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Nach Amerika! Ein Volksbuch. Vierter Band

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Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Hamann wollte sich noch weigern etwas Schriftliches zu geben, er sah aber auch bald daß er den Burschen nicht anders los würde, und schrieb ihm rasch ein paar Zeilen für den barkeeper auf.

»Danke Sir,« sagte der Ire, das Geschriebene durchbuchstabirend und dann in die Westentasche drückend – »jetzt ist's aber an mir zu traktiren – wollen Sie nicht mit hinunter gehn und eins mit mir trinken?«

»Sie haben doch jetzt Alles was Sie wollen?« sagte Herr Hamann, nun auch endlich ungeduldig werdend.

»Haha, nichts für ungut,« rief aber der Ire, »wenn ein Gentleman den andern traktiren will, ist das eine Höflichkeit und muß auch als solche betrachtet werden; aber never mind – wenn Sie nicht wollen, so viel besser, und nun good bye Gentlemen.« Und die Hände in die Tasche schiebend, während er sich eine seiner Irischen Jigs pfiff, verließ Patrick, mit vollem Grund höchst zufrieden über seinen Erfolg, das Zimmer, und eine Viertelstunde später, mit seinem Bündel unter dem Arm auch das Haus, in dem er sich fast drei Wochen Kost und Logis durch ein paar Tage leichte Arbeit ertrotzt hatte.

»Sie sollten einen Constabler rufen und den Burschen arretiren lassen,« sagte Herr Messerschmidt ärgerlich, wie der Ire das Zimmer verlassen hatte.

»Daß mir die Schufte nachher das Haus oder den Schenkstand demoliren,« knurrte Herr Hamann, »nein der Lump mag laufen, fällt mir vielleicht einmal wieder auf andere Art unter die Hände, aber eine Warnung soll mir's für die Zukunft sein, keine Iren wieder in mein Haus zu nehmen – es ist trunknes, rauflustiges, betrügerisches Volk; da lob' ich mir die Deutschen, die nehmen Vernunft an, und haben vor der Polizei Respekt. Aber lieber Gott, mir ist der Ärger ordentlich in die Glieder geschlagen, und Sie thäten mir einen großen Gefallen, Herr Messerschmidt, wenn Sie mir durch einen der Leute unten ein Glas Wein heraufschickten.«

»Mit Vergnügen,« sagte Herr Messerschmidt, seinen Hut aufgreifend und im Begriff das Zimmer zu verlassen – »apropos Herr Hamann – die Aktien, die Sie im vorigen Jahr gekauft haben, sind ja in den letzten Wochen fabelhaft gestiegen – Sie müssen ein rasendes Geld daran verdient haben.«

»Wenn ich sie hätte behalten können,« entgegnete mürrisch der Wirth, »glauben Sie ich verdiene hier Capitalien zum Hinlegen? – Gott sei's geklagt, meine deutschen Landsleute, mit den Verlusten die ich allein an Auslagen für Proviant und Getränke habe, machen mich, wenn ich noch länger das Geschäft fortsetze, zum Bettler, und bin mehr als je gesonnen, mich ganz zurückzuziehn und es meinem Sohn zu übergeben, dem ewigen Ärger und Skandal zu entgehn. Wäre mit dem thörichten Gesellen nur ein vernünftiges Wort zu reden – bitte den Wein, lieber Herr Messerschmidt.«

»Guten Morgen Herr Hamann.«

»Guten Morgen Herr Messerschmidt« – und der Alte ging mit auf den Rücken gekreuzten Händen und fest und ärgerlich zusammengezogenen Brauen wieder in seinem Zimmer auf und ab, bis der Barkeeper, einen kleinen Präsentirteller in der Hand, auf dem eine Karaffe Rothwein und ein Wasserglas stand, herein kam und dieses auf den Tisch setzte. Hamann sah ihn an, nickte ihm zu daß es gut sei, und setzte seinen Marsch im Zimmer fort, während Jimmy jedoch auf seiner Stelle stehen blieb, und – einer leidigen Gewohnheit nach, einen seiner Finger nach dem anderen abknackte, daß es klang als ob er sich die Glieder vom Leibe bräche.

»Nun was giebt's noch?« sagte Herr Hamann, mürrisch vor ihm stehen bleibend – »was wollen Sie?«

»Verdammt feines Mädchen unten, Sür,« sagte Jimmy, zog die Augenbrauen in die Höhe, und streckte, die Schultern zurückpressend, den Kopf so weit nach vorn, als er nur möglicher Weise konnte.

»Verdammt feines Mädchen?« sagte Herr Hamann erstaunt, »was zum Teufel schiert denn das mich? – sind Sie betrunken?«

Jimmy behielt seine Stellung bei, zog aber den Mund, wie in freundlicher Anerkennung des huldreichen Scherzes, von einem Ohr bis zum andern, ohne übrigens auch nur eine Sylbe weiter zu erwiedern.

»Nun zum Wetter noch einmal, was wollen Sie denn von mir? stehn da und ziehen das Maul breit, als ob Sie eine Schlehe verschluckt hätten; glauben Sie daß ich Zeit habe Ihren Albernheiten zu folgen?«

Wie man, mit einem einzigen Ruck einen Tabacksbeutel zusammen und in zahllose Falten legen kann, so zuckte das Gesicht des eben noch so freundlichen Mannes nach dem Mittelpunkt der zu einer Spitze vorgeschobenen Lippen, von denen sich die Augenbrauen wo möglich noch weiter entfernten, und eine halbe Minute vielleicht in dieser Stellung bleibend sagte er ruhig:

»Setzt Jemand irgend etwas in irgend eine Zeitung, wenn Jemand von irgend etwas nachher nichts wissen will?«

Herr Hamann wollte noch heftiger darauf erwiedern, als ihm plötzlich einfiel daß er allerdings eine Annonce hatte in das deutsche Blatt einrücken lassen, wonach er ein junges deutsches Mädchen suchte, die Aufwartung bei Tisch, das Einschenken des Kaffee und Thee, und die Überwachung seines Geschirrs und seiner Wäsche zu übernehmen. Jimmy aber, als er merkte daß sein Principal jetzt wußte was er wollte, begann wieder seine Fingergelenke zu revidiren und überzuknacken, als ob er sich von der Brauchbarkeit derselben zu überzeugen wünsche.

»Sie bringen Einen noch zur Verzweiflung, mit Ihrem verfluchten Gesichter schneiden und Finger brechen« sagte Herr Hamann aber ungeduldig – »können Sie das nicht gleich, und gerad' heraussagen?«

»Verdammt feines Mädchen unten, Sür!« begann Jimmy wieder, genau wie im Anfang! seine Rede, den Principal vielleicht zu überzeugen daß er eben gar nichts anderes gleich gesagt habe.

»Wird wieder so ein Rüpel mit Holzschuhen sein, wie sich schon ein Dutzend gemeldet hat,« brummte der Alte.

»Venus!« sagte Jimmy, und drohte sich wirklich seine Finger zu verrenken.

»Esel – hätte ich bald gesagt« zischte Herr Hamann zwischen den Zähnen durch und setzte dann lauter hinzu – »und warum schicken Sie mir sie nicht herauf?«

Jimmy hielt darauf eine Antwort für unnöthig, und verschwand blitzschnell durch die noch offene Thür, wenige Minuten später mit der Angemeldeten zurückzukommen, die er aber, da in diesem Augenblick unten nach ihm gerufen wurde, allein oben mit seinem Herrn zurücklassen mußte. Aber, schon in der Thür, drehte er sich noch einmal nach dem jungen, in seiner dunklen einfachen Tracht wirklich bildhübschen Mädchen um, starrte ihr vielleicht eine halbe Minute lang stier in die Augen, und war dann in wenigen Sätzen die Treppe hinunter.

Vor Herrn Hamann indessen, mit, von der Erregung des Augenblicks, der vielleicht über ihr künftiges Schicksal entscheiden sollte, etwas gebleichten Wangen, stand Hedwig Loßenwerder, und sagte mit noch ein wenig zitternder aber bald wieder fest werdender Stimme:

»Sie haben, mein Herr, eine Wirthschafterin für Ihr Hauswesen gesucht, und ich bin gekommen mich Ihnen dafür anzubieten.«

»Hm« sagte Herr Hamann dicht vor dem jungen Mädchen stehen bleibend, und sie so, fest und aufmerksam von Kopf bis zu Füßen betrachtend, daß dem armen Kinde das Blut in Stirn und Schläfe stieg, und es verlegen den Blick zu Boden senkte – »hm – nicht übel, aber – Sie sind zu jung mein Kind – «

»Ich habe in ähnlicher Weise schon drei Jahre in Dienst gestanden« sagte sie leise.

»Drei Jahre? und wie alt sind Sie jetzt?«

»Ich werde im nächsten Monat sechzehn Jahr.«

Hamann schüttelte mit dem Kopf und setzte, die Fremde dabei dann und wann von der Seite ansehend, seine Wanderung im Zimmer wieder fort, während Hedwig indessen still und regungslos stehen blieb, eine entscheidende Antwort des Mannes zu erwarten.

Die letzten Wochen hatten eine große Veränderung in Hedwigs ganzem Äußeren hervorgerufen, und das ängstlich schüchterne, fast kindliche Mädchen, das sie noch an Bord gewesen, war zur ernsten, selbstständigen, selbsthandelnden Jungfrau herangereift, in der kurzen Zeit. Schwere Stunden waren es aber gewesen, die das bewirkt, schwere, herbe Stunden, in denen die selber so unglückliche Clara ihr Alles vertraut, was das eigene Herz bedrückte, von dem ersten Verdacht des Diebstahls an, bis zu dem Augenblick wo sie die Gewißheit in Mark und Seele traf, daß der eigene Gatte der Verbrecher sei, und weit schlimmer und entsetzlicher als ein bloßer feiger Dieb, nicht allein den treuen schuldlosen Diener ihres Vaters, nein auch ihr eignes Glück und Leben kalt und meuchlerisch gemordet habe.

Der Schmerz um den Bruder war damit, wenn nicht aus ihrer Brust gewichen, doch von anderen, mächtigeren Gefühlen die sie früher nie gekannt, abgestumpft, ja fast verdrängt – von einem Gefühle der Bitterkeit gegen die Menschen, die einen armen Unglücklichen kalt und theilnahmlos verderben ließen, ohne sich viel um seine Schuld oder Unschuld zu kümmern, und dem Gemordeten kaum ein einsam verachtetes Plätzchen an der Kirchhofsmauer gönnten; von einem Gefühle des Hasses gegen den Mörder selbst, der frei und ledig, in Glück und Reichthum – der Beute seines Verbrechens – unter Gottes Sonne wandelte. Nur an Clara hing sie mit aller Liebe und Aufopferung, deren ihr warmes, weiches Herz fähig war, nur in Clara sah sie die Leidensschwester – nicht mehr die Gebieterin – die mit ihr, noch stärker fast getroffen und geschlagen worden, und einem Schatten gleich, lag eine dunkle Ahnung, der sie nicht Ausdruck, Form zu geben wußte, auf ihrer Seele, daß der Verstorbene in größerem Schmerz und Weh dahin geschieden, auch von ihr verkannt zu sein.

»Und Sie glauben daß Sie der Sache vorstehen könnten?« – sagte Hamann endlich, wieder vor ihr stehen bleibend und ihr scharf und forschend in's Auge schauend. —

»Ich glaube es« sagte Hedwig, dem Blick fest begegnend.

»Haben Sie Zeugnisse?«

»Ja – hier.«

Der Wirth überlas die Papiere und gab sie ihr zurück.

»Ja, das klingt Alles recht schön« sagte er, »aber ist weit von hier, und irgend ein Thorschreiber oder Bäcker kann das eben so gut geschrieben haben, aber« – setzte er rasch hinzu, als er sah daß sich die Wangen des jungen Mädchens unter dem halben Verdacht tiefer färbten, und sich ihre Gestalt höher emporrichtete – »aber das kann und wird auch wohl Alles in Ordnung sein, nur darauf gehn können wir hier nicht, und müssen selber sehn und prüfen. Sind Sie das zufrieden?«

 

»Ich will eine Woche auf Probe meinen Dienst antreten« sagte Hedwig, »wenn Ihnen das genügt.«

»Das wäre gut« sagte Herr Hamann, leise mit dem Kopfe nickend – »und wie viel Lohn verlangen Sie?«

»Keinen.«

»Ich meine nicht für die Probewoche, sondern überhaupt.«

»Keinen« sagte die Jungfrau fest und entschieden.

»Keinen Lohn?« rief Herr Hamann, überrascht zu ihr aufschauend – »und was sonst dafür? denn um gar Nichts kann ich mir doch nicht gut denken daß Sie arbeiten wollen?«

»Nein« sagte Hedwig mit leiserer Stimme als vorher – »ich verlange vielleicht mehr dafür, als Sie gesonnen sind mir zu bewilligen, könnte aber auch nur unter der Bedingung die Stelle, die ich gewiß zu Ihrer Zufriedenheit ausfüllen würde, annehmen.«

»Und das wäre?«

»Ich habe eine kranke Schwester in der Stadt« sagte Hedwig – »das wenige was wir mitgebracht ist bald verzehrt, und ich suche deshalb einen Dienst, uns Beide zu erhalten, bis meine Schwester wieder zu Kräften gekommen ist. Alles was ich bis dahin für meine Arbeit verlange ist, daß sie mein Zimmer mit mir bewohnen, mein Lager mit mir theilen darf, und die wenige Nahrung erhält die ihr Körper verträgt.«

»Eine Kranke in's Haus nehmen?« sagte Herr Hamann, kopfschüttelnd, »nein Mamsell, das ist eine misliche Sache, davon hat man nur Schererei und Kosten, und darauf kann ich mich nicht einlassen.«

»Sie ist nicht mehr krank,« sagte Hedwig rasch, »nur noch schwach und erschöpft von schwerem doch überstandenen Leiden. Nur Ruhe bedarf sie, keiner Pflege mehr; auch verlange ich nicht daß sie mit an der Wirthstafel ißt; das Wenige was sie braucht würd' ich ihr selber bringen.«

»Wie heißen Sie?« frug Herr Hamann.

»Hedwig. – «

»Und Ihre Schwester?«

»Clara.«

»Mit Zunamen?«

»Loßenwerder« sagte Hedwig, und wie sie den Namen aussprach färbten sich ihr Stirn und Schläfe dunkelroth.

»Clara Loßenwerder?« wiederholte Hamann.

»Ich heiße Hedwig!« sagte das junge Mädchen, und eine eigene, ihr selbst unerklärliche Angst schoß ihr bei der Verbindung jener beiden Namen durch das Herz.

»Ja ja, Hedwig« wiederholte Herr Hamann, sie wieder dabei betrachtend, als ob er ihr mit dem Blick bis in das innerste Herz hineinsehn wollte – »nun ich will Ihnen einmal etwas sagen – Ihr Gesicht gefällt mir, obgleich man danach nicht recht gehn kann, und durch eine hübsche Firma oft genug hinter's Licht geführt wird; aber – wir könnens ja einmal mit einander versuchen. Ich brauche zwar eine derartige Wirthschafterin gerade jetzt nicht mehr so unumgänglich nöthig, und würde auch nur wenig Lohn geben können; vielleicht, wenn wir einander zusagen, ließe sich's aber auch auf die Art einrichten, erst müssen wir jedoch Beide wissen, woran wir miteinander sind; wären Sie das zufrieden?«

»Ich habe nicht mehr verlangt« sagte Hedwig.

»Gut, dann können Sie heute noch anziehn, wenn Sie wollen – aber die Schwester bringen Sie mir noch nicht in's Haus« setzte er rasch hinzu »es ist das mit kranken Leuten eine eigene Sache.«

»Aber darf ich sie in der Woche jeden Tag wenigstens einmal besuchen?« frug Hedwig.

»Zwischen dem Mittag- und Abendessen ist nicht viel Zeit« sagte Herr Hamann, »aber die Abende nach dem Essen, können Sie benutzen wie Sie wollen – also wann kommen Sie?«

»Noch heute Mittag finde ich mich ein« sagte Hedwig, »und hoffe recht von Herzen daß Sie mit mir zufrieden sein werden.«

Sie verließ nach kurzem Abschiedsgruß, aber Trost und Hoffnung im Herzen, das Gemach, während Herr Hamann sich aus der, bis jetzt noch nicht berührten Karaffe ein volles Glas Wein einschenkte, und dann, wieder vollkommen zufrieden mit sich selber, seinen Spatziergang im Zimmer aufnahm.

Für die Besetzung einer solchen Stelle hatte er schon gefürchtet ziemlich beträchtlichen Lohn zahlen zu müssen, denn er konnte sich eine Person dazu nicht aus dem Haufen der Auswanderer heraussuchen, und jetzt war alle Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß er sie durch ein ganz junges hübsches Mädchen, was ihm jedenfalls eine Masse Kostgänger in's Haus ziehn würde, und für wenig mehr als Nichts, für die doppelte Kost von ein paar Frauen, die überdieß nicht viel aßen und gar Nichts tranken, bekommen konnte.

Capitel 4
Verschiedene Beschäftigungen

Vor der Thüre des deutschen Wirthshauses in – street, standen die armen Oldenburger, jeder ein kleines Bündel unter dem Arm, und schauten trübselig und trostlos die Straße hinauf und hinab, die nach Norden und Süden hin in die Welt, die weite Welt hinaus führte. Und immer noch hatten sie nur erst deren Schwelle betreten, immer noch hoben sie zögernd den Fuß, und wagten ihn nicht niederzusetzen, weil er nicht gleich den altgewohnten Boden unter sich fühlte, und während der eine seufzte und den Kopf hängen ließ, kratzte sich der Andere mit der rechten Hand hinter dem Ohr, und zerrieb einen halbgemurmelten Fluch zwischen den fest übereinander gedrückten Zähnen.

»In Amerika können die Bauern in den Kuts-chen fahren« sang da plötzlich eine wohlbekannte Stimme ein nur zu wohlbekanntes, aber schon lange nicht mehr angestimmtes Lied.

»In den Kuts-chen mit Sammet und mit Sa-i-de!« und als sie sich eben nicht freudig überrascht, nach dem Sänger umdrehten, rasselte eben der kleine wunderliche Karren Maulbeeres, von diesem geschoben, an ihnen vorüber, und der Dampf aus der kleinen schmutzigen Pfeife zog in zusammengedrängten kurzen Kräuselwolken, regelmäßig auspuffend wie von einer Diminutiv-Locomotive hinter ihm drein. Übrigens that er gar nicht, als ob er die Oldenburger sähe, und war auch schon an ihnen vorbei, als ihn der Ruf des Einen – »Herr Maulbeere – « erreichte und anhalten machte.

Es ist ein eigenthümliches Gefühl nach einer gewissen Zeit wieder mit früheren Reisegefährten zusammenzutreffen, von denen es sich dabei wunderbarer Weise ganz gleich bleibt, ob man sie gern gehabt unterwegs, oder gar nicht mit ihnen verkehrt hat, vielleicht die ganze Reise über. Was da unterwegs auch mag vorgefallen sein, wie man übereinander gedacht, und sich vielleicht ganz besonders danach gesehnt hat das Schiff verlassen zu können, von solcher Gesellschaft endlich einmal fortzukommen; ein kurzer Aufenthalt an Land, mit dem Fremden, Ungewohnten um sich her, hat das Alles verscheucht, wir haben es vergessen, und begrüßen mit aufrichtiger Freude den früheren Reise- und Leidensgefährten.

»Guten Tag Herr Maulbeere« sagte der eine Oldenburger, der, sein Bündel in der Linken, die paar Schritte hinter ihm hergegangen war und jetzt, neben ihm stehen bleibend, die Rechte nach ihm ausstreckte – »wie gehts hier in Amerika?«

»Hallo« sagte Maulbeere, sein Tragband von den Handgriffen seines Karrens ziehend und, indem er sich aufrichtete, die gebotene Hand, aber noch etwas zögernd annehmend – »hallo Ihr Leute – immer noch zu Fuß? – Donnerwetter, wo sind denn die »Kuts-chen«?«

»Ja Kuts-chen« sagte der Oldenburger in seinem eigenthümlichen Dialekte, »es fährt sich hier was in Kuts-chen – wir sind froh daß wir zu Fuß gehn dürfen – «

»Ich fahre,« sagte Maulbeere mit einem wohlwollenden Seitenblick auf seinen Karren.

»Soweit haben wir's noch nicht einmal gebracht,« sagte der Andere, jetzt ebenfalls hinzutretend, »guten Tag Herr Maulbeere.«

»Guten Morgen meine Herren, guten Morgen; irgend etwas zu schleifen? – Scheeren, Messer, Rasirmesser, Lanzetten, Pflugschaaren, Sensen?« rief Maulbeere, mit einer Geschäftsmiene dabei wieder auf seine Schleifsteine deutend – »stehe zu Diensten und sollen billig bedient werden – sehe mehr auf gute Behandlung, als schlechten Gehalt.«

»Ach lassen Sie das Spaßen, Herr Maulbeere,« meinte der Erste wieder, einen tiefen Seufzer ausstoßend – »die Geschichte hier ist verzweifelt ernsthaft, und wenn man nicht weiß wo man Brod hernehmen soll, ist Einem nicht gerade wie Lachen zu Muthe.«

»Hoho,« sagte Maulbeere, die Augenbrauen in die Höh ziehend, »schon drei Wochen in Amerika und noch kein Brod? – das ist Pech!«

»Ist es Ihnen denn geglückt?«

»Harte Arbeit Schentelmen,« sagte aber der Scheerenschleifer achselzuckend – »sehr harte Arbeit – habe im Sinn die Residenz zu verlassen.«

»Und wo gehn Sie hin?«

»Den Fluß hinauf, versteht sich; werde das Land durchziehn, hier ist wenig zu verdienen. Es giebt eben hier zu viel Mäuler die Brod haben wollen. Apropos, wo sind denn Ihre Frauen?«

»Arbeiten da drin,« sagte der Eine, mit dem Kopf nach dem Haus hinüberzeigend.

»So? – untergebracht?« frug der Scheerenschleifer, »nun da kann man ja gratuliren.«

»Aber kriegen Nichts« sagte der Andere.

»Desto längere Aussicht auf stete Beschäftigung« bemerkte Maulbeere.

»Aber wovon nachher leben?«

»Vielleicht von den großen Rosinen, die Sie früher im Kopf gehabt,« meinte Maulbeere – »ist ein merkwürdiges Land das Amerika; guten Morgen meine Herren!« und mit den Worten tauchte er wieder mit den Ösen seines Tragbands nach den beiden Griffen des Karrens, warf sie in das richtige Gleichgewicht und schob, während ihm die weiße Wolke folgte, rasch die Straße nieder, ohne sich um die beiden Bauern weiter zu bekümmern.

Die nächste Straße rechts einbiegend, die zum Fluß nieder führte, erreichte er dort die sogenannte Flatbootlandung, und das Ufer sah hier kahl, und keineswegs so belebt aus als weiter oben, wo die rauchenden dunklen Schornsteine und oberen Decks der Cajüten, oder die mit ihren wie spinnwebartig durchflochtenen Masten über die hohe, mit Gütern und Waarenballen bedeckte Levée hervorragten. Der Strom hatte in dieser Jahreszeit wenig Wasser, und die niederen flachen Boote schwammen, nur erst bemerkbar wenn man auf die Levée selber trat, tief unter der steilen schmutzigen Bank, mit Tauen an diese befestigt am Ufer. Alligator ähnlich lagen sie dabei in der trüben Fluth, hie und da mit den Vordertheilen auf dem Schlamm, und nur mit schmalen Laufplanken von diesem aus nach trockenem Boden oder Sand hinüberreichend.

Wunderbare Fahrzeuge sind aber diese Flatboats des Mississippi, allem Anschein nach aus den ersten Urzuständen des Schiffsbaues herrührend, und doch noch nicht, weder durch Dampf- noch Segelschiffe aus ihrer Wirksamkeit verdrängt, ja eher mit diesen anwachsend und an Zahl zunehmend.

Ein langes aus derben Planken mit hölzernen Pflöcken zusammengenageltes und mit Werg und Theer dicht gemachtes, vielleicht sieben Fuß tiefes Boot mit vollkommen flachem Boden, das, wenn geladen, fünf bis sechs Fuß im Wasser geht, ist es mit einer Art, vielleicht vier bis fünf Fuß hohem Fachwerk umgeben, und mit zölligen oder halbzölligen Bretern, die in der Mitte etwas gewölbt, quer von einem Bord nach dem andern hinübergebogen sind und ziegelartig übereinander liegen, gedeckt. Diese Boote gehen nur mit der Strömung, wie wir ihnen schon auf dem Mississippi begegnet sind, manchmal gradaus, manchmal über Steuer, nicht selten Meilen weit seitwärts, den Krabben ähnlich, ihre Bahn entlang, hier der Strömung folgend, dort, durch eine Rückströmung gehalten, daß die Leute mit den langen Finnen ähnlichen »sweeps« oder Rudern Stunden lang arbeiten müssen, nur wieder los und in freies Fahrwasser zu kommen. Und wie manches sinkt und verdirbt auf der langen mühseligen, und so oft gefährlichen Bahn; plötzliche Stürme und Unwetter – der Hurricane in Natchez 1841 zerstörte damals 112 in wenigen Meilen Entfernung – im Wasser verborgene Snags, Untiefen und festgeschwemmtes Driftholz sinken manches von ihnen, und man kann immer rechnen, daß kaum drei Viertel der Zahl ihr Ziel erreichen.

So unscheinbar dabei ihr Äußeres ist, so werthvolle Ladungen bergen sie nicht selten in dem rohen unbehülflichen Kasten, die der Führer, wo er einen Markt für seine Waaren zu finden glaubt, oder zuletzt in New-Orleans selber, mit dem Vordertheil an Land schiebt, und seinen, weder Steuer noch Abgaben zahlenden Laden gleich fix und fertig errichtet hat, den er, wenn die Waaren abgesetzt sind, auseinander schlägt und mit verkauft.

Und wie wunderlich sieht es in den Booten selber aus – hier das erste – der Weg ist etwas steil, die schlüpfrige Bank hinunter – birgt in seinem Innern ein buntes Gemisch von Allem, was das Herz eines richtigen Yankees erfreuen könnte, Butter, Schmalz, Kartoffeln, Hühner, Apfelwein und Whiskey, Heu, Zwiebeln, getrocknetes Obst, und Fässer mit Makrelen, Kisten mit Stockfisch und Traubenrosinen, Krachmandeln, Nudeln, Käse, Alles steht bunt und wild durcheinander gepackt, hier in Proben aufgestellt, dort in angerissenen Fässern und Kisten, unter Deck – daneben liegt ein Boot mit eingesalzenem Schweinefleisch von Cincinnati, und das Fett mit dem das Deck beschmiert ist, dampft in der Sonne; dort liegt ein anderes mit Baumwolle von Tennessee, da ein anderes mit Taback von Kentucky geladen; und da strecken Rinder und Schaafe den Kopf aus den offen gelassenen Luftlöchern anderer, und blöken und brüllen ihren Kameraden zu. Die Staaten Arkansas, Missouri, Texas, Tennessee, Kentucky und Illinois senden jährlich wohl dreißig tausend Stück lebendigen Hornviehs nach New-Orleans, und von Ohio werden ebenfalls hunderte solcher »schwimmenden Sauställe« mit ihren grunzenden Bewohnern der »Königin des Südens« zugeführt.

 

Was das für ein Leben ist, zwischen den, einen schauerlich warmen Fettgeruch und Dunst faulenden Obstes und angegangenen Fleisches ausstoßenden Fahrzeugen; wie die Eigenthümer auf der Levée stehn, oder vorn in ihren Booten sitzen, Käufer herbeizurufen, und ihre Waaren dabei ausschreien, die vorzügliche Qualität derselben anpreisend. Dazwischen durch dann das Drängen und Treiben der Arbeiter, die hier ein verkauftes Boot entladen, damit es nachher auseinander geschlagen und in seinen Planken noch verwerthet werden könne, dort eine Parthie aufgekaufter Fässer und Kisten die steile Levée mühselig hinaufschaffen, und von Fett und Schmutz bedeckt unter ihren Lasten keuchen und schwitzen, bis sie die Höhe der Levée erreicht haben, dort sich einen Augenblick die glühende tropfende Stirn abtrocknen, und dann wieder schwanken Schritts niedersteigen, ihr Werk von Neuem zu beginnen.

Maulbeere fuhr mit seinem Schleifkarren, seinem Grundsatz treu keinen Fleck unbesucht zu lassen wo er die Hoffnung hatte etwas verdienen zu können, oben an der Levée hin, dann und wann stehen bleibend, seine schon auswendig gelernten Rufe – no knives, no scissors to grind?11 ertönen zu lassen. Hie und da bekam er auch wirklich zu thun; dort und da schaute ein behaubter Kopf unter einem der niederen Flatboot-Decke vor, eine rauhe Stimme rief ihm ein »stop!« zu, und irgend ein rothwollener Unterrock, oder auch dann und wann ein schlankes hübsches Kind in dem kleidsam eng anschließenden Mieder der Backwoodsfrauen, nur die feinen rosigen Züge von dem unförmlichen Sonnenbonnet fast verhüllt, stieg die Bank zu ihm hinauf, eine widerspenstige Scheere, mit der der Vater oder Gatte so lange Bindfaden geschnitten hatte bis sie jeden weiteren Dienst verweigerte, wieder zu stellen und zu schärfen; oder der Flatbootman selber stieg langsam das Ufer hinan, ein riesiges langes Messer in der Hand, mit dem er Speck und Käse schneiden mußte, und das er auch gern schärfer haben wollte als es war. So lange er seinen Stein dann drehte, daß die hellen blitzenden Funken daraus vorblitzten, drängte sich ein Kreis von neugierigen Müßiggängern, von denen die Levée schwärmt, um ihn her, nicht selten fast mehr von der wunderlichen Gestalt des Mannes selber, als von seiner Arbeit ergötzt, bis er die ihm gebrachten Instrumente in Stand gesetzt, sein Geld dafür eingestrichen und sein Tragband wieder eingehakt hatte, mitten zwischen die Schaar, die ihm lachend Raum gab, mit einem deutschen »bitt' um Verzeihung« hineinzufahren.

An manchen Stellen wurde er übrigens durch die dort aufgestapelten Fässer und Waaren in seiner Bahn aufgehalten, und mußte einen Umweg machen, den Hindernissen aus dem Weg zu kommen. Eben auch war er wieder einer Anzahl fettglänzender und entsetzlicher duftender Porkfässer ausgebogen, als er eine lachende Stimme seinen Namen nennen hörte. Wie er aber stehen blieb und sich überall vergebens nach einem bekannten Gesicht umschaute – denn auf die Arbeitsleute, von denen ein großer Theil gerade Mittag gemacht, während das Ausladen noch nicht wieder begonnen hatte, achtete er gar nicht – rief Einer der Flatboatleute, die zwischen den heraufgerollten Pork- oder Schweinefässern standen, und von der schmutzigen Arbeit und Schweiß und Sonne in ihren kurzen blauen Oberhemden und abgetragenen oder zerdrückten Strohhüten kaum eine Physionomie erkennen ließen, indem er dem Scheerenschleifer freundlich zunickte:

»Aber Herr Maulbeere, kennen Sie mich nicht mehr?«

»Wetter noch einmal,« sagte dieser, seinen Karren niedersetzend und die Gestalt erstaunt von oben bis unten betrachtend, »die Stimme ist mir bekannt und das Gesicht auch, hat wenigstens, wie Herr Schultze sagen würde, eine merkwürdige Ähnlichkeit mit einer Nebelkrähe oder einem Schornsteinfeger.« —

»Habe ich mich denn in den paar Tagen so merkwürdig verändert,« lachte der Mann, seinen Hut abnehmend, unter dem eine Fülle kastanienbraunen lockigen Haares vorfiel, »daß mich ein Reisegefährte und Coyennachbar nicht einmal mehr kennt?«

»Herr Eltrich – so wahr ich lebe,« sagte Maulbeere, jetzt aber wirklich auf das Äußerste erstaunt, »wie um Gottes Willen sehn Sie denn aber aus, und was machen Sie hier in dem Aufzug und bei der Arbeit?«

»Mein Schicksal ist bald erzählt,« sagte der junge Mann mit lachendem Gesicht, aber doch kaum im Stand einen gewaltsam aufsteigenden Seufzer zu unterdrücken – »kaum hier in New-Orleans angekommen ließ ich mir auf leichtsinnig kindische Weise – ich war genug davor gewarnt worden – und von dem Neuen was mich überall umgab beirrt, von dem Neger, der mein sämmtliches Gepäck auf seinem Karren hatte, dieses mit allen unseren Effekten, ein paar Kleinigkeiten die meine Frau in der Hand trug ausgenommen, entführen. Von Allem entblößt, was schon der einzelne Mann, wie viel mehr dann eine Familie zu ihrem Leben braucht, sah ich, wenn ich nicht rasche Anstalt machte Geld zu verdienen, unseren Untergang, oder doch einen Zustand grenzenloser Noth vor Augen. Vergebens lief ich dabei herum in meiner Kunst Beschäftigung zu erhalten – ich konnte mich nicht einmal anständig kleiden, denn es war ja Alles zum Teufel, und mit dem etwas abgerissen aussehenden Menschen wollte sich Niemand einlassen. Wir aber brauchten auch außerdem Brod, die paar Dollar, die ich noch im Vermögen besaß, nahmen schon in der ersten Woche so rasend schnell ab, daß ich mir genau die Zeit berechnen konnte wo wir, wenn nicht irgend etwas geschah das aufzuhalten, auch ohne einen Pfennig dasitzen würden, und ich entschloß mich kurz und gut Arbeit zu suchen und zu nehmen, wo ich sie finden würde. Drei Tage lief ich auch hiernach vergebens herum; der gute Wille that es nicht allein, denn die wieder gesündere Jahreszeit in New-Orleans hatte eine wahre Unmasse von Arbeitern hierher zurückgeworfen, bis ich, eigentlich in letzter Verzweiflung diese Boote besuchend, Arbeit und guten Lohn auf einem von ihnen fand, das seine Leute, Streites halber, den sie mit dem Eigenthümer gehabt, entlassen hatte.«

»Und die Arbeit hier können Sie thun?« sagte Maulbeere, abwechselnd und erstaunt bald die leichte schmächtige Gestalt, und die sonst so feinen, jetzt fettbeschmutzten Hände des jungen Mannes, bald die schweren Pork- und Mehlfässer betrachtend, die um ihn her aufgestapelt lagen.

»Der Mensch kann Alles was er muß,« lachte der junge Mann, »früher hab' ich es freilich selber nicht für möglich gehalten, jetzt aber geht es, und Alles berücksichtigt, sogar vortrefflich, denn ich verdiene, außer der Kost, einen Dollar den Tag, und befinde mich vollkommen wohl und gesund dabei.«

»Und Ihre Frau?«

»Pflegt zu Hause das Kind und weint und lacht, wenn sie mich in diesem Aufzug ankommen sieht – ich habe sie aber noch nicht bewegen können, einmal mit dem Kleinen hier herunterzukommen und unserer Arbeit zuzusehen – sie meint es bräche ihr das Herz.« —

»Bah,« sagte Maulbeere kopfschüttelnd, »wenn Sie sich nicht den Rücken bei den verdammt schweren Fässern brechen, glaube ich nicht daß Gefahr für ihrer Frau Herz zu fürchten ist, aber – was Leichteres wäre mir doch auch lieber – ich weiß nicht, den Begriff Amerika habe ich mir anders gedacht, als Fässer gepökelten Schweinefleisches bergauf zu kullern.«

11Keine Messer, keine Scheeren zu schleifen?