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Nach Amerika! Ein Volksbuch. Fünfter Band

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Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

»Ich muß auch nach Europa schreiben« sagte Hopfgarten, von seinem Stuhle aufstehend, »von hier aus thut man das wohl am Besten über New-York?«

»New-York wird wohl die schnellste Beförderung sein,« erwiederte Hückler, »ich sende auch in diesen Tagen etwas hinüber, und zwar, da mir daran liegt, es sicher hinüber zu bringen, durch Herrn Henkel selber, der gerade genöthigt ist, eine Geschäftsreise nach Deutschland zu machen.«

»Durch Herrn Henkel?« sagte Hopfgarten rasch und erstaunt »aber – aber um Gottes Willen, weshalb schicken Sie es denn da nicht durch die Post, oder durch einen hier ansässigen Kaufmann, der Ihnen – der Ihnen gewissermaßen eine Garantie für die richtige Ankunft bietet – «

»Ah, mein lieber Herr von Hopfgarten,« lachte Hückler, die Lippen dabei mit einem gewissen bedauerlichen Lächeln zusammenziehend – »Sie haben die alten Geschichten im Kopfe, Märchen und Sagen von Leuten, die Nichts von der Sache wissen und gerne klug reden wollen, daß man, einmal in Amerika angelangt, seinem eigenen Bruder nicht mehr trauen dürfe. Das mag recht gut sein für solche, die »grün« im Lande sind, wie wir hier sagen, wer aber da erst einmal seine Schule durchgemacht hat, mein guter Herr von Hopfgarten, der weiß schon, wem er trauen darf und wem nicht.«

»Ja, aber ich meine nur – «

»Wer mich leimen will, mein guter Herr von Hopfgarten,« fiel ihm Hückler wieder in die Rede, »der muß früh aufstehn, und dann findet er erst recht, daß es ihm Nichts geholfen – ich kenne meine Leute; wem ich vertraue, darauf können Sie sich verlassen, der verdient es.«

»Nun, das ist mir lieb,« sagte Hopfgarten, der sich über den Holzkopf ärgerte; »aber noch eins, Herr Hückler – Sie sind doch hier in der Stadt bekannt, und können mir gewiß ein gutes Gasthaus empfehlen, ein oder zwei Tage da zu logiren.«

»Ih nun,« sagte der Doctor, »es hat sich vor nicht gar langer Zeit ein sehr achtbarer Mann hier etablirt, dessen Frau ich behandle – ein Deutscher allerdings, und obgleich ich eigentlich nicht für die deutschen Gasthäuser bin, muß ich doch gestehn, daß er ein sehr gutes, besonders sehr reinliches Boardinghaus hält. Es liegt in der Westwasserstraße und heißt »der rothe Drachen« – Sie brauchen nur hier gerade auszugehn – ist auch billig; drei Dollar die Woche für Kost und Logis.«

»Dort wird auch wohl Herr Henkel logiren,« bemerkte Hopfgarten vorsichtig, der dem Burschen nicht eher zu begegnen wünschte, ehe er mit dem Staatsanwalt gesprochen hatte.

»Nein,« sagte Hückler lächelnd, »Herr Henkel wohnt in einem Amerikanischen Hause in Prairie street – es ist aber ein Privathaus und würde weitere Boarders,« setzte er hinzu, »nur vielleicht auf die Empfehlung eines bekannten und geachteten Mannes aufnehmen – ich habe Herrn Henkel auch dorthin empfohlen. Herr Henkel wird übrigens heute Abend oder morgen früh wieder abreisen, dann bekommen die Leute Platz, und wenn Sie es wünschen – «

»Bitte, bitte,« rief Hopfgarten rasch und abwehrend, »bemühen Sie sich nicht meinethalben – aber Sie sagen, Henkel verläßt Milwaukie so bald wieder; das thut mir leid, ich hätte ihn gern gesprochen. – «

»Er wäre schon gestern abgereist,« sagte Hückler, »und ist wirklich nur in seiner unendlichen Gutmüthigkeit einigen Deutschen Familien zu Liebe noch so viel länger hier geblieben, die ebenfalls Geld nach Deutschland schicken wollten, Verwandte herüberkommen zu lassen, und natürlich keine bessere Gelegenheit finden konnten.«

»So – deshalb?« sagte Hopfgarten, »doch ich muß es mir jetzt erst ein wenig bequem im Gasthaus machen; also guten Morgen Doctor – «

»Guten Morgen Herr von Hopfgarten – ich hoffe, daß Ihnen hier Nichts passiren wird; wenn es aber der Fall sein sollte so – «

»Passiren? – was soll mir denn hier passiren?« frug Hopfgarten sich, schon in der Thüre, noch ganz erstaunt umsehend.

»Nun, ich meine, wenn Sie vielleicht krank werden sollten – das Klima ist sehr gesund, aber kleine Übel vernachlässigt – «

»Ah so? – ei ja wohl, Herr Doctor, versteht sich von selbst, daß ich dann Ihre Hülfe in Anspruch nähme,« lachte Hopfgarten. »Wahrhaftig, wenn es nicht eigentlich sündhaft wäre, könnte ich mir, nur um das Vergnügen zu haben von Ihnen behandelt zu werden, ordentlich so ein gutartiges Nervenfieber oder einen Choleraanfall an den Hals wünschen – guten Morgen Herr Doktor.«

»Guten Morgen Herr von Hopfgarten – beehren Sie mich bald wieder.«

»Holzkopf,« brummte Hopfgarten leise zwischen den Zähnen durch, als er langsam die Straße hinaufging, aufmerksam die Schilder über den Thüren betrachtete, und die Firmen las, den rothen Drachen herauszusuchen.

Mit Hülfe von ein paar Deutschen, denen er unterwegs begegnete, und die ihn bereitwillig bis zu der Thüre des Wirthshauses begleiteten, fand er diesen endlich und trat hinein. Der rothe Drachen unterschied sich im Äußeren übrigens durch Nichts, als sein Schild – einen furchtbaren rothen Drachen, der eben einen armen Handwerksburschen oder sonst ein unglückliches Menschenkind gefangen und schon halb verschluckt hatte – von den übrigen Gasthäusern dieser Art, »Deutsches Kosthaus zum rothen Drachen« stand auf einem weißen Schild mit großen rothen Buchstaben über der Thür und die kleine bar (der Schenkstand) unten im Haus, hatte eben das stereotype Äußere, wie alle diese ähnlichen zahllosen Einrichtungen durch die ganzen Vereinigten Staaten. Aber gleich nach seinem ersten Eintritt merkte Hopfgarten einen fühlbaren Unterschied zwischen dem rothen Drachen und anderen, mit ihm auf gleicher Stufe stehenden Gasthäusern, die er bis jetzt betreten, und die sehr zu Gunsten dieses Platzes ausfielen: seine große Reinlichkeit, die hier die sorgsame fleißige Hand einer tüchtigen Wirthin verrieth, und einen wohlthätigen Eindruck auf den Fremden machte. Nicht allein das saubere Tischtuch mit Servietten (eine seltene Bequemlichkeit in der Union) das den Tisch bedeckte, nicht allein die blitzenden Scheiben der Fenster und Glasthüren, nein, auch der sorgsam gescheuerte, und mit weißem frischem Sande bestreute Boden, die reinlichen Gardinen an den Fenstern, das blitzende Geschirr, das hie und da stand, gaben Zeugniß davon, und Hopfgarten, sehr zufrieden mit diesem ersten Eindruck, frug den Barkeeper, ob er ein kleines Zimmer für sich allein bekommen könne – vielleicht nur auf kurze Zeit, vielleicht auf länger.

Das hatte einige Schwierigkeit; Amerikanische Gasthäuser, in deren Stuben gewöhnlich immer drei und vier Doppelbetten stehn, sind nicht oft auf derlei Bequemlichkeiten eingerichtet, und der Wirth mußte deshalb gerufen werden, das selber zu entscheiden.

Thuegut Lobsich hatte sich in der Zeit, in der wir ihn nicht gesehn haben, doch bedeutend verändert; er war schwammiger, sein Gesicht röther geworden, aber dasselbe gutmüthige Lächeln lag ihm noch in den breiten Zügen, deren sämmtliche Färbung sich in der Mitte seines Gesichts (auf der Nase) zu »concentriren« schien. Thuegut Lobsich wußte aber auch genau, weshalb das geschah, denn wo er in Deutschland Bier getrunken hatte, in dem vergeblichen Versuch seinen Durst zu löschen, trank er hier schwere Weine, Sherry und Madeira und Cognac und Brandy dazu, dem fehlenden Appetit unter die Arme zu greifen, oder, wie er selber sagte, »seinen Gästen mit einem guten Beispiel voranzugehn.«

»Der Mann da will gern ein Zimmer für sich allein haben,« sagte der Barkeeper – ein ziemlich ungeschlacht aussehender halb Amerikanisirter Deutscher, mit aufgestreiften Hemdsärmeln, ein gelb und rothseidenes Taschentuch über die rechte Schulter und unter dem linken Arm durchgebunden, indem er Herrn von Hopfgarten seinem Principale vorstellte, »kann er eins kriegen?«

»Guten Morgen Herr Landsmann,« sagte aber Lobsich, ohne auf seinen Barkeeper weiter zu achten, indem er auf den Fremden zuging, ihm die Hand gab und diese derb schüttelte – »wie gehts Ihnen? – schon lange im Lande? sind doch ein Deutscher, nicht wahr? – ja wohl, sieht man Ihnen gleich an – hol der Teufel die Amerikaner – wollen also bei uns wohnen? – können ein Zimmer kriegen; was trinken Sie denn?« – und mit dieser Endfrage, auf die er, schon seinethalben eine direkte Antwort haben mußte, während der Barkeeper, kaum das Stichwort hörend, hinter seinen Schenkstand sprang, trat Lobsich mit seinem Gaste, der noch gar nicht zu Worte kommen konnte, zu der Bar, und winkte nur mit den Augen nach seiner Flasche hinüber.

Hopfgarten mußte er freilich die ächt Amerikanische Frage »was trinken Sie« noch einmal wiederholen.

»Ein Glas Portwein, wenn ich bitten darf; also das Zimmer kann ich bekommen?«

»Kostet aber einen Dollar mehr die Woche,« sagte der Barkeeper.

»Der Herr hat ja noch gar nicht danach gefragt, Dickkopf!« rief Lobsich, sich rasch und ärgerlich nach ihm umdrehend – »ist mir doch was Unbedeutendes, was die Art Burschen sich immer in Sachen mischen, die sie Nichts angehn – na, krieg ich Nichts?« fuhr er dabei fort, sein eben ganz in Gedanken ausgetrunkenes Glas dem Barkeeper wieder hinschiebend, der es auf's Neue füllte.

»Noch nicht lange hier in Milwaukie?« nahm Lobsich die Unterhaltung wieder auf, als er auch sein zweites Glas geleert.

»Erst seit einer Stunde etwa,« sagte Hopfgarten, »aber dürfte ich Sie wohl bitten, mir das Zimmer zu zeigen; ich möchte mich gern waschen und umziehn, und vor Tisch noch einige Wege besorgen – Adreßkalender giebt es wohl hier nicht in Amerika?«

»Kalender? – ja – hier hab' ich einen komischen,« sagte der Barkeeper.

»Der Mensch ist zu dumm,« entschuldigte ihn Lobsich – »nein Herr Landsmann, so Dinger giebts hier nicht. Hier kommt und geht Jeder wie's ihn freut; aufgeschrieben wird Niemand dabei, und von zehn Gästen, die bei mir logiren, weiß ich oft von neunen nicht einmal den Namen.«

»Ja, wohl wahr,« sagte Hopfgarten, »apropos, können Sie mir wohl sagen, ob Sie hier in Milwaukie einen Staatsanwalt wohnen haben?«

 

»Staatsanwalt? – was wollen Sie denn mit dem machen?« frug Lobsich erstaunt, »hören Sie, hören Sie Freundchen, wenn Sie nicht müssen, lassen Sie sich um Gottes Willen nicht mit den Amerikanischen Gesetzen ein; die kosten eben gar kein schweres Geld – und wie haben Sie Einen gleich, wenn man sie nur ganz leise anfaßt.«

»Lieber Herr Lobsich, das ist ziemlich mit allen Gesetzen so,« sagte Hopfgarten achselzuckend, »wer nicht muß, soll sich mit ihnen um Gottes Willen nichts zu schaffen machen; manchmal,« setzte er lachend hinzu, »kann man das aber nicht vermeiden, und dann muß man sich wohl darein fügen – Aber mein Zimmer, wenn ich bitten darf; ich bin wirklich in Eile.«

»So gehn Sie einmal mit dem Herrn hinauf in das kleine Erkerstübchen, Schmidt,« sagte Herr Lobsich zu seinem Barkeeper, den er überhaupt in diesem Augenblick gern los zu sein wünschte, »und nehmen Sie gleich Waschbecken und Handtuch mit hinauf, sonst müssen Sie die Treppen noch einmal steigen, verstanden?«

»Ay ay Sir!« antwortete Schmidt, der einmal Steward auf einem, den See befahrenden Dampfboot gewesen war, und wenn es anging, noch immer gern einen seemännischen Ausdruck gebrauchte. Sich jetzt zu dem Fremden wendend, sagte er zutraulich – »also Freund, wenn Sie mitkommen wollen, will ich Ihnen Ihren Bettplatz zeigen.« Die Hände dabei in die Taschen schiebend, stieß er die Thüre mit dem Fuße auf, und schlenderte langsam voraus, von Hopfgarten mit dem Reisesack unter dem Arme, langsam gefolgt.

Kaum hatten die Beiden die Schenkstube verlassen, als Thuegut Lobsich rasch hinter den Schenkstand ging, eine der Flaschen noch einmal herunternahm, sich ein Glas ganz vollschenkte, auf einen tüchtigen Zug hinuntergoß, die Flasche dann wieder an ihren Platz stellte, das Glas ausspühlte und abtrocknete und eben wieder hinter dem Schenkstand vortreten wollte, als er, in der Thür stehend, seine Frau erblickte, die ihn mit einem keineswegs vorwurfsvollen, aber doch recht ernstwehmüthigen Blicke still und schweigend betrachtete.

»Nun Kind, wie gehts?« rief Lobsich, der fast unwillkürlich nach einem der Gläser griff und den Staub anfing davon zu wischen, als ob sie ihn eben bei dieser Beschäftigung gestört hätte – »wir haben noch einen Gast zum Mittagstisch mehr bekommen.«

»Ich hab' ihn gesehn, Lobsich,« sagte die Frau, tiefaufseufzend, und sich mit der Hand über die Stirn fahrend, als ob sie sich den Schweiß abwischen wollte, in der That aber eine verrätherische Thräne rasch und unbemerkt von den Wimpern zu werfen. Der Mann reinigte indessen unverdrossen Gläser und Flaschen, und erst, als die Frau gar nicht wieder von der Thür wegging, legte er das Wischtuch nieder, steckte die Hände in die Taschen, und ging, leise vor sich hinpfeifend, langsam zu dem mit allen möglichen Getränken und Früchten verzierten Schaufenster, aus dem er hinaus auf die Straße sah.

»Lobsich,« sagte die Frau endlich mit leiser, bittender Stimme.

»Ja, Kind?« frug der Mann, ohne sich nach ihr umzudrehen.

»Ich habe eine rechte Bitte an Dich – «

»Und die wäre?«

»Sieh mich an, Vater; dreh Dich nicht weg von mir.«

»Nun, was hast Du denn?« lachte der Mann halb verlegen, aber sonst guter Laune, indem er sich nach ihr umdrehte und sie wie erstaunt betrachtete – er wußte freilich schon, was sie von ihm wollte. Salome Lobsich war aber nicht mehr die frühere, kräftig gesunde Frau, die von Tagesanbruch bis Mitternacht fast, im rothen Drachen zu Heilingen geschafft und gearbeitet, und die große lebhafte Wirthschaft in Ordnung, und wie in Ordnung, gehalten hatte. Sie war viel magerer und recht bleich und kränklich aussehend geworden; die Augen lagen ihr tief in den Höhlen und sahen verweint aus, und in die sonst so glatte, freie Stirn hatten sich viele schwere Falten gegraben, und ließen sie älter scheinen, als sie der Jahre wirklich zählen mochte.

»Trink heute nicht mehr,« sagte die Frau mit zitternder, tief bewegter Stimme, »laß die Flaschen stehn, Vater, und nimm Dir eine Warnung an gestern – Du weißt, was Du mir versprochen hast.«

»Unsinn,« brummte der Mann, den Kopf herüber und hinüber werfend, »was willst Du denn eigentlich, ich trinke ja gar nicht – wenn mich ein Fremder auffordert, darf ich doch nicht grob sein und ihn zurückweisen. – Das schickte sich schön von einem Wirth.«

»Ich sage ja Nichts darüber,« bat die Frau – »trink nur von jetzt an nicht mehr; Du machst Dich krank Vater, ruinirst Deine Gesundheit, und – und die Leute im Haus thun nachher, wenn sie merken, daß Du nicht mehr auf sie siehst, was sie wollen. – Bitte, lieber, lieber Lobsich – trink heute nicht mehr.«

Sie war während der letzten Worte zu ihm getreten, hatte ihre Hand auf seinen Arm gelegt und sah, mit ihren Thränen gefüllten Augen, die sie jetzt nicht länger verheimlichen konnte, recht ernsthaft, traurig zu ihm auf. Als der Mann aber schwieg, und den Kopf halb von ihr wandte in scheuem Bekenntniß, fuhr sie mit leiserer, dringender Stimme fort: —

»Nicht meinetwegen bitt' ich Dich darum, Lobsich – ich fühle, wie ich mit jedem Tage kränker und schwächer, Dir die ganze Wirthschaft, die ganze Sorge wohl bald werde allein überlassen müssen; aber denke wie Alles werden soll wenn ich einmal – nicht mehr bei Dir bin, fremde Menschen eine Angewohnheit, die bei Dir beginnt zur Leidenschaft zu werden, benutzen können – und die Gelegenheit gewiß dann nicht versäumen werden – «

»Rede nur nicht so,« sagte Lobsich, doch ergriffen, und ihr jetzt die bleiche Wange streichelnd und das Haar glättend – »rede nicht solches Zeug Salome – Du bist gar nicht so krank, wie Du selber glaubst, und wirst Dich in dem gesunden Klima hier bald genug erholen.«

»Das Klima ist wohl gut,« sagte die Frau kopfschüttelnd, »aber was ich habe, trag' ich schon in mir, und die Sorge dabei um Dich, nagt und frißt mir am Leben mehr und mehr. Ich fühle das auch stärker, als ich es Dir sagen kann, und doch ist es Dein eigner Nutzen Lobsich, Dich zu ändern – wenns wirklich nicht meinetwegen wäre – Vater – Deines eigenen Selbst wegen. Sieh,« fuhr sie lebendiger fort – »Du weißt, mit wie schwerem Herzen ich von Deutschland fortgegangen bin – wir hatten keine Ursache zu gehn, und würden uns dort immer wohl befunden haben, hätte der Mensch, der Weigel, was ihm Gott verzeihen möge, nicht immer in Dich hineingeredet, daß Du Dein Glück mit Füßen von Dir stießest, wenn Du bliebst. Aber ich klage jetzt nicht darüber; wir sind einmal hier, das alte Vaterland liegt hinter uns, und mit gutem Willen und nur einigem Fleiß, kannst und wirst Du Dir auch hier das bald wieder erschaffen, was Du in Deutschland verlassen – eine sorgenfreie glückliche Existenz. Wir haben der Beispiele hier schon mehre, wo die Wirthe solcher Gasthäuser sich ein hübsches Vermögen erworben, und es geht denen, die ihr Geschäft fleißig und ordentlich betreiben, vielleicht Allen gut. Aber etwas wird dafür auch von ihnen verlangt; sie müssen sich selber beherrschen können, und dürfen der Verführung, die rings um sie her in Flaschen und Karaffen steht, keine Macht über sich gönnen. Sonst, Lobsich – sonst sind sie verloren, und zu späte Reue macht das Verlorene dann nicht wieder gut.«

»S'ist mir doch was Unbedeutendes, was die Frau für ein Mundwerk hat,« sagte Lobsich, gutmüthig lächelnd – »aber Du hast recht Salome; ich will mich tüchtig zusammennehmen, Du – Du sollst einmal sehn – Du sollst noch Deine Freude an mir haben.«

»Du bist so seelensgut,« fuhr die Frau mit innig gerührter Stimme fort, »mochtest, wenn Du die bösen Flaschen nicht angerührt, gern allen Menschen helfen, und Deine Frau, vor allen Übrigen gewiß nicht unglücklich machen; denke nur immer daran, Lobsich. Sieh, ich bin auch früher manchmal heftig und auffahrend gewesen, und habe gefunden, daß Dich das nur noch schlimmer machte – ich habe es gelassen seit der Zeit, und mir selber Gewalt angethan, bis es nie mehr vorfiel; der Mensch kann sich bezwingen, wenn er nur ernstlich will. So lange ich lebe, werde ich Dir ja auch gern und treulich zur Seite stehn, aber – wenn ich fort von Dir bin, Lobsich – denke nur immer an die Zeit, wie es da werden würde, wenn Du Dir allein überlassen bliebest, und Dich nicht ändern wolltest, und keinen Menschen mehr hättest, der Dir freundlich und ehrlich riethe.«

»Du bist ein gutes Kind,« schmeichelte der Mann, »und machst Dir ganz unnütze Sorgen um mich. Hoffentlich lebst Du noch recht lange, und legst mich noch vielleicht hier irgend wo unter die Erde.«

Die Frau schüttelte langsam und ernst mit dem Kopf, mochte aber auch nicht weiter jetzt in den Mann dringen, und sagte, nach einer kleinen Pause, in der sie sich die Augen getrocknet und wieder ruhiger zu dem Mann aufsah:

»Ich wollte Dich noch an eins erinnern, Lobsich – Du weißt, daß heute Nachmittag die Englische Schoonerladung von Mehl und Mais verauktionirt wird, die neulich von dem Steueramt hier den Leuten, die sie hatten schmuggeln wollen, weggenommen wurde. Versäume die Zeit nicht; wir haben jetzt gerade das Geld dazu, und die Sachen werden billig verkauft werden.«

»Alle Wetter ja,« sagte Lobsich, augenscheinlich etwas verlegen, »daran hatte ich gar nicht mehr gedacht, aber – aber – Du weißt doch, der reiche junge Kaufmann, Herr Henkel, war gestern bei mir und da – «

»Um Gottes Willen Mann, was hast Du da gemacht?« rief die Frau erschreckt – »Du hattest viel getrunken und – «

»Nu nu, ängstige Dich nicht,« lachte der Mann, »das Geld ist gut aufgehoben, – ich wollte nur wir hätten halb so viel wie der – aber er brauchte gestern gerade 400 Dollar, die ihm an der Summe fehlten, eine Anzahl gekaufter Bonds zu bezahlen, und hat mir versprochen, sie mir heute Abend oder morgen früh zurück zu geben.«

»Und ist das auch gewiß?«

»Guter Gott,« lachte Lobsich, »er bekommt ja hier von einer ganzen Menge Deutschen Geld, was er für sie theils nach New-York, Colonialwaaren einzukaufen, theils nach Deutschland nehmen soll, und da er den Leuten sogar für die Zeit, die er es in Händen hält, einige Procente giebt, kann er es doch nicht indessen todt liegen lassen – er hätte ja sonst für seine Gefälligkeit noch Schaden obendrein. Bei Kaufleuten muß das Geld immer cursiren und arbeiten, und da ihm die paar Hundert Thaler gerade auf ein paar Stunden fehlten, mochte ich doch nicht so ungefällig sein und nein sagen. Nun Alte? – was hast Du noch, Du siehst ja noch so verdrießlich aus; ist Dir's nicht recht?« —

»Ich weiß nicht, Lobsich,« sagte die Frau unschlüssig und als ob sie ungern den Punkt berühre – »der Herr Henkel – er mag ein steinreicher, vornehmer und sehr braver Herr sein – ich möchte ihm nicht gern Unrecht thun, aber mir – mir gefällt er nun einmal nicht – mein Mann wär's nicht, und sein Lachen besonders hat für mich etwas Unheimliches; es kommt mir immer so vor, als ob er sich dabei über Euch lustig mache.«

»Papperlapapp,« lachte der Mann – »und noch dazu des alten reichen Dollinger Schwiegersohn, von dem er einmal eine halbe Million erbt, wenn der stirbt. Er mag seine Eigenheiten haben, aber ein tüchtiger Geschäftsmann bleibt er immer und die Wirthe sollten ihm besonders dankbar sein, denn er läßt was drauf gehn wohin er kommt.«

»Aber er hat Dich noch nicht bezahlt.«

»Die Zeche – hahaha, die paar Thaler? für die bist Du doch nicht bange?«

Die Frau zögerte mit einer Antwort und sagte endlich —

»Es wäre kindisch von mir, und doch – Du magst mich auslachen wie Du willst, hat mir der Mann etwas, das mich mistrauisch gegen ihn macht, und der Mensch der immer mit ihm geht, der Amerikaner, dem ist ein schwarzer Strich ordentlich über das ganze Gesicht gezeichnet – «

»Nun ja, der gefällt mir gerade auch nicht besonders,« sagte Lobsich, »aber hier in Amerika kommt man mit Manchem zusammen, von denen man sich in einem anderen Lande wohl fern halten könnte und würde, und unser Herr Gott hat uns eben nicht alle gleich hübsch gemacht; sonst ist er aber gut, denn er zahlt Alles gleich baar.«

»Da kommt der Fremde wieder herunter,« sagte die Frau jetzt, »und ich will machen daß ich in meine Küche komme – in dem Aufzug kann ich mich nicht gut vor dem Herren sehn lassen; also nicht wahr Vater – Du hältst Dein Wort?«

Lobsich gab ihr die Hand und nickte ihr freundlich zu und Salome verließ rasch, und mit viel leichterem Herzen, als sie es betreten, das Zimmer, während durch die andere Thüre Hopfgarten, dem der Barkeeper wieder langsam vorausschlenderte, hereinkam, und ohne sich weiter aufzuhalten, durch den Schenkraum hindurch auf die Thüre zu ging, die auf die Straße führte. —

»Um wie viel Uhr wird gegessen, Herr Lobsich?« sagte er hier, sich noch einmal nach dem Wirthe umdrehend.

»Um ein Uhr.«

»Schön, werde mich einfinden; – noch eins – ich wollte Sie noch fragen ob Sie nicht – aber es ist schon gut, ich werde es schon finden – danke Ihnen – « und mit dem kurz abgebrochenen Satz verließ er das Haus. Er hatte sich noch einmal nach der Wohnung des Staatsanwalts erkundigen wollen, besann sich aber eines Besseren, und hielt es für eben so gut auf der Straße den ersten Besten danach zu fragen. Die Wirthsleute brauchten nicht zu wissen daß er irgend etwas Nöthiges mit den Gerichten zu thun hatte.

 

Hopfgarten, auf seine erste Anfrage gleich an das Court oder Gerichtshaus gewiesen, fand bald in dessen Nähe die Wohnung des Staatsanwalts, diesen aber leider nicht zu Hause. Er war ausgegangen, wurde aber gleich nach Tisch zurück erwartet.

Das war fatal, ließ sich jedoch nicht ändern, und obgleich Hopfgarten große Lust hatte, indessen zu einem anderen Advokaten zu gehn, hielt er es doch für besser zu warten, um dann durch den Staatsanwalt gleich durchgreifende Mittel anzuwenden. Der Bursche mußte endlich einmal unschädlich gemacht, und der so reichlich verdienten Strafe überliefert werden.

Nach seiner Uhr sehend, fand er, daß übrigens nur noch eine Viertel Stunde an ein Uhr fehlte und drehte eben wieder in die Straße ein, nach seinem Gasthaus zurück zu gehn, dort rasch zu essen, und keinen Augenblick seiner kostbaren Zeit zu versäumen, als ihm, eben wie er um die Ecke bog, zwei Männer begegneten und fast gegen ihn anrannten, in deren Einen er mit nicht geringer Überraschung den so sehnsüchtig verfolgten, in diesem Augenblick aber doch nicht erwarteten oder gewünschten Soldegg oder Henkel, wie er jetzt wieder hieß, erkannte.

»Hallo Herr von Hopfgarten,« rief ihm dieser freundlich und jedenfalls ganz unbefangen entgegen – »das freut mich wahrhaftig, daß wir uns wieder einmal in den Weg laufen. Alle Wetter, ich glaube wir haben uns seit unserer Landung nicht mehr gesehn.«

Hopfgarten, keineswegs ein solcher Meister in der Verstellung als der Mann, mit dem er es hier zu thun hatte, fühlte, wie ihm im ersten Augenblick das Blut in Strömen in's Gesicht stieg, und dann wieder zu seinem Herzen zurückdrängte, wußte aber auch, daß in diesem Moment Alles von seiner eigenen Kaltblütigkeit abhänge, den Verbrecher wenigstens noch auf eine Stunde glauben zu machen, daß er sich zum zweiten Mal von ihm anführen lasse, denn jedenfalls fühlte ihm dieser erst auf den Zahn, ob er mehr von ihm wisse, als sich mit seiner Sicherheit vertrug. Rasch also gesammelt, sah er dem Mann starr in's Auge und sagte dann lachend:

»S'ist doch eine tolle Ähnlichkeit zwischen Ihnen beiden; und man sollte darauf schwören, es könnten nicht zwei sein.«

»Zwischen uns Beiden?« lachte Henkel, auf seinen Begleiter zeigend – »das ist nicht übel – übrigens hab' ich die Herren wohl erst einander vorzustellen – Herr von Hopfgarten – ein früherer Reisegefährte von mir und sehr lieber Freund – Mr. Cottonwell, ein Pflanzer aus Louisiana – «

»Nicht zwischen Ihnen,« rief Hopfgarten mit einer höflichen Verbeugung gegen den Fremden, »sondern mit Ihnen und Ihrem Bruder – oder haben Sie keinen Zwillingsbruder, Henkel?«

»Aber woher wissen Sie das?« rief Henkel, anscheinend erstaunt, »haben Sie ihn gesehen?«

»Er hat mir einen Brief für Sie gegeben.«

»Und haben Sie den Brief?« rief Henkel lachend – der in dem Augenblick wirklich noch gar nicht wußte, welche Rolle er weiter spielen müsse, und sich durch die Frage immer noch eine Hinterthür offen behielt, das Ganze auf einen Scherz hinaus zu drehen.

»Allerdings,« sagte Hopfgarten ruhig, und jetzt wieder ganz gefaßt; »ich bin in der Zeit noch gar nicht nach New-Orleans, wo ich Sie vermuthen mußte, gekommen, und wenn Sie mit mir zu Haus gehn, kann ich ihn an seine Adresse überliefern. Ich habe Ihnen überdieß noch etwas sehr Wichtiges, und für Sie höchst Interessantes mitzutheilen.«

»Und das wäre?« rief Henkel rasch und neugierig.

»Nun hier auf der Straße,« sagte Hopfgarten mit einem flüchtigen Blick auf Henkels Begleiter, »geht das doch wohl nicht; wollen Sie mit mir essen, so können wir es zu Hause abmachen?«

»Wo logiren Sie?«

»Im rothen Drachen.«

»Ah bei Lobsich – da wird ja wohl um ein Uhr gegessen.«

»Ja – «

»Hm – das thut mir leid,« sagte Henkel, nach seiner Uhr sehend, »aber ich habe vorher noch ein kleines Geschäft in der Stadt abzumachen, das sich unmöglich aufschieben läßt. Dorthin bin ich ebenfalls gerade ein Uhr bestellt; ist es Ihnen aber recht, hol' ich Sie um zwei Uhr, spätestens halb drei im rothen Drachen ab.«

»Schön,« sagte Hopfgarten, der bis dahin Zeit behielt seine eigenen Maasregeln zu treffen – keinenfalls konnte Henkel eine Ahnung haben, daß er Alles wisse, und der Verbrecher lieferte sich solcher Art selber in seine Hände – »also treffen wir uns um zwei oder halb drei im rothen Drachen – es ist überdieß jetzt Zeit, daß ich zum Essen gehe, und wir bereden alles Andere dort. Auf Wiedersehn Herr Henkel!«

»Auf Wiedersehn, mein lieber Herr von Hopfgarten,« rief ihm der junge Mann noch freundlich mit der Hand nachwinkend zu, nahm dann den Arm seines Gefährten, und schritt mit ihm langsam die, mit dem Wasser gleichlaufende Straße hinauf.

»Was ist denn das für eine Geschichte mit dem Zwillingsbruder, Soldegg,« sagte der Amerikaner, als dieser vielleicht hundert Schritte schweigend und mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt neben ihm hin gegangen war —

»Lieber Goodly,« erwiederte aber Soldegg finster – »wir haben keine Zeit mehr zu Kindereien; der Bursche, der uns eben verließ, weiß mehr als mir und Euch gut ist, und die halbe Stunde, die wir zum Handeln haben, müssen wir benutzen.«

»Mir? – was weiß er von mir – Donnerwetter, er sah grün und unschuldig genug aus, und von dem sollte ich denken, hätten wir Nichts zu fürchten.«

»Er war in Grahamstown und weiß, daß ein gewisser Goodly wegen einem sehr albern angestellten Raub und Mord steckbrieflich verfolgt wird; und was seine Unschuld betrifft, so steckt hinter dem mehr als Ihr glaubt – mehr als mir lieb ist. Habt Ihr nicht bemerkt, wie er erst roth und dann blaß wurde, als ich ihm so plötzlich in den Weg lief? Er gehörte sonst zu der ehrlich dummen Art, denen ihr eigenes Blut nicht einmal mehr gehorcht; hinter der Gewalt, die er sich aber dann anthat, steckt mehr als ich gerade gesonnen bin abzuwarten, und er hat für jetzt nur den einzigen Fehler begangen, daß er mich für eben so leichtgläubig und thöricht hielt, als er sich früher gezeigt. Noch, mein lieber Herr von Hopfgarten, haben Sie den Fuchs nicht im Bau, und er wird von jetzt an Sorge tragen, daß er Ihnen nicht wieder so leicht begegnet.«

»Tod und Teufel!« fluchte Goodly, mit dem Fuße stampfend, »das wäre eine verfluchte Geschichte, wenn wir jetzt gleich fort, und die 500 Dollar im Stich lassen müßten, die wir noch heute Mittag erheben sollten.«

»Ich lasse Nichts im Stich;« sagte Soldegg ruhig – »vor allen Dingen müssen wir herausbekommen, wie lange der Herr hier ist, und das erfahren wir am besten bei dem deutschen Pflasterschmierer hier gleich unten am Wasser. Kommen Sie Goodly, dort sage ich Ihnen, was wir zu thun haben.«

Den Herrn Doctor Hückler, den Soldegg vorher etwas ungenirt mit dem »deutschen Pflasterschmierer« gemeint, fanden sie gerade im Begriff, seinen Laden zu schließen, um nach Hause zum Essen zu gehn.

»Ach lieber bester Doctor,« rief ihm Soldegg schon von weitem zu – »ich habe noch eine große Bitte an Sie; thun Sie mir den Gefallen und schließen Sie noch einmal auf – ich halte Sie nicht zehn Minuten länger.«

»Ah mein guter Herr Henkel; sehr erfreut sie zu sehen, wie geht es Ihnen, – womit kann ich Ihnen dienen?« sagte der Doctor auf Englisch, dem Wunsche willig Folge leistend, und in seinen »shop« voran hineintretend.