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Pfarre und Schule. Dritter Band.

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Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Aber wo blieb er nur? – Die Kirche war schon so lange aus und Alles dunkel darin – Lieschen trat vor die Thür, ah – jetzt hörte sie das Zuschlagen der schweren Thüre, das Umdrehen der Schlüssel – die langsamen Schritte des Kommenden. Sie senkte das Köpfchen, und seufzte, während sie mit gefalteten Händen in das Zimmer zurückging.

»O wie mag ihm nur jetzt – in diesem Augenblick zu Muthe sein – wir wollen die Lichter anstecken – das wird ihn etwas aufheitern.«

Die Thüre öffnete sich und Hennig trat herein – er sah todtenbleich aus, und trotz der scharfen Kälte draußen standen ihm die großen schweren Schweißtropfen auf der Stirn.

»Herr Du mein Gott und Vater,« rief Lieschen erschreckt über des Mannes Anblick – »wie sehn Sie aus? Sie sind krank, Herr Hennig.«

»Nein, liebes Kind« sagte ruhig der Schulmeister – »nur etwas angegriffen fühl ich mich, vielleicht vom Schreiben gestern Abend – ich bin noch spät aufgeblieben. – Wollen wir nicht den Baum zurecht putzen?«

Lieschen ging auf ihn zu, ergriff mit ihren beiden Händen seine Rechte, und schaute ihm recht fromm und treuherzig in die trüben glanzlosen Augen. Hennig begegnete mit ihm selbst unerklärlicher Ruhe dem Blick, da flüsterte endlich das gute Kind, dem die Wehmuth das Herz zu brechen drohte, und während ihr die hellen Thränen über die Wangen rollten:

»Sie armer – armer Herr Hennig!«

Hennig blickte überrascht zu ihr nieder – er rang nach Fassung – nur jetzt – nur jetzt nicht schwach – aber es war nicht möglich – die menschliche Natur ließ sich bändigen, nicht ertödten, der lang, o so entsetzlich lang enthaltene Schmerz ließ sich, also geweckt, nicht mehr zurückhalten; mit riesiger Kraft brach er sich in's Freie hinaus die Bahn, und der Lehrer war nur im Stande sich rasch abzuwenden und das Zimmer zu verlassen.

O wie lang, wie entsetzlich lang mußten heute die armen, armen Kleinen oben in dem kalten dunkeln Dachkämmerchen sitzen und friern und warten – aber keins murrte – Du lieber Gott, es galt ja eine Bescheerung für sie – eine Bescheerung, wo sie wußten, daß ihr armer Vater selbst am Nothwendigsten Mangel litt, und doch, doch sollten sie bescheert bekommen – hätten sie da etwa auch noch ungeduldig das gute brave Lieschen, und den lieben Herrn Hennig ärgern und kränken sollen? Keine Klage ließen sie hören, nur dicht zusammengekauert saßen sie in dem Winkelchen, an dem der Schornstein vorbeiführte, und dessen Wand wenigstens nicht so eisig kalt war, als die übrigen. Und dort erzählten sie sich leise flüsternd, was sie sich alles wünschten, auf was sie hofften – dort malten sie sich aus, wie schön, o wie herrlich schön das sein würde, wenn jetzt auf einmal Lieschen von der Treppe aus rief: Kommt Kinder, kommt herunter in die warme Stube – und sie dann jubelnd dem Rufe Folge leisteten, jauchzend vor all den schönen Sachen, die ihnen Herrn Hennigs Güte bescheert, standen, und nachher – o Jemine, Jemine, jedes ein Stückchen kalten Schweinebraten zu seinen Kartoffeln, denn das hatte ihnen Lieschen schon hoch und theuer versprochen, daß sie das bekommen sollten. – Ach wenn es doch alle Tage Weihnachten wäre.

Freilich dauerte es, ehe Lieschen wirklich kam, noch eine recht, recht lange Zeit, aber endlich kam sie doch, und ein glücklicheres kleines Völkchen, und ein sich reicher dünkendes, als des armen Schulmeisters Kinder an dem Abende waren, gab es wohl im ganzen weiten Lande nicht mehr. Auch Hennig, der zu dem etwas verzögerten Anzünden wieder hereinkam, suchte sich, so viel das nur möglicher Weise gehen wollte, in den Spielen der Kinder zu zerstreuen, und der alte Kleinholz lag indessen in seinem Bette in der Ecke, weinte fast ununterbrochen, drückte Hennig wohl zwanzig Mal dankend die Hand, und versicherte eben so oft – er sei in seinem Leben nicht so glücklich gewesen, als heute, da er sich schon wochenlang im Gedanken an diesen Abend, wo er den Kindern doch gar Nichts bieten konnte, abgehärmt habe.

So stillfröhlich die Kinder aber auch in der Schule waren, und mit so genugsamer dankbarer Freude sie die wenigen ihnen bescheerten Gaben empfingen, so toll lärmend, so laut und jubelnd ging's heute in der Pfarre her, wohin der Herr Generalsuperintendent, den ein Unwohlsein an sein Lager fesselte, daß er nicht selbst bei seines Sohnes Ehrentag gegenwärtig sein konnte – eine Masse Spielzeug und Bilderbücher für die Kinder geschickt hatte. Auch Wahlert ließ viel aus der Residenz kommen, und Pastor Scheidler wußte mit den Sachen, die er selbst angeschafft, wirklich gar nicht mehr wohin mit allen Geschenken.

Die Thüren waren, als Wahlert sein etwas bleiches, aber geliebtes, holdes Frauchen aus der Kirche in die Pfarre geleitete, festlich mit Buchsbaum und anderen Immergrünkränzen behangen, und der innere Raum selbst sah wie ein Garten aus, in so herrlicher Farbenpracht glühten hier Camelien, Hyacinthen und Tulpen, die es dem Gärtner nicht wenig Mühe gekostet hatte, in der Kälte unbeschädigt nach Horneck herauszuschaffen.

Und was für andere prachtvolle Geschenke gab es noch da, Schmuck und Seidenkleider, Tücher, Shawls, Handschuhe u. s. w.; und der Baum, es war fast, als ob ein Conditor aus reiner Verzweiflung seinen ganzen Laden darüber ausgeschüttet habe, und Alles nun, zwischen den grünen, mit unzähligen weißen Wachslichtern besteckten Zweigen von blitzendem Zucker und Golde flimmere und funkle.

Und wie lärmten und jubelten die Kinder, und was für einen Spektakel hatten sie schon oben in der besonders für sie geheizten Stube gemacht, als Vater und Schwester so lange, so entsetzlich lange in der Kirche blieben, und sie doch unter jeder Bedingung gleich, und das zwar den Augenblick bescheert haben wollten. Endlich, endlich – »schnell machen, Sophie – schnell machen, oder wir kommen herunter!« riefen sie durch die immer und immer wieder, trotz aller Ermahnungen und Verbote, geöffnete Thür, als sie hörten, wie unten die Hausthüre ging und die so heiß ersehnten Eltern hereintraten.

Jetzt war das Harren und all die Ungeduld vergessen, sie schwammen in einem wahren Freudenmeer, und der prachtvolle Baum – die vielen, vielen herrlichen nie geahnten, nie geträumten Sachen, schienen ihnen eher einem Feentraum, einem Märchen der Tausend und einen Nacht, als der Wirklichkeit anzugehören.

Elf Uhr mochte es etwa sein – Lichterglanz und Jubel, Gläserklirren und Tellergeklapper, Lachen und Singen tönte immer aus den hellerleuchteten, durchwärmten Räumen heraus – und draußen?

Hinter der Pfarre lag der, im Sommer viel von den Hausbewohnern benutzte, jetzt aber natürlich vernachlässigte und einsame Obstgarten. Aus Nordwesten strich der Wind haarscharf über die kahlen Hänge herüber und schüttelte die trockenen laubleeren Zweige. Die Nacht war dunkel wie das Grab, denn leichte Dunstwolken fingen selbst an, die Sterne zu umhüllen, und kein Lichtstrahl fiel in den düsteren Raum, als der, der aus den dicht verhangenen Fenstern, besonders an einer Stelle, wo sich die Gardinen inwendig ein wenig zur Seite geschoben hatten, kam.

Da schritt ein Mann langsam und mit verschränkten Armen durch die kleine offenstehende Pforte, und blieb endlich wenige Schritte entfernt vor dem hellerleuchteten Eckfenster stehen. Drinnen bewegten sich einzelne Schatten an der Gardine vorüber und er forschte mit der gespanntesten Aufmerksamkeit nach den so rasch auftauchenden aber auch eben so rasch wieder verschwindenden Umrissen. Ein paar Mal war es, als ob er sich zu der Stelle niederbeugen wolle, wo der zurückgebogene Vorhang einen Blick in das Innere verstattet hätte, eben so oft trat er aber auch wieder, ohne es auszuführen, davon zurück, und wandte sich endlich, wie von einem plötzlichen Entschluß dazu bestimmt, um den Ort zu verlassen. Noch einmal, an einem hohen Apfelbaume, blieb er stehen, hob wie segnend die Hand gegen das hellerleuchtete Gebäude empor und flüsterte leise:

»Sei glücklich, Sophie, sei glücklich!«

Ein heiseres, halb unterdrücktes Lachen, dicht an seiner Seite, klang wie eine Unheil verkündende Antwort auf den Segensspruch – er fuhr erschreckt zusammen und schaute sich rasch nach der Stelle um, von der es hertönte. Unter dem Apfelbaume und dicht an den knorrigen Stamm desselben geschmiegt, lehnte eine dunkle, festeingehüllte Frauengestalt, und die jetzt hier und da wieder hervortretenden Sterne ließen ihn ein bleiches, geisterhaftes Angesicht erkennen.

»Hahaha« – lachte die Gestalt – »glücklich? – wenn zwei Wesen, wie wir sind, draußen in Frost und Eis mit halberstarrten Gliedern vor den Fenstern stehen und Blut weinen möchten, heißes, quellendes Herzblut? – Wahnsinn – aber wir Beide – wir passen recht gut zu einander.«

»Wir Beide?« sagte Hennig erstaunt – »wer bist denn Du?«

»Eine Braut, die bald Hochzeit machen wird,« lachte die Gestalt wieder, und war im nächsten Augenblicke im Schatten der dahinter befindlichen Hecken verschwunden. Hennig fühlte, wie ihn ein eisiger Schauer durchrieselte, es war fast, als ob er mit einem Wesen gesprochen habe, das dieser Welt gar nicht mehr angehöre. – Die späte Stunde dazu, die scharfe Kälte, in der sich doch wahrlich nicht leicht eine Frau, und noch dazu hier auf dem vom Nordwest bestrichenen Hügel aufhielt. Er schüttelte schweigend mit dem Kopfe, warf noch einen scheuen Blick der Richtung zu, in welcher die Gestalt verschwunden war, einen anderen dorthin, wo in diesem Augenblicke all sein irdisches Glück in jubelnden Toasten, fröhlich zusammenklingenden Gläsern und Glück und Segenswünschen zu Grabe getragen wurde, und schritt dann rasch der eigenen – o wie traurigen, freudlosen Heimath wieder zu.

Siebentes Kapitel
Die Sylvesternacht

Das kleine Dorf Bachstetten lag in einer zwar armen, unfruchtbaren, aber wirklich pittoresken und wild romantischen Gegend. Der Winter war mit seiner rauhen Hand über den zarten Schmuck der Wiesen und Haiden gefahren, und hatte erbarmungslos abgestreift, was er an weichem saftigen Grün gefunden. Nur die dunkelgrünen Kieferstreifen hatten dem tollen Gesellen Trotz geboten, und wie zum gegenseitigen Schutz, schaarten sie sich an den Abhängen einzelner Hügel in dichten festgeschlossenen Gruppen zusammen, und reichten sich treu und brüderlich die stachelbewehrten Arme.

 

Graue Haideflächen deckten die niederen Hügel und wellenförmigen Thäler, und nur hier und da hob sich plötzlich und schroff ein steiler, hochaufragender, moosbewachsener Fels empor, und stand, wie ein starrer, drohender Riese, aufgerichtet zwischen dem anderen regellos umhergestreuten Gestein, das zu seinen Füßen lag. Schneeweiße Birkenstämme stachen dabei gar eigenthümlich und in dunkler Nacht oft unheimlich gegen den düsteren Hintergrund des dunkelgefrorenen Haidekrautes ab, und hier und da gaben einzeln stehende, noch mit hellgelbem Laub bedeckte junge Eichen und weit hinausscheinende rothe Weidenkuppen dem ganzen wilden Landschaftsbild einen gar eigenthümlichen, wunderbaren Farbenschmelz, der durch zahlreiche, hoch aufgeschichtete Torfpyramiden, die auf dem gelben Rasen zerstreut standen, eher erhöht als gestört wurde. Hier und da blitzten kleine trübe Lachen aus dem monotonen Grau der Haide hervor, und weiter oben, am Rand einer Schwarzholzspitze, deren Marken sich weit aus in das Thal hineindehnten, lag das kleine Dorf Bachstetten, mit den neuen ziegelrothen Dächern – denn die alten strohgedeckten Gebäude waren vor einigen Jahren fast sämmtlich ein Raub der Flammen geworden – fast in die Schatten des, sich darum hindrängenden Nadelholzes hineingeschmiegt.

Das Dorf selbst war aber so arm und dürftig, wie die öde unfruchtbare Gegend und Lage es nur machen konnte, und außer einigen wohlhabenden Bauern, die auch den größten Theil der besseren Felder inne hatten, lebten nur Häusler, Holzschnitzer und Strohflechter darin, die auf gar spärliche Weise durch harte und unausgesetzte Arbeit das karge Leben fristeten. In den letzten Jahren hatten es dabei einige der Bewohner möglich gemacht, Haus, Heerd und Feld zu verkaufen, und nach Amerika auszuwandern, und daher kam es, daß einzelne Wohnungen leer und halb verfallen da standen, und – wenn sich wirklich Abmiether dazu fanden, um einen Spottpreis weggegeben wurden.

In ein solches Haus, dessen moosiges Strohdach dicht und schwer auf den niederen Lehmwänden lag, und das noch dazu vom Dorf fast getrennt, wenigstens durch ein kleines Kieferdickicht davon abgeschnitten, versteckt im dichten Nadelholzwalde stand, mag mir der Leser, um ein paar alte Bekannte dort aufzusuchen, auf wenige Minuten folgen.

Das einzige bewohnbare Zimmer im ganzen Haus befand sich unten zu ebener Erde, und die Dielen bildete der nackte hartgestampfte Boden; auf dem war aber, um die Kälte auszuhalten, die von dort herauf sonst emporschlagen mußte, eine dichte Lage von dickem Laub und Fichtennadeln gebreitet worden, und von den Bäumen abgezogenes Moos hielt die Fensterritzen und Thürspalten verstopft. Es stand übrigens ein Ofen im Zimmer, und ein ziemlicher Haufen trockenes Reisig, das neben diesem aufgeschichtet lag, wie die, wenigstens nicht unangenehme Temperatur des Zimmers verrieth, daß die Bewohner der Hütte, so arm sie auch sonst wohl sein mochten, doch noch keinen Mangel an Feuerung litten.

In der einen Ecke stand ein Bettgestell, und auf diesem lag ein Strohsack, ein mit Moos gefülltes Kopfkissen und eine wollene Decke – und auf dem Bett, – wenn ein solches Lager auch wirklich ein Bett genannt werden konnte – saß, die Hände auf der Decke gefaltet, und in stillem wehmüthigen Schweigen nach dem, im gegenüberliegenden Winkel, auf einer Schütte Stroh kauernden Vater hinüberschauend, Marie, des alten Musikanten krankes Kind, und legte sich, als der alte Mann gar keine Notiz von ihr nahm, und ebenfalls mit seinen eigenen trüben Gedanken beschäftigt schien, seufzend wieder auf das harte Kissen zurück.

»Vater,« sagte da, nach einer langen, langen Pause die Tochter, und man konnte ihr anhören, wie schwer ihr das Reden wurde – »Vater – mir wird recht sonderbar zu Muth – ich fühle mich recht unwohl.«

»Möchte auch wissen, wie's anders kommen könnte,« brummte der Alte, »die Nächte draußen in Kälte und Nebel im Walde 'rum zu rennen, und in dem Aufzug – wie willst Du nun singen, wenn wir morgen früh nach Delzig hinüber kommen – heiser wirst Du sein, daß Du keinen Ton aus der Kehle bringst, und wer hat's nachher wieder auszubaden? – Der Alte.«

»Vater,« bat das arme Mädchen.

»Ah was,« knurrte der Alte, »was zu toll ist, ist zu toll; erstlich laß ich alter Esel mich betölpeln, Hals über Kopf, und heimlich, wie ein Dieb mit der Mamsell da von Horneck wegzuziehn, wo wir unser gutes Auskommen hatten, und wo Du in der Pfarre so schönes Geld verdientest – nicht einmal die Miethe hab' ich mir Zeit genommen zu bezahlen, und was wird unsere freundliche Wirthin, die so schon immer voller Gift und Galle stak, von uns denken – und jetzt liegen wir nun hier, Gott weiß, wie lange, auf der Bärenhaut, und haben das Wenige, was Du Dir gespart, denn auch glücklich wieder aufgezehrt. Daß Du Dich aber, wo wir jetzt wieder hinausziehen müssen, schonen solltest, Gott bewahre – den ganzen heiligen Abend rennt die Madam in der Kälte umher, kommt Nachts um zwei Uhr erst wieder halb erfroren zu Hause – fällt nachher um, daß ihr Vater einen Todesschreck davon hat, liegt Stunden lang ohnmächtig, und wundert sich dann auch noch, daß ihr die ganze Woche unwohl und schlecht zu Muthe ist – die Natur wollt' ich sehn, die das anders aushielte und noch dazu bei der Nahrung.«

»Ich glaube es wird kalt hier« sagte auf all diese Vorwürfe mit leiser Stimme das arme Kind – »mich friert.«

»Na ich liege da auch in keinem Schwitzbad« meinte der Alte brummend, stand aber doch langsam auf, und sah nach dem Ofen – »ein Glück, daß uns der Staat die Feuerung liefert« lachte er dabei still vor sich hin, während er die Kohlen zusammenschürte, die Asche bei Seite schob, und ein paar große Stücken Holz auf die wieder erwachende Flamme legte – »das Holz haben ist hier ziemlich bequem im Wald, denn hier in die Spitze, wo überdieß kein Wild mehr steht, kommt der alte Horneckschen Förster wohl gar nicht mehr hinein – und der junge? ja, Du lieber Gott, wo steckt der –

 
Es hatte ein Knabe wohl einen Strauß
Den kämpft' er mit seinem Gegner aus.
Am andren Morgen, o große Noth
Wie war die Haide so blutig roth. –
 

»Hol's der Henker,« brach er plötzlich ab, und sah sich wie scheu im Zimmer um »die Lieder wollen gar nicht mehr aus der Kehle, und es ist mir manchmal, wenn ich anfangen will zu singen als ob –«

Er schwieg, schüttelte sich, als wenn er vor etwas zusammenschaudere, klappte die Ofenthüre zu, und ging brummend wieder zu seinem Platz zurück.

»Als ob? Vater?« sagte Marie leise. –

»Ih laß den Unsinn« lautete die mürrische Antwort, »'s ist mir heut' Abend so unheimlich genug zu Muthe – das ist ein schöner Sylvester heute – hui, wenn das im neuen Jahr so fortgeht, können wir uns gratuliren. Und die Kälte dabei, das friert Stein und Bein draußen, als ob's den Erdboden bis in den Mittelpunkt hinein zu Eis verwandeln wollte. Daß der Teufel ein solches Leben holte – Lieder wollen mir auch gar nicht mehr einfallen. Sonst, wenn ich recht ärgerlich und wild war, sang ich, und machte meinem Grimm dadurch Luft – jetzt geht auch das nicht mehr, und ich muß Alles in mich hineinschlucken.«

»Wie stehts mit dem Gelde, Vater?«

»Wenn ich morgen nicht drüben in Horneck spielen kann, müssen wir Tannenzapfen kauen – sonst gut –« brummte der Alte und suchte sich in eine Art wilden Humors hinein zu bringen. »Ei zum Donnerwetter, was hilft mir das Grillenfangen – wir wollen lustig sein, heut' Abend, kreuzfidel – die Flasche hier ist noch halb voll Korn, da können wir uns einen delikaten Punsch davon brauen – nur heisses Wasser dazu und – ja so, weiter haben wir Nichts – doch was thuts. So – nun koche und nachher wollen wir weiter mit einander sprechen.«

Er war dabei aufgestanden, hatte einen, über seinen Lager hängenden Blechbecher ergriffen, aus dem angebrochenen Krug mit Wasser gefüllt und auf den Ofen gesetzt, dann nahm er die Geige von der Wand, setzte sich auf den Stuhl, der vor dem Bett seiner Tochter stand, und fing an zu stimmen.

»Stört es Dich?« sagte er, als er bald darauf einhielt, und sich nach ihr umschaute – »oder willst Du schlafen?«

Es lag eine Art zärtlicher Besorgniß in dem Ton, mit dem der alte rauhe Mann die Worte sprach, und so ungewohnt kamen sie dem armen Mädchen, daß sie sich, wie sie nur den Klang derselben vernahm, auf eigene Art erregt, gerührt fühlte. – Die Thränen – ein bei ihr gewiß seltener Fall, stürzten ihr mit Blitzesschnelle in die Augen und sie konnte nur leise und lächelnd mit dem Kopfe schütteln.

»Na, dann kann's losgehn« meinte der Vater, präludirte, auf dem jetzt gestimmten Instrumente, einige kurze melodische Sätze und lachte dann – »was Lustiges wollen die Bauern haben, immer 'was Lustiges – wie's auch bei uns im Herzen aussieht, das ist ihnen einerlei – nur 'was Lustiges – ei zum Henker, da habt's denn.«

Und rasch in muntere Weise eingehend, spielte er erst einen Vers aus der Melodie und fiel dann mit seiner, durch die Kälte allerdings etwas belegten, aber immer noch klangvollen Stimme ein:

 
Als ich noch, ein kleiner Knabe,
An dem Hals der Mutter hing,
Noch in toller Kindes-Weise
Schmetterling und Käfer fing;
 
 
Kurz als ich, ein wilder Bube,
Mich noch gerne tragen ließ,
Fragten oft die hübschen Mädchen
Wie der kleine Knabe hieß.
 
 
Und es küßte dann gar zärtlich
Wohl so mancher Rosenmund
Mir das kleine rothe Mäulchen
Mit den Purpurlippen wund.
 
 
Aus der allerfrühsten Jugend
Mich das immer noch verdrießt,
Daß – wenn man so klein und niedlich –
Auch so schrecklich dumm man ist.
 
 
Damals schrie ich Mord und Zeter
Wenn mich Jemand küssen wollt,
Wenn Korallenlippen boten
Mir der Minne süßen Sold.
 
 
Mit den Füßen trat ich schreiend
Nach der schönen Mädchen Schaar
Und zum Küssen ich allein nur
Durch Bonbons zu bringen war.
 
 
Ach wie dumm ich da gewesen
Mir wohl Keiner glauben mag.
Und es reuet mich wahrhaftig,
Denk' ich dran, noch diesen Tag.
 
 
Kämen jetzt doch nur die Mädchen
Böten mir nur einen Kuß,
Ach ich wollt von ihren Lippen
Saugen süßen Ueberfluß;
 
 
Doch jetzt bin ich groß geworden,
Steige alt genug umher
Und die Mädchen – gehn vorüber,
Aber Keine küßt mich mehr.
 

Er setzte die Violine auf seine Knie, und pfiff eine Weile in tiefen Gedanken die Melodie fort.

Marie lag wohl eine halbe Stunde lang schweigend auf ihrem Lager – das Wasser war unter der Zeit heiß geworden – der Musikant brummte wenigstens sehr beifällig darüber, als er endlich aufstand und nachsah, und er nahm jetzt die Kornflasche aus der Ecke, in der er sein Lager hatte, goß eine hinlängliche – aber nicht zu große Quantität – hinzu, rührte die Mischung eine Weile mit einem abgebrochnen Reisig um, ließ sie noch ein Weilchen stehn, und hob sie dann sorgfältig, mit seinem dazu aufgenommenen Rockzipfel vom Ofen herunter auf den Tisch.

Ein blecherner, dortliegender Löffel diente ihm dazu, das Getränk zu kosten, ohne sich an dem heißen Blech die Lippen zu verbrennen, und sein wohlzufriedenes –

»Hol mich der Teufel, das schmeckt gut« war von einem vergnügten Seitenblick auf die Tochter begleitet. »Hier, Marie,« fuhr er dann nach einer Weile, in der er einen Theil des Tranks in ein verwaistes Oberschälchen geschüttet und eine kurze Zeit geblasen hatte fort – »da, koste einmal, das wird Dir auch gut thun, das wärmt durch und durch, und innerliche Wärme ist viel mehr werth, wie äußerliche.«

Die Tochter nahm das Schälchen, trank einen Schluck, nickte ihm lächelnd zu und fiel dann wieder auf ihr Kissen zurück.

»Du bist ja heute recht freundlich« sagte der alte Mann, und blieb zögernd bei dem Bette stehn, – »hast Du noch Schmerzen.«

»Nicht viel mehr, Vater – jetzt gar keine mehr,« lautete die leise Antwort »es wird schon besser – schon ganz gut wieder werden.«

»Ich begreif es nicht, daß Du Dich an den Kerl hängen konntest« brummte der Musikant endlich – »daß der Dich sitzen ließe, war doch – auch ohne all das andere – an den zehn Fingern abzulesen. Er, der Sohn eines Generalsuperintendenten – nimm nur einmal den Titel an – und Du eine gewöhnliche Wirthschafterin – Unsinn so was ist noch gar nicht dagewesen und fällt auch nicht vor. Die größte Dummheit aber ist's, daß Du Dich jetzt noch darüber sorgst und quälst. Du bist doch, weiß es Gott, sonst gescheut genug, um auch das vorhergesehn zu haben.«

 

»Vater« bat das Mädchen.

»Ach was, es ist wahr – wenn Du funfzehn, sechszehn Jahr gewesen wärst, da glaubt man vielleicht solchen Firlefanz. Du aber mit ein und zwanzig – es ist lächerlich.«

»Lächerlich?« rief die Tochter und richtete sich, von der Erregung des Augenblicks hingerissen und mit durch mehr als Fiebergluth gerötheten Wangen hoch auf im Bett – »lächerlich? Hast Du je gehört, was er und wie er zum Volk gesprochen? Hast Du gehört, wie er für die Proletarier, für die arme unterdrückte Classe mit Wort und Schrift gekämpft, und selbst Kerker und Lebensgefahr nicht scheute, sein schönes herrliches Ziel zu verfolgen? – Wenn Du je seine Reden an das versammelte, in athemlosem Schweigen lauschende Volk gehört, wenn Du je mit uns Allen hingerissen gewesen wärst von den mächtig ergreifenden Worten, dem feurigen in wilder Begeisterung auflodernden Feuer des Redners – dann Vater, dann hättest Du, wie ich, geglaubt, daß die Schwüre, die mir der nämliche Mund in heiliger Stunde flüsterte, auch wahr und heilig wären, wie die That, die sie sonst zu edlem Handeln entflammte. Dann Vater hättest Du Dich auch, wie ich, dem süßen Traum hingegeben, das Wesen allein in der weiten großen Welt zu sein, daß diesen Mann, zu dem Tausende und Tausende mit Bewunderung aufschauten, fesseln könnte. O der Gedanke war so schön – so lieb – ich war so – so stolz darin geworden – Vater – Du wolltest mir ja immer einmal erzählen,« brach sie plötzlich ab, »wie Du eigentlich Deine frühere, so glückliche Laufbahn in der Stadt verlassen, und dazu gekommen wärst – Dir auf den Dörfern Dein Brod durch Musiciren zu erarbeiten – jedesmal aber, wenn ich davon angefangen habe, schwiegst Du still, oder sangst wunderliche tolle Lieder und ließest mich nicht mehr zu Worte kommen. Soll ich es heute vielleicht erfahren? – wer weiß was morgen die Zeit bringt – ich fürchte mich fast vor dem neuen Jahr, und doch freu' ich mich darauf.«

»Hm« sagte der alte Musikant, und legte die Violine still neben sich nieder – »Ihr Frauen bleibt Euch doch Alle gleich – Deine Mutter war eben so – wo Ihr einmal etwas heraus zu bekommen habt, gebt Ihr nicht Ruh noch Rast, und haltet keinen Frieden. Ich weiß aber eigentlich gar nicht, weshalb ich Dir die Geschichte nicht hätte erzählen wollen – sie ist einfach und unbedeutend genug – nur das Ende war häßlich – oder ist vielmehr noch häßlich.«

»Und der Anfang?«

»Nun Du weißt doch, daß ich Musikdirector in G. – war, und mein gutes Auskommen hatte – vor zwölf oder dreizehn Jahren aber, wo die Leute verrückt wurden und für lauter alt Klassisches schwärmten und Alles was recht deutsch d. h. verständlich war, mit Nasenrümpfen und über die Achsel ansahen, da kam ich zuerst in Miskredit. Ich hatte alle Achtung vor den todten Meistern und schwärmte besonders für Weber und Mozart, wenn aber etwas Neues, Gutes kam, wollte ich's auch haben, und wollte ihm Achtung verschaffen, und da trat ich zuerst in's Fettnäpfchen mitten hinein. Die ›große Welt‹ wurde wie gesagt aesthetisch – wollte nichts wie Gluck und Sebastian Bach hören – ich opponirte, ein anderer trat gegen mich auf, Cabalen wurden geschmiedet und ich – erlag. Sie schickten mich fort – Du warst damals bei Deiner Tante in Wien und erfuhrst nichts von der ganzen Geschichte, die Alte starb aber – hinterließ ihr ganzes Vermögen einer frommen Stiftung – ihrem im Elend sitzenden Bruder nicht einen rothen Pfennig, und der wurde Musikant.«

»Etwas bin ich wohl auch mit schuld an meiner Lage« nahm der alte Mann endlich, nachdem er den Refrain eines kleinen lustigen Liedes halblaut vor sich hingepfiffen, den Faden seiner Erzählung wieder auf – »aus Mismuth und Aerger, eines protegirten Holzkopfs wegen, der nur an den rechten Stellen zu katzenbuckeln wußte, mein Brod verloren zu haben – ergab ich mich in etwas dem Trunk – Deine Mutter bat mich genug, es nicht zu thun – aber der Wahnsinn hatte sich mir nun einmal in's Hirn gesetzt – das verdammte Saufen blieb nicht mehr Leidenschaft, es wurde zur Krankheit, und ich selber – was ich jetzt bin – Brrrrr – es ekelt mich manchmal, wenn ich mich selber anfassen soll.«

»Aber wo starb die Mutter?« frag mit leiser Stimme Marie.

»Du kamst damals aus glücklichen Verhältnissen, aus Reichthum und Ueberfluß heraus, in unser Elend,« sagte der Vater, ohne auf die an ihn gerichtete Frage zu antworten – »es sah hübsch bei uns aus – wie? – Du warst aber ein braves Mädchen, und suchtest und fandest gleich eine Stelle, wo Du arbeiten, und Deinen Vater unterstützen konntest. Ja – wer einmal Nichts haben soll, dem fällt auch die Butter vom Brod herunter – das ist ein altes Sprichwort, und so wurde es auch bei uns. Na, ich denke, Du hast's ebenfalls erfahren – aber doch wohl noch nicht so arg, wie Deine Mutter – die hat traurige Zeiten mit durchgemacht.«

»Und wo starb sie?« sagte noch einmal das Mädchen.

»Gottes Zorn trieb mich damals unter das Lumpenpack, mit dem ich zwei volle Jahre herumzog – der Trunk hatte mich zum Thier erniedrigt, und ich – war ein recht schlechter Mensch geworden. – Ich weiß – es gab einmal eine Zeit, wo ich – aber Pest und Donner, ich bin ja heut' Abend förmlich wie ein altes Waschweib, und winsele und lamentire, daß es einen Stein erbarmen möchte. – Ei zum Henker, wollen einmal wieder trinken – da vergehen die Grillen, und die Welt bekommt eine ganz andere Farbe. Das verwünschte Bachstetten hab' ich überdieß auf dem Strich, und ich weiß bei Gott nicht, was mich wieder hierher geführt hat, manchmal ist's aber ordentlich, als ob Einen etwas ganz anderes triebe, als der freie Wille, und als ob es eine Art Verhängniß – ah, meinetwegen – 's mag kommen – ich bin fertig.«

»Vater,« sagte die Tochter plötzlich, und berührte seinen Arm – »die Lampe will ausgehen!«

»Die Lampe?« brummte dieser, der den Kopf auf die Brust gesenkt, in eine Art dumpfes Brüten gefallen war – »Unsinn, die brennt hell genug.«

Tiefes Schweigen herrschte in dem kleinen, unheimlichen Raum – draußen schüttelte der Wind die entlaubten Birken, die vor dem Fenster standen, und warf nach einer Weile den Hut in die Stube, den der Alte in die letzte, nicht mit Bretern vernagelte, aber jetzt auch zerbrochene Glasscheibe gesteckt hatte. Meier stand auf, drückte den Hut wieder auf seinen alten Platz, denn der scharfe Luftzug, der durch die Oeffnung hereinpfiff, drohte das Licht zu verlöschen, legte dann einen Stein hinein, und setzte sich wieder auf die Bettkante nieder.

»Vater – mir ist recht wunderlich zu Muthe,« sagte da plötzlich das Mädchen, und versuchte, sich auf ihrem Lager emporzurichten – »ich wollte – ich wollte, er wäre hier.«

»Er? – wer?« knurrte der Alte – »nenn' mir noch einmal den Kerl, und sieh dann, was ich thue – hol' ihn der Böse mit seinen Redensarten und Versprechungen – hätte er eine gehalten, so lägen wir jetzt nicht hier und bliesen Trübsal.«

»Hätt' er nur damals – meinen Brief – gelesen –« flüsterte das Mädchen in abgebrochenen Sätzen, und eine eigenthümliche Unruhe wurde in ihrem ganzen Wesen bemerkbar – ihr Vater achtete nicht darauf, er vertiefte sich mehr und mehr in seinen Gedanken, und horchte nur einmal aufmerksam lauschend auf, als die Thurmuhr draußen langsam und schwerfällig drei Viertel schlug.

»Wie viel Uhr ist das, Vater?«

»Drei Viertel auf zwölf – 's wird gleich Mitternacht sein, und dann – springen wir in's neue Jahr hinein. Beim Himmel, beinahe so ein Sylvester wie vor drei Jahren – und gerade die Stelle wieder – ich muß mir nur noch ein Glas Grog machen – das hilft.«

»Vater!« sagte da das Mädchen mit kaum hörbarer Stimme – »nimm doch – nimm doch den Hut – den Hut wieder aus dem Fenster heraus – es wird – es wird so heiß – so schwül hier.«

Der alte Mann sprang wie von einer Kugel getroffen in die Höhe, sah erst seine Tochter ein paar Secunden mit stieren, fast aus ihren Höhlen drängenden Augen an, sprang dann nach der Lampe, griff diese auf, und hielt sie hoch über seinem Kopf gegen der Tochter Lager, daß der helle Schein des flammenden Dochtes auf die bleichen, geisterhaften Züge des armen Kindes fiel.