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Pfarre und Schule. Dritter Band.

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Elftes Kapitel
Des alten Schulmeisters Lohn

Papa Kleinholz hatte sich in der letzten Zeit recht gut erholt, die reine kalte Luft war ihm vortrefflich bekommen; er befand sich schon wieder wohl genug, stundenlang das Bett zu verlassen, in der Stube herum zu gehn, und dann und wann auch einen kurzen Spatziergang draußen im Freien zu machen; aber die Schwäche, die von der Krankheit zurückblieb, wollte ihn nicht verlassen, und nur auf Lieschens Arm gestützt wurde es ihm möglich, irgend wie aufrecht zu stehn.

Und wäre das anders möglich gewesen? – ließ es sich denken, daß bei solcher Nahrung, wie sie der alte Schullehrer mit den Seinen theilte, der Körper eines schon ohnedieß alterschwachen Greises gekräftigt werden konnte? – Wäre es möglich gewesen, daß diese dünnen wässrigen Gemüse, mit dem spärlichen Fleisch dann und wann die Woche, ersetzen sollten, was ihm Krankheit genommen, und woran so lange, lange Jahre hindurch Sorge und Noth gezehrt und genagt? Kräftige Fleischbrühen, Rindfleisch, gute in Fett geschmorte Gemüse und solche Sachen sollte der Reconvalescent bekommen – das hatte der Arzt, als er zum letzten Mal in der Schule war, gesagt, und dem alten Kleinholz war, als er die Dinge alle nennen hörte, das Wasser im Munde zusammengelaufen – aber wovon jetzt solche Luxusartikel, solche Delicatessen anschaffen? – Du lieber Gott, sie konnten von den paar Thalern, die sie erhielten, und da so viele Medicin gebraucht wurde, nicht einmal das Alles bezahlen, was sie nothwendig brauchten, wovon sie leben und existiren mußten, und gar noch solche extravagante Ausgaben – nein, das ging nicht an. Dem Doctor konnte man aber doch die Verhältnisse nicht so g'rad heraussagen, wie sie waren – Lieschen schämte sich wenigstens der Gemeinde wegen, dem fremden Arzt zu gestehn: wir sind nicht im Stande etwas mehr anzuschaffen, als was wir eben brauchen, um dem Verhungern zu entgehn. – Acht Menschen wollen essen, und diese acht Menschen sollten das von 50 Thalern das ganze Jahr – wären sie das im Stande? – Nein – Schulmeisters Kinder dürfen aber den weisen Generalartikeln nach nicht betteln gehn – stehlen wollen sie nicht – was bleibt ihnen da übrig? –

Hennig that allerdings was in seinen Kräften stand, und mehr, als Tausende an seiner Stelle gethan hätten, er betrachtete seine Kasse als die des alten Lehrers, und aß was er aß, darbte wenn er darbte. Das konnte aber doch auch nicht auf die Länge der Zeit dauern, denn Hennig sollte nicht blos, wie der alte emeritirte Lehrer, vegetiren, er sollte auch lernen, um wieder lehren zu können – er mußte lesen und studieren – um das aber zu thun, hätte er einen Platz dazu und Geld zu Büchern haben müssen, und blieben die Verhältnisse so wie sie jetzt waren, so sah er keine Aussicht, wie ihm das je ermöglicht werden könne. Die Hoffnung lebt aber und stirbt mit uns – Papa Kleinholz hatte sein Bittgesuch um Zulage durch den Herrn Pastor und mit dessen Bevorwortung eingereicht, und das mußte in diesen Tagen wieder zurückkommen, nachher ließe sich, wenn von dieser Seite Hülfe wurde, schon eher ein Abkommen treffen. Daß ein Gesuch, auf solche Art an das Ministerium gebracht, abschläglich beschieden werden könnte, durfte man nicht gut erwarten, daran dachte Vater Kleinholz auch wirklich nicht einmal, denn er war so fest überzeugt, und wußte so genau, er müsse eine Zulage und noch dazu eine ziemlich bedeutende Zulage haben, wenn er nicht effectiv und im wahren Sinne des Worts verhungern sollte, daß er auch nicht glauben konnte, die Regierung, die ja doch von allen Seiten so gerühmt ward, würde es dahin kommen lassen. Einem so rührenden Bericht, wie ihn sicherlich der Herr Pastor Scheidler eingereicht, hätte selbst das frühere Ministerium, das sich sonst nicht gerade gern auf Schulmeisterzulagen einließ, beistimmen müssen, wie viel mehr also solche Männer, die, aus der Wahl des Volkes hervorgegangen, auch für das Volk jetzt wirkten, und bis dahin noch immer gewirkt hatten, wenn sie irgend konnten, und es für nothwendig hielten – und war es hier etwa nicht nothwendig?

Die Entscheidung blieb freilich recht lange – recht entsetzlich lange aus.

»Wenn es ihnen der Herr Pastor nur auch recht ordentlich an's Herz gelegt hat,« seufzte Lieschen oft, nachdem der Vater selbst schon mit seiner Riesengeduld ängstlich geworden war, und die Stunde herbeisehnte, in der er die Heil und Segen bringende Bewilligung seiner Bitte erfüllt sehen sollte. Nach solchem Zweifel richtete sich aber der alte Schulmeister in seinem Stuhle auf, und sagte:

»Laß Du nur den Herrn Pastor gehn, das ist ein ganzer Mann, und weiß, was er zu thun hat – dessen Versprechen habe ich, sein Möglichstes in der Sache zu thun, und was der verspricht, das hält er. Wenn sie mich armen alten Mann, was sie aber nicht thun werden, wirklich abschläglich beschieden – der reiste selbst in die Residenz, und ginge sogar zum Könige, ihm die Sache vorzustellen – ich kenne doch unsern Herrn Pastor.«

Lieschen schüttelte bei solchen Worten immer das Köpfchen, und schaute nachher nur noch viel trüber und trauriger aus, denn das felsenfeste Vertrauen auf den Geistlichen konnte sie, sie mochte sich nun Mühe geben, wie sie wollte, nimmermehr theilen.

So rückte, unter Hoffen und Harren, unter frohen Erwartungen und bangen Zweifeln der Anfang Februar des Jahres 1849 heran, und die Lage des alten emeritirten Lehrers wurde mit jedem Tage trauriger. Seine Schulden in der Apotheke, denn Hennig hatte die eigene Casse schon bis auf den letzten Pfennig erschöpft – wuchsen mit jeder Woche; seine Kräfte nahmen dabei immer mehr und mehr ab, und die dunstige ungesunde Stubenluft – da ihn die strenge Kälte des Januar stets in das Haus und das verschlossene Zimmer gebannt – that wohl auch das ihrige, die zum Aeußersten zerrüttete Constitution des alten Lehrers zu untergraben.

Die Kälte hatte jetzt allerdings nachgelassen, und eine weit mildere Luft kündete, trotz der frühen Jahreszeit, den nahenden Lenz, da kam eines Morgens Hennig mit der freudigen Botschaft zu dem alten Kleinholz herüber, der Pastor habe einen Brief vom hohen Ministerium erhalten und werde am Nachmittag selber herüberkommen.

Einen Brief vom hohen Ministerium – Gott sei Dank, endlich, endlich – so hatte die Noth doch zuletzt ihr Ziel erreicht, und der alte Schullehrer konnte, wenn auch immer noch in seinen Verhältnissen gedrückt, wenigstens ohne Angst vor dem Verhungern der Zukunft entgegensehn. An dem Mittag wurde – denn für diesen Zweck war sie so lange aufgehoben, – die an Weihnachten empfangene zweite Flasche Wein angebrochen, Schulmeister Kleinholz trank ganz wider Erwarten zwei tüchtig volle Gläser davon bis auf die Nagelprobe aus, und war überhaupt heute so munter, so lebenskräftig, daß dem lieben guten Lieschen die hellen Freudenthränen in den Augen standen, wenn sie ihren Vater nur ansah. Nichts desto weniger konnte sie auch eine leise, unbestimmte Angst nicht unterdrücken, wenn sie manchmal an die Folgen dachte, die eine Täuschung – aber das war ja doch nicht möglich, also fort mit den Grillen und Sorgen; ihr alter guter Vater schien ordentlich wieder frisch aufzuleben, und da sollte sie doch wahrlich die Letzte sein, die betrübt und kleinmüthig der Zukunft entgegenschaute.

Der Nachmittag kam, die Schule war aus, die Kinder eben in jugendlichem Uebermuth den steilen Hügel hinunter gesprungen, und Lieschen hatte in aller Eile das Zimmer so weit gelüftet und aufgeräumt, wie möglich, daß ihr Vater wieder herunter konnte und der Herr Pastor nicht in das enge, unfreundliche Bodenkämmerchen hinauf zu klettern brauche.

Liebes unschuldiges Kind, das Du von klein auf gelernt hattest, zu dem geistlichen Vorgesetzten Deines Vaters mit stummer Ehrfurcht aufzuschauen, welche bittere Ironie sprachst Du – unbewußt – in den wenigen Worten »damit der Herr Pastor nicht in das enge, unfreundliche Bodenkämmerchen hinauf zu klettern braucht« – Du schämtest Dich des Platzes, nur des Herrn Pastors wegen, und wolltest ihm gern die Unbequemlichkeit ersparen, jenen unfreundlichen, traurigen Aufenthalt auch nur zu betreten – daß aber Dein armer alter Vater – der Lehrer und Erzieher fast des ganzen Dorfes, in den vier Wänden leben – existiren mußte – daß ihm ein solcher Raum zu seiner bleibenden Wohnung angewiesen worden, während der Geistliche sein behagliches geräumiges, ja kaum halb benutztes von Reben umranktes Haus da drüben stehen hatte, das fiel Dir nicht auf, das fandest Du ganz in der Ordnung – und weshalb? – Ei, das war ja der Herr Pastor, und Dein Vater? – Nur der Schulmeister im Dorfe.

»Der Herr Pastor!« riefen endlich die Kinder, die schon seit peinlichen drei Viertelstunden am Fenster auf der Lauer gestanden, um die Ankunft des ehrwürdigen Herrn voraus zu verkünden, und dem alten Kleinholz flogen in seinem harten, mit Kissen aber sorgfältig ausgestopften Armstuhl, die Glieder wie Espenlaub. Aus tiefgewurzeltem Respect wollte er sich jetzt auch absolut emporrichten, um seinen gütigen Vorgesetzten stehend zu empfangen, das gab aber Hennig unter keiner Bedingung zu. Der alte Mann hätte es übrigens auch gar nicht gekonnt – wie er nur den Versuch machte, sank er gleich wieder kraftlos zurück, und so mußte es denn, »da es der Herr Pastor auch wohl seiner Schwäche zu Gute halten würde,« unterbleiben.

Die Thür ging auf, und der Geistliche trat, von den Bewohnern der Schule freundlich begrüßt, und den Gruß eben so freundlich erwiedernd – o das war sicherlich ein gutes Zeichen – herein. Fast unwillkührlich machte Kleinholz einen neuen Versuch, sich emporzurichten, Hennigs Hand lag aber auf seiner Achsel, und Pastor Scheidler sagte gütig:

»Bleiben Sie sitzen, lieber Kleinholz, bleiben Sie sitzen, was wir mit einander abzumachen haben, können wir Beide sitzend abmachen,« und er ließ sich dankend auf den, ihm von Lieschen schnell herbeigetragenen Stuhl nieder, nahm aber dabei schon ein Packet oder einen großen Brief, den er in der Brieftasche gehabt, heraus, und fuhr fort: »ich will auch gleich zur Sache kommen, und Ihnen mittheilen – denn Herr Hennig wird Ihnen ja wohl schon gesagt haben, daß eine Antwort vom hohen Ministerium eingetroffen ist – was Ihnen dasselbe gnädigst bewilligt hat.«

 

»Bewilligt,« murmelte der alte Mann freudig und leise vor sich hin, und faltete in Dank und Jubel die bleichen, abgezehrten Hände vor der Brust.

»Es ist freilich nicht viel,« fuhr der Herr Pastor, das Papier entfaltend fort, »aber Du lieber Gott, man muß in jetziger gedrückter Zeit selbst mit Wenigem zufrieden sein, und Besseres erwarten, wozu das hohe Ministerium auch gegründete Hoffnung giebt. – Ich will Sie, lieber Kleinholz nicht mit dem Vorlesen des ganzen langen Schreibens, das überdieß nur großentheils allgemeine Bemerkungen über den jetzigen Stand der Schule enthält, ermüden, sondern Ihnen nur das besonders für Sie Wichtigste daraus mittheilen.«

Der alte Schulmeister nickte nur schweigend mit dem Kopf, und schaute, todtenbleich im Gesicht, nach dem Munde des Geistlichen, aus dem ihm jetzt der so lange und heiß ersehnte Spruch des Heils – nur das Fristen seines armen, dürftigen Lebens – ertönen sollte. Auch die Blicke der Uebrigen hingen an den Lippen des Pastors, und dieser begann, nachdem er die Einleitung flüchtig und fast unverständlich vor sich hingemurmelt, dem alten, athemlos lauschenden Lehrer das Rescript des hohen Ministeriums zu eröffnen. Es war auch nicht in dem alten schwülstigen Canzleistyl abgefaßt, also der Inhalt klar und deutlich, aber – leider wenig tröstlich. Das Schreiben sprach sich zuerst in kurzen Worten über den Uebelstand aus, der allerdings in der allzugeringen Besoldung der Schullehrer liege, wie über die nothwendige Abänderung desselben, versicherte aber, in der jetzigen Krisis, wo gerade die Casse so ungemein in Anspruch genommen wäre, und Bittschreiben und Unterstützungsgesuche von allen Seiten und allen Ständen einliefen, bedeutende Gehaltserhöhungen auf eigene Verantwortlichkeit nicht gewähren zu können, ehe die Kammern darüber entschieden haben würden. Nichts desto weniger wollten sie, da es sich hier doch nur um eine »kleine« Unterstützung handle, und der Lehrer alt sei, und wohl eine Erleichterung seiner Ausgaben verdiene, für jetzt, und bis das Pensionsverhältniß der emeritirten Lehrer regulirt sei, eine Gehaltszulage von fünf Thalern jährlich gewähren.

»Fünf Thaler?« unterbrach hier der alte Kleinholz, sich in Todesangst in seinem Stuhle aufrichtend, und immer noch in dem Glauben, er habe falsch gehört, den Geistlichen – »fünf Thaler, sagten Sie, Herr Pastor – nur fünf Thaler soll ich jährlich – das ganze Jahr hindurch, Zulage bekommen?«

»Nicht für immer, lieber Kleinholz,« suchte ihn dieser zu beruhigen – »nicht für immer, nur bis zu der Zeit, wo, wie hier in dem Schreiben steht, die Kammern die Pensionate der Schullehrer festgestellt haben, dann bekommen Sie jedenfalls ziemlich bedeutend mehr – wenigstens die volle Hälfte Ihres Gehaltes – oder doch ziemlich so viel.«

»Fünf Thaler,« stöhnte der alte Mann, und stützte seine Stirn auf die fest und krampfhaft zusammengefalteten Hände, »fünf Thaler auf dreihundert und fünf und sechzig Tage – o Du mein gütiger Gott – Du mein gütiger Gott!«

»Herr Pastor,« nahm hier Hennig, der schweigend und traurig bis jetzt dabei gestanden hatte, das Wort – »dem Ministerium kann die Sache wohl nicht dringend – wohl nicht so, wie sie wirklich ist, vorgestellt sein – Sie erwähnten auch vorhin, daß es sich einem, allem Anschein citirten Ausdruck nach, hier nur um ›eine Kleinigkeit‹ handeln solle. Wenn die Worte in der Eingabe standen, so ist es kaum anders möglich, als daß das Resultat so ausfallen mußte, wie es ausgefallen ist.«

»Mein lieber Herr Hennig,« sagte Pastor Scheidler etwas pikirt – »Sie werden mir doch hoffentlich zutrauen, daß ich weiß, wie eine Eingabe an ein hohes Ministerium gemacht werden muß – es ist nicht die erste gewesen, sollte ich denken, und wird hoffentlich nicht die letzte sein – ich kann mit einem Minister nicht reden und Forderungen an ihn stellen, wie an unseres Gleichen, das werden Sie mir hoffentlich zugeben, denn so weit sind wir doch, Gott sei Dank, noch nicht mit der Emancipation gekommen, daß der Respect ganz verloren gegangen, und die Achtung und Ehrerbietung vergessen wäre, die man seinen Vorgesetzten schuldig ist –«

»Dürfte ich Sie ersuchen, Herr Pastor, mir jene Schrift nur auf wenige Momente zu erlauben; ich möchte sie gern selbst einmal lesen,« sagte Hennig endlich.

Der Pastor zögerte einen Augenblick; es war fast, als ob er den Brief nicht gern aus der Hand gäbe, er konnte das Lesen desselben aber auch nicht gut verweigern, und reichte ihn endlich dem Schulmeister, der damit an das Fenster ging, und sich bald in dessen Inhalt vertiefte.

»Fünf Thaler,« wimmerte da wieder der greise Lehrer, und die hellen Thränen stürzten dem alten Mann jetzt, in nicht mehr zu dämmender Fluth über die eingefallenen Wangen nieder – »und elf Thaler sind wir in der Apotheke schuldig – drei beim Kaufmann, und jeder Tag, den ich noch lebe, muß das vermehren, bis – bis mir die Leute nichts mehr borgen – und dann muß ich armer, alter Mann, der ich sieben und vierzig Jahre das harte Brod eines Dorfschullehrers gegessen – mit meinen Kindern verhungern – o schlagt mich doch lieber todt – schlagt mich lieber gleich todt, daß ich nur von der Erde komme, ich alter unnützer – unglückseliger Dorfschulmeister!«

Und wieder gab er sich, die Gegenwart des Geistlichen fast gar nicht mehr beachtend, seinem ganzen, ungezügelten Schmerze hin, und weinte und schluchzte wie ein Kind. Lieschen, die bis jetzt – erst in gespannter Erwartung, dann in peinlichem Schmerz an seiner Seite gestanden, und immer noch gehofft hatte, in dem starren Angesicht des Geistlichen einen Strahl von Hoffnung zu lesen, der die Unglücksbotschaft, die er brachte, Lügen strafen sollte, bog sich jetzt mit liebender Sorgfalt über den Vater nieder, und suchte den alten verzweifelnden Mann zu trösten.

»Sieh nur, Väterchen,« sagte sie schmeichelnd – »fünf Thaler sind schon eine ganz hübsche Summe, und dann gehe ich hinunter auf das Gut, und nehme den Dienst dort an, der offen ist. Jettchen hier ist allerdings noch klein, kann Dich aber doch auch schon pflegen, und Dir besorgen, was Du brauchst, und Abends komm' ich ein halb Stündchen herauf, und sehe wie Dir's geht.«

»Herr Pastor,« sagte da Hennig plötzlich – »in der Eingabe muß jedenfalls irgend etwas irrthümlich angegeben, oder oben mißverstanden sein. Der Minister sagt hier, daß er sich mit den nothwendigen Unterstützungen, um die er fortwährend angegangen würde, natürlich größtentheils auf ›Familienväter‹ beschränken müßte, und ›Schulmeister Kleinholz scheine keine Familie zu haben.‹ Seine sieben Kinder sind entweder nicht erwähnt, oder übersehen worden; wäre es da nicht besser, Sie, Herr Pastor, setzten vielleicht ein neues Gesuch auf, und schickten es, mit den genaueren Angaben und Einzelheiten noch einmal ein? – Der Fall ist dringend hier – der alte Mann kann ja beim ewigen Gott nicht warten, bis die Kammern über sein Leben oder seinen Tod einen Beschluß gefaßt haben – wir leben gegenwärtig in einer zu wichtigen Zeit – die ruhigen Reformen des inneren Staatslebens werden das Letzte sein, woran man denkt, da es jetzt ja noch das wichtigere Werk, eine Einigung Deutschlands und die Vertheidigung des Vaterlandes gegen äußere Feinde gilt. Eine richtige, einfache Darstellung dieses alten emeritirten Lehrers wird und kann nicht bei dem jetzigen liberalen Ministerium ohne Erfolg bleiben – sie dürfen den alten Mann hier doch wahrhaftig nicht auf dem Stroh verderben lassen. O wenn Sie nur einmal selbst mit dem Herrn Minister sprechen könnten –«

Kleinholz sah, als er den Vorschlag hörte, wie von einem neuen Hoffnungsstrahl durchzuckt, rasch und fragend zu dem Geistlichen auf – sein ohnedieß schon bleiches Angesicht hatte eine fahle, förmliche Todtenfarbe angenommen, und die Augen lagen ihm tief und glanzlos in den Höhlen. Der Pastor aber schüttelte mit dem Kopf –

»Das geht nicht, das geht nicht, Herr Hennig,« sagte er, »zweimal um eine und dieselbe Sache petitioniren, wenn schon gleich beim ersten Mal ein Zugeständniß gemacht wurde, und noch dazu so ganz dicht hintereinander, ist gegen allen Gebrauch, und würde höheren Ortes sehr mißliebig bemerkt werden; und was nun gar eine persönliche Audienz betrifft – ei, wo denken Sie da hin? Wie dürfte ich erstlich die mir anvertraute Gemeinde so lange allein lassen? (in seinen eigenen Angelegenheiten hatte er Horneck schon mehrere Mal, und gleich auf einige Tage verlassen.) Und dann sind die Herren Minister auch so von Besuchen überlaufen, daß ein solcher Schritt für den Mann, der ihn wagte, wohl kaum eine Empfehlung sein möchte. Ueberlassen wir der Zeit auch etwas – das Gesetz über den Gehalt der Schullehrer wird in den Kammerverhandlungen, wie mir schon versichert ist, ziemlich bald, wenn auch nicht gleich in den ersten Wochen, zur Sprache kommen, und nachher findet sich das andere, wenn man dann wieder einmal durch eine neue Petition eine kleine Nachhülfe giebt, von selber.«

»Herr Pastor,« murmelte Kleinholz, und streckte die zitternden Hände nach ihm aus – »Herr Pastor – ich – ich –« seine Worte wurden zu einem dumpfen, unartikulirten Röcheln, er brachte kein verständliches Wort über die Zunge, und nur die Augen sprachen, zehntausendmal deutlicher als es Worte auch vermocht, die kalte lähmende, trostlose Verzweiflung aus, die sich jetzt – da alle, alle Hoffnungen mit einem Schlage vernichtet worden, seiner bemächtigt hatte.

»Lieber Kleinholz,« sagte der Pastor, und suchte so viel Trost- und Mutheinsprechendes in seine Worte zu legen, als ihm das möglich war, »verzagen Sie nicht – es kann noch Alles gut gehn – ich will mich direct an den Vater meines Schwiegersohnes wenden – es ist sehr leicht möglich, daß der im Stande ist, etwas Wesentliches für Sie zu thun; jedenfalls können wir von ihm genau erfahren, welche Schritte am Besten geschehn müssen, um Ihnen sobald als möglich eine Erleichterung zu verschaffen – sind Sie damit einverstanden?«

Kleinholz hielt den Blick noch immer still und stumm auf ihn geheftet, und der ganze Ausdruck seiner Züge schien sich nur in dem einen quälenden Gedanken zu concentriren – »also das sind Deine Versprechungen, das ist die Hülfe, die Du dem armen, bis dahin in den Staub getretenen Schulmeister werden läßt.« Der Pastor, der den vorwurfsvollen Blick aus Augen, die sonst nur in höchster Ehrfurcht und Anhänglichkeit zu ihm aufgeschaut, nicht ertragen konnte, griff fast wie unwillkührlich in die Tasche, nahm einen Thaler heraus, legte diesen, als er in den anderen mehr gesucht, keinen aber mehr gefunden hatte, auf den Tisch, und verließ hastig das Zimmer.

»Das erste Almosen,« stöhnte der alte Lehrer, und sank, sein Gesicht mit den Händen deckend, auf das Kissen, das seine rechte Stuhllehne schützte, nach vorne auf die Stirne nieder. – Hennig faltete erschüttert die Hände, und Lieschen bog sich weinend über den Greis, während die Kinder, der für sie drückenden Gegenwart des Geistlichen jetzt enthoben, laut schluchzend zu dem Vater sprangen, seine Knie umfaßten, und ihn baten, ihr guter, guter Vater zu sein, und sich nicht zu härmen und zu grämen – sie wollten ausgehn und arbeiten, Gänse hüten und Obst bewachen, kurz Alles thun, was in ihren Kräften stand, ebenfalls ihr Brod zu verdienen, und nachher würd' es schon besser – nachher würde es recht gut mit ihnen allen werden.

Vater Kleinholz rührte und regte sich nicht, und der eine Arm sank ihm über die Stuhllehne nieder.

»Lieschen – bitte Lieschen,« sagte Hennig rasch, und trat vor das Mädchen – »holen Sie mir doch ein Glas Wasser – mir ist – mir ist nicht recht wohl.«

Lieschens Blicke hafteten in stierem Entsetzen an der regungslosen Gestalt des Kranken – die Worte, die Hennig zu ihr sprach, hörte sie gar nicht.

»Thun Sie mir die Liebe, gutes Lieschen, und holen Sie mir ein Glas Wasser,« bat Hennig dringender, ergriff ihre Hand, und suchte sie von dem Stuhle fortzuführen.

»Vater!« flüsterte aber in diesem Augenblick mit leiser kaum hörbarer Stimme die Tochter – »Vater!« – Sie sprang, Hennigs Hand zurückstoßend, auf ihn zu, hob seinen Oberkörper empor, warf nur einen einzigen Blick auf die blassen, geisterhaften Züge und stürzte mit lautgellendem Schmerzensruf ohnmächtig zu Boden.

Der alte Schulmeister war todt.