Hell und Dunkel. Eine Gemsjagd in Tyrol.

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„Wirklich?" lachte Franz.

„Das scheint mir ein sonderbarer Kauz zu sein. Wo hast Du ihn denn eigentlich kennen lernen?"

„Ich, lieber Onkel? - ich kannte ihn gar nicht."

„Gar nicht? - Du hast ihn doch bei uns eingeführt." /70/

Franz lachte. „Und der Doctor hat sich auch über ihn beklagt?"

„Er war wüthend auf ihn, wollte aber nicht recht mit der Sprache heraus. Ich glaube, der Fremde hat Fränzchen mit Etwas beleidigt."

„Mein Freund aus dem Nicht-Rauchcoupé scheint sich sehr für mein Bäschen zu interesstren, daß er ihre Partei so blindlings nimmt," bemerkte Franz, während er seiner Cousine einen Seitenblick zuwarf.

Die beiden jungen Mädchen hatten sich, als Herr Hobelmann erwähnt wurde, angesehen und gelacht. Des Vetters Worte trieben aber das Blut blitzesschnell in Fränzchen's Wangen.

„Vetter," rief sie aus - „ich hätte eigentlich Ursache auf Dich böse zu sein, daß Du uns den fatalen Fremden in's Haus gebracht."

„Um von etwas Anderem zu reden, nicht wahr?" lachte Franz; „wenn ich es aber nun gethan hätte, um meine Revanche des Empfanges wegen zu nehmen?"

„Das ist er wahrhaftig im Stande gewesen!" rief Adele rasch. „Jetzt aber möcht' ich nur wissen, Franz, was Du dem Mann für Geschichten von uns weisgemacht hast. Mich hat dieser Hobelmann gedauert; denn er rannte dermaßen gegen Alle an, daß er zuletzt Hals über Kopf davonlief."

„Und dem Hauptmann ein Trinkgeld in die Hand drückte," lachte Fränzchen. „Aufrichtig jetzt gestanden, Vetter, was es mit dem räthselhaften Gast für eine Bewandtniß hat."

„Wenn Ihr mir Euer Versprechen gebt, daß Niemand außer Euch ein Sterbenswörtchen davon erfährt."

„Gewiß - keine Silbe," betheuerten hastig die beiden Mädchen.

„Hui, wie hitzig, wo es eine pikante Neuigkeit giebt! - aber ich habe noch eine Bedingung zu stellen."

„Und die ist?"

„Daß Sie mir, lieber Onkel, wie meine beiden schönen Bäschen, was ich auch immer zu berichten hätte, nicht böse werden wollen."

„Gewiß nicht," sagten beide junge Damen, und der alte /71/ Herr meinte: „Nun sehe ein Mensch die Vorsichtsmaßregeln! Der Junge muß ein bitterböses Gewissen haben."

„Das hat er auch, Onkelchen," sagte Franz, „und nur durch eine vollständige Beichte läßt sich das Alles wieder gut machen. Dazu kommen Sie aber in's Nebenzimmer, wohin, wie ich sehe, der Kaffee schon gebracht ist. Hier draußen könnte Jemand horchen, und der Gefahr möchte ich mich nicht aussetzen."

Der Regierungsrath schüttelte den Kopf, die beiden jungen Mädchen waren aber schon vorausgesprungen und schenkten den Kaffee ein, und Franz schloß und verriegelte hinter sich die Thür.

Eine Viertelstunde später kam die Frau Steuerräthin und wollte den Herrn Regierungsrath und die Damen sprechen. Der Diener sagte aber, daß sie sich beim Kaffee eingeschlossen und da drinnen entsetzlich gelacht hätten. Das natürlich war kein Grund, sich abweisen zu lassen, und die Frau Steuerräthin, jetzt mehr als je entschlossen zu erfahren, was da so merkwürdig Komisches vorgefallen sei, schickte den Diener hinein sie anzumelden und zu bestellen, daß sie ihnen eine wichtige Mittheilung zu machen habe.

Wenige Minuten später wurde die Thür geöffnet, und der Regierungsrath, mit einem dicken rothen Kopf, Thränen noch vom vielen Lachen in den Augen, begrüßte die Frau Steuerräthin mit dem ernsthaftesten Gesicht von der Welt.

„Was ist denn vorgefallen?" rief diese aber gleich - „was haben Sie denn Alle? Sie sehen ja so echauffirt aus. Worüber haben Sie denn so entsetzlich gelacht?"

„Oh, der Vetter hat uns ein paar so spaßhafte Anekdoten erzählt!" sagte Fränzchen rasch gefaßt.

„Dann will ich Ihnen auch etwas Komisches erzählen," nef die Frau Steuerräthin, der ihr Geheimniß auf der Seele brannte. „Wissen Sie etwas Neues?"

„Ist etwas vorgefallen?" riefen die beiden Mädchen

„Vorgefallen? Ach sollte meinen," sagte triumphirend die alte Dame, „und es betrifft noch dazu Ihren Freund, Herr /72/ Franz, den Grafen, für dessen Bekanntschaft wir Ihnen Alle zweifelsohne sehr dankbar sind."

„Aber ich begreife gar nicht -"

„Wissen Sie, was er mir gestern Nachmittag angethan hat?"

„Ihnen, beste Frau?" sagte Franz anscheinend mit großer Theilnahme.

„So will ich es Ihnen sagen. Einen Polizeidiener hat er mir nachgeschickt - einen wirklichen Polizeidiener, der mir auf Schritt und Tritt um die ganze Stadt nachgegangen ist, und wie ich endlich mein eigenes Haus betreten habe, ist der unten zu den Leuten hineingegangen und hat sich erkundigt, wer ich wäre, ob ich da wohne und ob ich - denken Sie sich diese Scheußlichkeit - ob es mit mir hier richtig wäre" - und die Frau Steuerräthin deutete dabei in größter Entrüstung auf ihre Stirn.

„Aber das ist ja doch gar nicht möglich!" rief Franz, der kaum seine Fassung bewahren konnte. Der Regierungsrath war aber nicht im Stande an sich zu halten. Erst wurde sein Gesicht immer röther und dicker und die Augen traten ihm aus dem Kopf, endlich aber litt es ihn nicht länger und er platzte geradeheraus, während die Frau Steuerräthin ärgerlich sagte:

„Ja, Sie haben gut lachen, aber wissen Sie denn, daß wir Alle in großer Gefahr gewesen sind -"

„Gefahr? wie so?" frug Franz, auf die Erklärung gespannt.

„Der Mensch war verrückt!" sagte die Frau Steuerräthin.

„Der Graf Hobelmann?"

„Erstens war es gar kein Graf," rief die Dame mit Schadenfreude, „sondern ein ganz gewöhnlicher Advocat Hobelmann aus Schlesien - ich habe Alles herausbekommen - und Sie, Herr Franz, ließen sich von einem plumpen Betrüger dupiren. Daß aber auch in seinem Gehirn nicht Alles in Ordnung sei, habe ich ihm den Augenblick angesehen."

„In der That?" sagte der Regierungsrath und trocknete /73/ sich die Thränen aus den Augen; „aber wissen Sie das auch bestimmt, Frau Steuerräthin?"

„Wissen? - gestern Abend noch spät ist er plötzlich von ein paar Leuten - wahrscheinlich den Aufsehern einer Irrenanstalt, abgeholt und auf die Eisenbahn geschafft worden," sagte mit gemessener Stimme die Dame, und sah sich dabei rings im Kreise um, um das Erstaunen über diese Nachricht einzuernten.

„Er ist fort?" rief aber auch Franz Kettenbrock, von dieser Neuigkeit in der That ganz angenehm überrascht.

„Gestern Abend mit dem Schnellzug - eben habe ich es aus ganz sicherer Quelle erfahren - und zwar fortgebracht unter Begleitung."

„Aber, beste Frau Steuerräthin," sagte Franz mit vorwurfsvoller Stimme - „wenn der arme Mann mit einem so unseligen Leiden behaftet war, sollten wir doch eigentlich eher Mitleiden mit ihm haben."

„Mitleiden - wie so?" rief aber die Dame, „und glauben Sie etwa, daß er der Commerzienräthin das unterschriebene Geld gegeben hat? - Gott bewahre; reine Großprahlerei war es - die reine, blanke Großprahlerei!"

„Die armen Heiden in Birma werden sich jetzt ohne wollene Socken behelfen müssen," sagte der Regierungsrath.

„Das schmerzt mich eigentlich am wenigsten," meinte die Frau Steuerräthin, indem sie ihren Sonnenschirm wieder aufgriff.

„Sie wollen schon fort?" frug Adele.

„Ich habe noch etwas bei Fräulein von Losenbrett zu besorgen," erwiderte die Dame, die fest entschlossen war, die Neuigkeit eigenhändig bei allen Betreffenden herumzutragen. Sie ließ sich auch nicht einmal durch das Anerbieten einer Tasse Kaffee halten, und brach gleich darauf auf, ihren Rückmarsch anzutreten. Der Regierungsrath wandte sich aber, als sie fort war, an seinen Neffen und sagte, mit dem Finger drohend:

„Den bist Du diesmal zur rechten Zeit los geworden, mein Junge. Wenn ich Dir aber rathen soll, so mach' Du /74/ mich nicht wieder zum Obermedicinalrath, - und wenn es nur der gesundheitsschädlichen Folgen wegen wäre."

„Wenn ich Ihnen nun aber den jungen Doctor Helmerdiek zum Famulus gäbe?" lachte Franz, mit einem Blick auf die erröthende Cousine.

„Den," sagte der alte Herr mit freundlichem Ernst, „will ich doch lieber noch etwas genauer kennen lernen. Denn diesen Famulus möchten wir nicht wieder so leicht los werden, wie den Herrn Grafen Hobelmann."

*

Jetzt sind acht Jahre seit jener Zeit verflossen, und in der zweiten Etage desselben Hauses mit dem Regierungsrath wohnt der Herr Medicinalrath Helmerdiek, und nennt den alten Herrn „Schwiegerpapa". Franz aber ist ebenfalls nicht, wie es früher seine Absicht war, nach Havana zurückgekehrt, sondern hat das Eckhaus der Kreuzgasse und Neuen Straße an sich gekauft, und zwar mit den beiden Häusern rechts und links, in denen einst der Kupfer- und Blechschmied hämmerte, und seine kleine Frau, Adele, behauptet, daß es sich dort vorzüglich wohnen lasse. - Vom „Grafen Hobelmann" haben sie aber nie wieder ein Wort gehört.

Die Flucht über die Cordilleren

Es war im September 1845, daß die vereinigten Geschwader von England und Frankreich die argentinische Flotte auf dem La Plata, von Admiral Brown, einem Irländer, commandirt, wegnahmen und den Hafen von Buenos-Ayres blokirten. Ja sie landeten sogar Truppen, eroberten die von dem argentinischen General besetzten kleinen Häfen, wie die für die Schifffahrt der argentinischen Binnenwasser so wichtige kleine Insel Martin Garcia und setzten damit dem Einfluß des Dictators Rosas, wenn auch nur für kurze Zeit, einen entschiedenen Damm entgegen.

Rosas wüthete und drohte gleich darauf durch ein Decret, seine Gegner als Seeräuber behandeln zu wollen, und hätte er damals die Macht in Händen gehabt, seine Feinde würden bös gefahren sein. So aber fürchtete er doch noch immer das entschiedene Auftreten der beiden vereinigten Mächte, und mußte sich begnügen, seiner Rache gegen Einzelne freien Lauf zu lassen, die seinen Gesetzen zuwider handelten und ihnen anheimfielen.

 

Die rücksichtsloseste Strenge, ja Grausamkeit wurde aber gegen Solche angewandt, die wirklich mit den Feinden der Föderalisten, den Unitariern, in geheimer Verbindung gestanden, ja auf die nur der Verdacht eines solchen Bündnisses fiel. Das war die Schreckenszeit, in welcher die abgesandten Henkersknechte des Dictators, die mashorqueros, besonders in Buenos-Ayres selber durch die Stadt zogen, die bezeichneten /78/ Häuser besetzten und den verdächtig gewordenen Opfern - wer hätte sie alle verhören können - oft in der Mitte ihrer eigenen Familien, die Kehlen durchschnitten. Dann brannten sie vor dem Hause eine Rakete ab, als Zeichen, daß die Polizei die Leiche abholen könne.

Das war die Zeit, wo das Gitter des großen Obelisken auf dem Victoria-Platz allnächtlich, ja am hellen Tage seinen furchtbaren Schmuck von abgeschlagenen Köpfen trug; das die Zeit, wo das Herz des treuesten Anhängers Rosas' selbst vor Entsetzen aufhörte zu schlagen, wenn man ein Klopfen an der Hausthür vernahm, denn Niemand war sicher, und jener furchtbare Mann des Blutes, der aber auch nur auf solche Art im Stande war, sich das Land zu unterwerfen und die wilden Gaucho-Horden in Furcht und Ordnung zu halten, mähte förmlich in den Reihen seiner Feinde.2

Aber nicht allein in Buenos-Ayres selber, sondern auch im innern Lande lebten ihm Feinde, und besonders stand die Provinz Mendoza in dem Verdacht, den „asquerosos, inmundos Unitarios" nur zu geneigt zu sein. Mendoza aber, am Fuß der Kordilleren, lag zu weit ab von dem wirklichen Schauplatz des Krieges, um die Einwohner dort eben so streng unter Aufsicht, eben so erfolgreich in Schrecken zu halten als die Küstenstriche; und wenn auch dort die föderalistische Polizei, von den wilden Gaucho-Soldaten unterstützt, das Land der Regierung des Dictators gehorsam hielt, waren es doch besonders die Fremden, die jetzt, darauf fußend, daß ihre Landsleute mit offenen Schießluken die Hauptstadt des Landes eingeschlossen hielten und bedrohten, ziemlich offen sich aussprachen über eine Regierung, die „genug Blut vergossen habe, um einen Dreidecker flott zu halten", und allen Gesetzen der „Civilisation und Menschenrechte" Hohn spräche.

Ein junger, erst seit Kurzem mit einer Mendozanerin verheirateter Engländer, Namens Ellington, dessen Vater durch eine der Maßregeln des Dictators fast sein ganzes Vermögen eingebüßt, eiferte besonders gegen diese Zustünde und trotzte /79/ dabei auf die Kriegsfahrzeuge seiner Landsleute, unter deren Schutz er sein Leben wähnte. Vergebens bat ihn selbst sein Vater, bat ihn sein junges Weib, seine Zunge zu wahren; offen schon hatte er sich gegen oft nur zweideutige Freunde ausgesprochen, daß gerade vom Westen aus die Bevölkerung nach der Seeküste vorpressen müsse, um einem Zustand der Willkür ein Ende zu machen, der unerträglich würde; ja er verbarg mehrere flüchtige Unitarios in seinem Hause und weigerte sich, der argentinischen Polizei den Zutritt zu gestatten, bis er Mittel gefunden die Verfolgten zu retten.

Allerdings hatte ihn bis jetzt nur noch seine Nationalität vor der Rache des beleidigten Dictators geschützt; aber dem mächtigen Gaucho-Häuptling standen auch andere Mittel zu Gebote, seine Feinde unschädlich zu machen, als allein öffentliches Gerichtsverfahren, und über Mr. Ellington's Haupt zog sich ein Gewitter zusammen, das ihn in kurzer Zeit zu erreichen und - zu vernichten drohte. - Nichtsdestoweniger blieb er blind gegen die dringendsten Warnungen seiner wenigen wirklichen Freunde, denn nur Wenige wagten noch in der That, sich öffentlich seine Freunde zu nennen.

So rückte der Juni 1846 heran, und Ellington, nur noch kühner gemacht durch die lange Duldsamkeit Dessen, der doch die Macht in Händen hatte, ihn zu vernichten, ließ sich in immer tiefere Verbindungen ein, und unterhielt sogar schon eine ziemlich lebhafte Korrespondenz mit Chile, um von dort herüber der Sache der Unitarier zu Hülfe zu kommen. Ja die Schlinge schien schon gelegt, die den Dictator in ihren Maschen fassen und vernichten sollte, als eines Abends Don Jose, Mr. Ellington's Schwager, leichenbleich und vollständig zur Flucht gerüstet, in dessen Wohnung stürzte und dem anfangs Ungläubigen die Kunde brachte, daß ihr Beider Leben in diesem Augenblick an kaum mehr als einem Haar hinge; denn von Rosas gedungene mashorqueros seien allein in diesem Auftrag selbst von Buenos-Ayres nach Mendoza gekommen, und der nächste Augenblick schon könne sie selber in der Gewalt dieser furchtbaren und unerbittlichen, blutdürstigen Henkersknechte sehen.

Schleunige Flucht, so lange selbst diese ihnen noch übrig /80/ blieb, war das Einzige, was sie jetzt retten konnte; und wenn sich auch Ellington im Anfang gegen den Gedanken sträubte, die Gefahr so nahe zu glauben, ja sich auf den Consul seiner Nation stützen wollte, dem gegenüber Rosas nicht wagen würde eine Gewaltthätigkeit zu begehen, konnte er doch nicht lange dem Zureden seines Schwagers, den flehenden Bitten seines Weibes widerstehen. - Selbst der alte Mr. Ellington, der jedenfalls den Mißhandlungen der Henker ausgesetzt gewesen wäre, wenn diese den Sohn entflohen fanden, mußte sie begleiten, und nur eben zusammenraffend, was sie an Geld, Pretiosen und Lebensmitteln fortbringen konnten, verließen sie, vollkommen bewaffnet, wirklich im entscheidenden Moment das Haus, denn kaum zehn Minuten später wurden die verschiedenen Thüren desselben von außen leise besetzt, und roth verhüllte Gestalten durchsuchten mit blanken Waffen und ingrimmigen Verwünschungen die leeren Räume.

Die Lage der Flüchtlinge war aber deshalb keineswegs um Vieles gebessert. Den Messern des Dictators allerdings im ersten Anlauf entgangen, wäre ihnen doch die Flucht auf die Länge der Zeit durch die weiten öden Pampas, die Mendoza rings umschließen, unmöglich gewesen; und die Kordilleren, die sie nur in kurzer Entfernung von dem gastlichen Chile trennten, lagen mit Schnee gefüllt und drohten dem Tollkühnen Verderben, der sich in dieser Jahreszeit in ihre sturmdurchbrausten Schluchten wagen sollte. Und doch blieben diese nur ihre einzige Rettung - wenigstens in der Möglichkeit, den zürnenden Elementen das dürftige Leben abzuringen; denn kein Erbarmen hatten sie von den mashorqueros des gereizten Rosas zu erwarten. Wohl aber wissend, daß bis Tagesanbruch auch selbst dorthin die Wege abgesperrt sein würden, führte Don José den kleinen Trupp in gerader Richtung in die Hügel hinein, an deren Fuß sie sich fast befanden, ihrem guten Glück vertrauend, von dort einen jetzt im Winter ganz unwegbaren Paß über das Gebirge selber zu finden.

Das Glück begünstigte sie hier insofern, als sie, der ersten Schlucht in die nächsten Hügel hinein folgend, eine kleine Hütte und dort zwei Peons trafen, die sich augenblick/81/lich bereit zeigten, ihnen gegen eine sehr beträchtliche Belohnung zu Führern über die Gebirge zu dienen. Die Burschen waren, wie sie behaupteten, mit jedem Pfade, jedem Bach in den Bergen bekannt, und selbst das aufrichtige Geständniß Don José's, daß sie von Rosas' Henkern verfolgt würden, konnte sie nicht abschrecken. Lachend meinten sie, sie wären allerdings Argentiner, aber gehörten doch eigentlich nach Chile hinüber, und wenn die Señores und die Señorita fürchteten, daß sie verfolgt würden, wollten sie schon einen Pfad nehmen, aus dem bald die Kecksten der Gauchos, die sich überdies nie gern von ihren Pferden trennen, zurückbleiben sollten.

Noch vor Tagesanbruch waren zwei Maulthiere, das eine für Señora Ellington, das andere für den alten Herrn, gesattelt und mit den nöthigsten Provisionen beladen, und der kleinen Schlucht, in der die Hütte stand, aufwärts folgend, erreichten sie gerade mit Dunkelwerden den Gipfel der ersten Hügel- oder Bergreihe, der schon dicht mit Schnee bedeckt lag, überschritten diese und stiegen dann bei dem matten Licht, das die Sterne auf den Schnee niederfunkelten, wieder in ein anderes, wärmeres Thal hinab.

Die Kordilleren bilden sich nämlich, wie die Rocky Mountains oder Felsen-Gebirge im Norden durch drei Abdachungen, hier durch zwei streng von einander geschiedene Gebirgsreihen, die sich von Nord nach Süd hinunterstrecken. Der erste, nach den Pampas zu liegende Berg- oder Hügelstreifen - denn was in einem andern Lande recht gut ein Berg genannt werden könnte, erscheint hier, neben den gewaltigen Cordilleren, doch nur als Hügel - schmiegt sich dicht an den Hauptrücken, nur ein schmales Thal zwischen sich und diesem lassend, hin, ist aber hoch genug, sogar in dieser niedern Breite den Winter hindurch eine gar warme und behagliche Schneedecke zu tragen, während die Cordilleren selber schroff und gewaltig, in riesiger Masse aus dem nämlichen Thal emporsteigen - ein fester, compacter Körper von Schnee und Eis, auf granitenem Piedestal ruhend. So schroff und steil kommen /82/ dabei die einzelnen Bergwasser aus jenen riesigen Höhen herausgestürzt, daß es nur an einzelnen Stellen möglich ist, dem Lauf derselben aufwärts zu folgen, während die übrigen Gebirgsmassen eine feste, unersteigbare Wand bilden, die sich wolkenhoch, Berg auf Berg gehäuft, emporthürmt.

Aber selbst diese wenigen Pässe können nur für eine Strecke weit im Winter mit Maulthieren begangen werden; nachher muß der Wanderer, den sein Geschick in diese Wildniß getrieben, die Bahn zu Fuß weiter suchen, und nicht allein der Abgrund dicht unter dem schwankenden Schritt droht Verderben, nein, der geringste losgebröckelte Schnee, der ihn hier träfe, müßte ihn, durch das Gewicht seines Falles, in die Tiefe schmettern, und der Condor oder der Puma der Gebirge hätten dann ein treffliches Mahl.

Die beiden Peons kannten hier aber jeden Fuß breit Landes, und dem Thale folgend, das sich in ziemlich gerader Richtung gen Norden zog, erreichten sie gleich am nächsten Tage einen der Pässe, der eigentlich nur im Sommer benutzt wurde, den sie aber doch jetzt ebenfalls hofften passiren zu können, und hier hatten sie dann kaum eine weitere Verfolgung zu fürchten. Nur zu bald sollten sie aber diese Hoffnung getäuscht finden: ein gewaltiger Schneesturz hatte den schmalen Pfad so überschüttet, daß sie Wochen lang gebraucht haben würden, sich hier hindurch zu arbeiten, und wo indessen Provision hernehmen, während ein völliges Schneegebirge jeden weitern Fortschritt hemmte?

Selbst jetzt war die Gefahr groß genug, gerade an dieser Stelle von ihren Verfolgern überholt zu werden, denen sie dann nach keiner Richtung hin mehr hätten entfliehen können.

Langes Berathen half hier ebenfalls nichts; rasch umdrehend, eilten sie die eben gemachte Bahn in das Thal zurück, wo ihre Maulthiere noch zwischen den dort grünenden Myrtenbüschen reichliches Futter fanden, um den Tucunjado, ebenfalls einen der Bergströme, zu erreichen, ehe die Verfolger bis hierher ihre Spur aufgefunden /83/ haben könnten. Diese mußten übrigens schon in großer Anzahl kommen, wenn sie ihnen gefährlich werden sollten, denn die Gauchos, wie die Bewohner der Pampas genannt werden, führen selten oder nie Feuergewehre, mit denen sie auch nur höchst mittelmäßig umzugehen wissen, und die beiden Engländer waren mit Pistolen und Büchsen vortrefflich bewaffnet. Selbst Don José führte ein Paar Pistolen im Gürtel und ein Doppelgewehr, und die Peons hatten ihre gewöhnlichen langen Messer, ohne das ein Argentiner, besonders in damaliger Zeit, nie die Schwelle seines Hauses verließ.

Unten an der Mündung des Tucunjado, das heißt dort, wo der Bergstrom, von dem Hauptrücken der Kordilleren niederschäumend, seine Wasser mit einem größeren Bache vereinigt, der von Norden niederkommt und sich später seine Bahn in die freie Ebene bricht, liegt, hoch von den Schneegebirgen überragt, aber auch gegen all' die rauhen Südweststürme geschützt, in fast tropischem Klima, eine kleine freundliche Farm, die Grenzstation der Argentinischen Republik, und im Sommer der Stapelplatz der Mauthaufseher, die den Tucunjado-Paß niederkommenden Caravanen zu überwachen. Im Winter aber, wo fast jede Verbindung mit Chile, unbedingt jede mit Packthieren abgeschnitten ist, wird die Bewachung theils sehr lässig betrieben, theils ganz aufgegeben, und eine kleine Wirthschaft mit einigen Bergbewohnern und einem Dutzend starker, kräftiger Guanacohunde ist das Einzige, was zurückbleibt, bis der Schnee der Gebirge thaut, seine Massen in Sturzfluthen durch das Thal gesandt und die Pfade wieder freigegeben hat. Jetzt hausten dort nur ein paar alte Guanacojäger, und den hoch eingefriedigten Weideplatz, mit dem üppigsten Gras und Futterklee bedeckt, kannten die müden Thiere gut genug, um ihm schon von Weitem entgegen zu wiehern.

Ehe man sich aber in Sicht dieses Platzes wagte, wurde ein kurzer Kriegsrath gehalten, und zwar einstimmig dahin beschlossen, vorerst einen der Peons zum Recognosciren vor/84/auszuschicken und zu sehen, ob die Spione und Henkersknechte des Dictators selbst bis hierher gedrungen wären. War das der Fall, so mußten sie, wo sie sich eben befanden, die Nacht abwarten, nach einbrechender Dunkelheit am rechten Ufer des Bergstromes, so weit es die steilen Wände erlaubten, hinaufhalten, und den Fluß dann furthend den schmalen Pfad zu erreichen suchen, der an dem linken Ufer bis fast zu dessen Quellen auflief.

 

Der älteste der Peons, ein durchtriebener Bursche mit wilden, verlebten Zügen, aber einem Paar schlau und listig unter buschigen Brauen vorblitzenden Augen, wurde dazu gewählt und kehrte auch schon nach zwei Stunden mit der Nachricht zurück, daß allerdings elf Mann in dem Hause lägen und eben erst von einem kurzen Streifzug den Tucunjado hinauf zurückgekehrt wären, nachdem sie sich überzeugt hätten, daß die Flüchtigen noch nicht auf diesem Wege entkommen seien. Am nächsten Morgen würden sie aber unfehlbar das ganze Binnenthal absuchen und deshalb gar keine Wahl lassen, was man etwa thun sollte. Die einzige Möglichkeit, noch zu entkommen, sei, während der Nacht die Station zu umgehen und dann so rasch vorwärts zu rücken, wie es die Kräfte der Passagiere nur irgend erlaubten. An der Schneegrenze angekommen, wollten sie dann die Maulthiere absatteln und laufen lassen - den Rückweg suchten die klugen Thiere leicht allein, und hatten sie erst einmal den theilenden Gebirgsrücken erreicht, so waren sie sicher, denn Rosas durfte nicht wagen, die chilenische Grenze zu überschreiten.

Das Umgehen der Farm gelang, von einer ziemlich dunkeln Nacht begünstigt, vortrefflich. Noch lange vor Tagesanbruch hatten sie den schmalen Bergpfad erreicht, der sich am linken Ufer des jetzt niedern Stromes, oft kaum zwei Fuß Bahn neben einem Abgrund lassend, hinaufzog; hier aber mußten sie halten, bis das Tageslicht ihnen weiter helfe, denn es wäre mehr als Tollkühnheit gewesen, solchen Weg in dunkler Nacht zu verfolgen. Mit dem ersten Dämmerlicht brachen sie wieder auf, und selbst Señora Ellington, wenn auch nie im Leben an solche Strapazen gewöhnt, fühlte sich durch die kurze Rast /85/ wie neu gestärkt; kein Wort der Klage kam wenigstens über ihre Lippen.

Den schwierigsten Theil des Ueberganges hatten sie aber noch vor sich, jedenfalls den beschwerlichsten, und als erst ihre wirkliche Wanderung über den Schnee begann, drohten die Kräfte der jungen Frau sowohl wie die des alten Herrn den ungewohnten und gewaltigen Anstrengungen zu erliegen. Als sie am Abend, schon nach Dunkelwerden, die punta del vaca, eine kleine schmutzige Steinhütte, erreichten, mit einem Loch zur Thür und nichts als den kalten, gefrorenen Boden der Hütte selber zum Bett, wäre es der schwachen, zarten Frau nicht möglich gewesen, auch nur noch einen Schritt weiter zu setzen, und doch wußten sie Alle, daß vielleicht an der Verzögerung einer Viertelstunde schon der Tod hing.

Es mochte zehn Uhr Abends sein. Der Himmel war klar und sternenhell, und in der Hütte hatten sich die müden Wanderer, ohne selbst im Stande zu sein ein Feuer anzuzünden, in ihre Decken gehüllt und dicht neben einander geschmiegt, der Nacht vielleicht eine Stunde Schlaf und Ruhe abzustehlen. Nur der jüngere Peon stand, wohl dreihundert Schritt zurück, von woher sie gekommen, auf Posten, um hier an einer schmalen Stelle der Straße, an der kein Feind, noch dazu über den hellen Schnee, an ihn heranschleichen konnte, den Paß zu bewachen und bei dem geringsten Zeichen von Gefahr die kleine Schaar zu alarmiren. Von der Hütte her kamen jetzt Schritte, und wenige Minuten später stand der ältere Felipe an feiner Seite.

„Was sagst Du zu unserem Unternehmen, compañero?" frug er endlich leise den Kameraden, als er ein paar Minuten an dessen Seite gestanden und in die Nacht hinaus gelauscht hatte.

„Daß ich es herzlich satt habe, mich auf einer Seite mit einer papiernen Señorita herumzuquälen," brummte der Gefragte mürrisch, „die wir morgen wahrscheinlich noch das Vergnügen haben werden durch den Schnee zu schleppen, /86/ denn gehen kann die Puppe doch nicht mehr, und ich andererseits meinen Hals in Gefahr weiß, sobald uns die mashorqueros des Gouverneurs überholen. Pest und Gift, die Burschen verstehen keinen Spaß, und ich könnte mir eher Erbarmen von einer wilden Schaar der Pampas-Indianer erbitten, als von einem von Rosas' rothen Ponchos. - Ich wollte, wir hätten uns mit der ganzen Sache nicht eingelassen."

„Weißt Du, compañero," sagte der Alte, seinen Arm traulich auf dessen Schulter legend und vorsichtig dabei zurückschauend, ob keiner ihrer Passagiere munter und in der Nähe wäre - „mir selber gefällt die Geschichte auch nicht mehr, und - für die lumpigen zehn Unzen wären wir eigentlich rechte Thoren, wenn wir - wenn wir eben -"

„Wenn wir was?" frug der Jüngere gespannt und drehte sich halb nach seinem älteren Gefährten um.

„Ei zum Teufel, wenn wir uns eben noch unnützer Weise abquälten!" - setzte dieser rasch und wild hinzu. - „Es sind doch nur Unitarios und dürfen nie nach der Republik zurückkommen. Ueberdies steht mir der Himmel da drüben im Südwesten ebenfalls nicht so richtig aus. - Kriegen wir hier einen Temporale, so sind wir geliefert, und - ich meinestheils bin fest entschlossen, diesen Augenblick meinen Rückweg anzutreten - gehst Du mit?"

„Du hast mir die Gedanken aus der Seele gelesen," lachte der Jüngere - „mag der Inglese sehen, wie er über die Berge kommt - wir lassen ihm überdies unser charque3 in der Hütte zurück, und sie dürfen sich nicht beklagen, daß sie nichts zu essen hätten. Aber komm, die Zeit vergeht, und es ist bitter kalt hier oben. Wenn wir uns tüchtig in Trab setzen, können wir die estancia noch bei guter Zeit morgen früh erreichen."

„War mir's doch, als ob ich da vorn ein Geräusch wie von knirschendem Schnee hörte," sagte der Alte da plötzlich /87/ und schützte seine Augen mit dem Arme gegen den blendenden Schein der weißen Decke - „da wieder."

„Mir kam es auch erst so vor," sagte der Jüngere, seinen Poncho um sich herziehend und dann niederknieend, um das eine Schaffell, das er sich der Kälte wegen um seine Füße gewickelt, etwas fester zu binden, „aber es wird der puma4 sein, der vor etwa einer halben Stunde quer vor mir über den Schnee sprang und hinunter nach dem Wasser zu hielt. Rosas müßte einen tüchtigen Preis auf das Einbringen unserer Gesellschaft gesetzt haben, wenn er die Gauchos bis hier in den Schnee hinter ihnen her treiben könnte. - So," - rief er dann, indem er, seine Fußbekleidung in Ordnung gebracht, wieder in die Höhe sprang und den Hut in die Stirn drückte - „jetzt bin ich fertig, und nun können wir doch sagen, daß wir unsern Weg bis hierher ganz anständig bezahlt bekommen haben."

Felipe antwortete nichts, horchte nur noch einmal zurück, wo sie Die, die ihrer Treue viel zu gutmüthig vertraut hatten, ohne Ahnung zurückließen, daß die Führer und Wachen sie verrätherischer Weise im Stich ließen, und schritt dann dem Gefährten rüstig voraus durch den tiefen Schnee, um sobald als möglich die von diesem freie Passage wieder zu erreichen und von da ab rasch dem wärmeren Thal zueilen zu können.

„He, Felipe, rief's da nicht hinter uns?" sagte, stehen bleibend, plötzlich der junge Bursche.

„Was kümmert's Dich?" brummte aber, die Schritte eher noch dadurch beschleunigend, der ältere Gefährte; „laß sie schreien, aber mach', daß Du aus Schußweite -"

Seine Rede wurde hier auf etwas rauhe Art unterbrochen, denn neben ihm, wie aus dem Schnee heraus, sprang eine Gestalt, flog ihm nach der Kehle und hatte ihn auch im nächsten Moment, ehe er nur daran denken konnte nach seinem Messer zu greifen, zu Boden geworfen, wo er wie in einen /88/ Schraubstock eingeklemmt und regungslos dalag, „Asistencia!" wollte er rufen, aber schon bei dem ersten Laut blitzte ein blanker Stahl vor seinen Augen, und der Ruf erstarb ihm auf den Lippen. - Sein Angreifer sprach kein Wort - lautlos, doch mit riesiger Kraft hielt er ihn zu Boden. Wenige Minuten später hörte Felipe, daß sich Jemand näherte, gleich darauf fühlte er sich selber von noch Anderen gefaßt und aufgehoben, und als sie den nächsten Felsenvorsprung erreicht und hinter sich hatten, fand er sich plötzlich zu seinem Erstaunen ganz frei neben seinem jüngeren Gefährten stehend, der auf gleiche Weise überwältigt worden sein mußte, und nur sein erster Angreifer sagte mit leiser, aber nichtsdestoweniger drohend genug klingender Stimme: