Hell und Dunkel. Eine Gemsjagd in Tyrol.

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„Aber Sie meinen doch nicht im Ernst?" sagte der erstaunte Advocat.

„Gott bewahre!" lächelte der junge Mann. „Sie war früher an einen Commerzienrath in Berlin verheirathet und schnappte gerade zu der Zeit über, als der birmanische Gesandte durch Berlin nach London reiste. Jetzt bildet sie sich ein, er sei nur dorthin gekommen, um sie an den Hof des Großherrn zu holen. Ueber den Zustand der dortigen Seelen aber innigst betrübt, läuft sie nun fortwährend mit einer Liste herum, Beiträge zur Bekehrung der Heidenkinder in Birma zu sammeln - doch da kommt die Gräfin-Steuerräthin auf uns zu. Jetzt nehmen Sie sich zusammen."

„Aber, bester Franz, wo haben Sie die Zeit daher gesteckt?" sagte in diesem Augenblick die Steuerräthin, die, vollkommen ahnungslos über die ihr zugetheilte Würde, zu den beiden Männern trat. „Wie eine Stecknadel haben wir Sie überall gesucht und der Tanz soll beginnen."

„Erlauben Sie mir nur erst, hochgeehrte Frau," sagte Franz, „Ihnen einen Tänzer zuzuführen, der darauf brennt Ihre Bekanntschaft zu machen. Graf Hobelmann aus Pest."

Die Frau Steuerräthin knixte fast bis auf den Boden hinunter und Herr Hobelmann sah seinen Begleiter mit einem etwas dummen Blicke an. Dieser aber flüsterte der Dame mit den gelben Rosen zu: „Halten Sie ihn fest, Steuerräthin, ich glaube fast, Sie haben da eine ganz brillante Eroberung gemacht," und verschwand im nächsten Augenblick von ihrer Seite, seine Cousine Adele zu dem ersten, eben beginnenden Tanz zu führen.

Hier traf er auch schon das zweite Paar, seinen sehr glücklich lächelnden Reisegefährten mit Base Fränzchen am Arm.

Der junge Doctor schien in einem wahren Meer von Wonne zu schwimmen; er ging gar nicht, er schwebte ordentlich, und sein Antlitz strahlte von Vergnügen.

„Bester Kettenbrock," rief er, des Havanesen Hand ergreifend, „ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie dankbar ich Ihnen für diesen Abend bin - wie glücklich ich mich fühle -"

„Ist auch gar nicht nöthig," lachte Kettenbrock. „Ihr Gesicht verrätht das schon ohnedies. Aber Cousine Fränzchen scheint mir niedergeschlagen?"

„Ich?" sagte das junge Mädchen erstaunt, und ihr offenes Gesicht überflog ein leichtes Roth. „Du bist ein arger Spötter, Vetter Franz; aber im Nu wird Dir die Frau Commerzienräthin über den Hals kommen. Siehst Du, wie sie dort mit ihrem Subscriptionsbogen durch den Saal streicht?"

„Wie ein Habicht über ein Ackerfeld," lachte Franz, „und wehe den armen Opfern, auf die er niederfährt."

„Aber sie bringt sie nicht um —"

„Nein, sie zapft ihnen nur das Blut ab, um jene Klasse von Menschen mit dem Erbeuteten zu füttern, die in einem schwarzen Frack und weißer Halsbinde das passende Futteral für ihre unsterbliche Seele gefunden zu haben glauben."

„Pfui, Franz," rief die Cousine, „schäme Dich!"

„Etwa weil ich glaube, daß die Neger und Indianer keine wollenen Strümpfe brauchen?" gab der junge Mann zurück. „Aber wahrhaftig, sie hat es auf mich gemünzt," und ohne weiter ein Wort zu sagen, verließ er die Gruppe /40/ und ergriff Adelens Hand, den Tanz zu beginnen, dessen Tacte eben lustig vom Orchester herabschmetterten.

„Lieber Franz," sagte die rücksichtslos einschreitende Commerzienräthin, „in glücklichen Momenten des Lebens ist das Herz am mildthätigsten, am weichsten gestimmt -"

„Hat aber auch die wenigste Zeit," unterbrach sie der junge Mann und setzte sich mit seiner Dame in Bewegung. „Platz, oder der ganze Zug geht über Sie hin!"

„Aber nur einen Moment -"

Es half ihr nichts. Die Paare flogen an ihr vorüber.

Nur einer der Tänzer theilte das allgemeine Vergnügen so wenig, daß er sich lieber davon zurückgezogen hätte, wenn er dazu den Muth besessen, und das war Herr Hobelmann. Die überselige Frau Steuerräthin als wahnsinnige Gräfin im Arm, keuchte er mit triefender Stirn durch den Saal. Die Gräfin schien gar keine Lunge zu haben, und wenn er inne halten wollte, traf ihn ein so merkwürdiger Blick aus ihren Augen, daß er immer wieder auf's Neue die Zähne zusammenbiß und vorwärts arbeitete. Er durfte ja die Unglückliche nicht reizen. Endlich aber konnte er nicht mehr; seine Kräfte ließen nach, sein Kopf schwindelte, der ganze Saal drehte sich mit ihm im Kreis, und mit immer ängstlicheren Verbeugungen, die er seiner Tänzerin machte, taumelte er zu einem nahen Sitz, auf den er athemlos niedersank.

„Bravo! Bravo! vortrefflich!" flüsterte ihm Franz zu, „Sie tanzen ja mit einer Leidenschaft, mein guter Graf, daß Sie die jüngeren Leute ordentlich beschämen."

„Graf!" flüsterte da Etwas zur Seite, und als Franz den Kopf wandte, entdeckte er die Frau Commerzienräthin, die mit dem unerbittlichen weißen Bogen in der einen und einem schwarzen Bleistift in der andern Hand neben ihm stand, - „bitte, lieber Franz, stellen Sie mich dem Herrn Grafen vor."

„Mit dem größten Vergnügen," willigte in seinem Uebermuth der junge Havanese ein. „Meine Gnädigste, ich habe hier die Freude, Sie mit einem unserer leidenschaftlichsten und besten Tänzer, dem Grafen Hobelmann bekannt zu machen. Herr Graf, sehen Sie in dieser Dame die Mutter aller /41/ unchristlichen Waisen, die Königin und Wohlthäterin von Birma, wie von verschiedenen anderen heidnischen Länderstrichen."

„Sie Schmeichler," lächelte verschämt unter ihrer Schminke erröthend die Commerzienräthin. „Herr Graf, ich freue mich außerordentlich, diese ehrenvolle Bekanntschaft zu machen, und entschuldigen Sie nur, wenn ich gleich bei Ihnen mit einer Bitte erscheine, und so gewissermaßen mit der Thür in's Haus falle."

Sie trat dabei dicht auf Hobelmann zu, und dieser, in der Scheu, der Königin von Birma zu nahe zu kommen, erhob sich rasch von seinem Sessel, mit dem er beinahe umgefallen wäre.

„Sie ist vollkommen unschädlich," raunte ihm Franz zu, und die Dame, der die erschreckte Bewegung nicht entgehen konnte, sagte lächelnd:

„Fürchten Sie sich nicht, Herr Graf, es soll Ihnen nichts geschehen, nur Ihre Mildthätigkeit möchte ich in Anspruch nehmen, und zwar für die armen Heidenkinder in Birma, über deren Elend Sie mir wohl erlauben, Ihnen zugleich einige kleine Broschüren zu überreichen."

„Majestät sind zu gnädig!" stammelte der also Ueberraschte. Die Commerzienräthin aber, mit einem lächelnden Blick auf Franz den Titel acceptirend, hielt ihm das Papier vor und sagte bittend:

„Unterschreiben Sie, Herr Graf; bedenken Sie, daß Sie mit ein paar hier so heilvoll angelegten Louisd'oren unendlichen Segen wirken. Und wenn Sie auch nur eine Seele damit retten, so hätte sich das Capital ja tausendfach, millionenfach verzinst."

„Was soll ich denn thun?" wendete sich der geängstigte Hobelmann an den sich dicht zu ihm haltenden Franz.

„Unterschreiben Sie," rieth dieser leise, „sie wird sonst böse. Derartigen Leuten muß man scheinbar den Willen thun -"

„Aber wie viel?"

„Das bleibt sich ja gleich - unter zehn Louisd'or können Sie aber auf keinen Fall zeichnen. Wenn die Summe nur auf dem Papier steht, so ist die Dame vollkommen zufrieden." /42/

„Nun, nicht wahr, Sie sind so freundlich?" drängte noch einmal die Commerzienräthin.

„Wenn Sie befehlen, von Herzen gern!" sagte Herr Hobelmann, nahm den ihm gereichten Bleistift, und im nächsten Augenblick stand sein Autograph: G. Hobelmann mit der anscheinend unschuldigen Bemerkung: zehn Louisd'or auf dem Papier und vor den entzückten Blicken der Heidenbeschützerin. Im Ueberfließen ihres Dankes ergriff sie seine Hand.

„Großmüthiger, freigebiger Mann," rief sie, „dafür ermöglichen Sie vielleicht den Eintritt einer ganzen Familie in den Himmel. Nur um Ihre werthe Adresse dürfte ich wohl noch bitten."

„Die werde ich schon ausfüllen," mischte sich aber Franz Kettenbrock in das Gespräch und wehrte dadurch die Frau Commerzienräthin endlich ab. Brannte ihr doch auch schon der Boden unter den Füßen, auf neue Opfer zu stoßen und die unterschriebenen zehn Louisd'or im Triumph durch den Salon zu tragen. Herr Hobelmann aber, höchst erfreut so billig davongekommen zu sein, machte ihr eine tiefe, ehrfurchtsvolle Verbeugung, wie er es dem Rang einer Königin von Birma für angemessen hielt, und gewann sich dadurch ihr Herz vollkommen. Die Frau Steuerräthin dagegen rümpfte die Nase und war jetzt im Innern mehr als je davon überzeugt, - wenn es dazu überhaupt noch irgend eines Beweises bedurft hätte - daß die Commerzienräthin eine höchst durchtriebene und intriguante Person sei, vor der man sich entsetzlich in Acht nehmen müsse.

„Nun, wie gefällt Ihnen die Gesellschaft?" fragte Franz, als er sich mit Herrn Hobelmann einen Augenblick allein sah.

„Vortrefflich, mein junger Freund, ganz vortrefflich!" erwiderte der dicke Advocat, sich dabei den Schweiß von der Stirn trocknend; „ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie dankbar ich Ihnen dafür bin, mich hier eingeführt zu haben. So etwas bekommt man nicht alle Tage zu sehen. Die Königin von Birma zum Beispiel ist göttlich - ein wahres Charakterbild, einzig in ihrer Art! Aber sagen Sie mir einmal, wer ist denn der Herr, der da so finster zwischen den verschiedenen Gruppen herumgeht? Den mit der Brille /43/

mein' ich und dem großen Schnurrbart. Er hat etwas Militärisches."

„Das ist unser Hauptkrankenwärter," erwiderte Franz leise, denn der erwähnte Herr ging eben unfern von ihnen vorbei und warf dem Herrn Hobelmann einen scharfen, nicht besonders freundlichen Blick zu. „Hier in der Gesellschaft wird er zwar Herr Hauptmann titulirt, und die Kranken lassen ihn für ihres Gleichen gelten, außerdem hat er sie aber tüchtig unter der Fuchtel, und sie fürchten ihn, wenn er einmal ärgerlich wird und zwischen sie fährt. Doch da kommen noch ein paar unserer interessantesten Irrsinnigen, eine noch eben nicht bejahrte Dame in dem permanenten Alter der Zwanziger, ein Fräulein von Bomershausen, die, wenn ich nicht irre, ein Drama geschrieben hat, und vor der Aufführung aus Furcht vor dem Mißlingen desselben wahnsinnig geworden ist, und ein anderes gnädiges Fräulein von Losenbrett, ebenfalls eine Schriftstellerin, die wunderbarer Weise in ein französisches Attentat verwickelt zu sein glaubt und in jedem Fremden einen Spion fürchtet. In ihren lichten Augenblicken macht sie Gedichte, in ihrem ärgsten Parorysmus aber liest sie dieselben vor."

 

„Sie scheinen es ebenfalls auf uns abzusehen," sagte Herr Hobelmann.

„Im schlimmsten Fall fordern wir Beide zum Tanz auf," beruhigte ihn Franz; „die Musik wird im Augenblick wieder beginnen."

„Ich bin aber schon so müde, daß ich kaum noch aus den Füßen stehen kann," versicherte Herr Hobelmann.

„Das schadet nichts," entgegnete Franz. „Sie tanzen sich wieder munter. Ich empfehle Ihnen Fräulein von Losenbrett."

„Die Dame mit den entsetzlich langen Locken?"

„Bst - dieselbe - nicht so laut. Derartige Irrsinnige haben ein wunderbar scharfes Gehör und sind außerordentlich mißtrauisch."

Er hatte kaum ausgesprochen, als Fräulein von Losenbrett, von der man schon seit fünfzehn Jahren behauptete, /44/ daß sie eine höchst interessante Blondine sei, an ihn heranglitt, seinen Arm berührte und leise sagte:

„Lieber Kettenbrock, wer ist denn der dicke fremde Herr, den Sie uns da gebracht haben?"

„Ein Graf Mann, mein gnädiges Fräulein," antwortete Franz. „Nach seinem Erbgut Hobelmann genannt."

„Aber den Namen kenne ich gar nicht."

„Er ist aus dem fernen Ostpreußen und erst heute bei uns eingetroffen. Erlauben Sie, daß ich ihn vorstelle?"

„Gleich - erst noch eine Frage. Ich - ich habe zu Ihrer Rückkehr ein kleines Gedicht - eigentlich nur ein Epigramm, gemacht - denn Sie werden mir zugestehen, daß Sie keine Lyrik verdienen."

„Mein gnädiges Fräulein -"

„Still - ich möchte es Ihnen vorlesen - am liebsten Ihnen allein - in Begleitung einer Freundin natürlich - aber - wenn Sie Ihren Freund mitbringen wollen, habe ich nichts dagegen."

„Jetzt? meine Gnädige. - Der Tanz wird im Augenblick wieder beginnen und ich bin engagirt."

„In der nächsten Pause denn, unmittelbar nach dem Tanz. Drüben im kleinen Erker."

„Indessen," sagte jetzt Franz, und zwar wieder mit lauter Stimme, „erlauben Sie mir wohl, Ihnen meinen Freund, den Grafen Hobelmann, vorzustellen, - Fräulein Emma von Losenbrett - eine unserer gefeiertsten Dichterinnen."

Die Dame verneigte sich erröthend, und Hobelmann wollte sich ebenfalls mit einer tiefen und etwas steifen Verbeugung loskaufen. So billig sollte er aber nicht davonkommen, denn der boshafte Franz fuhr fort: „Er hat mich vorhin schon ersucht, Sie, meine Gnädige, in seinem Namen um diesen Tanz zu bitten."

Die Antwort war eine stumme, aber gestattende. Auch blieb nicht viel Zeit zu längerer Conversation, denn in demselben Augenblick begann die Musik auf's Neue, und Hobelmann war gleich darauf genöthigt, nach dem Tact eines rasend schnellen Galopps den Saal hinab- und wieder heraufzuwirbeln. /45/

Erschöpft und mit pochenden Adern machte er eben mit seiner Tänzerin eine kurze Pause, als ihn Jemand leicht auf die Schulter klopfte. Wie er sich rasch danach umdrehte, stand der Regierungsrath hinter ihm und sagte, lächelnd mit dem Finger drohend:

„Ei, ei, mein Bester - Sie thun, als wenn Sie nicht mehr tanzen könnten, und ich laufe mir die Beine ab, Ihnen einen Platz an einem Whist- oder Bostontisch zu verschaffen, indessen Sie wie ein Zephyr durch den Saal hüpfen."

„Bester Herr Obermedicinalrath!"

„Schon gut," lachte der alte Herr, - „kommt auf den Titel nicht an, und ist mir eine herzinnige Freude, Sie und Alle so aufgeräumt, so froh zu sehen. Wenn Sie nur -"

Herr Hobelmann hörte nichts weiter. Fräulein von Losenbrett hatte genug geruht, und sehr erfreut einen Tänzer gefunden zu haben, schleppte sie den vollständig erhitzten Advocaten unerbittlich wieder hinein in das wogende Meer der Wirbelnden.

„So!" sagte Herr Hobelmann, erschöpft nach Luft schnappend, als er endlich von seiner Dame frei geworden und todmatt auf einen Stuhl geflüchtet war, während Franz Kettenbrock, der seinen Gast nicht aus den Augen ließ, wieder zu ihm trat, „so, das glaub' ich! Für sich suchen Sie sich die hübschesten Mädchen aus, und mir hängen Sie die alten auf, damit sie mich durch ihre Tanzwuth ruiniren."

„Aber Fräulein von Losenbrett -"

„Daß die verrückt ist, will ich selber unterschreiben," stöhnte der durchaus Fertige, „denn was mir die für Unsinn in den paar Minuten vorgeschwatzt hat, das geht auf kein Buch groß Royalpapier. Ich sagte nur immer Ja, um sie nicht zu reizen."

„So kommen Sie jetzt mit in jenen Erker, daß wir uns ein wenig ausruhen," sagte Franz - „auch stehen dort Erfrischungen. Bleiben wir hier, so werden wir doch gleich

wieder zum Tanzen abgefaßt."

„Wohin?" rief Hobelmann erfreut. „Nur nicht wieder tanzen, sonst bin ich morgen früh ein todter Mann."

Er erschrak aber ordentlich, als ihnen am Eingang des /46/ kleinen Erkers anstatt einer Erfrischung die unvermeidliche Emma von Losenbrett, diesmal mit einem Heft Manuscript in der Hand, entgegentrat, und wollte sich rasch aus der Schlinge ziehen. Franz hielt aber sein Opfer fest, und die Dame sagte lächelnd:

„Das ist hübsch von Ihnen, daß Sie Wort halten. Jetzt nehmen Sie hier Platz, Louise wird uns Gesellschaft leisten. Ich habe mich unendlich auf diesen Augenblick gefreut."

„Mich entschuldigen Sie vielleicht," sagte Herr Hobelmann.

Franz aber warf ihm einen warnenden Blick zu, der ihn in den Erker hineintrieb. Als einmal der Vorhang hinter ihm gefallen, gab es kein Entrinnen. Hobelmann sowohl wie Franz kamen nicht eher von der Vorlesung los, als bis sie von der Commerzienräthin in ihrem Versteck aufgestöbert wurden.

„Zur Belohnung für Ihre Geduld gegen eine unserer gefährlichsten Kranken," tröstete Franz den Advocaten, der keine einzige vernünftige Stelle in allen den Versen des Fräuleins gefunden haben wollte, „zur Belohnung dafür werde ich Sie jetzt mit ein paar ganz harmlosen jungen Geschöpfen bekannt machen, die, vollkommen vernünftig in jeder andern Hinsicht, nur ein paar unbedeutende fixe Ideen haben."

„Mit Einer von diesen haben Sie vorhin getanzt?"

„Allerdings - und dort kommt die Andere. Die ist Ihnen doch hübsch und jung genug?"

„Ein allerliebstes Mädchen."

„Schön - wenn Sie sich bei ihr in Gunst setzen wollen, so bitten Sie sie nur um eine Prise."

„Sie schnupft?"

„Leidenschaftlich."

„Aber das ist doch nicht ihre Krankheit?"

„Nein - das arme Geschöpf, das kaum siebzehn Jahre zählen kann, bildet sich ein, daß es seit zehn Jahren verheiratet sei - an einen Mann, der nach Amerika gegangen und von dort in der nächsten Woche zurückkehren werde."

„Das ist sehr traurig," sagte Herr Hobelmann.

„Sie ist übrigens vollständig zurechnungsfähig, sobald man sie in diesem Wahn läßt," fuhr Franz Kettenbrock fort, /47/ „verfällt aber in die gefährlichsten Ausbrüche, sobald man ihr nur im Geringsten widerspricht."

„Dann wäre es mir am liebsten, Sie ließen mich ihr aus dem Weg gehen," meinte Herr Hobelmann.

„Sie haben nicht das Geringste zu besorgen," beruhigte ihn aber Franz; „so wie Sie sich nur angelegentlich nach dem Befinden ihres Gemahls erkundigen - von seinem Wohlsein mit ihr sprechen - ist sie überaus glücklich. - Fränzchen!" wandte er sich in diesem Augenblick an die herantretende Dame. „Hier habe ich das Vergnügen, Dir den Herrn Grafen Hobelmann vorzustellen, der Dich durch mich um den nächsten Walzer ersuchen läßt."

Hobelmann zupfte seinen Peiniger heimlich am Rock, denn er konnte vor Mattigkeit kaum noch die Füße vom Boden heben; aber es half ihm nichts, Base Fränzchen, in ihrer Gutmüthigkeit, neigte sich freundlich gegen ihn, und die einfallende Musik erlaubte kein weiteres Sträuben.

„Onkel hat uns schon mitgetheilt," sagte sie mit ihrer liebenswürdigen Freundlichkeit, während Franz etwas auf die Seite trat, „daß uns der Vetter einen werthen Besuch in Ihnen mitgebracht."

„Wie jammerschade um das liebe Wesen," dachte Hobelmann. „Sie sind sehr gütig, gnädige Frau," erwiderte er laut. „Haben Sie kürzlich Nachricht von Ihrem Herrn Gemahl erhalten?"

Fränzchen sah ihn erstaunt an, aber eben folgten sie dem ihnen zunächst vorantanzenden Paare. Sie begnügte sich daher, mit einem tiefen Erröthen zu fragen:

„Meinem Gemahl?"

„Ich weiß, daß er lange in Amerika ist," keuchte Herr Hobelmann. „Und jetzt auf dem Rückwege zu Ihnen."

„Für wie alt halten Sie mich?" lächelte ihn da Fränzchen so schelmisch an, daß Herr Hobelmann seine Geistesgegenwart vollends verlor und verlegen stammelte:

„Sie entschuldigen, gnädige Frau - aber - ich - ich weiß wirklich nicht. Sie - scheinen sich ausgezeichnet conservirt zu haben."

Fränzchen sah ihn erstaunt an - aber ein plötzlicher Ge/48/danke zuckte ihr durch den Sinn, und ihr Auge suchte den Vetter Franz. Dieser unterhielt sich aber gerade auf das Angelegentlichste mit einer andern jungen Dame seiner Bekanntschaft und trat mir ihr ebenfalls zum Tanze an. Auf das Paar, zu welchem Hobelmann gehörte, schien er gar nicht weiter zu achten.

Bei der ersten Pause, die er machte, hatte Fränzchen den Havanesen eingeholt. „Was für einen Menschen hast Du uns denn da zugeführt?"

„Ich?" erwiderte Franz gelassen, „meinst Du den Grafen?"

„Entweder ist er verrückt, oder ich - sehe aus wie eine Matrone von vierzig Jahren!" rief das Mädchen und wurde gluthroth bei den Worten.

„Matrone von vierzig Jahren, mein schönes Bäschen, ist ein Unding und existirt gar nicht auf der Welt," lachte Franz , als Antwort. „Ueberhaupt giebt es keine Damen in den vierziger Jahren, ausgenommen in den niederen Ständen; höchstens Damen von zweiunddreißig bis vierunddreißig Jahren, und dann ganz alte, würdige Matronen hoch in den Fünfzigen."

„Du bist boshaft, Vetter," sagte Fränzchen und warf einen scheuen Blick nach ihrem Tänzer hinüber, der eine kurze Strecke von ihnen entfernt stand und sich mit der Hoffnung schmeichelte, daß ihn seine Tänzerin verlassen habe und nicht wiederkehren würde.

„Aber er tanzt vortrefflich, nicht wahr?" sagte Franz.

„Wie ein Mehlsack. Zweimal hat er mich schon aus die Füße getreten," sagte Fränzchen. „Wenn ich den Walzer mit ihm aushalte, ist das nur ein Opfer, das ich Deinem Ehrentage bringe."

„Aber, bestes Bäschen - ich muß jetzt fort - nachher ein Weiteres."

In der Ecke des Saales stand der Hauptmann Stimbeck mit dem alten Regierungsrath Kettenbrock zusammen.

„Sagen Sie mir einmal, Regierungsrath, was ist denn das für ein wunderlicher Kauz, den uns Ihr Neffe heut Abend mitgebracht hat?" /49/

„Ja, ich kenne ihn selber nicht recht, ein Herr Hobelmaus, oder Hobelmann, glaub' ich -"

„Herr Hobelmann?" brummte der Hauptmann, „die alte Steuerräthin schwärmt ja von einem liebenswürdigen Grafen mit dem sie getanzt haben will."

„Ein Graf?" sagte der Regierungsrath. „Dann müßte ich das in der Eile des Vorstellens überhört haben."

„Und was für ein confiscirtes Gesicht der Kerl hat!" fuhr der Hauptmann fort, indem er dem Tanzenden mit den Augen folgte, „und wie er die kurzen Beine schleppt. Wenn das ein Graf ist, fress' ich ihn bei lebendigem Leibe" - und verächtlich die Lippen emporwerfend, drehte sich der Hauptmann ab und ging mit diesem kannibalischen Vorsatz nach der andern Seite des Saales hinüber.

Dort suchte Franz eben einen Zwist zwischen Herrn Hobelmann und dem jungen Doctor Helmerdiek zu schlichten. Denn der Arzt hatte sich an's Ohr Hobelmann's gedrängt und flüsterte dem Advocaten zu: „Herr, Sie sind ein unverschämter Mensch, wenn Sie sich mit Damen solche Scherze erlauben können. Wenn Sie Ehrgefühl im Leibe haben, so stehen Sie mir Rede."

Franz deutete dem Advocaten an, daß er es mit einem schwer Kranken zu thun habe, und faßte den gereizten Doctor ohne Weiteres unter den Arm, um ihn mit Gewalt in ein benachbartes Cabinet zu ziehen.

„Was fällt Ihnen denn ein, lieber Kamerad," sagte er hier, „mit dem alten Herrn da Streit anzufangen? Was hatten Sie nur ihm?"

„Ich? gar nichts-“, sagte Helmerdiek, etwas verlegen, „aber er verlangte von Ihrer Cousine, Fräulein Franziska - "

„Nun? - was denn?" und der junge Kettenbrock horchte gespannt auf.

 

„Es ist zu unsinnig,“ rief Helmerdiek, etwas verlegen, „und man könnte wahrhaftig darüber lachen, wenn es die junge Dame nicht gar zu sehr in Verlegenheit gebracht hätte.“

„Aber was um Gottes willen verlangte er denn nur?“

„Eine Prise.“ /50/

„Aber, bester Helmerdiek, das ist ja viel zu komisch, um sich darüber zu ärgern."

„Ich sage Ihnen, Kettenbrock, das ist ein ganz grober, ungeschliffener Mensch. Sehen Sie nur, jetzt hat er da drüben auch schon Streit mit der Steuerräthin bekommen."

Franz antwortete nicht, denn er gewahrte mit einem Blick, daß seine Gegenwart an der bezeichneten Stelle dringend nöthig sei. Ohne einen Moment Zeit zu verlieren, eilte er auf den wieder in irgend eine Klemme gerathenen Hobelmann zu, nahm ihn, während ihm die Frau Steuerräthin entrüstet und verächtlich den Rücken wandte, unter den Arm und führte ihn ein wenig aus dem Weg.

„Aber was um Gottes willen haben Sie denn nun schon wieder angefangen?" sagte er dabei leise; „ich hatte Sie doch so dringend gewarnt, mit den Leuten vorsichtig umzugehen."

„Diesmal war ich allerdings schuld," sagte Herr Hobelmann etwas bestürzt. „Ich glaube wenigstens, ich habe ein Versehen begangen. Jene ungarische Gräfin kam auf mich zu, von der Sie mir sagten, daß sie mit einem Steuerrath durchgegangen sei. In Gedanken verwechselte ich aber den Steuerrath mit dem Grafen, und um doch etwas zu sagen, machte ich einige Andeutungen auf die Liebschaft mit einem Grafen, was sie entsetzlich übel zu nehmen schien. Sie kamen gerade zur rechten Zeit dazu."

„Aber, bester Herr Hobelmann," sagte Franz, der mit aller Gewalt an sich halten mußte, sein Lachen zu verbeißen, „das hätte sehr unglücklich ablaufen können."

„Allerdings," erwiderte der Advocat und warf einen verstohlenen Blick über seine Schulter. - „Vorhin nahm mir auch schon eins der männlichen Individuen etwas übel - derartige Leute sind ja entsetzlich reizbar. Sie kamen zum Glück dazwischen. Aber wer war der junge, ganz elegant gekleidete Mann? Und was ist er?"

„Der? Das ist, wie ich Ihnen schon andeutete, einer unserer unbändigsten Kranken, wenn er einmal losbricht," erwiderte Franz, während Herr Hobelmann auf Helmerdiek zeigte. „Sie werden auch bemerken, daß sich zwei der sogenannten Bedienten stets in seiner Nähe befinden. Halten Sie sich lieber entfernt von ihm."

„Er steht mich noch fortwährend finster an," sagte Herr Hobelmann, den das beunruhigte.

„Es fällt gar nicht so selten vor," meinte Kettenbrock, „daß ein solcher Patient gegen irgend ein ihm ausstoßendes fremdes Gesicht plötzlich einen Widerwillen zeigt, und geschieht das, so müssen wir solche, ihren kranken Geist erregende Elemente allerdings sogleich entfernen. Im vorigen Jahr stürzte sich ein ähnlicher Kranker trotz aller Aufsicht auf einen Fremden, der ihm nicht das Mindeste zu Leide gethan, und ehe wir zu Hülfe springen konnten, hatte er ihm die Halsader durchgebissen."

„Es ist entsetzlich!" sagte Herr Hobelmann und fing an, sich nicht mehr recht geheuer zu fühlen.

„Franz - auf ein Wort," zürnte in diesem Augenblick die Frau Steuerräthin, die gerade wieder vorüberrauschte - „ich habe Ihnen etwas Wichtiges zu sagen."

„Ich stehe im Moment zu Diensten'" versetzte der junge Mann.

„Wissen Sie was, mein bester Doctor," bemerkte Herr Hobelmann - „ich denke, ich werde mich jetzt lieber wieder entfernen. Ich habe Ihre Zeit eigentlich schon zu lange in Anspruch genommen, und es wird spät."

„Mein bester Herr Hobelmann, es war mir eine große Freude, Ihnen gefällig gewesen zu sein, aber - wenn Sie nicht länger bleiben wollen - das Souper muß übrigens gleich beginnen."

„Ich danke Ihnen sehr. Apropos - Sie entschuldigen jedenfalls die Frage - ist hier - ist hier vielleicht irgend Jemand von den Leuten, dem man ein Trinkgeld -"

„Das ist nicht nöthig," sagte Franz, dessen muthwilliger Blick gerade aus den unfern der Thür stehenden Hauptmann fiel, „wenn Sie aber Jemandem eine Kleinigkeit geben wollen, so ist das der Krankenwärter dort, der da drüben an der Thür steht."

„Ah, der Mann mit dem großen Schnurrbart?"

„Derselbe." /52/

„Ich bin Ihnen verbunden. Wie aber werde ich mich jetzt am besten nach Hause finden? Droschken sind doch jetzt nicht mehr zu finden."

„Nein, aber ich habe dafür gesorgt. Der Diener dort in der Scharlachweste wird Sie begleiten, damit Sie nicht irre gehen."

„Ah, nur bis auf den Markt, dann finde ich meinen Weg schon allein."

„So wie Sie in die Ihnen bekannte Gegend kommen, können Sie ihn zurückschicken."

„Und Ihrem Herrn Onkel, dem Herrn Obermedicinalrath, bitte ich mich bestens zu empfehlen. Er wird jetzt beschäftigt sein, und ich möchte ihn nicht stören."

„Ich werde es übernehmen, mein werther Herr Hobelmann. Bitte, gehen Sie nach dieser Seite herüber; da drüben kommt der junge Kranke wieder, der, wie es scheint, die Idiosynkrasie wider Sie hat, und ich möchte daher nicht gern, daß Sie ihm begegneten."

„Wünsche einen recht angenehmen Abend," sagte Herr Hobelmann rasch, der Anordnung aus das Bereitwilligste Folge leistend, und von dem Bedienten - dem Kutscher des Regierungsrathes, den Franz schon vorher genau instruirt hatte - begleitet, arbeitete sich der Advocat, sehr zum Erstaunen der Gäste, äußerst rücksichtslos auf den Hauptmann zu. Er war ja im Begriff fortzugehen und dicht an der Treppe, was brauchte er also mit den „Verrückten", für die er doch die ganze Gesellschaft hielt, noch viel Umstände zu machen.

Mit einigem Erstaunen sah ihn Hauptmann von Stimbeck so gerade auf sich zukommen. Sollte der Fremde etwa eine oder die andere der Bemerkungen gehört haben, die er vorher ziemlich laut über ihn gemacht? - Was that's denn? Er mochte ihn zur Rede stellen, desto besser - an kurzer, derber Antwort sollt' es nicht fehlen. Herr Hobelmann kam näher. Jetzt war er nur noch zwei Schritt entfernt - er bog weder rechts noch links aus - jetzt noch einen - der Hauptmann maß ihn trotzig mit den Augen - jetzt streckte er den Arm aus, und Hauptmann von Stimbeck fühlte, wie ihm etwas /53/ Papiernes in die Hand gedrückt wurde. - War das die Karte seines vermeintlichen Gegners? - und das „confiscirte Gesicht" nickte dazu so gnädig. Im nächsten Augenblick war Hobelmann durch die Thür verschwunden, während Stimbeck seine Hand gegen eine der nächsten Lampen öffnete.

„Tod und Teufel!" knirschte er dabei zwischen den zusammengebissenen Zähnen - „ob mir der Schuft nicht einen Kassenschein in die Hand gedrückt, als ob ich ein Bedienter wäre -" und in aufloderndem Jähzorn wollte er dem unglücklichen Manne nach. Hier aber vertrat ihm Franz den Weg, und seine Hand ergreifend, bat er dringend:

„Ich ersuche Sie um Gottes willen, lieber Hauptmann, machen Sie hier keine Scene. Der alte Herr war so fidel und hat so viel getanzt, daß ihm der starke Wein, den er gleich darauf getrunken, wohl ein wenig in den Kopf gestiegen ist. Ich wies ihn an den Bedienten, der hinter Ihnen stand, um seinen Ueberzieher von dem zu fordern, und wahrscheinlich hat er gar nicht mehr gesehen, wen er vor sich hatte, und war nur froh, daß er die Thür erreichte."

„Ich werde es ihm anstreichen," brummte der Hauptmauer in den Bart hinein. „Wo wohnt der Mensch?"

"Ich sage Ihnen später seine Adresse. Lasten Sie ihn wenigstens erst ausschlafen. Außerdem hat Sie mein Onkel schon überall gesucht - Sie sollen einen Hochheimer Ausbruch mit ihm probiren."

„Alle Wetter, da steh' ich zu Diensten! Aber ich kann das Geld doch nicht behalten? Wenn ich dem Tölpel seinen Thalerschein nur gleich in's Gesicht geworfen hätte."

„Der Hochheimer Ausbruch wartet. Geben Sie das Geld dem ersten besten Diener, dem Sie begegnen."

„Nein - verdammt," sagte der Hauptmann, indem er es in die Westentasche steckte, „daß der Bursche am Ende noch glaubte, ich hätte es behalten? Das soll er mit gehörigem Protest zurückbekommen. Wie sind Sie nur an das Ungethüm gerathen, Kettenbrock? So viel ich weiß, haben Sie ihn uns doch heut Abend zugeführt."