Friedrich Gerstäcker: Blau Wasser

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„Das weiß Gott“, lachte Bolard, „so geschickt sie auch manchmal ihre Säbel handhaben.“

„Ein Glas Sherry verschmähen Sie doch nicht?“

„Ich danke wirklich.“

„Die Luft ist hier in der Nähe von Hongkong und gerade in diesem Monsun eben nicht so übermäßig gesund – Sie erlauben mir wenigstens, dass ich Ihnen vorher Bescheid tue. Nach dem, was die Herren Beamten an Land von uns zu denken scheinen, können sie uns sonst am Ende gar für Giftmischer halten.“

„Mein bester Herr –“

„Sicher ist sicher“, lachte Moore, während er sich ein Glas bis zum Rande füllte und es auf einen Zug leerte.

„So“, sagte er dann, die Flasche dem Lieutenant hinüberschiebend, „nun hoffe ich, dass Sie sich derselben nach besten Kräften bedienen werden, und wenn Sie es erlauben, ruf' ich den andern Gentleman ebenfalls herunter, uns wenigstens in einem Glas Bescheid zu tun.“

„Ich weiß nicht –“ sagte der Offizier zögernd.

„Sie haben nichts zu fürchten“, lächelte der Dschunkenführer, „von hier aus sogar können Sie durch unsere Bambuswände hindurch die dort aushängende Laterne, das befohlene Signal, erkennen. Außerdem seh' ich dem morgigen Tag mit großer Ruhe entgegen, denn irgendein wunderliches Missverständnis muss jedenfalls den gegen mich oder mein Fahrzeug befohlenen Maßregeln zu Grunde liegen. Also warten wir's ruhig ab. Fort kann ich ebenfalls nicht, bis ich nicht Wasser an Bord habe, und ich hoffe, dass wir den Abend auf angenehme Art verbringen werden.“

Ohne Weiteres stieg er jetzt die wenigen Stufen hinan, den Masters-Mate zu seinem Offizier hinabzurufen. Dieser verließ jedoch nur zögernd das Deck, und konnte erst bewogen werden ein Glas Wein anzunehmen, als sein Offizier ihn selber dazu einlud. Hierauf stiegen beide wieder auf das Deck und gingen dort wohl eine Stunde lang mit Moore auf und ab, der ihnen manches aus seinem bewegten Leben und den interessanten Küstenfahrten des Archipels erzählte.

So war es neun Uhr geworden. Die Flut trieb schon seit vier Uhr mit voller Stärke gegen das Land zu und der Wind war fast ganz eingeschlafen, während sich der Himmel mit Wolken dicht umzog. Die Dschunke hätte unter diesen Umständen ihren Ankerplatz gar nicht mehr verlassen können, ohne dem Land geradezu entgegen zu treiben. Außerdem herrschte an Bord vollkommene Ruhe. Die regelmäßige Wache ging allerdings an Deck auf und ab, die Rahen waren aber niedergelassen, im Kompasshaus war kein Licht, das Steuer festgebunden, und das kleine Fahrzeug ruhte wie eine schlafende Möwe auf der stillen, fast spiegelglatten Flut.

Indessen nahte die Zeit des Abendbrots und der kleine saubere Tisch in der Kajüte stand für vier Mann gedeckt. Lieutenant Bolard führte allerdings seine Provisionen bei sich und wollte die Einladung ablehnen, Moore aber rief eifrig: „Ei wahrlich, Gentlemen, Sie werden doch meinem Fahrzeug nicht die Schande antun wollen, seine Gäste nicht einmal bewirtet zu haben?“

„Ungebetene Gäste, wissen Sie, Mr. Moore“, lächelte der Offizier.

„Ei was“, rief der Seemann treuherzig, „im ersten Augenblick waren Sie mir allerdings ungebeten, und hätt' ich die Macht dazu besessen, verdammt will ich sein, wenn ich Sie gutwillig angenommen. Wie aber die Sache jetzt steht und nach näherer Bekanntschaft, denk' ich, haben wir auf beiden Seiten gefunden, dass wir nicht so schlimm waren, als wir aussahen, und deshalb nicht die geringste Ursache vorhanden ist, das zu verschmähen, was uns unser chinesischer Koch bereitet haben wird.“

„Es liegt zu viel Logik in Ihrer freundlichen Einladung“, sagte der Offizier lachend, „um sie zurückzuweisen, – bis zum Einsetzen der Ebbe haben wir überdies noch eine volle Stunde Zeit und können solche allerdings nicht besser ausfüllen, als auf die von Ihnen so gastlich bezeichnete Weise. Master Pawton, ich glaube, dass uns das Souper keinen Schaden tun wird.“

„Schaden?“ schmunzelte der Masters-Mate, den Moore durch sein derbes, echt seemännisches Wesen schon vollkommen gewonnen hatte, „wohl keinen Schaden weiter, den ausgenommen, den es unter den aufgetragenen Speisen und Getränken anrichten wird. Ich glaube, wir sind beide schon an schlechteren Plätzen gewesen.“

„Je eher der Koch dann anrichtet“, rief Moore auf Malaysisch seinem Steuermann zu, „desto besser. Ich selber habe heut Abend einen schmählichen Hunger“, setzte er dann gegen die Fremden hinzu, „und hoffe dasselbe von meinen Gästen. Wollen Sie sich nach dem Souper dann in die Wache teilen, so steht einem der Herren da unten mein Sofa zu Diensten, oder ich schlinge Ihnen oben auf dem Verdeck, wenn Ihnen das lieber ist, eine Hängematte auf. Das Wetter ist still und ruhig, und den Tau können wir schon durch ein darüber gespanntes Tuch abhalten.“

„Vortrefflich“, rief Bolard, dessen letzter Verdacht durch dieses Anerbieten beseitigt wurde, „dann bitte ich Sie freundlich um die Hängematte. Sie werden leicht begreifen, dass wir es unter den jetzigen Umständen vorziehen müssen, beisammen und an Deck zu bleiben.“

„Deshalb gerade machte ich Ihnen den Vorschlag. Aber jetzt zu Tisch; ich sehe eben, wie Tschung-Ih, unser würdiger Kochkünstler, seine gastronomischen Experimente dort hinunter spediert, und je eher wir ihm folgen, desto besser. Nur einen Augenblick müssen Sie mich entschuldigen, dass ich den Wein besorgen kann.“

Die beiden Engländer stiegen, nachdem sie noch einen Blick über Deck geworfen und sich überzeugt hatten, dass alles in Ordnung sei, in die Kajüte hinab, wo Ben Ali seine Papiere fortgeräumt und dem Tischtuch Raum gegeben hatte.

Moore stand indessen vorn an der Logistreppe, die in den vorderen Raum hinabführte, neben einer dunkeln Gestalt, die mit halbem Leibe daraus hervorschaute.

„Wie lange noch bis zur wiederkehrenden Ebbe, Rudah?“ fragte er rasch mit unterdrückter Stimme.

„Voll eine Stunde, Toean“ (Toean, sprich „Tuan“ = Herr), erwiderte der Malaye.

„Und was hältst du vom Wetter?“

„Gut – da drüben im Nordosten wird es hell. – Noch vor der Zeit haben wir Brise genug.“

„Ist die Laterne in Ordnung?“

„Alles fix und fertig – wann lassen wir sie nieder?“

„Bei dem ersten Champagnerkork, den ihr fliegen hört – Dschung-Ih mag an der Treppe bleiben.“

„Und wenn sie heraufkommen und etwas merken sollten?“

„Dann bleibt uns nichts anderes übrig als Gewalt!“ sagte Moore finster. „Sobald das Zeichen gegeben ist, kommen sechs von euch leise nach hinten und stellen sich rechts und links an der Kajütentreppe auf. Den Ersten, der nach oben will und dem ich nachrufe: „Aber nur noch ein Glas!“ fasst und knebelt. Verstanden?“

„Ay, ay“; lachte der Bursche mit blitzenden Augen. „Merken die dann auch etwas da drüben, können sie doch nicht auf das Fahrzeug schießen, in dem ihre eigenen Offiziere sind, und dass uns die Boote nicht einholen, dafür lasst uns sorgen.“

„Dass sie es nur nicht hören, wenn ihr den Schäkel (In der Ankerkette sind in gewissen Zwischenräumen Bügel mit Bolzen oder Schäkeln angebracht, um die Kette, wenn es nötig sein sollte, an den Stellen trennen und wieder zusammenfügen zu können, ohne ihr selber Schaden zu tun. Es geschieht das häufig, wenn der Seemann, besonders bei schwerem Wetter, genötigt ist, seinen Ankergrund zu verlassen, und den Anker nicht heben kann. An der Kette wird dann eine Luft-Boje oder Tonne gelassen, um später den Ort finden zu können, wo der Anker liegt.) ausschlagt. Wenn es nicht vorsichtig geschieht, fühlt man die Erschütterung durch's ganze Schiff, und die beiden Burschen sind zu viel Seeleute, um nicht den Augenblick zu wissen, was das bedeutet.“

„Weiß schon“, lachte der Malaye, „sobald wir staut (Zwischen Ebbe und Flut) Wasser haben und das Schiff nicht mehr an der Kette hängt, ist das im Nu geschehen. Schade nur um den Anker – vorsichtigerweise habe ich eine Boje angeschlagen.“

„Recht so, wir werden ihn uns schon wieder holen, wenn ihn die Brig da drüben nicht als Pfand behält“, lachte Moore. „Doch ich muss jetzt fort, dass meine beiden Herren keinen Verdacht schöpfen. Ich kann mich auf dich verlassen?“

„Saya, Toean“, sagte der Malaye lakonisch.

Moore erwiderte kein Wort weiter. Er kannte den Burschen und betrat wenige Minuten später mit den für ihn bereit stehenden Flaschen die Kajüte, wo er seine Gäste schon seiner harrend fand.

Das Essen wurde in diesem Augenblick vollständig aufgetragen und nahm vor der Hand die Aufmerksamkeit sämtlicher dabei beteiligten Personen so vollständig in Anspruch, dass selbst nur abgebrochene Gespräche geführt werden konnten. Moore sprach zu gleicher Zeit der Flasche herzhaft zu, und selbst Ben Ali, Muselmann der er war, schien sich auf der See von den strengen Verboten seines Korans auf das Liberalste dispensiert zu haben. Mit so gutem Beispiel vor sich, ließen sich die beiden Offiziere denn auch nicht lange nötigen, ohne jedoch den kräftigen Trank auch nur im Entferntesten unmäßig zu genießen. Sie kannten die Verantwortung, die sie hier übernommen, und wenn sie auch nicht den geringsten Verdacht gegen ihren jovialen halb Gefangenen, halb Gastgeber schöpften, waren sie doch viel zu gewissenhaft, sich nur das Mindeste dabei zu vergeben, oder irgend eine nötige Vorsicht außer Acht zu lassen. Sie blieben daher beide still und schweigsam, und dann und wann, bei dem geringsten Geräusch an Deck, trat Bolard auf die kleine Treppe, wo er den ganzen oberen Teil der Dschunke übersehen konnte. Ihr Signal hing aber dort noch leuchtend aufgehängt, die Rahen lagen nieder, und nur der langsame, regelmäßige Schritt des wachthabenden Matrosen ließ sich hören.

Eine eigentümliche Veränderung war indessen mit dem vorher noch so ernsten und schweigsamen Ben Ali vorgegangen. Des Englischen vollkommen mächtig, wenn er dasselbe auch mit einem etwas fremdartigen Dialekt sprach, hatte ihn der Wein so beredt gemacht, dass er, nur erst einmal aufgetaut, das Wort allein führte und aus seinem an Taten und Vorfällen überreichen Leben besonders für die Seeleute höchst interessante und spannende Skizzen zum Besten gab. Seit zwanzig Jahren fast an Bord eines oder des anderen Fahrzeuges im Archipel, kannte er die Küsten fast aller Inseln, vom chinesischen Meer hinab bis zu der Torresstraße, war von den Piraten schon geplündert, von den australischen Wilden schon gespeert und gefangen worden, hatte auf holländischen Kriegsschiffen als Dolmetscher gedient und den Krieg gegen die Engländer mitgemacht, war dann von diesen auf Java angestellt worden, und erst als diese jene Insel wieder an ihre früheren Besitzer abtraten, zu dem Entschluss gekommen, selber Handel zu treiben und sein eigener Herr zu werden.

 

Das Essen war ziemlich beendet und eine Stunde dabei im Fluge hingegangen, als das Gespräch durch Moore auf ein vor längeren Jahren an der chinesischen Küste gesunkenes Dampfschiff kam.


Es stieß damals mit reicher ostindischer Fracht beladen an eine Klippe, wurde leck und ging auch in der nämlichen Nacht zu Grunde. Nur wenige Menschen waren imstande gewesen, sich zu retten, und Bolard selber hatte, wie er sagte, seinen Vater dabei verloren.

„Ihren Vater?“ rief Ben Ali, der jetzt mit einer längeren Pfeife als vorher auf dem Sofa lehnte, indem er sich rasch emporrichtete, – „und war der mit unter jenen Unglücklichen, die der Tod selbst in der Kajüte ereilt, ohne dass sie imstande gewesen wären, das Freie zu gewinnen?“

„Gott weiß es“, sagte Bolard seufzend, indem er von seinem Stuhl aufstand, – „es ist auch eine zu traurige Geschichte, ihrer lange zu gedenken. – Aber ich glaube, die Ebbe wird bald eintreten, und es ist wohl Zeit, dass wir nach unserem Signal sehen.“

„Ich habe schon Befehl dafür gegeben“, erwiderte Moore, ebenfalls seinen Stuhl verlassend, „und will selber gleich nachschauen. Übrigens wird es uns hier unten gemeldet, sobald still Wasser eintritt. Apropos – jenes Schiff – wurde das an Bord befindliche bare Geld und was an Goldbarren vorrätig darin lag, nicht durch einen Taucher wieder heraufgeholt?“

„Ich glaube, ja“, sagte Bolard, „und der Mann soll über das Entsetzliche, das er da unten in dem versunkenen Schiff gesehen, wahnsinnig geworden sein.“

„Der Mann sitzt vor Euch!“ sagte da der plötzlich ganz ernst gewordene Ben Ali mit hohler, fast geisterhafter Stimme. Der Arm, der die Pfeife hielt, war niedergesunken, sein Haupt hatte er gebeugt, und sein Blick haftete stier und unheimlich in der fernsten Ecke der Kajüte.

„Sie selber?“ rief Bolard, der sich schon gewandt hatte, die Treppe hinaufzugehen, indem er sich überrascht nach dem Araber umdrehte.

„Ich selber“, sagte dieser, langsam mit dem Kopf nickend, „und noch jetzt, wenn ich an jene Stunden zurückdenke, rieselt mir das Entsetzen durch Herz und Seele bis in die Fußzehen nieder.“

„Das müssen Sie uns erzählen“, rief Bolard, „nur einen Augenblick geh' ich aufs Deck, ich bin gleich wieder unten.“

„Und ich werde indessen etwas besorgen“, setzte Moore, die beiden Fremden begleitend, hinzu, „das uns die Schauer wenigstens hier unten fern halten soll. Nicht umsonst habe ich mir einige Körbe Champagner in Batavia gekauft, und heute können wir versuchen, ob er echt ist.“

Als die drei Männer das Deck erreichten, fanden sie noch alles, wie sie es vor dem Abendessen verlassen. Noch kam die Flut ein, aber wie es schien langsamer. Nur der Wind hatte sich wieder etwas erhoben und wehte, wie immer in dieser Jahreszeit, von Nordosten her.

Moore öffnete die Mittelluke und stieg hinab, um den Champagner heraufzuholen, und Bolard ging mit dem Masters-Mate indes nach vorn, sah nach der Kette, die noch straff gespannt hing, warf einen Blick auf die Signal-Laterne und einen anderen nach seiner Brig hinüber, die ebenfalls nur durch ihre ausgehängten Lichtsignale sichtbar war, und schritt dann langsam wieder mit seinem Kameraden der Kajüte zu. Die Leute an Bord schienen zu schlafen; selbst der wachthabende Chinese hatte sich in Lee der etwas erhöhten Mittelluke lang aufs Deck ausgestreckt und schaute still und schweigend nach dem dunkeln Himmel über sich hinauf. Das Licht der Laterne fiel voll auf sein Gesicht.

„Eine merkwürdig stille Nacht heute“, sagte Moore, als er mit einem Arm voll bleibehalster Flaschen wieder dahin zurückkam, wo die beiden Offiziere noch standen, „aber ich denke, gegen Morgen bekommen wir mehr Wind. Der Himmel sieht dort drüben ganz danach aus.“

„Wohl möglich“, sagte Bolard, nach Nordost hinübersehend, „ich glaube sogar, dass es noch vor Morgen kommt. Aber der Ankergrund ist gut, und so lange die Ketten halten, hat es nichts zu sagen.“

„Hier überhaupt nicht“, meinte Moore, „denn die Insel schützt uns hinlänglich und hält das Schlimmste ab. Aber kommen Sie, Sir, der Champagner hier ist überdies nicht sehr kühl, und je eher wir ihn trinken, desto besser. Außerdem bin ich selber auf des Arabers Erzählung gespannt. Er hatte sich schon ordentlich einen kleinen Rausch angetrunken, und nur die Erinnerung an jene Zeit machte ihn im Nu wieder nüchtern.“ Er stieg, ohne sich weiter an Deck umzusehen, in die Kajüte hinab, wohin ihm die beiden Offiziere folgten. – Ben Ali saß noch dort, wie sie ihn verlassen. Die Pfeife war ihm sogar ausgegangen und er schien die Rückkunft der Männer gar nicht zu bemerken.

„Steward! he, Steward, andere Gläser!“ rief Moore aufs Deck zurück, als er seine Gäste eingeladen hatte, ihre Sitze wieder einzunehmen. „Und nun, Ben Ali, macht Euch Luft. Die Geschichte liegt Euch doch auf dem Herzen, und je eher Ihr sie herunterbringt, desto besser.“

Tschung-Ih selber brachte die Gläser und verließ augenblicklich die Kajüte wieder, während der Araber bei der Anrede rasch den Kopf erhob. Aber wie sich besinnend, hob er die Pfeife wieder zum Munde, zog daran, zündete sie dann langsam an einem auf dem Tisch stehenden Lichte an und sagte:

„Wohl habt Ihr Recht, Freund. Auf dem Herzen liegt mir jener Tag – und ich glaube, ich habe Ursache dazu. Doch die Erzählung ist kurz, und Euch die Zeit zu vertreiben, mögen die Bilder jener furchtbaren Stunden noch einmal an meinem inneren Blick vorübergleiten. Die Zeit, die alle Wunden heilt, hat sie überdies gemildert, und meine Worte werden die alte Kraft nicht mehr besitzen, sonst trieben sie Euch die Haare vor Entsetzen in die Höhe.“

„Alle Wetter“, meinte der Masters-Mate, der neugierig in das bleiche Antlitz des Muselmanns schaute, „Ihr redet ja, als ob Ihr ein Gespenst gesehen.“

„Ein Gespenst?“ rief Ben Ali, ihn wild anstarrend, „aber hört, hört und urteilt selbst.

„Ich kam damals“ – begann Ben Ali seine Erzählung – „gerade von Java zurück und zwar als Supercargo und Miteigentümer eines kleinen Schoners, den ein Landsmann von mir alt in Batavia gekauft. Der Gewinn, den wir aus der Reise bis Kanton machten, war nur ein geringer, denn von einem Typhon erfasst, litten wir Havarie und mussten viel Geld bezahlen, um unser kleines Fahrzeug wieder seetüchtig zu bekommen. Da hörte ich von dem versunkenen Schiff, das große Reichtümer an Bord haben solle, und dass der englische Bevollmächtigte in Kanton dem eine große Belohnung ausgesetzt habe, der das Gold und Silber aus der Kajüte desselben wieder zu Tage fördere. Ich selber war von Jugend auf ein trefflicher Schwimmer und noch besserer Taucher. Länger als irgendeiner meiner Kameraden konnte ich unter Wasser aushalten, und oft zum Scherz hatte ich schon bei nicht allzu tiefem Wasser vom Grund des Meeres hineingeworfene Gegenstände wieder heraufgeholt. Die Belohnung lockte mich deshalb, ich meldete mich, und da das Schiff in verhältnismäßig seichtem Wasser lag, fühlte ich mich ziemlich sicher, das einmal Unternommene auch durchzuführen.“

Moore hatte, während Ben Ali sprach, eine Zigarre aus der auf dem Tisch stehenden offenen Kiste und das Licht vom Tisch genommen, und trat damit in die Ecke, die Zigarre anzuzünden. Dort stand, von den Übrigen nicht bemerkt oder beachtet, ein Kompass, und ein einziger Blick darauf genügte dem Seemann, zu wissen, dass die Flut vorüber sei und die Ebbe beginne. Das Schiff fing an sich zu drehen.

Er setzte das Licht auf den Tisch zurück, nahm eine der Flaschen, löste den Kork und ließ ihn, ohne die Erzählung sonst zu unterbrechen, der Türe zu abknallen. Während er die Gläser vollschenkte, fuhr Ben Ali fort:

„Ein englisches Boot, mit allem Nötigen versehen, brachte mich zu der Stelle, wo wir noch die oberste Spiere des großen Mastes eben konnten über die Oberfläche ragen sehen. Es war ein wundervoller windstiller Tag zwischen den beiden Monsunen und die See so klar, dass man deutlich aus dem Boot heraus die Lage des Schiffes erkennen konnte. Die Engländer hatten außerdem eine Taucherglocke herbeigeschafft, in der ich bis auf das Deck des gesunkenen Fahrzeuges niedergelassen werden sollte, und in die ich zurückkehren konnte, um etwas Luft zu schöpfen. Unten vom Deck aus musste ich mir freilich meine Bahn in die Kajüte selber suchen, und wenn ich auch, der genauesten Beschreibung nach, ziemlich deutlich wusste, wo ich das Gold finden würde, blieb es doch immer ein böses und gefährliches Unternehmen, in die jedenfalls dunkle Kajüte hineinzukriechen. Ging mir der Atem dort aus und konnte ich nicht schnell genug wieder zurück, so war ich verloren. Außerdem hatte man mir schon vorher gesagt, dass ich im Innern wahrscheinlich noch einige Leichen finden würde, damit ich nicht, unten angelangt, erschrecken möge. Ein starker Sack, den ich bei mir trug und der an einer besonderen Leine hing, sollte, was ich fand, aufnehmen, um allein nach oben gezogen zu werden.

„Mit einem Gewicht beschwert und voll guten Mutes glitt ich also in die Tiefe, denn Gold ist ein trefflicher Magnet und zieht die Menschen in der Erde Schluchten, in der Wasser Tiefen, übers. Meer hinüber und durch Wüsteneien. Ich hatte vorher nicht gewusst, dass man auch in ein Grab danach steigen könne.“

„In ein Grab?“ wiederholte Bolard.

„Hören Sie“, sagte der Araber mit leiser, fast flüsternder Stimme. „Mit der Glocke wurde ich leicht aufs Deck und dicht neben den Eingang niedergelassen, der in die Kajüte führte. Hier schon versperrte mir ein toter Körper den Weg, der sich mit den Kleidern irgendwo eingehängt und, leicht geworden, oben an der Treppe schwamm. Ich überwand das Grausen, das mich beschlich, fasste und befreite ihn mit leichter Mühe, und die Leiche schoss, von dem Hindernis gelöst, wie ein Kork nach oben. Ich wandte den Kopf nicht danach um und stieg jetzt rasch die ziemlich breite, aber nicht tiefe Treppe nieder, um die mir kurz zugemessene Zeit nach Kräften zu benutzen. Nur mit großer Anstrengung öffnete ich hier gegen den Druck des darin liegenden Wassers die Tür und – stand zu Stein erstarrt, als mein Blick das düstere Zwielicht, das mich umgab, durchdrang und das Entsetzen fasste, das mir aus jedem Winkel, aus allen Ecken, von der Decke, vom Boden, unter dem Tisch vor und von den Fenstern her entgegengrinste.“

Er schwieg einen Augenblick und barg sein Antlitz in der rechten Hand, als ob er die Gedanken zurückdrängen wollte, die ihm aufs Neue das Blut rascher durch die Adern jagten. Endlich sah er wieder auf, leerte das vor ihm stehende und frisch eingeschenkte Glas mit einem Zug und fuhr langsam fort:

„Was ich sah, war furchtbar – die ganze Kajüte lebte von Leichen, die durch das Öffnen der Tür und die dadurch verursachte Strömung Bewegung erhalten hatten. Gleich vor mir unter dem Tisch und durch den Wasserdruck unter die Platte gedrückt, lag eine Frau, die wie Hilfe suchend den Kopf zu mir emporhob und mich mit den weitgeöffneten Augen anstierte. Andere, die sich im Todeskampf um die festgemachten Stühle geklammert, hatten noch jetzt ihren Griff nicht nachgelassen und bildeten wilde, furchtbare Gruppen, während das Grässlichste von allem dicht über mir, mein Gesicht fast mit den kalten Gliedern berührend, festgepresst unter der Decke hing. Eine Frau, ihr kleines Kind an sich gedrückt, und zwei Männer, der eine in Uniform, der andere in einem leichten indischen Anzug, schwebten förmlich unter der Decke der Kajüte – Kopf, Arme und Beine niederhängend – den einen Arm der Frau mit dem Kinde ausgenommen, und jetzt – langsam im Schlag des Wassers mit den angeschwollenen Gesichtern und stieren Augen auf mich nieder nickend. Mehr sah ich nicht – die Sinne schwanden mir, und ich weiß nur, dass ich im letzten Bewusstsein und mit der Kraft der Verzweiflung zurück durch die Tür, die Treppe hinauffuhr und mich nach oben, ins Licht – an die Luft arbeitete.

 

Halb ohnmächtig und von den Leuten im Boot anfangs nur für eine zweite Leiche gehalten, kam ich dort an, und es bedurfte einiger Zeit, bis ich mich dazu entschließen konnte, wieder hinab zu jener furchtbaren Gesellschaft zu tauchen. –

„Das zweite Mal wusste ich wenigstens, was mich erwartete, und als sich mir die geschwollenen Glieder dort entgegenschlenkerten, wandte ich nur schaudernd den Kopf ab und suchte nach dem Gold. Ich musste hierzu eine Kiste erbrechen, die in der Hauptkajüte stand. Die Werkzeuge hatte ich bei mir, aber länger, als ich dazu brauchte, konnte ich auch der Luft nicht entbehren und kehrte diesmal in die Taucherglocke zurück. Siebenmal drang ich solcher Art in die Kajüte ein und füllte endlich die Säcke, die, an dünnen, aber starken Tauen befestigt, auf mein Zeichen in das Boot gezogen wurden und den versenkten Schatz zu Tage förderten.

„Das achte Mal war ich, nachdem ich vorher auf einige Stunden an Bord zurückgekehrt und mich in der frischen Luft erholt und gestärkt hatte, wieder nach unten gegangen, um des Kapitäns Sekretär zu erbrechen, in dem sich noch eine Summe in spanischen Dollars befinden sollte. Wieder betrat ich, mit den Schrecken dort unten jetzt schon vollkommen vertraut, den düstern Raum. Ein Stuhl stand hier zwischen dem Sofa und der Kapitänskajüte geklemmt, den ich erst lüften musste. Ich tat das rasch, ohne mich weiter umzusehen, als plötzlich die eine auf dem Sofa liegende Frau, deren Kleider jener Stuhl bis dahin wahrscheinlich festgehalten, die Arme in die Höhe warf. Entsetzt drehte ich mich nach ihr um, da hob sie sich empor, und mit stier auf mich geheftetem Blick, die Arme vorgestreckt, als ob sie mich fassen und halten wollte, schoss sie auf mich zu.

„Das war zu viel für menschliche Nerven – das Blut drängte sich mir wie mit einem Schlage zum Herzen zurück, und das Gewicht, das ich in der Hand hielt, im Schreck fallen lassend, wollte ich der Tür zuspringen; dadurch aber leichter geworden, hob mich das Wasser unter die Decke zwischen die dort angepressten Leichen – wohin ich griff, erfasste ich tote aufgeschwemmte Körper, die sich alle nach mir zu drehen – mich nun zu greifen schienen. Ich fühlte dabei, dass mir die Luft ausging – sah mich schon im Geist verloren – tot zwischen diesen Entsetzlichen, ein Genosse ihrer furchtbaren Sippschaft, und nur die Verzweiflung, die mich erfasst hatte, stählte meine Nerven so weit, dass ich mit gewaltsamer Kraftanstrengung nach unten tauchen und die Tür gewinnen konnte.

„Ich war gerettet, aber keine Macht der Erde, keine Aussicht auf goldene Schätze hätte mich verlocken können, aufs Neue in das grässliche Schiff hinabzusteigen. Die Engländer boten mir die Hälfte des Silbers, das ich noch zu Tag bringen würde – sie versprachen mir –“

„Was war das?“ unterbrach da der Masters-Mate, von seinem Sitz aufspringend, die Erzählung.

„Es klang wie das Knarren einer Rahe“, sagte Bolard, rasch seinem Beispiel folgend, „das Schiff fängt an stärker zu schwanken.“

„Sie werden noch ein paar Segel beisetzen“, meinte Moore ruhig, indem er die Gläser wieder füllte. „Keiner der Herren ist doch, wie ich hoffen will, den Unfällen der Seekrankheit ausgesetzt?“

Bolard erwiderte nichts darauf. Mit zwei Sätzen war er oben an der Kajütentreppe, ohne jedoch von dem dort stehenden Malayen im Geringsten belästigt zu werden, und fand hier zu seinem Schrecken, dass die Dschunke, das große Mattensegel von dem Wind gebläht, in flüchtiger Schnelle durch die nur schwach gekräuselten Woge glitt.

„Verrat!“ schrie der junge Mann, indem er eine Pistole aus dem Gürtel riss und es in die Luft feuerte. „Verrat, wo ist die Signal-Laterne?“

„Die schwimmt an unserem alten Ankerplatz ruhig an einer Boje“, erwiderte ihm Moore, der ihm mit großer Kaltblütigkeit gefolgt war. „Ich fürchte fast, Sir, dass sie an Bord der Brig Ihr Zeichen nicht mehr hören werden.“

„Herr“, rief der junge Offizier in blinder Wut, „das ist nichtswürdig, das ist –“

„Halt, junger Mann“, unterbrach ihn aber mit ernster, drohender Stimme der Dschunkenführer, „das wäre genug gesagt, wenn – Sie nicht eben mein Gefangener wären. Für jetzt verzeihe ich Ihnen diesen ersten Ausbruch getäuschter Erwartung und vielleicht auch unangenehmen Staunens, und benachrichtige Sie nur, dass Sie, sobald Sie sich ordentlich und ruhig verhalten, nebst Ihrem Masters-Mate auf der „„ORANG MAKAN““ nichts für Ihre eigene Person zu fürchten haben. Alles Weitere hängt jedoch von Ihrem Verhalten ab.“

„Herr“, rief aber Bolard, durch die drohenden Worte nicht im Geringsten eingeschüchtert, „Sie vergessen, dass auf mein gegebenes Signal die Boote uns zu Hilfe eilen werden. Sie sind verloren, sobald diese nur in Rufes Nähe kommen.“

„Sie könnten Recht haben“, lachte Moore still vor sich hin, „vorausgesetzt nämlich, dass der Fall wirklich eintrete und Ihre Brig Licht genug hätte, die Boote mit Ihren Kanonen zu unterstützen. Für jetzt aber hat das wohl keine Gefahr. Sehen Sie die beiden Lichter dort in weiter Ferne? Das eine ist Ihre gedrohte Brig, und das andere mit etwas rötlichem Scheine, das rechts davon herüberblitzt, ist die Signal-Laterne, die wir so frei waren, etwas vorsichtig natürlich, auf das Wasser niederzulassen. Ha – jetzt verdunkelt es sich – da kommt es wieder vor – ein Boot ist zwischen ihm und uns durchgeschwommen, und wie es scheint, haben Ihre Freunde schon unsere kleine, unschuldige List entdeckt. Sehen Sie, dort blitzt es auch schon an Bord. Es ist wirklich grausam, die sanft schlafenden Behörden von Hongkong so ganz unnötiger Weise zu alarmieren.“

Der laut rollende Donner eines Kanonenschlages dröhnte, noch während er sprach, durch die Nacht – aber er kam aus weiter Ferne, während das mächtige Mattensegel, jetzt nicht mehr durch die Berge der windwärts gelegenen Insel behindert, das kleine, schlanke Fahrzeug mit flüchtiger Eile über die schäumende Flut dahinführte.

Bolard war Seemann genug, um mit einem Blick zu sehen, dass die Dschunke ihre Flucht, für diese Nacht wenigstens, glücklich bewerkstelligt habe, denn an eine Verfolgung in der Dunkelheit blieb immer ein entsetzlich zweifelhaftes Unternehmen. Lichtete die Brig auch wirklich ihre Anker und setzte Segel bei, was sie zweifellos tat, so machte ein einziger Strich, den sie verschieden in der Richtung steuerte, so großen Unterschied, dass mit Tagesanbruch die beiden Fahrzeuge weit aus Sicht und viele Meilen getrennt sein mussten. Alle Lichter an Bord der Dschunke waren sogleich gelöscht, oder doch so verhangen worden, dass sie nach außen hin nicht sichtbar blieben, und jede Minute vergrößerte die Entfernung zwischen ihr und ihren Feinden.

„Und was denken Sie mit uns zu tun?“ fragte Bolard endlich, die Zähne in maßlosem Grimm fest zusammengebissen – „wir sind in Ihrer Gewalt.“

„Als meine Gäste, versteht sich“, lachte Moore. „Vor allen Dingen haben wir noch Wein unten stehen, und Ben Ali ist uns den Schluss seiner Erzählung schuldig.“

„Ist das wie ein Gentleman gehandelt“, fragte Bolard scharf zurück, „des gefangenen Feindes noch zu spotten?“

„Sie haben Recht“, sagte Moore, plötzlich ernst werdend, „und ich bitte Sie deshalb um Verzeihung. Für jetzt“, fuhr er dann in eben dem Ton fort, „brauche ich Ihnen kaum auseinanderzusetzen, wie die Sachen stehen. Der Verdacht, den jene beiden chinesischen Herren gegen mich und mein wackeres Fahrzeug gefasst hatten, war allerdings begründet, und eine Untersuchung wäre mir nichts weniger als erwünscht gewesen, sie würde die braven Burschen, die Sie dort bis an die Zähne bewaffnet können stehen sehen, vielleicht gar vor der Zeit zu Tage gefördert und den Behörden bewiesen haben, dass meine kleine „ORANG MAKAN“ doch nicht so ganz harmlos sei, als er zu scheinen wünschte, und eher seinem Namen als seinem Äußeren entspreche. Dank dem gewöhnlichen schleppenden Geschäftsgange Ihres hierher verpflanzten europäischen Polizeisystems habe ich Zeit gewonnen, mich allen unangenehmen Auseinandersetzungen zu entziehen. Leider blieb mir dabei nichts anderes übrig, als Sie mit mir zu nehmen. Fügen Sie sich in das Unvermeidliche ruhig, und ich gebe Ihnen mein Wort, dass Sie hier unbelästigt an Bord bleiben sollen, bis ich Gelegenheit finde, Sie auf irgend ein friedliches Fahrzeug, oder irgendwo an Land abzusetzen. Es ist das Einzige, was Ihnen überhaupt zu tun übrig bleibt.“

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