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Nach Amerika! Ein Volksbuch. Fünfter Band

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»Durch den Wald?« rief Hopfgarten erstaunt.

»Wohin, wußte Niemand, hat sie New-Orleans aber zu Fuß erreichen wollen, so muß sie in den Sümpfen umgekommen sein.«

»Desto besser für sie,« sagte der kleine gutherzige Mann schaudernd – »großer Gott, eine Mutter, die solcher Art ihre Kinder verlassen kann, trägt den Fluch ihres Schöpfers, ihrer eigenen Eltern mit sich herum; möge ihr Gott einst gnädig sein. Aber wer kommt dort?« unterbrach er sich plötzlich, als er Jemand den schmalen Pfad herunter kommen sah.

»Das ist Theobald,« lächelte Georg – »er macht Gedichte – seine schwächste Seite – vielleicht zur Feier des heutigen Tages. Gegenwärtig betrachtet er den Landbau von der poetischen Seite, und besingt alle Pflüge und Eggen; wir wollen ihm lieber aus dem Wege gehn.«

»Ließt er manchmal vor?« rief Hopfgarten rasch und fast ängstlich – Georg lachte.

»Wenn er Schlachtopfer findet, ja; aber hier ist selten Jemand der Zeit hätte ihm zuzuhören.« Und seinen indeß abgehauenen Klotz auf die Schulter nehmend und mit der Axt stützend, trat er den Heimweg an.

»Hallo, warten Sie,« rief aber Hopfgarten rasch, »so ganz leer, mit dem Spatzierstöckchen, laufe ich auch nicht neben Ihnen her – darf ich eins von den anderen Stücken mitnehmen?«

»Wenn Sie wollen,« lachte Georg zurück, der stehen blieb und sich nach ihm umdrehte – »dort das schwächere; aber Sie werden sich schmutzig machen.«

»Ah bah, das ist trocken und staubt wieder ab – so – der hier wird's thun – ahoy – y – sehn Sie, das geht vortrefflich – nun bringen wir gleich eine ganze Ladung zusammen fort. Ah guten Morgen Herr Theobald; schon so fleißig? – Sie könnten auch ein Stück von dem Hickoryholz mit aufpacken und zum Haus nehmen, nachher hätten wir für den ganzen Tag genug!«

Leute die selten oder nie gröbere Arbeiten verrichten, können, wenn sie wirklich einmal zufassen, nicht gut einen anderen Menschen müßig sehn; es macht sie gleich ungeduldig und mürrisch und sie betrachten das gewissermaßen als ein ihnen selbst geschehenes Unrecht. Theobald aber hielt, wenn er an Wochentagen auch wenig that, die Sonntage besonders heilig, und war jetzt überdieß zu vertieft in einer anderen höheren Sphäre, viel Notiz von der freundlichen Zumuthung zu nehmen.

»Ah guten Morgen Herr von Hopfgarten,« sagte er – »Sie bemühn sich selber?« und schritt dann langsam an den Männern mit ihrer Last vorüber.

»Faulpelz,« brummte Hopfgarten, dem schon anfing warm zu werden, zwischen den Zähnen durch, »Dich sollt' ich auf meiner Farm haben, ich wollte Dich lehren Gedichte machen.«

Am Hause angelangt, warfen sie ihre Last ab, und wurden hier besonders lachend von den Mädchen begrüßt, die Herrn von Hopfgarten nicht genug bedauern konnten, seinen eigenen Rücken als Polster für das harte Holz hergegeben zu haben.

»Erst meinen herzlichsten Glückwunsch für den heutigen Tag!« rief aber Hopfgarten, Mariens Hand ergreifend und fest und freundlich drückend – »mögen Sie nur frohe Tage hier finden, meine liebe Marie, und Ihr ganzes Leben ein so milder Sonnentag sein, wie er sich heute klar und rein über Ihrem Hause ausspannt.«

Marie erwiderte den Druck, leicht erröthend und mit ihrem lieben Lächeln recht treuherzig und dankend in des Freundes Augen schauend, als Georg ihr schüchtern nahte und mit viel leiserer, fast bewegter Stimme sagte:

»Darf auch ich mich demselben Wunsche anschließen, Fräulein Marie? Andere mögen die Worte künstlicher setzen, aber sie können es nicht ehrlicher und herzlicher mit Ihrem Wohle meinen.«

»Ich danke Ihnen – danke Ihnen so herzlich wie der Wunsch geboten ist,« sagte Marie auch ihm die Hand reichend, viel tiefer aber dabei erröthend, als das eigentlich nöthig gewesen wäre – »ich weiß, daß Sie es gut meinen – mögen Sie sich recht lange wohl bei uns fühlen.«

»Übrigens meine Damen,« rief Hopfgarten, wieder in seiner alten launigen Weise, indem er sich den Schweiß mit seinem Tuch von der Stirne trocknete, »thun Sie gerade als ob ich zu gar Nichts gut wäre, und mir im schlimmsten Fall nicht auch mein Brod durch meiner Hände Arbeit verdienen könnte. Da sehn Sie hier meinen Geschäftsfreund an, den jungen Donner, über den wundert sich Niemand, daß er Holz schleppt, und den ganzen Tag draußen mit Axt und Pflug und Hacke und Spaten herumarbeitet, und der ist zu Hause eben so wenig daran gewöhnt gewesen; warum bedauern Sie den nicht?«

»Herr Donner ist auch eine Ausnahme von der Regel,« rief Anna freundlich, »der faßt zu, als ob er wirklich dazu geboren wäre, und hat dabei Lust und Freude an der Sache.«

»Und thun Sie das nicht selber Fräulein Anna?« sagte der junge Mann, »arbeiten nicht Sie und ihr Fräulein Schwester, die beide in weit anderen Verhältnissen erzogen sind, von Früh bis Nacht, und glauben Sie, daß ein Anderer da ruhig daneben stehn und nicht mit zugreifen könnte?«

»Oh ja,« lachte Marie mit einem halbverstohlenen und recht schelmischen Blick nach Georg hinüber, »Herr Theobald kann das ruhig mit ansehn.«

»Er schwärmt in höheren Regionen« lachte Anna, »und da dürfen wir es ihm schon nicht so übel nehmen. Wenn er auch einmal für diese Welt zu sorgen hat, wird sich das schon bei ihm ändern.«

»Wir sind ihm eben im Walde begegnet,« sagte Hopfgarten, »und wenn mich nicht Alles getäuscht hat, verbarg er wie wir ihm näher kamen, ein Papier.«

»Oh, er macht jedenfalls einen Prolog zum heutigen Feste« rief Marie – »zur Einweihung unseres Lusthauses – er wollte den Platz auch nach mir »Mariens Ruhe« nennen, Eduard aber meinte, es würde weit passender »Theobalds Schweiß« heißen, denn es sei ihm blutsauer dabei geworden, trotz den wildledernen Handschuhen.«

»Alle Wetter, wer kommt da?« rief Hopfgarten plötzlich das Gespräch unterbrechend, und den Fahrweg nieder deutend, »das ist ein alter Bekannter, so wahr ich lebe.«

»Maulbeere! – Maulbeere!« rief George – »hahahaha und noch immer in dem grünen Rock; der ist doch unverbesserlich!«

»Wahrhaftig, der wunderliche Mensch aus dem Zwischendeck!« rief Marie, lachend in die Hände schlagend, »mit seinem Karren vor sich her, da muß ich nur gleich den Vater rufen, daß der ihn auch sieht.«

Der eben Ankommende war in der That niemand Anderes als unser alter Freund Maulbeere von der Haidschnucke, der Mittel und Wege gefunden hatte sich und seinen Karren von New-Orleans aus bis hierher zu bringen.

Georg hatte aber Recht, Maulbeere sah genau noch so aus wie an Bord, mit demselben alten, bis oben hin zugeknöpften Rock – nur neue Knöpfe mußte er jedenfalls bekommen haben – denselben karirten Hosen, demselben alten Hut, derselben räthselhaft verborgenen Wäsche, den Zipfel eines alten roth und weiß karirten baumwollenen Taschentuches ausgenommen, der ihm vorn zwischen dem zugeknöpften Rock etwas kokett, sonst aber ganz anspruchslos herausschaute. Auch die nämliche alte Pfeife mit dem schauerlichen rothgeschmückten Frauenkopf darauf, trug er noch zwischen den Zähnen, und ordentlich dick und fett geworden, war er in der Zeit. Sein Gesicht strotzte von Gesundheit, die Backen, die er an Bord etwas eingefallen trug, hatten Fülle bekommen, während die kleinen grauen Augen lebendiger als je unter den hochblonden und entsetzlich struppigen Augenbrauen vorblitzten.

Wie er die Gruppe übrigens vor dem Haus entdeckte gewann seine ganze Gestalt Leben; er richtete sich höher auf, bließ den Rauch in starken Puffen aus seinem kleinen Stummel, und seinen Karren vertrauensvoll dem Rückband überlassend nahm er den Hut mit der rechten Hand ab, schwenkte ihn ein paar Mal um den Kopf, und rief mit lauter fröhlicher Stimme:

»Land! Land! Hurrah noch einmal, da ist die ganze Haidschnucke versammelt, und wie die Orgelpfeifen in der Kirche stehn die Herrschaften da; drüben der Weber mit der ganzen Famile, und hier Cajüte und Zwischendeck in geschlossenem Bunde. Herr von Hopfgarten, meine schönste Empfehlung – Herr Professor ich melde mich eingetroffen.«

Die letzte Anrede galt dem, von Marie gerufenen, eben aus dem Haus tretenden Professor, der aber auch den Scheerenschleifer lächelnd begrüßte und dem Mann, mit dem er an Bord nie eine Sylbe gesprochen, jetzt freundlich die Hand entgegenstreckte, da er ihm an Land, und auf dem eigenen Land begegnete.

»Ei, ei Herr Maulbeere, das ist ja ein recht lebendiges Schiffs-Andenken, wie er da vor uns gewissermaßen aus dem Boden steigt. Wie geht es Ihnen, wo haben Sie sich die ganze Zeit herumgeschlagen und kommen Sie mit der Fuhre direckt von New-Orleans?«

»Habe die Ehre mich dem Herrn Professor ganz gehorsamst zu empfehlen,« sagte aber Maulbeere mit vieler Förmlichkeit, und einer Verbeugung, die er zugleich dazu benutzte sein Tragband von dem Karren abzuhaken, »hörte hier in der Nachbarschaft, daß ganz in der Nähe deutsche Schiffsgesellschaft zu finden wäre, und habe mir die Freiheit genommen Ihnen meine Dienste anzubieten.«

»Nun das ist schön, das ist sehr schön, lieber Maulbeere, Ihre Kunst – Sie sind Scheerenschleifer, nicht wahr?«

»Scheeren, Messer, Instrumente, Werkzeuge schleif ich zur Perfektion – «

»Nun gut, wollen wir nachher – «

»Bessere dabei zugleich defekte Töpfe und Geschirre aus – «

» – in Anspruch nehmen – für jetzt – «

» – kitte Porcellan, Glas, Steingut, Gyps, Marmor – « fuhr aber Maulbeere, ohne sich unterbrechen zu lassen fort, »reparire Stutz- und Taschenuhren – heile Pferde-, Rinder- und Schafkrankheiten – habe ein Depot vorzüglicher Pillen und Latwergen für alle nur erdenkliche Leibesschäden und Gebrechen – schneide Hühneraugen aus, bespreche Warzen, mache Flecken aus Kleidern und Wäsche – Dinte-, Fett-, Blut-, Wein-, Kaffee-Flecken – bin Besitzer eines vorzüglichen Feuer-Diamants alle Arten von Hohl-, Milch-, Cylinder-, Spiegel- und Tafelglas in allerhand beliebige Verzierungen schneiden zu können – es kommt auf die Farbe des Glases nicht an, es kann auch gepreßt, geschliffen oder gemalt sein, es schneidet allemal durch und durch – verkaufe ausgezeichnete Recepte zu Stiefelwichse und Schmiere – habe Gift für Ratten, Mäuse, Wanzen, Flöhe, Läuse, Schaben, Insektenpulver – eine vorzügliche Krätz- und Ausschlagsalbe – Schönheitstinkturen und Faltenvertilger, löthe und niete zerbrochene und auseinander gegangene Utensilien, und« – setzte er tief Athem holend hinzu, indem er einen der kleinen Schiebladen seines Kastens, ohne sich dabei zu bücken und nur mit einer geschickten Bewegung des Fußes aufzog – »ein vorzügliches Assortiment von Steck-, Näh- und Haarnadeln, Haarwickeln, Bändern, Kämmen, Hosenträgern, Schuhanziehern, Schnürbändern, mit einer Masse anderer Artikel zu langweilig einzeln aufzuführen – womit sich zu gütiger Kundschaft empfiehlt, einem verehrten Publicum ganz ergebenster Zachäus Maulbeere.«

 

»Vortrefflich – vortrefflich Herr Maulbeere,« lächelte der Professor, während die Mädchen vor Freude in die Hände schlugen, und sämmtliche Kinder sich jubelnd um ihn her drängten, »ganz vortrefflich, Sie sind ein wahres Juwel in der Wildniß, und wir werden Ihre Hülfe bei einer großen Menge von Sachen in Anspruch nehmen, die einer kundigen Hand bedürfen, sie wieder in Stand zu setzen. Jetzt aber ist das Frühstück fertig, so gehn Sie indessen hinüber in die Küche – Sie finden dort ebenfalls Reisegefährten vom Schiff her, und essen Sie erst mit den Leuten? nachher wollen wir sehn was sich thun läßt.«

»Aber Herr Maulbeere,« sagte die kleine Camilla, Mariens und Annas jüngste Schwester – die dicht neben dem Manne gestanden und aufmerksam seinen Anpreisungen gelauscht hatte, »wenn Sie alle Flecken so gut ausmachen können, weshalb haben Sie denn da so viele auf Ihrem grünen Rock?«

»Das Kind verräth jedenfalls Anlagen,« sagte Maulbeere, der mit der ernsthaftesten Miene den Kopf nach ihm hinuntergedreht hatte, »übrigens mein Fräulein, erlauben Sie mir, Ihnen zu bemerken, daß das an meinem Rock, was Sie Flecken zu nennen belieben, eigentlich der Urzustand, die Urfarbe desselben ist, zu dem er an diesen Stellen zurückgekehrt; das wenige Grün dagegen, was ihm geblieben, mehr einem unnatürlichen, künstlichen Zustand zugeschrieben werden muß, in dem er sich an den Stellen noch befindet, und der im Lauf der Jahre ebenfalls den vorangegangenen Bestandtheilen folgen wird.«

»Hahahahaha Herr Maulbeere!« rief die Kleine, und lief lachend in das Haus, wo die Mutter jetzt erschien und die Familie zum Frühstück rief.

»Aber Eduard und Herr Theobald fehlen noch!« rief Anna.

»Theobald?« sagte Maulbeere, der, eben im Begriff sein Tragband aufzunehmen, sich rasch wieder emporrichtete – »der Dichter Theobald hier und sollte beim Frühstück fehlen – unbegreiflich. Aber täuscht mich mein Sehververmögen nicht, so kommt dort schon eine Gestalt, die ihm wenigstens auf's Haar gleicht, mit sehr schnellen Schritten um die Ecke. Herr Theobald, ich habe das Vergnügen, Ihnen einen guten Morgen zu wünschen.«

»Maulbeere!« rief dieser voller Erstaunen stehen bleibend und nicht einmal die Familie begrüßend aus – »Zachäus Maulbeere!«

Der Scheerenschleifer hatte aber seinen Karren schon wieder aufgenommen, und fuhr langsam dem nächstgelegenen Blockhaus zu, sich selber beim Weber zum Frühstück zu melden, während die Lobensteinsche Familie ebenfalls in das Haus ging, und sich lachend über die wunderliche Erscheinung des sonderbaren Mannes unterhielt. Eduard fehlte noch; er war gestern Abend wieder dem Hirsch zu Gefallen gegangen, hatte auch auf ihn geschossen, aber vorbei, und gedachte sein Glück heute Morgen noch einmal zu versuchen. Der feierliche Einzug der erlegten Beute, falls diese noch erlangt werden sollte, war schon zwischen ihm und Theobald verabredet worden.

Der Professor wollte nun allerdings in seiner Gastfreiheit den Scheerenschleifer heute am Sonntag bei sich behalten, und ihm dann morgen erst die Arbeit geben, die er im Hause für ihn zu thun hatte, Maulbeere aber war damit nicht einverstanden, »Zeit ist Geld,« behauptete er, und »was man heute thun könne, solle man nicht auf morgen verschieben«; ließ sich auch nicht abhalten, gleich nach dem Frühstück an allen möglichen Sachen, die auf der Reise beschädigt worden und ihm jetzt gebracht wurden, zu beginnen, und erzählte dabei den übrigen Arbeitern des Platzes, die sich um her lagerten und setzten und standen, eine Unmasse Geschichten aus seinen Amerikanischen Erlebnissen, daß die Leute oft in lautschallendes Gelächter ausbrachen. Selbst der Weber, der den Burschen noch vom Schiff her, seiner gottlosen Predigten wegen nicht leiden mochte, und auch heute wieder keineswegs damit einverstanden war, daß er den Sonntag solcher Art entweihte, konnte es sich doch nicht versagen, manchmal zu den Leuten zu treten, angeblich nur nach der ihm übergebenen Arbeit zu schauen, dann aber auch zu gleicher Zeit zu hören, was denn da eigentlich so Lustiges vorgehe.

Maulbeere hatte aber auch nicht allein eine ziemliche Anzahl der Haidschnucken-Passagiere getroffen, von denen er oft die komischesten Berichte abstattete, sondern auch einen großen Theil der Staaten in den drei Viertel Jahren durchzogen und – wodurch er den Anderen besonders imponirte – wirklich erstaunlich viel Englisch, allerdings noch mit einem schlechten Accent, in der kurzen Zeit gelernt.

Im Hause selber hatten die Frauen indessen heute noch unendlich viel zu thun, ihr kleines Sommerfest, wie das erste Hinausziehn zu dem beendigten Lusthaus würdig zu feiern. Die Kinder waren in den Wald geschickt, Blumen für Guirlanden zu holen, die Frauen bucken Kuchen. Theobald war gleich wieder nach dem Frühstück unsichtbar geworden, und der Professor mit Georg Donner nach dem beabsichtigten Mühlplatz hinausgegangen, den Plan noch einmal durchzusprechen.

Hopfgarten war sich selber und seiner Zeit ganz überlassen worden, und schlenderte, mit nichts Besserem vor sich, der Gruppe zu, die sich um den Scheerenschleifer gebildet hatte, und in ihrem Lärmen und ihrer Lustigkeit immer lauter wurde. Hier brachte dabei Einer ein Messer zu schleifen, dort Kanne oder Blechbecher zu löthen, dort sogar wieder einen eisernen Topf zu flicken; da war eine Tasse zerbrochen, hier ein Teller, die verkittet werden sollten, die Theekanne hatte den Henkel, die Milchkanne den Fuß verloren, in die Stalllaterne mußten ein paar Scheiben eingeschnitten werden, Einer von den Leuten hatte Zahnschmerzen und verlangte ein Mittel dagegen, dort brachte Einer seinen Sonntagsrock, sich den Kragen reinigen zu lassen, hier wünschte Einer die rothwerdenden Knöpfe seiner blauen Jacke versilbert zu haben, dort ein Zehnter seine Uhr nachgesehn und ein neues Glas einzusetzen, kurz Zachäus Maulbeere wurde von allen Seiten auf das lebhafteste in Anspruch genommen, und schien wirklich auch zu jedem neuen Geschäft, das man ihm zumuthete, ein paar neue Hände zu gebrauchen.

Bis elf Uhr ließ sich die Weberfamilie selber, die Frauen wenigstens, nicht draußen sehn; die Tochter las der Mutter drin am Kamin ein Capitel aus der Bibel vor, und die alte Frau saß mit gefalteten Händen und geschlossenen Augen daneben und hörte andächtig zu. Wie aber die Kirchzeit etwa vorbei war, kamen auch diese aus der Hütte heraus, und die alte Mutter, der die Tochter ein weiches Kissen auf ihren gewöhnlichen Sitz, im Schatten eines breitästigen wilden Maulbeerbaumes trug, blieb dort still und freundlich mit dem Kopfe nickend sitzen und schaute, die abgemagerten Hände im Schooß gefaltet, auf das Leben und Treiben um sie her, bis das jüngste Enkelchen zu ihr hinanlief und ihr Blumen brachte, und die alte Frau dann das blonde Lockenköpfchen streichelte und sich niederbog und es küßte. Eine Thräne hing ihr dabei in den noch immer recht klaren hellen Augen, aber es war eine Freudenthräne; die alte Frau sah und erkannte, wie ihre Kinder gediehen, wie thätig sie schafften, und wie sie vorwärts kamen, und jetzt bald, recht bald hoffen durften, eine kleine Farm selber ihr eigen zu nennen. Wenn sie auch dann und wann an ihren Leberecht unter der Linde dachte und leise – ganz leise im Herzen vielleicht – eine Sehnsucht dorthin erwachte, gab sie der doch keinen Laut mehr; sie sah und fühlte, wie ihre Enkel hier, wenn sie einmal groß geworden, gedeihen und fortkommen würden, und freute sich deren Glück.

»Nun, Herr Maulbeere, wie gehn die Geschäfte?« sagte Hopfgarten, der zu der ihm freundlich Platz machenden Gruppe getreten war, und die Hände auf dem Rücken dem vielseitigen, überallhin thätigen und geschickten Burschen lächelnd zuschaute; »Sie vereinigen ja ein ganzes Stadtviertel von Arbeitern in sich selbst, und wären ein wahres Capital für jede Ansiedlung.«

»Es thut mir nur leid, daß ich das Capital nicht auf Zinsen legen kann,« sagte Maulbeere in den Zwischenpausen mit dem Löthrohre beschäftigt eine Uhrkette wieder in Stand zu setzen, »sondern, daß besagtes Capital genöthigt ist, seinen schweren Karren selber im Lande umherzufahren. Habe aber den Trost,« setzte er langsam und immer dazwischen blasend hinzu, »daß es mir nicht allein so geht, und andere Leute – ebenfalls ihre Glacéhandschuh – haben – ausziehn – müssen.«

»Ja die zieht hier Mancher aus, lieber Maulbeere,« lachte Hopfgarten, »aber wen zum Beispiel meinen Sie?«

»Ih nun, verschiedene,« sagte Maulbeere, – »kannten doch Herrn Eltrich?«

»Den netten jungen Mann im Zwischendeck, mit dem reizenden kleinen Frauchen? – er war Künstler, glaub ich.«

»Ja, das sah man ihm an,« meinte Maulbeere – »es sah wirklich künstlich aus, wie er die schweren Porkfässer die Levée mit den zarten Händchen hinaufrollte.«

»Lieber Gott, geht es ihm so schlecht?«

»Jetzt nicht mehr,« sagte Maulbeere – »sie hatten ihm Alles gestohlen, nun aber scheint er sich wieder genug verdient zu haben, anständige Kleider und eine Violine kaufen zu können. Da hat er denn die Zuckerfässer und Kaffeesäcke, die ihm dazu verhalfen, schmählich im Stich gelassen, und bezieht sein Colophonium wieder im Einzelnen.«

»Was heißt das?«

»Nun, er rollt es nicht mehr Fässerweis das Ufer hinauf; er hat, wie er vor ein paar Monaten sagte, eine Anstellung am Französischen Theater erhalten, und es geht ihm jetzt besser.«

»Das freut mich, das freut mich von Herzen,« rief Hopfgarten, »es waren liebe brave und sehr anständige Leute.«

»Ja,« sagte Maulbeere, »wollte mir auch eine Stellung als ersten Liebhaber dabei verschaffen, ich wieß es aber in Entrüstung von mir. Ich konnt' es nicht über's Herz bringen, jeden Abend derselben ersten Liebhaberin vorzulügen, daß ich vergehen müßte, wenn sie mich nicht gleich zum Glücklichsten der Sterblichen machte.«

Hopfgarten lachte.

»Den Oldenburgern ging's dafür desto schlechter,« fuhr Maulbeere fort, der die Uhrkette beendet, und seinen Schleifkarren wieder bestiegen hatte, eine Anzahl ihm gebrachter Messer und Scheeren in Stand zu setzen – »in Amerika können die Bauern in den Kuts-chen fahren – ja wohl Kuts-chen, denen ist das Singen vergangen, und jetzt blasen sie Trübsal. Dummes, starrnackiges Volk, denen die Holzschuh bis über die Ohren gingen; wollten immer klüger sein als Andere.«

»Was ist denn aus Herrn Schultze geworden?« frug da des Webers Frau, die jetzt auch herangetreten war, auf ihre Scheeren zu warten, und dem Mann indessen zuhörte. »Das war ein netter, rechtschaffener Mensch, und hatte so feine, hübsche Wäsche.«

»Schultze ist übergeschnappt,« sagte Maulbeere ruhig.

»Was? – um Gottes Willen? – ih, das ist doch gar nicht möglich – rein toll geworden?« frug der Weber und seine Frau, und auch Hopfgarten, der sich der eigenthümlichen fixen Ideen des Mannes erinnerte, sagte rasch, »das wäre doch gar zu traurig, Herr Maulbeere; ist das wirklich begründet?«

»Nun, er sitzt noch nicht im Tollhaus,« sagte der Scheerenschleifer, indeß die Funken von dem kleinen durch das Rad gedrehten Stein abspritzten, die Kinder lachend die flachen Hände dagegenhielten, und sich die naßgewordenen, sehr zum Ärger der Mütter an Röcke und Hosen wischten, »aber er hat die besten Anlagen dazu, und wird auch jedenfalls nächstens eingesteckt werden müssen.«

»Aber wo ist er jetzt, und was hat er nur gemacht?«

»Gegenwärtig,« sagte Maulbeere, »ist er noch in St. Louis und macht Cigarren, hat aber großartige Ideen, eine neue Flugmaschine entdeckt zu haben, die er unserem System anzupassen und damit über den Mississippi und Illinois hinüberzufliegen gedenkt. Außerdem hat er neulich, unter einer Reiherart, die am Mississippi häufig vorkommt – kleine graue Vögel mit unnatürlich langen Beinen, – einen entfernten Verwandten von sich entdeckt, und treibt nun förmliche Abgötterei mit dem ausgestopften Balg.«

»Aber es ist doch nicht möglich – «

»Nicht möglich? – fragen Sie ihn einmal, was unmöglich wäre – so, wo war denn das lange Messer von vorhin? – ah hier.«

 

»Hier bring ich auch etwas – « rief Marie Lobenstein in diesem Augenblick herbeispringend – »hier Herr Maulbeere, wären Sie wohl so gütig, mir diese kleine Scheere, aber ja recht recht sauber zu schleifen? – Anna wird Ihnen die Küchenmesser nachher auch noch herausbringen; denen thut es besonders Noth. Wissen Sie wohl, daß ich mir die Scheere neulich selbst geschliffen habe?«

»Es ist mir doch 'was Unbedeutendes,« sagte Maulbeere mit einem sehr erstaunten Gesicht.

»Hahahaha – « rief Marie – »wo haben Sie die Redensart gehört? – das ist ja unseres alten Drachenwirths in Heilingen stehendes Sprichwort – wie oft haben wir darüber gelacht.«

»Wie hieß der Wirth?« frug Maulbeere.

»Lobsich.«

»Und das Wirthshaus?«

»Zum rothen Drachen, bei Heilingen.«

»Ganz recht,« sagte Maulbeere, ruhig die Scheere nehmend und seine andere Arbeit bei Seite legend – »habe vor vierzehn Tagen bei ihm gewohnt.«

»Das möchte Ihnen schwer geworden sein,« lachte Marie – »aber bitte, nehmen Sie mir die Spitze recht in Acht – Heilingen ist weit von hier.«

»Aber der rothe Drachen nicht,« sagte Maulbeere, den Lederriemen wieder einhängend – »Herr Lobsich scheint seinen rothen Drachen jetzt in Milwaukie aufgeschlagen zu haben.«

»Was? – Lobsichs ausgewandert?« rief Marie in größtem Erstaunen, »das ist doch gar nicht möglich.«

»Fragen Sie einmal hier in Amerika, mein Fräulein, was da unmöglich wäre,« sagte der Scheerenschleifer; »übrigens weiß ich nicht, ob die Lobsichs, die in Milwaukie in Michigan ein Gasthaus zum rothen Drachen mit entsprechendem Schilde über der Thüre haben, und von denen die männliche Hälfte jenes von mir reproducirte und zu ihrer Entdeckung geführt habende Sprichwort häufig gebraucht, wirklich dieselben sind, die Sie meinen, oder vielleicht Geschwister.«

»Gewiß sind sie's – gewiß,« rief Marie, »der rothe Drache und der Name könnte sich zufällig wiederholt haben, aber das Sprichwort nicht – geht es ihnen gut?«

»Recht gut,« sagte Maulbeere, »besonders ihm; er ist immer selig.»

»Was heißt das – er trinkt doch nicht?«

»Nein,« sagte Maulbeere, »er säuft.«

»Guter Gott, seine arme Frau!« rief Marie.

»Er wird ihre Armuth nächstens theilen,« meinte Maulbeere, »apropos Milwaukie – da oben stecken auch noch einige Cajütspassagiere von der Haidschnucke.«

»Cajütspassagiere?« rief Hopfgarten schnell, der sich indessen schon bei Marie nach jenem Lobsich erkundigt hatte, jetzt aber wieder auf den Scheerenschleifer aufmerksam wurde – »und die waren?«

»Doktor Hückler vor allen Dingen – « sagte Maulbeere still vor sich hinlachend – »wird Herrn Donner interessiren – von New-Orleans fortgegangen und hat sich in Milwaukie mit einem Gerippe etablirt.«

»Mit einem Gerippe? – was heißt das?«

»Nun, er hat einem andern Doktor einen abgeknaupelten Menschen abgekauft, und in seinem Laboratorium, wie er die Barbierstube nennt, aufgestellt; rasirt, schröpft und kurirt nicht allein was das Zeug halten will, sondern heißt auch schon der »berühmte deutsche Doktor« in Milwaukie, wo er mit Lakrizenwasser einige ganz ausgezeichnet glückliche Kuren gemacht und sich neulich, zu dem Gerippe, auch noch eine Frau genommen.«

»Er ist verheirathet?« rief Marie.

»Glücklicher Gatte und – ich hätte bald was gesagt« – versetzte Maulbeere, »die Sache hebt sich wieder – Dr. Hückler eine Frau plus, Herr Henkel eine Frau minusfacit gleich.«

»Sie haben Henkel in Milwaukie gesehn?« frug Hopfgarten so rasch, daß sich der Scheerenschleifer erstaunt nach ihm umdrehte und setzte dann, da er nicht gerade diesen wollte ahnen lassen, in wieweit er selber dabei interessirt wäre, langsamer hinzu – »ich glaubte, der hätte sich in New-Orleans etablirt – also Herr Henkel ist jetzt in Milwaukie?«

»Haben andere Leute vielleicht auch geglaubt,« sagte Maulbeere, seine Arbeit wieder aufnehmend – »in Milwaukie war er aber damals noch nicht. Ich traf ihn jetzt auf meinem Hierherweg von Michigan in Illinois, in einem Städtchen – Paris oder London oder so ein kleiner unbedeutender Name – wo wir in der einzigen Blockhütte, die in der Stadt stand – weiter waren überhaupt keine Häuser da – zusammen campirten.«

»In Illinois also?«

»Ja, aber er war auf dem Weg nach Milwaukie,« sagte Maulbeere, »und ich habe ihm einige Empfehlungen dorthin mitgegegeben.«

»Alle Wetter, da wird er sich gefreut haben,« meinte der Weber.

»Und er war allein?« frug Hopfgarten.

»Ganz allein, das heißt ohne Frau,« lautete die Antwort, »sonst hatte er noch einen Herrn bei sich, mit dem er zusammen reiste.«

»Und der hieß?«

»Kolwel glaub' ich, oder so ein Name – so mein Fräulein – mit der Scheere können Sie jetzt Butter schneiden, so scharf ist sie, sonst noch 'was? – schön – wenn Sie wieder was brauchen, ersuch' ich Sie vorzukommen – Zachäus Maulbeere steht Ihnen mit Vergnügen zu Diensten.«

Marie, die während die Männer von Henkel sprachen, Herrn von Hopfgartens Gesicht ängstlich beobachtet hatte, zog sich jetzt, von diesem gefolgt, nach dem Haus zurück, und fand bald ihre schlimmste Furcht bestätigt, als ihr der kleine Mann versicherte, daß er jedenfalls mit Tagesgrauen morgen nach Hollowfield hinüberfahren würde, seine Glieder noch einmal einer Amerikanischen Postkutsche anzuvertrauen. Die Wege waren jetzt trocken und sein Ziel lag, so rasch ihn irgend eine Beförderung, sei sie so mühselig und beschwerlich sie wolle, vorwärts bringen könne gen Milwaukie.

»Jetzt muß ich nur Ihren Vater gleich aufsuchen,« setzte er hinzu, »mit ihm Rücksprache zu nehmen – ah da kommt Georg Donner, der wird uns sagen können, wo er ist; – aber wie sieht denn der aus? – ganz roth und aufgeregt?«

Georg kam allerdings an dem Felde herunter den kleinen Waldweg gerade auf sie zu, und sah roth und verstört im Gesicht aus. Als er Hopfgarten mit Marien sah, blieb er stehn, und es war fast, als ob er umdrehen wollte, wenn so, besann er sich aber wieder, und kam langsam auf sie zu.

»Wie sehn sie denn aus?« rief ihm Hopfgarten schon von weitem entgegen – »haben Sie ein Fieber, oder sich einen Kopf am heiligen Sonntag angearbeitet, der wie Feuer glüht – fühlen Sie sich nicht wohl? – Mensch, Ihre Augen sind ja ordentlich mit Blut unterlaufen.«

»Wirklich?« sagte Georg, und versuchte dabei zu lächeln – »das hat Nichts zu sagen – allein draußen im Wald wollte ich mir ein paar Klötze zurecht rücken, und habe mich wahrscheinlich zu sehr dabei angestrengt.«

»Unsinn, Sie werden sich noch einmal Schaden thun, wo ist denn der Professor?«

»Er ging mit Theobald in der Richtung nach dem Lusthaus zu,« sagte Donner, und man sah ihm an, daß er sich Mühe gab, ruhig zu scheinen; Hopfgarten war aber viel zu sehr mit sich und seinen neuen Plänen beschäftigt, darauf Achtung zu geben, grüßte deshalb nur Marie freundlich, bat sie dem jungen Mann indessen mitzutheilen, was er beabsichtige, und schlug rasch den Weg ein, der nach dem Lusthaus hinüberführte.

»Was war es mein Fräulein, das Herr von Hopfgarten Sie bat mir zu sagen?« frug der junge Mann, als sie allein auf dem Hofe standen, und Marie indessen forschend und ängstlich zu ihm aufschaute – »er hat mich an Sie gewiesen.«

»Herr Donner,« sagte aber Marie leise und schüchtern, die an Sie gerichtete Frage ganz überhörend – »es ist etwas vorgefallen – etwas – etwas sehr Unangenehmes – vielleicht – vielleicht zwischen Ihnen und meinem Vater – «

»Nichts – nichts mein Fräulein,« sagte Georg ausweichend und fast unbewußt denselben Weg langsam einschlagend, auf dem ihnen Hopfgarten vorangegangen war, während Marie in der noch unbestimmten Angst um etwas, das man ihr verheimliche, an seiner Seite blieb – »Sie sollten mir etwas sagen.«

»Herr Donner, beruhigen Sie mich erst über meine Frage,« bat aber Marie – »Sie haben etwas – etwas sehr Ernstes gehabt – So roth und erhitzt Sie vorhin schienen, so bleich sind Sie jetzt; das ist nicht von Anstrengung – es ist sicher etwas, was ich schon lange gefürchtet, vorgefallen. Gestehen Sie, Sie haben sich mit meinem Vater – sagen Sie mir Nichts,« – unterbrach sie ihn aber rasch, als er sich gegen sie wandte und reden wollte, und sein ganzes Äußere dabei verrieth, wie recht sie in ihrem Verdacht gehabt – »guter Gott ich – wir Alle wissen zu gut, wie ungerecht mein Vater schon mehre Mal gegen Sie gewesen, wie er treuen Freundesrath hartnäckig und barsch von sich gewiesen hat; Sie kennen ihn ja aber auch, wie seelensgut er sonst ist, und wie ihn das hartgesprochene Wort gleich hinterher gereut.«