Im Busch / Kriegsbilder aus dem dt.-franz. Krieg

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Der Gegenstand der Unterhaltung war überhaupt nicht angenehm genug, auch die Uebrigen lange zu fesseln, noch dazu, da jetzt ja die Theilung der gemachten Beute bevorstand, die sich bald reicher auswies, als sie Alle erwartet haben mochten. „Bill", wie er von den Gefährten kurzweg genannt wurde, da diese nicht einmal seinen ordentlichen Namen kannten, hatte das Unternehmen auch in der That eingeleitet, da er gerade in Erfahrung gebracht, daß an diesem Tag eine nicht unbedeutende Summe in baarem Gelde nach Sidney geschickt werden sollte. Diese befand sich jetzt mit dem ebenfalls nicht unbeträchtlichen, den Passagieren abgenommenen Raub in ihren Händen, und die arbeitharten und rauhen Fäuste wühlten mit innigem Behagen in den vor ihnen auf eine wollene Decke ausgeschütteten Goldstücken - hatte doch Keiner von ihnen in seinem ganzen Leben schon so viel baares Geld auf einem Fleck zusammen gesehen - das Bewußtsein gar nicht gerechnet, daß er selber der Eigenthümer des vierten Theiles sei.

„Jungens, Jungens," sagte Jim, vergnügt vor sich hin /18/ lachend, indem er seine ausgestreckte Hand in den Haufen von Goldstücken hineinschob und di« einzelnen Münzen durch die Finger zurückgleiten ließ, „das ist, straf' mich Gott, die schönste Musik, die ich in meinem ganzen Leben gehört habe - die beste Fiedel der Welt nicht ausgenommen. Hol's der Teufel, das kann selbst der Gouverneur nicht" - und mit den Worten warf er sich voll tollen Uebermuths auf den ausgebreiteten Schatz, um sich im wahren Sinne des Wortes in Gold zu wälzen.

„Hallo - Du, Jim," rief aber der Trompeter, „nimm Dich in Acht, mein Herzchen, daß Dir nicht aus Versehen ein halb Dutzend Stücke in die Rocktasche oder den Kragen fallen. Ehrlich Spiel! Vorher wollen wir theilen, und nachher kannst Du mit Deinem Part machen, was Dich eben freut."

„Hast Du Angst, Schatz, daß ich mir mein „Taschengeld" vorausnehme?" lachte der Irländer- „hab' keine Sorge, es bleibt noch genug für Dich übrig, um Dir die Tage zu versüßen, bis Du gehangen wirst."

„Nicht vor Dir hoffentlich," knurrte der Trompeter, über die Anspielung sichtlich nichts weniger als erfreut, „damit ich bei Deinem Leichenbegängniß auch noch eine Citrone in der Hand und eine Flasche voll Rum in der Tasche tragen kann - Leichenpunsch nennen sie's bei uns."

„Gebt Frieden," sagte Bill, der sich bis jetzt mit seinen eigenen düsteren Gedanken beschäftigt hatte - „und malt den Teufel nicht an die Wand. Und nun kommt, daß wir das Gold zählen; je eher wir das beendet haben, desto besser, damit nachher ein Jeder über seinen eigenen Antheil wachen kann."

Der Aufforderung wurde rasch Folge geleistet, und Bill, der übrigens schon verschiedene kleine Pakete für sich selber in Sicherheit gebracht hatte, warf jetzt Alles auf die Decke, wo es Jim und der Trompeter aufzählen mußten, während er selber bei dem Schein des Feuers und seiner Laterne die Briefbeutel zerschnitt und die darin enthaltenen Papiere durchsah.

Die Briefe wurden geöffnet und, wenn leer befunden, in die Flammen geworfen; hier und da fanden sich aber auch einzelne reich mit Banknoten beschwert, und diese, da Bob kein Auge von den Fingern des jungen Kameraden verwandte, /19/ kamen mit in die Masse. - Ein paar vorgefundene Wechsel wurden, als zu gefährlich, um sich mit ihnen zu befassen, ebenfalls verbrannt.

Die Theilung selber nahm nicht lange Zeit in Anspruch, und als Jeder sein ihm zugewiesenes Part in sein Sacktuch fest eingebunden und geborgen hatte, suchten die Verbrecher ihr Lager, um noch vor Tag den Körper für die nächsten Anstrengungen durch ein paar Stunden Schlaf zu stärken. Nur „Bill" legte sich nicht. Als die Uebrigen schon lange, in ihre Decken eingewickelt, im Schutz eines vorspringenden Felsens laut und ruhig schnarchten, saß er noch immer, den Blick stier in die verglimmenden Kohlen geheftet, und raffte sich erst aus seinem düstern Brüten empor, als die über die Höhen streichende kalte Luft ihn daran mahnte, das fast schon niedergebrannte Feuer wieder aufzuschüren.

Er warf ein paar frische Brände darauf, denn niedergebrochenes Gumholz gab es dort im Ueberfluß, und streckte sich dann erst selber dicht am Feuer aus, um noch ebenfalls kurze Zeit - weniger zu rasten, als der unruhigen Gedanken ledig zu werden. Aber auch jetzt schlief er nicht, und manchmal hob er den Kopf vorsichtig in die Höh' und horchte nach den Kameraden hinüber, bis er die Gewißheit erhielt, daß sie alle fest und sicher schliefen. Dann stand er auf, nahm das ihm gehörende Geldpaket unter den Arm, hing seine Waffen um, warf noch einen scheuen Blick über die Gruppe der Schlafenden und stieg leicht und geräuschlos, ohne Abschied von den Kameraden, den Hang hinunter, mitten in den Wald hinein.

3.

Das erste Gold.

Die königliche Mail setzte indessen ihren Weg, den Berg hinunter fort, und der Maildriver oder Kutscher schien nicht übel Lust zu haben, das, wie gewöhnlich, in einem scharfen /20/ Trab zu thun, um von der überdies versäumten Zeit soviel wie möglich wieder einzuholen. Was kümmerte er sich um den verwundeten Passagier! Der alte Herr aber schien nicht gesonnen, das einmal begonnene Liebeswerk halb zu thun, und die Schulter des Kutschers mit der einen Hand fassend, während er im andern Arm den Verwundeten hielt, schwor er, daß er ihn in Sidney augenblicklich wegen absichtlicher Tödtung verklagen werde, wenn er nicht Schritt - und zwar langsamen Schritt bis zum nächsten Haus führe. „Der Geschossene," setzte er hinzu, „habe jedenfalls einen der Räuber erkannt - hier sei noch die Möglichkeit, der Bande auf die Spur zu kommen, wenn er am Leben erhalten würde - bei diesem tollen Fahren sei das aber nicht möglich, und er, der Kutscher, mache sich des Einverständnisses mit den Mördern verdächtig,

wenn er nicht augenblicklich dem Befehl Folge leiste."

Das half. Der Bursche fluchte zwar ingrimmig in den Bart hinein, aber er wagte doch nicht, dem angedrohten Gerichtshof gegenüber dem Befehl zu trotzen, und nach anderthalb Stunden etwa erreichten sie die erste menschliche Wohnung - ein kleines Haus dicht am untern Berghang, wo der Verwundete vom Wagen genommen werden mußte, denn einen

weiteren Transport hätte er nicht ertragen.

Selbst hier freilich würde er nur schlechte und ungenügende Pflege erhalten haben, denn der Platz war weiter nichts wie einer der zahlreich am Wege zerstreuten Grogshops oder Trinkhäuser, eine Art von Wirthschaft, wo aber die Reisenden nichts als geistige Getränke der schlechtesten Art bekommen konnten, und heute noch dazu mit einer Gesellschaft halbtrunkener Irländer gefüllt, die nach Bathurst hinauf wollten, um Arbeit zu suchen. Nicht weit davon lag aber die Station eines sehr wohlhabenden Heerdenbesitzers in einem kleinen freundlichen Thal, und der Stockkeeper war eben herübergekommen, um mit der Post von Bathurst erwartete Briefe des Eigenthümers in Empfang zu nehmen, so wie andere nach Sidney aufzugeben. Er stand mit den aus der Trinkstube herausgeströmten Iren am Wagen, als der Kutscher einen mehr aus Flüchen als Worten bestehenden kurzen Abriß des Ueberfalls gab, und erfuhr kaum, daß einer der Passagiere schwer verwundet, aber /21/ noch am Leben sei, als er auch augenblicklich Anstalt traf, ihn auf die Station schaffen zu lassen. Vier der Leute fanden sich auch bereit, den armen Teufel - gegen ein gutes Trinkgeld natürlich - hinüber zu tragen - einen Andern schickte der Stockkeeper gleich voraus, die Ankunft des Verwundeten zu melden, der alte Herr versprach ebenso, von Pendrith aus direct einen Wundarzt herüber zu schicken, und es war somit für den Augenblick Alles gethan, was nur geschehen konnte, um den Funken von Leben, der noch in dem Unglücklichen lag, zu erhalten und wieder zu wecken.

Hier hatte man auch die beiden Pferde aufgefangen, die sich oben am Berg losgerissen, und gleich schon etwas Aehnliches vermuthet. Derlei Ueberfälle kamen aber häufig vor, und da sie nur höchst selten blutig abliefen, hatte man sich nicht so ernst darum gekümmert. Kutscher und Passagiere wußten sich bei solchen Gelegenheiten schon immer selber zu helfen, und den Räubern oder Bushrangern im Walde nachzusetzen, wäre eine sehr undankbare, und jedenfalls vollkommen nutzlose Arbeit und Anstrengung gewesen - von der Gefahr ganz abgesehen, der sie sich thörichter Weise dabei aussetzten.

Die Post rasselte, eine halbe Stunde später etwa, jetzt durch nichts mehr behindert, in wilder Eile zu Thal, die Passagiere darin auf das Unbarmherzigste zusammenschüttelnd, und auf einer rasch hergerichteten Bahre trugen indeß vier Männer den schwer Verwundeten durch die Nacht nach der Station hinüber, wo indessen sorgende Frauenhände schon arbeiteten, ihm ein bequemes und weiches Lager herzurichten.

Der von dem Stockkeeper abgesandte Bote hatte nämlich schon seine Meldung gemacht, und wohl in keinem Lande der Welt herrschte - besonders noch vor der Entdeckung des Goldes, die freilich alle Verhältnisse umstürzte - eine größere und unbeschränktere Gastfreundschaft, als in Australien.

Jeder Reisende, der nicht gerade mit der Post fuhr, und dann natürlich auf die Gasthäuser angewiesen blieb, an denen die Pferde gewechselt wurden, ward freundlich, ja selbst herzlich aufgenommen, und gehörte er nicht den besseren Ständen an, daß ihm ein Zimmer im Herrenhause zugewiesen werden konnte, so durfte er wenigstens fest darauf rechnen, in der /22/

Küche oder bei dem Stock- oder Hutkeeper sein Nachtquartier und so viel an Thee, Hammelrippen und dem australischen Brod (damper) zugetheilt zu bekommen, wie er eben verzehren konnte.

Die Sutton'sche Familie auf dieser Station machte denn auch keine Ausnahme von der Regel. Kaum hörten die Mitglieder derselben, die eben in der untern Stube bei ihrem Thee saßen, von dem geschehenen Unglücksfall und dem Gast, den ihnen ihr Stockkeeper, ohne weitere Anfrage vorher, als etwas von selbst Verständliches, herüber schaffen ließ, als auch augenblicklich eins der kleinen Fremdenstübchen für ihn hergerichtet wurde, und eine Stunde später lag der noch immer Bewußtlose mit einem allerdings jetzt nur noch nothdürftigen Verband, wie ihn Mr. Sutton selber hatte anlegen können, auf seinem Lager ausgestreckt, und von jeder Bequemlichkeit und Sorgfalt umgeben, welche die Umstände hier nur irgend verstatteten.

 

Ob die Wunde tödtlich sei, mußte jedenfalls erst eine ärztliche Untersuchung bestimmen. So viel ließ sich jetzt nur feststellen, daß die Kugel in die rechte Brust gedrungen und schräg unter dem rechten Schulterblatt wieder hinausgefahren sei. Hatte sie dabei edle Theile stark verletzt, so war der Tod freilich unvermeidlich.

Weiter und weiter rasselte indessen die Post bis zur nächsten Station, wo die Pferde gewechselt wurden und der alte Herr, der sich schon unterwegs des Kranken so theilnehmend angenommen, einen Wundarzt absenden konnte, um ihm die jetzt allernöthigste Hülfe zu leisten - weiter und weiter der Haupt- und Residenzstadt Sidney zu, die sie am nächsten Tage erreichte, und nicht blos die Nachricht des Ueberfalls dorthin brachte. - Ein solches ,,Abenteuer" wäre ziemlich spurlos an den Bewohnern von Sidney vorübergegangen, denn so oft auch etwas Derartiges in Wirklichkeit vorfiel, so viel erdichtete Geschichten über derlei Anfälle circulirten fortwährend, und eine solche Thatsache gab dann allen übrigen Bestätigung. Nein, die Reisenden von Bathurst brachten ganz andere, viel wichtigere Kunde mit, und zwar die Bestätigung eines andern Gerüchts, das schon einige Tage in der Stadt gewissermaßen gespukt hatte, und nun plötzlich mit voller Kraft zum Ausbruch kam, /23/ ohne die Tragweite noch übersehen zu lassen, die es für diese wie für alle übrigen Colonien Australiens haben mußte: die Entdeckung des Goldes.

„Gold! - oben in den Bergen liegt Gold - Minen liegen dort, viel reicher, als sie je in Californien gefunden wurden - Schätze, von denen das Land in seinen kühnsten Träumen keine Ahnung gehabt - Gold! Reisende von oben haben schon ganze Klumpen heruntergebracht, und oben in den Bergen liegt's; man braucht nur eben hinzugehen und es aufzuheben."

An jedem Gerücht ist gewöhnlich wenigstens etwas Wahres, wenn es die Phantasie der Weiterträger auch nach eigenem Gefallen ausschmückt und entstellt. Einer der Reisenden mit der Bathurst-Mail hatte allerdings Proben körnigen Goldes, die dort oben gefunden waren, mit heruntergebracht und den gierigen Blicken der Bushranger zu entziehen gewußt, und das war in der That die Bestätigung der Meldung, die dem Gouverneur schon vor einiger Zeit von anderer Seite gemacht worden.

Die königliche Mail war in den blauen Bergen von Bushrangern angefallen, ihrer Briefe beraubt, und ein oder ein halb Dutzend Passagiere waren dabei getödtet worden - wen kümmerte das jetzt? - wer dachte noch daran? - Oben in den Bergen lag Gold, und als ob ein Telegraphendraht die sämmtlichen Wohnungen Sidneys verbunden hätte, so sprach an dem nämlichen Abend kein Mensch in der ganzen Stadt von etwas Anderem als Gold, Gold, Gold!

Und wie sah -Sidney am andern Morgen aus?

In sonstiger stiller Zeit begann das Geschäftsleben des immer ziemlich rührigen und thätigen Platzes gewöhnlich um acht oder halb neun Uhr Morgens, und beschränkte sich dann noch immer auf den Detailverkauf der kleinen Läden, da größere Geschäfte selten vor zehn oder elf Uhr gemacht oder auch nur begonnen wurden. - Heute dämmerte kaum das Licht des jungen Tages, als sich schon hier und da Hausthüren öffneten und Leute, völlig zur Reise gerüstet, heraustraten, um ihre bestellten Fuhrwerke oder Pferde aufzusuchen. Güterkarren, sogenannte drays, mit Provisionen und Handwerkszeug be/24/laden, was jedenfalls in der Nacht geschehen sein mußte, rasselten schon einzeln über das Pflaster der Stadt, von den neidischen Blicken der Nachschauenden so lange als nur irgend möglich verfolgt. Einzelne Arbeiter waren zu irgend einer häuslichen Beschäftigung schon gar nicht mehr zu bekommen, denn wer wollte jetzt noch für zwei oder drei Shilling den Tag arbeiten, wo er da oben in den Bergen vielleicht in einer Stunde eben so viele Pfund Sterling auflesen konnte? Eine Menge kleiner Läden selbst blieben geschlossen, da sich deren Eigenthümer entweder schon zum Abmarsch in die Minen rüsteten, oder doch wenigstens eifrig beschäftigt waren zu überlegen, ob sie gehen sollten oder nicht. -

Aber selbst das schien nur die nutzlose Verzögerung eines doch nicht mehr zu vermeidenden Schrittes, denn wer überhaupt schon s o weit war, daß er mit sich zu Rathe ging, blieb auch, in fast allen Fällen, für ein ruhiges Alltagsleben von dem Augenblick an verloren, und wenn er seinen Marsch in die Minen noch aufschob, marschiren mußte er; darauf konnte er sich verlassen.

Gold! was für ein eigener, wunderbarer Zauber in dem einem Worte liegt, und wie leicht die kleine Silbe selbst die innigsten Familienbande zu trennen vermochte, als ob es leichter Zunder gewesen wäre. Gold! wie das durch alle Schichten der Gesellschaft zuckte, vom reichen Schiffsrheder hinunter bis zu dem halb ausgestoßenen ticket of leave man hinab; wie das im Nu Pläne baute und Luftschlösser hoch in die Wolken hinein, und für einen Augenblick fast jeden Rangunterschied aufzuheben schien - Gold! Hatte doch auch Jeder jetzt gleiche Anrechte an den Schätzen, die der australische Boden barg, und gleicher Anspruch war Allen gegönnt, die goldene Beute zu gewinnen, wer nur eben verstand seine Zeit zu benutzen und die kostbare nicht hier in leerem Nichtsthun versäumte.

Die meisten Menschen kamen aber an diesem ersten Tage noch nicht recht zur Besinnung, denn zu rasch war die betäubende Kunde über sie hereingebrochen, als daß sie sich gleich zu einem entscheidenden Schritt entschließen konnten. Die weniger Zaghaften aber, die jede Stunde fast mit Sack und Pack, selbst unter ihren Augen fort, den Bergen zuströmten, /25/ nur um dort die Ersten zu sein, die das Gold sammelten - denn an wirkliches Arbeiten dachten noch Wenige - ließen sie nicht zu Ruhe kommen und trieben sie selbst zuletzt zu dem verzweifelten Schritt. Jeder Trupp ja, der jetzt die Straßen von Sidney auf seinem Weg in die Berge passirte, nahm ihnen einen „Platz" da oben weg, und konnte gleich von vornherein die am reichsten geträumten Stellen entdecken. Jeder Wanderer trug in seiner Spitzhacke und Schaufel die Schlüssel zu ungezählten, märchenhaften Schätzen, und es blieb zuletzt nichts weiter übrig, als ihnen nur so rasch als möglich nachzuziehen, denn zurückbleiben konnte man doch einmal nicht.

Die natürliche Folge blieb nicht aus. Mehl, wie alle übrigen Arten von leicht verführbaren Lebensmitteln stiegen im Preis - nicht von Tag zu Tag, nein von Stunde zu Stunde bis zu einer kaum geahnten, kaum zu erschwingenden Höhe. Drays oder andere Fuhrwerke waren kaum mehr zu bekommen, wenigstens nur noch für einen Preis, der in ruhigeren Zeiten gleich Karren und Pferde bezahlt hätte. Wo sich sonst Jemand einen Spazierstock oder Regenschirm gekauft haben würde, handelte er jetzt in einer Eisenwaarenhandlung auf das Ernsthafteste um eine Spitzhacke und Schaufel; große unbehülfliche Blechpfannen schienen ein rasender Modeartikel geworden zu sein, und Glanzstiefel wurden verächtlich in die Ecke geschleudert, um ganz gewöhnlichen, aber derbgearbeiieten Buschschuhen ehrfurchtsvoll Raum zu geben.

Selbst die Mode- und Ausschnittwaarenhandlungen veränderten in kaum zweimal vierundzwanzig Stunden ihren ganzen Charakter. Wer kaufte jetzt noch Barége- oder Mullkleider, wer jetzt noch seidene Franzen oder leichten Damenputz? - Kein Mensch mehr - rothe wollene Hemden und chocoladenfarbige Minerhüte waren auf einmal Mode geworden, lange Wasserstiefel und wasserdichte Mäntel, und wo sonst Spiegelglasscheiben zarte rosafarbene Bänder und künstliche Blumen und Zierrathen geflattert hatten, hingen jetzt Tabaksbeutel von rother und blauer Wolle, kurze Holz- und Thonpfeifen, kleine Ledersäcke, um die gewonnenen Schätze sicher aufzubewahren, und drohende Revolver und Buschmesser, das wirklich Gewonnene damit zu vertheidigen. /26/

Kein Mensch bot dem andern mehr auf der Straße einen gemüthlichen guten Morgen. „Noch hier?" oder „wann geht's fort?" schienen die einzigen gangbaren Anreden geworden zu sein, und unbestimmte Gerüchte durchliefen dabei die Stadt und reizten die Bevölkerung zu den ungemessensten Ausdrücken über die Regierung: daß das Gouvernement nämlich die Absicht habe, sämmtliches Staatsland als Eigenthum der Krone zu erklären und ein Graben nach edlen Metallen darauf nicht allein zu verbieten, sondern sogar in Uebertretnngsfällen als Diebstahl zu behandeln.

Niemand überlegte sich, daß eine solche Maßregel, wenn man wirklich einmal daran gedacht hatte, nie ausführbar gewesen wäre. Jeder hielt sich schon in seinem Recht gekränkt, Gold aufzunehmen, wo es ihm eben im Wege läge, und drohende Aeußerungen, daß man Gewalt mit Gewalt begegnen würde, mischten sich wild mit neuen, meist erfundenen oder doch wenigstens übertriebenen Berichten frisch entdeckter goldhaltiger Stellen.

Die Bewohner Sidneys hatte mit einem Wort ein halber Wahnsinn, ein toller Rausch gepackt, der eben nur auf eine einzige Art bei jedem Einzelnen geheilt werden konnte - durch einen langen, mühseligen Marsch in die Berge und Wochen lange und in wie vielen Fällen nutzlose Arbeit in dem harten Boden - Ueberredung oder vernünftige Vorstellungen richteten gerade so viel bei dem Goldfieber-Kranken aus, als ob man den untergehenden Mond hätte durch eine interessante Vorlesung bewegen wollen, seine gegebene Zeit zu versäumen.

Selbst die reichsten Leute der Stadt hatte der Taumel gepackt; alte, würdige Herren waren dabei, die nie im Leben daran denken konnten, noch eine Schaufel oder sonst irgend eine andere derartige Waffe des Proletariats in die Hand zu nehmen, aber ihre Hand wollten sie in dem Auffinden des Goldes haben. Wo sie deshalb nicht selber gehen konnten, begannen sie Leute um schweres Geld zu miethen und kleine Gesellschaften mit Tonnen Mehles und Speck, mit Werkzeugen, Quecksilbermaschinen, Zelten und anderen Buschutensilien auszurüsten, immer dabei in dem guten Glauben, daß diese „Goldgräber" auch noch weiter für sie arbeiten würden, wenn sie /27/ wirklich nutzbare Gruben dort oben entdeckten, und dann doch jedenfalls viel vortheilhafter für sich sorgen konnten, sobald sie die Arbeit auf eigene Hand betrieben.

Aber wer von Allen dachte jetzt auf Wochen oder Monate hinaus, wo es ja galt das Glück im Augenblick beim Schopf zu fassen. Wie Viele griffen freilich in die Luft, aber sie ahnten das wenigstens jetzt noch nicht, und der Taumel, der Alle gepackt hatte, riß auch sie mit fort.

Am allerschlimmsten traf dies Lockern aller Bande des gesellschaftlichen und geschäftlichen Verkehrs die gerade zufällig mit ihren Schiffen in der Bai ankernden Capitaine, noch dazu, wenn sie schon im Begriff waren, wieder auszulaufen. Zu den Matrosen drang ja das Gerücht der reichen Minen eben so rasch wie zu allen übrigen Menschenkindern, und wenn sie den geringen Monatslohn gegen das, was sie da oben finden konnten, in die Wage warfen, schnellte ihre Schale freilich hoch empor. Natürlich liefen sie fort, und ob List oder Gewalt angewandt wurde, sie an Bord zu halten, mit List oder Gewalt brachen sie durch, und es dauerte nicht drei Tage, daß kein einziges Schiff mehr mit vollzähliger oder selbst nur genügender Mannschaft in der Bai lag, seine Reise nach irgend einer Richtung hin fortsetzen zu können oder nur in See zu gehen.

Und was für bunte Züge bildeten sich jetzt: junge Kaufleute und Beamte, Tagelöhner, weggelaufene Matrosen, Handwerker, Künstler, Alles mischte sich bunt durcheinander - die rothen Hemden, Wasserstiefeln und chocoladenfarbige Hüte machten Alles gleich, und eine gewisse Verbrüderung, eine Art von Communismus schien den ganzen Staatskörper wie in einem Taumel erfaßt zu haben.

Selbst das Theater mußte später in Sidney ganz geschlossen werden, weil die Schauspieler keine Lust mehr hatten, ihre schöne und kostbare Zeit hier mit Komödienspielen, und noch dazu vor leeren Bänken - zu vergeuden. Wer dachte denn in diesem Augenblick daran, ein Theater zu besuchen, wo man alle Hände voll zu thun hatte, um sich für den nächsten Marsch zu rüsten.

Nie im Leben hatte die Polizei mehr zu thun gehabt, /28/ oder war wenigstens mehr in Anspruch genommen worden, besonders contractbrüchige Arbeiter wieder aufzuspüren, wie flüchtige Seeleute zurück zu bringen, und wie geringen Erfolg erzielte sie mit all' ihrem Eifer. Draußen im Lande war es ohnedies schon entsetzlich schwer, ein irgend näher bezeichnetes Individuum unter all' den gleichmäßigen rothen Hemden aufzufinden, und die in die Minen strömende Schaar nahm überdies noch Partei für jede solche, irgendwie von der Polizei bedrängte Persönlichkeit. Was hatten diese jetzt verfolgten armen Teufel anders gethan als Andere: nämlich Alles abgeschüttelt, was sie hielt, um nur so rasch als irgend möglich hinauf in die goldgespickten Berge zu kommen? Das aber war kein Verbrechen, und wo sie deshalb einem Solchen durchhelfen konnten, thaten sie es mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln.

 

Noch waren keine acht Tage vergangen, da sah man schon nicht mehr einzelne Trupps hinein in das innere Land ziehen, sondern die Züge der Goldgräber bildeten eine feste, kaum mehr durch Lücken unterbrochene Kette, und die Polizei bekam jetzt eine ganz andere Arbeit: nicht etwa nach einzelnen weggelaufenen Matrosen hatte sie mehr zu suchen, sondern oben in den Minen die Arbeiten zu überwachen, damit der Krone ihr beanspruchtes und, wie sich auswies, außerordentlich einträgliches Recht gewahrt wurde. Und dies Recht bestand in nichts Geringerem, als von jedem Arbeiter eine monatliche Prämie von dreißig Shillingen einzukassiren, für welchen Preis einem Jeden, Fremden wie Einheimischen, gestattet sein sollte, in den Bergen nach edlen Metallen zu graben und das Gefundene als rechtmäßiges, wohlerworbenes Eigenthum zu behalten.

Daß sie den Schaaren das Gold suchen nicht mehr gewaltsam verbieten konnte, hatte die Regierung bald herausgefühlt. Eine Revolution, die Alles über den Haufen geworfen hätte, wäre das alleinige Resultat einer solchen Maßregel gewesen, denn die Gier nach Gold ließ sich nicht mehr dämmen. /29/

4.

Die Familie Pitt.

Oben in Georgestreet in Sidney stand ein aus dem trefflichen Sandstein jener Gegend massiv und selbst reich ausgeführtes Wohnhaus, das weder Schild noch Firma trug, und einem Privatmann zu gehören schien, hätte nicht dem wieder das geschäftige Leben widersprochen, das in der Form von Mehlsäcken, Kisten, Ballen und Tonnen durch das schmale Hofthor geführt wurde und den Herrn des Hauses, Mr. Pitt, zeigte, wie er eben eine ziemlich bedeutende Waarensendung persönlich beförderte, die hinauf in die Minen gehen sollte.

Charley Pitt, wie er von seinen Freunden vertraulich genannt wurde, war in der That das Urbild eines ächt australischen Geschäftsmannes und Familienvaters seiner Zeit, und indem wir uns seine innere Häuslicheit betrachten, thun wir einen vollen und fast erschöpfenden Blick in Hunderte von anderen, eben so betriebenen und gehaltenen Häusern.

Charley Pitt's Vater war als Convict (Sträfling) auf Lebenszeit nach Australien gesandt worden - ein sogenannter lifer, der daheim irgend ein schweres Verbrechen begangen hatte, und es nun hier in einer neuen Welt zu seinem, wie dem Nutzen des beleidigten Staates abbüßen sollte. Da er sich aber gut und fleißig betrug und seinen Aufsehern keinerlei Ursache zur Klage gab, bekam er mit der Zeit sein ticket of leave, d. h. einen Erlaubnißschein oder Paß, mit dem er sich in der Kolonie selbstständig vermieden konnte, und nur eine gewisse Summe abzugeben hatte und stets unter polizeilicher Aufsicht stand.

Auch hierbei betrug er sich musterhaft, und da er einst in dem Hause, in dem er arbeitete, mit eigener Lebensgefahr den Ueberfall einer Bande verwegener, vielleicht zur Verzweiflung getriebener Bushranger zurückschlagen half, wurde er im Laufe der Zeit begnadigt und ein „freier Colonist".

Das änderte aber wenig in seinem Leben. Er hatte sich /30/ schon ein paar Jahre vorher mit einem ebenfalls deportirten Mädchen verheirathet, die ihm einen Sohn gebar und dann starb. Pitt oder, wie er allgemein in der Colonie mit seinem Sträflingsspitznamen hieß, Pumpkin arbeitete ruhig weiter, erzog seinen Sohn so gut, wie es die Umstände nur erlaubten, lebte mäßig und wurde ein reicher Mann, der seinen Knaben endlich sogar nach England schicken konnte, um dessen Erziehung dort zu beenden.

Charles Pitt kehrte nach vier Jahren in die Colonie zurück und brachte nicht allein vortreffliche Zeugnisse, sondern auch sehr vernünftiger Weise gleich eine Frau mit. Dann errichtete er in Sidney, von seinem Vater dabei auf das Liberalste unterstützt, ein Export- und Importgeschäft, und gehörte bald zu den wohlhabendsten und geachtetsten Bürgern der Stadt.

Der alte Pitt aber hatte sich draußen vor der Stadt, in der Nähe des Leuchtthurms ein kleines, wohnliches Haus gebaut und eine alte Wirthschafterin gemiethet, die ihm dasselbe mit seiner Wirthschaft in Ordnung hielt. Sein Sohn wünschte allerdings, daß er zu ihm zöge und seine letzten Tage nicht so allein da draußen verbrüte, aber der alte Mann, wenn er auch aus den untersten Schichten der Bevölkerung stammte und in seinem ganzen Leben nicht einmal Lesen oder Schreiben gelernt hatte, fühlte heraus, daß er in die herangewachsene Generation nicht passe und jetzt, bei einer Unzahl neuer und freier Einwanderer, der bürgerlichen Stellung seines Sohnes, den er über Alles liebte, schaden könne. Er war deshalb durch nichts zu bewegen, sich persönlich in der Stadt bei ihm sehen zu lassen, und nur Sonntags mußten ihn seine Enkel, selbst als sie schon herangewachsen waren, besuchen, und feierten dann jedesmal in dem Garten an der wundervollen Bai ein kleines Fest.

Charles Pitt hatte drei Kinder - einen Sohn von jetzt etwa achtundzwanzig Jahren, eine Tochter Pauline von achtzehn und das jüngste Töchterchen von sechs Jahren - zwei Kinder waren ihm gestorben - und lebte in seinen häuslichen und bürgerlichen Verhältnissen so glücklich, wie nur ein Mann mit einem braven Weib, Kindern, die ihm Freude machen, und keinen Sorgen weiter als solchen, die das Geschäft eben /31/ - und nur auch wieder als Würze der ganzen Existenz - mit sich brachten, leben kann.

Er stand vollkommen unabhängig da, und wenn er in dieser erregten Zeit auch selber nicht von der Alle erfassenden Leidenschaft frei blieb, die durch die plötzliche Entdeckung des Goldes über sie gebracht worden, so trug er ihr doch nur in vernünftiger Weise Rechnung, und zwar in ganz sicherer, ruhiger Speculation, die nicht das Gold in Klumpen in's Haus bringen wollte und es in nur zu vielen Fällen statt dessen gemünzt zur Thür hinaustrug. Er sandte Waaren, wie sie für den augenblicklichen Bedarf der Tausende nöthig waren, die jetzt in den unwirthbaren Busch hinauf strömten, nach Bathurst, wo er schon seit mehreren Jahren ein besonderes Geschäft und vor kurzer Zeit auch seinen Sohn hinauf geschickt hatte, um Manches dort zu ordnen und verschiedene ausstehende kleine Schulden einzukassiren.

Jetzt war auch die richtige Zeit, das zu thun, denn noch waren die Straßen passirbar; sobald aber die gewöhnlichen in dieser Jahreszeit stets fallenden Regen einsetzten, ließ es sich voraussehen, daß sie von den zahllosen Karren und Fuhrwerken zu einer wahren Schlammbahn verwandelt werden mußten, und der Transport wurde dann, wenn auch nicht unmöglich, doch für Fuhrwerk wie Zugvieh gleich zerstörend.

Die nothwendigsten Geschäfte waren heute besorgt, das Frachtgut hatte der damit betraute Diener übernommen und abgeführt, und die kleine Familie saß eben beim Luncheon, einer Art zweitem Frühstück, als rasche Schritte laut wurden und gleich darauf ein junger Mann in einem brennend rothen Minerhemde, über dem er eine offene Jacke von englischem Leder trug, ein Paar mächtige Wasserstiefeln an, einen sogenannten californischen Hut in der Hand, die Thür aufriß und in's Zimmer schaute -