Tasuta

Nach Amerika! Ein Volksbuch. Fünfter Band

Tekst
iOSAndroidWindows Phone
Kuhu peaksime rakenduse lingi saatma?
Ärge sulgege akent, kuni olete sisestanud mobiilseadmesse saadetud koodi
Proovi uuestiLink saadetud

Autoriõiguse omaniku taotlusel ei saa seda raamatut failina alla laadida.

Sellegipoolest saate seda raamatut lugeda meie mobiilirakendusest (isegi ilma internetiühenduseta) ja LitResi veebielehel.

Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

»Dann wissen Sie ja auch,« setzte sie wieder zögernd und schüchtern hinzu, »wie er einmal gefaßten Plänen, selbst wenn es sein eigener Schade ist, hartnäckig folgt, und Schilderungen fremder Leute oft nur zu viel, zu ungerecht vertraut. Sehen Sie ihm das nach – lassen Sie sich nicht zurückschrecken und seien Sie besonders jetzt, wo er gerade wieder so vielen romantischen Plänen sein Ohr leiht, und Sachen thut, die ein praktischer erfahrener Landwirth vielleicht nicht thun würde, selbst gegen seinen Willen, sein – und warum soll ichs nicht sagen,« setzte sie in all ihrer Verlegenheit gar so lieb und vertrauensvoll lächelnd hinzu, »sein guter Engel, der, wenn auch wieder und wieder zurückgewiesen, doch nicht ungeduldig werden darf, um – unseretwillen.«

»Fräulein Marie,« sagte Georg, und die Worte rangen sich ihm nur schwer und mühsam aus der Brust – »Sie haben mir da ein Ziel vorgezeichnet, das zu dem höchsten Streben meines Lebens gehört; vorgezeichnet in dem Augenblick, wo es – rettungslos für mich verloren ist.«

»Was meinen Sie damit?« rief Marie, rasch stehen bleibend und seinen Arm ergreifend.

»Ich wollte den heutigen Tag nicht stören, keine andere, als freudige Worte sollten zu Ihren Ohren dringen, daß sie eine liebe Erinnerung daran in Ihrem Herzen wahrten. Das Leben bietet Ihnen ja hier überdieß so wenig andres, als Müh und Arbeit; Sie zwingen mich selbst dazu, und ich kann nicht länger schweigen – ich verlasse noch heute diese Farm, und mit ihr den Staat.«

»Herr Donner – « stammelte Marie, kaum im Stande, ihre Bewegung zu verbergen – »gehn Sie – gehn Sie nicht fort!«

»Ich kann nicht anders Fräulein Marie – Gott da oben ist mein Zeuge, die harten Worte, die Ihr Vater heute zu mir gesprochen – ich wollte sie gern vergessen, gern dem Mann, den ich liebe und achte wie einen Vater, mehr Rechte einräumen, als ich einem anderen Mann zugestehen würde, aber – er hat mir selber befohlen, daß ich gehen soll – kann ich da bleiben?«

Marie wandte den Kopf von ihm ab und schwieg, und auch Georg fand nicht gleich Worte wieder; endlich sagte er mit weicher, nur gewaltsam gesammelter Stimme:

»Ich habe noch eine Bitte an Sie Fräulein Marie – eine recht große Bitte, deren Erfüllung mich recht glücklich machen würde.«

»Wenn ich sie erfüllen kann, – « sagte Marie doch so leise, daß die Laute kaum zu Georgs Ohren drangen.

»Den kleinen Rosenstock,« fuhr Georg fort, »den, wie Sie wissen, mir die Mutter mitgegeben, und der mir unendlich lieb und theuer ist, muß ich zurücklassen, bis ich selber eine feste Stätte habe, ihn zu pflanzen. Schon einmal war ich gezwungen, ihn in New-Orleans fremden Händen zu übergeben, und hatte gehofft – darf ich ihn Ihrer Obhut überlassen?«

»Ich will ihn treulich aufbewahren,« flüsterte Marie.

»Dank Ihnen, tausend Dank – wie weh mir selber jetzt der Abschied thut, – « fuhr er dann traurig fort, »darf ich Ihnen wohl nicht erst sagen. Ich hatte auch den heutigen Tag noch hier bleiben, Ihre Freude, wenn auch nicht theilen, doch nicht stören wollen – ich fühle aber jetzt, daß ich es nicht einmal gekonnt; ich habe mir mehr Stärke zugetraut, als ich besitze – leben Sie wohl mein Fräulein und – denken Sie manchmal freundlich an Ihren alten Reisegefährten zurück, der die Stunden zu den schönsten zählen wird, die er in Ihrer Nähe verleben durfte – leben Sie wohl.« —

Marie reichte ihm die Hand, ohne den Kopf nach ihm umzudrehen, nicht ein Wort brachte sie dabei über die Lippen und Georg fühlte wie die Hand die in der seinen ruhte, zitterte. Er hielt sie viele Secunden lang fest, hob sie, als ob er sie an die Lippen drücken wollte, ließ sie wieder sinken, und wie mit einem raschen, wenn auch theuer genug erkämpften Entschluß sie frei lassend, wandte er sich, und schritt den Weg zurück, der zu dem Hause führte.

Marie drehte sich nach ihm um – ihr Mund öffnete sich, aber kein Laut kam über ihre Lippen; wieder kehrte sie sich von ihm ab, und während die hellen, bittern Thränen an ihren Wangen niederrollten, schritt sie dem Walde zu.

Der Mittagstisch versammelte wie gewöhnlich die Familienglieder um die lange Tafel – nur Georg Donner fehlte. Sein Couvert lag aufgedeckt, aber Anna nahm, als sich die Gäste setzen wollten, den Stuhl fort und den Teller mit Messer und Gabel vom Tisch.

»Wo steckt denn Donner eigentlich?« frug Hopfgarten, der das Zimmer schon flüchtig mit den Augen überflogen hatte, und den jungen Mann gerade suchte.

»Er läßt sich heute Mittag durch mich entschuldigen,« sagte die Frau Professorin, einen schüchternen Blick dabei nach ihrem Mann hinüberwerfend; dieser schien jedoch die Frage überhört zu haben und fing schon an die Suppe auszuschöpfen. Nur Theobald war aufmerksam geworden, und frug die Frau Professorin ob sie nicht wisse, wo Donner sei, und ob er vielleicht nach dem Lusthaus hinausgegangen wäre. Ein dunkler Verdacht stieg in ihm auf, daß sich der junge Mann auch bei der Festlichkeit, über die er mit eifersüchtigem Auge wachte, betheiligen könne, und am Ende gar die Tischzeit, wo er wußte, daß er ungestört blieb, benutzt habe, hinauszugehn. Die Frau Professorin beruhigte ihn aber darüber, und Theobald hatte bald andere Sachen im Kopf, ihn das wieder vergessen zu machen.

Die Tischgesellschaft war aber eine recht stille heute, wo Alle sich eigentlich vorgenommen hatten recht heiter zu sein, und wunderbarer Weise fiel es Niemandem auf. Donner war noch dicht vor Tisch im Haus gewesen, von Mariens Mutter und Schwester Abschied zu nehmen, und hatte nicht einmal bewogen werden können, wenigstens noch zum Essen zu bleiben. Der Professorin selber war das aber recht schwer auf die Seele gefallen, denn sie wußte, wie treu und redlich es der junge Mann mit ihnen meinte, und wie oft er den Vater schon von Sachen abgehalten, die, wie sich später auswieß, nur zu seinem Schaden gewesen, wenn er dem eigenen Kopf dabei gefolgt. Der Professor selber fühlte sich am Unbehaglichsten – er trug das unangenehme Bewußtsein mit sich herum, einen unüberlegten, vielleicht gar ungerechten Streich gemacht zu haben, und anstatt auf den böse zu sein, der die alleinige Schuld davon trug – auf sich selber – war er es auf die unschuldige Ursache desselben. Hopfgarten hatte nun vollends seine neuen Reise- und Rachepläne im Kopf, und hörte und sah kaum was um ihn her vorging. Eduard, erst kurz vor Tisch unverrichteter Sache von seiner Hirschjagd zurückgekehrt, war ärgerlich und verdrießlich, und Theobald brütete über einen Toast in Versen, den er vorher sorgfältig einstudirt und von dem er jetzt unglückseliger Weise gerade die Pointe vergessen hatte.

Marie, die Königin des Festes war die Allerstillste, und Anna, die neben ihr saß, wagte nicht sie um die Ursache zu fragen.

Nach und nach kam allerdings ein wenig mehr Leben in die Gesellschaft – Theobald hatte die Pointe wiedergefunden und fuhr plötzlich in die Höh sich seiner Last zu entledigen, daß er die Geschichte nicht am Ende gar noch einmal verlöre. Die Männer sprachen dabei fleißig dem heute ausnahmsweise gegebenen Weine zu, und selbst der Professor, der sich glaubte zusammennehmen zu müssen, damit ihm Niemand etwas anmerke, wurde gesprächig, lachte über ein paar Anekdoten die Theobald erzählte, und neckte den Sohn über sein unverbesserliches Jagdglück.

Gleich nach Tisch brach die Gesellschaft aber nach dem neuen Lustplatz auf, diesen einzuweihen und Theobald lief mehr als er ging, voran, sie dort, wie er meinte, würdig empfangen zu können.

Das gelang ihm auch vollkommen; die kleine freundliche Stelle im Walde war mit Blumen, grünen Reisern und blühenden Lianen geschmückt, und als die Familie, von Herrn von Hopfgarten begleitet, nur erst einmal den Prolog überstanden, mit dem sie Theobald von oben aus bewillkommte, und wobei ihm der neben ihm kauernde Eduard die fehlenden Worte zuflüstern mußte, wurde dort von den Männern ein Feuer gemacht, und der Kaffee mit dem schon vorher hinausgeschafften Kuchen genossen.

»Aber wo steckt denn nur Donner?« frug Hopfgarten, wie das Gedicht endlich wirklich vorüber war, den Professor noch einmal; »bei Tisch war er nicht – hier ist er auch nicht, und vorhin sah er so verstört aus – ich habe ihn nachher gar nicht wieder gesehn.«

»Ich habe den jungen Mann aus meinem Dienst entlassen,« sagte der Professor ernst und ruhig.

»Den Teufel haben Sie!« rief Hopfgarten, von seinem Sitze aufspringend – »den jungen Donner?«

»Ich schätze seinen Fleiß wie seine anderen guten Eigenschaften, und weiß sie vollkommen zu würdigen,« erwiederte Lobenstein, »aber ich bin nicht gesonnen, mir auf meinem eigenen Grund und Boden von einem Manne, der dem Alter nach mein Sohn sein könnte, Vorschriften, ja sogar Vorwürfe machen zu lassen.«

»Professor, Professor,« sagte Hopfgarten unruhig, »ich will zu Gott hoffen, daß Sie den Schritt in Ihrem Leben nicht bereuen – Donner war ein tüchtiger Kopf und ein fleißiger Arbeiter, und würde Ihnen von unberechenbarem Nutzen gewesen sein.«

»Wenigstens glaubte er das selber,« sagte Theobald, der mit Hopfgarten darin keineswegs einverstanden war, und jetzt zu seinem innigen Vergnügen hörte, daß der junge Mann, der ihm schon oft im Weg gewesen, den Platz räumen würde.

Hopfgarten sah den jungen Dichter an, und hatte eigentlich eine recht bittere Erwiederung auf der Zunge, schluckte sie aber hinunter, und sagte Nichts weiter als – »nun ich will Ihnen in der That wünschen, daß Sie es nicht bereuen mögen; mir aber ist es für den Augenblick gerade recht, und ich habe desto dringender mit ihm zu sprechen – Sie erlauben mir da wohl, daß ich einen Augenblick zum Haus zurückgehe, ihn aufzusuchen.«

»Ich werde Sie begleiten,« sagte Anna – »ich habe so noch etwas vergessen,« und ihr Bonnet aufnehmend, schritt sie mit Herrn von Hopfgarten dem Hause wieder zu.

Dort fanden sie Georg aber nicht mehr, und als sie zum Weber hinüber gingen, hörten sie von diesem, der sich gar keine Mühe gab, seinen Ärger zu verbergen, daß der junge Mann schon, trotz allen Gegenreden von seiner Seite, vor dem Essen den Platz verlassen habe. Er hatte seinen Tornister, der bei ihm gelegen, und Alles enthielt, was er bei sich führte, auf den Rücken geworfen und war damit nicht einmal eine Straße, sondern gerade querfeldein in den Wald hinein marschirt.

 

»Hätt' er den anderen Faullenzer, den Gedichtemacher fortgejagt,« sagte der alte ehrliche Bursche dabei, »so wäre Vernunft d'rin gewesen, so aber schickt er den besten Arbeiter fort, den er auf dem Platze hat, und mag nun auch sehn wie er so fertig wird. Soviel weiß ich aber, wenn mein Jahr nicht ohnedieß bald um wäre, ich kündigte ihm auch auf und ging meiner Wege, denn die ganze Geschichte hier nimmt doch kein gutes Ende und wem das nicht egal ist, dem dreht sich nachher das Herz im Leibe dabei um.«

Hopfgarten selber war außer sich, und machte alle möglichen Pläne, den jungen Mann wieder zu finden, schickte auch drei von den Leuten aus, denen er eine sehr gute Belohnung versprach, wenn sie ihn fänden und, wenn auch nicht zurückbrächten, doch aufhielten, daß er ihm selber nachginge. Alle drei kehrten jedoch spät am Abend unverrichteter Sache zurück – sie hatten gar nicht auf seine Spur kommen können.

Capitel 8
In Michigan

Es ist ein eigenes Gefühl für den Europäer, die Straßen einer der, wie aus dem Boden gewachsenen jungen Amerikanischen Städte zu durchwandern, und um sich her das Drängen und Treiben jener geschäftigen Menschenwelt zu sehn, die von allen Theilen Amerikas und Europas herbeigezogen, wild und bunt hier zusammen strömt, ihre Hütten baut, und keinen anderen Trieb fast kennt als eben – reich zu werden. Alles ist neu und unfertig, nur dem augenblicklichen Bedürfniß genügend, und selbst wo der Kern der Stadt, der Mittelpunkt von dem aus sie ihre Strahlen schießt, und Häuser und Straßen wie Crystalle ansetzt, stattliche neue Steingebäude bilden, stehen dicht daneben niedere, nur flüchtig errichtete Holzhütten, momentane Wohnplätze für ihre Bewohner, die im nächsten Jahr eine Etage, oder rechts und links einen Anbau treiben, und sich endlich ebenfalls zu einem mächtigen Backsteinhause bilden, das wiederum seinen Anwuchs neben sich keimen und emporsteigen sieht.

Und selbst das Älteste, wie neu; die frischbehauenen Steine vorn als Schwellen, die lichten, noch nicht wettergebräunten Schindeln auf den Dächern, die oft noch nicht einmal gestrichenen Rinnen, die frisch und hell geschmacklos angemalten Jalousien; die kleinen Holzgebäude daneben mit ihren viereckig weiß gestrichenen Fronten, mit einem Bretervorschuh obendrauf, anscheinend das Ganze größer aussehn zu machen, in Wirklichkeit aber riesigen Firmen Raum zu geben, die mit dem Nachbar Steinhaus concurriren sollen; die jungen Kirchen selbst mit dem viereckig hölzernen ungeschickten Thurm – ebenfalls Concurrenzen zwischen Baptisten, Presbyteriern, Methodisten, Unitariern, Episcopalen, Universalisten, Katholiken, Congregationalen und wie die unzähligen feindlichen Sekten unserer einigen christlichen Kirche alle heißen; die Wirthshausschilder selbst mit den kolossalen und oft wunderlich genug gemalten Überschriften wie: »Experiment« – »Opposition« – die aufgehäuften Waaren überall, Massen davon noch nicht einmal unter Dach und Fach gebracht, Whiskeyfässer mit rothen Böden und schwarzer Aufschrift, mit den Cincinnati-Stempeln; ebenso Pork- und Mehlfässer, Colonialwaaren, in Schuppen ungespeichert; Kleiderläden, aus rohen Bretern frisch aufgeschlagen, mit einem durch eine Kattunwand abgegrenzten Schlafplatz drinn, und oben die Firma eines deutschen Jüdischen Namens tragend; die Straßen zum großen Theil noch nicht einmal gepflastert, und einzelne Stücken Fenz sogar noch hie und da im Innern der Stadt, die wie abgeschnitten und überrascht von dem fabelhaft schnellen Bau der Häuser um sie her, vergessen scheinen in dem allgemeinen Drängen nach vorwärts.

Und dann die Menschen erst – wie das rennt und stürmt und galopirt und die Schultern gegen sein Tagwerk stemmt; diese Hast des Erwerbs hat kein anderes Land der Erde aufzuweisen, und mit der kecken Stirn mit der der Yankee jeden Gewinn vom Zaune bricht, der sich ihm bietet, gleichviel woher er komme, mißt sich ebenfalls kein anderer Stamm.

»Du glaubst zu schieben, und Du wirst geschoben,« ein Halten ist nicht möglich, denn der Hintermann weicht Dir nicht aus oder schreitet um Dich herum, er schiebt Dich mit sich, oder – tritt Dich noch lieber unter die Füße, selber einen etwas festeren Halt zu bekommen für den eigenen Fuß; was schiert ihn der Nachbar.

Und das Gemisch von Sprachen, von Trachten, von Sitten in solcher neuen Stadt. Der trunkene Ire, der mit der Schaufel über der Schulter durch die Straßen jubelt, in irgend einem Keller oder Brunnen sein Tagewerk zu beginnen, der glatte Franzose mit dem zierlich gekräuselten moustache, der Seemann wie er vom Schiff herunter kommt, den Mund voll Flüche und Taback; der sanfte Reverend mit der weißen glatten Halsbinde, dem viel glatteren Hut und noch glatteren Gesicht; auch auf der Jagd, wie die Anderen, nicht nach Arbeit zwar, aber nach Gewinn, Abonnenten für seine Sitze in der eigenen Kirche zu schaffen, ehe sie der Nachbar Baptist oder Unitarier für sich geangelt hat; der deutsche Bauer mit dem langen Rock und ausgeschweiften Hut, immer in Schweiß und immer zu spät kommend, wo es den Lohn zu erndten giebt für ehrlich geleisteten Dienst; der lange Yankee dazwischen, glatt rasirt und, als einer höchst lobenswerthen Eigenschaft, mit stets reiner Wäsche, sei er noch so arm, dabei aber nicht selten in zerrissenem Frack, und über kreuz und quer durch das Oberleder geschnittenen Stiefeln, den Zehen freien Raum zu geben. Der Mulatte und Neger, mit aufgestreiften Hemdsärmeln und immer freundlichem, oft gutmüthigen Gesicht, die Arme vor sich her schlenkernd und die Hände halb gekrümmt, zum Zupacken an irgend etwas; und dazwischen hinschleichend vielleicht, ein Indianer in seine Decke gehüllt, den bemalten Kopf mit Federn geschmückt und die Büchse auf der Schulter mit dem Putzstock in der rechten Hand, der staunend und scheu das dunkle Auge nach allen Seiten hinüberwirft, das wunderbare Volk der Bleichgesichter hier förmlich aus dem Boden herauswachsen zu sehn. Wie der die Brauen so finster zusammenzieht und mit den Zähnen knirscht, wenn er daran denkt, daß es seine Jagdgründe sind, die sie ihm verödet, daß der Boden die Gebeine seiner Väter deckt, deren Gräber entweiht und ihres heiligen Schattens beraubt wurden. Aber was hilft es ihm daß er die Büchse fester packt und die Decke halb von der rechten Schulter wirft – seine Zeit ist vorbei, und mit dem ersten Schiff, das weiße Wanderer seinem Lande brachte, brach auch der Damm, der es bis dahin geschirmt und geschützt vor Überschwemmung. Langsam und leise zwar kamen sie im Anfang heran; freundlich und bittend, wie die Fluth auch an dem erst berührten Damm ganz langsam sickernd wäscht und spühlt und einzelne Tropfen nur hinüberfließen läßt zur anderen Seite; aber der Riß weitert sich, und stärker beginnt es zu laufen. Noch wär' es Zeit, wenn Alles jetzt zur Hülfe spränge und sich entgegenwürfe dem gemeinsamen Feind; »aber es ist wohl nicht so schlimm,« denken die Meisten, und die im Lande drin, die kümmerts auch wohl gar nicht. »Da müßt es stark kommen und mächtig werden, wenn es uns hier erreichen sollte – die, denen es am nächsten auf der Haut brennt, mögen sich wehren.« Die wehren sich auch wohl, doch wächst die Fluth und hier und da reißt sie auf's Neue Bahn, stärker, immer stärker und mächtiger, und furchtbar plötzlich mit der ganzen Kraft das letzte Hinderniß zu Boden reißend, das sich ihr noch entgegen stellte. Jetzt möchten die im Lande drinnen die Arme auch gebrauchen, aber das Wasser hat sie schon erreicht – das ganze Land ist überschwemmt, der Boden weicht ihnen unter den Füßen fort. Noch schwimmen sie, das Messer zwischen den Zähnen, doch umsonst – die Strömung ist zu stark, und mit ihr treiben die letzten ihres Stammes dem Meere zu.

Hopfgarten hatte Milwaukie nach gerade nicht sehr langer, aber höchst beschwerlicher Fahrt erreicht, und schlenderte, eben angekommen, noch mit seinem Reisesack unter dem Arm, die Ost-Wasserstraße hinab, dem Mittelpunkt der Stadt zu, die sich hier, mit dem weiten herrlichen See und seinem regen Treiben zu seiner rechten, in bunter thätiger Geschäftigkeit entwickelte.

Unser alter Freund hatte sich übrigens, mit keinem weiteren Ziel der Straße folgend, als ein ihm zusagendes Hotel zu finden, ganz diesen neuen Eindrücken hingegeben, und schaute mit einer Art von Behagen auf das Gewirr und Jagen um sich her, dem er keineswegs fern stand, sondern zu dem er, gerade in seiner Ruhe und mit seinem Reisesack unter dem Arm, recht eigentlich gehörte. Daß sich dabei Niemand um den Fremden, wo Alles fremd war, kümmerte, gefiel ihm ebenfalls, und nach Bequemlichkeit die verschiedenen Schilder und Firmen lesend, wie sie jedem Ankommenden schon Straßen weit in die Augen leuchten, stutzte er plötzlich, als ihm ein bekannter Name zwischen der Unzahl französischer, englischer und deutscher Firmen, in englischer Schrift, auffiel.

»Dr. J. A. Huckler, praktischer Arzt und Geburtshelfer,Operateur und Chirurg, – Besitzer der Königl. Preuß.Verdienstmedaille etc. etc. etc. – «

während unten, neben der Thür noch ein ganz kleines Schild hing, auf dem mit winzigen deutschen Buchstaben stand »deutscher Arzt«!

»Wäre doch wunderbar,« murmelte der kleine Mann vor sich hin, ging aber auch, ohne sich weiter zu besinnen, auf das ganz frisch angemalte weiße Häuschen zu, dessen mangelnde erste Etage eben durch diese Riesenfirma vollkommen ersetzt wurde, öffnete die Thüre und fand sich gleich darauf in dem kaum vierzehn Fuß langen und nicht breiteren Raum seinem alten Reisegefährten, dem »Doctor« Hückler, wie einem scheußlichen, dicht hinter ihm aufgestellten Skelett gegenüber.

»Guten Morgen Doctor,« rief der Reisende, unwillkürlich, aber dabei neben ihm weg nach dem Skelett hinübersehend – »wie gehts?«

»Guten Morgen Herr von Hopfgarten,« erwiederte der Doctor, so ruhig jedoch, und so ohne auch nur das geringste Erstaunen über den Eintritt eines Mannes zu zeigen, mit dem er die Seereise gemacht, und von dem er seit der Zeit Nichts wieder gehört, als ob er ihn alle Tage um dieselbe Stunde hätte bei sich eintreten sehen, »doch nicht krank will ich hoffen? sollte mir leid thun.«

»Seh' ich aus wie ein Kranker, Doctor,« lachte Hopfgarten, »nein ich sah Ihr Schild draußen, und wollte mich nur erst einmal überzeugen, ob Sie es wirklich selbst wären, der sich hier, unter der riesigen Firma und mit allen möglichen und erdenklichen vortheilhaften Eigenschaften, niedergelassen hat. Wo zum Teufel haben Sie übrigens das ekelhafte alte Knochengestell dahinten aufgetrieben? steht das zur Verzierung hier in Ihrer Bude?«

»My deur Sir,« sagte der Doctor mit einer nicht ungeschickten Amtsmiene, »in dieser Hinsicht sind Sie in unserem Fache wohl noch zu fremd, die Ursachen zu begreifen, weshalb man dem ungebildeten Theil der Amerikanischen sowohl, wie fremden Bevölkerung, durch die That und gewissermaßen bildlich beweisen muß, daß man sein Fach versteht, und sich nicht nur mit der Haut beschäftigt, sondern in seinen Forschungen bis auf die Knochen unseres Systems gedrungen ist.«

»Warum machen Sie solche Umstände,« lachte Hopfgarten gutmüthig, »und sagen mir nicht lieber mit einfachen Worten, »davon verstehen Sie Nichts,« – das ist mir schon mehre Male passirt. Sie mögen übrigens recht haben,« setzte er dann, indem sein Blick im Zimmer umherschweifte, hinzu; »wahrscheinlich versteh ich davon ebensowenig, wie von den eingemachten Schlangen, und Eidechsen und kleinen Kindern, die Sie hier in Gläsern herumstehn haben. Doctor das ist ein schauerlicher Nipptisch, und könnte Einem den Appetit auf eine ganze Woche verderben. Also es geht Ihnen gut, wie? nun das freut mich; nach alle dem, wie Sie die Sache hier angegriffen, zweifle ich auch wirklich nicht daran, daß Sie Ihren Weg in Amerika machen werden.«

»Lieber Herr von Hopfgarten,« sagte Hückler, sich eine Cigarre aus einem hinter ihm stehenden Kästchen nehmend, und sie anzündend, »der Begriff »Weg machen« läßt sich bei Männern unseres Fachs nicht wohl anwenden. Die Wissenschaft hat ihre eigene Bahn, auf der sie langsam aber sicher fortschreitet, und wer in der Bahn den Anforderungen genügt, die an ihn gemacht werden, der schwimmt oben und kann seinen Kahn ziemlich in jeden beliebigen Hafen steuern. Wer das nicht kann – nun der sinkt eben unter, und verschwindet in der Masse des übrigen Gelichters, das hier nach Amerika kommt, und glaubt, es brauche nur die Nase herein zu stecken, schon mit offenen Armen empfangen zu werden. Wir hier in Amerika überschauen das aber mit ziemlich ruhigem Blick, und wissen, was wir von derlei Hoffnungen zu erwarten haben.«

 

»Wir hier in Amerika? – hm,« sagte Hopfgarten, wirklich erstaunt über die Veränderung, die wenige Monate in dem sonst so stillen und oft sogar schüchternen Chirurgen hervorgebracht – »nicht so übel, Sie sprechen, als ob Sie so viele Jahre wie Monate in Amerika wären.«

»Die Erfahrungen reifen den Mann, nicht die Jahre,« entgegnete der Doctor ruhig. —

»Sehr hübsch gedacht, besonders vom medicinischen Standpunkte aus,« sagte Hopfgarten, »aber apropos – irr' ich mich, oder habe ich irgendwo gehört, daß Sie auch schon verheirathet sind? – «

»Allerdings,« sagte Hückler, den Rauch seiner Cigarre von sich blasend – »ich kam vor etwa drei Monaten nach Wisconsin, und fand das Unwesen der Ärzte hier zu einem Höhepunkt gediehen, der wirklich nicht zu beschreiben ist. Es quacksalberte eine Anzahl von Leuten hier herum, von denen selbst jetzt sogar noch ein großer Theil seine Gifte all jenen Unglücklichen verabreicht, die ihnen in die Hände fallen, und mehre sehr achtbare Amerikanische Familien besonders, waren von solchen Betrügern wahrhaft gemißhandelt, und langsam aber systematisch nach und nach ausgemordet worden. Da kam ich hierher, und wurde in verschiedenen Fällen zu, von Amerikanischen Ärzten schon aufgegebenen Kranken gerufen. Eine bedeutende New-Orleans Praxis hatte mich dabei mit den hiesigen klimatischen Verhältnissen vertraut gemacht, ein rascher Blick, der einem tüchtigen Arzt eigen sein muß, oder er ist eben kein tüchtiger Arzt, setzte mich in den Stand, die Übel, wie die begangenen Misgriffe richtig zu erkennen, mit einem Wort ich kam – ohne unbescheiden zu sein, sah und siegte. Die Tochter eines sehr wohlhabenden Farmers ganz in der Nähe, riß ich solcher Art aus den Krallen des Todes, und der Vater, der sein Kind schon aufgegeben hatte, gab es mir, zur weiteren Verpflegung.«

Hopfgarten hatte sich, ohne übrigens von dem Besitzer des »doctor shops« dazu besonders aufgefordert zu sein, auf dem einzigen Stuhle niedergelassen, der in dem kleinen Raum, wahrscheinlich zur Bequemlichkeit vorsprechender Patienten, stand, und hörte, beide Daumen dabei um einander jagend und die Blicke fest auf den Erzählenden heftend, diesem Schlacht- und Siegesbericht geduldig zu. Es war ihm ein eignes Gefühl, und nicht ohne Interesse für ihn, die Verwandlung zu beobachten, die in dem ganzen Wesen des früheren Hückler, jetzigen plötzlichen M. D. vorgegangen, und er konnte nicht umhin dabei Vergleiche zwischen ihm und den jungen Donner anzustellen, die allerdings nicht zum Vortheil seines jetzigen Gegenüber ausfielen. Hückler aber, dessen ganz unbewußt, und so fest überzeugt geworden von seinen Talenten, daß er nicht einmal mehr selber erstaunt war, plötzlich einen so ausgezeichneten Arzt in sich entdeckt zu haben, schwatzte noch eine Weile in der obigen Weise fort, und suchte besonders seinem früheren Reisegefährten eine Idee von der ausgebreiteten sowohl wie ausgezeichneten »Kundschaft« beizubringen, die er sich hier schon in der kurzen Zeit seines Aufenthalts erworben, und ersuchte ihn endlich, ihn doch einmal Abends auf seiner »Villa« in der Nähe der Stadt zu besuchen, auch seine häusliche Einrichtung in Augenschein zu nehmen. Vielleicht wollte er dadurch seinem Besuch, den er doch wohl im Verdacht hatte, früher eine nicht ganz so gute Meinung von ihm gehabt zu haben, imponiren; vielleicht aber auch – das Wahrscheinlichere – etwas pariren, was er durch Herrn von Hopfgartens Erscheinen mit dem Reisesack, freilich unbegründet, glaubte fürchten zu müssen, daß dieser nämlich die Absicht habe sich, fremd in der Stadt, bei ihm, als einem alten Reisegefährten, einzuquartiren.

Hopfgarten dachte natürlich gar nicht an etwas derartges, hielt aber gerade den hier jedenfalls ziemlich bekannten Hückler für eine passende Persönlichkeit, das, was ihm am meisten am Herzen lag, zu erfahren. Direkt nach Henkel zu fragen scheute er sich allerdings – er wollte Alles vermeiden, was den Burschen vor der Zeit warnen konnte, und besann sich deshalb eben auf eine passende Einleitung, als ihm Hückler darin schon auf halbem Wege entgegenkam.

Dieser begann nämlich damit, seine Kunden aufzuzählen, und Hopfgarten ließ ihn darin ruhig gewähren, bis er nur fortwährend Amerikanische oder fremde Namen nannte, und Hopfgarten ihn dann endlich unterbrach und sagte:

»Nun – und wie ist es mit den Deutschen? wir scheinen doch hier eine Unmasse Landsleute zu haben, und Wisconsin soll ja, wie mir in anderen deutschen Staaten erzählt ist, überhaupt zum größten Theil von Deutschen bevölkert sein; haben Sie unter denen keine Praxis?«

»Yes, es sind viele hier,« sagte Hückler, anscheinend sehr gleichgültig, »mit denen ist aber wenig anzufangen, mein lieber Herr von Hopfgarten. Es kommt da eine Raçe Menschen von unserem guten Deutschland herüber, daß man sich seiner Landsleute ordentlich schämen möchte, und ich selber habe nicht gern – ich muß es aufrichtig gestehn – etwas mit ihnen zu thun. Es macht Einem auch bei den Amerikanern keinen guten Namen, viel mit den black dutch 4 zu verkehren.«

»Nicht mit den Deutschen« rief Hopfgarten verwundert, und mußte dabei wirklich an sich halten, dem eingebildeten Narren, der sein eignes Vaterland verleugnen wollte, nicht das erste beste Glas an den Kopf zu werfen – »weshalb nicht, wenn ich fragen darf?«

»Ih nun,« sagte der selbstgemachte Doctor, die Nase rümpfend und mit den Achseln zuckend, »ich weiß nicht – man hat eben keine Ehre davon, mit ihnen umzugehn, noch dazu wenn man in Amerikanische Familien eingeführt und der Englischen, doch viel schentileren Sprache mächtig ist. Ich weiß nicht – ich spreche zum Beispiel, obgleich es mir noch manchmal etwas ungewohnt vorkommt, zehntausend Mal lieber Englisch wie Deutsch – es ist auch die Landessprache, und wir müssen uns darein finden. Übrigens,« setzte er rasch hinzu, als er an Hopfgartens Gesicht doch wohl sehn mochte, daß dieser mit den eben geäußerten Ansichten nicht so ganz einverstanden war, »giebt es auch Gott sei Dank einige Ausnahmen hier von der Regel, aber freilich wenige; so habe ich neulich wieder das Vergnügen gehabt, einen alten Reisegefährten von der Haidschnucke hier begrüßen zu können, der dabei auch schon mit mehren Amerikanischen Familien sehr befreundet ist, und in andern durch mich eingeführt wurde – Sie erinnern sich doch noch an Herrn Henkel – «

»Also er ist hier?« rief Hopfgarten ganz gegen seinen Willen schneller als es seine Absicht gewesen, und setzte erst dann wieder langsamer hinzu – »oh ja, ich erinnere mich jetzt gehört zu haben, daß er eine Reise nach dem Norden beabsichtigte.«

Hückler, so sehr er auch mit sich selber beschäftigt sein mochte, bemerkte doch, und zwar mit einem etwas erstaunten Blick, die unverkennbare Erregung Hopfgartens bei dem Namen, wenn er sich auch natürlich die Ursache nicht im Geringsten erklären konnte, oder sich etwa Mühe gegeben hätte das zu thun. Rasch auch darüber hingehend, begann er wieder von seinen Verbindungen, wie ebenfalls von seinen jetzigen Einnahmen zu erzählen, die er mit einer gewissen wegwerfenden Gleichgültigkeit wahrscheinlich noch um das zehnfache übertrieb, dem früheren Reisegefährten so viel als möglich zu imponiren. Im Laufe des Gesprächs, in dem sich Hopfgarten schon entsetzlich zu langweilen begann und auf raschen Rückzug dachte, erwähnte er dabei, daß er jetzt eben im Begriff stehe, bedeutende Gelder nach Europa zu senden, und zwar einen Theil derselben seinen Eltern, einen anderen aber, um ihn in einem gewissen Papier, zu dem er besonderes Vertrauen hege, anzulegen.

4Schwarz-Deutsche – ein Schimpfwort der ungebildeten Amerikaner für die Deutschen.