Friedrich Gerstäcker: Blau Wasser

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„Wie ich aber nur den Kopf an die offene Luke brachte, hörte ich auch schon zu meinem Schrecken, dass ich selber mit dem über Bord Gefallenen gemeint sei und gerade aus höchst unzeitiger Menschenliebe ein Boot niedergelassen wurde, um mich zu suchen. Hinten auf der Reling aber, am Besanbaum, stand der Kapitän mit dem Steuermann und wunderten sich, dass ich so rasch aus Sicht gekommen wäre, wobei sie einem Haifisch die einzige mögliche Schuld beimaßen.

„An ein unbemerktes Wiederherauskommen war gar nicht zu denken, eine Entschuldigung, weshalb ich in die Kammer hineingeklettert sein könne, ließ sich auch nicht erfinden – der wirkliche Grund lag zu klar auf der Hand, und selbst bei dem Überlegen verfloss so viel Zeit, dass mir zuletzt gar nichts weiter übrig blieb, als mich versteckt zu halten und abzuwarten, wie das Ganze enden würde.

„Wir liefen indessen bei einer ganz schwachen Südost-Brise, mit allen Segeln gesetzt, etwa drei Meilen die Wache dicht am Winde, und ich konnte deutlich hören, wie an Deck backgebrasst wurde, um das ausgeschickte Boot zu erwarten, das nach etwa einer halben Stunde, natürlich unverrichteter Sache, wieder zurückkehrte. Meine Lage war dadurch nur verschlimmert, und einzelne Pläne, mich krank oder ohnmächtig zu stellen, oder nach vor durchzubrechen und lieber die Strafe für Einschlafen im Logis auszuhalten, verwarf ich alle, weil ich damit die ganze Geschichte am Ende doch nur verschlimmert hätte.

„Jetzt kam das Boot wieder längsseits, die Blöcke wurden eingehakt, oben an Deck zog es die Mannschaft unter seine Krahnen. Bei der Bewegung des Schiffes und der Stellung des Steuerruders, das ich von der Luke aus genau beobachten konnte, fand ich aber, dass wir den alten Kurs wieder aufgenommen hatten, bis nach etwa einer halben Stunde der Befehl zum Wenden gegeben wurde und die ‚DUCHESSE‘, wie das Fahrzeug hieß, über Stag ging (Beim Lavieren oder gegen den Wind Aufkreuzen nennt man die verschiedenen Bewegungen des Herüber- und Hinüberfahrens, um etwas gegen den Wind aufzuarbeiten, Wenden oder „über Stag“ oder auch „über den andern Bug gehen“.), um das, was sie in Ost verloren, in West wieder aufzuholen. Hol's der Henker, ich saß indessen auf der Cognackiste und zerbrach mir den Kopf, wie ich aus der ganz verzweifelten Lage herauskäme und der Strafe entginge, bis mir auf einmal ein kostbarer Gedanke kam, den ich auch, eben gefasst, augenblicklich ausführte.

„Die Sonne war indessen dem Untergange nahe, und wie ich vier Glasen (Sechs Uhr) an Deck schlagen hörte und nun wusste, dass die Leute zum Schaffen (Essen) gingen und nicht gerade über Bord gucken würden, kletterte ich aus meiner Luke heraus, wobei ich die Flaschen natürlich zurücklassen musste, lief auf dem Leistenbrett mit Hilfe der Rüsteisen bis vorn an den Larbordbug, ließ mich im Lee leise ins Wasser gleiten, schwamm eine fünf oder sechs Strich vom Schiff ab und schrie nun mein „Hallo – hallo the ship!“ so laut und lustig in die Welt hinein, dass der Mann am Rad erschreckt mit dem Ruder aufkam, das Schiff glücklich durch den Wind gehen ließ, dass alle Segel gegen die Masten schlugen und die ‚DUCHESSE‘ natürlich baumfest auf dem Wasser lag.

Ehe der Kapitän aber nun seine gewöhnliche Anzahl Flüche los werden konnte, ging schon wieder der Schrei „Mann über Bord“ durch das ganze Schiff; dieses Mal ersparte ich ihnen aber das Bootaussetzen; denn wenn auch das Fahrzeug im ersten Ansatz noch etwa seine eigene Länge von mir fortgelaufen war, hielten es die zurückgeschlagenen Segel jetzt desto fester, und ich bekam Zeit, aufzuschwimmen.

„Werft nur ein Tau herunter!“ schrie ich jetzt, als ich nahe genug war. „Hallo da oben, lasst einen Kameraden nicht sitzen – ein Tau her!“

„Zehn sprangen gleich zu, und der Koch warf mir das Ende eines Bramseils gerade über den Kopf, das ich erwischte, um den linken Ellbogen schlug und mich an Deck ziehen ließ. Aber, Jungens, die verblüfften Gesichter hättet Ihr sehen sollen, wie die mich erkannten! Rhody, wo kommst du her? – Rhody nannten mich die Mounsiers, – Menschenkind, wo hast du gesteckt?

„Hätt' ich es nur allein mit den Kameraden durchzufechten gehabt, wäre die Sache nicht so schwer gewesen; so aber mischte sich auch der Kapitän ins Mittel und verlangte Aufschluss über das Geschehene, von dessen wahrem Bestand er keine Ahnung zu haben schien. Da hielt ich es denn für besser, erst noch einmal ohnmächtig zu werden, wodurch die Sache einmal natürlicher wurde und ich auch etwas länger Zeit bekam, mich zu sammeln, und ein paar der Leute schleppten mich jetzt nach vorn unter die Stevenpumpe und fingen an, mich zu begießen. Ich kam jetzt allerdings wieder zu mir, war aber noch so schwach, dass ich kein Wort herausbringen konnte, und so ließen sie mich denn die Nacht liegen, damit ich mich erst wieder ordentlich erholen möge.

„Am nächsten Morgen half übrigens nichts, ich musste mit meiner Geschichte heraus. Nun wussten wir aber alle miteinander, dass der alte Kasten dicht am Wind erbärmlich schlecht segle und reichlich sieben Strich brauche, um halbwegs vorwärts zu kommen; darauf hin log ich ihnen geradezu vor, dass ich am Mittag über Bord gefallen wäre und mir nachher fast den Arm ausgerenkt und die Lunge wund geschrien hätte, um gesehen und gehört zu werden. Das Boot habe aber in ganz anderer Richtung gesucht, und als es bald darauf wieder an Bord zurückgekehrt und das Schiff in seinem Kurs fortgesegelt sei, da wäre ich schon einmal in Verzweiflung entschlossen gewesen, mein Leben aufzugeben und mich wegsinken zu lassen. Die Lebenslust sei aber doch zuletzt stärker gewesen, und ich wäre nun, in der Hoffnung, dass das Schiff bald über Stag gehen müsse, gerade in den Wind hineingeschwommen, dessen genauen Kurs mir das leichte Kräuseln des Wassers gezeigt. So habe ich meiner Rechnung nach wohl eine gute Seemeile zurückgelegt, als das Schiff wirklich wieder in Sicht kam und fast gerade auf mich zuhielt. Mehr aber wüsste ich nicht; die letzten Minuten erschienen mir selbst jetzt noch wie ein wirrer Traum, und ich glaube, ich sei ohnmächtig geworden, selbst ehe ich das Deck erreicht habe.“

„Was für andere Beweise wollt ihr, als eines Mannes Wort?“ lachte einer seiner Kameraden.

„Und ließ sich der Alte wirklich leimen?“ fragte ein Anderer.

„Was wollt' er machen?“ lachte Rhode Island; „an die Luke hinten dachte niemand, da sie der Steward selber abends spät zugemacht und von innen verriegelt hatte, und fort war ich gewesen und jetzt wieder da – das ließ sich nicht ableugnen. Außerdem kannten sie mich schon als einen guten Schwimmer; denn wie sie mich auffischten, hatt' ich ihnen schon früher einmal aufgebunden, dass ich drei Tage und drei Nächte geschwommen hätte.“

„Auf Mannes Wort?“

„Oh, geht zum Teufel und mutzt einem nicht jede Silbe auf! – Aber das war noch nicht alles; denn verdammt will ich sein, wenn sich der Alte nicht eine von den nämlichen Flaschen heraufholen ließ, die ich schon einmal beigesteckt gehabt, und mir einen steifen Grog machte, dass ich mich erholen sollte, und dann die ganze Geschichte sauber und eigenhändig in sein Tagebuch eintrug. Dort steht sie noch unter meinem eigenen Namen, und ihr könnt sie bis auf den heutigen Tag lesen.“

„Haha haha, Rhode Island – Du bist eine prächtige Hand zum Aufbinden!“ lachte ein Kamerad – „unserem Alten dürftest du aber damit nicht vor den Bug kommen; der holte 'was anderes als Cognac.“

„Klar zum Halsen!“ ging der Ruf über Deck, die Wache sprang auf und das Schiff wurde, da die See zu schwer von vorn kam, um ordentlich wenden oder über Stag gehen zu können, vor den Wind über den andern Bug gebracht oder „gehalst“, immer bei so hoher und stürmischer See ein nicht ganz gefahrloses Manöver. Der Kapitän verstand aber sein Geschäft aus dem Grunde, die Leute, die recht gut wussten, wie viel dabei von ihrer Schnelligkeit abhing, führten die Befehle, kaum gegeben, rasch und vortrefflich aus, und wenige Minuten später peitschte die See den andern Bug, jetzt wieder nach Süden hinunterhaltend, damit sie über Nacht dem zu Starbord befindlichen Lande nicht zu nahe kämen.

Der kurze Tag, der in diesen Breiten zur Winterszeit in der Tat nur wenige Stunden dauert, neigte sich seinem Ende. Die Wache, in der Rhode Island war, ging bald zu Koje, und als sie wieder an Deck kam, hielt sie eine gesprengte Pardune beschäftigt. Im Dunkeln ließ sich aber nicht gut etwas Weiteres damit tun, als sie vorläufig mit Hilfe eines vierscheibigen Flaschenzuges wieder zusammenzubringen und mit umgeschlagenen Tauen notdürftig zu befestigen, bis sie am nächsten Morgen ordentlich gespließt werden konnte.

Es war in der Morgenwache, und der Sturm hatte wohl etwas nachgelassen, wehte aber doch noch immer scharf genug, und die See ging hoch und hohl.

Der alte Tom war eben vom Ruder abgelöst worden und kam nach vorn, seinen gewöhnlichen Sitz wieder in Lee von der großen, mitten auf Deck stehenden Barkasse nehmend; Rhode Island hatte indes versucht, auf dem Leegangwege auf und ab zu gehen; die Bewegung des Schiffes war aber zu stark und besonders durch die hohe See zu unregelmäßig. Sich also neben den Alten niedersetzend, wie er ihn kommen sah, sagte er:

„Hallo, Tommy, ich wollte Euch eigentlich um 'was fragen.“

„Und das wäre?“

„Ihr spracht gestern, wie Ihr uns die Geschichte von dem Wrack der ‚BUCKEYE BELLE‘ erzähltet, von jemand, den ihr nicht wieder zu sehen hofftet. Wer ist denn das?“

Der Alte hatte beide Ellbogen auf seine Knie gestützt und schaute eine ganze Weile still und kopfnickend vor sich nieder; endlich sagte er leise:

„Ihr junges Volk seid jetzt anders wie wir zu unserer Zeit – wenn man mit euch ein ernstes Wort sprechen und euch an 'was anderes mahnen will, als das tägliche Leben, das ihr eben fassen und begreifen könnt, dann lacht und spottet ihr und haltet euch für so entsetzlich klug – 's ist da besser, man schweigt.“

 

„Den Henker auch, Tommy!“ lachte Rhode Island, „nun habt ihr mich erst recht neugierig gemacht! – Mir könnt ihr's sagen – ihr meint doch nicht etwa den deutschen Klabautermann?“

Der Alte schüttelte mit dem Kopf und sagte:

„Jede Küste hat ihre besonderen Wächter; der hat mit uns nichts zu tun; ich meine den schwarzen Mann.“

„Den schwarzen Mann?“ rief Rhode Island erstaunt aus und musste sich Mühe geben, sein Lachen zurückzuhalten, denn dann wäre es mit dem Erzählen des Alten vorbei gewesen. Dieser schien überdies heute nicht sehr gesprächig zu sein oder auf das Thema nicht gern eingehen zu wollen. – „Der fliegende Holländer kreuzt doch nicht an Cap Horn, soviel ich weiß?“

„Nein“, sagte Tom, „von dem haben wir hier nichts zu fürchten; aber – glaubt ihr, dass ein Boot in dieser See leben könnte?“

„Ein Boot?“ rief Rhode Island, einen Blick nach vorn werfend, wo gerade wieder eine riesige Woge gegen den Bug donnerte und das wackere Fahrzeug bis in den Kiel hinab erzittern machte – „ein Boot in der See? – Nicht von einer Welle zur anderen, und wenn es von Kork wäre; es müsste füllen und zusammenbrechen in dem furchtbaren Druck.“

„Und was würdet Ihr sagen, wenn jetzt ein fremdes Boot zu uns längsseits käme, das Schiff anriefe und einen Passagier an Bord setzte?“

„Aber, Tommy ...“

„Ich hab' es erlebt, mein junger Bursch,“ sagte der Alte mit leiser, fast flüsternder Stimme, „und wer ihm zuerst begegnet, mit wem er spricht, der ist ein Kind des Todes im nächsten Sonnenlauf.“

„Wenn ich ein Boot in solcher See ankommen sehe“, sagte der junge Rhode Island jetzt lachend, „glaub' ich's auch, Tommy, Euer Wort in Ehren – aber nicht eher. – Dagegen wäre ja selbst der fliegende Holländer nur ein Scherz, der doch auf vollem Schiffe in der Welt umherfährt.“

„Macht's wie Ihr wollt“, sagte der Alte ruhig, „aber lacht wenigstens nicht darüber.“

„Haha haha,“ rief aber der junge Bursche, der sich nicht wollte merken lassen, dass ihm selber ganz unheimlich bei der ernsten Erzählung des Alten wurde, „Ihr schneidet ein so ernsthaft Gesicht, als ob Ihr's selber glaubtet – Tommy, Tommy, wenn das der Alte hörte!“

Tom senkte den Kopf, wickelte sich fester in seine Jacke und schien sich auf kein Gespräch weiter einlassen zu wollen; ehe ihn aber Rhode Island besänftigen konnte, wurde zum Loggen gerufen und er musste nach aft.

Es war etwa eine Stunde später, als der Sturm wieder eine frische Hand an den Blasebalg gestellt hatte, wie die Matrosen sagen, wenn es nach kurzem Besserwerden mit neuen Kräften an zu wehen fängt. Rhode Island kam von seiner Wache am Steuerrad. Die Starbordquarterdeck-Treppe eben hinuntersteigend, ging er hinter dem großen Mast durch nach leewärts. Die übrige Wache saß auf ihrem gewöhnlichen Platze, und einer der Leute „spann ihnen gerade ein Garn“ von einem Abenteuer, das er „an Bord eines Pferdes“ in Buenos-Ayres erlebt, und wo ihm die Gauchos Geld und Sattel abgenommen und er das Pferd hatte an einer Leine drei Leguas weit zurückführen müssen. – Da plötzlich tönte ein wilder Schrei zu ihnen herüber und alle sprangen erschreckt auf und nach windwärts.

„Hallo da vorn – was gibt's?“ rief der erste Steuermann vom Quarterdeck aus – „was ist los?“

„Den Teufel auch, Rhody“, rief einer der Leute, der dem jungen Burschen zuerst begegnete, „hast du so geschrien? – Junge, was fehlt dir? – Du zitterst ja am ganzen Leibe!“

„Unsinn!“ brummte der junge Amerikaner ärgerlich, „es fuhr mir nur so heraus – ich weiß selber nicht, wie es kam!“ Aber er warf dabei scheu den Blick über die Schulter zurück und über die See hinauf als ob er dort etwas zu sehen erwarte.

„Rhody!“ rief der Steuermann vom Quarterdeck aus.

„Ay, ay, Sir?“

„Wer hat geschrien?“

„Ich, Sir.“

„Weshalb?“

„Ich habe mich gestoßen.“

„Holzkopf!“ sagte der Offizier und nahm ruhig seinen Marsch an Deck wieder auf.

„Du hast 'was gesehen, Rhody,“ sagte der alte Tom leise zu dem jungen Burschen, als die Übrigen einer gerade auf und über Bord schlagenden See lachend aus dem Wege sprangen, um ihren früheren, mehr gesicherten Platz wieder einzunehmen. Dabei suchte er in dem Halbdunkel, das bei dem wolkenbedeckten Mond auf dem Wasser lag, die Züge seines jungen Kameraden zu erforschen.

„Geht zum Teufel!“ rief aber dieser, sich von ihm abwendend, ärgerlich – „das alberne Zeug, dass ihr den Leuten in den Kopf setzt, macht sie am hellen Tage Gespenster sehen, wie viel mehr denn in solcher Nacht!“

Er ging nach vorn, sich im Lee der Kombüse allein hinzusetzen, und die Kameraden, die ihn dort aufsuchten und nichts aus ihm herausbringen konnten, ließen ihn endlich zufrieden und ungestört.

Die Nacht ging ohne weitere Störung vorüber, der Sturm hatte aber nicht allein nicht nachgelassen, sondern eher noch zugenommen, und als sich die Sonne rotglühend über dem weißbeschäumten und jetzt engbegrenzten Horizont abhob, wogten und taumelten Schluchten und Berge wild durcheinander, und das ächzende Schiff rang sich triefend die Bahn durch alle Schrecken.

Das Frühstück war eben von den Leuten eingenommen, und der Kapitän kam an Deck, wo der Steuermann, der ihm gerade vorangegangen, ein paar Leute nach aft rief, um ein gestern eingerissenes Marssegel wieder auszubessern und instandzusetzen. Zu Larbord, an der großen Rahenocke, war ebenfalls der eiserne Ring, der die untere Leesegelspiere hielt, locker geworden, und Rhode Island wurde dort hinauf geschickt, ein Ende Tau um die sich losarbeitende Spiere zu schlagen, bis der Schaden bei ruhigerem Wetter wieder ordentlich repariert werden konnte.

Der junge Bursche lief die Wanten hinauf und auf den Paarden oder Laufseilen an die Rahenocke hinaus, um den Befehl auszuführen.


Das Schiff schlingerte dabei, wie die Woge unter ihm sank oder stieg, herüber und hinüber, und stampfte dann wieder, als ob es sich hineinhauen wolle bis auf den Grund. Rhode Island war aber ein tüchtiger Seemann und fühlte sich so sicher da oben wie auf dem Deck unten. So, während ein paar schwarzbraune schlanke Mögen mit rabenschwarzen Flügelspitzen um ihn her kreisten, als ob sie das kecke Menschenbild da oben bei sich nicht dulden wollten, schlug er das Tau um Spiere und Rahe, schnürte die erstere um die letztere fest, und trat dann noch einen Schritt weiter hinaus, um den Block zu fassen, der am äußersten Ende der Spiere hing und dessen Strop ebenfalls losgegangen war, als vom Deck eine Stimme „Segel ho“, rief.

Der junge Bursche fuhr zusammen, als ob er von einem Schuss getroffen wäre, richtete sich auf, verlor das Gleichgewicht und fasste im Sturz noch das Laufseil. Der Wurf, den das Schiff aber zugleich im Wiederaufrichten gab, vermehrte nur die Kraft, der die eine Hand nicht gewachsen war; das Seil schnellte aus den es krampfhaft umschließenden Fingern, und der Körper des jungen Matrosen schlug schwerfällig in die nach ihm aufzüngelnde Woge hinein.

„Mann über Bord!“ schallte der Schreckensruf aus zehn Kehlen zu gleicher Zeit, und alle sprangen nach Tauen, sie auszuwerfen und den Kameraden zu retten. So langsam das Schiff aber auch, mit so wenig Segeln und solcher See gegen sich, durch das Wasser ging, hatte die rückprallende riesige Woge den Körper des Unglücklichen schon außer Wurfes Nähe geschleudert, und als ihn die nächste zurückbrachte, glitt das Schiff auf dem Rücken derselben hinab, und in dessen Fahrwasser, mit den Wogen kämpfend, schwamm der Verlorene.

„Hilfe!“ tönte sein Notschrei markdurchschneidend herüber, und ein Schwarm Cap-Tauben, die einzeln dort über die Flut zerstreut gewesen, sammelte sich im Nu mit raschem Flügelschlag über ihm, die neue Beute noch scheu betrachtend.

„Es ist unmöglich, ein Boot auszusetzen!“ rief der Kapitän, in voller Angst eine der Besanpardunen fassend und auf die Reling springend, „wir bekämen nicht einmal die Mannschaft hinein, ehe es uns an den Seiten zerschmetterte.“

Der Steuermann schüttelte, ohne den Blick von dem Unglücklichen zu nehmen, traurig und ernst mit dem Kopf und sagte nur leise: „Es wäre Wahnsinn!“ Der alte Tom nickte langsam vor sich hin mit dem Kopf und flüsterte still in sich hinein:

„Er hat ihn gesehen – hab' ich's mir nicht gedacht? Der arme Teufel, was half da sein Leugnen – nun wird er mir's glauben!“

„Hilfe, Hilfe!“ tönte schon schwächer der verzweifelte Notschrei des Schwimmers zu ihnen herüber; er wusste, dass ihm keine menschliche Hilfe mehr werden konnte, aber der Trieb zum Leben ließ die Hoffnung nicht sinken, bis zum letzten Augenblick.

Und die Mögen sammelten sich über ihm – aufsteigend jetzt in weitem Zirkelschwung und dann niederstoßend nach der seltenen Beute, der sie sich dennoch nicht zu nahen wagten. Schwerer Flügelschlag jetzt von da drüben her; zwei Albatrosse, denen andere folgten, sahen den dicht gedrängten Schwann der Cap-Tauben und Mögen.

Mit den riesigen Fittichen ziehen sie heran, kreisen einmal herum über dem dunkeln Punkt in der Flut – in ihrer Flut, und der eiserne Schnabel haut nach der gebotenen Beute.

„Hilfe! Hilfe!“ Es war ein Aufkreisch, der die Männer aufscheuchte, als ob ein Schuss zwischen sie gefallen wäre, und selbst die Albatrosse wichen einen Augenblick dem fremden, unheimlich grellen Ton, aber nur, um ihren Angriff wenige Momente später mit so viel größerer Gier zu erneuen.

„Heiliger Gott!“ rief der Kapitän und sprang, das Fernrohr aufgreifend, das ihm der Steuermann reichte, ein paar Schritt die Besanwant hinan, in der er sich festklammerte und das Rohr auf den Schwimmenden richtet – „die Vögel stoßen auf ihn – das ist entsetzlich!“

„Hilfe! Hilfe!“

Ein scharfer Ton der Mögen antwortete diesmal; es war der Kampfschrei der hungrigen Tiere, die sich, dem stärkeren Albatros zum Trotz, auf die Beute warfen und unter den weiten Schwingen des mächtigeren Gegners hin nach Kopf und aufgeworfenem Arm des Unglücklichen hackten.

„Gott sei seiner Seele gnädig!“ sagte Tom, sich schaudernd abwendend, während Einzelne der Leute dem Kapitän in die Wanten folgten. Dieser jedoch schob sein Glas zusammen und stieg schaudernd hinab; er konnte den Anblick nicht länger ertragen.

Die Vögel, mit den Albatrossen an der Spitze, bildeten jetzt eine feste Masse auf der Flut, so dass sich unter ihrer dicht gedrängten Schaar schon nichts weiter mehr im Wasser erkennen ließ. Die schwächeren Cap-Tauben aber umflogen ärgerlich kreischend die gefundene Beute, von der die stärkeren Schwestern sie verscheucht hatten, auf und nieder dabei flatternd, manchmal dem Schiff folgend, als ob sie ein neues Opfer zu finden erwarteten, und dann zu dem ersten zurückkehrend mit raschem ängstlichem Flug.

Die Leute kamen langsam herunter und gingen nach vorn, und das Schiff kämpfte weiter gegen die empörte Flut, die ihr Opfer jetzt hatte.

Weit in Lee kam jetzt ein Segel in Sicht – dasselbe, das vorhin angerufen worden. – Oben auf einer Woge, wie von der äußersten Spitze getragen, stand es einen Augenblick, und verschwand dann in der Tiefe, als ob die Flut es verschlungen; es lag über dem andern Bug und kreuzte nach Norden auf – eine Stunde später war es am Horizont verschwunden, während mit schwerfälligem Flügelschlag die Albatrosse dem Schiffe wieder folgten – neue Beute erhoffend.

* * *