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»Ja, aber,« wollte Fräulein Bassini sagen, da sie sich nicht mit dem Gedanken befreunden konnte, noch vor der Hand völlig im Dunkeln gelassen zu werden. Rottack brannte aber selber der Boden hier unter den Füßen, und mit einer sehr artigen Verbeugung, welche die Dame wieder mit einem tiefen Knix erwiderte, schritt er zur Thür, und Jeremias fuhr wie der Blitz hinter ihm her. Beide waren auch gleich sehr dabei interessirt, so rasch sie konnten wieder in's Freie zu kommen, Jeremias schien wirklich die ganze lange Zeit da oben den Athem angehalten zu haben, so aus voller Brust schöpfte er Luft, als er den blauen Himmel wieder über sich sah.

9.
Hinter den Coulissen

In der nämlichen Zeit, in welcher an diesem Morgen Graf Rottack mit seiner jungen Frau zu dem Besuch nach Monford hinausfuhr, war im Theater Probe von den »Räubern«.

Überhaupt wurde das Schauspiel gerade in dieser Zeit sehr beschäftigt, denn in der nächsten Woche stand auch noch eine Festvorstellung des »Hamlet« bevor. Man erwartete nämlich in den nächsten Tagen den Erbprinzen zum Besuch, und der Director hatte angefragt, was Seine Königliche Hoheit im Theater zu sehen wünsche, worauf der »Hamlet« bezeichnet wurde. Am nächsten Tag sollte dann noch ein großer Ball arrangirt, kurz, Alles gethan werden, um dem jungen und hohen Herrn den Aufenthalt in der Stadt so angenehm als möglich zu machen.

»Hamlet« mußte aber neu einstudirt werden, und die Aufführung der ebenfalls lange nicht gegebenen »Räuber« kam da etwas in die Quere; aber es half eben nichts. Das Publikum wollte solche Stücke sehen, und die Schauspieler mußten sich fügen.

Auf dem Theater, das jetzt natürlich nicht erleuchtet sein konnte, herrschte ein düsteres Halbdunkel. Das Licht fiel dürftig durch die geöffneten Seitenfenster herein, und nur ein einzelner Sonnenstrahl stahl sich an einer Ecke vorüber und beschien eine der Coulissen, einen bemalten Leinwandbaum.

Nur vor dem Souffleurkasten brannten die beiden Lampen, und rechts auf der Bühne, wo ein Tisch und ein paar Stühle standen, saßen der Director in einem weiten Mantel und der etwas kränkliche Regisseur in großen Filzschuhen und einem Pelze, trotz der Wärme draußen, denn die Luft war hier drinnen kellerartig und es zog fortwährend.

Auf der Bühne gingen sehr anständig gekleidete Herren und Leute in Hemdsärmeln friedlich untereinander herum, und zwar beide Theile ihren Geschäften nach – die Einen die Darsteller, die Anderen Maschinisten, Coulissenschieber und Lampenputzer, während hinten auf der Bühne eine Dame in Hut und Schleier, ein Manuscript in der Hand, noch memorirend zwischen ihnen auf und ab wanderte und nur manchmal das Manuscript – ihre Rolle – gesticulirend ausstreckte und leise tragische Worte dazu murmelte.

Es war Amalia, Fräulein Rottenhöfer, erste tragische Liebhaberin im Theater zu Haßburg.

»Dritte Scene, meine Herren!« rief der Regisseur und klingelte.

Die Schauspieler traten zusammen; die Scenerie war gestellt: die böhmischen Wälder. Es begann die Scene im zweiten Acte, wo die Räuber, nachdem sie Roller befreit, wieder zusammenkommen, und ging so ziemlich.

Pfeffer gab den Spiegelberg; überhaupt hatten dieses Mal alle Kräfte am Theater aufgeboten werden müssen, um die zahlreichen Rollen so tüchtig als möglich zu besetzen, und die Leute gaben sich die größte Mühe. Nur wo Schwarz auftritt, mußte das Einspringen noch einmal gemacht werden.

Jetzt wurde Roller angemeldet, aber der Hauptmann, Karl Moor, war noch nicht da; das Pferd, welches gewissenhaft in Haßburg beibehalten wurde, stand hinten in der letzten Coulisse und schien selber ungeduldig zu werden.

Ratzmann: »Roller, Schweizer, Blitz, Donner, Hagel und Wetter!«

»Wo ist denn Karl Moor?« rief der Regisseur, von seinem Stuhl aufspringend.

»Eben war er noch im Conversations-Zimmer, Herr Regisseur,« sagte der Inspector, dem das Pferd vorher auf den Fuß getreten hatte und der jetzt mit gotteslästerlichen Verwünschungen hinter den Coulissen herumhinkte.

»Aber warum ruft ihn denn Niemand? – Herr Handor, nehmen Sie mir das nicht übel, bei einem so classischen Stück…«

»Bitte um Verzeihung!« sagte Handor, der mit finster zusammengezogenen Brauen aus der Coulisse kam und über die Bühne zu dem Pferd schritt. »Bitte, meine Herren, noch einmal das Stichwort!«

Ratzmann wieder: »Roller, Schweizer, Blitz, Donner, Hagel und Wetter!«

Handor hatte sich in den Sattel geschwungen und spornte sein Roß über die Bühne, das mit klappernden Hufschlägen, genau so, als ob es auf Eis ginge, vorsichtig weiter schritt.

Räuber Moor: »Freiheit, Freiheit…!« – »Aber so lassen Sie doch das Pferd los; ich werde doch nicht sollen auf die Bühne geführt werden!«

Die Zwischenrede galt einem der Maschinisten, der in seinem Diensteifer mit hinausgegangen war und jetzt zurücksprang.

»Noch einmal, meine Herren, wenn ich bitten darf,« rief der Regisseur; »das Pferd muß sich gewöhnen, allein heraus zu kommen.«

Räuber Moor lenkte mit einem halbverbissenen Fluch den alten, geduldigen und etwas kreuzlahmen Schimmel wieder um, und Ratzmann mußte zum dritten Mal das Stichwort geben.

Jetzt ging es; der Schimmel stakte, trotz allen Anspornens, sehr vorsichtig heraus, und mit den Worten: »Du bist im Trocknen, Roller; führ' meinen Rappen ab, Schweizer, und wasche ihn mit Wein!« sprang Karl Moor aus dem Sattel.

»Herr Handor,« rief der Regisseur, wieder aufstehend, »ich habe Sie früher darauf aufmerksam gemacht, daß Sie einen Schimmel reiten.«

»Der Rappe steht in der Rolle,« sagte Handor ärgerlich.

»Ja, allerdings, aber wir haben nun einmal keinen Rappen, und ich kann das Pferd doch nicht, nur des einen unwesentlichen Wortes wegen, schwarz anstreichen lassen.«

»Gut, so »führ' meinen Schimmel ab, Schweizer, und wasche ihn mit Wein«.«

»Hat sich auch mordmäßig angestrengt,« flüsterte der eine Lampenputzer, als Schweizer mit einiger Schwierigkeit das Thier zum Weitergehen bewog.

Die nächste Scene ging jetzt so ziemlich; Karl Moor schien aber in einer gereizten Stimmung und nahm, während die Räuber ihre Heldenthaten erzählten, gar keine Notiz von ihnen. Als aber Schufterle (Horatius Rebe) an zu sprechen fing, stampfte er ein paar Mal ungeduldig mit dem Fuß und brummte dann seine Zwischenrede so leise in den Bart, daß Schufterle kaum das Stichwort verstehen konnte.

»Etwas lauter, Herr Handor, wenn ich bitten darf,« sagte der Regisseur, indem er sein Buch gegen das auf dem Tisch stehende Licht hielt.

»Dann, bitte, sagen Sie auch Herrn Rebe, daß er seine Rolle mit einigem Verstand spielt,« bemerkte Handor; »das Publikum muß ja lachen!«

»Ich habe nichts Auffälliges bemerkt,« erwiderte der Regisseur; »bitte, Herr Rebe, sagen Sie Ihre Worte noch einmal.«

Rebe that so und kam zu dem Schlußsatze: »Armes Thierchen, sagt' ich, Du verfrierst ja hier, und warf's in die Flammen.«

»Ganz gut,« nickte der Regisseur.

»Es ist ja nicht zum Ansehen,« rief Handor gereizt; »bei den Worten: »und warf's in die Flammen« stehen Sie ja wie ein Stock!«

»Bitte um Entschuldigung, Herr Handor,« sagte Rebe ruhig, »erstlich markiren Sie gar nicht, und man weiß nicht, ob Sie mit uns oder mit dem Souffleur reden…«

»Herr, was unterstehen Sie sich!«

»Von Unterstehen kann hier gar keine Rede…«

»Meine Herren, bitte um keinen Zank auf der Probe; was wünschen Sie, Herr Handor, das Herr Rebe thun soll?«

»Sich regen, den Arm hinauswerfen, wenn er die Worte sagt: »und warf's in die Flammen«. Er muß seinem Mitspieler eine Andeutung geben.«

»Ich glaubte, Sie brauchten nur das Stichwort,« sagte Rebe ruhig; »zum Telegraphiren eignet sich die Rolle nicht.«

»Herr,« rief Handor gereizt, »für einen Menschen, der kaum einen Stuhl hinaustragen kann, ist diese Antwort einem Künstler gegenüber unverschämt!«

»Herr Handor…«

»Herr Handor,« rief auch der Regisseur, von seinem Stuhl aufspringend, »entweihen Sie die Kunst nicht durch solche Reden; Sie haben sich überhaupt gegen das Bühnenreglement vergangen, und ich muß Sie in Strafe nehmen!«

»Nennen Sie denn das eine Probe,« rief Handor heftig, »wenn ich nicht einmal Statisten zurechtweisen darf, wie sie sich zu benehmen haben?«

»Herr Handor,« rief aber jetzt auch Rebe gereizt, »ich werde Ihnen nach der Probe sagen, was ich von Ihnen denke – hier füge ich mich den Gesetzen!«

»Meine Herren,« bat der Regisseur, »Sie gehen mir zu sehr in den Charakter Ihrer Rollen ein, und es ist nur ein Glück, daß Ihnen der Requisiteur noch nicht die Dolche und Pistolen geliefert hat. Bitte, noch einmal das Stichwort – Herr Rebe, Ihres mein' ich – »und warf's in die Flammen«.«

Rebe gehorchte ziemlich mürrisch dem Befehle und Handor ärgerte ihn noch mehr dadurch, daß er die Worte: »Fort, Ungeheuer, laß dich nimmer unter meiner Bande sehen!« mit ganz besonderer Betonung sprach. Es war aber für den Augenblick nichts dagegen zu machen und er mußte abgehen, während Karl Moor seinen späteren Monolog mürrisch und in den Bart hinein sprach.

Schufterle kam von da an nur noch ein einziges Mal vor und hätte weggehen können; aber er blieb, um das Ende der Probe abzuwarten, wo aber noch einmal ein Streit vorfiel, und zwar mit der ersten tragischen Liebhaberin selber.

In der Scene zwischen Karl Moor und Amalia, wo Handor sehr zerstreut spielte – wie er denn überhaupt nach des sehr gewissenhaften Regisseurs Ausspruch heute gar nicht bei der Sache war –, hatte er bei den Worten: »Wie, mein Fräulein, wenn Ihr Geliebter Ihnen für jeden Kuß einen Mord aufzählen könnte?« den Arm von Fräulein Rottenhöfer so fest und plötzlich gefaßt, daß eine Schnur von imitirten Perlen, die sie am Handgelenk trug, zerriß und ein paar der zerdrückten Perlen ihr die Haut ritzten.

Die Dame wurde heftig und behauptete, daß er sie in der Scene gar nicht anfassen dürfe, und er erwiderte ihr ziemlich kurz, ob sie glaube, daß er den Charakter seiner Rolle nicht verstehe; übrigens wolle er ihr die Perlen bezahlen.

 

Es gab dann noch einen Auftritt, wo sich der Director selber in's Mittel legen mußte, denn Fräulein Rottenhöfer erklärte, nicht mit einem so rohen, ungebildeten Menschen spielen zu wollen.

Handor murmelte ein Wort zwischen den Zähnen durch, das wie »Gans« klang und keinesfalls in seiner Rolle stand, wonach die Dame denn nichts Besseres thun konnte, als in Ohnmacht zu fallen.

Daß Handor durch dies Alles nicht in die beste Laune gerieth, läßt sich denken, und die wurde nicht erhöht, als die Probe, welche heute fast bis zwei Uhr gedauert hatte, endlich vorüber war und er vor dem Theater auf Rebe traf, der ruhig zu ihm hinging und ihn anredete:

»Herr Handor, auf ein Wort.«

»Was wollen Sie?« fragte der erste Liebhaber kurz.

»Nichts weiter, als Genugthuung für Ihre Beleidigung heute.«

»Genugthuung?«

»Sie verstehen doch, was ich damit meine.«

»Sie sind ein Narr, Rebe!« sagte Handor und wollte sich von ihm abdrehen. So wohlfeilen Kaufes kam er aber nicht davon.

»Dann erkläre ich Sie für einen feigen Lump, Herr Handor!« sagte der junge Mann, der kreidebleich vor innerer Aufregung geworden war und vor Wuth zitterte.

Handor biß die Zähne zusammen.

»Gut, Sie sollen Ihre Genugthuung, wie Sie's nennen, haben, Sie verdienen eine Züchtigung, aber nicht jetzt. Sie wissen, was wir in nächster Woche vorhaben; die Vorstellung des »Hamlet« dürfen wir nicht stören, wenn Sie auch vielleicht entbehrt werden könnten. Nach dem »Hamlet« stehe ich Ihnen zu Diensten.«

»Gut denn, also nach der Vorstellung oder am nächsten Morgen.«

Handor nickte nur, drehte ihm den Rücken zu und ging die Straße hinunter.

Gerade am Theater vorüber war Pfeffer gekommen, und wenn auch noch nicht nahe genug, um die Worte zu verstehen, hatte ihm doch der Sinn nicht gut entgehen können.

»Das ist recht, Herr Horatius Cocles,« sagte er, während er vor ihm stehen blieb und ihn starr ansah, »das wäre allerdings die leichteste Manier, Jemandes Rollen zu bekommen, wenn man ihn einfach todtschießt. Sind Sie denn ganz des Teufels, Mensch, und wollen Sie sich mit Gewalt Ihre Carrière verderben?«

»Herr Pfeffer!«

»Ach was, Pfeffer hin, Pfeffer her, es pfeffert sich was! Wo wollen Sie denn hin, wenn man Ihnen hier den Contract kündigt?«

»Meine Ehre gilt mir höher als mein Leben!« rief der junge Mann stolz.

»Puh, so viel dafür!« rief der alte Mann verächtlich; »wenn Ihnen so ein Lump Ihre Ehre nehmen kann, so wär's nicht der Mühe werth, sie aufzuheben! Und all' das andere Unheil, welches Sie nachher anrichten – heh?«

»Andere Unheil?« sagte Rebe traurig. »Haben Sie mir nicht selber Ihr Haus verboten, Herr Pfeffer, und glauben Sie, daß außerdem auch wohl ein einziges Auge naß würde in ganz Haßburg, wenn ich – von hier fortginge oder stürbe?«

»Puh!« sagte Pfeffer wieder, sah eine Weile vor sich nieder, schob dann beide Hände in seine Taschen und schritt der eigenen Wohnung zu.

Fürchtegott Pfeffer stieg auch direct hinauf in sein eigenes Zimmer und lief dort, ohne den Hut abzunehmen, die Hände auf den Rücken gelegt und aus Leibeskräften vor sich hin pfeifend, in dem kleinen Gemache mit einer wahren Vehemenz auf und ab. Sein Spaziergang war dabei ein keineswegs unbehinderter, denn überall lag bald ein Haufen Manuscripte, bald Bücher und Zeitungen, die ihm kein Mensch anrühren durfte, im Wege. Unverdrossen stieg er aber über das Alles weg, herüber und hinüber, und war so mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, daß er gar nichts weiter hörte noch sah.

»Was mag nur der Onkel heute haben?« sagte Jettchen, die mit eisernem Fleiß an ihrer Arbeit saß. Zu jenem, zu Ehren des Erbprinzen bestimmten Balle hatte sie nämlich eine solche Masse von Aufträgen bekommen und Bestellungen auf Blumen waren so von allen Seiten eingelaufen, daß das arme Kind schon die ganze Nacht durcharbeiten mußte, um nur Alle zu befriedigen und ja keine Kunden zu verlieren. Du lieber Gott, im Sommer, wo der Schöpfer ja da draußen seine herrlichen, frischen und duftenden Blumen wachsen ließ, war die Arbeit überdies nur sehr spärlich und der Verdienst so klein – da durfte man sich schon eine so glückliche Gelegenheit nicht entgehen lassen!

Die Mutter lag wieder auf dem Sopha; sie befand sich etwas besser heute, war aber noch immer sehr schwach und angegriffen.

»Ich weiß es nicht,« sagte sie leise; »wahrscheinlich wieder ein Ärger auf der Probe.«

»Wenn er so pfeift, ist er immer sehr böser Laune,« seufzte Jettchen; »aber jetzt kommt er ja gar nicht von der Probe; er war doch vorhin schon zum Essen da, und hat in den letzten Acten nichts zu thun.«

»Laß ihn nur, mein Kind,« lächelte die Frau wehmüthig; »bei solchen Gelegenheiten pfeift er sich gewöhnlich ordentlich aus, und nachher ist er wieder guter Laune; nur stören darf man ihn nicht darin.«

»Es ist doch auch wirklich ein leidiges Leben beim Theater,« sagte das arme Mädchen leise; »immer nur Ärger und Streit, als ob die Leute gar nicht friedlich neben einander leben könnten, und Abends, wenn dann die Lichter angezündet sind, merkt man gar nichts davon und Alles schwelgt in Glanz und Freude.«

»Es ist Alles falsch, mein Herz,« nickte die Mutter leise vor sich hin, »Alles; aber nicht allein auf dem Theater, Kind, wo sie sich draußen aus der Bühne vor dem Publikum in den Armen liegen und sich hinter den Coulissen nachher alles gebrannte Herzeleid anthun – im wirklichen Leben machen sie's auch nicht viel besser. Vor der Welt, die da das Publikum ist, ja, da glänzt und schimmert Alles, und hinter den Coulissen – das heißt im eigenen Hause, im eigenen Familienkreise, worin erst recht Liebe und Freundschaft, Friede und Eintracht herrschen sollten – da säet der böse Feind sein Unkraut aus, und Jammer und Elend sind die Folgen.«

»Aber bei uns doch nicht, Mama,« sagte herzlich das junge Mädchen.

»Nein, Kind, bei uns nicht,« seufzte die Frau, deren Erinnerungen weit zurückgeschweift waren. »Wir, mein Herz, erscheinen aber auch nicht mehr draußen vor dem Publikum, vor der Welt; wir haben uns hier unsere kleine Welt gegründet und – Erfahrung genug im Leben gesammelt, um uns die nicht selber muthwillig zu zerstören. Gebe nur Gott, daß uns die Welt da draußen eben so wenig beachtet, wie wir sie!«

Henriette schwieg und wandte langsam den Kopf zur Seite, daß die Mutter, wenn sie zufällig einmal herübersah, nicht die verrätherische Thräne bemerken sollte, die ihr im Auge blitzte; sie wäre ja sonst noch trauriger geworden.

»Na, Guste, wie geht's?« sagte plötzlich Pfeffer, der den Kopf in die Thür steckte. »Ein bischen besser?«

»Ich danke Dir, Fürchtegott; komm doch herein.«

»Ich rauche.«

»Die Fenster stehen ja auf, da thut mir der Rauch nicht weh.«

»Hm,« sagte Pfeffer, der jetzt in's Zimmer trat, die Thür hinter sich zuzog und dann zum Sopha ging. »Du siehst immer noch höllisch angegriffen aus – und der Heidenlärm da draußen! Wenn ich nur dem einen Kerl mit seiner Mordgeschichte den Hals umdrehen könnte, nachher wär' ich zufrieden.«

»Ja, Onkel,« lächelte Henriette, »Und dann würde die Polizei kommen und Dich einsperren und köpfen lassen, und nachher malte dann ein Anderer Deine Geschichte, und die würde dann auch abgesungen, von dem furchtbaren Halsabdreher Fürchtegott Pfeffer.«

»Was die Mamsell nicht weiß!« sagte der Onkel, indem es ihm aber doch wie ein Lächeln über das Antlitz zuckte; »hol' mich Dieser und Jener, Thierquälerei wird bestraft, aber Menschenquäler dürfen überall frei umherlaufen und haben sogar noch die Unverschämtheit, Geld dafür einzu– aber alle Teufel,« unterbrach er sich überrascht, als er, während er sprach, zu Jettchen's Tisch getreten war und dort ihre Arbeit erblickte, »den Kranz hast Du ja erst gestern Abend angefangen, als ich zu Bette ging, Mädel, was zum Henker, Du hast doch nicht die ganze Nacht daran gesessen?«

»Lieber Onkel,« sagte Henriette bittend, »sei nicht böse, aber – die Zeit drängte so – bis zu dem Balle, der in der nächsten Woche sein soll, ist noch so viel bestellt…«

»Und wie Du aussiehst, bleich und angegriffen; das geht nicht, Schatz, das geht wahrhaftig nicht, das darf ich nicht leiden!«

»Ich habe sie auch gebeten, zu Bett zu gehen,« sagte die Mutter, »aber der Trotzkopf wollte nicht.«

»Wenn der Ball erst vorüber ist, schlafe ich dafür eine ganze Woche,« lächelte Henriette; »denke nur, Onkel, was für hübsches Geld ich dabei verdiene.«

Pfeffer antwortete nichts. Er stand am Fenster, blies Ringe hinaus und klopfte dabei mit der Fußspitze den Boden, als die Thür plötzlich aufgerissen wurde, Fräulein Bassini den Kopf in's Zimmer steckte und hereinrief: »War er schon hier?«

»Wer?« rief Pfeffer, sich scharf auf dem Absatz herumdrehend. »Was, zum Teufel, kommst Du denn so in's Zimmer gestürmt – weißt Du denn nicht, daß Deine Schwester krank ist? Wer soll hier gewesen sein?«

»Nun, der Graf,« sagte die Dame, die Thür hinter sich zuziehend.

»Der Graf – bei Dir rappelt's wohl? Was für ein Graf?«

»Also, so wißt Ihr noch gar nichts?«

»Na, jetzt hör' einmal mit Deinem Schnack auf,« brummte Pfeffer; »thu Deine Gartenanlage vom Kopf herunter und setze Dich auf Deinen – hätte bald 'was gesagt. Steckt in dem Frauenzimmer eine Unruhe – Apropos, hast Du mir meine Dose wieder mitgebracht?«

»Nein, die hab' ich heilig vergessen – aber Fürchtegott, Auguste, Jettchen, wißt Ihr denn, wer bei mir war?«

»Ach schnack' keinen Unsinn; wie können wir wissen, wer bei Dir gewesen ist,« rief Pfeffer – »vielleicht der Friseur mit einer neuen Perrücke?«

»Grobian! Ein Graf war bei mir, ein wirklicher, lebendiger Graf mit Orden – nein, Orden hat er nicht gehabt, das ist wahr; merkwürdig eigentlich, daß ein Graf blos so, ohne Orden herumgehen kann wie andere Menschen.«

»Ob das Frauenzimmer nicht einen Sparren hat wie ein Hebebaum,« knurrte ihr Bruder – »und was wollte er?«

»Das räthst Du nicht, und wenn ich Dir ein Jahr Zeit ließe.«

»Er wollte Dich wahrscheinlich bitten, auf der Bühne nicht so zu schreien, weil er eine Prosceniums-Loge hat.«

»Du bist heute unausstehlich.«

»Aber so sag' uns doch nur, was er wollte, Tante, rathen können wir's ja doch im Leben nicht,« bat Henriette.

»Das Kind ist viel vernünftiger als Du,« erwiderte Fräulein Bassini; »nein, Schatz, rathen könnt Ihr's allerdings nicht, aber er kam, um sich nach Augusten zu erkundigen.«

»Nach mir?« rief die Frau.

»Und zu Dir?« sagte Pfeffer.

»Ja, zu mir, Überklug, weil er mich für meine Schwester hielt.«

»Mit der Perrücke?«

»Herr Gott, der Mensch bringt mich noch zur Verzweiflung!«

»Aber so laß sie doch nur einmal erzählen, Fürchtegott.«

»Na, hindere ich sie etwa daran? Aber bringt sie denn etwas Anderes heraus wie Unsinn? Wenn es der kein Souffleur einbläst, wird sie nie fertig!«

»Du hast einmal wieder Deinen liebenswürdigen Tag, das muß wahr sein; aber ich will mich heute nicht ärgern.«

»Was wollte denn der Graf von mir?« sagte die Frau, ungläubig dazu mit dem Kopf schüttelnd.

»Ja, das ist ja eben das Wunderbare,« rief Fräulein Bassini, ganz entzückt, die Trägerin einer solchen Neuigkeit zu sein; »im Auftrag seines Freundes kam er, wie er sagte. Und weißt Du, wer der Freund war? Herr Stelzhammer.«

»Oh, Du mein Gott!« sagte die kranke Frau und wurde todtenbleich.

»Sein Freund?« rief Pfeffer ärgerlich; »das hab' ich mir etwa denken können, und das wird ein sauberer Graf gewesen sein, der Dich besucht hat; vielleicht ein Photo–graf oder ein Tele–graf – ein Freund von dem Lump – na, nun bitt' ich aber zu grüßen – Herr Jesus, was das für ein verrücktes Frauenzimmer ist!«

»Du redest, wie Du es verstehst!« rief Fräulein Bassini gereizt. »Der Stelzhammer ist in Amerika ein großer, reicher Herr geworden, und das Gewissen schlägt ihm jetzt; er hat den Herrn Grafen gebeten, sich hier nach Dir zu erkundigen, wie es Dir geht, was Du machst und ob es Dir an etwas fehlt.«

»Nein, was das für ein sorgsamer Gatte ist,« rief Herr Pfeffer, sich mit der rechten Hand auf sein Knie schlagend, »ist erst achtzehn Jahre abwesend und erkundigt sich wirklich schon einmal, wie es seiner Frau geht!«

»Und sind sie nicht vor Gericht geschieden?« rief Fräulein Bassini, die merkwürdiger Weise nun, da ihr Bruder die Partei nahm, welche sie selber bis jetzt gehalten, auf die entgegengesetzte Seite übersprang. »Ist er denn gesetzlich verpflichtet, sich überhaupt noch um sie zu bekümmern?«

»Jetzt hör' Einer das Frauenzimmer an!« rief Pfeffer entrüstet. »Hat es denn Jemand von ihm verlangt, heh? Hab' ich etwa Deinen Herrn Grafen ersucht, hierher zu kommen? Aber ist ein Mann, wenn er sich auch von seiner Frau scheiden läßt, nicht etwa doch verpflichtet, noch für sie zu sorgen? Oder glaubst Du etwa, daß da jeder Lump herkommen und heirathen, und sich dann wieder scheiden lassen kann und weglaufen darf wie die Sau vom Trog?«

 

»Du bist und bleibst ein Grobian – und wenn er es nun bereut?«

»Zeit wär's,« brummte Pfeffer; »aber nun erzähle einmal vernünftig, wenn Dir das irgend möglich ist, was der Fremde wollte und weshalb er zu Dir kam.«

»Eigentlich waren es Zwei,« berichtete Fräulein Bassini, »aber aus dem Zweiten bin ich nicht klug geworden; ich glaube, es muß der Kammerdiener gewesen sein. Er hat auch den Mund die ganze Zeit nicht aufgethan – ein kleiner, dicker Mensch mit einer Glatze wie der Tisch groß.«

»Na, so lüg' Du und der Teufel!«

»Und das Andere war ein Graf?« fragte Henriette.

»Was ich Dir sage, Kind, hier habe ich noch seine Karte,« fuhr Fräulein Bassini, in ihrer tiefen Tasche danach suchend, fort; »da, da steht's: Felix Randolph, Graf von Rottack – da steht's gedruckt, und nun wirst Du's doch glauben, Bruder Thomas?«

Pfeffer nahm die Karte, besah sie, schüttelte mit dem Kopf und warf sie dann auf den Tisch. »Und was wollte er eigentlich?« fragte er hierauf.

»Weiter nichts, als sich nach Augusten erkundigen. Er hätte Auftrag, wie er sagte, von seinem Freunde Stelzhammer in Amerika, hier Nachforschungen anzustellen, und wie er erfuhr, daß ich nur die Schwester wäre – denn es scheint, daß er mich für Auguste hielt –, stand er auf und sagte, er würde selber hierher gehen.«

»Zu uns hierher?« fragte die Frau erschreckt.

»Na, er wird uns auch nicht beißen,« brummte Pfeffer; »neugierig wäre ich aber doch, was der Patron, Dein sauberer Mann, eigentlich will. Sollte mich gar nicht wundern, wenn er Geld brauchte und uns anpumpen möchte.«

»Aber Onkel!«

»Liebes Kind,« brummte Pfeffer, »es sind schon närrischere Dinge in der Welt vorgekommen, das wäre nicht das Tollste; komisch wär's aber, so viel ist richtig, und ein Hauptspaß dabei, denn dem Grafen wollt' ich heimleuchten!«

»Wie kannst Du nur so reden, Fürchtegott,« bat die Frau, »weißt Du nicht, daß Du mir entsetzlich weh damit thust?«

»Ach was,« sagte der Mann, aber doch jetzt mit mehr Gutmüthigkeit im Ton, »ich weiß wohl, daß Du immer seine Partei genommen hast.«

»Er war auch von Herzen gut,« sagte die Frau, »recht gut und brav, nur entsetzlich leichtsinnig, und wir Beide noch damals so jung; Gott nur weiß, wie schlimm es ihm auch vielleicht in der Welt ergangen ist.«

»Nicht schlimmer, wie er's verdient hat!« polterte Pfeffer heraus. »Aber wann war denn der Graf eigentlich bei Dir, Lise?«

»Ach, vor kaum einer halben Stunde,« rief Fräulein Bassini, »und denke Dir nur, ich war noch gar nicht angezogen; ich hatte den ganzen Morgen studirt und noch keine Toilette gemacht, saß am Clavier und phantasirte ein wenig – auf einmal geht die Thür auf und der Graf guckt herein. Ich dachte, der Schlag sollte mich auf der Stelle rühren.«

»Ein Wunder nur, daß er den Grafen nicht gerührt hat, wenn er Dich im Negligé gesehen!« lachte Pfeffer.

»Aber, Onkel!«

»Dein Negligé ist freilich schöner,« rief Fräulein Bassini, »mit dem Schlafrock, der kleben bleibt, wenn man ihn an die Wand wirft, und Deinem alten, ekelhaften Tabaksgestank! Aber um mich ärgern zu lassen, bin ich nicht hergekommen,« rief sie, von ihrem Stuhl aufstehend; »nur Augusten wollte ich die Nachricht bringen – »mit Dir habe ich weiter nichts zu thun!« – Und wirklich böse gemacht, schoß sie der Thür zu.

»Vergiß das nächste Mal die Schnupftabaksdose nicht!« rief ihr der Bruder nach, und Fräulein Bassini riß, verächtlich den Kopf zurückwerfend, die Thür auf, als sie plötzlich einen tiefen, ehrfurchtsvollen Knix nach außen machte und dann flüsternd, aber deutlich genug in das Zimmer zurückrief:

»Der Graf!«