Im Busch / Kriegsbilder aus dem dt.-franz. Krieg

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Nachmittags um drei Uhr fuhren sie fort, und Charles blieb allein in der Wohnstube der Familie zurück.

Nachmittags um vier Uhr kam gewöhnlich der jetzt regelmäßig fahrende Postwagen von Sidney dort vorbei, und Henry - Charles kleiner Wärter - ging dann jedesmal nach der Wegschenke hinüber, um die für Englisch Bottom eingelaufenen Briefe abzuholen. Er hatte auch heute seine Zeit eingehalten und die Station etwa zehn Minuten verlassen, als die Thür aufging und Gertrud hereinkam, einen Schlüssel zu holen. Sie schrak augenscheinlich zurück, als sie Charles allein sah; was aber auch ihr erstes Gefühl gewesen, zurück konnte sie nicht mehr, und die Thür hinter sich zuziehend, grüßte sie den /92/ jungen Mann freundlich und ging dann zu dem Schlüsselbrett, um das Nöthige dort zu holen.

„Gertrud," sagte Charles, über dessen Antlitz eine fliegende Röthe zuckte und dem die Bewegung des Mädchens beim ersten Betreten des Zimmers nicht entgangen war - „was habe ich Ihnen gethan, daß Sie, die mich so treulich in der schweren Zeit gepflegt, mich jetzt so ängstlich vermeiden und kaum einen Gruß, kaum einen Blick mehr für mich finden? Habe ich Sie durch irgend etwas gekränkt? - Guter Gott, es ist dann wahrlich unwissentlich geschehen, denn wem wäre ich zu größerem Dank verpflichtet, wie gerade Ihnen - und doch haben Sie mir noch nicht ein einzig Mal Gelegenheit gegeben, ihn auch nur auszusprechen."

„Sie haben mich durch nichts gekränkt, Mr. Pitt," lautete die leise, fast scheue Antwort des Mädchens, „aber da ich Ihre Pflege jetzt in besseren Händen wußte -"

„In besseren Händen, Gertrud?"

„So konnte ich Sie denen mit voller Ruhe überlassen. Sie - wissen außerdem, daß meine Stellung hier im Hause eine untergeordnete ist."

„Weichen Sie mir nicht aus, Gertrud," sagte Charles, indem er aufstand, auf sie zuging und ihre Hand zu ergreifen suchte, die sie ihm aber entzog. „Etwas Anderes hat sich zwischen uns gestellt, und ich habe die ganze Zeit das drückende Gefühl mit mir herumgetragen, daß ich Ihnen auf eine oder die andere Weise müsse weh gethan haben - und doch glauben Sie gar nicht, wie schmerzlich mir das gewesen ist."

„Durch nichts, Mr. Pitt - durch nichts," sagte das Mädchen ängstlich, und Charles konnte es nicht entgehen, daß sie das Gespräch abzukürzen suchte - „ich versichere Sie, ich habe Sie nicht gemieden, und nur - meine Stellung hier brachte es mit sich, daß wir uns nicht so oft begegnet sind wie früher. Es wäre auch unrecht von mir gewesen, wenn ich Ihnen nur irgend einen Groll hätte nachtragen sollen, denn Sie - haben mich stets mit - achtungsvoll und freundlich behandelt."

„Dann lassen Sie uns aber auch Freunde sein, Gertrud, und weichen Sie mir nicht länger so sorgsam aus," sagte /93/ Charles herzlich, indem er ihr die Hand entgegen streckte. „Ich gebe Ihnen mein Wort, Sie - haben dadurch meine Genesung eher aufgehalten als gefördert, denn die langen, langen Tage hatte ich eine ordentliche Sehnsucht danach, Ihnen einmal Auge in Auge zu sagen, wie dankbar ich Ihnen für die Sorgfalt bin, die Sie dem kranken Fremden gezeigt haben, und - wie gern ich Ihnen das beweisen möchte, wenn Sie – mir nur Gelegenheit dazu böten."

Gertrud hatte ihm ihre Hand nur widerstrebend gegeben, und ihre Züge waren dabei um einen Schatten bleicher geworden. Sie hob ihr Auge auch nicht zu ihm auf, und die Hand langsam wieder zurückziehend, sagte sie:

„Ich danke Ihnen für die freundlichen Worte. - Glauben Sie mir, daß ich Alles, was ich für Sie thun konnte, gern gethan habe; es verdient auch kaum einer weiteren Erwähnung - und nun erlauben Sie, daß ich meinen Geschäften nachgehe. - Ich muß etwas für den Stockkeeper herausgeben."

„Nicht so, Gertrud," drängte Charles, von der Gewalt des Augenblicks hingerissen, indem er ihr, wie sie das Zimmer wieder verlassen wollte, bittend in den Weg trat - „gehen Sie nicht s o von mir. Wir sind in diesem Augenblick allein, und wer weiß, wann sich je wieder eine solche Gelegenheit bietet, Ihnen das zu sagen, was ich Ihnen sagen muß."

„Mr. Pitt."

„Ich liebe Sie, Gertrud - seit ich Ihr stilles Walten hier im Hause beobachten konnte, seit ich Ihr freundliches Wesen kennen lernte, seit ich des Glückes theilhaftig wurde, von Ihrer Hand gepflegt zu werden, hab' ich die Kugel gesegnet, die mich zu Boden warf, nur um in Ihrer Nähe wieder zu einem neuen Dasein zu erwachen. Stoßen Sie mich nicht zurück, mein Herz ist ohne Falsch und jedes Wort, das ich Ihnen sage, so treu gemeint, wie es zu Ihrem Ohre dringt. - Werden Sie mein Weib - geben Sie mir das Recht, Ihnen das Alles in langen, langen Jahren wieder zu vergelten, was Sie jetzt an mir gethan, und Sie sollen es nie, nie bereuen, Ihre Hand am Altar in die meine gelegt zu haben." /94/

Gertrud war einen Schritt zurückgetreten, und das Blut strömte ihr bei der warmen Anrede des jungen Mannes in Stirn und Schläfe. Nur als er die letzten Worte sprach, deckte sie wie krampfhaft ihre Augen mit der Hand und Leichenblässe färbte in dem einen Moment ihre Wangen.

„Ich habe Sie überrascht, Gertrud," sagte Charles leise und mit tiefer Bewegung - „ich wollte Sie nicht erschrecken, aber glauben Sie mir, ich that den Schritt nicht unbedacht und habe Alles vorher reiflich überlegt. Nur noch kurze Zeit bleibe ich in Australien, ja meine Abreise nach Neu-Seeland, wo ich von jetzt an meinen Wohnsitz nehmen soll, wäre schon erfolgt, wenn nicht die Entdeckung des Goldes durch das Entlaufen der Schiffsmannschaft und meine Wunde mein Vorhaben verzögert hätte. Dort in dem wilden Lande brauche ich eine treue und liebende Gefährtin, und wie schwer ein junger Mann hier in Australien ein Herz findet das zu dem seinen paßt und ihm wirklich sein künftiges Glück sichern kann, wissen Sie ja vielleicht so gut wie ich. Da fand ich Sie, Gertrud, und mit der Sehnsucht zugleich, mir Ihren Besitz zu sichern, stieg ein Gefühl in mir auf, als ob Sie sich selber hier und in dieser Stellung, wenn auch bei lieben, guten Menschen, nicht glücklich fühlen könnten. Ich kann mich geirrt haben" - setzte er besänftigend hinzu, als er sah, daß Gertrud eine heftige, wie abwehrende Bewegung machte - „aber in meinem eigenen Herzen irrte ich mich nicht, und Gott ist mein Zeuge, Gertrud, daß Sie mich in diesem Augenblick durch ein kleines freundliches Wort recht glücklich machen könnten. - Wollen Sie mein sein?"

„Nein," sagte Gertrud leise, und als sie die Hand von ihrem Antlitz nahm, glich ihr Gesicht einem schönen Marmorbild, so starr und steinern sah es aus - „ich kann - ich darf nicht."

„Gertrud!" rief Charles mit tiefem, bitterem Schmerz.

„Glauben Sie nicht, Mr. Pitt," setzte das junge Mädchen rascher und fast ängstlich hinzu, „daß ich Ihre Liebe gering achtete, - daß ich nicht im tiefsten Herzen fühlte, wie gut und ehrlich Sie es mit mir meinen - daß ich Ihnen nicht im tiefsten Herzen dafür dankbar wäre, aber - dringen Sie /95/ nicht weiter in mich - machen Sie mich nicht dadurch noch unglücklicher, als ich schon bin. - Glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sage, es kann nicht sein, und möge Sie Gott auf Ihren weiteren Wegen schützen und der Gedanke an mich Ihnen nie eine trübe Stunde bereiten. - Leben Sie wohl" - und an seiner Seite vorübergleitend, verließ sie rasch das Zimmer.

Charles hielt sie nicht mehr zurück; ein eisiges Gefühl erfaßte sein Herz; die kaum geheilte Wunde schmerzte ihn wieder, er barg sein Gesicht in den Händen und sank bleich und erschöpft in den Lehnstuhl zurück, in dem er liegen blieb, bis Henry von der Wegschenke mit den dort vorgefundenen Briefen und Zeitungen zurückkehrte.

Draußen im Hof war es indessen außerordentlich lebendig zugegangen, denn ein kleiner Trupp Goldwäscher, die einen näheren Weg in die Berge hatten einschlagen wollen und von diesem abgekommen waren, schien sich dermaßen verirrt zu haben, daß er sich kaum wieder nach der Hauptstraße zurückfinden konnte. Glücklicher Weise trafen sie einen von Mr. Sutton's Schäfern in den Bergen, der ihnen wenigstens die Richtung angab, und zum Tod erschöpft und halb verhungert, wie vor Durst fast verschmachtet, erreichten sie endlich diese Station, wo sie an die Wirthschafterin gewiesen wurden, um sich von ihr etwas Speise und Trank zu erbitten. Sie konnten im wahren Sinne des Wortes, da die Aufregung einmal nachgelassen, in der sie sich bis jetzt befunden, keinen Fuß mehr vor den anderen setzen.

Es waren vier Deutsche und der Führer der kleinen Schaar, dem sich die Anderen angeschlossen, weil er daheim das Bergfach betrieben und deshalb hier natürlich auch gleich die reichsten goldhaltigen Stellen treffen mußte, war eine besonders auffällige Persönlichkeit.

Von kleiner, aber sehr corpulenter Gestalt, mit einem dünnen röthlichen Bart, aber sehr dickem, gutmüthigem Gesicht und großen hellbraunen Augen, bot Malchus, wie der Bergmann hieß, allen Schicksalen des Lebens eine so ruhige Stirn und setzte ihnen ein so fabelhaftes Phlegma entgegen, daß Jeder, der ihn nicht näher kannte, in dieser grenzenlosen Ruhe /96/ einen eisernen, felsenfesten Charakter zu finden glaubte - und doch war Malchus gerade das Gegentheil davon. Nur aus seiner Bequemlichkeit wollte er nicht gestört werden, und der heutige Marsch, der ihn zum ersten Mal in seinem ganzen Leben mitten in das wilde, rastlose Treiben der Berge, in ihre Mühen und Gefahren hineinriß und alle seine früheren Berechnungen und Vorsätze mit einem Schlage über den Haufen warf, hatte ihn so förmlich gebrochen und zerknirscht, daß er, die Station kaum erreicht, sich auch mitten im Hof auf einen dort stehen gelassenen Baumstumpf gerade in die Sonne niedersetzte und keuchend und stöhnend den Schweiß an sich heruntertropfen ließ.

Einer der Anderen, ein junger Photograph aus Sidney, hatte indessen die gerade aus dem Haus tretende Gertrud um eine kleine Erfrischung angesprochen, indem er ihr mit wenigen Worten schilderte, wie sie hergekommen, und Gertrud war in die Wirthschaftsstube zurückgegangen, um das Verlangte zu holen, denn trotz des Goldes war noch kein einsprechender Wanderer von Mr. Sutton's Station ungespeist abgewiesen worden.

 

Wie die Deutschen noch im Hofe lagerten und sich ein paar schattige Stellen zum Ausruhen gesucht hatten - nur Malchus blieb in der Sonne sitzen und briet - betrat ein anderer Trupp von Wanderern den Hof, und eine wunderlichere Gesellschaft wie die letztgekommene hätte sich auf der ganzen Welt nicht zusammen finden lassen und war auch wirklich nur allein in Australien möglich.

Sie bestand aus einem jener herumziehenden Schwärme von Eingeborenen, sogenannten „Schwarzen", die ihre frühere Heimath in den jetzt von den Weißen besiedelten Districten gehabt hatten und daraus vertrieben worden waren, so daß sie jetzt unstät in der Welt umherstreiften. Die Bäume, die ihnnen früher ihr Harz geliefert, waren niedergehauen; das Wild, das sie zu ihrem Lebensunterhalt erbeutet, ebenfalls erlegt oder vertrieben worden; den Nachbarstämmen durften sie dabei nicht in das Revier kommen, denn denen galten sie als Feinde, und das Einzige, was ihnen noch übrig blieb, war, sich ihren Unterhalt von den weißen Eindringlingen zu erbetteln. /97/

Wie sie sich aber früher vielleicht auf der Jagd oder bei ihren wilden und barbarischen Kriegszügen ausgezeichnet haben mochten, eine solche Fertigkeit hatten sie jetzt in dieser neuen Beschäftigung erworben, und etwas Zäheres im Betteln, als diese einfachen Naturkinder entwickelten, läßt sich nicht gut auf der Welt denken. Uebrigens verschmähten sie auch nicht zu stehlen, wo sich ihnen irgend eine günstige Gelegenheit bot, und ob das nun ein Schaf aus irgend einer Heerde draußen im Busch, ein Laib Brod in irgend einer einzelnen Rindenhütte, ein Huhn oder selbst ein Kalb von einer der Stationen war, blieb sich gleich - nur genießbare Gegenstände mußten es sein, Anderes konnten sie nicht gebrauchen - war es doch nur der Hunger, mit dem sie einen unausgesetzten, erbittterten Kampf ihre ganze Lebenszeit hindurch führten.

Aber wie wunderlich hatte sich ein Theil dieses kleinen Trupps herausstaffirt, oder war vielleicht zum Scherz von irgend einem Ansiedler so aufgeputzt, denn kein wilder Volksstamm der Welt haßt jedes Kleidungsstück mehr, wie der Australier. Haben die Weißen sich doch sogar genöthigt gesehen, Gesetze für diese Stämme zu geben, oder vielmehr Verbote zu erlassen, daß sie die Städte wenigstens nicht betreten dürfen, ohne mindestens mit einem bis zum halben Schenkel niedergehenden Hemd bekleidet zu sein, und sonderbarer Weise waren es vorzüglich die Frauen, die sich am längsten gegen diesen ungewohnten und verhaßten Zwang sträubten.

Hier im innern Land aber, wo sie draußen im Busch in ihren Gunyos campirten, und nur dann und wann einmal eine einzeln gelegene Station heimsuchten, erkannten sie gar kein solches Gesetz an, und sieben von dem Schwarm, Männer, Frauen und Mädchen, schritten in der Tracht des Urwalds in den Hof. Die Männer nur mit ihren Waffen, einer kurzen leichten Keule und dem Bumerang geschmückt, die Frauen mit einem kleinen Netz über der Schulter versehen, um etwa erhaltene oder erbeutete Lebensmittel hinein zu thun, aber Alle sonst vollkommen nackt.

Nur zwei von ihnen, ein junger Bursche und eine ältere Frau waren, wie schon vorher erwähnt, auf das Wunderlichste, und zwar in europäischer Kleidung herausgeputzt. /98/

Der junge Bursche trug nämlich auf dem bloßen Leibe ein Paar alte schwarze Hosen und einen schwarzen Frack von vorsündfluthlichem Schnitt, mit dem er Gott weiß wie viele Wochen draußen im Busch in Regen und Sonnenschein gelegen haben mochte, ohne daß je eine Bürste an das Kleidungsstück gekommen wäre. Natürlich ging er barfuß, aber um den Nacken hatte er auch noch ein einst hellblau gewesenes Seidentuch geschlagen und auf dem Kopf einen richtigen, wenn auch entsetzlich mitgenommenen Cylinderhut, den er, als er den Hof betrat, nach allen Seiten hin auf das Zierlichste schwenkte.

Die Frau dagegen, ein abschreckend häßliches Weib, was durch die Kleidung nur noch mehr hervorgehoben wurde, hatte den dürren Körper in ein großgeblümtes Muslinkleid gehüllt, das sein erstes Debüt jedenfalls einmal auf einem Balle in Sidney, gemacht, und auf diesem Körper schlimmer als zum Kehrichthaufen degradirt war. Auf dem Kopfe trug sie einen ebenfalls schon längst abgelegten Seidenhut, mit einer wahren Unmasse schmutziger künstlicher Blumen, und dazu eine ordinäre rothwollene Schärpe um den Gürtel. Sonst ging sie natürlich barfuß, das Kleid überall eingerissen und mit großen Schmutzflecken, und auf dem Rücken, eben so gut wie die übrigen Frauen, ein altes bastgestricktes Netz mit einem Stück Harz und einem Ueberreste halbgerösteter Hammelrippen - die Ueberbleibsel ihrer letzten Mahlzeit.

Ordentlich elegant sahen die nackten Eingeborenen neben ihr aus, die sich mit der natürlichen Grazie jedes wilden Stammes bewegten, weil sie ihre Blöße eben nicht fühlten. Nur im Anfang zeigten sie sich noch etwas schüchtern, weil sie eben nicht wußten, wie sie empfangen werden würden.

Der Stockkeeper, der gerade über den Hof kam, begrüßte sie auch mit einem von seinen Kernflüchen, denn er wußte recht gut, wie willig sie ihm da draußen im Busch Alles stehlen würden, was ihnen eben an jungem Vieh unter die Finger kam; Gertrud aber, die sich bis jetzt stets freundlich gegen die Eingeborenen gezeigt, winkte die jungen Mädchen heran und wies sie nach der Küche, wo sie zu essen haben sollten. Die Bewohner der Stationen waren zu sehr an die /99/ Erscheinung dieser Menschen gewöhnt, um etwa daran Anstoß zu nehmen oder das geringste Störende darin zu erblicken.

Die Eingeborenen waren von sieben oder acht Hundegerippen begleitet, die sich aber scheu zu ihren Herren hielten, denn zwei große langhaarige Känguruhunde, die auf dem Hofe in der Sonne gelegen, standen auf und umkreisten mit emporgesträubten Haaren und hochgehobenen Schwänzen die ruppige Schaar. Eben so wenig sicher fühlten sich auch wahrscheinlich die Eingeborenen selber mit ihren nackten Beinen in solcher Nachbarschaft, und griffen ihre „Waddies" schärfer auf, um sich im Nothfall gegen einen etwaigen Ueberfall vertheidigen zu können. Aber des Stockkeepers Stimme hielt die Hunde zurück, die auch - zu stolz vielleicht, über solche Köter herzufallen, dem Rufe langsam Folge leisteten und sich nur jetzt vor das Herrenhaus legten, als ob sie den fremden Eindringlingen dorthin jedenfalls den Zutritt verweigern wollten.

Noch ein paar Eingeborene befanden sich aber auf dem Hofe, die bis jetzt, von Niemandem bemerkt, wenigstens von Niemandem beachtet, in der einen Ecke gestanden hatten, aber nun ebenfalls langsam vorkamen, um den neuen Besuch zu betrachten. Es waren zwei Emus oder australische Kasuare, die schon seit mehreren Jahren zahm auf der Station gehalten wurden, und oft selbst kleine Streifzüge in die Nachbarschaft unternahmen, ohne je daran zu denken, ihre ihnen gelassene Freiheit zu mißbrauchen. Von den schwarzen Männern und Frauen nahmen sie auch nicht die geringste Notiz und schienen es nur auf die fremden Hunde abgesehen zu haben, nach denen sie mit ihren langen, harten Schnäbeln hackten und die unglücklichen Bestien winselnd und knurrend noch dichter zwischen die Füße ihrer Herren hineintrieben.

Malchus, der dieser ganzen Gruppe den Rücken zudrehte, hatte wohl den Lärm der Neugekommenen gehört, war aber viel zu müde oder auch gleichgültig gewesen, selbst nur den Kopf nach ihnen umzudrehen, und saß noch immer auf seinem Baumstumpf, sich mit dem breitgehaltenen und schon ganz durchnäßten Taschentuch Luft zufächelnd.

Den Schwarzen war indessen Niemand unbedeutend, denn von Jedem konnten sie nach Umständen ein Stück Brod /100/ oder ein Stück Geld bekommen, und da Malchus hier gerade den Mittelpunkt der ganzen Scenerie einnahm, mochte es auch sein, daß sie ihn für eine ganz besondere Persönlichkeit hielten. Jedenfalls gingen die beiden angekleideten Individuen, die für die passendsten gehalten wurden, um mit den Weißen zu verkehren, und in der That auch etwas Englisch sprachen, geraden Wegs auf Malchus zu und überraschten den kleinen Mann, der noch keine acht Tage in Australien war und in Sidney selber noch keinen Wilden zu sehen bekommen hatte, auf das Aeußerste.

Von beiden Seiten traten sie um ihn herum und vor ihn, und während der Herr seinen Hut abnahm, diesen bis auf den Boden schwenkte und eine entsprechende ehrfurchtsvolle Verbeugung machte, bei der er mit seinem fettglänzenden Haar beinah das Gesicht des kleinen Deutschen berührte, knixte die Frau in einem fort auf und nieder, und hielt dabei die Hand ausgestreckt und rief:

„Ein klein wenig weiß Geld, Sir - ein klein wenig weiß Geld."

„Gott straf' mich," sagte Malchus, indem er sein Taschentuch auf den Schooß sinken ließ, und die Augenbrauen hoch hinaufzog, „wo kommt Ihr schwarzen Deuwels denn auf einmal her?"

„Ein klein wenig weiß Geld, Sir - ein klein wenig weiß Geld," drängte aber die Frau und hielt ihm die ausgestreckte Hand mit den spitzen dürren Fingern immer näher auf den Leib. Allerdings verstand er kein Wort Englisch, aber nach der Bewegung der Hand doch so viel, daß das Volk etwas von ihm haben wollte. Wie er aber eben in die Tasche griff, hörte er ein Geräusch hinter sich, und den Kopf danach umdrehend, sah er sich plötzlich von dem ganzen Trupp der schwarzen Gesellschaft, die Mehrzahl in ihrem Urzustände, dicht eingeschlossen.

„Alle Wetter," schrie er, jetzt wirklich erschreckt in die Höhe fahrend, „ist denn die Hölle los?" Dabei trat er der Frau mit seinen schweren Schuhen auf den bloßen Fuß; diese kreischte laut auf und fuhr zurück, die Hunde fingen an zu bellen, die beiden Känguruhunde kamen wieder knurrend /101/ angesprungen, und für einen Moment herrschte völlige Verwirrung auf dem Hof. - Die aber legte der Stockkeeper gründlich mit seiner langen Peitsche. Schon die Bewegung derselben scheuchte die Känguruhunde auf ihren alten Platz zurück und die räudigen Kläffer der Schwarzen zwischen deren Füße. Dann beorderte er den Schwarm der Eingeborenen, ohne selbst Rücksicht auf die in voller Toilette zu nehmen, in der einen Ecke des Hofes zu warten, bis sie ihre Geschenke bekommen würden, und befreite damit augenblicklich Malchus von der unangenehm werdenden Gesellschaft.

Gertrud hatte indessen den Mädchen gebackenes Brod wie etwas Fleisch und Salz gegeben, um es unter die Uebrigen zu vertheilen, und die Eingeborenen zogen dann wieder - der im Frack mit tiefen Verbeugungen, die Frau im Kleid mit tiefen Knixen, zum Thor hinaus und mitten in die Wildniß hinein, um draußen das Erhaltene auch augenblicklich zu verzehren.

Den Deutschen war ebenfalls eine Mahlzeit bereitet und sie eingeladen worden, in des Stockkeepers Wohnung einzutreten, wo sie sich setzen und in Ruhe essen konnten. Die Hütte oder das kleine Haus lag parterre, wie alle diese Gebäude selten mehr als ein Stockwerk haben, und Malchus hatte sich hier, nachdem das ihnen Gegebene ausgetheilt, dicht an das offene Fenster gesetzt, mit seinem Teller vor sich auf einem kleinen Tisch. Neben Jedem stand dabei ein blecherner Quarttopf mit heißem Thee, dem besten Labsal, was man nach einer heftigen Anstrengung genießen kann, und die Hammelrippen mit dem freilich harten Brod oder Damper dufteten verlockend genug nach dem langen Fasten.

Trotzdem sollte Malchus aber selbst hier ein Hinderniß finden, seinem leiblichen Behagen zu folgen, denn in demselben Moment, wo er Messer und Gabel ansetzte, dem delicaten Rippenstück zuzusprechen, sah er plötzlich einen Kopf mit zwei großen glänzenden Augen an einem Schlangenleib, und anscheinend ohne weiteren Körper, vor sich, und ehe er nur einen andern Gedanken fassen konnte, hatte der Kopf mit einem riesigen Schnabel das Fleisch von seinem Teller aufgepackt und war damit wie in die Luft hinein verschwunden. /102/

Mit einer Hast, wie er sie in seinem ganzen Leben noch nicht gezeigt, fuhr der kleine Mann jetzt zwar in die Höhe und über den Tisch hinüber mit dem Kopf aus dem Fenster - aber zu spät. Er sah nur noch, wie der eine Kasuar mit klafterlangen Schritten über den Hof lief und im Laufen, ohne sich weiter aufzuhalten, sein Mittagessen hinunter würgte.

Der Stockkeeper war, in der Thür stehend, Zeuge der ganzen Scene gewesen, und schrie laut auf vor Lachen. Dem armen hungrigen Teufel kam die Sache aber gar nicht so komisch vor, und er beruhigte sich erst wieder, als ihm der Engländer, gutmüthig genug, eine frische Portion bestellte, mit der er sich jetzt vom Fenster weg und mitten in die Stube setzte. Er hatte Australien schon herzlich satt bekommen.

 

Gertrud hatte Alles auf dem Hof besorgt, was zu besorgen war, und jetzt ihr eigenes kleines Zimmer ausgesucht, wo sie sich still auf einen der Rohrstühle in eine Ecke setzte und stier und schweigend, die Hände im Schooß gefaltet, vor sich nieder sah. Sie regte sich dabei nicht, kein Zucken ihres Antlitzes oder nur einer Wimper verrieth, was in ihr vorging und arbeitete, aber aus den weitgeöffneten Augen flossen die großen, hellen Thränen, und tropften langsam, unbeachtet an ihren Wangen nieder.

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