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Nach Amerika! Ein Volksbuch. Vierter Band

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Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

»S'ist eben nur eine Waldwohnung« sagte der Jäger verlegen lächelnd – »mein eigen Haus ist eben nicht viel besser, und Olnitzki will, glaub' ich, auch ein anderes bauen; unser Klima hier verlangt es aber kaum anders, und zum bloßen Staat wäre die Mühe hier ebenfalls weggeworfen. Doch wollen wir nicht hinangehen?«

»Nein – bitte, lassen Sie mich vom Pferd« bat Amalie – »es ist nur eine kleine Strecke – ich will von hier zu Fuß gehn – ich – ich möchte gern – «

»Ich kann mir denken daß Sie die Schwester nach so langer Abwesenheit allein zu begrüßen wünschen« sagte der Jäger freundlich, indem er dabei seine Büchse an die Fenz lehnte, und sie mit starkem Griff aus dem Sattel hob; »ist's Ihnen recht, so gehe ich indeß zurück und hole mein Wildpret. Ich weiß nicht ob Olnitzki gerade frisches Fleisch im Hause hat, und da er jetzt Besuch bekommen, wird ihm ein Theil davon vielleicht willkommen sein. Wild giebt's hier noch genug im Wald, aber es trifft sich nicht immer daß man gerade zum Schuß kommt wenn man etwas nothwendig braucht, und besser ist besser. Sie können übrigens nicht mehr fehlen; der Pfad hier führt Sie, an der Fenz entlang, bis vor die Thür; das Meiste Ihrer Sachen wird auch bald eintreffen, und das Übrige bringe ich Ihnen morgen früh.«

Er war bei den letzten Worten in den Damensattel gesprungen, und ohne einen Dank der Fremden abzuwarten, drückte er dem Thier die Hacken in die Seite und sprengte, von den Rüden gefolgt, rasch zurück in den Wald, der sich im nächsten Augenblick schon wieder hinter ihm schloß.

Fräulein von Seebald blieb allein zurück, und brauchte noch Minuten, ehe sie sich soweit sammeln konnte, der Schwester gefaßt entgegenzutreten. Aber was zögerte sie auch hier, was fürchtete sie? – hatte denn der Jäger nicht vollkommen recht, und durfte sie mitten im Wald etwas anders erwarten als die Wohnung eines Jägers? Auch Rosemores wohnten in einem eben so unscheinbaren, vielleicht etwas höheren Blockhaus, und wie freundlich, wie wohnlich sah es bei denen aus. Es war unrecht von ihr, sich solch kindischem Kleinmuth in einem Augenblick hinzugeben, wo sie ihr weitgestecktes Ziel endlich erreicht, und in den Armen der Schwester wollte und mußte sie ja bald jede solch thörichte Furcht verscheucht, vernichtet sehn.

Dort lag die Wohnung, und dorthin trug sie jetzt, in Freude und Sehnsucht zitternd, der Fuß; an der Fenz hin, manchmal noch durch niederes Gestrüpp und Unkraut das den Boden dicht bedeckte, oder auch über niedergebrochene Stämme und Äste hin, lief und kletterte sie, von den weiten Kleidern oft gehalten, in immer wachsender Ungeduld, und erreichte endlich den kleinen freien, von zahmem Vieh zertretenen und etwas schmutzigen Platz unmittelbar vor der Hütte, die in die Fenz hineingebaut lag. Hier sah sie auch das erste lebende Wesen, denn bis jetzt hatte ihr nur der blaue Rauch die Nähe von Menschen verrathen – eine Frau, in einem ordinairen weiß-baumwollenen Rock – der selbstgewebte Stoff der Backwoodsfrauen – die vor der Thür der Hütte stand und das zu Mittag wahrscheinlich gebrauchte Geschirr in einem hölzernen Troge reinigte. Gott sei Dank, da war Jemand den sie erst fragen konnte ehe sie das Haus betrat, und mit auf dem weichen Boden geräuschlosen Schritten zu ihr hinangehend sagte sie, ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehn, mit lauter Stimme, aber in Englischer Sprache:

»Guten Tag madame,9 könnt Ihr mir sagen ob die Gräfin – ob Mrs. Olnitzka zu Hause ist?«

Die Frau drehte sich nach ihr um und sah ihr starr und regungslos in die Augen, erwiederte aber kein Wort – sie mußte die Anrede nicht verstanden haben.

»Entschuldigt mich liebe Frau« sagte die Fremde, den Blick dabei unruhig nach der Thür der Hütte werfend, als ob sie von dort in jeder Secunde die Gestalt der Schwester zu sehn erwarte – »ich bin fremd hier – eben erst angekommen und suche die Dame der dieß Haus gehört.«

Die Frau hob langsam die Hände auf – ihr Blick erst erstaunt und erschreckt, wurde immer stierer und wilder, und während das Geschirr das sie darin gehalten ihren Fingern entfiel, streckte sie plötzlich wie abwehrend die Arme von sich, und den bleichen Lippen entrang sich das Wort »Amalie!«

»Heiliger – allmächtiger Gott!« schrie Amalie, in diesem Augenblick von jähem Schreck getroffen, während sie ihre Stirn mit beiden Händen hielt und die vor ihr stehende Frau anstarrte, als ob ein Geist vor ihr dem Boden entstiegen wäre – »Sidonie!« und die Arme nach ihr ausstreckend umfing sie wie krampfhaft die bleiche, zitternde schmächtige Gestalt. —

»Meine Sidonie – mein liebes liebes Herz« flüsterte sie dabei in ängstlich liebkosender Hast, ihr die blassen eingefallenen Wangen streichelnd und in vergehendem Schmerze fast, die abgehärmten an sie geschmiegten Glieder fühlend, »mein armes verlassenes Kind« – aber sie vermochte nicht mehr zu sagen, und auch die Schwester hing lautlos – schluchzend in ihren Armen.

Aber Sidonie faßte sich zuerst wieder, und gewaltsam die Bewegung zwingend der sie sich im ersten Augenblick wohl unwillkürlich, unbewußt selbst, hingegeben, strich sie die Haare aus der marmorweißen und fast eben so kalten Stirn, und die Schwester leise auf Armeslänge von sich pressend, schaute sie ihr voll und zärtlich in die thränengefüllten Augen, und sagte mit leiser und so unendlich weicher Stimme:

»Amalie – oh wie Dein lieber Anblick meinen Augen so wohl thut – aber wo kommst Du her – Mädchen, um Gottes Willen, was hat Dich aus Deutschland herüber in den Wald gebracht – Du – Du bist doch nicht – «

»Herübergekommen Dich zu sehen und zu küssen« rief aber die Schwester, sie von Neuem an sich ziehend – »Du böse böse Frau schreibst ja doch nicht mehr, und da wir nicht länger ohne Nachricht von Dir leben konnten, gab der Vater endlich meinen dringenden Bitten nach und ließ mich ziehen, Dich selber aufzusuchen. – Aber Sidonie – um Gottes Willen, Du bist krank – Du siehst bleich und elend aus, und strengst Dich dann dabei noch übermäßig an mit unnützer Arbeit – was lässest Du die Magd das nicht besorgen?«

»Die Magd?« sagte die Frau verlegen wehmüthig lächelnd.

»Nun ja, Herz, oder Einen Deiner Leute – lieber Himmel ich habe Dich ja gar nicht wieder erkannt, als ich Dich traf, so blaß, so abgemagert siehst Du aus – daß wir Dich doch nie fort von uns gelassen hätten. Aber wo ist Dein Mann? – wo Dein Kind? und hier – hier drinnen in dem kleinen Häuschen wohnst Du wirklich Sommer und Winter?«

»Olnitzki ist hinaus auf die Jagd gegangen, aber ich erwarte ihn heute zurück, und mein armer kleiner Oscar schläft – es war recht schwer, recht schwer krank, das Kind. – «

»Ich hörte es schon am Weg« sagte Amalie – »aber Du erwartest Deinen Mann heute von der Jagd zurück? – bleibt er denn da über Nacht auch aus?«

»Selten, aber doch wohl manches Mal.«

»Und läßt Dich mit den Leuten hier ganz allein?«

»Mit den Leuten, Amalie?« sagte die Schwester leise und mit einem halb verlegenen halb schmerzlichen Lächeln zu ihr aufschauend – »wir leben hier einfacher als Ihr daheim zu glauben scheint. Der Wald erzeugt wenig Bedürfnisse, und den wenigen zu begegnen sind wir selbst genug – wir halten keine Leute.«

»Keine Leute für das Feld?« rief Amalie erstaunt – »und Dein Mann bestellt das Alles allein?«

»In der Arbeitszeit nimmt er sich manchmal einen Mann herüber ihm zu helfen« sagte die Frau – »aber komm Amalie, komm in das Haus; die Herbstsonne sengt Dir noch die Haut, und Du wirst müde von der Reise sein; auch mußt Du mir erzählen wie und mit wem Du hierher gekommen, mitten auf oakland grove allein und ordentlich aus dem Boden herausgewachsen. Wie ich Dich so da vor mir stehen sah, glaubt ich wahrhaftig erst, ich sähe Deinen Geist – aber Du wirst Dir Dein Kleid verderben, hier bei uns.«

»Warum verderben?« lachte Amalie unter zurückgehaltenen Thränen vor, als sie die dünne, fast durchsichtige Hand der Schwester faßte und ihren Arm um ihre Schulter legte, sie zum Haus zu führen, »und wenn es wäre, ist es ja doch für die Reise bestimmt.«

Sie hatten sich indeß der Thür genähert, und Sidonie streckte den Arm aus sie zu öffnen – aber der Arm zitterte, zögerte, und der Schwester Hand ergreifend und sie plötzlich fest, fast krampfhaft in die ihre pressend, sagte sie mit wie von innerer Bewegung erstickter hastiger Stimme:

»Amalie – meine Heimath ist nicht das was Du, trotz des ärmlichen Aussehns zu erwarten scheinst – wir leben einfach – fast ärmlich, wie der geringste Waldbewohner im weiten Reich – Du wirst – Du wirst Dich nicht wohl hier bei uns fühlen – kannst es nicht, denn der Abstand aus dem Leben das Du gerade frisch verlassen ist zu groß – zu – furchtbar – für Dich heißt das nur – für den nicht daran Gewöhnten, während wir es nicht besser wissen nicht besser – verlangen.«

»Sidonie, um des Heilands Willen, was ist hier vorgegangen?« rief Amalie in Todesangst, »was verheimlichst Du mir? was soll die Vorbereitung jetzt bedeuten?«

»Nichts, Amalie« sagte die Frau jetzt schon gefaßter, »als Dich eben, wie Du es nennst, vorbereiten, auf ein wildes, ungewohntes, und wie Du es ja in Deinen Briefen mir so oft beneidet, ein – romantisches Leben. Schrick aber nicht davor zurück – unter der rauhen Außenschaale birgt es doch noch oft den süßen Kern, und hunderte von Familien leben hier im Wald gerad' wie wir, und glücklich – und zufrieden.«

»Aber Du?«

»Ich gehöre zu ihnen« sagte die Frau leise – »bin eine von den ihren und – wenn mir mein Kind erhalten wird – verlange ich nicht mehr.«

Ihre Sprache war dabei fast zu einem Flüstern herabgesunken, aber ein schwacher Schrei im Inneren machte ihrem Zögern rasch ein Ende. Das kranke Kind war erwacht und die Mutter, der Schwester kaum noch gedenkend, stieß hastig die aus gespaltenen Bretern roh zusammengesetzte Thür auf, zu dem Liebling zu eilen. Über dessen Lager gebeugt, und welch ärmliches Bettchen war es für den Grafensohn, ließ sie die Schwester auf der Schwelle stehn, und Amaliens Blick überflog schaudernd das Innere der ärmlichen Hütte, die ihr, sie mochte sich dagegen stemmen wie sie wollte, gerade mit den Resten mancher Überbleibsel aus früherer, besserer Zeit, nur noch trostloser, leerer, verlassener vorkam, als das ärmlichste Blockhaus, das sie bis jetzt im Wald gesehn.

 

Die Wände waren kahl und überall von den unverstopften Spalten der übereinander gelegten und nur oberflächlich zusammengefügten Stämme durchbrochen; nur wo die beiden schmalen, kaum mit dem nothdürftigsten Bettzeug belegten Betten standen hatte, vielleicht die Hand der Frau, Maisstöcke und Überreste von Kleidungsstücken hineingestopft, unmittelbaren Zug wenigstens von dort her abzuhalten. An der einen Wand hing ein zerbrochener Spiegel von starkem herrlichen Glas, dessen verwitterter, einst reich vergoldet gewesener goldener Rahm durch Streifen Hickorybast zusammengehalten wurde. Dicht daneben war ein roh gespaltenes Bret durch hölzerne Pflöcke in den dicken Eichenstamm befestigt, und neben einem alten Pulverhorn und ein paar nachlässig dahinaufgeworfenen Sporen, neben Blechbechern und alten Kannen und blechernen Tellern, standen einzelne Obertassen mit abgebrochenen Henkeln und ausgebrochenen Stücken, aber vom feinsten vergoldeten und gemalten Severs-Porcellan. Nur über dem Bett der Frau hingen noch zwei Bilder aus der früheren Zeit – die ihrer Eltern – mit unzerbrochenen Gläsern; aber die Feuchtigkeit des Hauses hatte das Papier vergilbt und gefleckt, daß sich kaum noch eine Ähnlichkeit erkennen ließ.

Amalie sah nicht mehr – heißaufquellende Thränen füllten ihr den Blick, und als sich Sidonie von dem Krankenbett des Kindes aufrichtete, die Hand nach ihr ausstreckte und sie zu dem Lager des armen Kleinen zog, der in einem, aus rohen Bretern zusammengenagelten Gestell, aber auf weichem, wohl der Mutter entzogenen Kissen sein Bettchen hatte, da brach die Kraft die sie sich zugetraut in einem wilden Thränenstrom sich Bahn, und neben dem Kinde niedersinkend barg sie ihr Haupt an dem Bett und schluchzte laut.

Sidonie wollte sie aufrichten – wollte sich und den Gatten entschuldigen – wollte lügen daß sie sich glücklich und zufrieden fühle hier in der freilich einsamen, ungewohnten Welt, aber – sie vermochte es nicht mehr. Das Jahrelang ertragene, bestandene Weh, hielt jeden Ton, jedes Wort zurück, und bleich, zitternd, mit thränenlosem stieren Blick stand sie neben der Knieenden und schaute still und regungslos zu Boden.

Hundegebell vor dem Haus und Pferdegestampfe unterbrach die peinlich werdende Stille. Amalie richtete sich rasch und wie erschreckt empor, und auch Sidonie trat zur Thür und öffnete diese, den rückkehrenden Gatten zu begrüßen.

»Hallo the house!« rief dieser schon von weitem die eigene Wohnung an – »heda Dony hupih! komm heraus Schatz und sieh was ich Dir mitgebracht!«

Bis dicht vor die Thür sprengte dabei, von der Hand des Reiters gelenkt, das Thier, bis es mit den Hufen die Schwelle betrat, und mit dem klugen Kopf die Thür zu öffnen suchte, in der jetzt Sidonie erschien, und vor der Nähe des Pferdes erschreckend, angstvoll den Vater bat des eignen Kindes mit dem Lärm zu schonen.

»Ah paperlapapp« lachte aber der Mann, »wird ihm nicht gleich 'was schaden – sieh hier was ich Dir mitgebracht,« und in seinen Armen wand sich, mit den gebundenen Pranten vergebens arbeitend, von den Banden die ihn zusammenschnürten loszukommen, ein junger Bär, und die Hunde heulten und klefften und schnappten am Pferd hinauf, die ihnen vorenthaltene Beute zu ergreifen und zu zerreißen.

»Ruhe Ihr Bestien!« lachte dabei der Jäger vom Pferd herunter, »Ruhe und nieder mit Euch Canaillen – Dony, nimm einmal ein paar Brände heraus und wirf sie zwischen die Satansthiere, sie ziehen mich sonst wahrhaftig noch vom Pferd hinunter. – Zurück mit Euch Watch und Bull – warte Bestie, wenn ich hinunter komme dreh ich Dir den Hals um für den Biß.«

»Das Kind ist kränker geworden als es war, Olnitzki,« bat die Frau – »geh nur wenigstens mit dem furchtbaren Lärm hier von der Thüre weg; es stirbt mir ja vor Angst und Schreck.«

»Ah bah – das ist zäh und stirbt nicht,« sagte der Mann finster, »sonst wären wir den Jammer lange los,« und hinunter springend vom Pferd, das er sich selber überließ, während er den jungen Bär mit riesiger Kraft in den linken Arm gepreßt hielt, führte er mit dem scharfen Büchsenkolben wohlgezielte Stöße gegen die heranpressenden Hunde, die sie heulend zurücktrieben in sichere Entfernung. Den Gefangenen dann zu Boden werfend, nahm er eine Kette herunter, die an einem der äußeren Balken des Hauses hing, befestigte sie mit einem starken Ledergurt um den Hals des Thieres, das er zu einem der nächsten Bäume trug, schlug das andere Ende der Kette um einen der unteren Äste, und die Banden dann rasch mit dem Messer lösend sprang er zurück und rief lachend.

»So mein Bursche, nun wehre Dich selber Deiner Haut! hupih! Ihr Rüden – hupih – jetzt thut was Ihr könnt.«

Und mit dem Jagdruf warf sich die Meute in toller Wuth gegen den kaum entfesselten jungen Bär, und hätte ihn zerrissen, wäre dieser nicht rasch und gewandt, seine theilweise Freiheit benutzend, an dem Stamm, an den ihn die Kette gefesselt hielt, emporgeklettert, wo er sich dann auf dem untersten Aste festsetzte, und mit zurückgelegten Ohren und fletschenden Zähnen nach den gierig und wild gegen ihn aufspringenden Hunden hinunter hieb.

»Hahahaha, das ist göttlich, das ist kostbar!« schrie und jubelte dabei der Pole, »hupih meine Burschen, hupih! brav Watch, beinah hoch genug, aber der schwarze Bursche theilt auch dafür böse Ohrfeigen aus – hupih – hahahahaha! Aber Wetter noch einmal,« unterbrach er sich dabei, »wie er mich selber da zugerichtet hat – Dony, Dony, da wirst Du tüchtig mit Nadel und Zwirn und Heftpflaster nachhelfen müssen, alle die verschiedenen Risse an Leib und Jacke wieder in Ordnung zu bringen – hallo – wen haben wir hier?«

Der überraschte Ausruf galt der Fremden, die er nicht wieder erkannte, und in seiner Hütte fand als er die Schwelle betrat. »Wie gehts, Madame? weshalb setzen Sie sich nicht? hier ist ja noch ein Stuhl – wohl eine neue Nachbarin von uns?«

»Sie kennen mich nicht mehr, Graf Olnitzki?« sagte Amalie aber auf die englische Anrede in deutscher Sprache – »ist mein Gesicht Ihnen in den zehn Jahren so gänzlich fremd geworden?«

»Alle Wetter!« rief der Pole, überrascht einen Schritt zurücktretend und die Thür hinter sich aufstoßend, mehr Licht in den inneren fensterlosen Raum zu bekommen – »ist das nicht – ist das nicht Fräulein Amalie, meine sehr verehrte Schwägerin? aber zum Teufel, Schwägerin, wo kommen Sie auf einmal her, hier mitten in den Wald hinein? – Nun einerlei, das erzählen Sie mir nachher; jetzt sein Sie uns herzlich willkommen, und machen Sie es sich so bequem wie – nun wie es die Umstände gerade erlauben. Es ist gerade nicht verdammt bequem bei uns, läßt sich aber doch aushalten und genügt für den Wald. Gegen die Indianer leben wir noch immer wie die Fürsten.«

Er hatte ihr dabei die rechte Hand entgegengestreckt, zog sie aber lachend zurück, denn sie war mit Blut bedeckt.

»Um Gottes Willen wie siehst Du aus Olnitzki?« rief aber auch in demselben Augenblick die Frau – »zerrissen und blutig am ganzen Körper; was hast Du gemacht?«

»Du hättest dabei sein sollen Dony,« lachte der Pole, seine Mütze in die Ecke werfend und die ausgestreckten Arme, die Zeugniß des bestandenen Kampfes gaben, von sich haltend. »Wie ich schon auf dem Heimweg, mein altes Jagdunglück verwünschend, bin, und drüben an der brushy slew vorüber halte, sehe ich plötzlich eine alte Bärin mit einem Jungen bei sich, die mir die Hunde vorher auch nicht im mindesten gespürt oder bezeichnet hatten, aus einem kleinen Schilfbruch aufstehn und das Weite suchen. Ja wohl Weite; wir mit einem Hupih und Hurrah hinterher wie die wilde Jagd, und wenn es die Alte auch noch eine Weile ausgehalten hätte, konnte das Junge doch bald nicht mehr fort, und bäumte auf. Hätt' ich schon 'was geschossen gehabt die Zeit, wär's mir nicht eingefallen mit dem Kalbfleisch vorlieb zu nehmen, so aber dacht ich, das Ding auf dem Baum wär' sicherer wie die magere Alte im Busch drin, warf mein Pferd herum, sprang herunter und hätt' es nun bequem niederschießen können, aber so leichte Jagd wär ein Schimpf gewesen, und die Büchse deshalb unter den Baum legend, mit meinem Sattelseil umgehangen, klett're ich hinauf zu dem kratzenden schlagenden Ding, pack' es bei einer Hinterprante und will es eben, während es ein mörderisches Geschrei ausstößt, mit mir hinunterziehn auf ebenen Boden, als ich die Büsche wieder brechen und krachen höre, und straf mich Gott, wie ich mich umsehe kommt die Alte mit zurückgelegten Ohren und weit offenem rothglühenden Rachen – aber zum Donnerwetter Ruhe da Ihr Bestien, man kann ja sein eigen Wort nicht verstehn vor der Teufelsbrut – kommt die Alte wie ein losgelassener Satan wieder durch den Wald gesaust, und auf mich zu. Das Junge loslassen und am Stamm herunter nach meiner Büchse fahren war im Nu geschehn; aber kaum hatte ich Zeit den Hahn zu spannen und zu zielen, als die schnaubende Bestie heran kam wie zehntausend Teufel. Meine Kugel traf sie mitten durchs Herz und die Büchse fortwerfend behielt ich gerade noch Zeit mein Messer aus der Scheide zu reißen als sich die Wüthende, wie unverwundet, auf mich warf, und ich fühlte wie mir Kleider und Haut in Fetzen vom Leibe flogen. Glücklicher Weise dauerte die Geschichte nicht lange; die Kugel wirkte, und die Alte brach todt über mir zusammen; aber nun ging der Spaß mit dem Jungen von vorne los, und ich glaube bei Gott es ist kein handgroßer Platz an meinem ganzen Leib, wo ich nicht einen Riß oder Biß habe, von den Satansthieren. Du wirst mich tüchtig ausflicken müssen Dony.«

Das Kind fing wieder an zu schreien; der Lärm der Hunde draußen ließ es nicht ruhen, und der Mann warf sich indessen, während die Frau nach dem Kleinen sah, erschöpft und blutig wie er war, auf das Bett.

»Nun Fräulein Schwägerin, oder Frau Schwägerin, ich weiß nicht einmal wie man jetzt sagen muß so lange haben wir Nichts von einander gehört, welchem glücklichen Ungefähr verdanken wir diesen Besuch, oder« – er fuhr bei einem ihn plötzlich durchzuckenden Gedanken rasch von dem Lager auf und blickte scharf nach der Frau hinüber – »hat mich Sidonie damit freundlich überraschen wollen?«

»Sidonie wußte so wenig von meiner Ankunft wie Sie, lieber Graf,« sagte Amalie, die mit Entsetzen den versteckten Verdacht in den Worten fühlte, und deren Blicken sich ein Abgrund öffnete.

»Graf?« lachte der Pole aber spöttisch auf – »den Grafen müssen Sie hier weglassen, Fräulein von Seebald; sieht das hier aus wie in einer gräflichen Wohnung? – da, das ist der Rest meiner Vergangenheit,« rief er, während er dort an der Wand hängende baumwollene Frauenkleider zurückschob, und einen alten mit Rost überlaufenen Cavalleriesäbel an Tageslicht brachte – »auch ein prächtiges Symbol,« setzte er mit höhnischer Bitterkeit hinzu, »denn die Lumpen hängen darüber hin, und verstecken die letzten Überbleibsel des Grafen. Wie gefällt es Ihnen bei uns, heh? – hübsch nicht wahr? – romantisch genug, nur ein Bischen zu viel davon. Ja,« setzte er dumpf brütend dazu, während er auf das Bett zurücksank und den Kopf in die Hand stützte, »früher war's Anders – besser vielleicht – vielleicht auch nicht, und ein freies, fröhliches Leben führen wir doch. Aber komm, komm Dony, sieh nur nach dem Leib, der verdammte Bär hat mir doch weh gethan, und ich glaube, ich habe viel Blut verloren, es wird mir so schwach und schwindlich auf einmal.«

Sidonie trat zu dem Bett des Gatten, mit zitternder Hand die blutigen Kleider zu lösen, und nach den Wunden zu sehn, die ihm der Bär im Todeskampf geschlagen, während Amalie, die schon Hut und Tuch abgelegt hatte, zu dem Kind ging und ihm den von der Mutter eingegossenen Trank zu geben suchte. Olnitzki hatte dabei recht gehabt; an Brust und Schultern trug er fast unzählige frische Wunden, keine aber glücklicher Weise tief oder gefährlich, nur alle in das Fleisch hineingerissen, und mit dem Verband schwand auch bald jeder Anfall von Schwäche, den Blutverlust und übermäßige Anstrengung im Halten des jungen, schon ganz kräftigen Bären auf wenige Momente herbeigezogen.

Sidonie bereitete dann rasch etwas zu essen für den erschöpften Gatten sowohl, wie für die Schwester, setzte die Kaffeekanne zum Feuer, und that Kaffee in die Mühle. Früher hätte es Amalie freilich nicht für möglich gehalten daß die Schwester, auf deren Wink sonst zahlreiche Dienstboten lauschten, allein, ohne eine einzige Hülfe einem solchen Leben, solcher Arbeit preisgegeben sei; jetzt kam kein Laut des Staunens noch des Schmerzes mehr über ihre Lippen. Sie sah, sie fühlte was, fürchtete sogar, daß noch mehr geschehen war als sie sah, und nur die Angst erfüllte jetzt ihr Herz, ob da zu helfen – wie da zu helfen sei.

 

Stimmen wurden draußen laut, die Hunde, die sich in etwas beruhigt hatten als der junge Bär seinen sicheren Platz auf dem Baumast nicht mehr verließ, und auf die unter ihm gelagerten Rüden ruhig niederschaute, schlugen wieder an, und Jack Owen's Stimme rief gleich darauf, nach Waldes Art, das Haus an, von den Bewohnern Einen in die Thür zu ziehn.

Olnitzki sprang selber, trotz Sidoniens Bitte sich zu schonen, von seinem Lager auf, zu sehn wer da sei, und blieb verwundert in der Thür stehn, als er die Masse von Sachen, Koffern und Kisten auf die Maulthiere gepackt, vor seiner Wohnung halten sah.

»Hallo Ihr Leute – guten Tag – was bringt Ihr da?« rief er hinaus – »Wetter noch einmal Rosemore, seid Ihr ein wandernder Krämer geworden, der mit seinen Packen im Lande herumzieht, Band und Stecknadeln zu verkaufen? – ah Jack, Ihr führt wohl die Provisionen mit? – nur herein mit Euch, der Kaffee wird gleich fertig sein, und ein heißer Becher voll uns gut thun.«

»Zum Henker noch einmal, Olnitzki, wie seht Ihr denn aus?« sagte Jack Owen, der indeß vom Pferde gestiegen war und das Wildpret auf der Schulter auf ihm zu kam – »wer hat Euch denn so zugerichtet?«

»Der Bursche da und seine Mutter,« lachte der Pole, auf den aufgebäumten jungen Bär deutend, »aber was solls mit dem Wilde?«

»Ihr habt Besuch bekommen,« meinte der Jäger leicht erröthend, »und da ich nicht wußte ob Ihr gerade frisch Fleisch im Hause hättet, wollte ich Euerer Frau das Stück hier, das ich an der Gründorn-Ebene drüben vor einer Stunde etwa geschossen, herüber legen – mir sind die Woche ein paar vor die Büchse gelaufen.«

»Und die Sachen da draußen?«

»Gehören der Dame – Euerer Frau, Schwester, glaub' ich, die gestern von Little Rock mit Billy Jones Geschirr herübergekommen.«

»So? – so ist die Sache? nur herein Ihr Leute – stellt die Geschichten nur indeß da vorne hin, Rosemore; kann Euch wahrhaftig nicht einmal dabei helfen, denn der verdammte Bär hat mir die Arme so zerfetzt, daß sie mir steif und matt zu werden anfangen.«

Der alte Rosemore, der mit Bill Jones und Owens Hülfe die Kisten und Koffer bis zum Haus geschafft, trat jetzt mit diesem hinein, begrüßte die Frauen, frug nach dem kranken Kind, das er sich aufmerksam betrachtete und der Mutter verschiedene Kräuter anrieth, ein Bad daraus zu bereiten, und ließ sich dann von Olnitzki sein Abenteuer mit dem Bär erzählen, wollte aber unter keiner Bedingung mit zum Essen bleiben; er sah wie beengt der Raum schon ohnedieß da war, und weigerte sich auch schon jetzt eine Bezahlung für den Transport der Sachen anzunehmen. Die Maulthiere gehörten nicht ihm, wie er sagte, und er mußte den Eigenthümer erst fragen, was er für den halben Arbeitstag für sie verlange – seinen eigenen Spatziergang verstünde es sich wohl von selbst, daß er den nicht rechnete.

Olnitzki redete den Nachbarn auch eben nicht besonders zu noch zu verweilen, und eine Viertelstunde später trabten diese wieder, auf den indeß ausgeruhten Thieren, der eigenen Heimath zu.

Sidonie hatte indessen der Schwester Hülfe für heute, da sie ja noch nicht bescheid wisse in Haus und Wirthschaft, lächelnd abgelehnt, und Kaffee gemahlen und von dem frischen Fleisch in die Pfanne geschnitten, so daß bald ein recht gutes, nahrhaftes Mahl von Maisbrod und Wildpret, Honig und Kaffee auf dem reinlich gedeckten Tische dampfte. Nur mit Sitzen, wie mit Geschirr und Messer und Gabeln sah es ärmlich aus. Amalie bekam die einzige noch ordentliche Gabel mit dem dazu gehörigen Messer, Olnitzki nahm seinen Genickfänger, mit einer einzinkigen Gabel, das Fleisch, das er schneiden wollte, damit zu halten, und Sidonie benutzte ein ausgeschnittenes Stück Rohr, das allem Anschein nach schon lange diesen Dienst verrichtet, abwechselnd des Gatten Messer dabei gebrauchend. Auch für den Kaffee bekam die Schwester eine der freilich henkellosen Tassen aus der alten Zeit, und wenn die Untertasse auch nicht dazu paßte, trank es sich doch besser daraus wie aus den Blechbechern, die von Olnitzki und seiner Frau benutzt wurden. Aber ein eigenes unheimliches Gefühl bemächtigte sich der Schwester, als sie den breiten Goldrand des zerbrochenen Geschirrs neben der blechernen Schüssel stehen sah, und dann der Zeit gedachte wo sie selber diese Tasse einst der jungen hoffnungsseligen Braut geschenkt.

Das Gespräch bei Tisch war ziemlich einsylbig, und Sidonie selber konnte kaum fünf Minuten hintereinander auf ihrem Platz bleiben, so nahm das kranke Kind sie noch in Anspruch; Olnitzki aber neckte Amalie dabei, daß sie so viel Gepäck mit in den Wald gebracht, wo sie so wenig brauchten, und war dann selber neugierig zu sehen was die Kisten enthielten, als ihm die Schwägerin sagte daß das Meiste darin nur für ihn und seine Frau, wie für sein todtes kleines Kind bestimmt gewesen, dessen Hinscheiden sie nicht einmal erfahren.

Einige Schwierigkeit hatte es für ihn, als das Essen beendet und das Kind in Schlaf gebracht worden, die Kisten mit seinen verwundeten Armen zu öffnen, aber es gelang ihm endlich, und Amalie suchte jetzt im Auspacken die Schwester – ja sich selber zu zerstreuen, denn Manches hatte sie mitgebracht ihr und dem Gatten eine Freude zu machen. Aber, lieber Gott, bei der Auswahl der Dinge war es ihnen daheim freilich nicht eingefallen die Lieben in dem fernen Lande sich in solchen Verhältnissen zu denken, als sie dieselben jetzt gefunden, und wunderlich nahmen sich die prachtvollen Stickereien von Cigarrentasche und Lesepult, Briefmappe und Taschenbuch, die Spitzenhauben und Glacéhandschuh, das kleine reizende Dejeuner vom feinsten gemalten Porcellan, das auf seinen Kannen und Tassen Landschaftsscenen aus Sidoniens Heimath trug, die reich verzierte Lampe, die niedlichen gestickten Pantoffeln, und alle die anderen unendlich geschmackvoll und elegant gewählten Sachen in der ärmlich wilden Hütte aus, die ihr graues Bretdach über sie spannte.

Sidonie saß mit gefalteten Händen still daneben, und wagte kaum die Gegenstände zu berühren, während sie Olnitzki langsam eins nach dem anderen in die Hand nahm, lächelnd herüber und hinüber drehte, und dann auf den, zu dem Zweck abgeräumten Tisch hinstellte.

»Hahahaha,« brach er endlich in einem wilden, unnatürlichen Humor heraus, »wie die Burschen, unsere ungeschlachten Nachbarn schauen sollen, wenn sie die wunderlichen »fixins« zum ersten Male sehn, wie sie staunen und sich den Kopf zerbrechen werden, zu was dieß und das, und jenes da bestimmt ist – hab' ich's doch selber fast vergessen« – setzte er leise, und unheimlich dabei lachend hinzu. – »Und wie prächtig das Dejeuner zu dem alten Blechtopf paßt, und die Glacéhandschuh hier zu den Fäusten; Schwägerin, Schwägerin, ich fürchte Sie haben da viel Geld nutzlos verschwendet, und uns nur Illustrationen zu dem Bilde mitgebracht, wie Sie sich, trotz allen unseren Schilderungen vom Gegentheil, unser Wald- und Jägerleben hier eigentlich ausgemalt. Es fehlte jetzt nur noch ein Kronleuchter – erinnerst Du Dich noch, Sidonie, wie so ein Ding aussieht? – unseren Salon würdig zu schmücken.«

»Aber Sie wollen doch nicht immer ein solches Leben fortführen, Olnitzki?« sagte Amalie mit vor Angst und innerer Aufregung fast erstickter Stimme – »wenn auch Ihr kräftiger Körper solche Entbehrungen leicht erträgt, sehen Sie dagegen wie die Schwester hingewelkt – denken Sie sich das junge lebenslustige glückliche Weib, das sie aus ihrer Eltern Haus mit sich hineinnahmen in die Welt, und sehen Sie jetzt die arme Gattin an.«

9Alle Frauen werden dort so angeredet.