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Nach Amerika! Ein Volksbuch. Sechster Band

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Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Capitel 7.
Meier, Pelz & Co

Es war indessen, bis sie die Straße erreichten, in welcher das »Deutsche Vaterland« lag, schon vollständig dunkel geworden, denn der kurzen Dämmerung in Amerika folgt rasch und fast plötzlich die Nacht. Dicht vor der Thür des Gasthauses standen drei Leute in leisem, flüsternden Gespräch, und als sich Eltrich im Vorübergehn nach ihnen umsah, glaubte er bei zweien, auf die gerade das Licht der Gaslaterne fiel, bekannte Gesichter zu erkennen, wenn er sich auch nicht gleich auf das Wo und Wann einer Begegnung erinnern konnte. Die Männer wandten sich aber rasch von ihnen ab, und gingen langsam in dasselbe Haus, doch nicht in das Schenkzimmer, sondern in die kleine Hausthür, die mit der Treppe nach oben in Verbindung stand.

Natürlich achteten sie nicht weiter darauf, und öffneten gleich nachher die Glasthür des unteren Schenkraumes, wo sie den jungen Hamann allein, und mit verschränkten Armen und finster zusammengezogenen Brauen auf und abgehend, fanden. Freundlich begrüßte er Eltrich, mit dessen kleiner Familie er, wie seine Frau, schon manchmal zusammengekommen waren, und hörte mit großer Theilnahme, wie jener schändliche Verdacht endlich auch öffentlich von dem unglücklichen Bruder seiner Frau gewälzt sei, und diese sich doch nun wieder froh und glücklich fühlen würde, mit solcher Sorge vom Herzen.

Die freundliche Einladung Eltrichs, den heutigen Abend mit Hedwig bei ihnen zuzubringen, mußte er aber, wenigstens für sich selber, ablehnen, wenn auch die Frau kein Hinderniß hatte, und unter Eltrichs Schutz die Herren gern begleiten würde.

»Ich habe heute einen schlimmen Ärger und bösen Auftritt im Haus gehabt,« setzte er, sich entschuldigend, hinzu, »und meinen Barkeeper, einen nichtsnutzigen, frechen Gesellen, den ich, wie ich fast fürchte, auf verbotenen Wegen ertappte, zum Teufel jagen müssen.«

»Ihren Jimmy?« rief Eltrich – »Gott sei Dank, daß der Bursche fort ist; wenn irgend Jemand auf der Welt, so hatte der eine böse, galgenwürdige Physiognomie, und ich bin fest überzeugt, er strafte die auch nicht Lügen.«

»Was ich heute von ihm gesehn habe,« meinte Hamann, »widerspräche dem wenigstens nicht, denn ich fand ihn über Tisch in dem Zimmer einiger meiner »Boarder,« die, wie vermuthet wird, viel Geld bei sich haben, bei einer sehr verdächtigen Untersuchung des einen Koffers, für dessen sehr hübsche Arbeit er sich angeblich interessirte. Ich bin übrigens froh, den Burschen, den ich sonst noch hätte einen vollen Monat behalten und füttern müssen, auf solche Art so rasch losgeworden zu sein, nur muß ich jetzt, bis ich mich morgen nach einer passenden Persönlichkeit dafür umsehen kann, selber die Stelle verwalten. Sie thun mir übrigens einen Gefallen,« setzte er dann hinzu, »wenn Sie selber zu meiner Frau hinauf gingen und es ihr sagten; Sie werden sie jetzt warscheinlich in meines Vaters Zimmer finden. Sie, Herr Eltrich, kennen ja den Weg. Meine Gäste sind drin beim Abendbrod, und ich muß indessen hier in der Bar bleiben; hab' ich aber heut Abend zugeschlossen, was heute früher als gewöhnlich geschehen wird, komme ich noch selber zu Ihnen hinaus und hole Hedwig in meinem kleinen Wagen ab.«

Die Herren waren eben im Begriff, der Bitte Folge zu leisten, als die Thür aufging und ein junger Mann hereinkam, Hopfgarten und Eltrich aber kaum erblickte, als er auch schon mit einem lauten, etwas exaltirten Freudenruf auf sie zusprang, ihre Hände ergriff, und wie es schien, sich alle Gewalt anthun mußte, ihnen nicht auch um den Hals zu fallen.

»Ach Herr von Hopfgarten – ach Herr Kapellmeister – welch glückliches Zusammentreffen – nein, ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie froh ich bin, Sie endlich einmal wieder zu sehn. Wie geht es Ihnen? – was machen, was treiben Sie – Herr Hamann, darauf müssen wir ein's trinken, bitte meine Herren, was nehmen Sie – ich habe ja überhaupt hier noch eine kleine Kreide stehn – «

»Herr Theobald!« rief Hopfgarten erstaunt aus, den Dichter dabei mit einem flüchtigen Blick, eben nicht zu dessen Gunsten, von oben bis unten messend – »wie kommen Sie wieder nach New-Orleans?«

»Ich? – lieber Gott, wo kommt man nicht in diesem verwünschten Lande hin!« rief Theobald mit einer gewissen Wehmuth aus —

 
»Treibt auf wildbewegtem Meere
Auch mein schwank-gebrecher Nachen,
Dräut mir auch der Wogen Schwere,
Soll's mich doch nicht muthlos machen —
 

»wo kommt man hier nicht hin? – sag' ich noch einmal – Sie kennen ja die alte Geschichte, bester Baron, »willst Du in meinem Himmel mit mir leben – à la bonheur, aber auf Erden sind alle Kämmerchen vermiethet« – Nichts wie Prosa, Nichts wie gemeine, hausbackene Wirklichkeit, in der das dumme Volk auch nicht einmal eine Ahnung hat, daß ein höher begabter Mensch auch noch mit etwas Anderem arbeiten könnte, als mit Spitzhacke und Schaufel. Arbeiten schreien sie – arbeiten, immer nur arbeiten, und was der Geist dabei thut, rechnen sie nicht, das nennen sie faullenzen. Aber zum Henker mit der Bande, wenn's uns hier nicht länger gefällt, Herr von Hopfgarten, dann gehn wir nach Amerika! und jetzt wollen wir trinken, Herr Hamann hat uns schon die Gläser aufgestellt – bitte, was nehmen Sie?«

»Ich danke wirklich herzlich,« sagte Hopfgarten ablehnend – Theobald sah ihm gar nicht danach aus, als ob er so viele Sechs-Cent-Stücke wegzuwerfen hätte, für Andere zu bezahlen, und zugleich ließ sein ganzes, außergewöhnlich aufgeregtes Wesen auch noch überdieß darauf schließen, daß er schon selber eigentlich mehr wie seine tägliche Quantität getrunken habe – »bitte, erzählen Sie mir lieber, wie es Lobensteins geht, was sie thun und treiben und wie der Professor mit seinen Arbeiten vorwärts rückt.«

»Bah – so viel für den Professor,« rief Theobald mit einer wegwerfenden Bewegung – »ein Schwachkopf, der sich einbildet, von Landwirthschaft und Poesie gleich viel zu verstehn, und wirklich gleich viel davon versteht. Er ist ruinirt, und Eduard, der große Nimrod, hat sich auf der Jagd todtgeschossen – «

»Heiland der Welt,« rief Hopfgarten entsetzt aus, »das ist ja furchtbar, und Sie erzählen das hier, als ob Sie die Leute nicht das Mindeste angingen.«

»Thun Sie auch nicht,« sagte Theobald ruhig – »wenn Jemand Verbindlichkeiten gegen den Anderen hat, so ist es der Professor gegen mich; ich habe ihm meine Kräfte nicht allein, ich habe ihm auch meinen Geist geliehen; aber die Rathschläge, die ich ihm gab, konnten ihn nur noch eine Zeit lang über Wasser halten – sein eignes Gewicht zog ihn in die Tiefe.«

»Und was ist aus ihnen geworden?« frug Hopfgarten.

»Oh sie sind für jetzt wohl noch, so viel ich weiß, in Indiana,« sagte Theobald, »der Professor wird jedoch jedenfalls gezwungen sein, seine Farm zu verkaufen, weil er Schulden hat, die er nicht tilgen kann. Aber kommen Sie, meine Herren, kommen Sie, der Brandy wird kalt.«

Auch Eltrich suchte sich von der Einladung loszumachen, Theobald drang aber auf das Ungestümste in sie, und da es in Amerika für eine Beleidigung gilt, mit Jemand, von dem man eingeladen wird, nicht zu trinken, traten die beiden Männer, um ihn nur loszuwerden, mit ihm an den Schenktisch.

Die Gläser waren gefüllt und Hopfgarten wie Eltrich hoben sie mit einem höflichen Nicken gegen den jungen Mann, der mit einer hochtragischen Bewegung, den Arm ausstreckend, rief:

»Halt! nicht also dürfen wir, verehrte Gönner und Freunde, die edle Gottesgabe unseren Kehlen zusenden. Der Geist verlangt Geist:

 
So fließe denn dieser edle Trank,
Ein perlender Tropfen Himmelsthau,
Als Weiheopfer, als Gottes Dank,
Den schönen Augen der schönsten Frau.
Wie er zittert im Glase, wie funkelndes Blut —
Sie, deren Bild uns im Herzen ruht
Lebe hoch!«
 

»Lebe hoch!« stimmte Eltrich gutmüthig mit ein, indem sie ihre Gläser leerten.

»Also Sie haben auch ein paar schöne Augen?« lachte der Kapellmeister, »die Ihnen im Herzen ruhn? sollt' ich sie am Ende kennen? – an Bord ging einmal ein unbestimmtes Gerücht – «

Theobald wandte den Kopf von ihm fort, und streckte den Arm abwehrend aus:

 
»Tief begraben hier drinnen da ruhet ihr Bild,
Da ruht mit dem Bild auch der Namen,
Ein düsterer Schleier decket das zu —
Ich bin zu dem Bild nur der Rahmen —
 

aber apropos« – wandte er sich dann rascher und lebhafter plötzlich an den Kapellmeister – »ich habe ein paar prächtige Lieder für Sie zum Komponiren, lieber Eltrich – ich weiß, daß Sie in neuerer Zeit einige Lieder von Heine und Freiligrath reizend in Musik gesetzt haben, das sind aber natürlich nur immer gerade zufällig passende Sachen, die Sie sich in Ermangelung eines Besseren heraussuchen mußten. In den meinigen werden Sie Deutschen Geist in Amerikanischer Hülle finden, etwas Passendes, Zeitgemäßes, mit dem Sie, wie ich fest überzeugt bin, Ihre Hörer entzücken können, und ich bin gern erbötig, Ihnen nicht allein die Wahl zwischen einigen fünfzig vortrefflichen Sonetten zu gestatten, sondern Ihnen auch das Stück der ausgewählten mit zwei Dollar zu überlassen.«

»Sie sind sehr gütig, lieber Theobald,« sagte Eltrich, verlegen, wie er das Anerbieten abweisen sollte, und doch auch wieder zu gutmüthig, geradezu nein zu sagen. »Sie werden mir erlauben, daß ich die Sachen einmal gelegentlich durchsehe, denn in der nächsten Zeit bin ich zu sehr mit andern Sachen beschäftigt, an irgend eine Composition denken zu können – «

»Oh gewiß – gewiß,« rief Theobald rasch – »aber – mit dem Lesen, wissen Sie, ist es eine unangenehme Sache; ich weiß zu gut, wie ungern Leute Manuscript lesen, und wie verschieden sich auch etwas im Manuscript und Vortrag ausnimmt. Wie wäre es also, wenn Sie mir jetzt ein halbes Stündchen gönnten, und ich Ihnen die Kleinigkeit – « er holte dabei ein etwa daumenstarkes, sehr eng beschriebenes Manuscript aus der Tasche – einmal hier flüchtig vorläse; es würde – «

 

»Lieber Eltrich,« drängte Hopfgarten, »wir müssen hinaufgehn, es wird die höchste Zeit, wenn wir Frau Hamann noch heute Abend mit fortnehmen wollen, und Sie wissen, ich habe wichtige Sachen mit ihr zu besprechen.«

»Sie haben recht,« rief Eltrich – »wir müssen uns wahrhaftig heute entschuldigen, Herr Theobald – wenn Sie mir später das Manuscript vielleicht einmal anvertrauen wollen, so würde ich – «

»Ich werde mir selber das Vergnügen machen, es Ihnen in Ihrer eigenen Wohnung vorzulesen,« sagte Theobald rasch entschlossen – »zu welcher Zeit trifft man Sie am Besten?«

»Es ist jetzt sehr unbestimmt,« sagte Eltrich, den ungeduldigen Winken Hopfgartens nachgebend und seinen Hut nehmend – »vielleicht einmal Nachmittags – also auf Wiedersehn, Herr Theobald – «

»Auf Wiedersehn, lieber Kapellmeister – auf Wiedersehn Herr von Hopfgarten.«

»Gott sei Dank, daß wir den schrecklichen Menschen los sind,« sagte Hopfgarten, als sie durch den dunklen Gang, der im Hause hin zur nach oben führenden Treppe gingen, »der wäre im Stande gewesen und hätte uns die halbe Nacht seine faden Mondscheinergüße vorgelesen. Aber – alle Wetter, Eltrich – hier ist's dunkel – kennen Sie den Weg?«

»Ja – ich bin freilich nur erst einmal Abends hier oben gewesen, und da dächt' ich, hätte eine Laterne auf der Treppe gebrannt; aber kommen Sie nur – hier ist das Geländer – fassen Sie mich an – so – sehn Sie? – hier steigen wir hinauf, und nun weiß ich auch Bescheid, denn gleich oben an der Treppe, zwei oder drei Schritt an der rechten Seite, ist die Vorsaalthür, die zu dem alten Hamann führt.«

»Es soll nicht besonders mit ihm gehn,« meinte Hopfgarten.

»Ach der ist zäh,« sagte Eltrich, »der kann noch lange leben; sehn Sie, da sind wir schon – fallen Sie nicht wieder rückwärts hinunter, es geht ganz häßlich steil ab. Daß die Leute hier auch keine Laterne brennen, man könnte ja Hals und Beine dabei brechen. Hier hab' ich die Klingel!« und den kurzen Griff fassend, zog er daran, daß die kleine Glocke drinnen hell und klar ertönte.

Alles todtenstill – kein Laut antwortete.

»Sie haben es nicht gehört – ziehn Sie noch einmal,« sagte Hopfgarten.

Eltrich klingelte noch einmal, stärker als vorher, und legte dann das Ohr an die Thür, ob er nicht Schritte hören könne.

»Hülfe!« tönte da ein wilder, markdurchschneidender Schrei zu ihm herüber – »Hülfe!« rief es noch einmal, aber mit schwacher, gedämpfter, doch nichtsdestoweniger deutlicher Stimme, als ob eine Hand den rufenden Mund zu schließen suchte.

»Was ist das?« rief Eltrich; Hopfgarten hatte den Schrei aber ebenfalls gehört, und ohne sich weiter zu besinnen, ohne irgend eine Frage zu thun, oder ein Wort weiter zu verlieren, fühlte er nach der Thür, und führte im nächsten Augenblick einen so gut gemeinten und kräftigen Tritt gerade nach der, eben nicht übermäßig dicken Füllung, daß er diese gleich mit dem ersten Stoß nach innen trat. Ein zweiter machte die Bresche passirbar, und sich in wilder Hast, von Eltrich dicht gefolgt, hindurchdrängend, fand er sich wenige Secunden später in dem inneren Raum, den zu durchfliegen und der nächsten Stubenthür, aus der ein Lichtstrahl drang, zuzuspringen, das Werk weiterer, nur weniger Secunden war.

Es dämmerte, und am Ufer des Flusses gingen, nur die Fronte des einen square haltend, zwei Männer in eifrigem, aber mit unterdrückter Stimme geführten Gespräch, mit raschen Schritten auf und ab. Allem Anschein nach erwarteten sie Jemanden, der sich ihnen auch endlich, nach einigem Herüber- und Hinübersuchen, anschloß.

»Nun, Jimmy, wie ist's?« frug der Eine von ihnen, Meier (der Andere war sein Reisegefährte Pelz), den eben Gekommenen – »wird's noch was heute Abend?«

»Jetzt oder nie,« flüsterte Jimmy mit leiser, ängstlicher Stimme, »denn schon heut' Morgen war die Rede davon, daß sie den Alten am nächsten Tag hinüberbetten wollten, wo die jungen Leute ihre Zimmer haben, damit er dort mehr Pflege hätte; wenn das geschieht, kann kein Teufel mehr dazu.«

»Und lohnt's wirklich?« frug Meier, noch immer mistrauisch.

»Lohnt's?»wiederholte Jimmy ärgerlich – »glaubt Ihr, daß ich meinen Hals an so eine Geschichte setzen würde, wenn's nicht eben was Außerordentliches wäre?«

»Na, ob Dein Hals das gerade ist,« brummte Meier.

»Jetzt ist keine Zeit zu Albernheiten,« sagte aber Pelz mürrisch, »also Ihr glaubt wirklich, daß wir mit dem einen Schlag genug kriegen können, Jimmy.«

»Ich glaube gar Nichts,« rief dieser rasch und eifrig, »ich weiß, daß der Alte in dem einen kleinen, erbärmlichen Holzschrank, den er nicht gegen einen eisernen vertauscht hat, um sich nicht in den Verdacht zu bringen, daß er wirklich etwas Stehlenswerthes in seiner Wohnung habe, für vielleicht hunderttausend Dollar Juwelen, Geld, Papier und Aktien liegen hat, und mit einem einzigen Faustschlag kann man den Deckel sprengen.«

»Und der Alte?«

»Ist in einer halben Stunde etwa, auf dreißig oder fünf und dreißig Minuten allein, denn der junge Lümmel muß heute, weil ich nicht da bin, in der Bar bleiben, und die Frau guckt nach der Kaffeekanne im Eßzimmer, daß Niemand eine Tasse zu viel trinkt.«

»Ich weiß nicht – mir ist nicht recht wohl bei der Geschichte,« meinte Meier – »ja wenn ich selber den Grund und Boden, und die Winkel und Schliche da kennte, wo man hinausfahren muß, wenn's Noth thut, dann wär' mir's gerade recht; aber mich so von Jemand Anderem in ein ganz fremdes Haus, denn in dem Theil sind wir doch noch nicht gewesen, hineinführen zu lassen, das hat mir 'was verdammt Unbehagliches. Passirt 'was, so drückt sich Jimmy sachte ab, und wir Andern sitzen drin.«

»Aber ich bitt' Euch um Gottes Willen, was soll passiren?« rief Jimmy – »wir brauchen auf der Welt weiter Nichts zu thun, als die Treppe im Haus hinaufzugehn; in der Tasche hab' ich den Schlüssel zur Thür – die schließen wir hinter uns zu, wer dann hinein will, muß klingeln, und die Thür vom Alten, der in der Zeit mutterseelensallein ist, steht auf.«

»Wenn's aber weiter Nichts wäre,« brummte Meier, »da hättet Du ja auch die ganze Geschichte allein machen, und den Profit allein in die Tasche stecken können.«

»Das hätt' ich auch,« sagte Jimmy, halb verlegen, halb mürrisch, »aber – es ist mir so ein eignes, wunderliches Gefühl mit dem Alten. Mit einer Hand könnte man ihn zusammendrücken, und doch – doch fürcht' ich mich vor ihm; sein Blick sieht Einem bis in die Kniekehlen hinunter, und er schläft – Ihr mögt mich auslachen, wie Ihr wollt – mit einem Auge offen.«

»Vor dem Sohn fürchtest Du Dich nicht?« lachte Meier.

»Daß ihn der gelbe Jack hole,« fluchte Jimmy – »ich vergelte ihm die heutige Behandlung, oder ich will im Leben keinen Brandy wieder trinken; er soll's noch bereuen, mich auf diese Weise behandelt zu haben. Doch jetzt kommt, denn wir haben keine Zeit mehr zu verlieren; mit dem Schlage sieben gehen die Leute zu Tisch, und von da bis halb acht sind wir sicher; länger keine Secunde.«

»Und wenn Jemand, indeß wir drinnen sind, an die Thüre draußen kommt und hinein will?« frug Meier.

»Neben der Stube ist eine Schlafkammer,« sagte Jimmy, »und aus dieser führt eine stets offen stehende Thür nach dem Gang hinaus, der in den andern Theil des Hauses läuft – aber es kommt auch Niemand, zum Donnerwetter noch einmal; und wenn auch, so wär's vielleicht der junge Tölpel selber, und dazu seid Ihr zwei baumfeste Kerle, die dem wohl einen Schlag über den Schädel geben können, daß er ein paar Secunden ruhig ist. Erst einmal wieder unten auf der Straße, und in der Menschenmenge, die dort noch auf- und niederströmt, ist eine Verfolgung ganz unmöglich. Ja, wenn's nach zehn Uhr Abends wäre, da könnte uns eine einzige Wachtmann-Rassel ein ganzes Viertel Nachtwächter über den Hals ziehn.«

Meier schien, von Pelz dabei noch heimlich bearbeitet, seine letzten Bedenklichkeiten endlich, wenn nicht ganz überkommen, doch bei Seite gestellt zu haben, und die drei Männer schritten jetzt raschen Ganges, sich unterwegs das Weitere überlegend, ein Stück noch am Wasser, und dann die Straße hinauf, die nach dem »Deutschen Vaterland« zuführte.

Gerad um sieben kamen sie dort an; durch die mit Flaschen und Karaffen besetzten Fenster des »Barrooms« konnten sie von außen ganz deutlich die kleine Uhr im Innern erkennen, die drei Minuten über sieben zeigte. Dennoch zögerten sie einen Augenblick, ganz sicher zu sein, daß sie nicht zu früh kämen, und blieben indessen vor der Thür stehn. Daß der junge Hamann allein in der »Bar« war, konnten sie von außen ebenfalls deutlich erkennen; so weit stand die Sache günstig genug für sie, und die Gäste waren jedenfalls schon drin bei Tisch.

Zwei Männer kamen dicht an ihnen vorbei, und gingen auf die Thür des Schenkzimmers zu; Meier und Pelz drehten sich nach ihnen um, wandten sich aber auch fast unwillkürlich wieder ab, und schritten dem kleinen Thorweg zu, der neben dem Schenkzimmer in das Haus führte.

»Weißt Du, wer die Beiden waren?« flüsterte Meier Pelz zu.

»Ja!« nickte dieser leise – »ein paar alte Bekannte; das schadet Nichts – im Gegentheil, die halten den jungen Laffen da drin um so sicherer an der Flasche fest, und in zehn Minuten können wir wieder unten sein.«

Jimmy führte sie indessen, ohne weiter ein Wort mit ihnen zu wechseln, rasch die schmale, hölzerne Treppe hinauf, an der oben ein Licht brannte; an diesem zündete Pelz, wie schon vorher verabredet, seine eigene kleine Blendlaterne an, und bließ es dann aus, und oben wollten sie ihren Weg wieder fortsetzen, als sie leichte Schritte auf dem Gange hörten und einen fremden Lichtschimmer bemerkten, der diesen herunter und auf dieselbe Thür zukam, in der auch ihr Ziel lag.

»Höll und Teufel,« flüsterte Jimmy leise und ingrimmig vor sich hin – »das ist die Madame – was zum Donnerwetter hat denn die heute Abend bei dem Alten zu suchen? – Ruhig Leute, wir müssen hier einen Augenblick warten; sie wird nicht lange bleiben.«

Es war Hedwig, die mit dem Licht den schmalen Gang herüber kam, nach dem Kranken zu sehn; sie öffnete mit einem Schlüssel, den sie bei sich trug, die Thür, und sah sich dabei nach der ausgegangenen Lampe an der Treppe um, unter der die drei Schurken kauerten, betrat jedoch, ohne diese zu entzünden, den Vorsaal, und klinkte die Thür nur einfach hinter sich in's Schloß.

»So, jetzt sitzen wir hier auf der Treppe,« brummte Meier finster vor sich hin, »und wenn Jemand heraufkömmt, findet er das ganze Nest.«

»Das wär' weiter keine Gefahr,« flüsterte Jimmy zurück, »wir gingen nur einfach die Treppe hinunter und kein Teufel wüßte in der Dunkelheit, wer's gewesen ist.«

»Und das Geld?« frug Pelz.

»Wäre dann allerdings zum Henker,« fluchte Jimmy zwischen den zusammengebissenen Zähnen durch, indem er wieder anfing, seine Finger zu knacken.

»Was zum Teufel machst du denn da?« rief ihn mit unterdrückter, doch zorniger Stimme Meier dabei an, »willst Du das verdammte Knacken lassen, das hört man ja durch's ganze Haus; das fehlte auch noch, daß wir Dich als Sturmglocke dabei hätten. Übrigens seh' ich nicht ein, weshalb wir zögern,« setzte er rasch hinzu, »ob die Madame da drin ist oder nicht, wenn wir's mit weiter Niemand als dem Alten zu thun haben. Wir sind unserer drei, und mit einer solchen Aussicht vor uns, daß wir künftig von unseren Interessen leben können und eben nur zuzulangen brauchen, sollte uns das wenigstens nicht abhalten.«

»Nur um Gottes Willen kein Blut vergießen,« bat Jimmy, ängstlich werdend – »Ihr habt mir das schon vorher versprochen, denn damit möchte ich Nichts zu thun haben.«

»Unsinn,« brummte Meier, »wer spricht denn davon? wir verlangen von denen da drinnen weiter Nichts, als daß sie ein paar Minuten das Maul halten, und dazu können wir sie schon bringen, ohne ihnen gleich den Hals abzuschneiden.«

»Wenn wir nur noch einen Moment warten,« ermahnte Jimmy noch einmal; »sie muß gleich wieder zurückkommen.«

Die beiden Männer erwiederten Nichts darauf, sondern kauerten eine ganze Weile, dem Rathe folgsam, auf der Treppe, gleich vorsichtig dabei nach oben wie unten horchend, ob sich kein gefährliches Geräusch irgendwo vernehmen lasse. Es blieb todtenstill, denn im Haus war Alles im Eßzimmer versammelt, die Frau kam aber eben so wenig zurück, und Jimmy selbst fühlte jetzt, daß es die höchste Zeit würde, ihr Vorhaben auszuführen, wenn sie nicht die günstige Periode des Abendessens, und damit Alles versäumen wollten. So als Pelz endlich erklärte, wenn Sie nun nicht an's Werk gingen, wolle er mit der Sache nichts weiter zu thun haben, da er hier auf der Treppe nervös würde, stand er langsam auf, bat die Männer noch einmal sich jeder Gewaltthätigkeit zu enthalten, und stieg langsam, von ihnen dicht gefolgt, die wenigen Stufen noch hinauf.

 

Ihrem verabredeten Plane nach sollten sie, was sie auch jetzt thaten, so geräuschlos als möglich die Vorsaalthür öffnen und mit dem Schlüssel, den Jimmy bei sich führte, wieder hinter sich schließen, dann über den Vorsaal schleichen, wo sie hatten vorsichtig an der Thür des Alten anklopfen wollen, erst zu sehn ob dieser wache. Da aber das Erscheinen der Frau diesen Angriffsplan jetzt geändert hatte, glitten sie nur, so leise sie konnten, über den kleinen, dunklen, schmalen Vorplatz hin, wobei ihnen Pelzes Blendlaterne leuchtete, Jimmy ergriff dann die Thürklinke, und diese rasch und plötzlich öffnend, sprangen alle drei zu gleicher Zeit, und ehe die im inneren Raum Befindlichen auch wirklich nur einen Schrei der Überraschung ausstoßen konnten, auf sie zu. Pelz warf sich dabei auf den Alten, der neben seinem Bett auf einem großen Stuhle saß, während Meier Hedwig ergriff, sie an der Kehle faßte und ihr mit augenblicklichem Tode drohte, wenn sie auch nur einen Laut von sich gebe.

Nicht so leichtes Spiel sollte Pelz haben, denn der alte Geizhals, stets in Furcht bestohlen zu werden, hatte, ohne daß selbst Jimmy etwas davon wußte, fortwährend ein paar geladene Pistolen neben sich auf demselben Tisch, auf dem seine Arznei stand, mit einem seidenen Tuch bedeckt liegen, und fast instinktartig nach diesen in demselben Moment gegriffen, als er die Thüre seines Zimmers so plötzlich aufreißen sah. Spannen und Abdrücken war auch wirklich nur das Werk eines einzigen Augenblicks, und um Pelz wäre es, außer dem gefährlichen Knall des Gewehres für die beiden Anderen, jedenfalls geschehen gewesen, hätte die Pistole, die da schon Gott weiß wie lange geladen lag, nicht versagt. Der alte Gauner erschrak aber doch nicht wenig über die nahe Todesgefahr, und als Hamann, den Anspringenden mit dem linken ausgestreckten Arm noch von sich drückend, nach der zweiten Waffe griff, führte er mit einem ingrimmigen Fluch und einer in der Hand verborgenen Kugel einen so gut gemeinten Schlag nach ihm, daß er ihn besinnungslos zu Boden streckte.

Jimmy indessen sprang, ohne sich weiter um die Übrigen zu bekümmern, die er in guten Händen wußte, mit einem Satz nach dem alten hölzernen Secretair, in dem des Wirthes Schätze lagen. Mit einem Stemmeisen, das er bei sich führte, brach er diesen auch rasch und ohne Mühe auf, und leerte den Inhalt der Gefache in einen zu dem Zweck mitgenommenen Leinwandsack.

Hedwig sah das Alles, wie in einer Art wachen Traumes; sie fühlte dabei, wie die Hand des Mörders, dessen Gesicht sie trotzdem erkannte, auf ihr lag, und vermochte keinen Laut auszustoßen, hätte sie der Bube selbst frei und unberührt gelassen. Jimmy arbeitete indessen mit einer fabelhaften Geschäftigkeit, und Pelz, der ihm der Sorge um den Alten enthoben dabei half, schob in die eigenen Taschen, was er hineinbringen konnte, als plötzlich draußen, scharf und hell, die kleine Klingel an der Vorsaalthür ertönte.

Wie ein Schlag fuhr der klare durchdringende Laut in aller Glieder – die Räuber schreckten, aufhorchend, empor, und selbst Meier ließ in seinem Griff an Hedwig – nur erst zu wissen, welcher Art die Gefahr sei, die ihnen drohe, etwas nach. Hedwig aber, der dieser Laut wie neues Leben durch die Adern schoß, warf mit plötzlicher Anstrengung den Arm, dessen Finger ihre Kehle umspannt hielten, zurück, und stieß, unbekümmert um jede Gefahr, die ihr selber drohen konnte, jenen wilden gellenden Hülferuf aus.

»Bestie!« knirrschte Meier zwischen den Zähnen durch, und suchte mit seiner breiten Hand, der sie sich umsonst erwehrte, ihren Mund zu decken.

»Hülfe!« stöhnte Hedwig, und draußen brach und prasselte in dem Augenblick die dünne Thür zusammen.

»Herr Du mein Gott!« schrie Jimmy, in aller Angst den Leinwandsack fallen lassend und nach der Kammerthür fahrend. Hier aber mußte er an Meier vorbei, und dieser, der nicht gesonnen war allein in dem fremden Haus im Stich gelassen zu werden, faßte ihn und hielt ihn, während Pelz an den Beiden vorüberglitt und in die Kammerthür verschwand, am Kragen fest. —

»Nicht ohne mich, Kamerad.« knurrte er dabei, »den Weg mußt Du mir wenigstens zeigen, und daß Du hier, mein Täubchen, uns nicht indessen vor der Zeit das ganze Haus über den Hals schreist, nimm das indessen,« und sie loslassend führte er, während er sprach, einen gewiß gut gemeinten Schlag mit der Faust nach der Stirn der jungen Frau, der dieser wahrscheinlich verderblich geworden wäre, wenn sie nicht, die Gefahr sehend, ihren Kopf unter seinen linken Arm geworfen, und sich fest an ihn angeklammert hätte.

»Hülfe, Hülfe!« schallte dabei ihr gellender Schrei, jetzt um das eigene Leben ringend und Jimmy, den Moment benutzend, riß sich von Meiers Griff los, und sprang ebenfalls in die Kammer, während dieser indeß umsonst versuchte die Frau von sich abzuschütteln oder in den Schwung seines, nach ihr schlagenden Arms zu bringen. Hedwig, ihre schwachen Kräfte zu wilder verzweifelter Anstrengung getrieben, hielt ihn fest umklammert, und Meier, endlich selbst zum Äußersten gebracht, riß ein Messer aus seinen Gürtel, als die Stubenthür auf- und Hopfgarten in demselben Moment auch in gänzlicher Verachtung der eben so rasch auf ihn gerichteten Waffe, gegen den Mörder anflog.

Mit dem linken Arm den nach ihm geführten Stoß, so gut das im Augenblick ging, abwehrend, warf er sich mit dem ganzen Gewicht seines Körpers so voll und gut gewillt gegen ihn, daß er den sonst viel stärkeren, jetzt aber auch noch durch die Frau behinderten Mann zum Taumeln brachte, und Meier fand sich, wenige Secunden später unter den ihn fest niederhaltenden Armen Hopfgartens und Eltrichs, die er jedoch Beide mit seinem Messer verwundet hatte, am Boden liegen, während aus dem ganzen Haus schon die Leute, durch das Geschrei aufmerksam gemacht, herbei und zur Hülfe strömten.

»Hopfgarten,« stöhnte indeß der Räuber, in der Anstrengung seine Arme wenigstens frei zu bekommen, und mit der Angst jetzt vor der gerechten Strafe, »lassen Sie mich los – ich – ich weiß, wen Sie suchen – ich weiß – ich weiß wo er steckt. Henkel ist hier in der Stadt – aber – heut Abend noch oder morgen früh geht er fort von hier – lassen Sie mich frei, und ich sage Ihnen, wo Sie ihn finden können!«

»Alle Wetter!« rief Hopfgarten überrascht, »da könnte man einen Wolf mit dem andern fangen.«

»Glauben Sie doch nicht was der Schurke sagt,« rief aber Eltrich, der das warme Blut an seiner Schulter niederrieseln fühlte, »der Bursche ist zum Galgen reif – Hülfe – Hülfe hierher.«

Der Ruf galt einer neuen, verzweifelten Anstrengung des Räubers, aber die Hinterthür, die in die Schlafkammer führte, und nicht verschlossen gewesen war, wurde in diesem Augenblick von den herbeistürmenden Boarders, mit dem jungen Hamann an der Spitze, gesprengt, während von der Straße herauf ebenfalls die Leute herbeisprangen. Wenige Minuten später war das Zimmer mit Menschen gefüllt, und Hopfgarten und Eltrich, den Gefangenen der Masse überlassend, konnten jetzt daran denken das wild umhergestreute und gefährdete Eigenthum des alten Mannes in Sicherheit zu bringen. Die indessen ohnmächtig gewordene Frau sahen sie in dem Schutz ihres Gatten, und den noch immer am Boden ausgestreckten alten Mann hatten unter der Zeit ein paar Nachbarn aufgehoben und auf sein Bett getragen.

Unter den Fremden waren übrigens auch zwei Constabler mitgekommen, die sich als solche zu erkennen gaben, und Meier vor allen Dingen in Gewahrsam nahmen. Andere, die von unten heraufkamen, hatten eine dunkle Gestalt zum Haus hinauslaufen sehen, und Einige unter dem, nach dem Hof zuführenden Kammerfenster eine goldene Uhr gefunden, die der Räuber dort wahrscheinlich, nach einem verzweifelten, aber glücklich abgelaufenen Sprung aus dem Fenster, verloren haben mußte.