Im Busch / Kriegsbilder aus dem dt.-franz. Krieg

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„Grub (Lebensmittel) frei?" sagte der Alte.

„Alles."

„Und Brandy?" /47/

„Mit inbegriffen."

„Und gleichen Antheil?"

„Wie ich gesagt habe."

Der Alte schwieg wieder eine Weile und klopfte stärker mit dem Fuß auf den Boden, und die beiden Fremden schwiegen ebenfalls, denn sie wollten ihm Zeit zum Ueberlegen lassen. Endlich sagte er:

„Topp! und wann kann die Reise fortgehen?"

„Morgen früh; wir haben schon Alles bereit, und bis um zehn Uhr Morgens, denn heut Abend ist es zu spät, können wir Euch Eure Entlassung bringen. Einen warmen Anzug und ein paar wollene Decken für Euch findet Ihr bei uns im Haus, und um zwölf Uhr können wir schon unterwegs sein."

„Gut - bei Gott!" schrie der Alte, der jetzt anfing warm zu werden, „dann hört wenigstens hier einmal das Hundeleben auf."

„Und es bleibt dabei?"

„Ich habe Topp gesagt, das gilt allemal."

„Schön," sagte der, der zuerst gesprochen, „dann habe ich hier als Handgeld gleich eine Flasche Brandy mitgebracht, an der Ihr Euch heut Abend eine Güte thun könnt."

„Das war das gescheidteste Wort, was Ihr bis jetzt gesprochen habt," rief der Alte und langte gierig nach der Flasche. „Donnerwetter, habe den guten Stoff lange genug entbehren müssen und -" er hatte den Stöpsel schon abgezogen, hob die Flasche an den Mund und that einen langen, langen Zug - „hui! das schmeckt," stöhnte er endlich, als er absetzen mußte, um Athem zu holen - „und jetzt sehe ich auch, daß es Euch Ernst mit der Sache ist."

„Also Ihr seid morgen früh gerüstet?"

Der Alte antwortete nicht gleich, denn er hatte die Flasche schon wieder am Mund. Als er aber zum zweiten Mal absetzte, stellte er sie neben sich, wischte sich den Mund mit dem Rockärmel und sagte:

„Verdammt wenig Umstände, die ich hier zu machen habe. Richtet Ihr die Sache nur draußen ein, daß morgen früh nicht noch ein Schloß aus Versehen zu ist, wenn ich hinaus will; bei mir selber braucht's nachher nicht mehr, als vielleicht ein freundliches „Hol' Dich der Teufel" für den Schließer." /48/

Die Sache war in der That abgemacht. Die beiden Fremden reichten dem alten Schäfer zum Abschied, und vielleicht auch zum Abschluß ihres Bündnisses, bekräftigend die Hand - und dieser, durch den Brandy außerordentlich cordial gestimmt, schüttelte sie aus Leibeskräften - und verließen dann den Gefangenen, um ihn die letzte Nacht auf seiner harten Pritsche verträumen zu lassen.

Am nächsten Morgen kamen sie aber lange nicht so rasch fort, als sie vermuthet haben mochten. Die beiden Goldgräber in spe nämlich, ein paar junge Kaufleute aus Sidney, hatten auch noch, um ganz sicher zu gehen, Zachäus mit seiner neuerfundenen Waschmaschine engagirt, und wenn auch der alte Smith um elf Uhr auf freien Füßen war und in einem neuen warmen Anzug - er sah ordentlich anständig darin aus - gerüstet neben dem schon fertig geladenen Karren stand, hatte Zachäus selber doch noch eine solche Masse von Vorbereitungen zu treffen, und eine solche Quantität von höchst nöthigen Dingen vergessen, daß er die beiden Engländer - Smith selber nahm es außerordentlich kaltblütig auf - beinahe zur Verzweiflung brachte. Es wurde in der That vier Uhr Nachmittags, ehe sich der Zug in Bewegung setzen konnte, und selbst dann mußte Zachäus noch einmal von der ersten Ecke zurücklaufen, weil er seinen Schlüssel abzuziehen vergessen hatte.

Auch dieser war endlich geholt, und der mit einem festen Leinwandzelt überdeckte Karren schloß sich jetzt einer Anzahl ähnlicher an, welche die Georgestreet langsam hinaufrollten, ihrem goldenen Ziel, den Minen, entgegen.

An dem Abend vorher war ein von den Sandwichsinseln kommendes Schiff gelandet, das einen einzelnen Passagier mit von dort herüberbrachte, einen jungen deutschen Baron von Hafften, der sich schon eine Zeit lang in den californischen Minen herumgetrieben und überhaupt seit mehreren Jahren in den Vereinigten Staaten, den Felsengebirgen und endlich den californischen Golderzen ein an Abenteuern ziemlich reiches, jedenfalls ziemlich wildes Leben geführt hatte.

Dieser hörte nun, kaum an's Land gestiegen, von den neuentdeckten Schätzen Australiens, als er, rasch entschlossen wie er immer war, beschloß, augenblicklich in die Minen hinauf zu /49/

wandern und sein Glück auch einmal auf australischem Boden zu versuchen - jedenfalls sich die Verhältnisse hier mit anzusehen. Sein Gepäck konnte er indessen gut und sicher in Sidney lassen, denn er brachte von Honolulu aus einen Empfehlungsbrief von einem dortigen Geschäft für Mr. Pitt in Sidney mit, und dann blieb ihm vollkommen freie Hand, eine Zeit lang nach Herzenslust in den australischen Bergen umher zu streifen.

Mr. Pitt, in dessen Familie er den ersten Abend zubrachte und auf das Herzlichste von den guten Menschen aufgenommen wurde, wollte ihm das freilich ausreden und that sein Möglichstes, ihn von dem Entschluß abzubringen, in die Berge zu ziehen. Von Hafften war aber nicht der Mann, sich einen einmal in den Kopf gesetzten Plan wieder so leicht hinauswerfen zu lassen. - Im Gegentheil arrangirte er seinen Abmarsch schon auf den nächsten Tag, Mr. Pitt eröffnete ihm, als er sah, daß sich der junge Tollkopf nicht eines Besseren wollte belehren lassen, Credit in Bathurst in seinem dortigen Geschäft, falls er etwas brauchen, oder in Geldverlegenheit kommen sollte, und überließ ihn dann seinem Schicksal. Was anders war auch mit derartigen Leuten anzufangen, die nun einmal erst durch Schaden klug werden wollten - sie mußten eben ihren Willen haben.

Hafften war heut Abend ordentlich ausgelassen lustig, und machte selbst Mrs. Pitt ihre trüben Gedanken vergessen. Er setzte sich an's Clavier und ließ Pauline und Therese zusammen tanzen, und dann mußte sich Pauline hinsetzen und er sprang und tanzte mit dem Kinde, bis gegen neun Uhr noch Capitain Becker kam und eine riesige Ziehharmonica mitbrachte. Jetzt mußte der spielen und Hafften tanzte mit Paulinen, und daß der ehrliche gute Capitain keine Idee von Tact hatte und alle Augenblicke daneben griff, amüsirte die jungen Leute noch viel mehr, und Mr. Pitt selber lachte mit, daß ihm die Thränen über die Backen liefen. Er gestand, seit langer, langer Zeit keinen so vergnügten Abend verlebt zu haben.

Am nächsten Morgen mit Tagesanbruch traf aber Hafften trozdem seine Vorbereitung zum Abmarsch, und es gelang /50/ ihm, da er der englischen Sprache vollkommen mächtig war, das wenige Gepäck, das er mitzunehmen gedachte, auf einem der den Nachmittag abgehenden Karren vor der Hand bis Bathurst, und von da auch vielleicht noch weiter, in die nächsten Minen unter zu bringen.

Allerdings hatte er sich selber wollen auf der Post nach Bathurst einschreiben lassen; da er aber bedeutet wurde, daß schon auf sechs volle Tage Passagiere angemeldet wären, gab er es auf. Dann dachte er daran, ein Pferd zu kaufen, aber diese waren so fabelhaft im Preise gestiegen, und Leute, die das innere Land kannten, versicherten ihm, er würde in jetziger Zeit solche Mühe haben, Futter für sein Thier zu bekommen, und in den Bergen so damit behindert sein, daß er sich endlich entschloß, den Marsch zu Fuß anzutreten, und allein, einen Revolver im Gürtel, einen tüchtigen Stock in der Hand, zog er noch an demselben Nachmittag seine Straße, den fernen Bergen leichten Muthes zu.

Zwei oder drei Miles von Sidney entfernt, überholte er endlich einen andern Fußgänger, denn den übrigen Trupps und Schwärmen, von denen schon oft ein Theil stark angetrunken war, hatte er sich nicht weiter nähern mögen. Auch an diesem einsamen Wanderer schritt er mit leichtem Gruß vorbei - aber der Mann hatte in seinem ganzen Aeußern etwas so Eigenthümliches, daß er unwillkürlich nach ihm zurücksah, noch eine Weile weiter schritt, und dann seinen Gang hemmte, um wieder von ihm überholt zu werden.

Es war eine schlanke, fast schmächtige Gestalt, mit ziemlich bleichen, aber höchst interessanten Gesichtszügen, großen schwarzen Augen und dunkelbraunen, langen lockigen Haaren. Der Mann ging auch nicht wie ein Miner gekleidet. Er trug kein rothwollenes Hemd, keine Wasserstiefel und keinen californischen Hut, sondern dunkle städtische Kleidung, einen Seidenhut und einen Regenschirm, und nur auf dem Rücken einen kleinen, sauber gearbeiteten Tornister, der wenig mehr bergen konnte, als eben etwas reine Wäsche, wie denn auch sein ganzes Aeußere viel Sauberkeit verrieth.

Und was wollte der Mann in dem Anzug oben in den Minen? Hafften beschloß, jedenfalls eine Unterhaltung mit ihm /51/ anzuknüpfen. Verlassen konnte er ihn ja jeden Augenblick wieder, sobald ihm die neue Gesellschaft nicht länger behagte.

Der junge Fremde kam wieder näher.

„Wir haben ein Ziel?" sagte Hafften in englischer Sprache, indem er leicht an seinen Hut griff.

„Wie alle Menschen," sagte der junge Mann, den Gruß freundlich erwidernd - „ein Ziel, das der Eine leichter, der Andere mit etwas größerer Mühe erreicht - aber dahin - kommen wir Alle."

„Ich sprach nicht von dem letzten," lächelte Hafften, „aber auch unser nächstes scheint dasselbe zu sein, denn allem Vermuthen nach ziehen Sie doch ebenfalls in diese fabelhaften Berge auf Abenteuer aus - und wenn nicht das, wollen Sie sich doch, wie ich, den Platz einmal betrachten."

„Er ist mir nicht mehr neu," sagte der junge Mann, indem er neben seinem neuen Reisegefährten hinschritt, - „seit vielen Jahren schon habe ich oben in Bathurst gewohnt und jene Berge nach allen Richtungen hin durchwandert."

„In der That?" rief Hafften überrascht, „und hatten Sie nie eine Ahnung, daß sie so reiche Schätze bergen?"

„Daß sie Schätze bergen? - wer hat je daran gezweifelt," sagte der junge Mann, „und manches Geheimniß liegt noch tief in ihrem Schooß verborgen, aber daß gierige Menschenkinder je in solcher Masse mit Schaufeln und Hacken ausströmen sollten, sie zu durchwühlen, hätt' ich nie gedacht."

 

„Und gehören wir Beide jetzt nicht auch dazu?" lächelte Hafften.

„Ich nicht," sagte der Fremde ruhig - „ich ziehe mit hinauf, ja, aber nicht, um dort oben mit zu graben. Das Wenige, was ich brauche, hab' ich, mehr verlang' ich nicht; aber es ist immer interessant, die Leidenschaft der Menschen, wenn sie einem angeschwollenen Bergstrom gleich an uns vorüber tobt, von sicherer Stelle aus beobachten zu können - und das Schauspiel wird uns dort in reichem Maße geboten werden."

„Es ist aber eine verwünscht verführerische Geschichte," lachte Hafften, „und einem Hazardspiel am grünen Tisch nicht unähnlich, wo auch Fischblut dazu gehört, einen ganzen Abend daneben zu stehen und nicht einmal selber mit der Hand in 52/ die Westentasche zu fahren. Ich hab' es schon in Kalifornien mit durchgemacht und möchte es keinenfalls verschwören, daß ich mich hier nicht ebenfalls wieder verleiten ließe - trotz aller früheren bitteren Erfahrungen - noch einmal Hals über Kopf in eben den Strudel mit hinein zu springen."

Sein bleicher Begleiter lächelte leise und verächtlich vor sich hin und sagte:

„Ich bin sicher - Gold hat für mich nie einen Reiz gehabt und könnte ihn schwerlich da erreichen, wo noch eine schwere, ungewohnte Arbeit dazu kommt, es zu gewinnen. - Aber lassen wir das elende Gold. - Das gerade hat mir den Aufenthalt in Sidney unerträglich gemacht, daß man dort von weiter nichts auf der Gotteswelt hört, als von Gold - Gold und ewig Gold."

„Aber dem zu entgehen, haben Sie wohl kaum den richtigen Weg gewählt. Denn von was Anderem wird man in den Minen reden? an was Anderes wird man da den lieben langen Tag denken können?"

„Dort oben in den Bergen kann ich allein sein, wie ich eben will," sagte der junge Mann, „dort giebt es Stellen und Schluchten, wohin vielleicht noch keines Menschen Fuß gedrungen wie der meine, und dort - aber wir wollten ja von etwas Anderem reden, als den australischen Bergen," brach er kurz ab - „erzählen Sie mir lieber von Californien - oder nein, nicht von Californien, denn dort spielt ja ebenso das leidige Gold die Hauptrolle - erzählen Sie mir von Deutschland. - Es ist - eine lange, lange Zeit, daß ich nichts von dort gehört habe -" setzte er mit einem Seufzer hinzu.

„Waren Sie je dort?" frug Hafften.

„Ich bin ein Deutscher," sagte der junge Mann ruhig.

„In der That?" rief Hafften erstaunt - „das hätte ich Ihrer englischen Aussprache nicht angehört - aber dann schon lange hier im Land, nicht wahr?"

„Schon seit zehn Jahren," sagte der Fremde leise.

„Das ist etwas Anderes," rief Hafften - „dann kann aber unsere Unterhaltung beiden Theilen Nutzen bringen, denn ich habe erst gestern australischen Boden betreten und bin ein /53/ vollkommener Neuling in dem Lande. So tauschen wir denn aus, und der Weg wird uns Beiden kürzer werden, aber - wenn es Ihnen recht ist, in der Muttersprache, denn ich hasse es, wenn sich zwei Deutsche in einem fremden Idiom mit einander unterhalten."

6.

Die Familie Sutton.

Wir müssen noch einmal zu dem Abend zurückkehren, an dem die Royal Mail unweit des Gipfels des Razorbacks in den blauen Bergen überfallen und geplündert wurde.

Der von dem Bushranger verwundete Passagier war damals, wie sich der Leser erinnern wird, durch vier Leute von der kleinen am Wege stehenden Schenke auf die nicht weit davon entfernte Station eines englischen Gentleman, eines Mr. Sutton, geschafft und dort auf das Herzlichste und Liebevollste behandelt worden.

Mr. Sutton war schon ein ziemlich alter Herr, der erst in vorgerückten Jahren geheirathet und zwei erwachsene Kinder, einen Sohn und eine Tochter, hatte. Da sich seine Station aber mit jedem Jahre vergrößerte und er besonders in diesem dazu vortrefflich gelegenen Thale viel werthvolles Land urbar machen konnte, so trieb er jetzt auch, neben seinen zahlreichen Heerdcn und der einträglichen Pferdezucht, bedeutende Landwirthschaft, und hatte zu dem Zweck einige zwanzig Leute in steter Beschäftigung auf seiner Station.

Die etwas kränkliche Frau konnte aber dieser großen Wirthschaft nicht allein vorstehen, Rebecca, seine Tochter, war erst achtzehn Jahre alt, und so hatte er denn, aber erst in den letzten Jahren, eine Wirthschafterin in's Haus genommen, die für diese Stellung, trotz ihrer Jugend, außerordentlich passend /54/ schien, und in Allem, was Ordnung und Reinlichkeit betraf, wirklich nichts zu wünschen übrig ließ.

Miß Gertrud, wie die Wirthschafterin genannt wurde, mochte etwa zweiundzwanzig Jahre alt sein, und war als ganz junges Mädchen durch die, damals die Einwanderung von weiblichen Dienstboten mit großem Eifer fördernde Mrs. Chisholm3 nach Australien gekommen. Ihrer Aussage nach hatte sie damals eine Stelle in Adelaide gefunden, wo sie mehrere Jahre als Gouvernante in einer Familie gelebt. Aber die Frau starb, und sie kehrte zu Freunden nach Sidney gerade damals zurück, als Mr. Sutton eine Person für seine Familie suchte, die einer solchen Wirthschaft vorstehen konnte.

Weiter hatte sich Niemand nach ihr erkundigt, denn man ist in Australien überhaupt so vorsichtig, nicht zu sehr vergangenen Lebensverhältnissen nachzuforschen, aus Furcht, selbst in den ersten und angesehensten Familien oft sehr unangenehme Rückerinnerungen zu erwecken. Man nimmt die Leute, wie sie sich eben geben, und wenn sie jetzt ihre Pflicht thun und ihren Platz ausfüllen, fragt selten Jemand nach dem, was dahinten liegt und an keinem Orte mehr, wie gerade in Australien, vergessen sein sollte.

Gertrud war übrigens eine außergewöhnlich liebliche Erscheinung, mit einem ächt englischen Gesicht, die Nase ein klein wenig stumpf, aber wundervollem, kastanienbraunem Haar, nußfarbenen Augen und einer schlanken, edlen Gestalt. Nur um den sein geschnittenen Mund lag ein ernster, fast strenger Zug, der aber oft durch ein gar so liebes Lächeln gemildert, ja völlig verwischt wurde. Sie hatte dabei etwas außerordentlich Festes und Entschiedenes in ihrem ganzen Auftreten, besonders ihren Untergebenen gegenüber, wenn sie sich auch gegen Mr. und Mrs. Sutton wie deren Kinder stets bescheiden, und überhaupt sehr viel Tact in ihrem ganzen Wesen zeigte. Aber vielleicht gerade dadurch scheuchte sie auch jede wirkliche Vertraulichkeit zurück. Es war fast, als ob sie in der Familie nur als Dienerin behandelt sein wolle - sich nur als solche wohl und in ihrer Stellung fühlen könne.

Rebecca, eine fast zu zarte Gestalt für den wilden Busch, schien in ihrem Aeußern sowohl wie in ihrem ganzen Wesen /55/ gerade das Gegentheil Gertrudens. Von eben so regelmäßiger Schönheit wie diese, verlieh aber schon das blonde Haar und blaue träumerische Auge der ganzen Gestalt etwas Weiches, Schwankendes, und oft, wenn sie mit Gertruden sprach, schlug sie vor dem fest auf ihr haftenden, wenn auch freundlichen Blick derselben das eigene Auge wie scheu und befangen zu Boden.

Als an jenem Abend der schwer Verwundete in das Haus gebracht wurde, übernahm auch Gertrud gleich die unmittelbare Pflege desselben. Sie richtete das Zimmer und Lager für ihn her, sie sah nach seinem Verband und stillte soviel als möglich die Blutung der Wunde, bis der Arzt dieselbe untersuchen und richtig behandeln konnte, und that alles Nöthige so still und geräuschlos und so selbstbewußt, daß die übrigen Hausbewohner den neuen und fremden Gast in seiner bewußtlosen Anwesenheit kaum gewahrten, aber sicher nicht durch ihn gestört oder belästigt wurden.

Der Arzt kam, durch des alten Mitpassagiers freundlichen und aufopfernden Eifer getrieben, allerdings noch in derselben Nacht nach English Bottom, wie Mr. Sutton's Station gewöhnlich genannt wurde, aber er schüttelte, nachdem er die Wunde untersucht hatte, sehr bedenklich den Kopf, denn die Kugel hatte eine sehr gefährliche und beunruhigende Bahn genommen, und es ließ sich keineswegs mit Sicherheit vorausbestimmen, ob der Patient den Schuß überleben würde oder nicht. Jetzt athmete er allerdings noch, aber jeder Athemzug konnte sein letzter sein, und nachdem die Wunde, so gut es die Umstände erlaubten, behandelt worden, mußte allerdings das Meiste der gesunden Natur des Patienten wie der aufopfernden Pflege seiner neuen Freunde überlassen bleiben.

Mr. Sutton hatte indessen gleich gesucht, irgend einen Ausweis bei dem Kranken zu finden, wie er heiße oder wohin er gehöre; sein Taschenbuch war aber in den Händen der Bushranger geblieben, Briefe hatte er ebenfalls nicht bei sich, und selbst seine Wäsche war nicht gezeichnet, denn in den Colonien kauft man ja gewöhnlich Alles, was man braucht, fertig in den Läden. Wie also nun die Angehörigen auffinden, wo noch dazu in den nächsten Tagen schon kein Mensch weiter in /56/ ganz New-South-Wales einen andern Gedanken hatte, als Gold, und alle gewöhnlichen Communicationen unterbrochen, ja aufgehoben schienen.

Es war in der That nichts weiter zu thun, als den Zeitpunkt abzuwarten, wo sich der Verwundete so weit erholen würde, Nachricht über sich geben zu können oder - wo er seiner Wunde erlag, und dann zählte er nur zu den Tausenden, die in fremden Welttheilen unbeachtet, ungekannt sterben und verderben und spurlos von der Erde verschwinden. - Wie manches einsame Grab liegt so draußen im stillen Wald, und ein Kranz von Steinen, oder vielleicht nur ein mit dem Beil in den nächsten Baum eingehauenes Kreuz kündet allein die Stelle, wo ein Menschenherz modert.

Aber der junge Fremde starb nicht. Sieben Tage lag er allerdings vollkommen bewußtlos oder doch regungslos auf seinem Bett, nur im Stande, in der letzten Zeit dann und wann ein paar Löffel voll stärkender Suppe zu verschlucken, die ihm Gertrud mit sorgender Hand einflößte. Am achten Tage schlug er zuerst die Augen auf und sah seine Wärterin über sich gebeugt; dann schloß er sie wieder und gab durch kein Zeichen Kunde, daß er die an ihn gerichteten Fragen verstanden oder nur gehört habe.

Jetzt zum ersten Mal machte der Arzt, der indessen schon einige Male wieder herübergekommen war, Mr. Sutton Hoffnung, daß er seinen Patienten durchbringen könne, und in der nämlichen Nacht klopfte der Wärter, der fortwährend bei ihm bleiben mußte, an Gertrudens Thür, und meldete ihr, der Kranke sei zur Besinnung gekommen.

Gertrud zog sich rasch an und ging zu ihm hinüber - es war drei Uhr Morgens, und sie mochte Mr. Sutton noch nicht wecken, und als sie das Zimmer betrat und den Patienten frug, ob er etwas wünsche, ob sie ihm irgend etwas helfen könne, streckte er ihr lächelnd die bleiche, abgemagerte Hand entgegen, aber er sprach noch kein Wort.

Sie nahm die Hand und legte sie auf die Decke zurück; er nickte ihr, wie dankend, mit den Augen zu, und schlief dann wieder ruhig ein, bis zum nächsten Morgen.

Damit schien er aber auch die schlimmste Krisis überstanden /57/ zu haben, denn schon mit Tagesanbruch wachte er wieder auf und blickte suchend in dem leeren Zimmer umher, nach seiner Pflegerin. Der Wärter war auf dem Stuhl neben seinem Bett eingeschlafen, und der Verwundete vermochte ihn nicht zu wecken.

Da ging die Thür auf, und als Gertrud das Zimmer betrat, schaute sie der Leidende mit den großen, eingefallenen Augen voll an und sagte leise:

„Oh, das ist gut - das ist gut."

„Gott sei gedankt, der Sie wieder hergestellt hat!" rief Gertrud, rasch und fröhlich zu ihm eilend. „Jetzt wird auch Alles bald, recht bald besser gehen. Aber schonen müssen Sie sich noch, recht schonen, und kein Wort weiter reden, bis es Ihnen der Arzt erlaubt."

Wieder streckte ihr der Kranke die Hand entgegen und sagte dann mit leiser, kaum hörbarer Stimme:

„Was ist mit mir geschehen?"

Der Wärter war jetzt auch wach geworden und sprang erschreckt von seinem Stuhl auf, als er Tageslicht um sich und das junge Mädchen im Zimmer sah, aber Gertrud schickte ihn hinüber zu Mr. Sutton, um diesem die freudige Kunde mitzutheilen, und zu dem Kranken gewandt, sagte sie:

„Keine Frage jetzt, die Sie nur aufregen könnte; Sie müssen ganz still liegen, bis der Arzt erst wieder bei Ihnen gewesen ist, und indessen will ich hinausgehen und Ihnen etwas zu essen bereiten, denn Sie haben in der letzten Woche nicht mehr Nahrung über die Lippen gebracht, als in der nämlichen Zeit einen Sperling am Leben erhalten hätte."

Der Kranke wollte sie durch eine Bewegung seines Armes zurückhalten, aber sie hob warnend den Finger gegen ihn auf und ließ ihn dann allein.

Etwa eine halbe Stunde später kehrte sie mit Mr. Sutton zurück, und der alte Herr setzte sich an dem Bett nieder, legte seine Hand auf den Arm des Kranken und sagte herzlich:

 

„Mein lieber junger Freund, ich kann mir wohl denken, daß Sie nicht recht genau wissen, wo Sie jetzt sind und wie Sie hierher gekommen, und dieser ungewisse Zustand könnte Ihnen auf die Länge der Zeit peinlich werden. Erlauben Sie /58/ mir deshalb, Ihnen zu sagen, daß Sie sich auf der Station befinden, die in der Nachbarschaft kurzweg der English Bottom genannt wird. - Kennen Sie den Platz? Bitte, antworten Sie mir nicht laut, sondern schließen Sie, wenn Sie Ja sagen wollen, nur einen Moment die Augen.

Der Kranke lächelte und that so.

„Schön," sagte der alte Herr, als er den Blick seines Schützlings wieder auf sich gerichtet sah.

„Also sind Sie hier in der Gegend bekannt. Wohnen Sie in Sidney? - bitte, antworten Sie nur wieder auf die vorige Weise."

Der Kranke that so.

„Also das hätten wir ebenfalls heraus. Haben Sie Verwandte dort? - in der That? - gut, auch die werden wir nachher erfahren, und nun diene Ihnen vor der Hand zu wissen, daß Sie eine sehr häßliche Schußwunde durch die Brust bekommen haben, bei der Sie selbst in diesem Augenblick noch vielleicht nicht außer aller Gefahr sind. Transportirt können Sie ebenfalls noch nicht werden, und unter jeder Bedingung müssen Sie noch eine Weile bei uns aushalten. Nur Ihren Freunden oder Verwandten, die sich wahrscheinlich schon sehr um Sie geängstigt haben, möchte ich Nachricht von Ihnen geben können - halt, Sie dürfen nicht sprechen. Kann es ohne die geringste Anstrengung geschehen, so schreiben Sie mit dem Bleistift auf dies Stückchen Pappe Ihren Namen - weiter nichts."

Der junge Mann nahm den Bleistift in seine noch zitternde Hand und suchte dem Wunsche zu genügen. Wie er aber ansetzte, sah er plötzlich den alten Herrn starr an. Es war, als ob ihn ein plötzlicher Gedanke überkäme, ohnmächtig sank der Kopf, den er leicht gehoben, auf das Kissen zurück und der gehaltene Bleistift entfiel seiner Hand.

„Da haben wir die Geschichte," murmelte Mr. Sutton ärgerlich vor sich hin - „da komme ich her, nehme mir vor, recht behutsam und sorgfältig zu Werke zu gehen, und fange es nachher so ungeschickt an, wie nur irgend möglich. Was jetzt? - ich muß nur die Gertrud rufen, daß mir die den unglücklichen Menschen wieder zu sich bringt." /59/

Gertrud rief die entflohenen Lebensgeister des Verwundeten wieder zurück, aber er blieb den ganzen Tag zu schwach, um nur einen neuen Versuch, mit ihm zu sprechen, wagen zu dürfen. Auch schalt der Arzt, als er an dem Nachmittag herüber kam und das Nähere hörte, den alten Herrn tüchtig aus, daß er so mit der Thür in's Haus gefallen wäre und Alles gleich im ersten Moment hätte erzwingen wollen.

An dem Tag war auch weiter nichts zu thun, am nächsten Morgen aber schien sich der Kranke selber bedeutend besser zu fühlen, denn er verlangte aus freien Stücken einen Bleistift und Papier, und als es ihm gegeben wurde, schrieb er den Namen Charles Pitt auf.

„Pitt?" rief der alte Herr, der wieder an seinem Bette saß. „Sind Sie ein Sohn von Charley Pitt in Georgestreet?"

Der Kranke nickte leise.

„Ei Potz Blitz, dann freut es mich doppelt, daß wir Sie wieder auf die Beine bringen, mein lieber junger Freund, und Charley Pitt - aber was für eine Angst Ihre Eltern um Sie ausgestanden haben werden. Denen müssen wir gleich mit der nächsten Post Nachricht geben."

Wieder deckte Todtenblässe des Kranken Züge; er schloß die Augen und blieb still und regungslos liegen, daß der alte Herr schon glaubte, eine neue Ohnmacht habe ihn überfallen. Es war diesmal aber nur Schwäche gewesen, und Mr. Sutton ging dann gleich in sein Zimmer, schrieb ein paar Zeilen an Mr. Pitt in Sidney, worin er ihn von dem Zustand seines Sohnes, in Kenntniß setzte, und schickte den Brief dann durch Einen seiner Leute nach der Wegschenke hinüber, um von dort aus mit der nächsten vorbeikommenden Post befördert zu werden.

Die nächste vorbeikommende Post ging aber nach Bathurst hinauf, und der halbtrunkene Barkeeper, der zugleich die Postgeschäfte dort zu besorgen hatte, und sich nicht einmal die Mühe gab, die Adresse zu lesen, sandte den Brief, anstatt nach Sidney, in die Minen hinauf. /60/

*

Indessen hatte Mrs. Pitt in Sidney eine recht trübe, schwere Zeit verlebt, denn wenn sie sich auch sagen mußte, daß in der jetzigen Aufregung, die alle gewohnten und ruhigen Verhältnisse über den Haufen warf, ihr Charles recht gut oben in Bathurst aufgehalten, ja auch wohl ein Brief von ihm - wenn er überhaupt Zeit zum Schreiben behalten - verloren gegangen sein konnte, beruhigte sich das Mutterherz doch damit nicht, und unwillkürlich kehrte sie immer wieder zu dem Gedanken an die überfallene Mail und die damit verbundenen, freilich nur wirren und ungewissen Gerüchte zurück.

Und nirgends ließ sich darüber etwas Gewisses erfahren, denn selbst auf der Post wurden nicht einmal Namen eingeschrieben. Was kümmerte die Leute der Name eines Passagiers, wenn sie nur eben das Geld für den Platz bekamen; ein bestimmter Sitz ließ sich nicht einmal erwerben, und wer seine Glieder leichtsinnig genug der Royal Mail überlieferte, mußte auch sehen, wie er einen Platz darauf fand und damit fortkam. Das war allein seine Sache.

Aber selbst Mr. Pitt wurde zuletzt unruhig, denn sein Geschäftsführer in Bathurst erwähnte Charles nicht einmal, und als er endlich bei ihm anfrug, erhielt er die Nachricht, daß er die Absicht gehabt habe, nach Sidney an jenem nämlichen Tag zurückzukehren, als die Mail überfallen worden. Er sei aber noch in der letzten Stunde unschlüssig gewesen und habe vorher einen kleinen Abstecher in die Berge gemacht. Möglich, daß er dort geblieben wäre, und vielleicht jetzt noch oben in einer von den Schluchten stecke.

Das immer wachsende Geschäft nahm aber Mr. Pitt's Thätigkeit so ausschließlich in Anspruch, daß er wirklich gar nicht recht zum Besinnen kommen konnte, und jetzt nur böse auf seinen Sohn wurde, der sich, seinen eigenen Neigungen nach, in den Bergen zwischen den Goldsuchern herumtrieb und ihm hier die ganze Last der Besorgungen allein auf den Schultern ließ. - Daß ihm ein Unfall zugestoßen sein könne, wollte er nicht im Entferntesten gelten lassen.

Um diese Zeit war es, daß William Holleck aus den Bergen zurückkehrte und augenblicklich die Familie Pitt besuchte. /61/

Der kleine Kreis, mit Capitain Becker und einem andern Bekannten des Hauses, dem Polizeilieutenant Beatty, hatte sich gerade zum Thee gesammelt, als Holleck, jetzt aber nicht mehr in seinem Mineranzug, das Zimmer betrat und von Allen, besonders aber von der kleinen Therese, auf das Freundlichste begrüßt wurde. Das Kind lief auf ihn zu, schlang seine Aermchen um seinen Nacken, und als er es zu sich emporhob, rief es laut und fröhlich:

„Nun, Onkel William, hast Du mir auch recht viel Gold aus den Minen mitgebracht?"

„Einen ganzen Sack voll, mein Schatz," lachte der junge Mann, indem er in die Westentasche griff und ein Stück, wie eine Haselnuß groß etwa, vorholte und ihr gab - „da, und hier hast Du die Probe davon, womit Du spielen kannst - aber nimm Dich in Acht, daß Du es nicht verlierst."

„Wirkliches Gold?" rief die Kleine erfreut aus, „oh, wie das blitzt und glänzt, und wie schwer es ist!"

„Wo haben Sie Charles gesehen?" rief ihm die Mutter entgegen, wie nur die ersten Begrüßungen vorüber waren, „oh, warum schreibt er nicht wenigstens, daß man hier die Sorgen und Angst um ihn haben muß!"

„Gesehen hab' ich ihn nicht," sagte Holleck, indem er die Kleine wieder auf den Boden setzte. „In Bathurst war er weder zu finden noch zu erfragen, aber er soll oben in den Minen am Macquarie oder dort in der Nachbarschaft stecken, wie mir Leute versicherten, die ihn bei der Arbeit gefunden haben wollten. Die ganze Welt ist ja rein toll nach dem Gold da oben, und die Leute verrathen eine Leidenschaft zu Schaufeln und Spitzhacken, die ganz New-Süd-Wales in den ersten Ackerbaudistrict der Welt verwandeln würde, wenn sie es sich nicht in den Kopf setzten, gerade nur da zu hacken und zu graben, wo eben nichts Anderes wachsen will wie die Quarzblöcke und Porphyr."