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Nach Amerika! Ein Volksbuch. Sechster Band

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Märgi loetuks
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Nach den ersten Begrüßungen aber lag Hopfgarten viel zu sehr daran zu erfahren was er von Ledermann hinsichtlich seiner Nachspürungen nach jenem Soldegg hören sollte. Eltrich wußte überdieß von der Sache, über die Ledermann schon oft mit ihm gesprochen, und Hopfgarten erfuhr jetzt daß von Soldegg selber allerdings nicht das Mindeste wieder gesehen wäre, seit Herr von Hopfgarten die letzten Nachrichten von ihm mit aus Milwaukie gebracht, daß aber ein Compagnon von ihm, jener Goodly, unter einem falschen Namen in New-Orleans ertappt sei, und einen Schlupfwinkel gestohlener Güter verrathen habe, in dem man auch einen nicht unbeträchtlichen Theil von Herrn Dollingers Waaren gefunden hätte. Nach allen verschiedenen Staaten, selbst nach Canada hinauf, war indeß geschrieben worden, des Burschen habhaft zu werden, doch umsonst; entweder war er untergegangen, oder lebte irgendwo, unter einem falschen Namen, von seinem Raube, wo es freilich dem Zufall überlassen bleiben mußte, ihn einmal auszuspüren und zu Tag zu bringen.

Herr Fortmann, der übrigens Eltrich gegenüber sein Incognito nicht beibehalten konnte, da Beide schon in Heilingen befreundet, wenigstens bekannt gewesen waren, wünschte, wie sich wohl denken läßt, ebenfalls etwas Neues von dort zu hören, das ihm Hopfgarten denn auch nicht vorenthielt. Während Frau Eltrich nun dem Gast, der endlich eingestehn mußte, daß er in aller Eile heute auf Amerikanischem Boden noch nicht einmal zu Mittag gegessen, ein kleines Mahl mit Claret und Eis herrichtete und ihn selber dabei, trotz allen Einwendungen, bediente, mußte er erzählen, wie er es in Heilingen gefunden, wie es dort aussah, was die Leute dort trieben und – wie es vor allen Andern der Frau Aktuar Ledermann ging, für die sich Frau Eltrich ganz speciell interessirte.

»Hm, ja,« sagte Hopfgarten lächelnd, und emsig dabei beschäftigt ein kaltes gebratenes Huhn zu zertheilen, »gut – sehr gut – hat ihre Trauer – dieß Huhn ist wirklich delikat – hat ihre Trauer abgelegt und wohnt jetzt bei ihrem Bruder.«

»Existirt der Lump auch noch?« frug Ledermann.

»Wollte wieder ein Geschäft eröffnen,« fuhr Hopfgarten langsam fort, »scheint aber doch nicht, nach den beiden vorher erfolgten Fällen, das nöthige Vertrauen gefunden zu haben, und hat sich, auf dringendes Anrathen des Herrn J. G. Weigel entschlossen, mit seiner Schwester – «

»Den Teufel auch!« rief Ledermann von seinem Stuhl aufspringend, und in jäher Angst den Schluß des Satzes errathend.

»Mit seiner Schwester,« fuhr Hopfgarten ruhig fort, »nach Amerika auszuwandern.«

»Was für ein rührendes Wiederfinden das werden würde, Herr Ledermann,« lachte diesen Frau Eltrich schelmisch an.

»Man soll den Teufel nicht an die Wand malen,« rief aber der Aktuar wirklich bestürzt – »tollere Sachen sind schon vorgefallen, und mir bliebe nachher Nichts übrig, als mir eine Kugel vor den Kopf zu schießen. – Aber – nicht wahr, lieber Herr von Hopfgarten, Sie machen nur Spaß? das ist Ihr Ernst nicht. – Meine Frau, ich meine die verwittwete Frau Aktuar Ledermann, denkt nicht daran nach Amerika zu kommen?«

»Ich gebe Ihnen meinen Ehrenwort, daß die Sache schon so gut wie abgemacht war; das Ziel aber, soviel wie ich davon erfahren konnte, lag nach den nördlichen Staaten, New-York oder Baltimore, wo Sie denn hier allerdings nicht viel zu befürchten hätten; ich habe mich, wie Sie sehen, genau nach Allem erkundigt.«

»Der Henker traue,« rief Ledermann, unruhig im Zimmer auf- und abgehend, »wenn die Frau erst einmal nicht mehr durch das ganze Weltmeer von mir getrennt ist, findet sie mich auch wieder heraus, und wenn sie nur erst einmal eine Ahnung davon bekömmt, daß ich noch lebe, bin ich verloren.«

Eltrich und Hopfgarten lachten über die Angst des armen Teufels, der eine, vielleicht noch jahrelang entfernte Gefahr schon jetzt heraufbeschwor, sich selber zu quälen; Ledermann konnte aber den Gedanken nicht los werden, und Hopfgarten ihn endlich nur dadurch beruhigen, daß er ihm versicherte, der Schiffsakkord für seine Frau wäre erst für das nächste Jahr abgeschlossen, bis wohin noch mancher Tropfen Wasser den Berg hinunter fließe. Übrigens schien kein Mensch in ganz Heilingen, seiner Betheuerung nach, eine Ahnung zu haben, daß der Aktuar nicht ertrunken, sondern nach Amerika geflüchtet sei. Der Körper war allerdings, trotz hartnäckigem Suchen, nicht gefunden worden, aber das Spielen vorher, und die kalte, ruhige, sehr gut geheuchelte Verzweiflung nachher, schienen bei den in solcher Art auch eben nicht mistrauischen Heilingern keinen Zweifel mehr übrig gelassen zu haben. Dr. Hayde besonders hatte die Gelegenheit gleich wahrgenommen, einen langen, allerdings etwas schlecht stylisirten Artikel im Tageblatt zu schreiben, worin er nachwieß, daß der Selbstmord nur eigentlich, trotz einzelner Ausnahme-Fällen, ein durchaus bürgerliches Laster sei, (und später dafür von seiner Regierung den gelben Sperlings-Orden fünfter Klasse erhielt;) die Sache war dadurch, wenn auch eben nicht bewiesen, doch außer allen Zweifel gesetzt. Es dachte sich in der That Niemand die Möglichkeit eines anderen Falles, und Therese Ledermann selber, wenn ihr ja einmal ein solcher Gedanke dunkel und unbestimmt vor der Seele aufgestiegen sein sollte, verwarf ihn eben so rasch wieder. Wo hätte Ledermann den Muth herbekommen, sich ihrem Regiment auf eine solche Weise zu entziehn.

Herrn Hopfgarten lag aber auch jetzt daran zu erfahren, wie Eltrich, von dem er doch durch Maulbeere gehört, daß er an einem Boote als Handlanger arbeite, sich so rasch und glänzend heraufgeschwungen habe, und dieser, seine kleine Frau dabei rasch zu sich nieder auf seinen Stuhl ziehend, gab ihm gern Bescheid.

Vor allen Dingen erzählt er ihm seine erste Landung, wie sie, durch das viele Neue verwirrt, den Karren aus den Augen gelassen hätten, auf dem, von einen Neger gezogen, ihre sämmtlichen Sachen, selbst sein Instrument, gelegen. Der diebische Schwarze war damit durchgegangen, und nie wieder, trotz allen Nachforschungen, aufzufinden gewesen. In der ungeheueren Stadt, wo noch dazu weder über Kommende noch Gehende auch nur die geringste ernstliche Controlle geführt wird, hätte nur der Zufall sie auf die Spur des Diebes bringen können.

Dort begann eine schwere Zeit, besonders für seine arme Frau, die, von allem entblößt, mit dem Kinde der dringenden Noth entgegen ging. Noth aber lehrt nicht allein beten, sondern mehr noch arbeiten, und fest entschlossen, sich durch Nichts beugen zu lassen, sondern dem Schicksal fest und trotzig die Stirn zu bieten, lief Eltrich, mit ganz andern Hoffnungen nach Amerika gekommen, und als andere Schritte fehl schlugen, in der Stadt herum Arbeit zu suchen; Arbeit wie sie vorkam, hart oder leicht, nur Brod zu verdienen, für sich und die Seinen. Nach einiger Anstrengung gelang ihm das auch – er wurde zuerst auf einem Flatboot zum Ausladen der Fracht engagirt, mit einem Dollar den Tag; wie das beendet war, fand sich Arbeit auf einem anderen, und ihre Existenz war wenigstens gesichert.

Aber er brauchte mehr als das – er mußte Geld verdienen, wieder eine Violine, und zwar ein tüchtiges Instrument zu kaufen; er mußte Geld verdienen, sich wieder anständige Tuch-Kleider anzuschaffen, in denen er Besuche machen konnte, und seine Finger, die ihm später in seiner Kunst sein Brod verdienen sollten, ruinirte er indessen mit Fässer rollen und dem scharfen Tau der Winde. Unermüdlich aber, unverdrossen, schaffte und arbeitete er dabei im gießenden Regen, wie in der brennenden Sonne, und sparte jeden Cent, den sie nicht nothwendig zum Leben brauchten, während sich die Frau ebenfalls Mühe gab Geld zu verdienen, und es endlich möglich machte, erst von der Frau des Hausbesitzers, und dann durch diese empfohlen, auch von einigen Nachbarn feine Wäsche zum Waschen und Plätten zu bekommen.

»Es war dabei eine recht traurige und entmuthigende Zeit für mich,« erzählte Eltrich, »denn während ich meinem nächsten Ziel, mir wieder ein Instrument und uns beiden anständige Kleider zu kaufen, wohl entgegenrückte, sah ich doch um mich her eine Menge Leute meiner Kunst, die mit ziemlichem Talent und guten Empfehlungsbriefen ausgerüstet, ankamen, eine Weile sich schwimmend über Wasser hielten, und dann spurlos verschwanden. Ich wußte dabei nicht, ob sie untergegangen, oder nur von der Strömung mit fortgerissen waren, und mußte mir zu meiner Beschämung gestehn, daß ich wahrscheinlich jetzt mit meiner Hände Arbeit, als gewöhnlicher Tagelöhner, mehr verdiente, wie es mir möglich sein würde mit meiner Kunst zu erschwingen; nichts destoweniger ließ ich den Muth nicht sinken. Dabei hatten wir Glück; meine Frau gab unserer Wirthin, die sich überhaupt sehr freundlich gegen uns bewieß, Clavierunterricht, da sie dorthin unseren Knaben mitnehmen konnte. Unser Schicksal war dabei durch unsere Wirthsleute bekannt geworden, und ich wurde von dem Eigenthümer unserer Wohnung eines Abends, wo ich gerade von der Arbeit zu Hause kam, aufgefordert, in einer Gesellschaft, die er gab, zu spielen. Ein Instrument sollte ich dort vorfinden, und leichte, anständige Sommerkleider besaß ich schon, Dank unseren Ersparnissen; aber meine Finger waren steif geworden, und nicht ein einziges Mal hatte ich die ganze Zeit geübt. Die Sache ging mir, wie Sie wohl denken können, im Kopf herum – trotzdem nahm ich, mit einer mir selbst jetzt noch unerklärlichen Keckheit, die Einladung an, und die Sehnsucht, wieder einmal einen Bogen in der Hand zu fühlen, mochte wohl größtentheils die Schuld dabei tragen. Dann aber war ich es auch meiner armen kleinen Frau schuldig, Alles zu thun, was in meinen Kräften stand, unsere Lage zu verbessern, und dadurch geschah vielleicht der erste Schritt.

»Die Gesellschaft versammelte sich ziemlich zahlreich, und ich spielte, zu Adelens Entsetzen, aber aus sehr natürlichen Gründen, spottschlecht. Nichts destoweniger waren die Leute freundlich genug gegen mich – sie wußten ja, daß ich den Tag über Porkfässer gerollt und Maissäcke geschleppt hatte; der Wirth aber überließ mir von da an die Violine zum Üben, bis ich mir selber eine kaufen konnte, und – veranstaltete heimlich, aber in meinem Namen, ein Concert. Ich spielte, und es ging nicht allein vortrefflich, sondern ich kam dadurch auch plötzlich und eigentlich ganz unerwartet in den Besitz eines Capitals von hundert und einigen achtzig Dollarn, mit denen ich allerdings jetzt ein neues Leben beginnen konnte. Am nächsten Tage mußte ich freilich noch einmal Fässer rollen – ich hatte dem Mann versprochen gehabt zu kommen und hielt auch Wort; aber es war das letzte Mal, und ich begann eine neue Existenz. Allerdings stand ich nicht mehr allein und freundlos da, denn die Amerikaner und Franzosen, mit denen wir bekannt geworden, und die doch wohl fanden, daß wir Beide nicht in die Masse der gewöhnlichen Einwanderer gehörten, nahmen sich unserer auf das Herzlichste an. Ich sowohl, wie meine Frau, bekamen eine Menge Stunden zu geben, und Madame Fleurette, unsere freundliche Wirthin, ließ es sich nicht nehmen, den Knaben indessen bei sich zu behalten. Wieder gab ich jetzt mit meiner Frau zusammen zwei Concerte, und während andere, weit größere Künstler als ich, kaum die Kosten solcher Abende herausgeschlagen, traf ich Zeit und Umstände so glücklich, daß ich das erste Mal einen Überschuß von zwei-, das zweite Mal von dreihundert Dollar hatte. Ich bekam einen Ruf in New-Orleans, und um kurz zu sein, zuletzt die Stelle am hiesigen Französischen Theater, mit einem recht anständigen Gehalt, habe dabei Stunden zu geben, so viel ich geben kann, und befinde mich jetzt mit meiner kleinen Familie wohl und zufrieden.«

 

Hopfgarten sprach seine innige Freude über das glückliche Gedeihen in Eltrichs Verhältnissen aus, und erzählte jetzt auch wie er die beiden früheren Freunde, Steinert und Mehlmeier, gefunden habe.

»Herr Steinert ist ein Lump,« sagte da Eltrich, »und Mehlmeier, trotz einigen Eigenheiten, die er an sich haben mag, ein Ehrenmann. Wie Mehlmeier im Unglück war, und Steinert noch Leute fand, die ihm borgten, hat er den armen Teufel nicht einmal mehr angesehn, und sich seiner Bekanntschaft geschämt; ihn jetzt aber, wo sich Mehlmeier herausgearbeitet hat, schon drei oder vier Mal angeborgt. Mehlmeier in seiner Gutmüthigkeit läßt sich auch beschwatzen, er wird aber doch endlich einmal klug werden, und aufhören sein Geld in diesen Schmutzbrunnen zu werfen.«

»Wie der Trunk hier in Amerika die Leute ruiniren kann,« sagte Ledermann, »davon habe ich in der kurzen Zeit meines Aufenthalts hier, schon mehre recht traurige Beispiele gesehn. So traf ich heute Morgen erst wieder einen alten Bekannten, und früher sehr wohlhabenden Mann aus oder bei Heilingen, den Wirth des rothen Drachens dort, den ich in brillanten Verhältnissen in Deutschland zurückließ.«

»Lobsich? – hier in New-Orleans? – was ist mit dem?« rief Hopfgarten.

»Kennen Sie ihn?«

»Von Milwaukie her – das ist ja derselbe Wirth, in dessen Hause ich verhaftet wurde; aber was treibt er jetzt? hat er sein Gasthaus aufgegeben?«

»Seine Frau, die das Ganze zusammengehalten zu haben scheint, ist ihm gestorben,« sagte Ledermann, »und der Mann hat dann wahrscheinlich durch den Trunk – denn er taumelte selbst hier, als ich ihn sah – sein Geschäft nach und nach ruinirt.«

»Hat er Sie gesehn?« frug Hopfgarten lächelnd.

»Brille und Bart haben mich sehr verändert,« erwiederte Ledermann etwas verlegen; »ich kann darin ziemlich sicher sein; dennoch fühle ich mich nicht wohl hier, und werde mich wahrscheinlich in nächster Zeit weiter in das Innere zurückziehn; es kommen doch fast zu viel Bekannte hierher.«

Ledermann mußte jetzt Herrn von Hopfgarten erzählen, was er von den hiesigen Verhältnissen seiner Bekannten wußte, und besonders interessirte ihn dabei Hedwig Loßenwerders glückliche Verbindung, die sie in eine angenehme und unabhängige Stellung gebracht hatte. Er trug auch Briefe für Hedwig von Clara, wie die Hinterlassenschaft ihres Bruders bei sich; ebenso die in den gelesensten deutschen Blättern veröffentlichte Erklärung der Gerichte selber, nach denen der damals angeschuldigte, und durch unglückliche Umstände zum Selbstmord getriebene Franz Loßenwerder von jeder Schuld an dem ihm zur Last gelegten Diebstahl freigesprochen, und sein Name von jedem auf ihm haftenden Makel gereinigt wurde. Herr Dollinger selber hatte dann noch eine eigene Erklärung erlassen, und überhaupt Alles gethan, was in seinen Kräften stand, wenigstens das Andenken des armen unglücklichen Menschen von jedem bösen Leumund zu befreien, und seinen ehrlichen Namen wieder herzustellen. Ein einfacher Stein auf seinem Grabe erzählte ebenfalls in kurzen schlichten Worten seine Leidensgeschichte, und was er unschuldig getragen – guter Gott, er war todt, und gedruckte, und in Stein gegrabene Worte konnten das Unrecht nicht ungeschehen machen, das ein armes, treues Menschenherz in Gram und Schmerz gebrochen.

Wie froh, aber auch wie schmerzlich mußte die arme Hedwig eine solche Nachricht bewegen, und Adele bat deshalb ihren Mann die junge Frau, die sie schon auf dem Schiffe lieb gewonnen, und mit der sie auch in New-Orleans öfter zusammengekommen, heute Abend mit dem jungen Hamann hierherzuholen, und ihr die Briefe hier zu übergeben. Eltrich verstand sich gern dazu, und er und Hopfgarten beschlossen augenblicklich hinüber nach Fayetteville zu fahren und die jungen Leute gleich mitzubringen. Ledermann hatte noch einige Geschäfte zu besorgen, versprach aber auch gegen Abend zurückzukommen und diesen in ihrer Gesellschaft zu verbringen.

Als Hopfgarten mit Eltrich wieder durch das Haus ging, öffnete ihnen das junge Quadroon-Mädchen die Thür.

»Wetter noch einmal, was ist das für ein liebes freundliches Gesicht,« sagte Hopfgarten, als sie draußen auf der Straße waren, und dem nächsten Omnibus zugingen, »doch mit Negerblut in den Adern.«

»Es ist das erste gute Werk, das ich in Amerika habe thun können,« lächelte Eltrich, »eine durch mich befreite Sclavin.«

»Was?« rief Hopfgarten, sich rasch und erstaunt nach ihm umdrehend, »das hab' ich ja gar nicht gewußt, daß Sie schon Zeit zu Entführungen gehabt – davon haben Sie mir ja kein Wort erzählt.«

»Die Sache hat auch keineswegs einen solchen poetischen Hintergrund – ich habe sie, mit Hülfe meines früheren Wirthes, der mir die Hälfte der Summe vorgestreckt, gekauft, und diese zweite Hälfte arbeitet sie nun selber ab, so daß sie, mit den Geschenken, die sie bekommt, denn alle meine Freunde nehmen Theil an ihr, schon wahrscheinlich in zwei Jahren, vielleicht noch früher, vollkommen frei und ihre eigene Herrin sein wird. Ich erzähle Ihnen die Geschichte ein ander Mal, denn hier ist unser Omnibus, der uns hinüber nach Fayetteville nehmen soll.«

Sie stiegen in den schon ziemlich gefüllten, auf Rädern gestellten unförmlichen Kasten, der dazu diente, Passagiere von einem Ende der Stadt zum andern zu befördern, und mußten eng zusammenrücken, da der Bursche hinten am Schlag hinein beförderte, was eben Passage bezahlte, gleichviel wie viel Platz der inwendige Raum bot.

Dicht vor ihnen, auf der gegenüber befindlichen Bank, daß ihre Kniee ineinanderpreßten, saß ein sehr anständig gekleideter Mann, der Hopfgarten ungemein bekannt vorkam. Auch dieser fixirte ihn und Eltrich in der schon einbrechenden Dämmerung ein paar Augenblicke, und dann dem letztern die Hand entgegenstreckend sagte er freundlich:

»Ich glaube, daß wir zum zweiten Male Reisegefährten sind – Herr Eltrich – Herr von Hopfgarten – nicht wahr?«

»Leupold, wahrhaftig!« rief Eltrich, rasch und freundlich die dargebotene Hand nehmend und schüttelnd, »wir haben uns nicht gesehn seit wir das Schiff verlassen; wie geht es Ihnen?«

»Körperlich recht gut,« sagte Leupold, doch ein recht wehmüthiger Zug um den Mund strafte ihn Lügen dabei, oder verbarg mehr als er sagen wollte.

»Sie sind hier in New-Orleans etablirt?« frug ihn Hopfgarten.

»Ja, Herr Baron, und ich muß gestehen, ich habe viel Glück gehabt – wie man hier so im gemeinen Leben sagt – in meiner Familie aber destomehr Leid.«

»Ist Ihre Mutter krank geworden?« frug Eltrich.

»Sie starb vorigen Herbst am gelben Fieber;« erwiederte Leupold, »auch ein Knabe, der vor zwei Jahren beide Eltern an der Seuche verloren, und den ich an Kindesstatt zu mir genommen hatte, nur irgend Jemand zu haben, den ich lieben konnte, der mich liebte. Sie sind Alle todt, und ich arbeite jetzt eigentlich für weiter Nichts, als eben zu essen und zu trinken.«

»Doch sonst geht es Ihnen gut?« frug Hopfgarten.

»Was pecuniäre Verhältnisse betrifft, allerdings. Wie das gelbe Fieber dießmal nahte, floh Alles, was nur fortkommen konnte. Ich selber hatte eine stille Hoffnung, daß mich Gott ebenfalls abrufen würde; ohne Zweck und Ziel sich so allein in der Welt herumzutreiben wird Einem doch zuletzt verleidet; ich wurde aber nicht einmal krank. Ich war bei, Gott weiß wie vielen Leichen, fertigte Särge so viel ich mit vier bei mir ausharrenden Gesellen fertigen konnte, und verdiente ungezähltes Geld in der Zeit – ich ginge auch gern zurück nach Deutschland, aber – ich habe den Muth nicht dazu – ich werde die nächste gelbe Fieberzeit noch abwarten, und sehen was da wird.«

»Sie fühlen sich nicht wohl in Amerika?« sagte Hopfgarten mitleidig.

»Wie soll man sich da wohl fühlen, wenn man Alles verloren hat, was Einem noch lieb und theuer auf dieser Welt war, und für das nur einzig und allein man arbeitete. Das Amerika ist ein recht guter Platz Geld zu verdienen, wenn man fleißig ist, aber das ist auch Alles; ja wenn es mir in Deutschland schlecht gegangen wäre. – Aber ich will Ihnen nicht die Ohren voll lamentiren – überhaupt ist hier die Straße, wo ich aussteigen muß. Es hat mich herzlich gefreut Sie wieder einmal begrüßen zu können!«

Er reichte ihnen die Hand, schüttelte sie freundlich, und drängte sich dann durch die ihm mürrisch Raum gebenden Passagiere der Thüre zu, den Omnibus zu verlassen.

»Dem armen Mann ist Amerika theuer zu stehn gekommen,« sagte Eltrich traurig, »lieber Gott, wenn ich mich in seine Lage setze, kann ich mir recht gut denken, wie furchtbar es ihm sein muß, jetzt so allein und verlassen dazustehen. Was hilft ihm das Geld, das er verdient, wenn er Niemanden hat, der es mit ihm theilt, für den er spart.«

»Es ist seine eigene Schuld,« sagte aber Hopfgarten achselzuckend, »er hat uns selbst erzählt, daß es ihm in Deutschland nicht schlecht gegangen wäre; weshalb wandert er da aus? – Das kommt von dem thörichten Misvergnügtsein ohne Grund.«

»Lieber Gott, es läßt sich da doch Manches zur Entschuldigung sagen,« seufzte Eltrich, »wir könnten es auch den Trieb sich zu verbessern nennen, den doch jeder Mensch in der Brust mit herum trägt – warum ihm den schlimmsten Namen geben? Thäten die daheim, deren Pflicht es wäre, für das wahre Glück der Völker zu sorgen, etwas mehr ihren Unterthanen das Leben daheim erträglich zu machen, bedächten sie, daß das »Von Gottes Gnaden« nicht nur auf ein Haupt niedergeht und da ruhen bleibt, als auf etwas ganz Besonderem – wie oft nur auf etwas sehr Gewöhnlichem – sondern niederfällt, wie Thau und Regen auch auf die kleinste unscheinbarste Wiesenblume. Stäke mit einem Wort einer Masse Menschen da drüben nicht der verdammte Dünkel zu fest in der Stirne aus einem ganz besonders feinen Porcellainteig geknetet und gebrannt zu sein, Tausende würden nicht daran denken, die Heimath zu verlassen, sondern in einer möglich bürgerlichen Existenz gern und freudig ausharren. Die Noth treibt vielleicht nur zwei Dritttheile aller Auswanderer über das große Wasser, der Ekel das andere – und das gerade thut Deutschland weh – unendlich weh, denn was für wackere Kräfte sind ihm dadurch verloren gegangen.«

»Ja, die Geheimenräthe wandern nicht aus,« lachte Hopfgarten.

»Nein, leider Gottes,« seufzte Eltrich, »die liegen an zweifarbigen Bändchen fest vor Anker. Der Deutsche theilt sich in seiner Unschuld in Nähr-, Wehr- und Lehrstand – daß er den Zehrstand gar nicht dabei berücksichtigt. Wie war Ihnen zu Muthe, als Sie jetzt wieder nach Deutschland zurückkamen?«

»Wunderbar,« lachte der Gefragte, »unendlich wunderbar – ich gebe Ihnen mein Wort, es kam mir in einem fort so vor, als ob die Leute nur Comödie spielten – und sie thun's auch. Wenn man hier aus dem frischen, freien Leben, das allerdings viele, unendlich viele Mängel und Schwächen hat, aber dem Menschen doch seine freie, ihm von Gott zugesprochene Entwickelung garantirt, wieder hinüber in das abgetheilte, angeblich geordnete Leben kommt, wo die Menschen wie in Gefachen, mit kleinen darauf geklebten Zettelchen eingeschachtelt liegen, sieht wie die untersten, bequemsten Gefache fortwährend herausgezogen und gebraucht werden, während auf den oberen der dicke ehrwürdige Aktenstaub liegt, und dann zurückdenkt, wie das Alles gar nicht nöthig ist, und wie es noch eine andere Welt giebt, in der Gottes Creaturen frei und fröhlich aufathmen dürfen; wenn man sieht, wie das dort kriecht und scharwenzelt, und auf Kindereien sein höchstes Ziel setzt, wenn man einen Blick wieder auf jenen Beamten-Wust wirft, der einem in das Kleinste zergliederten, auf das peinlich kunstvollste hergestellten und berechneten Räderwerk gleicht – einfach einen Stein zu drehn und Brod zu mahlen, dann wundert man sich wirklich, daß die eigentlichen Menschen nicht Alle auswandern und das ganze kunstvolle Beamtensystem, wie ein von Insekten skelettirtes Blatt als Satz zurückbleibt.«

 

»Und doch wollen Sie wieder nach Deutschland?« frug Eltrich.

»Es ist ja das Vaterland,« sagte Hopfgarten herzlich, »der Himmel ist doch nirgends so blau, die Erde nirgends so grün wie daheim. Sie mögen mich auslachen, lieber Eltrich, aber wie ich im vorigen Herbst zurückfuhr, und in der Nordsee die nackten Sanddünen, den Thurm von Wanger-Ooge wieder sah, hab' ich geweint wie ein Kind – es giebt doch nur ein Deutschland.«

»Ja, leicht können sie's nicht todtmachen,« rief Eltrich, »aber ich kehre doch nicht dahin zurück.«

»Verschwören Sie's nicht,« rief Hopfgarten; »es kommt doch eine Zeit, wo es uns wieder hinüberzieht – das Grab unserer Väter ist ein heiliger Platz, wo wir mit beiden Händen anfassen müssen, wenn wir unser Herz davon losreißen wollen. Mit dem Leben dort, was man die eigentliche Welt da nennt, mag ich auch Nichts mehr zu thun haben, dafür bin ich schon zu viel Amerikaner geworden; aber ich ziehe mich auf das Land zurück und lebe mir und den Meinen. Denken Sie nie an unsern Frühling, wenn die Lerche an zu wirbeln fängt, wenn die Birken keimen – werden Sie das je vergessen können?«

»Ich will's versuchen,« sagte Eltrich seufzend, »aber hier ist unser Halteplatz – dort in der Straße liegt für jetzt unser »Deutsches Vaterland«.«

»Ein trauriger Ersatz,« lächelte Hopfgarten, als der Wagen hielt, und sie, an ihrem Ziele angekommen, aussteigen mußten.