Im Busch / Kriegsbilder aus dem dt.-franz. Krieg

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„Nun?" rief er aus, „seh' ich aus wie ein Miner und kann ich jetzt mit Anstand in die Berge rücken?"



„Mr. Holleck! wahrhaftig!" rief, von ihrem Stuhl aufspringend, Pauline, „ich habe ihn im ersten Augenblick gar nicht erkannt."



„William in der That," sagte auch der Vater und /32/ schüttelte erstaunt den Kopf, und seine Frau, eine noch wirklich schöne Brünette, wenn auch die Jahre ihr schon ihre Furchen in Wangen und Stirn gegraben, schlug die Hände zusammen. Die kleine Therese aber kletterte von ihrem Stuhl herunter, lief auf den Besuch zu und rief, vor Freuden die kleinen Händchen zusammenklappend:



„Ach, Onkel William geht in den Wald und holt Gold, und dann bringt er mir auch eine Menge große Stücke zum Spielen mit, nicht wahr?"



Der junge Mann hob die Kleine vom Boden empor und sich auf den Arm, und dem jungen Mädchen die Hand entgegen streckend, frug er mit etwas herausforderndem Lachen:



„Nun, gefall' ich Euch so?"



„Nein," sagte Pauline nach einer kleinen Pause, in der sie den Ankömmling vom Kopf bis zu den Füßen betrachtet hatte und dabei leicht erröthete, „ganz und gar nicht. Sie sehen viel besser in Ihren gewöhnlichen Kleidern aus - viel vernünftiger, denn ich kann mir einmal nicht helfen, es kommt mir immer so vor, als ob die ganze Welt wie wahnsinnig geworden wäre und - eine dem entsprechende Tracht angelegt hätte."



„Pauline hat ganz Recht," bemerkte auch der Vater. „Wenn die Arbeiter und Tagelöhner hinauflaufen und das da oben mit Spitzhacke und Schaufel fortsetzen wollen, was sie hier unten mit Spitzhacke und Schaufel angefangen haben, so läßt sich nichts dagegen einwenden. Wer aber sein Brod noch auf andere Weise verdienen kann, der - sollte sich zweimal bedenken, ehe er den tollen Streich machte, in ein Leben hinein zu springen, dem er - eben nicht gewachsen ist, und das er deshalb nur zu bald wieder satt bekommen muß."



„Aber Mr. Holleck wird doch auch da oben nicht selber graben und waschen wollen," sagte die Mutter lächelnd, „er denkt gewiß gar nicht daran."



„Und die Mutter ist jetzt die einzige Vernünftige von der ganzen Gesellschaft," lachte der junge Miner in seiner dreisten Art. „Aber, Papa Pitt, Sie glauben, ich hätte so weit den Kopf verloren, um mich da oben in die Berge zu setzen und angenehme Löcher in den Erdboden zu hacken - und Miß Pitt ebenfalls? - Das ist aber stark." /33/



„Nun, mein junger Freund," sagte der Vater mit ernster Miene, „ich dächte, der ähnlichen Beispiele hätten wir in diesen Tagen gerade genug, um einen solchen Verdacht bei den geringsten Anzeichen mehr als wahrscheinlich zu machen, und für solche, und zwar sehr starke Anzeichen rechne ich nun einmal ein rothwollen Hemd und Wasserstiefeln ganz bestimmt. Wenn Sie aber nicht in die Berge wollen, wozu dann die Maskerade?"



„In die Berge will ich allerdings," sagte der junge Mann, indem er jetzt die Kleine wieder auf die Füße stellte und sich ohne Weiteres mit zum Tisch setzte, aus den zur Luncheons Zeit immer ein paar übrige Gedecke gelegt wurden - er war ja überhaupt ein steter und, wie er überzeugt war, gerngesehener Gast im Hause, - „aber nur um mir das Leben da oben einmal mit anzusehen - wahrlich nicht um zu arbeiten, zu hacken und zu graben."



„Und läßt Sie Ihr jetziger Principal so lange fort?" frug Mr. Pitt. „Ich dächte, gerade in jetziger Zeit wäre so viel Arbeit daheim, daß man seine Leute am allerwenigsten entbehren könnte. Ich möchte wenigstens gerade jetzt keinem meiner Clerks einen achttägigen Urlaub geben."



„Ich bin längst aus dem Geschäft getreten," sagte der junge Holleck gleichgültig, indem er sich selber aus der Zinnbüchse zu Sardinen verhalf.



„In der That?" fragte Mr. Pitt erstaunt und sah zu ihm auf.



„Jetzt ist die Zeit," fuhr Holleck fort, „hier in Australien etwas Selbstständiges zu beginnen. Mit dem Seeleben, das ich zuerst versucht hatte, ging es nicht; meine Existenz als schlecht bezahlter Commis hinzuschleppen, war eben so langweilig, und da endlich, gerade im entscheidenden Moment, meine schon lange erwarteten Wechsel von daheim eingetroffen sind, so hab' ich mich denn rasch entschlossen, meinem Brummbär von Principal den Stuhl für immer vor die Thür zu setzen, und bin jetzt mein eigener Herr. Das, glaube ich, ist das Gescheidteste, was ich thun kann, daß ich mir die Verhältnisse oben in den Minen, von denen wir hier unten doch keinen richtigen Begriff haben, einmal selber ansehe. Nachher kann ich mich dann entscheiden, ob ich meine neue Thätigkeit /34/ dort an der Quelle beginne. - Aber wo ist denn Charley? Noch immer oben in Bathurst?"



„Gott weiß es," sagte die Frau, die bei der Erwähnung des Sohnes alles Andere vergaß. „Er kommt nicht und schreibt nicht, und da oben scheint wirklich Alles den Kopf verloren zu haben in dem einen tollen Gedanken: Gold!"



„Er wird in den Minen sein."



„Ich kann mir wenigstens nichts Anderes denken," sagte Mr. Pitt. „Allerdings wollte er schon vor beinahe jetzt acht Tagen zurückkommen, aber die Mail wurde ja damals beraubt, und wenn er auch damit geschrieben hat und sich jetzt damit tröstet, sind ja alle Briefbeutel abhanden gekommen und wir wissen gar nichts von ihm."



„Wenn er nur nicht selber dabei war," seufzte die Frau, und man sah es ihr an, wie sie sich Mühe gab, gefaßt zu bleiben. „Es soll ja einer von den Passagieren erschossen sein."



„Hat man denn darüber nichts Näheres erfahren?"



„Du lieber Gott, die Mutter ängstigt sich gleich um ein bloßes Gerücht," erwiderte Mr. Pitt. - „Es hieß allerdings so - drei oder vier sogar sollten anfangs dabei umgekommen sein, die Vermißten meldeten sich aber alle, und zuletzt sprach man nur noch von einem. Aber selbst das glaub' ich nicht, denn Blut vergießen die Bushranger nur ungern und selten. Von den Passagieren war aber keiner zu erfragen. Die Leute hatten die Goldkunde von oben mit aus den Minen gebracht, und das verschlang am nächsten Morgen so jedes andere Interesse, daß der Ueberfall der königlichen Post kaum beachtet und auch schwerlich ernstlich verfolgt wurde. Die Schufte hätten zu ihrem Plan keinen glücklicheren Moment wählen können, denn ich glaube nicht einmal, daß ihnen auch nur Polizei nachgeschickt ist."



„Und von Charley haben Sie seit der Zeit gar keine Nachricht?"



„Keine - vorgestern schrieb ich noch einmal nach Bathurst hinauf, und wenn sie mir dort nicht Alle davon gelaufen sind, so hoffe ich doch wenigstens übermorgen bestimmte Nachricht zu bekommen."



„Sonderbar - er ist doch sonst so pünktlich," sagte Holleck, /35/ indem er seinen Teller zurückschob. „Nun jedenfalls komme ich jetzt selber hinauf und will mich dann oben gleich nach ihm erkundigen."



„Und dann schreiben Sie uns augenblicklich, nicht wahr?" frug" die Mutter besorgt.



„Gewiß."



„Ach, bis dahin ist ja schon lange Antwort von Charley selber da," sagte Mr. Pitt kopfschüttelnd. „Mach' Dir nur des Jungen wegen keine Sorge, Alte, denn jetzt geht da oben Alles drunter und drüber, und die jungen Leute haben den Kopf voll und denken an Briefeschreiben gerade zu allerletzt."



„Und ist das recht?" frug die Mutter.



„Recht oder nicht," lachte der Mann, „es ist eben menschlich, wenn der Kaufmann auch eigentlich nie den Kopf verlieren soll. Apropos, wie wollen Sie denn in die Minen hinauf, William, zu Fuß? Das wird ein langer Marsch werden?"



„Gott bewahre, ich fahre mit der Mail."



„Ich glaubte, man müsse sich auf der sechs oder acht Tage vorher einschreiben lassen, um nur einen Platz zu bekommen."



„Ich traf es außerordentlich glücklich, daß gerade ein Passagier absagen ließ, wie ich in der Office war, und dadurch konnte ich gleich in seinen Platz eintreten."



„Das war allerdings Glück - aber jetzt muß ich fort, Kinder, denn ich habe noch eine ganze Menge für meinen Capitain zu besorgen, damit er wieder glücklich aus dem Hafen kommt, denn wunderbarer Weise hat er seine ganze Mannschaft noch. - Wäre nur der verwünschte Junge erst hier!"



„Und wohin soll Ihr Capitain?"



„Ich will ihm einen Cargo nach Neuseeland geben, und wenn mir die Goldgeschichte keinen Strich durch die Rechnung macht, soll ihn mein Junge begleiten. Die Ladung selber kann er recht gut in drei Tagen an Bord haben. Also auf Wiedersehen!" - und damit verließ Mr. Pitt, seinen Hut aufgreifend, das Zimmer.



„Wären Sie so freundlich und nähmen mir ein paar Zeilen mit zu Charley hinauf?" frug die Mutter den jungen Mann, als ihr Gatte die Thür hinter sich zugezogen hatte.



„Gewiß, mit Vergnügen." /36/



„Mein Alter darf's nicht wissen," lächelte die Frau verlegen, „denn er spottet mich ja nur immer der Sorge wegen aus, die ich mir, wie er meint, unnützer Weise mache. - Kann ich's denn aber ändern, daß ich mich eben sorge?"



„Aber dann muß ich Sie bitten, mir dieselben bald zu geben," sagte Holleck. „Denn um vier Uhr geht die Mail, und ich habe für mich selbst noch bis dahin einige Kleinigkeiten zu besorgen."



„Ich schreibe sie gleich, wenn Sie nur einen Augenblick warten wollen," sagte die Frau, rasch von ihrem Stuhl aufstehend. „Dann bin ich doch sicher, daß sie in seine Hände kommen. Nur ein paar Minuten, Mr. Holleck, ich halte Sie gar nicht lange auf. - Lieber Gott, ich will ja nichts weiter von ihm wissen, als nur, ob er noch lebt und ob es ihm gut geht."



Holleck war mit Paulinen und der kleinen Therese allein.



„Werden Sie lange in den Minen bleiben, Mr. Holleck?" fragte Pauline, die ebenfalls aufgestanden war und an ihren Nähtisch trat.



„Wenn es von mir abhinge, Miß Pitt, so ginge ich gar nicht fort," sagte der junge Mann, der jetzt neben ihr stand und das Kind, das mit seiner Uhrkette spielte, zu sich zog.



„Und was zwingt Sie?" lächelte das junge Mädchen.

 



„Das Leben selber," erwiderte Holleck ernst. „Ich muß mir eine Existenz gründen, denn schon so lange habe ich mich zweck- und nutzlos in der Welt umhergetrieben, und es wird Zeit, daß ich endlich einmal selbstständig auftrete und mein eigener Herr werde."



„Und ließe sich das nicht hier in Sidney eben so leicht erreichen?"



„Vielleicht, ja - aber keinenfalls so schnell, denn Alle, die da oben an der Quelle sitzen, ziehen auch den größten und schnellsten Nutzen aus dem Gold, das die nächsten Monate zu Tage schaffen werden."



„Und Sie glauben wirklich, daß die Berge so reich sind?"



„Ja - nach Allem, was ich jetzt darüber gehört und davon gesehen - und wenn mir dann meine Arbeit gelingt - wenn ich nachher den Vater überzeugen kann -" /37/



„Der Vater glaubt noch immer nicht all' die Gerüchte, die jetzt die Stadt durchlaufen," unterbrach ihn Pauline, und ein eigenes ängstliches Gefühl drückte ihr dabei die Brust zusammen. „Er - wird Ihnen gewiß recht dankbar sein, wenn Sie ihm gewisse Kunde von da oben bringen können -"



„Und was wird die Tochter thun?" frug Holleck mit leiser Stimme, die kaum zu Paulinens Ohren drang und doch durch alle ihre Nerven wie ein Messer schnitt.



„Wer? - ich?" sagte sie und war sich der Worte, die sie sprach, kaum bewußt - „oh, gewiß würde ich mich recht freuen, wenn Sie - wenn Sie Glück in den Bergen hätten - aber - es ist ein wildes Land und - nicht Jeder fühlt sich wohl dort oben."



„Und wenn ich dann vor Paulinen hinträte," fuhr Holleck dringender fort - „wenn ich sie dann früge, oh sie -"



„Aber Du thust mir ja weh," rief die kleine Therese dazwischen - „sieh nur, wie Du mich mit Deiner alten häßlichen Kette gegen den Tisch gedrängt hast -"



„Da ist auch die Mutter schon wieder mit dem Brief," rief Pauline, als sie daneben eine Thür gehen hörte, und es war ihr in dem Augenblick, als ob eine Last von ihrer Seele genommen würde.



Holleck war aufgesprungen, und ein fliegendes Roth ergoß sich ihm über Stirn und Wangen; aber es blieb ihm keine Zeit, seine unterbrochene Werbung zu betreiben, denn in demselben Moment ging die Thür wieder auf und Mrs. Pitt trat mit dem Couvert in der Hand ein.



„Nun, bin ich lange geblieben?" frug sie lächelnd, indem sie ihm den Brief hinüber reichte - „ich habe ihm aber auch wirklich nur kaum zwei Zeilen geschrieben."



,,Sieh nur, Mama, wie mich Onkel William gedrückt hat," rief die kleine Therese, die es ärgerte, daß sie gar nicht beachtet wurde.



„Er soll pünktlich besorgt werden," sagte Holleck, den Brief in sein Taschenbuch legend, und er mußte sich dabei Gewalt anthun, gerade in diesem Augenblick ruhig und unbefangen zu erscheinen.



„Und wollen Sie wirklich schon fort?" /38/



„Es ist gleich zwei Uhr, und ich werde kaum noch eine halbe Stunde für mich übrig haben."



„Also nochmals die herzlichsten, herzlichsten Grüße für Charley, und er soll gleich, gleich schreiben, oder am allerliebsten selber kommen, denn der Vater hat ja auch hier für ihn genug und übergenug zu thun."



„Goodbye! mein kleines Schätzchen," sagte Holleck, die Kleine von der Erde aufnehmend und küssend - „und hast Du nichts an Bruder Charles zu bestellen?"



„Er soll sich vor den bösen Bushrangern in Acht nehmen," rief die Kleine, „und sie lieber alle miteinander todtschießen."



Holleck küßte sie nochmals auf die Stirn und setzte sie wieder auf den Boden nieder.



„Leben Sie wohl, Miß Pauline - hoffentlich kehr' ich recht bald und mit recht guten Aussichten zurück. Leben Sie wohl, Mrs. Pitt," und mit den Worten griff er seinen Hut auf und verließ rasch das Zimmer.



„Wie war Mr. Holleck eigentlich heute so sonderbar," sagte die Mutter, als er schon eine ganze Weile die Stube verlassen und Pauline ihren Platz am Nähtisch wieder eingenommen hatte, „kam Dir das nicht auch so vor, Kind?"



„Ich weiß nicht, liebe Mutter," sagte das junge Mädchen, und war froh, daß die Mutter in dem Augenblick am Fenster stand und hinaussah - „es ist mir nichts Besonderes an ihm aufgefallen. Wäre es bei Dir vielleicht seine veränderte Kleidung gewesen?"



„Das könnte sein," sagte die Frau - „aber er war so unruhig, so verstört. - Nun, sieh nur um Gottes willen, was da wieder für Menschen in die Berge hinaufziehen. Drei, vier, fünf Karren hinter einander und die ganze Fracht mit schwerem Handwerkszeug ordentlich besteckt. Wo nur die Leute alle da oben Platz finden, und was es da wieder für Mord und Todtschlag geben wird, des leidigen Goldes wegen. Ach ich wollte, Charley wäre hier - mir ist das Herz schon bis zum Brechen schwer."



Und sie trat vom Fenster zurück, setzte sich auf das Sopha, stützte den Kopf in die Hand und schaute still und gedankenvoll vor sich nieder. - Pauline saß ebenfalls schweigend mit /39/ ihrer Arbeit beschäftigt am Nähtisch, und nur die kleine Therese hatte sich ihren Gummiball aus der Ecke geholt und rollte ihn fröhlich und behend in der Stube herum. - Was wußte das Kind von Sorgen, Plänen oder Träumen!



Noch saßen sie so, als ein schwerer Schritt auf der Treppe gehört wurde und eine fremde Stimme draußen frug:



„Mr. Pitt zu Haus?"



Die Mutter fuhr empor, denn nur mit den Gedanken an den Sohn beschäftigt, bezog sie Alles auch nur auf ihn. Ehe draußen erwidert werden konnte, hatte sie schon die Thür geöffnet, aber der Mann brachte ihr keine Nachricht aus den Bergen. Sie kannte ihn: es war der Capitain der in der Bai ankernden Brig, der für ihren Gatten eine Ladung Mehl von Valparaiso gebracht hatte und jetzt nur wahrscheinlich kam, um die neue Ladung nach Neuseeland mit ihm zu besprechen.



„Ah guten Morgen, Mrs. Pitt - Mr. Pitt zu sprechen?"



„Guten Morgen, Capitain Becker," sagte die Frau - „treten Sie nur ein - ich höre meinen Mann eben auf der Treppe; er wird gleich herauskommen."



„Hallo, Becker?" rief Mr. Pitt, der seine Stimme erkannt hatte, schon von der Treppe aus, indem er heraufstieg - „nun, was bringen Sie Gutes?"



„Verdammt wenig, Sir," sagte der Deutsche, gerade nicht in der Stimmung, sehr wählerisch mit Worten zu sein - „die ganze Mannschaft ist zum Teufel!"



„Alle Wetter, die ganze?" frug Pitt, an der obersten Stufe erstaunt halten bleibend.



„Die ganze," bestätigte der Seemann, und mußte sich Gewalt anthun, nicht noch einen derberen Fluch hintennach zu schicken. „Selbst der lumpige Schiffsjunge und der Koch sind durch die Lappen gegangen und, die Ratten ausgenommen, der Steward und ich jetzt die einzigen lebenden Wesen an Bord. - S' ist, Gott straf' mich, zum Halsabschneiden mit der verwünschten Bande."



Mr. Pitt lachte. „Das habe ich mir wohl gedacht," sagte er endlich, „ich weiß auch wirklich nicht, weshalb wir etwas vor den übrigen Schiffen voraus haben sollten? Daß /40/ sie nur noch s o lange geblieben sind, wundert mich, denn der Talbot, der Boreas, der Delphin haben schon alle lange keinen Mann mehr an Bord."



„Soll mich auch wohl noch bei den Schuften bedanken, daß sie sich haben die paar Tage, wo beinahe gar nichts zu thun war, gefälligst füttern lassen," brummte der Capitain, der mit in die Stube getreten war und sich zu einem noch auf dem Tisch stehenden Glas Sherry verhalf - „aber die ganze Wasserpolizei ist hinter ihnen her. Ich bin den ganzen Morgen schon seit Tagesanbruch auf den Beinen, und nichts ist versäumt, um sie wieder aufzubringen, wenn sie eben noch zu kriegen sind."



„Wenn sie eben noch zu kriegen sind," lachte Mr. Pitt. „Da wird's aber wohl hapern. Ist denn Ihr erster Mate auch mit?"



„Der lag ja im Hospital," sagte der Capitain, „aber es geht ihm wieder besser. Ich war auch heute Morgen schon bei ihm und er wird heut Abend wieder ausgehen, um die Wasserpolizei ein wenig zu unterstützen. Was fange ich jetzt an, wenn ich meine Mannschaft nicht wieder kriege? Und frische Seeleute zu miethen, wenn sie wirklich zu bekommen wären, ist ganz unmöglich, denn die Lumpen wissen jetzt gar nicht, was sie fordern sollen."



„Dann bleibt Ihnen nichts Anderes übrig, als auch einmal in die Minen zu gehen und Ihr Glück da oben zu versuchen ," nickte Mr. Pitt - „der Capitain vom Delphin ist auch schon mit seinen beiden Steuerleuten hinauf."



„Hm," brummte der Capitain, dem dieser Gedanke neu war, halb verlegen vor sich hin - „hübsche Beschäftigung das, droben nach Gold puddeln und indessen sein Schiff in der Bai von Würmern fressen lassen."



„Ich sage ja nicht, daß Sie nach Gold graben sollen," meinte der Kaufmann, „aber da oben finden Sie Ihre Mannschaft gewiß, und können vielleicht Andere, die nichts finden, noch dazu engagiren. Aber jetzt wollen wir erst einmal sehen, was die Wasserpolizei ausrichtet, obgleich ich darauf nicht viel baue. Haben Sie eine gute Belohnung ausgesetzt?" /41/



„Fünf Pfund Sterling für den Kopf, wie sie eingetrieben werden."



„Hm, das hilft vielleicht."



„Und für den Schiffsjungen noch ein Pfund extra."



„Und warum für den mehr?"



„Weil ich mir bei dem nachher noch eine aparte Güte thun und ihm eine tüchtige Tracht Schläge geben kann. Das ist mir ein Pfund werth, und ich gäbe zwei darum, wenn ich ihn gleich heute an Ort und Stelle hätte."



Mr. Pitt lachte wieder, denn wenn ihm das Weglaufen der Mannschaft auch nicht lieb war und ihm sogar einen nicht unbedeutenden Strich durch seine Rechnung machte, hatte er es doch auch schon vorausgesehen und seine Calculation deshalb nicht gerade zu fest gemacht. Was ihm auf der einen Seite Nutzen brachte, lockerte, wie er recht gut wußte, auch auf der andern wieder alle gewöhnlichen Verbindungen, und er durfte nicht böse darüber sein, wenn er eben so gut darunter zu leiden hatte, wie alle übrigen Geschäftsleute der Stadt.





5.



In die Minen!





So gleichgültig Mr. Pitt aber das Goldgraben selber betrachtete, und sich nur einzig und allein auf seinem einmal eingenommenen Standpunkt hielt, von dem aus er aber natürlich den größtmöglichen Nutzen aus der Gewinnung des Goldes zu ziehen gedachte, so direct suchte dagegen die Mehrzahl der übrigen Bewohner von Sidney dem edlen Metall beizukommen, und alle nur erdenklichen Pläne wurden ersonnen, um nicht allein dem bloßen Glück zu vertrauen, sondern die Gewinnung des Urstoffes auf eine festere und solidere Basis zu gründen. /42/



Eine wahre Hetzjagd begann besonders nach allen den Persönlichkeiten, die schon einmal in Californien gewesen waren und die Arbeiten also genau kannten. Diesen traute man nämlich von vornherein einen sichern Blick zu, reichhaltige Stellen zu bestimmen, und bedachte gar nicht, daß sie schwerlich so rasch von Californien zurückgekommen wären, wenn sie einen solchen Blick da drüben gehabt hätten. Aber das schadete nichts; schon das einfache Wort „Californier" gab gewissermaßen einen sichern Anhaltepunkt, und solche Leute, wo sie sich entschlossen einer rasch gebildeten Arbeiter-Compagnie beizutreten, sahen sich augenblicklich in den Stand gesetzt, die Reise in die Berge vollkommen kostenfrei, und oft unter den günstigsten Bedingungen nebenbei, anzutreten.



Alle Arten von Maschinen wurden außerdem construirt und zum Verkauf ausgestellt, und selbst das Widersinnigste mit schwerem Geld bezahlt, nur um mit enormem Transport in die Berge geschafft und dann dort oben, nach kurzen Versuchen als werthlos befunden, bei Seite geworfen zu werden. Besonders leistete der gewöhnlich stets theoretische Deutsche darin Außerordentliches.



Verschiedene deutsche Compagnien bildeten sich solcher Art, mietheten für enormes Geld Wagen, kauften Lebensmittel und rückten in Trupps in die Berge, um sich - dort oben angekommen, schon nach wenig Tagen wieder zu zerstreuen und ihr ,,Glück" einzeln oder doch wenigstens in Paaren zu versuchen.



In Sidney lebte in dieser Zeit ein deutscher Mechanikus, Zachäus mit Namen, ein außerordentlich fleißiger und geschickter Mann in seinem Geschäft, aber im gewöhnlichen Leben auch zu gar nichts zu verwerthen. Wo er aber Feile und Zirkel in die Hand bekam, gewann unter seinen Händen Alles Form und Gestalt, und er hätte in kurzer Zeit ein reicher Mann werden können, wenn er eben bei seiner Arbeit geblieben und sich auf die Anfertigung solcher Instrumente beschränkt hätte, die verkäuflich waren und gesucht wurden. Statt dessen experimentirte er aber fortwährend, hatte den Kopf voll neuer, oft ganz sinnreicher Erfindungen, die ihm aber immer nur Zeit und Geld kosteten, und vernachlässigte dabei sein übriges /43/ Geschäft, denn mit einem solchen neuen Plan in Aussicht, ließ er sich auf nichts Anderes ein, und selbst bestellte und angenommene Arbeiten waren nicht von ihm zu bekommen.

 



Natürlich construirte Zachäus augenblicklich, sobald nur die wirkliche Entdeckung des Goldes festgestellt war, eine neue Maschine zum Goldwaschen, in der auch das kleinste, unbedeutendste Stäubchen Gold festgehalten werden sollte, und richtete es mit Rädern und Schrauben so sinnreich ein, daß ein Kind die ziemlich schwere Construction mit Leichtigkeit in Gang halten konnte. - Zachäus war entschlossen, selber damit in die Minen zu gehen.



Die einzigen stillen und theilnahmlosen Menschen in diesem bewegten, wilden Leben waren eine Anzahl von Eingesperrten in dem Stadtgefängniß, die hinter ihrem eisernen Gitter wohl den Lärm von draußen hörten und zu deren Ohren auch wohl das Gerücht des gefundenen Goldes drang, denn der Schließer hätte es ja nicht über das Herz bringen können, etwas Derartiges zu verschweigen, die aber selber jedem Zweifel, jeder Unentschlossenheit, ob sie gehen oder bleiben sollten, enthoben wurden und deshalb auch all' den dumpfen Gerüchten ziemlich theilnahmlos und gleichgültig lauschten. Was half ihnen das Gold in den Bergen!



Unter ihnen war ein alter Schäfer, ein Convict seit Gott weiß wie langen Jahren, der aber seine Strafe abgebüßt und seinen Entlassungsschein in der Tasche hatte. Natürlich trank und spielte er aber, so wie er nur ein paar Pfund Sterling sein eigen nannte, und schien in neuerer Zeit eben mehr ausgegeben zu haben, wie er eingenommen. Mit zwanzig oder fünfundzwanzig Pfund in Schulden, die er nicht bezahlen konnte, ward er dann einfach eingesteckt.



Der Mann hatte den Schließer besonders geärgert, denn als dieser zu ihm hereingekommen war, um ihm die wunderbare Entdeckung des Goldes zu erzählen und dafür - das Wenigste, was er doch verlangen konnte - unbegrenztes Erstaunen zu ernten - schüttelte der Alte den Kopf nur verächtlich herüber und hinüber und sagte: - sind sie jetzt endlich auch dahinter gekommen?"



/44/ „Na, Du hast die Geschichte wohl schon gewußt, nicht wahr?" frug der Schließer entrüstet.



„Hab' ich auch," brummte der Mann störrisch vor sich hin, „und wenn sie mich hier hinausließen, wollte ich ihnen die lumpigen paar Pfund in gelbem Gold bezahlen. Hier freilich ist nichts zu finden - als höchstens Flöhe."



Der Schließer wollte ihn erst verhöhnen, weil er es für Prahlerei hielt, und versuchte dann, als der Alte ihn reden ließ, aus ihm heraus zu bringen, was er etwa wußte. Aber der Schäfer blieb von da an in Allem, was Gold betraf, stumm, nickte nur manchmal vor sich hin, und das Einzige, was er noch darüber äußerte, war: „Wenn ich nur erst wieder hinaus bin!"



Es dauerte denn auch keine drei Tage, so war das Gerücht verbreitet, im Gefängnisse säße Schulden halber ein alter Convict, der die reichsten Stellen in den Bergen wüßte und schon viel Gold gefunden und zum Verkauf hereingebracht hätte, ohne daß man je erfahren, woher er es habe.



Andere alte Gerüchte tauchten ebenfalls auf, besonders wurde eine Thatsache von Mund zu Mund erzählt, die sich auf die Entdeckung des Goldes schon in jener Zeit bezog, als Australien erst zu einer Strafcolonie besiedelt worden.



Damals hatte nämlich ein Convict oder Sträfling ein Stück Gold von mehreren Unzen Gewicht einem Goldschmied zum Verkauf angeboten und war augenblicklich festgenommen und befragt worden, woher er das Gold habe. Er behauptete damals, er hätte es in den Bergen zwischen den Steinen gefunden, aber man hielt das für eine Lüge. Der obere Beamte entschied, daß er jedenfalls irgendwo eine goldene Uhrkette oder dergleichen gestohlen und nachher zusammengeschmolzen habe, und da er nicht bekennen wollte, wo er den Diebstahl begangen, wurde er gepeitscht bis auf's Blut - ja er soll sogar unter den Schlägen gestorben sein.



Er wäre nicht der einzige Unglückliche gewesen, der unschuldig unter der despotischen Regierung der Gouverneure Bligh und Macquarie, von denen besonders der Erstere (derselbe Capitain Bligh, gegen den sich die Mannschaft der Bounty empörte und später die Pitcairn-Insel besiedelte) so durch seine /45/ Grausamkeit und Rechtlosigkeit auszeichnete, daß sich die Colonisten endlich gegen ihn empörten und ihn heimschickten.



Sidney war aber in dieser Zeit gerade besonders empfänglich für die Erinnerung solcher Anekdoten, und der alte Schäfer deshalb gerade jetzt eine zu wichtige Persönlichkeit, um lange unbeachtet und vergessen in seiner dunkeln Zelle zu liegen. Wie er hieß und wem er verschuldet sei, ließ sich sehr leicht herausbekommen, und eines Abends, kurz vor Sonnenuntergang,