perlenfischerei an der Küste anzulegen.«

»Eine Perlenfischerei?«

»Ja, gewiß – und gefischt haben sie auch genug,« meinte Jeremias, »aber nicht einmal so viel Perlen gefunden, um sich eine Tuchnadel davon machen zu lassen, und da bekam es der Herr Baron denn zuerst satt – die Mittel erlaubten es nicht – und Herr von Pulteleben ging nachher nach Rio Grande, aber ich habe nichts weiter von ihm gehört.«

»Und die Gräfin Baulen,« sagte Helene ruhig, »ist sie noch in Santa Clara?«

»Ihre Frau Mutter? Gewiß!« rief Jeremias, der natürlich keine Ahnung von den dortigen Vorgängen haben konnte – »immer noch die Alte – sehr achtungswerthe Dame,« setzte er aber rasch und erschreckt hinzu – »ungeheure Betriebskraft, weiß immer etwas Neues, um zu speculiren – aber Graf Oskar ist fort…«

»Fort – wohin?« rief Helene rasch.

»Der liebe Gott weiß es,« sagte Jeremias achselzuckend – »mein Himmel, junges Blut will austoben, und Brasilien ist groß – Frau Mutter hatte eine kleine Schwierigkeit mit dem Bäckermeister Spenker und zog aus, miethete nachher ein kleines Haus gerade dem Baron gegenüber, und da war der junge Graf eines Morgens auf eine Entdeckungsreise ausgegangen, wie sie sagten, und konnte nachher selber nicht mehr entdeckt werden. Aber das Alles hat Ihnen gewiß Ihre Frau Mutter schon geschrieben – lieber Gott, in Brasilien geht das ja auch oft so, daß ein junger Mensch einen Platz satt bekommt und sich nach einem andern umsieht, der ihm besser gefällt!«

»Und was ist aus der Frau jenes Mörders, jenes Bux geworden?« fragte Felix, der das Gespräch auf ein anderes Thema zu bringen wünschte.

»Der geht's gut,« bestätigte Jeremias; »das war eine brave, rechtschaffene Frau, und wie sie sich nur erst einmal von der schlechten Behandlung erholt hatte, schaffte sie tüchtig. Ihre Kinder brachten wir rasch bei Colonisten unter, und nachher habe ich sie selber in das Hotel genommen, wo sie sich vortrefflich betragen hat. Sie ist jetzt noch dort und verdient sich hübsches Geld…«

»Und jener Bux?«

»Nun, den haben sie nach Rio gebracht und dort wahrscheinlich gehangen oder in's Loch gesteckt. Ich habe nie etwas Weiteres von ihm gehört.«

»Aber ein sonderbares Zusammentreffen ist es doch,« lächelte Helene, »daß wir uns hier gerade in Haßburg wiedersehen sollten…«

»Und noch dazu den ersten Tag, wo ich hier bin!« rief Jeremias.

»Apropos, Sie wollten mir ja erzählen, was Sie gerade nach Haßburg geführt,« sagte Felix, »denn wie Sie selber sagen, stammen Sie gar nicht aus der Gegend…«

»Hm,« meinte Jeremias und warf einen Blick über die Schulter nach dem aufwartenden Diener und dann nach der Bonne hinüber, »das ist auch eine etwas längere Geschichte.«

»Also dann beim Kaffee,« nickte der junge Graf, dem es nicht entgangen war, daß der kleine Mann noch etwas Anderes auf dem Herzen hatte – »aber vorher noch ein Glas Wein, Jeremias, wie? Machen Sie keine Umstände, Mann, der Wein ist trinkbar.«

»Famoser Stoff!« bestätigte Jeremias, der indessen mit seinen Gedanken nicht ganz bei der Sache war, denn es ging ihm im Kopf herum, daß sich die junge Gräfin eigentlich gar nicht so lebhaft nach ihrer »Mutter« erkundigt hatte, wie er wohl erwartet haben mochte, und auch über das Verschwinden ihres Bruders nicht im Mindesten aufgeregt erschien. Aber sie mußte es jedenfalls schon früher brieflich erfahren haben, und wußte vielleicht sogar, wo er stak. Daß er ihm selber noch eine nicht unbeträchtliche Summe schulde, erwähnte er nicht; er besaß, trotz seiner rauhen Hülle, zu viel Zartgefühl, und doch hatte es ihm Rottack entweder angemerkt oder es sich auch nur gedacht – und große Definitionsgabe gehörte allerdings nicht dazu.

Aber die Tafel wurde jetzt abgeräumt und dann der Kaffee gebracht. Die Bonne verließ mit den Kindern den Speisesaal, und das junge Paar war mit Jeremias allein.

»Und nun, mein alter Freund,« sagte Felix, »schießen Sie einmal los – Sie haben noch etwas auf dem Herzen.«

Jeremias war eigentlich nicht wenig froh, daß er dieses Diner glücklich überstanden hatte, denn er fühlte sich, so lange es dauerte, fortwährend in einer gewissen Aufregung, aus Furcht, irgend einen Mißgriff zu begehen. Aber es schien doch ziemlich gut abgelaufen zu sein, denn das ausgenommen, daß er von den ihm präsentirten Speisen hartnäckig die Gabel abgenommen und neben sich gelegt hatte, so daß er sich zuletzt im Besitze von sieben oder acht solcher Instrumente fand und über den Vorrath selber erschrak, war nicht das geringste Ungehörige vorgefallen. Jetzt aber wurde er plötzlich, ohne die geringste scheinbare Ursache, feuerroth und sagte, viel verlegener, als er sich nur je gezeigt: »Hm, ja, Herr Graf, ich – ich wollte eigentlich – Schwerebrett, Sie lachen mich aber aus, wenn ich's Ihnen sage – die Frau Gräfin lacht jetzt schon.«

»Gewiß nicht, Jeremias, wenn es etwas Ernstes ist,« lächelte Helene, der die Unruhe des kleinen Mannes allerdings komisch vorkam.

»Ja, ernst wär' es schon,« nickte ihr Gast leise mit dem Kopf vor sich hin, »aber – lachen werden Sie doch,« setzte er resignirt hinzu, »denn eigentlich könnte ich selber darüber lachen, wenn – wenn…« – Er stak fest und nahm sein Taschentuch heraus, um sich damit die Stirn und den Kopf abzutrocknen, denn die Stirn ging ihm fast bis hinten in die Halsbinde hinunter.

»Also erzählen Sie, Jeremias,« sagte Helene freundlich; »Sie wissen ja, daß wir es gut mit Ihnen meinen, und wenn Ihnen Felix bei irgend etwas behülflich sein kann, so bin ich fest überzeugt, daß es ihm die größte Freude machen wird.«

»Ich auch, Frau Gräfin, ich auch,« bestätigte Jeremias treuherzig und leerte dabei das Glas, das ihm der junge Graf noch einmal vollgeschenkt hatte, wie um sich Muth zu machen, auf Einen Zug. »Und Sie sollen's auch erfahren,« setzte er dann hinzu – »Sie sollen's erfahren, denn ich weiß, Sie meinen es gut mit mir. Aber erst erlauben Sie mir, daß ich eine Tasse Kaffee trinke – der starke Wein ist mir in den Kopf gestiegen, und ich möchte kein dumm Zeug schwatzen – es ist so schon, wie's ist – so, danke Ihnen, und nun sollen Sie meine Lebensgeschichte hören, aber ganz kurz, ich bin im Augenblick damit fertig, denn es ist Alles ungeheuer geschwind gegangen und eigentlich gar nicht viel zu erzählen – wenn nur eben die Frau nicht wäre.«

»Die Frau?«

Jeremias seufzte tief auf, trank seinen Kaffee, den ihm Helene selber eingeschenkt, und begann dann: »Ich war ein leichtsinniger Strick in meiner Jugend, lief meinem Alten fort und ging zum Theater.«

»Zum Theater?« lachte Felix erstaunt.

»Das heißt, ich wirkte im Chor,« fuhr Jeremias fort, »und half mit beim Ballet, und damals war ich auch noch schlank und geschmeidig und hatte die Beine dazu. Ich verdiente auch, was ich brauchte, als einzelner Mensch nämlich, aber da kam – und jetzt werden Sie lachen, Frau Gräfin – da kam die Liebe und ich heirathete!«

»Sie sind verheirathet, Jeremias?« riefen beide Gatten zugleich und erstaunt aus.

»Ja, wenn ich's nur selber wüßte,« sagte Jeremias mit einem höchst komischen Ausdruck von Verzweiflung in den Zügen – »das ist ja eben das Unglück, daß ich nicht weiß, ob ich's bin oder ob ich's war, und deshalb bin ich ja wieder nach Deutschland zurückgekommen!«

»So wissen Sie nicht, ob Ihre Frau noch lebt?«

»Das ist die Geschichte, und auf den Kopf haben Sie's getroffen, Frau Gräfin – aber hören Sie. Meine Frau war brav und gut und ebenfalls beim Theater. Sie spielte kleine Rollen, und wir Beide verdienten etwa so viel, wie wir brauchten. Da wurde sie krank und entlassen, die Familie vermehrte sich ebenfalls, und…« – Jeremias wurde hier augenscheinlich so verlegen, daß er eine ganze Weile kein Wort weiter vorbrachte. Er trank an seinem Kaffee, er zupfte an seinem Rock und rückte auf seinem Stuhl herum. Endlich aber, da er doch wohl merkte, daß es nicht so fortging, nahm er sich mit Gewalt zusammen und platzte heraus – »und ich wurde liederlich – Sie dürfen mir's glauben, Frau Gräfin, ein ganz liederlicher Strick – ich trank und spielte und setzte meiner Schlechtigkeit endlich, als sich meine brave Frau von mir scheiden ließ, die Krone auf – und lief davon. So, Gott sei Dank, jetzt ist das Schlimmste heraus und Sie wissen's nun einmal – das Andere ist Kleinigkeit,« fuhr er, tief Athem holend, fort. »Ich trieb mich erst eine Weile in Deutschland herum, Jahre lang, bis ich das Brod nicht mehr hatte; dann schiffte ich nach Amerika über und versuchte es da, aber es ging auch nicht. Das alte Leben steckte mir noch in den Gliedern, und anstatt Geld für Frau und Kind nach Haus zu senden, verthat ich, was ich verdiente, bis zuletzt die Reue kam. Hurrjeh, hab' ich mir damals Grobheiten gemacht und mich selber vorgekriegt – aber es half! Ich nahm mir vor, ein ordentlicher Kerl zu werden, und um aus all' der Gesellschaft herauszukommen, in der ich mich in Amerika herumgetrieben, ging ich zu Schiff nach Brasilien.

»Dort fing ich ein anderes Leben an. Ich war nie gewohnt gewesen, viel zu arbeiten – in Brasilien streifte ich die Ärmel in die Höh' und ging scharf dran. Sie wissen's selber, Sie haben mich dort schaffen sehen, und nachher ging's. Die ganzen langen Jahre hatte ich aber nicht an zu Hause gedacht oder, wenn ich dran dachte, mit Gewalt nicht dran denken wollen. Was konnt's auch helfen, was wollte ich zu Hause anfangen, so lange ich nichts hatte! Wie ich aber anfing, zu Geld zu kommen, und wie es sich mehrte und mehrte und ich anfing, reich zu werden, da kam die Reue über das Vergangene noch viel stärker, wie nach meinem liederlichen Leben. Da kam das Heimweh, da ging mir der Gedanke im Kopf herum, daß meine arme Frau vielleicht doch nicht aus Kummer und Gram gestorben wäre und hier noch in Sorge und Noth lebe. Jetzt schrieb ich nach Deutschland, um ihre Adresse zu erfahren, aber umsonst; kein Mensch konnte mir Nachricht geben, und auf die meisten Briefe bekam ich nicht einmal eine Antwort. Am liebsten hätte ich mich da auch gleich selber aufgepackt und wäre herübergefahren, aber die Zeiten waren zu günstig, ich verdiente zu rasch und wollte noch mehr, und bekam mehr. Da litt's mich denn endlich nicht länger in dem Brumsilien drüben, und mit dem Dampfer bin ich herübergekommen, um nur recht geschwind wieder da zu sein.«

»Und haben Sie Ihre Frau gefunden?« rief Helene rasch, die mit inniger Theilnahme der kleinen, einfachen Erzählung gefolgt war.

»Das ist ja gerade der Teufel – bitte tausendmal um Entschuldigung!« sagte Jeremias, sich wieder den Schweiß abtrocknend. »Seit sechs Wochen rutsche ich jetzt im Lande herum und kann nichts Genaues erfahren. Zuerst war ich in Regensburg, wo wir damals wohnten – und glücklicher Weise kannte mich dort Niemand mehr – und da hieß es, daß sie schon vor langen Jahren nach Erlangen gezogen und wieder zum Theater gegangen wäre. Ich nach Erlangen. Dort erfuhr ich gar nichts, als daß sich die Theater-Gesellschaft von jener Zeit nach Preußen und zwar an den Rhein gewandt habe. Ich an den Rhein. In Mainz traf ich zufällig einen Menschen, der mir erzählte, dort wohne noch ein alter Schauspieler und gäbe jetzt Clavierstunden – zu dem ging ich – ich kannte ihn wohl, aber er mich nicht mehr, von wegen der Glatze, und der sagte mir jetzt, daß meine Frau wieder ihren Mädchennamen angenommen hätte und nach Frankfurt gegangen wäre. Ich nach Frankfurt, und keine Spur mehr gefunden, Wochen lang, bis ich vorgestern in Köln wieder einen alten Schauspieler traf, der behauptet, er habe den Namen in einer Theaterzeitung gelesen. Jetzt machten wir uns über die alten Zeitungen her – da ich ein paar Flaschen Wein kommen ließ, arbeitete der Alte mit wie ein Pferd –, und nach sechs oder acht Stunden Suchens faßten wir den Artikel, der mich wieder Hals über Kopf hierher nach Haßburg jagte.«

 

»Und sie ist hier?« rief Felix.

»Ja, das weiß ich noch nicht,« seufzte Jeremias, »denn wie Sie mich trafen, war ich ja auch erst eben angekommen und wollte mich gerade umsehen, ob ich nicht vielleicht Einem vom Theater unterwegs begegnete, denn die kennt man gleich, und wenn sie noch so einfach angezogen gehen. Ich weiß nicht, woran es liegt, aber einen Theatermenschen will ich unter Tausenden herausfinden.«

»Aber Sie wissen also den Namen?« sagte Felix – »dann muß es ja doch die größte Kleinigkeit sein, sie hier aufzufinden.«

»Allerdings,« erwiderte Jeremias kleinlaut – »ihr Theatername war damals Bassini, und ein Fräulein Bassini soll auch hier an der Bühne engagirt sein, der Theaterzeitung wenigstens nach, aber…«

»Aber?«

»Aber,« stöhnte Jeremias, »jetzt, da ich meinem Ziel so nahe bin, habe ich eine Heidenangst bekommen, allein zu ihr zu gehen – alle meine Sünden fallen mir bei, und – und ich wollte wahrhaftig manchmal, ich – wäre wieder in Brasilien!«

»Und sind Sie nicht hergekommen, um gut zu machen, was Sie früher verschuldet haben?« sagte Helene herzlich.

»Ja, das wohl – aber…«

»Ich gehe mit Ihnen, Jeremias,« rief Graf Felix lachend, »ich helfe Ihnen Ihre Frau suchen!«

»Ach, Herr Graf,« sagte der kleine Mann verlegen, »wenn Sie – wenn Sie das thun wollten, da wäre mir ein wahrer Berg vom Herzen herunter!«

»Ich gehe mit Ihnen,« bestätigte Graf Rottack aber noch einmal, denn theils nahm er wirklich Interesse an dem kleinen verzweifelten Manne, da ihm dieser wieder alle die alten transatlantischen Erinnerungen, als ein Stück selber von daher, so lebendig in der Seele wach gerufen, und dann machte es ihm auch Spaß, von der Entwickelung dieses kleinen Dramas Zeuge zu sein.

»Und wann wollen Sie gehen?« fragte Helene.

»Ja, heute ist es zu spät,« rief Rottack, »aber den heutigen Abend verwenden Sie dazu, die Wohnung Ihrer geschiedenen Frau aufzufinden, und dann holen Sie mich morgen Mittag um zwei Uhr ab! Ist Ihnen das recht? Ich kann nicht früher.«

»So wollen wir's machen,« rief Jeremias, ihm treuherzig die breite Hand entgegenstreckend – »jetzt hab' ich auch wieder Courage, und morgen wissen wir dann gleich, woran wir sind!«

»Wollen Sie schon fort?«

»Wenn Sie mir erlauben, Frau Gräfin, ja, denn der Boden fängt mir an, unter den Füßen zu brennen, bis ich Alles heraus habe. Aber morgen Mittag punkt zwei Uhr bin ich wieder hier.«

»Rauchen Sie, Jeremias?« fragte Felix.

»Wo werd' ich nicht!« meinte der kleine Mann, indem er eine der ihm gebotenen Havannas mit einem Kratzfuß annahm – »wissen Sie denn wohl noch, wie wir einmal in der…« – Er wurde auf einmal feuerroth im Gesicht, denn er fühlte, daß er wieder eine Dummheit begangen – »reden wir nicht mehr davon,« brach er auch kurz ab, indem er sich die Cigarre an dem Licht, das ihm einer der eben eintretenden Diener brachte, anzündete und diesem dann sehr freundlich dafür dankte – »und nun leben Sie wohl und nehmen Sie's nicht übel, daß ich Sie so lange gelangweilt habe!«

»Und haben Sie guten Muth, Jeremias – Felix wird Alles in Ordnung bringen,« lächelte Helene freundlich.

Jeremias nickte ihr dankend zu, drehte sich dann um und stieg wieder in das wilde Leben und Treiben hinaus, das noch immer in der Straße draußen auf und ab wogte.

1Ein Conto de Reïs etwa 500 Dollars.