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Inselwelt. Zweiter Band. Australische Skizzen.

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»Nein,« sagte Tolmer seufzend, »und Ihr wißt, welch' ein rastlos wildes, ungeregeltes Leben ein Junggeselle in den Colonien führen muß. Wäre uns nicht aus unserer Jugend noch die Erinnerung an den Segen stillen Familienglücks geblieben, man möchte manchmal wahrlich fast verzweifeln.«

»Ich zeig' Euch meine Heimat,« sagte Rodwell, und seine Augen leuchteten, als er an den stillen Frieden seines eigenen kleinen Herdes dachte, dem er mit frisch geblähtem Segel jetzt entgegenstrebte. »Grad' da vor uns taucht Point Marsden auf, und einen lieberen, freundlicheren Platz, als dort zwischen den schattigen Fruchtbäumen und blühenden Büschen liegt, gibt es nicht mehr auf der weiten Gottes Welt. Es ist für mich ein wahres und wirkliches Paradies.«

»Dann halte Euch Gott nur auch die Schlange daraus fern,« sagte Tolmer leise.

Rodwell sah sich rasch und fast erschreckt nach ihm um; sich dann aber mit fröhlichem Kopfschütteln die Locken aus der Stirne werfend, sagte er guten Muths, doch mit herzlicher, fast bewegter Stimme:

»Das wird er auch, Fremder, denn wo zwei gute Menschen Hand in Hand und fest zusammen stehen, da findet die Schlange keinen Boden für sich, und muß weichen. Aber –« setzte er, seinen Begleiter mit scharfem Blick fixirend hinzu – »was seht Ihr mich so sonderbar an? – kennt Ihr meine Heimat und – Ihr waret schon auf Känguruh-Eiland?«

»Ja – schon mehrere Mal,« lautete Tolmers ruhige Antwort, »aber immer nur auf sehr kurze Zeit. Doch – was ich Euch fragen wollte – Ihr habt wohl eine Station auf Marsden Point?«

»Nein – nur ein Haus, das ich mir selbst gebaut, und ein paar Gespann Pferde,« sagte Rodwell, leicht beruhigt. »Ich bin Zimmermann, meinem Geschäfte nach, und bin auch besonders damit beschäftigt, Nutzholz zu fällen und zuzuhauen und an den Strand zu schaffen, wo ich es den für fremde Häfen bestimmten Schiffen gut verkaufen kann. Auch Fuhren für die Stationshalter hab' ich gethan, theils in meinem Boot, theils mit meinem Geschirr, und stehe mich gut dabei. Von jetzt ab will ich aber zu Hause bleiben, und meine Fahrt nach Adelaide hatte eben zum Zwecke, nur eine kleine Heerde Schafe und Rinder zu kaufen, mit denen ich beginnen kann Viehzucht zu treiben, wie ein wirklicher Squatter. Ich habe das unruhige Leben satt und will mein Weib und Kind nicht mehr so lange allein lassen.«

»Daran thut Ihr wohl,« sagte Tolmer, »Australien ist dafür ein gefährlich Land, und eine Unzahl Menschen streifen darin frei umher, die in andern Gegenden vorsichtig in Ketten und Banden gehalten würden.«

»Dort drüben wohl kaum,« lachte Rodwell. »Derlei Gesindel hat uns die See bis jetzt ziemlich vom Leibe gehalten. Außerdem scheint es auch, als ob sich in neuerer Zeit doch mehrere reiche Einwanderer auf unserer kleinen Insel niederlassen wollten, die der Vortheile manche bietet, und das vermehrt denn nur natürlich unsere Sicherheit.«

»Haben sich neuerdings Fremde dort niedergelassen?« frug Tolmer gleichgültig.

»Allerdings,« erwiderte Rodwell. »Die Zeit wird gar nicht mehr so fern liegen, daß wir eine ordentliche Stadt dort drüben gründen, und da uns weder Buschrähndscher noch Schwarze etwas zu schaffen machen, dürfen wir die beste Hoffnung hegen, freie Einwanderer hinüber zu ziehen.«

»Eine Stadt? – das möchte doch wohl noch eine Weile dauern.«

»Und weßhalb?« rief Rodwell. »So hat sich erst ganz kürzlich ein höchst liebenswürdiger und gebildeter Mann, ein Capitän Howitt bei uns eingefunden, der ein großes Handelshaus dort etabliren will. Mit solchem Anfang findet sich die Stadt von selbst, denn Eines zieht dabei das Andere nach.«

»Ein Capitän Howitt?« frug Tolmer, »der Name ist mir bekannt.«

»Wohl möglich; er gehört einer alten und geachteten Familie in England an, und der Capitän selber, der Australien schon nach allen Richtungen durchreist und das Land aus dem Grunde kennt, ist jedenfalls der Mann dazu, ein derartiges Unternehmen im Großen durchzuführen.«

»Kennen Sie ihn genauer?« sagte Tolmer, und bereute auch schon im nächsten Augenblick, die Frage gethan zu haben, denn der vorn im Boot sitzende Matrose wandte rasch den Kopf nach ihm um, und schien ihn scharf und forschend zu betrachten.

»Genauer gerade nicht,« meinte Rodwell, »aber er hat etwas in seinem ganzen Wesen, das für ihn einnimmt – etwas Festes, Entschlossenes in seinem Blick, und solche Leute können wir im Lande brauchen. Die weichen, zaghaften Menschen passen nicht in unseren Busch.«

Tolmer schwieg. So gern er den Mann vor jenem gefährlichen Verbrecher gewarnt hätte, durfte er es in Gegenwart des Dritten nicht wagen, von dem er ja nicht wußte, ob er ihm trauen könne. Am Lande fand sich dazu vielleicht eher Gelegenheit. Jedenfalls hatte er genug von seinem Reisegefährten gesehen, von dessen Ehrlichkeit überzeugt zu sein, und diesem selber mußte denn ja daran liegen, den gefährlichen Menschen sobald als irgend möglich unschädlich gemacht zu sehen.

Rasch verfolgte indessen das Boot seine Bahn. Immer höher und deutlicher tauchte das ferne Land der Känguruh-Insel aus dem Meere auf, und schon konnten sie die einzelnen Vorsprünge, ja bald darauf den Busch und die daraus hervorragenden höheren Bäume erkennen.

Die Brise ließ gerade jetzt ein wenig nach, und Rodwell verging fast vor Ungeduld, daß das Boot nicht mehr so flüchtig vorwärts schoß. Bald aber blähte sich das Segel wieder voll dem Wind, und als die Sonne sank und Nacht das Meer deckte, waren sie dem Lande nahe genug gekommen, ihre Bahn trotz der Dunkelheit fortzusetzen. Rodwell kannte hier überhaupt jeden Vorsprung der Küste, jede Klippe, und steuerte den schlanken Kahn mit sicherer Hand dem alten gewohnten Landungsplatze zu.

»So, und nun kommt, Fremder – ich habe Euch noch nicht einmal nach Euerem Namen gefragt,« sagte er, als er mit leichtem Schritt an Land sprang, es dem Matrosen überlassend, das Boot auf der gewöhnlichen Stelle in Sicherheit zu bringen, und Segel und Ruder zu bergen.

»Barner heiß ich,« sagte Tolmer, ihm etwas langsamer folgend, denn er wollte sich durch seinen ziemlich bekannten Namen nicht vor der Zeit verrathen.

»Gut denn, Mr. Barner,« sagte Rodwell freundlich, »die Nacht müßt Ihr nun ohnehin mein Gast bleiben, da die Häuser in meiner Nachbarschaft noch gar spärlich gesäet sind, und morgen bleibt Euch Zeit genug, den Wanderstab zu setzen, wohin es Euch beliebt.«

»Und ist hier Euer Haus?« frug Tolmer, der sich in der Dunkelheit nicht zurecht fand.

»Gleich da drüben, hinter den einzelnen Bäumen, die Ihr dort gegen den helleren Himmel könnt abstechen sehen. Eigentlich müßten wir von hier aus schon das Licht im Innern erkennen können, aber meine Frau hat mich gewiß heute noch nicht erwartet.«

Er war, während er sprach, auf den bekannten Pfaden so rasch vorwärts geschritten, daß ihm Tolmer kaum zu folgen vermochte. Jetzt hatten sie die Gartenthür erreicht, aber auch diese war ungewohnter Weise verschlossen. Rodwell hob indeß die leichte Gatterthür aus den Angeln und führte seinen Begleiter den breiten kiesigen Gartenpfad entlang dem Hause zu, daß sie jetzt mit seinen dunklen Umrissen dicht vor sich erkennen konnten.

Hier hatten sie bald die Hausthür erreicht, an die Rodwell dreimal leise anklopfte. – Niemand antwortete ihm. Er klopfte stärker – Alles blieb todtenstill im Haus; kein Licht erschien, kein Schritt wurde laut.

»Sie kann doch noch nicht schlafen,« murmelte Rodwell vor sich hin, »es ist kaum acht Uhr –« und lauter, kräftiger schlug er gegen die Thür, daß es durch das ganze Haus dröhnte. – Umsonst. Im Haus rührte und regte sich Nichts.

Rodwell sprach kein Wort. Still und regungslos stand er an seiner eigenen Thür – an der Schwelle seines Paradieses, und wie die Ahnung etwas Entsetzlichen griff es ihm in die Seele und machte sein Blut in den Adern stocken.

Da knarrte im obern Stock, gerade über der Thür, ein Fenster, und eine ängstliche Frauenstimme rief von oben nieder:

»Wer ist da? – Sind Sie es, Master?«

»Betsey!« rief Rodwell, und holte tief Athem – es war ihm, als ob sich eine Centnerlast von seiner Seele wälze. »Oeffnet denn Niemand, und schläft mein Weib und Kind schon so fest, daß sie mich gar nicht hören?«

»Ich komme gleich hinunter und mache die Thür auf,« sagte das Mädchen und verschwand vom Fenster.

Die beiden Männer wechselten indessen kein Wort mit einander. Mit fast krampfhaftem Griff hielt Rodwell die Klinke fest in seiner Hand, bis sie im Haus die Schritte des Mädchens hörten, das langsam die Treppe herunter kam, und jetzt innen die beiden Riegel von der Thür zurückschob. Jetzt steckte sie den Schlüssel ein und schloß auf, und im nächsten Augenblick stand ihr Rodwell gegenüber.

»Ach du mein lieber Gott!« rief da das Mädchen, während ihr die Thränen aus den Augen stürzten, »ich kann ja nichts dafür – ich bin ja wahrhaftig unschuldig, wenn ich es mir auch gedacht habe, daß das Unglück noch geschehen würde.«

Rodwell war leichenblaß geworden. Er zitterte so, daß er sich an Tolmer halten mußte, nicht umzusinken. Nur sein stierer Blick bohrte sich an dem Mädchen fest, das ihr Antlitz in den Händen barg und laut und heftig schluchzte.

»Was ist vorgefallen, Betsey?« sagte er endlich mit leiser, vollkommen tonloser Stimme – »wo ist – mein Weib – mein – Kind?«

»Fort!« stöhnte da das Mädchen, »oh du lieber Gott, fort – fort – Beide!«

»Die Schlange!« hauchte Rodwell, und Tolmer sprang zu und hielt ihn, denn er sah, wie der starke Mann in die Knie brach, und glaubte, daß er zu Boden stürzen würde. Aber der Unglückliche raffte sich mit fast übermenschlicher Kraftanstrengung wieder empor, und Tolmers Arm ergreifend, schritt er mit diesem langsam seiner eigenen Stube – der seines Weibes zu.

Langsam und nur zögernd folgte das Mädchen den beiden Männern mit dem Lichte, und Rodwell's umherschweifender Blick hatte rasch auf dem dunklen Tisch ein kleines zusammengefaltetes Billet erkannt. Er nahm es hastig auf und wollte es erbrechen, hielt aber plötzlich wieder an, legte es auf den Tisch, und sich daneben in das Sopha werfend, sagte er mit ruhiger, fester Stimme:

 

»Erzähle mir, was hier vorgefallen ist, Betsey. Ich brauche Dich nicht zu ermahnen, mir die lautere Wahrheit zu sagen. Wenn Du einst selig zu werden hoffst, sprich und mache mich mit Allem bekannt, und sei es das Schrecklichste.«

Das Mädchen konnte vor heftigem Schluchzen kaum reden, nach und nach aber brachte Tolmer, der seine ganze Ruhe behielt, und von Anfang an schon ziemlich ahnte, was hier vorgegangen, Alles, wenigstens was Betsey wußte, aus ihr heraus.

Capitain Howitt – Rodwell griff bei dem Namen fest und krampfhaft in die Lehne des Sophas – war während seiner Abwesenheit oft – alle Tage im Haus gewesen – zu früher und später Stunde, und hatte viel und heimlich mit »Mistreß« gesprochen. Wenn er fort war, hatte Mrs. Rodwell manchmal geweint, aber er sei immer wieder gekommen, und gestern Abend seien sie mitsammen im Garten spazieren gegangen. Gestern Abend sei auch der Capitain zum ersten Mal in einem Boot gekommen, und Mrs. Rodwell habe gesagt, sie wolle ein wenig damit in die Bay hinausfahren. Sie – Betsey – habe das nicht zugeben wollen, und gemeint, es sei schon zu spät, Mistreß aber wäre darauf bestanden, und mit dem Kind im Arme und Capitain Howitt an der Seite in das Boot gestiegen. Wie sie darin gewesen, habe die Mistreß noch eine Flasche Milch für das Kind verlangt, wenn es etwa unruhig werden solle, dann seien sie mit Mr. Rodwell's Knecht, der sonst die Pferde besorgt, hinaus in die See gefahren – immer weiter, bis es dunkel geworden und sie das Boot nicht mehr habe erkennen können. Dann sei sie aufgeblieben und habe bis zwölf Uhr in der Nacht gewartet, daß sie zurückkehren sollten – aber sie kamen nicht – weder Frau noch Kind kehrten zurück, und als sie im Zimmer das Briefchen an den Herrn da auf dem Tische gesehen, da habe sie auch das Schlimmste schon gewußt, und sich die Augen fast aus dem Kopf geweint vor Scham und Weh.

»Es ist gut, Betsey,« sagte da Rodwell, und winkte ihr mit der Hand, hinauszugehen. »Zünde das Licht dort drüben an und laß uns dann allein.«

»Welche Richtung nahm das Boot?« frug Tolmer, während das Mädchen dem Befehl gehorchte.

»Gerade fort am Ufer nach dem festen Lande zu,« lautete die Antwort, und froh, keiner weiteren Rede mehr stehen zu müssen, verließ das Mädchen rasch das Zimmer, riegelte die Hausthür wieder zu und stieg in ihre eigene Kammer hinauf.

Rodwell stand indessen von seinem Sitze wieder auf, erbrach den Brief, trat damit zum Licht und überflog mit stierem Blick die Zeilen.

»Da nehmt und les't,« sagte er endlich, als er wieder und wieder hineingesehen und immer noch das verhängnißvolle Blatt nicht aus der Hand legen wollte. »Nehmt nur, Kamerad, und seht auch meine Schande da Schwarz auf Weiß. Das Schlimmste wißt Ihr doch, und da Euch Gott einmal in dieser schweren Stunde zu meinem Vertrauten gemacht, erfahrt auch das Andere. Vielleicht gebrauch' ich ohnedies Euren Rath – Eure Hülfe.«

Tolmer nahm den Brief und las:

»Charles, verzeihe Deinem treulosen Weib. Ein dunkles Verhängniß zwingt mich, den Frieden Deiner Schwelle, deren Segen ich nicht mehr verdiene, zu meiden. Ich bin namenlos unglücklich, und doch nicht im Stande, von dem Manne zu lassen, der meine Seele mit magischer Gewalt umstrickt hat. Du siehst mich nie wieder. Versuche nicht, uns zu folgen. Von dem festen Lande aus schiffen wir uns nach dem Continent ein. Versage Deinem unglücklichen Kinde den väterlichen Segen nicht, und möge die Zeit einst kommen, wo Du nicht mehr mit Haß und Bitterkeit derer gedenkst, die sich einst so glücklich an Deiner Seite fühlte –

Deiner unglücklichen

Jenny.«

Tolmer reichte den Brief schweigend zurück, den Rodwell fast bewußtlos nahm und in seiner Hand zusammendrückte.

»Sie sind nach Adelaide hinüber,« sagte er mit so leiser Stimme, als ob er sich vor den eigenen Lauten fürchtete.

Tolmer schüttelte den Kopf und meinte ruhig:

»Sie sind noch auf der Insel, so gut wie wir.«

»Ihr glaubt?« fuhr Rodwell rasch empor.

»Ich weiß es gewiß.«

»Ihr? – und woher?«

»Weil dieser Bursche – Howitt oder wie er sonst heißt – bei Nacht und Nebel, mit einer Flasche Milch statt Proviant, und einer Frau mit ihrem Kind nie im Leben die »Backstairs Passage« passirt hätte. Er so wenig wie der Bursche, der mit ihm fort ist, sind Seeleute.«

»Ihr kennt ihn?«

»Ich denke ja, aber mehr noch als das, ich hoffe seine Bekanntschaft in den nächsten Tagen zu erneuen.«

»Ich begreife Euch nicht.«

»Und doch ist Alles mit wenigen Worten erklärt,« lächelte der Polizeibeamte. »Mein Name ist nicht Barner, sondern Tolmer.«

»Der Chef der südaustralischen Polizei?« rief Rodwell rasch und erstaunt.

»Derselbe, und dieser Capitain Howitt, wie er sich hier genannt, ist der gefährlichste Buschrähndscher, der bis jetzt noch unsere Wälder unsicher gemacht, das Leben und Eigenthum unserer Bürger gefährdet hat. – Es ist der berüchtigte Gentleman John.«

Rodwell sah dem Sprechenden starr und entsetzt in's Auge, dann aber, als jener schwieg, barg er das Antlitz in den Händen und stöhnte.

»Mein armes, armes Weib – mein armes Kind.«

Tolmer übrigens, so leid ihm der Schmerz des Unglücklichen that, kannte zu gut den Werth seiner Zeit, diese mit leeren Klagen zu vergeuden.

Mit kurzen aber klaren Worten schilderte er deshalb auch jetzt dem ihm mit steigender Aufmerksamkeit Zuhörenden die Begebnisse der letzten Zeit, die Flucht des Buschrähndschers und seine Verfolgung, bis er hier auf der Insel endlich seine Spur gefunden und den flüchtigen Sträfling selbst gesehen habe. Eben so unbeschönigt erzählte er auch die von ihm belauschte Scene zwischen dem Verbrecher und der jungen Frau. Warum er diese damals nicht gewarnt? – ihm lag Alles daran, den Entflohenen einzufangen, und wie die beiden Leute zu einander standen, war es mehr als wahrscheinlich, daß sie ihm die Gefahr verrathen haben würde, in der er, einmal entdeckt, schwebte. Zugleich gestand er dem jungen Mann, daß er nicht zufällig nur seine Bekanntschaft gefunden, sondern dieselbe, als er einmal seinen Namen gehört, gesucht habe, und daß seine beiden, von Bewaffneten besetzten Boote noch in dieser Nacht an der Westküste der Insel landeten, dem Räuber die Flucht auf dem Schooner abzuschneiden.

Rodwell wollte freilich noch immer nicht glauben, daß die Flüchtigen auf der Insel geblieben wären; noch dazu, da das Mädchen gesehen, wie sie bis tief in die Nacht vom Lande absteuerten. Tolmer jedoch, seit Jahren daran gewöhnt, nicht jeder Aussage leichten Glauben beizumessen, schüttelte mit dem Kopf. Wer wußte denn, daß die Dirne nicht mit im Geheimniß steckte? Und wenn wirklich nicht, hatte ihre Aussage doch, so weit sie die wirkliche Richtung eines Fahrzeugs betraf, nur wenig Werth. Gestern Abend hatte außerdem Nordost- und Nordnordostwind vorgeherrscht, mit dem ein kleines Boot, das nicht recht gut am Wind lag, Cape Spencer nicht einmal erreichen konnte, während es, selbst ein Stück draußen im See, mit Leichtigkeit abfallen und vor dem Wind irgend einen Theil der Nordküste von Känguruh Eiland erreichen konnte. Außerdem lag flüchtigen Personen gewöhnlich daran, mögliche Verfolger auf eine falsche Spur zu bringen, nicht ihnen die wirklich genommene Richtung anzugeben, und demnach sprach denn Alles nur dafür, daß Gentleman John, überdies des neugekauften Schooners ziemlich sicher, mit seiner schönen Beute noch auf der Insel selber weile.

Für diese Nacht war freilich nichts mehr zu unternehmen, und Rodwell auch so erschöpft und niedergebrochen, daß er kaum seine Glieder zu regen vermochte. Tolmer bat ihn selber, sich niederzulegen, um für den nächsten Tag Kräfte zu sammeln – würde er sie doch wahrlich brauchen. Er selber band seine wollene Decke, die er stets bei sich führte, auseinander, rollte sich hinein und legte sich ohne weitere Umstände auf das Sopha nieder.

Als Rodwell sein eigenes Schlafzimmer betrat und sein Blick auf das leere ungemachte Bettchen seines Kindes fiel, da noch einmal brach all der Jammer der letzt durchlebten Stunde, die Ahnung seines künftigen freudlosen, einsamen Lebens, mit voller Stärke über ihn herein. Neben dem Bett seines Kindes sank er auf einen Stuhl, und das müde, sorgenschwere Haupt auf die kleinen Kissen gelegt, blieb er in der Stellung, bis der Schlaf sich seiner erbarmte und ihm wenigstens für wenige Stunden Vergessenheit seiner Leiden Ruhe gönnte.

Es war ein trauriges Erwachen, und mit ängstlicher Hast betrieb er die nöthigen Vorbereitungen zu ihrem in seinem Erfolg so ungewissen Marsch. Aber seine ganze alte Festigkeit hatte er wieder gewonnen, in seinem Ziel war er sich klar geworden, und als ihn Tolmer frug, was er selber zu thun gedenke, wenn sie die Flüchtigen wieder eingeholt, erwiderte er mit fester Stimme:

»Ich will mein Kind zurück. Die unglückliche Frau hat sich ihr Loos geworfen. Als sie mich verrieth, der sie auf Händen getragen und mit abgöttischer Liebe fast verehrt, da wählte sie sich ihre eigene Bahn und mag ihr folgen. Ich will sie nur noch einmal wiedersehen, um das Kind, das mein gehört, da sie sich selber des Rechtes dazu verlustig gemacht, von ihr zurückzufordern. Sie hat mich nie geliebt, oder sie hätte – mein Herz nicht durch eine solche Handlung brechen können.«

»Und was soll mit ihr geschehen, wenn wir des Verführers habhaft werden?«

»Gott mag sie schützen und ihr verzeihen,« sagte Rodwell ernst. »Meine treue Hand hat sie von sich gestoßen, ich hätte mit Freuden mein Leben für sie gelassen, sie hat es verschmäht und die Folgen über sie.«

»Gut denn,« sagte Tolmer, nach seinen Pistolen sehend und sie im Gürtel unter dem weiten Buschrock, den er angethan, bergend, »dann bleibt uns nur noch übrig, die Schlange zu finden, die Gift und Elend unter mehr als ein friedlich Dach gebracht. Beim ewigen Gott, das Maaß des Burschen ist über und über voll, und es wird Zeit, mit ihm die Rechnung abzufließen.«

Rodwell, der mit dem Entschluß zur That auch seine ganze Festigkeit und Ruhe wieder erlangt hatte, war indeß zum Stall gegangen, um seine beiden Pferde zu satteln, und nach rasch eingenommenem Frühstück, andere Provisionen hinter sich aufs Pferd gebunden, sprengten die beiden Männer der von Tolmer bezeichneten westlichen Richtung zu.

Die nächste Station, die sie erreichten, war die eines gewissen Motley, auch eines früheren Sträflings, der sich hier angesiedelt und jetzt der Besitzer ansehnlicher Heerden geworden. Rodwell wollte hier die ersten Erkundigungen einziehen, Tolmer verhinderte ihn aber daran. Es war nicht wahrscheinlich, daß die Flüchtigen, wenn sie wirklich hier in der Nähe gelandet wären, diesen seinem Haus so nahen Platz schon berührt haben sollten. Dann blieb es ebenfalls noch in Frage, ob Motley ihnen aufrichtige Antwort gäbe. Je später sie Anderen konnten wissen lassen, welchem Ziel sie nachstrebten, desto besser war es. Ein Geheimniß, das mehr als zwei Personen theilen, ist eben kein Geheimniß mehr.

Diesem Plane treu passirten sie noch zwei Stationen, ohne weitere Erkundigungen über die Flüchtigen einzuziehen, als sie sich durch eigenes Anschauen verschaffen konnten. Das wußten sie außerdem, daß der Räuber mit der Frau und dem Kinde nie in das Innere der Insel dringen konnte, wo die verzweifelte Känguruh-Distel ein Fortkommen oft unmöglich machte. Lag ihm daran, Cap Borda zu erreichen, so war das sehr wahrscheinlich zu Wasser geschehen, oder der kleine Zug genöthigt, sich auf dem am Seestrand hinauflaufenden Weg zu halten. Auf diesem hatten sie aber bis jetzt noch keine Spuren finden können.

So kamen sie bis Cap Trony, unfern des Mount Torrens. Sie hatten die Nacht wieder, wie sie gewöhnlich thaten, im Busch geschlafen, und hielten hier blos an, ihren Pferden ein ordentliches Futter geben zu lassen.

Tolmer hatte hier zuerst den Strand abgesucht, ob sie kein Boot irgendwo vor Anker sähen. Sie konnten aber nirgends etwas Aehnliches entdecken, und galoppirten eben der nicht mehr fernen Häusergruppe zu, als Tolmer plötzlich Rodwells Arm ergriff, und schweigend auf einen dicht am Wege liegenden Gegenstand deutete. – Es waren die Scherben einer Glasflasche, die einst Milch enthalten, und Rodwell faßte krampfhaft die Zügel seines Thieres und riß es zurück, daß es in sein Gebiß schäumte und knirschend in die Höhe stieg. – Es waren die ersten Spuren, die sie gefunden.

»Jetzt sind wir auf der Fährte,« rief da Tolmer, »hier ist der Abdruck von unseres Wildes Schuhen – nein, das muß der Bursche gewesen sein, den sie mit in das Boot genommen. Gentleman John hat ihn nach Milch auf die Station gesandt, während die beiden unten im Boote blieben, und der ungeschickte Bursche die Flasche zerbrochen. Unser Capitain Howitt würde sie selber nie so leichtsinnig dicht am Pfade haben liegen lassen.«

 

»Glaubt Ihr, daß wir sie im Hause finden?« frug Rodwell, und er brachte die Worte kaum über die Lippen.

»Hier? – Gott bewahre,« erwiderte Tolmer, »die sind im Boote weiter gefahren, und es ist sehr die Frage, ob die auf der Station mehr von ihnen wissen, wie wir selber. Jedenfalls müssen wir hier sehen, was wir von den Leuten herausbekommen, und haben wenigstens die Ueberzeugung, daß sich das Kind noch wohl und bei gutem Appetit befindet.«

»Gott sei gedankt!« stöhnte Rodwell aus tiefer Brust, und der Seufzer sprach nur zu deutlich die Angst um das kleine unglückselige Wesen aus, der er weiter keine Worte zu geben wagte.

Was die Spuren betraf, so hatte Tolmer übrigens Recht. Nur die Fährten des einen Buschschuhes, die vom Wasser nach der Station und wieder genau nach derselben Stelle zurückführten, waren dort zu erkennen, und davon sich erst einmal überzeugt, sprengten die beiden Reiter rasch den Stationsgebäuden zu.

Ihre Vermuthung wurde hier zur Gewißheit. Am gestrigen Morgen hatte ein Mann, der zu einem draußen am Strand auf ihn wartenden Boot gehörte, eine Flasche Milch, eine Flasche Rum und zwei Damper, wie etwas Salz geholt. Der Mann habe vorgegeben, die Milch sei für eine kranke Frau, die sie im Boote hätten, und das betätigte Einer der Stockkeeper, dem sie später, ein Kind auf dem Arme tragend, nicht weit vom Torrensberg begegnet sei. Sie begleitete, außer dem Burschen, der die Milch geholt und jetzt das Gepäck trug, noch ein fremder Herr, den er nicht kannte.

Die beiden Reiter hielten sich nicht länger auf, als irgend nöthig war, ihren Pferden einige Ruhe zu gönnen. Dann sattelten sie wieder auf, derselben Richtung wie bisher zu folgen. Daß sie die richtige Fährte hielten, war überdies gewiß, und Tolmer fand auch bald den Grund, weshalb die Flüchtigen das Boot verlassen und den weit beschwerlicheren Landweg gewählt hatten. Der Wind, der die letzten Tage ziemlich stät von Nordnordost geblasen, war nämlich nach Südwesten umgeschrahlt. Auch sah das Wetter seit gestern Morgen schon ziemlich drohend aus, daß Jene nicht wagen durften, sich in so schwankem Fahrzeug weit vom Ufer zu entfernen. Jedenfalls lag das Boot irgendwo in einer Bucht versteckt, und wenn sich Gentleman John, worin er allerdings einige Fertigkeit besaß, nicht Pferde zu verschaffen wußte, mußten sie die Flüchtigen vielleicht schon am nächsten Morgen überholen.

Zu Wasser hatten diese übrigens so raschen Fortschritt gemacht, daß sie ihnen noch immer einen Tagesmarsch voraus waren. Jetzt aber blieb den Verfolgern auch dafür die Hoffnung, sie um so rascher einzuholen.

An demselben Abend erreichten sie die Station eines alten Bekannten von Rodwell, den dieser wenigstens auf seinen verschiedenen Fahrten durch die Insel schon manchmal besucht hatte. Hier war Gentleman John mit der Frau, die der Stationsbesitzer für seine eigene gehalten, über Nacht geblieben und mit dem Frühesten gegen Mount Torrens aufgebrochen. Das Kind hatte viel die Nacht geschrieen, und die Dame vom Haus behauptete, die arme Frau habe viel geweint, weil sie sich wahrscheinlich um das Kind gegrämt.

Rodwell, obgleich er sein Geheimniß nicht verrieth, war in furchtbarer Aufregung, und Tolmer bei Seite nehmend, bestand er darauf, hier keine Rast zu machen, sondern an demselben Abend trotz einbrechender Dunkelheit noch weiter zu gehen. Die Straße bis zum Torrensberg, an dessen Fuß eine andere Station lag, war ziemlich gut, der Mond stand ebenfalls am Himmel, und sie konnten dadurch recht gut, ohne ihren Pferden irgend weh zu thun, einen weiteren Vorsprung gewinnen. Tolmer war natürlich vollkommen damit einverstanden, und nach einem rasch eingenommenen Mahl brachen die beiden Reiter, zum großen Erstaunen ihres Wirths, wieder auf.

Zwei Stunden scharfen Rittes brachten sie in Sicht des nächsten Hauses, dessen Licht ihnen schon von weitem durch die hier ziemlich dünn stehenden Büsche entgegen schimmerte – wenigstens konnten sie im Freien einen hellen Feuerschein erkennen. Näher gekommen, entdeckten sie aber bald, daß der Schein nicht aus einem Gebäude komme, sondern von einer Fackel herrühre, um die drei oder vier Männer unter einigen Gumbäumen geschaart standen.

Tolmer zügelte im Anfang sein Pferd ein, denn möglich war es ja doch, daß sie, anstatt die Station zu erreichen, vielleicht gar einem Trupp von Buschrähndscher in die Hände fielen. Cap Borda war von hier gar nicht mehr so weit entfernt, und Gentleman John viel zu umsichtig, seine Leute nicht gerade dort, sondern weit eher in der Nähe versteckt zu halten. Das Geläute lagernder Heerden aber in der Nähe, und das Gebell von Hunden verrieth doch auch wieder einen von weißen Ansiedlern bewohnten Platz, und deutlich konnten sie jetzt zwischen den um die Fackel versammelten Männern auch einen etwa zwölfjährigen Knaben erkennen. Das waren keine Buschrähndscher.

Nach ein paar flüchtig mit einander gewechselten Worten sprengten sie wieder vor, während einige dort nach Opossums umhersuchende Hunde Wind von ihnen bekamen und laut bellend gegen sie ansprangen. Wenige Minuten später hielten sie neben der kleinen, von dem flackernden Lichte der Fackel grell beleuchteten Gruppe Menschen, die neugierig zu dem späten Besuche aufschauten.

»Guten Abend, Ihr Herren,« sagte da Tolmer, sich an den Aeltesten der Leute wendend, »könnt Ihr uns Nachtquartier für heute, und vielleicht einen Hut voll Hafer für unsere Pferde geben? Sie haben einen langen Tagesmarsch gemacht und bedürfen einer Stärkung.«

»Ja wohl, Fremder – gern,« lautete die gastliche Antwort. »Steigt nur ab und nehmt Eure Pferde am Zügel, denn von hier bis zum Haus stehen eine Menge kurz abgehauener Baumstümpfe.«

»Was habt Ihr da gemacht?« sagte Rodwell, der kein Auge von der Gruppe verwandt hatte, mit heiserer, angstbeklemmter Stimme. – »Ihr habt –«

»Ein Grab gegraben für ein armes Kind!« sagte der alte Mann mit ernstem, wehmüthigem Ton.

»Euer Kind?« frug Rodwell, und das Licht der Fackel begann vor seinen Augen zu tanzen und wilde, wirre Kreise zu ziehen.

»Meines? – nein, Gott sei gedankt, daß er mir bis jetzt solchen Schmerz erspart. – Es war das Kind einer armen Frau, die es todt auf ihrem Arm zu unserm Hause trug, es wenigstens in der Nähe von Weißen – von Christen begraben zu lassen.«

Rodwell glitt aus seinem Sattel, ließ den Zügel seines Pferdes frei, und taumelte mehr als er ging, dem frischen kleinen Grabe zu, über das die freundliche Hand der Fremden eben erst den niederen Hügel gewölbt.

»Eine fremde Frau?« rief Tolmer rasch und erschreckt, während sein mitleidiger Blick den armen Vater streifte.

»Sie kam mit ihrem Mann und einem Träger von Osten her,« erwiderte der alte Mann. »Ihre Pferde waren ihnen im Busch abhanden gekommen, wie sie sagten, und der Mann wollte die Frau nur nach Cap Borda bringen, und dann zurückkehren, sie zu suchen.«

»Sein Name war –?«

»Lieber Gott, wir fragen die Leute, die zu uns kommen, nicht nach ihrem Namen; aber ich dächte, ich hätte den Mann schon vor einigen Wochen einmal an Cap Borda gesehen. Ich glaube, sie nannten ihn dort Howitt!«

Rodwell hörte nichts mehr – vor den Augen flimmerte es ihm, seine Knie zitterten und brachen unter ihm, und mit dem Schmerzensschrei: »Mein Kind – mein armes, armes Kind!« sank er an dem Grabe schluchzend nieder. – Die Männer waren erstaunte Zeugen dieses ganz unerwarteten Ausbruchs wilden, verzweifelten Schmerzes. Sein Kind, das fremde Leute hier begraben? – dann der späte Ritt in dunkler Nacht – das sonderbare Benehmen jener Frau dazu – daß hier nicht Alles war, wie es sein sollte, unterlag wohl keinem Zweifel. Die Bewohner Australiens sind jedoch an solche außergewöhnliche Familienscenen zu sehr gewöhnt, einer jeden nachzuforschen. Selbst das Geheimnißvolle der Abstammung von mehr als drei Viertheilen der damaligen Gesellschaft trug viel dazu bei, ein verschlossenes Wesen bei Vielen zu entschuldigen und vor unbequemen Fragen zu bewahren. Schweigend blickten deshalb die Männer auf den Unglücklichen nieder, der das Grab seines Kindes mit seinen Thränen netzte. Tolmer dagegen, der sein Pferd am Zügel genommen, faßte des Alten Arm und ließ sich von diesem, während er mit ihm langsam dem Hause zuschritt, die ihnen vorausgeeilten Fremden näher bezeichnen.