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Pfarre und Schule. Erster Band.

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»Die großen Stücken in den Papierkorb, und die Schnitzelchen in den Ofen,« stöhnte der Pastor und faltete die Hände, »meine kostbaren Citate und Bibelstellen, nach großen und kleinen Papierschnitzeln sortirt – Herr vergieb mir meine Sünde, aber bei dieser Gelegenheit möchte ein frommer Christ doch wahrhaftig aus der Haut fahren – Miene, Miene, Sie hat mir hier einen Streich gespielt, den ich Ihr im Leben nicht vergesse – und meine Predigt – entsetzliche Person, meine Predigt; wenn Sie die auch verbrannt hat, muß Sie mir wahrhaftig morgen, am Tage des Herrn, wieder aus dem Hause.«

Der Pastor konnte schwer überredet werden, sein Suchen vor der Hand aufzugeben, und erst zum Essen hinunter zu kommen, das verlassen und einsam auf dem Tische stand. Glücklicher Weise fand er wenigstens den größten Theil des Vermißten wieder, und die weitere Nachforschung bis nach dem Abendessen verschiebend, hing er Hut und Mantel, da in seiner eigenen Stube kein Zoll breit Raum mehr war, auch nur einen Handschuh abzulegen, draußen vor der Thür auf einen Stuhl von wo sie Sophie, als die Eltern vor ihr her die Treppe hinunter gingen, rasch wegnahm, in ihre Stube legte, die Thüre wieder verschloß, und dann, um keinen weitern Verdacht zu erregen, mit zu Tische ging.

Das Abendgespräch bildete natürlich zuerst das eben angerichtete Scheuerunglück und dann der Entflohene, von dem der Pastor gehört, wie auch, daß er seine eigene Tochter angefallen habe. Diese Anklage des »Unglücklichen« wies aber Sophie bestimmt ab; der Mann sei, wie sie sagte, gerade auf sie zu aus dem Walde getreten, und habe sie wahrscheinlich um etwas bitten wollen, als Anna Schütte, einen wilden Angstschrei ausstoßend, davon gelaufen sei; der dazu kommende Jäger aber wäre jedenfalls viel zu voreilig gewesen, gleich auf einen Menschen zu schießen, von dem er noch nicht einmal wissen konnte, ob er schuldig oder unschuldig sei.

Dagegen eiferte der Pastor, nannte den Entsprungenen einen »Wühler« und »sehr gefährlichen Menschen«, der sich aber auch sonst noch habe viel Schlechtes zu Schulden kommen lassen und schloß mit dem herzlichen Wunsche, daß er seinem Schicksale nicht entgehen und wieder eingefangen werden möge, ehe er etwa gar mehr Unheil anrichte, und andere Menschen in's Verderben führe.

Sophie war von den Erlebnissen des Tages aufgeregt und erschöpft – klagte über heftige Kopfschmerzen und Herzklopfen, und bat die Mutter, Friederiken noch einmal nach dem Doctor hinein schicken zu dürfen, daß er ihr ein Fläschchen von den Tropfen schicke, die ihr früher so gut gethan.

»Ich möchte dem Mädchen aber wohl den Namen aufschreiben,« sagte sie, als sie aufstand, es zu bestellen – »wer weiß, was sie mir sonst ausrichtet.«

»Gewiß, gewiß,« rief der Vater schnell, und zündete sich das Licht wieder an, um die unselige Verwirrung seiner Papiere, so weit das überhaupt noch möglich war, zu heben – »und schreib's ihr ausführlich auf, der ist Alles zuzutrauen; unsere Anna Marie, die heute abzog, hatte das Pulver auch nicht erfunden, aber so dumm, wie diese Hanne, war sie denn doch wahrhaftig nicht – daß sie mir nur nicht wieder über meine Schwelle kommt, so viel sag' ich Euch.«

Und damit verließ er das Gemach und stieg langsam in sein Studierzimmer hinauf.

Eine Viertelstunde später ging das Mädchen in das Dorf zum Doctor, der eben aus der Schenke heim gekommen war. Von diesem erhielt sie ein kleines Fläschchen, das sie auch glücklich zerbrach, ehe sie hundert Schritte weit gegangen war. Unverdrossen kehrte sie aber wieder um, ließ sich dasselbe noch einmal geben, und brachte es diesmal auch wirklich bis vor die Pfarre, wo es jedoch das Schicksal des ersten theilte. Noch einmal umkehren ging nicht an – der Wächter im Dorfe tutete eben zehn, und mit thränenden Augen und Todesangst ging sie zum »Frölen« hinein und klagte ihr Unglück.

Es schadete Nichts, die Kopfschmerzen hatten nachgelassen, aber warum ging das »Frölen« nur nicht zu Bette – da wurde bei Rieken der Kopfschmerz immer gleich wieder gut. – Sophie wollte noch ein Bischen auf dem Sopha sitzen bleiben, die Pferdehaarkissen kühlten ihre Schläfe und thaten ihr wohl. –

»Nu Härr Jeses, do nähm ich mer doch was mit ze Bette,« meinte die Magd.

»Es ist schon gut, Rieke, geh' nur, ich komme auch gleich nach,« sagte des Pastors zitterndes Töchterlein, und barg die fieberglühende Stirn an dem kühlen Polster.

Halb elf Uhr war's und in der Pfarre wachten noch drei Menschen. Der Eine saß zwischen wüsten Bücher- und Papierhaufen, die zu ordnen er an diesem Abende in Verzweiflung aufgegeben, und studierte, von der Außenwelt ganz abgeschlossen, an seiner morgenden, wenigstens stückweis geretteten Predigt. Der Andere stand, die heiße Stirn an die Fensterscheibe gepreßt, oben in der Jungfrau lauschigem Gemach, und zählte in peinlicher Ungeduld die Viertelstunden, wie sie der düstere, links über den Kirchhof hervorragende Thurm langsam und schläfrig zu ihm herüber wimmerte – schaute zu den Wolken auf, die rasch und geisterhaft an den funkelnden Sternbildern vorüber glitten, und horchte mit klopfendem Herzen dem leisesten Geräusch, das aus Garten oder Hofraum zu ihm herauf tönte.

Der Dritte aber, die scheue, angstdurchschauerte bebende Jungfrau, stand, die Hände krampfhaft auf den furchtsam wogenden Busen gefaltet, im kalten Zuge der Hausflur, und harrte in athemloser Erwartung des verlangten Zeichens.

Endlich – endlich wurden draußen leise, vorsichtige Schritte hörbar – dreimal klopfte es an – tick, tick, tick – tick, tick, tick – tick, tick, tick, und leise aber ohne Zögern erwiederte sie die Parole.

Kein Wort wurde gesprochen, rasch nur glitt sie die Treppe hinauf und kehrte nach wenigen Secunden mit einer in einen Mantel gehüllten, den Hut tief in die Augen gedrückten Gestalt wieder zurück.

»Hier, nehmen Sie, und Gott sei mit Ihnen,« flüsterte sie leise, und drückte dem Flüchtenden die kleine Börse, all' ihr Erspartes, in die Hand.

»Sophie,« sagte Wahlert, und eine eigene Rührung überkam sein sonst sanften Regungen nicht leicht zugängliches Herz – »ich weiß nicht – darf ich –«

»Nehmen Sie, die Augenblicke sind kostbar – es ist nur ein Darlehn, das sie mir in glücklicher Zeit zurückerstatten können.«

»Du mitleidsvoller Engel, aber nicht kränken will ich Dich jetzt durch kalte Weigerung – Dank – Dank, tausend Dank und – Lebewohl –«

Leise umfaßte sein Arm die zitternde willenlose Gestalt – er zog sie an sich und ein langer, glühender Kuß brannte auf den bleichen, kalten, unentweihten Lippen der Jungfrau.

Leise entzog sie sich endlich seiner Umarmung.

»Fort – fort –« flüsterte sie – »an jeden Augenblicke kann sich das Verderben hängen.«

Rasch, doch geräuschlos schob sie den schweren Riegel zurück – auch das Schloß wich, und ächzend öffnete sich die Thür – aber der Pastor oben vernahm nicht den Laut, der zu jeder Zeit seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch genommen hätte, tiefbrütend saß er über der schwülstigen Rede, die morgen in vernichtender Kraft von der Kanzel hernieder donnern sollte, und durch den Garten draußen, an der Hecke hin, den schmalen Pfad hinunter auf dem breiten Weg, der in's Dorf führte, und in dieses hinein, bis zu dem kleinen niedrigen, von breitästigen Kastanien beschatteten Häuschen des Doctors schritten rasch und wortlos zwei Männer und verschwanden bald in die, sich augenblicklich wieder hinter ihnen schließende Thür.

In ihrem Kämmerchen aber, das holde thränenfeuchte Angesicht fest, fest in die Kissen hineingeschmiegt, und die Brust nur von dem einen Gedanken, dem einen Bewußtsein tiefen unsäglichen Schmerzes erfüllt, lag die Jungfrau und weinte – weinte, als ob ihr von diesem Augenblicke an alle und jede Freude auf der weiten schönen Gotteswelt abgestorben und gebrochen wäre.

Achtes Kapitel.
Jägers Fritz und Schulmeisters Lieschen

Es war ein freundlicher sonntägiger Frühlingsmorgen, der zweite April im Jahre unseres Herrn 1848, der Himmel spannte sich blau und sonnig über die schöne, blüthengeschmückte Erde, der Wald lag schlummernd unter der leichten, maigrünen Laubdecke, die Lerchen stiegen fröhlich wirbelnd empor aus der schon wogenden Wintersaat, und der Storch stand langbeinig und ernst oben auf dem Kirchendach, ließ sich nicht stören durch den munteren Krähenschwarm, der oben um den Thurmgiebel krächzte, und schaute gar bedächtig in das Dorf hinunter, als ob er selber neugierig wäre zu sehen, wer heute bei dem herrlichen, köstlichen Wetter wohl in die kalte, feuchte, dumpfige Kirche käme, um zu seinem Gott zu beten, und es nicht vorzöge, draußen im Freien, in jeder Blüthenknospe, in jedem zwitschernden, jubelnden Sänger des Waldes und Feldes seinen Schöpfer und Erhalter, seinen liebenden, sorgenden, waltenden Vater zu verehren.

Unten an den Glockensträngen hing eine Schaar jubelnder, ausgelassener Schulkinder, und riß an den hanfenen Seilen, während droben der Klöppel summend und dröhnend gegen seine metallene Hülle schlug, und manche geschäftige Mädchenhand eilte das Mieder rascher zu schnüren, und die bandgeschmückte Haube zu ordnen, manchen breitgeschweiften Hut in die struppige Stirn seines Eigenthümers drückte und ihm das schwarzhäutige Gebetbuch unter den Arm schob.

Und drüben, am dunkelgrünen Rande des Nadelholzes stand ein schlankes, scheues Reh, und lauschte vorsichtig nach den wohl oft gehörten, aber doch unbegriffenen Tönen hinüber; auch der Storch drehte manchmal den Kopf dem summenden Laute zu, als wenn er sehen wollte, ob es der Klöppel oben oder die wilde Jugend unten am ersten überdrüssig würde, und die Lerche jubelte harmonisch in den Klang hinein und hob sich, wie von den schwellenden Tönen getragen, höher und höher; die aber zitterten durch die blaue, weißhauchige Luft, über die thauschweren Blüthen und Halme hin, nach dem Wald hinüber, und dem hehrrauch gefülltem Thal; und in die fernen Schlüchte und Gründe, in die Zweige und Büsche hinein, schmiegte sich der Schall, und der Luftzug trug ihn fort, weiter, immer weiter hin in dem Aethermeer, bis er in blauer Ferne über die Halden, über die Hänge hin verschwamm, und Maiblumen und Veilchen nur noch wie ahnungsvoll und grüßend hinüber nickten, und die perlenschweren Kelche wiegten und schaukelten.

 

Fromme, oder wenigstens pünktliche Kirchengänger zogen die engen Pfade entlang dem Gotteshause zu, rothe gesundwangige Mädchengesichter, die Augen züchtig auf die blankgewichsten Schuhspitzen niedergesenkt, und gebeugte Greise, die schon die Zeit berechneten, wo sie in ihrem schmalen, letzten Haus den Pfad hinauf getragen würden, den sie jetzt noch alterschwach, aber nicht lebensmüde, – denn der junge Lenz pflanzte auch neue Hoffnung in ihre alten Herzen – hinauf wandelten.

Warm und wohlthuend schien die schon hoch über dem fernen Wald stehende Sonne in des Schulmeisters kleines, aber freundliches Gärtchen, das von seines Töchterleins fleißiger Hand gepflegt, der lieben Blumen und Blüthen gar viele und herrliche trieb; Frühtulpen und Narcissen, Veilchen und Aurikeln, Maiglöckchen und Leberblümchen wetteiferten im Farbenschmelz und süßem Duft, und Schulmeisters Töchterchen selber war nicht die unbedeutendste Blume in ihrem lieben, freundlichen Garten.

Niemand wußte das übrigens besser, als Fritz Holke, des Jägers ältester Sohn und Gehülfe, der erst kürzlich seinen Militairdienst beendet hatte, und nun hoffen durfte, in späterer Zeit entweder in seines Vaters Stelle bestätigt zu werden, oder doch irgend einen anderen Posten, der seinen Mann ernährte, zu erhalten. Um aber auf alle Fälle gesichert zu sein, glaubte er nichts Eiligeres zu thun zu haben, als sich nach einer künftigen Hausfrau schon bei Zeiten umzusehen, und seinem Geschmack machte es allerdings Ehre, daß er dazu Schulmeisters Lieschen gewählt. – Ein herzigeres Kind, eine bessere Tochter, ein rechtschaffeneres Mädchen gab es nicht im weiten schönen Land, und was ihr Aussehen betraf, so konnte sie mit den gesundheitfrischen Wangen und den schelmischen Grübchen drinn, den treublauen Augen und der schlanken fast zarten Gestalt, auch den Vergleich mit Mancher aushalten, die sich sonst vielleicht weit schöner und besser dünkte, als eben »Schulmeisters Lieschen.«

Bei Schulmeisters war schon Alles seit Tagesanbruch munter und geschäftig gewesen, und so früh es auch noch an der Zeit sein mochte, liefen doch die Kinder schon gewaschen und angezogen im Hause herum, in der frisch gescheuerten Schulstube, denn diese diente der ganzen Familie zum Aufenthalt, kräuselte sich der klare schneeige Sand, und auf dem Tisch lag ein schloßenweißes Tuch mit dem schwarzen Brod, der kernigen Butter und dem blinkenden Messer darauf, weil der Vater gern, ehe er in die Kirche ging, einen Imbiß nahm. Niemand Anderes als Lieschen hatte das Alles besorgt, jetzt aber schlüpfte das maifrische Kind selber zur Thür hinaus, durch den Garten, und stand bald, von einem Fliederbusch gedeckt in dem kleinen Pförtchen, das auf den in den Wald vorbeilaufenden Pfad hinausführte. Einen grünen Rock hatte sie am Fenster draußen vorbei gehen sehen, und aus dem Fliederbusch streckte sich ihr jetzt mit herzlichem Gruß eine Hand entgegen, und eine freundliche Stimme sagte:

»Guten Morgen, Lieschen, das ist brav von Dir, daß Du zum Morgengruß heraus kömmst, wir sehen uns doch so selten, und es ist Einem den ganzen Tag wohl, wenn man gleich in aller Frühe in ein so liebes Gesichtchen geschaut hat.«

»Guten Morgen, Fritz,« lächelte seine Braut, »aber Du böser Mensch, willst am heil'gen Sonntag, und mit der Flinte in den Wald? Ist das auch recht? – na, wenn Dich der Herr Pastor sähe, der würde ein schönes Gesicht schneiden.«

»Er hat mich gesehen,« lachte der junge Jäger, »ich war erst beim Gerichtsschreiber, wegen des Burschen, den wir gestern verfolgt haben, und mußte nun den Kirchweg herauf. Gewöhnlich ist der Pastor nicht am Fenster, heute aber stand es auf, und er daneben, mit einem Papier in der Hand; er sah auch gerade nach mir herüber. Ei, was schiert das mich – sein Geschäft ist in der Kirche, meines im Walde, und wenn wir Beide dem obliegen, kann sich keiner über den anderen beklagen.«

»Am Sonntage ist aber Deines auch in der Kirche,« sagte Lieschen; »wenn nun Alle so denken wollten, da käme ja weiter kein Mensch zur Predigt, als der Pastor und Schulmeister selber; das wär' eine schöne Kirche.«

Der Jäger lachte bei dem Gedanken, daß der Pastor einmal keinen weiteren Zuhörer hätte, als den Schulmeister, sagte aber, schmeichelnd die Hand streichelnd, die er noch immer in der seinen hielt:

»Laß gut sein, Lieschen, Du hast vielleicht Recht –«

»Nein, nicht vielleicht, ich –«

»Du hast gewiß recht, aber sieh, heute geht's nicht anders; der Strauchdieb, der wehrlose Frauen im Walde anfällt, muß jedenfalls wieder zurückgewechselt sein, und da will ich nur einmal abspüren, wo er hinein ist, denn in dem feuchten Graben kann man jede Fährte genau bestimmen. Geschweißt hat er auch, vielleicht machen wir ihn noch aus, ehe er weiteres Unheil anrichtet.«

»Du lieber Gott, sprichst Du doch da von einem Christenmenschen, als ob es nur ein unvernünftiges wildes Thier wäre.«

»Ei was, ein Schuft, der Frauen anfällt –«

»Aber er hat sie ja gar nicht angefallen – Herr Hennig –«

»Er hat sie nicht angefallen? – ist denn mein Vater nicht gerade dazu gekommen, wie er des Pastors Tochter gefaßt hatte und plündern wollte?«

»Aber laß mich doch nur erst ausreden, Fritz –« rief Lieschen eifrig – »Herr Hennig ist ja auch dabei gewesen, und mit Sophiechen Scheidler nachher nach Hause gegangen, und die muß es denn doch wohl am Besten wissen, ob sie angefallen ist oder nicht.«

»Man sollte es denken,« meinte der Jäger.

»Nun die also – Herr Hennig hat uns die ganze Geschichte gestern Abend bei Tische erzählt – behauptet steif und fest, er hätte sie nicht angefallen, sondern sei nur aus dem Walde auf sie zugetreten, um sie wahrscheinlich nach irgend einem Weg zu fragen, vielleicht auch um etwas anzusprechen, und da habe die Mamsell aus der Stadt gleich Zeter geschrien, Dein Vater aber, der gerade dazu gekommen, Feuer gegeben, als der Fremde, wohl über das Schreien erschreckt, eben in den Wald zurück fliehen wollte.«

»Hm, das klingt freilich anders, als der Vater mir erzählt hat, der meinte –«

»Dein Vater ist aber weit davon entfernt, und Sophiechen dicht dabei gewesen,« vertheidigte das Mädchen ihren Schützling, »die muß es also auch besser gesehen haben, und sie soll recht traurig gewesen sein, daß der arme Mensch so ohne alles Verschulden, vielleicht ihretwegen verwundet ist. Herrn Hennig war's eben so – der hat selber den ganzen Abend kein Wort weiter gesprochen, und wir mußten ihm das, was wir überhaupt von ihm heraus haben wollten, Sylbe bei Sylbe vom Herzen ziehen. – Ich weiß aber wohl warum, so dumm ist unser eines auch nicht.«

»Nun warum denn?« frug der Jäger erstaunt, »der Schulmeister hat doch mit der ganzen Geschichte weiter Nichts zu thun gehabt, als daß er dem Fräulein beigesprungen ist.«

»Ach bist Du blind,« seufzte mit komischem Mitleiden des Schulmeisters Töchterlein, »Hennig ist bis über die Ohren in Pastors Sophie verliebt, und geht nun so traurig herum, weil er die doch im ganzen Leben nicht bekommen kann.«

»Nicht bekommen kann? nun das sehe ich denn doch nicht ein,« sagte der Jäger, »wenn sie ihm wieder gut ist, was sollte sie da Beide hindern, sich zu heirathen?«

»Ein Schulmeister eine Pastorstochter?« entgegnete ihm kopfschüttelnd sein Bräutchen, »das mag wo anders Sitte sein, aber hier zu Lande im Leben nicht. Ach du lieber Gott, unser Herr Pastor seine Tochter einem Schulmeister zur Frau geben – na, ich möchte dabei sein, wenn er um sie anhielte.«

Der Jäger runzelte die Stirn und sagte finster:

»Ich möchte nur wissen, was ein Pastor denn so weit Besseres wäre, wie ein Schulmeister, – wenn Dein Vater uns Jungen nicht ordentlich erzogen und belehrt hätte, da sähe es jetzt wild im Dorfe aus, und der Herr Pastor könnte sich von der Kanzel herunter heiser schreien, es kehrte sich kein Mensch an ihn und seine Predigt. Ich will Dir auch etwas sagen, Lieschen, früher, wie wir uns noch nicht kannten, und wie mir der Schulmeister weiter Nichts war, als ›der Lehrer‹, um den sich die Jungen in späterer Zeit leider immer wenig genug kümmern, da war mir's auch einerlei, was so vom, und wie über den Schulmeister im Dorfe gesprochen wurde; aber schon, wie ich anfing Dir gut zu sein, ehe Du mich nur selber so recht freundlich angesehen hattest, ärgerte es mich, wenn es hier und da bei Gelegenheiten hieß – ›es ist nur der Schulmeister‹, oder ›wenn's der Herr Pastor will, der Schulmeister muß schon –‹, der ›Herr Schulmeister‹ fiel keinem Menschen ein zu sagen. Wie ich erst einmal auf der Spur war, kam ich auch bald weiter – ich dachte d'ran, wie wir Jungen es in der Schule gemacht, und was für Schläge ich einmal zu Hause von meinem Vater bekommen, als ich gegen den Schulmeister mit dem Pastor gedroht; jetzt erst sah ich, wie demüthig der Schulmeister den Herrn Pastor immer grüßte, und wie freundlich herablassend dieser dankte. Ei zum Donnerwetter, was ist denn der Pastor eigentlich besseres als der Schulmeister – daß er den Leuten etwa Sachen vorpredigt, von denen er eben auch nicht mehr weiß, wie wir anderen Menschen?« –

»Fritz – Fritz,« bat hier ernst das Mädchen, – »greif mir meinen Glauben nicht an, über die Menschen magst Du sagen, was Du willst, aber nicht über den.«

»Du hast recht, mein Herz,« sagte der junge Mann leicht besänftigt, »mir that es nur weh, daß auch Ihr selber, Du sowohl, wie Dein alter Vater, den Pastor ebenfalls für etwas Besonderes haltet, und Euch ordentlich vor ihm fürchtet. Doch das muß anders werden; in der Stadt drinn, wo ich vorgestern war, sprachen sie ganz offen davon, daß die Schule von der Kirche getrennt werden, und die Geistlichkeit mit dem Lehramt gleichgestellt werden sollte, nachher hört die Unterthänigkeit von selber auf. Es ist auch gerade so mit der edlen Jägerei – edel, lieber Gott, der Revierjäger wird gewöhnlich von dem gnädigen Herrn wie der Bediente behandelt, und Jäger sind wir fast gar nicht mehr, höchstens noch Forstläufer, die nach den Holzschlägern und Holzdieben sehen, und das Pflanzen der jungen Sprößlinge, wie die Auctionen der geschlagenen Klaftern und Haufen besorgen müssen – mir graust's vor dem Dienste.«

»Aber lieber Fritz,« sagte das Mädchen traurig, »jeder Stand hat doch seine –«

»Lieschen – Lieschen!« rief's in dem Augenblick aus dem Haus – »wo steckt denn das Blitzmädel wieder – Lieschen!«

»Ich muß in die Kirche,« sagte Lieschen rasch – »behüt' Dich Gott, Fritz, und – nicht wahr, wenn Du den armen Menschen im Walde triffst, so thust Du ihm nichts? Er ist gewiß unschuldig und vielleicht gar schwer verwundet.«

»Nummer 6.« lachte Fritz, »und auf 80 oder 90 Schritte, er wird's kaum gespürt haben, – adieu Lieschen, leb recht wohl, heut' Abend, wenn ich darf, komm ich ein halb Stündchen herüber, am Sonntag leidt's schon.«

Ein herzlicher Händedruck, ein flüchtiger halbgestohlener Kuß, und der junge Jägersmann schritt, zur unbändigen Freude seines Hundes, dem die Zeit hier am Gartenzaune schon entsetzlich lang geworden war, rüstig den Pfad entlang dem Holze zu; Lieschen aber schlüpfte rasch in's Haus, und ging bald darauf, züchtig und ehrsam über den kleinen Plan hinüber und in die große Kirchthür hinein, die ihrer Stube gerade gegenüber lag.

Der Vater war mit dem Hülfslehrer schon vorausgegangen, und die feierlichen Klänge der Orgel grüßten sie, als sie in das kleine, mit bunten Bildern, Ernte- und Todtenkränzen und grobgeschnitzten Statuen von Märtyrern und frommen freigebigen Rittern geschmückte Heiligthum trat.

Von dem Hügel aus, auf dem die Schenke stand, konnte man das ganze Rauschenthal nach Westen zu übersehen, und ein lieblicher Anblick war es, den die weite, fruchtbare, nur hie und da mit dunklen Waldschatten durchzogene, und im fernsten Hintergrund von blauen Bergwänden begrenzte Ebene dem Auge bot. Tief unten schäumte der Strom, aber nur da, wo er sich, etwas weiter südlich, in leisem Bogen nach der Försterwohnung hinüberzog, ließ sich ein kleiner Theil seines in der warmen Frühsonne blinkenden Wassers erkennen, sonst deckte theils der baumbepflanzte Hügel, theils die unten angebauten Häuser seine Fläche. Aber drüben, am anderen Ufer, wechselte dafür der Farbenschmuck der frisch keimenden Felder um so freundlicher und belebter; breite Rapsflächen stachen mit ihrem saftigen Grün wohlthuend gegen das düstere Braun der Sturzäcker ab, junger Kieferschlag umdämmerte weite langgedehnte Wiesengründe und mehr nach Norden hinauf, gerade zwischen dem schwarzen Nadelholz des diesseitigen, und dem noch unbelaubten Eichenhügel des jenseitigen Ufers hin, blitzte ein klarer, weidenumschlossener Wasserspiegel, der große herrschaftliche Fischteich des dicht benachbarten Gutes, wie eine glänzende Perle aus ihrer matt smaragdenen Fassung, leuchtend hervor.

 

Oben um die Schenke herum war Alles still und wie ausgestorben; des Pastors schwerstes Interdikt lag auf dem, der während der Kirche es gewagt hätte die Schenke zu betreten und es schien ordentlich als ob sich der Wirth selber scheute in seine eigene Stube hinein zu gehn, denn er trieb sich faul und schläfrig unter der Linde auf dem freien Platz vor seinem Haus herum, und schaute nur manchmal ungeduldig nach dem über die Pfarrwohnung vorragenden Kirchthurm hinüber, ob die Zeit denn noch nicht bald heranrücke, wo seine Gäste, aus der Kirche zurückgekehrt, ihre nicht mehr als billige Station in der Schenke machten.

Seine Frau und Mutter, und Magd und Knecht, alle waren sie fort, Gottes Wort zu hören und nur das eine gewährte ihm jetzt eine wirklich vollkommene Beruhigung, daß er heute einmal ganz hinlängliche Entschuldigung hatte nicht auf seinem Stuhl gerade vor der Kanzel (er war übrigens fest entschlossen den Platz von Ostern an aufzugeben und einen bescheidneren mehr seitwärts zu nehmen) zu sitzen und sich zwei volle Stunden lang die größt möglichste Mühe zu geben munter zu bleiben.

Im Garten aber, der westlich vom Hause und durch breitbuschige Hecken links von dem Dorfe und rechts von einem vorbeiführenden Wege abgeschnitten lag, saß auf einem kleinen sonnigen Rasenfleck, das Antlitz dem vor ihr ausgebreiteten lieblichen Thal zugewandt, die Schulter gegen einen stämmigen Aepfelbaum gelehnt, die Hände im Schooß gefaltet, den Kopf gesenkt, wie im Anschaun des Waldgrundes vertieft, doch aber auch wieder mit einem Blick, der nur an leerer Luft zu haften schien, Maria, die Tochter des alten Musikanten.

Lange hatte sie schweigend so dagelehnt, und wohl recht trübe traurige Gedanken mochten es sein, die dem armen kranken Kinde durch Herz und Seele zogen. Endlich strich sie sich mit der Hand, als ob sie dem Schmerze wehren wolle, über die Augen, seufzte tief auf und pflückte, wie um sich zu zerstreuen, ein paar neben ihr wachsende Veilchen ab. Doch auch das war nicht im Stande ihre Aufmerksamkeit zu fesseln; die Blüthen entfielen unbeachtet ihrer Hand, der Blick haftete wieder fest und seelenlos am fernen Horizont und die Lippen öffneten sich endlich zu einem leisen schwermüthigen Lied, das sie mit wunderbar klangvoller aber nur halblauter Stimme sang und die beiden zarten Hände dabei fest und krampfhaft auf dem Herzen faltete:

 
»So will ich denn nun von hinnen gehn,
Und will Dich auf immer verlassen;
Gebrochen hast Du mir Deinen Schwur
Ich sollte Dich eigentlich hassen.
 
 
Doch kann ich es nicht; Erinnerung bleibt
Von früheren lieberen Tagen,
Es war ja doch meine schönste Zeit
Als ich dich im Herzen getragen.
 
 
Ich sage als – ach Du lieber Gott
Ich thue das ja noch immer,
Und wenn ich Dir auch entsagen muß –
Vergessen kann ich Dich nimmer.«
 

»Na, laß du nur den Pastor über dich kommen« rief da plötzlich eine rauhe mürrische Stimme hinter ihr – »der würde Dir's Handwerk legen, während der Kirche zu singen.«

»Singt er nicht auch in seiner Kirche?« frug die Tochter, ohne ihre Stellung zu verändern oder auch nur den Kopf empor zu heben, »warum ich nicht in der meinen?«

»Nein« lachte der alte Mann und schaute mit einem halb verächtlichen, halb spöttischen Blick nach der Kirche hinüber – »Da thust Du denen unrecht, wenn Du sagst sie sängen; ich bin einen Augenblick drin gewesen, konnte aber das Gebrüll keine zehn Minuten aushalten. Herr, Du mein Gott und davon sind die Menschen erbaut, das soll sie erheben. Der Schulmeister spielte wunderschön die Orgel, das muß man ihm lassen, aber von der Gemeinde schrie einer da und einer dort hinaus, und wenn er gar einmal wie es ihm gerade in Fingern und Gefühl lag, einen halben Takt länger Pause hielt, dann hätt'st Du das Nebenbei schrein der Lümmel, das Kopfschütteln vom Pastor auf der Kanzel und das Kichern und Lachen von den Jungen auf dem Chor hören und sehn sollen. – Es war mir ordentlich wohl, wie ich wieder vor der Thür draußen stand.«

»Und was hast Du ausgerichtet?« frug ihn die Tochter.

»Ausgerichtet? – ei, eine ganze Menge – aber wie gewöhnlich nicht viel Gutes – wär's mit dem Morgenconcert heute etwas geworden, so hätten wir gleich wieder auf eine Zeitlang zu leben; Du glaubst gar nicht wie sich die Leute im Dorfe, besonders im Stadtviertel freuten, als ich es ihnen sagte, und wie sie mir versprachen zu kommen. – Daß es der Pastor verbieten würde, daran dachte ich ja doch mit keiner Sylbe, aber mein Seel, muß mich das Unglück auch gerade in dem Augenblick zum Apotheker 'nein führen, wie der Pastor drinne sitzt und eine Tasse Kaffee trinkt, und kaum hört der von meiner Einladung, als er sich in die Brust wirft und mir gerade zu erklärt aus einem Morgenconcert in seinem Dorfe könne Sonntags unter keiner Bedingung etwas werden, das lenkte die Kirchgänger nur von ihrer Andacht ab, oder verhinderte sie wohl gar im Gotteshause zu erscheinen. Ich protestirte; sagte ihm daß ich schon meine ganzen Einladungen gemacht hätte – ja Du lieber Himmel, was kehrte sich der Herr Pastor daran, ob ein so armer Lump von Musikant noch einmal bis zehn Uhr Nachts, und mit leerem Magen im Dorf herum laufen und das selbst wieder abbestellen und zerstören muß, was ihm morgen doch wenigstens ein paar Groschen zu Brod gebracht hätte. Herr Du mein Gott, s'ist doch gerade zum aus der Haut fahren, wenn sich jetzt auch noch die Pastoren den Musikanten quer vor's Handwerk legen. – Aber zum Henker – was ärgere ich mich denn auch eigentlich über den Quark – giebt's denn auf der Welt etwa ein vortrefflicheres Leben als das unsere?

 
»Wo er naht, da tanzt man eben,
Durch das ganze Land,
Ist es nicht ein herrlich Leben
So ein Musikant?«
 
 
»Darum, sei's auch noch so schlimm hier,
Bleibt's der schönste Stand,
Und wenn's angeht, Mädchen, nimm Dir
Nur 'nen Musikant! – Juchhe!«
 

»Und die andern Spielleute?« frug die Tochter leise.

»Die lachten als ich es ihnen sagte, und meinten, das hätten sie vorher gewußt, da müßten sie ihr Prachtexemplar von einem Pastor nicht kennen. Die haben aber gut lachen, die sitzen warm und sicher, und denen ists einerlei, ob sie heute ein paar Groschen verdienen oder nicht – bei mir wird's aber zur Lebens- oder vielmehr zur Morgensfrage.«

Die Beiden schwiegen und starrten, Jedes in seine Gedanken vertieft, in das schöne sonnige Thal hinaus, und das eigene Herz mußte Ihnen, im Gegensatz zu all der Herrlichkeit, die sie umgab, wohl noch viel trüber und trauriger erscheinen. Endlich flüsterte Marie, als ob sie sich fürchte, die Frage laut zu thun –

»Und wie wird es hier mit uns? – in der Schenke können wir doch nicht bleiben, Du weißt was uns der Wirth gesagt hat?«

»Das hab' ich abgemacht.«

»Abgemacht?«

»Nun, nicht etwa mit baarem Gelde,« lachte der Musikant, »aber der Wirth will uns Nichts abnehmen, wenn wir heute Nachmittag, nach der Kirche heißt das, und sobald die Gäste heraufkommen, ein Stündchen musiciren. Ich spiele und Du singst – aber Marie – Du hast die Nacht wieder recht gehustet, wirst Du auch bei Stimme sein? – es schadet Dir doch nicht?«

Das Mädchen lächelte wehmüthig und sagte leise, während es sich vom Vater abwandte:

»Was soll mir's schaden – doch Vater –« fuhr sie, nach leichtem Zögern und mit leiserer Stimme fort – »weißt Du wem das Gut hier gehört?«

Der Alte nickte nur einfach mit dem Kopf, und brummte endlich ein mürrisches: