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Nach Amerika! Ein Volksbuch. Fünfter Band

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Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

»Das haben Sie,« sagte Herr Dollinger, ihm freundlich die Hand reichend, »und ich gebe Ihnen mein Wort, daß über meine Lippen nie ein Wort unseres jetzigen Begegnens kommen wird.«

»Aber nicht übel,« lachte Mac Culloch, der der Erzählung aufmerksam gelauscht, wieder in englischer Sprache, »läuft seiner Frau zu Hause fort, kommt nach Amerika unter einem falschen Namen, und läßt sich bei dem Staatsanwalt da anstellen; mein lieber Mr. Fortmann, das sind schöne Streiche.«

»Bester Mr. Mac Culloch,« sagte Herr Ledermann.

»Nun ich habe Nichts dagegen,« lachte dieser, »wenn weiter Nichts vorgefallen ist als das, mögen Sie Ihre häuslichen Verhältnisse mit ihrem Gewissen und Ihrer Frau Gemahlin abmachen; jetzt aber möchten wir Sie fragen ob Sie in Zeit Ihres hiesigen Aufenthalts Nichts von der Tochter dieses Herrn, Clara Henkel, gehört haben?«

»Von Frau Henkel?« sagte Ledermann, als Dollinger noch einmal die Frage in Deutsch an ihn gerichtet hatte; »keine Sylbe – aber ich erinnere mich daß ein junger Deutscher Namens Donner, ein Arzt glaub' ich, sich schon sehr eifrig nach ihr erkundigt hat, und konnte mir schon damals nicht erklären, daß das so große Schwierigkeiten haben sollte sie aufzufinden.«

»Hm hm,« sagte Mac Culloch sich das Kinn streichend, und nachdenkend vor sich nieder sehend – »es wird Ihnen da doch wohl nichts anderes übrig bleiben, als den Erfolg des Briefes abzuwarten.«

»Ist denn etwas vorgefallen?« frug Herr Ledermann, durch das ängstliche Benehmen Herrn Dollingers aufmerksam gemacht – »doch nicht mit Herrn Henkel?« frug er plötzlich, den alten Herrn scharf und erschreckt fixirend.

»Sie sollen Alles erfahren lieber Ledermann,« sagte Herr Dollinger freundlich – »es ist das eine zwar schmerzliche, aber doch eine Pflicht sogar, die ich Ihnen gegenüber, einer alten Sache wegen zu erfüllen habe. Es gilt auch dabei einen armen, unschuldig verfolgten und unglücklich gemachten Menschen zu rechtfertigen.«

»Loßenwerder?« rief Herr Ledermann rasch.

Herr Dollinger nickte schweigend und langsam mit dem Kopfe.

»Nur nicht jetzt,« sagte er aber dann – »das Herz ist mir in diesem Augenblick zu voll und schwer, näher darauf einzugehn – ich habe keine Ruhe bis ich meine Tochter, mein armes unglückliches Kind wiedergefunden. Nicht wahr Herr von Hopfgarten, Sie begleiten mich nochmals nach der Post?«

Hopfgarten reichte dem armen Vater freundlich und theilnehmend die Hand, und verließ mit ihm, nachdem Sie Mac Culloch zugesagt hatten das Weitere in den nächsten Tagen zu besprechen, das Haus.

Schweigend schritten die beiden Männer Canalstreet nieder und an der Ecke des Marktes hinab, wo ein reges Drängen und Treiben von Käufern und Verkäufern herüber und hinüber wogte, als Herr von Hopfgarten plötzlich vor einem Mann stehen blieb, der in sehr dürftiger Kleidung, an einem der Markthaus-Pfeiler lehnte. An einem breiten Gurt um den Hals trug er ein mit Streichhölzchen gefülltes Kästchen, und einige Bündel derselben in der rechten ausgestreckten Hand haltend, schien er seine Waare den Vorübergehenden zu empfehlen.

»Herr Mehlmeier?« rief Hopfgarten überrascht, ja fast erschreckt aus, einen so wehmüthigen Eindruck machte die abgemagerte, niedergedrückte Gestalt des sonst so freundlichen fast behäbigen Mannes, eines der ruhigsten und ordentlichen Zwischendecks-Passagiere der Haidschnucke, »was um Gottes Willen machen Sie hier, und wie geht es Ihnen?«

»Oh ich danke Ihnen Herr von Hopfgarten,« sagte Mehlmeier, der in der ersten Überraschung und ganz unwillkürlich dem Reisegefährten seine Schwefelhölzchen entgegen hielt, aber dann auch eben so rasch und bestürzt wieder mit ihnen zurück und in sein Kästchen fuhr, dessen Deckel er schloß, als ob er sich des Inhalts schämte – »ich danke Ihnen herzlich – gut – recht gut – man darf eben nicht klagen,« und der Mann schüttelte dabei gar wehmüthig, und dießmal freilich nur zu bezeichnend mit dem betrübten Gesicht, das seine Worte ebenso Lügen strafte.

Der arme Teufel sah gar so dürftig aus; der alte fadenscheinige Sommerrock den er trug, war ihm überall, aber besonders in den Ärmeln zu eng und zu kurz, und an den Ellbogen ausgerissen, ging vorn nicht zusammen und zeigte eine eben so defekte Weste und Beinkleider; nur das Hemd war weiß und sauber gewaschen, während ein alter, arg mitgenommener Strohhut ihm ziemlich hoch auf dem Kopf saß, und mit einem, unter dem Kinn durchgehenden Bindfaden, den Verdacht rechtfertigte, nicht für den Kopf, den er jetzt gegen die ziemlich heißen Sonnenstrahlen nothdürftig schirmte, gemacht und bestimmt gewesen zu sein.

»Aber mein guter Herr Mehlmeier,« sagte Hopfgarten, dem es ein eignes wehes Gefühl war, den sonst so ordentlichen und anständigen Mann in einem solchen Zustand vor sich zu sehn, »wie um Gottes Willen sind Sie zu dem Handel und – zu – zu dieser Beschäftigung gekommen?«

»Zu den Kleidern? wollten Sie sagen, nicht wahr Herr von Hopfgarten,« sagte Mehlmeier mit einem schwachem Versuch zu lächeln – »ja, sie passen nicht recht,« setzte er mit einer ebenso vergeblichen Anstrengung hinzu, seinen Arm soweit aufzudrehen, den Ellbogen in Sicht zu bekommen – »es war ein Lohgerber, von dem ich sie in diesem Zustand überkommen. Mir haben sie Alles gestohlen was ich hatte.«

»Alles gestohlen?«

»Jawohl,« sagte Herr Mehlmeier und schüttelte dabei freundlich mit dem Kopf – »aus dem Koffer heraus.«

»Aber wie war das möglich?« rief Hopfgarten.

»Ja lieber Gott, die Leute machen hier Manches möglich,« seufzte Mehlmeier – »ich hatte den Koffer im Wirthshaus stehen, wo eben die anderen Sachen auch standen, und zwar in der nämlichen Stube in der wir schliefen. Über Nacht hat sich da, vielleicht Einer von meinen Schlafkameraden, vielleicht ein Fremder, die Mühe genommen meinen Koffer, der ihm wohl am anständigsten aussehn mochte, zu öffnen und Alles herauszupacken was er darin fand. Nur ein altes Paar Hosenträger und einen Pfeifenkopf hat er mir darin gelassen, und der leere Koffer, mit diesem Inventarium und sechs Hemden und eben soviel Paar Strümpfen, die glücklicher Weise in der Wäsche waren, bildeten am nächsten Morgen mein sämmtliches Besitzthum – ich konnte nicht einmal hinunter zum Frühstück gehn.«

»Du lieber Gott, das ist ja zu traurig,« sagte Hopfgarten, »und da wurden Sie Schwefelholzverkäufer?«

»Doch nicht gleich, bester Herr von Hopfgarten,« sagte Herr Mehlmeier ihm zunickend – »doch nicht gleich; zuerst versuchte ich es mit einer Handarbeit, die ich freilich nicht so rasch fand, dann aber auch nicht im Stande war durchzuführen. Ich ging nämlich an die Levée, zwischen den Negern und Bootsleuten Fracht ein- und auszuladen; bekam aber schon am ersten Abend solche entsetzliche Blutblasen in die, ähnliche Behandlung nicht gewohnten Hände, und wurde außerdem von meinen Mitarbeitern, denen ich nicht genug that, so schlecht behandelt, daß ich mehre Tage beide Hände in einer Binde und fest umwickelt tragen mußte. Geld hatt' ich auch nicht mehr – der Wirth wollte meinen leeren Koffer nicht länger als Bürgschaft für später zu leistende Zahlung annehmen, und da ich auch keinen Credit finden konnte in einem anderen Geschäftszweig irgend einen Handel zu beginnen, so warf ich mich mit meiner ganzen Energie auf die Schwefelhölzer, Herr von Hopfgarten, und verkaufe doch jetzt täglich davon so viel wenigstens, meine Kost hier auf dem Markt, die sich viel billiger wie im Boardingshaus herausstellt, zu zahlen, und zu gleicher Zeit ein kleines Capital dabei anzusetzen, wieder zu einiger Maßen anständigen Kleidern zu kommen.«

Hopfgarten wollte etwas sagen – er hätte dem Manne so unendlich gern eine kleine Unterstützung angeboten, aber er wagte es nicht – er fürchtete ihm damit weh zu thun, und hätte das um Alles in der Welt nicht mögen. Mehlmeier indessen fuhr, still vor sich nieder sehend und die Spitzen seiner Schuhe betrachtend fort.

»Das Geschäft ist wirklich nicht so übel und nährt seinen Mann – oder auch seine Frau« – setzte er mit einem Blick nach einem andern Pfeiler hinzu, »denn da drüben steht auch eine, etwas hochgelbe Concurrentin von mir, die wirklich nichtsnutzige Waare verkauft und trotzdem mehr Käufer dafür findet wie ich – wenn nur das Stehen hier nicht wäre; es ist so öffentlich. Ich erinnere mich aus meiner Jugendzeit, wie ich noch in die Schule ging, einmal einen Spitzbuben gesehen zu haben, der ein paar Stunden mit einer Tafel um den Hals, gerade etwa wie ich diesen Kasten trage, am Pranger stand, und von uns nachher verhöhnt und mit faulen Äpfeln geworfen wurde. Ich muß gestehn, ich habe anfänglich mit einer Art von Mistrauen gegen die Schuljugend diesen Stand hier eingenommen, kann aber nur Rühmliches von den Knaben die hier vorbei passiren, melden – sie nehmen nicht die geringste Notiz von mir, ja ich weiß sogar einzelne Fälle wo sie mir Schwefelhölzer abgekauft haben.«

»Lieber Herr Mehlmeier,« sagte da Hopfgarten, dessen Gedanken wieder zu dem übersprangen, was ihm am meisten am Herzen lag. »Sie sind doch schon ein tüchtiges Stück in der Stadt umher gekommen, können Sie mir vielleicht zufällig sagen, wo ich Frau Henkel – Sie erinnern sich gewiß der jungen liebenswürdigen Dame, die mit uns die Überfahrt hierher machte – finden könnte. Dem Herrn hier liegt sehr viel daran sie zu sehen, er hat ihr Sachen von Wichtigkeit mitzutheilen, und wir wissen ihre Adresse nicht.«

»Ja, das thut mir unendlich leid, meine verehrten Herrn Ihnen damit nicht dienen zu können,« sagte Mehlmeier, fortwährend dabei aber eine Miene annehmend, als ob er eben im Begriff wäre ihnen die vollständigste Auskunft zu geben, »in der ersten Zeit meines hiesigen Aufenthalts schwamm man in einem solchen Meer von neuen Dingen und Erlebnissen, daß man gar nicht zu Athem kam an irgend etwas Anderes zu denken – und seit ich mich in meinem jetzigen Zustand befinde,« setzte er wieder mit einem scheuen Blick auf seine Kleidung hinzu, »wäre ich doch der Dame, wenn ich sie hätte von weitem kommen sehen, jedenfalls eher aus dem Weg gegangen, als ihr hineinzutreten. Ich will gerade nicht sagen, daß ich mich meiner Beschäftigung schäme; es ist das eben ein sehr großer Vortheil dieses Landes, daß Jeder sich sein Brod verdienen darf wie er mag, und sich dessen nicht zu schämen braucht – aber Sie wissen wohl Herr von Hopfgarten – wir haben vielleicht Alle noch einige alte Vorurtheile von Deutschland mit herübergebracht, und bis die abgeschüttelt oder vergessen sind – «

 

»Hm, hm, hm,« sagte Hopfgarten nachdenklich, ohne die letzte Bemerkung auch nur zu hören, »das ist doch eine recht fatale Sache – und von dem jungen Mädchen die bei ihr war, werden Sie da auch Nichts gehört haben.«

»Von der kleinen Hedwig? – die dient hier in einem deutschen Kosthaus,« sagte Herr Mehlmeier ruhig.

»Wo? – hier in der Stadt? – in welcher Straße?« riefen die beiden Männer wie aus einem Mund zugleich, Arm und Schulter des, ruhig und erstaunt vor Ihnen stehen bleibenden Mannes ergreifend, als ob sie ihm die nächsten Worte noch ungesprochen von den Lippen nehmen wollten.

»Herr Jesus, haben Sie mich erschreckt,« sagte Herr Mehlmeier den Bindfaden seines Hutes, der ihn unter dem Kinn schneiden mochte, etwas lockerer ziehend.

»In welchem Kosthaus, bester Herr Mehlmeier,« bat ihn aber Hopfgarten, keine weitere Zeit zu versäumen.

»Im deutschen Vaterland in Fayetteville, in der – wie heißt doch gleich die Straße, – «

»Ich kenne den Platz!« rief aber Hopfgarten rasch aus, »ich habe das Schild schon gesehn – wir setzen uns in den ersten besten Omnibus der nach Fayetteville fährt, jeder Kutscher wird das Haus kennen – das deutsche Vaterland. Lieber Mehlmeier, Sie sind ein Goldmann!«

»Bitte, bitte Herr von Hopfgarten.«

»Herr Mehlmeier,« sagte aber auch Herr Dollinger jetzt, zu ihm hinantretend und seine Hand ergreifend – »Sie haben mir einen sehr großen Dienst erwiesen; mir – mir lag sehr viel daran ohne großen Zeitverlust die Adresse der – der Madame Henkel, oder des jungen Mädchens zu erfahren – ich danke Ihnen herzlich dafür« – und rasch Hopfgartens Arm ergreifend, der noch einmal nach Mehlmeier zurücknickte, gingen die beiden Herren mit schnellen Schritten über den freien Platz fort in die nächste, mit dem Wasser gleich laufende Straße hinein, wo sie einen der vielen, in der Stadt fortwährend auf- und abfahrenden Omnibusse halten sahen.

In einer eignen, ganz sonderbar aufgeregten Stimmung mit hochgerötheten Wangen, die Hand, die ihm Herr Dollinger gedrückt noch fest, fast krampfhaft zusammengepreßt, ließen sie aber Herrn Mehlmeier zurück. Dieser hatte nämlich in dem Druck ein Geldstück gefühlt und betroffen, fast erschreckt davon, der edlen würdigen Gestalt des alten Herrn gegenüber sich gar nicht gleich zu besinnen gewußt ob er die Gabe annehmen, oder mit Entrüstung von sich weisen sollte. In demselben Augenblick fast waren aber auch die beiden Männer in der belebten Straße, zwischen dem Gedräng von hundert Anderen verschwunden, und Herr Mehlmeier starrte jetzt halb wie in einem Traum auf ein blitzendes Goldstück nieder, das ihm, als er scheu den Blick hinunter senkte, von dort entgegenfunkelte. Schon hob er den Fuß und wollte den Männern nach – konnte – durfte er das Geld behalten? – er zögerte, und die Brust hob sich ihm als ob er ersticken wollte – noch hielt der Omnibus – wenn er jetzt noch hinüberlief – jetzt bewegte er sich – jetzt rasselte er die Straße hinunter, und war gleich darauf hinter der ersten Ecke verschwunden.

Noch immer stand Mehlmeier regungslos auf seiner Stelle, das Geld in seiner Hand hin- und herschiebend, als ob es ihn brenne; endlich hob er die Hand langsam empor, steckte es in seine Westentasche und ein paar große helle Thränen liefen ihm dabei die bleichen Wangen hinunter.

Vor der Thüre des »deutschen Vaterlands« von dem Barkeeper desselben, dem heute höchst mürrischen Jimmy auf das aufmerksamste beobachtet, stand ein mit zwei ungeduldig stampfenden feurigen Pferden bespannter Kutschwagen, und ging mit raschen, aber nicht ungeduldigen Schritten, den Kopf gesenkt und die Arme auf dem Rücken gekreuzt, Herr von Hopfgarten auf und ab. In dem kleinen ärmlichen Hinterstübchen desselben Hauses aber saß der alte Herr Dollinger, hielt sein bleiches abgehärmtes, aber doch noch so engelschönes Kind fest umschlungen, küßte ihm die Thränen von den Wimpern und goß leise lindernde Worte des Trostes und der Beruhigung in das arme mishandelte Herz.

Aber hier durften sie nicht bleiben. Clara hatte ihm Alles erzählt – Alles, bis auf die kleinsten Einzelheiten hinab was geschehen, seit sie das väterliche Haus verlassen, bis zu dem jetzigen Augenblick; ihre erste Krankheit in New-Orleans, Hedwigs treue Pflege und Aufopferung, für sie zu arbeiten bis sie selber sich soweit erholt, wenigstens mit der Nadel ihren Unterhalt verdienen zu können.

Hedwig kniete dabei, ihr Antlitz in Claras Kleid bergend, an ihrer Seite, und der alte Herr Dollinger hob das junge liebe Mädchen zu sich auf, küßte sie mit thränenden Augen auf die Stirn und Augen und versprach ihr das nie – nie zu vergessen sein Lebelang, und ihr ein Vater zu sein von jetzt an in jeder Art um ihres – um des armen Bruders Willen.

Jetzt aber drängte die Zeit – Hedwig hatte schon vorher Claras sämmtliche Sachen, die ihr noch geblieben waren und den einen Koffer eben füllten, zusammengepackt, und rief jetzt einen der im Haus wohnenden Leute herbei, denselben vor die Hausthür zu tragen und auf die dort wartende Kutsche zu stellen. Sie selber konnte jetzt natürlich das Haus, dessen wirthschaftliche Leitung sie übernommen, nicht verlassen, versprach aber jedenfalls heute Abend in das St. Charles-Hotel, wo Herr Dollinger abgestiegen, zu kommen und das Weitere ihrer Abreise mit ihnen zu bereden.

»Lieber Gott, ein alter Bekannter von Dir, Herr von Hopfgarten wird recht ungeduldig geworden sein,« sagte jetzt Herr Dollinger, nach seiner Uhr sehend – »er wartet unten im Haus, schon so lange fast als ich hier bin.«

»Herr von Hopfgarten?« rief Clara überrascht – »weiß er denn aber was geschehen?«

»Jetzt Alles,« sagte Herr Dollinger, »und seinen Händen werde ich wahrscheinlich das Ordnen meiner Geschäfte hier in Amerika, wie die Verfolgung des Betrügers, der unschädlich gemacht werden muß, anvertrauen. Er hat sich freundlich dazu mir angeboten, und scheint ein braver, tüchtiger Mann zu sein.«

»Er ist ein Ehrenmann,« sagte Clara, während ihr Vater ihren Arm in den seinen legte, und sie hinab zum Wagen führte. Hedwig begleitete sie bis dorthin, wo Hopfgarten stand sie zu empfangen.

Clara streckte ihm mit einem recht freundlichen, und doch recht wehmüthigen Lächeln die Hand entgegen, die er nahm und küßte.

»Meine liebe – liebe gnädige Frau,« sagte der kleine Mann, als er das bleiche Antlitz des jungen Weibes sah, mit vor innerer Rührung fast erstickter Stimme.

»Mein guter Herr von Hopfgarten – wie freue ich mich Sie wiederzusehn.«

»Kommt Kinder, kommt,« drängte aber der alte Herr – »Freund Hopfgarten wird uns jetzt begleiten, wir haben noch sehr viel mit einander zu besprechen – und Hedwig kommt heut Abend – nicht zu spät nicht wahr?«

Clara hatte Hedwig umfaßt und preßte einen heißen Kuß auf ihre Lippen, wobei der Barkeeper hinter der Glasthür des Schenkzimmers, gegen dessen Scheiben er seine Nase breit und weiß quetschte, aus Leibeskräften mit den Fingern knackte – und wenige Minuten später rollte der Wagen, von den flüchtigen Pferden gezogen, rasch die Straße hinab.

Drei Tage später ging ein französisches Packetboot nach Havre ab, auf dem Herr Dollinger Passage für sich und seine Tochter genommen; Hedwig aber hatte es, trotz allen Bitten Claras, trotz den dringenden Vorstellungen des alten Herrn selber, freundlich und mit innigem Danke, aber fest und entschieden abgelehnt, sie zu begleiten.

Sie fürchtete sich, wie sie sagte, jetzt wenigstens schon nach Deutschland, das nur schwere, schmerzliche Erinnerungen für sie trug – mehr noch in dasselbe Haus zurückzukehren, in dem ihr Bruder gelebt und gearbeitet. Waren Jahre darüber vergangen, war Gras gewachsen über dem Geschehenen und die noch immer blutende Wunde erst vernarbt, dann trug es sich leichter – dann wollte sie hinüberkommen. Hier auch hatte sie jetzt eine Stellung, einen Wirkungskreis gefunden, in dem sie fast selbstständig, gern und freudig arbeitete und schaffte. Sie hatte keine Freunde hier, den Werth solcher aber auch in ihrem ganzen Leben noch nicht gekannt. Allein und freundlos in die Welt hinausgestoßen, war sie ihren stillen ernsten Gang von frühster Jugend an gewandelt, und sehnte sich jetzt danach etwas zu leisten, etwas selbst zu werden, und durch sich selbst, wie sie's von je gewohnt gewesen.

Wohl schlummerte in ihrer tiefsten Brust ein anderes Gefühl, von dem sie vielleicht selber sich noch keine Rechenschaft zu geben wußte. Nicht allein die Furcht in das Haus zurückzukehren in dem ihr Bruder so ungerecht gelitten, nicht allein der Trieb selbstständig aufzutreten in der Welt, sich selber Raum zu schaffen mit der eignen Kraft, hielt sie hier fest. Es war ein eigenes Knospen und Keimen in der jungen Brust, dem kommenden Frühling entgegen, der mit der leisen, noch unbegriffenen Ahnung einer anderen Zeit, die ersten Sonnenstrahlen ihr in's Herz geworfen. Sie stand nicht mehr allein – an jenem Tage hatte eine andre Hand nach ihr sich ausgestreckt, ein anderer Mund liebe und freundliche Worte zu ihr gesprochen, und ihre Unterstützung angefleht ein gutes Werk zusammen auszuführen, wenngleich der Weg dazu noch wild und dornig lag. Und durfte sie jetzt das kaum gegebene Wort schon brechen? – den wackren Franz – und der andere arme Franz lag daheim in seinem kalten Grab – der so schon einen so harten Stand mit dem bösen Vater hatte, im Stich lassen, wo er sie am nöthigsten brauchte ihn zu unterstützen? – das ging nicht an; und Gott würde ihr Kraft geben das glücklich und zum Besten auszuführen, was sie unternommen – sie dachte nicht an mehr.

Capitel 5
Herr von Hopfgarten

Herr von Hopfgarten hatte nur die Abfahrt des Französischen Packetschiffes erwartet, seine Sachen dann wieder dem Wirth des St. Charles-Hotels übergeben, und sich auf einem Arkansas Steamer, die nöthigen Papiere und Instruktionen für die jetzt zu beginnende Verfolgung des Verbrechers in der Tasche, nach Little Rock eingeschifft.

Noch an demselben Tage, und eben im Begriff sich an Bord des Dampfers zu begeben, der um 5 Uhr Nachmittags seine Abfahrt angekündigt, traf er, an der Dampfbootlandung langsam nach Tisch ein wenig umherschlendernd, einen alten Bekannten und Reisegefährten, Herrn von Benkendroff, der ihn erst ganz erstaunt durch seine Lorgnette betrachtete, und dann ziemlich freundlich, ja fast herzlich begrüßte.

»Ah Hopfgarten, by George – wir haben uns ja in einem Menschenalter nicht gesehn – wie geht es, alter Freund und Leidensgefährte? – Aber dünner sind Sie geworden, Hopfgarten, bedeutend dünner in dem halben Jahr, Sie bekommen ordentlich Taille – was machen Sie? – womit vertreiben Sie sich die Zeit in diesem abominabelen Lande?«

»Ih nun, lieber Benkendroff,« sagte Hopfgarten nach der ersten Begrüßung, bei der er ihm warm und kräftig die Hand schüttelte – »ich kann eben nicht über Langeweile klagen; seit ich hier bin, habe ich zu thun genug gehabt, und Manches auch wohl gesehn – vielleicht erlebt.«

»Heh? – Abenteuer?« rief Benkendroff, sich der früheren Äußerungen seines Reisegefährten erinnernd, lächelnd aus, »Abenteuer erlebt? Sie werden ja ganz roth. Übrigens muß Ihnen das Leben hier wirklich zusagen; Wetter noch einmal! Sie haben ordentlich Kräfte bekommen – sehn Sie einmal,« sagte er, sich seinen linken weißen Handschuh abziehend und die zarte fast mädchenhafte Hand seinem derberen Freund entgegenhaltend – »sehn Sie einmal, wie Sie mir hier die Finger gedrückt – den rothen Fleck hier vom Ring werde ich vor morgen nicht wieder los.«

»Abenteuer gerade nicht,« lachte Hopfgarten, der unwillkürlich an die Nacht in der Hütte des alten Juden zurückdachte, »und doch Manches was dem gleich kommen könnte. Es ist merkwürdig, wie ruhig und gleichmäßig das Leben hier fortgeht, und wenn auch manches Interessante wohl passirt, gehört doch ungemein viel Glück dazu, gerad' dabei zu sein. Ich bin noch meist darum hingekommen, und wenn's mich einmal traf, hab' ichs immer erst zu spät selber erfahren.«

»Bei mir hätten Sie sein sollen, cher ami,« sagte Herr Benkendroff, mit bedeutsamem Kopfnicken seinen Handschuh wieder anziehend, daß er die Haut nicht zufällig den Sonnenstrahlen aussetze – »bei mir hätten Sie sein sollen,« wiederholte er, »Erlebnisse zu sammeln. Auf meine Ehre, ich habe Sachen mit durchgemacht, die man mir, wenn ich nach Deutschland zurückkomme und meine gesammelten Erfahrungen und Beobachtungen herausgebe, nicht einmal glauben wird.«

 

»Alle Wetter! da haben Sie mehr Glück gehabt wie ich,« rief Hopfgarten; »das ist aber die alte Geschichte – den Seinen giebts der Herr im Schlafe – in welchem Theil der Staaten waren Sie die Zeit?«

»In welchem Theil der Staaten? – in New-Orleans – wo sollt ich anders gewesen sein.«

»Sämmtliche sechs Monate? – sind nicht fortgekommen von hier?«

»Und mehr noch als das, gehe mit dem nächsten Englischen Packetschiff zurück nach Liverpool und von da nach Deutschland. Wo sollt' ich auch hin? – guter Gott, ich hatte gerade genug an der Stadt hier, und gebe Ihnen mein Wort, daß ich das Leben und Treiben dieser sogenannten Republik hier so durch und durch kennen gelernt habe, als hätte ich seit meiner Kindheit darin gewohnt. Sie werden staunen, wenn Sie einmal später meine Beobachtungen lesen, von denen ich manchmal selber nicht begreife, wie ich das Alles schon im Voraus so – gewußt, kann ich eigentlich nicht gut sagen, geahnet habe, und welches richtige Urtheil ich mir schon lange vorher über dieses so unendlich freie Land gebildet.«

»Aber was für Abenteuer haben Sie erlebt, bester Baron?« drängte Hopfgarten, der eben nicht viel Zeit hatte, und doch neugierig war, darüber etwas von seinem frühern Reisegefährten zu hören. Diesem vor allen Anderen hätte er gerade am Wenigsten das Erleben von etwas Außerordentlichem zugetraut.

»Man könnte einen Quartband damit anfüllen, auf Ehre!« sagte der Baron – »denken Sie sich, cher ami, daß ich gleich die erste Nacht in einem ungemachten Bett schlafen mußte.«

»Bah!« sagte Hopfgarten.

»Ja das war nur das Beginnen, bester Freund – drei Tage später zog ich, auf den Rath unseres Consuls, in ein Privatlogis, und zwar in eine Familie – eine sehr anständige, zwar bürgerliche, aber sehr anständige Familie, und fand – was meinen Sie, gleich am dritten Abend in meinem Bett?«

»Eine Schlange?« rief Hopfgarten rasch.

»Nun – nicht ganz – das fehlte auch noch – eine Wanze.«

»Hahahahaha!« brach aber jetzt der kleine Mann, der sich nicht länger halten konnte, in ein schallendes Gelächter aus – »hahahahaha! das ist göttlich; das ist himmlisch.«

»Nun lieber Hopfgarten!« sagte von Benkendroff, selbst ein wenig pikirt über diese unzeitige, wie ungerechtfertigte Fröhlichkeit – »wenn Sie eine solche Aversion vor Wanzen hätten wie ich, würden Sie nicht darüber lachen. Aber das ist noch lange nicht Alles – mir wurde sogar die Zumuthung gestellt – ich bürge Ihnen mit meiner Ehre für das was ich jetzt sage – meine Stiefeln selbst zu wichsen und meine Kleider auszuklopfen – was sagen Sie dazu? Man verlangte es nicht gerade mit dürren Worten von mir, aber es kam Niemand der es that, und ich mußte effectiv bei der furchtbaren Hitze im Bett liegen bleiben, bis etwa zwei Uhr Mittags ein Neger, mit einer abominabelen Ausdünstung herbeigeschafft werden konnte, den ich von da an für meine häuslichen Bedürfnisse engagirte und quasi als Bedienten annahm.«

»Sie haben schreckliche Sachen erlebt, Benkendroff,« lächelte Hopfgarten – »aber Sie befanden sich wohl dabei, nicht wahr?«

»Wohl?« sagte Benkendroff achselzuckend, »was man eben wohl nennen kann – ich vegetirte. – Ich habe zugleich lernen müssen eine höchst widerwärtige schleimige Suppe zu essen, die mit rothem Pfeffer fast ungenießbar gemacht, Gumbo heißt und von den Creolen hier als das Delicateste betrachtet wird, was unter der Sonne existirt. Morgens arbeite ich dann gewöhnlich an meinen Skizzen, an denen ich sehr fleißig gewesen bin, und die nördlichen Staaten bis Kentucky herunter schon beendet habe; nach Tisch folgt, wie heute, ein kleiner Spatziergang, und Abends spielen wir regelmäßig unser Whist bei Mr. Bloomfield, dem Schwiegersohn der alten Frau von Kaulitz, mit dieser und ihrer Tochter, der Mrs. Bloomfield – einer reizenden kleinen Frau – wozu wir Claret mit Eis trinken.«

»Und seit Sie hier in Amerika sind, thun Sie das?« rief Hopfgarten wirklich erstaunt aus.

»Seit ich hier bin,« bestätigte der Baron.

»Und kehren jetzt nach Deutschland zurück?«

»Wenn ich nicht bis dahin diesem entsetzlichen Klima erliege, in etwa drei Wochen, bis zu welcher Zeit Frau von Kaulitz ebenfalls ihre Rückreise aufgeschoben hat; wir werden dann in ein und demselben Schiff nach Europa überfahren. Und Sie, Hopfgarten – haben Sie das Herumstreifen hier noch nicht satt? – Sie sind wirklich ein merkwürdiger Mensch, und ich wenigstens habe Sie noch nie anders, als mit dem Reisesack in der Hand gesehn. Lieber Freund, wie um Gottes Willen können Sie ein Land kennen lernen, wenn Sie fortwährend wie ein Irrwisch darin umherfahren, und sich nie Zeit nehmen, es von einem festen Punkt aus zu beobachten.«

»Ihr Vergleich mit dem Irrwisch ist vortrefflich, Benkendroff,« lachte der kleine Mann, »ich komme mir manchmal selber so vor, noch dazu auf meiner jetzigen Fahrt, von der ich nicht einmal eine Ahnung habe, wohin sie mich führt. Aber ich muß fort – dort unten läuten ein paar Dampfboote, und ich weiß nicht, ob das meine mit dabei ist, das ich nicht gern versäumen möchte.«

»Apropos,« – rief ihm Benkendroff nach, als er nach kurzem Abschied und beiderseitigem Wunsch einer glücklichen Reise der Landung zueilen wollte – »haben Sie denn hier gar Nichts von Henkel und seiner kleinen niedlichen Frau gehört? – Bloomfield, der Henkel aber unter einem anderen Namen kennen will, quält mich fortwährend, mich darum zu bekümmern, ich habe aber wirklich noch keine Zeit dazu finden können, und Niemand kann mir hier ihre Adresse sagen – gar Nichts gehört?«

»Kein Wort,« rief Hopfgarten zurück – »ich glaube sie sind schon wieder nach Frankreich hinüber.«

»Sehr leicht möglich; also – à revoir lieber Hopfgarten.«

Er winkte ihm noch freundlich und sehr graciös mit seinem weißen gestickten Taschentuch nach, und drehte sich dann langsam um, seinen unterbrochenen Spatziergang fortzusetzen.

Hopfgarten ging indeß, unterwegs noch manchmal den Kopf schüttelnd über des ebengefundenen Freundes wunderliche Weltanschauung, an Bord des Dampfers, und mit diesem noch an dem nämlichen Abend stromauf nach Little Rock.

Nach ziemlich kurzer und glücklicher Fahrt erreichten sie die Stadt, und Hopfgarten, der den noch halbwilden Staat Arkansas mit einem eigenen Behagen betrat, suchte dort augenblicklich den Staatsanwalt auf, mit diesem Rücksprache zu nehmen, und von ihm zu erfahren, ob er selber vielleicht den Burschen Soldegg kenne. Was er dort übrigens hörte, konnte ihn gerade nicht sehr über den Erfolg seiner Sendung ermuthigen.

Der Staatsanwalt kannte jenen Soldegg allerdings recht gut, und zwar als einen sehr verdächtigen Spieler und sonst auch gefährlichen und gewissenlosen Charakter, dem aber, trotz aller dann und wann gegen ihn aufgetauchten Anklagen, noch nie etwas hatte bewiesen werden können, obgleich er auch jetzt wieder in eine höchst fatale Geschichte im Innern des Landes verwickelt gewesen sei.

Von Hopfgarten, der schon die früheren Vorgänge dort aus Fräulein von Seebalds eigenem Munde kannte, erkundigte sich hier nach dem weiteren Verlauf, und erfuhr, daß Olnitzkis Frau, nachdem die dortigen Squatter sich geweigert hatten, dem anerkannten Spieler und überhaupt übel berüchtigten Menschen des Erschossenen Eigenthum auszuliefern, Vieh, Feld und Haus, mit Allem was das Letztere enthielt, der noch unmündigen Schwester wie der kranken Großmutter des von Olnitzki früher erschossenen Riley als Eigenthum hinterlassen habe. Die Nachbarn sollten dabei fest entschlossen sein, diese im Besitz zu halten und der Staat würde wahrscheinlich noch in einen unangenehmen Conflikt mit ihnen kommen, da Soldegg selber seine vollständig gültigen Wechsel und »notes« klugerweise und um weiter Nichts mehr mit der Sache zu thun zu haben, an einen hiesigen Advokaten um einen Theil des Werthes verkauft und – soviel er wüßte, nach Memphis in Tennessee gegangen sei. Dort sollte er auch, wie das Gerücht hier ging, heimisch und verheirathet sein, mehr aber konnte er ihm selber nicht sagen und ihm nur versprechen, falls er sich wirklich wieder hier sehen lassen würde, auf seines Freundes Brief von New-Orleans, und eigene Verantwortung den Verbrecher verhaften und dorthin abliefern zu lassen.