Tasuta

Tahiti: Roman aus der Südsee. Dritter Band.

Tekst
iOSAndroidWindows Phone
Kuhu peaksime rakenduse lingi saatma?
Ärge sulgege akent, kuni olete sisestanud mobiilseadmesse saadetud koodi
Proovi uuestiLink saadetud

Autoriõiguse omaniku taotlusel ei saa seda raamatut failina alla laadida.

Sellegipoolest saate seda raamatut lugeda meie mobiilirakendusest (isegi ilma internetiühenduseta) ja LitResi veebielehel.

Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Capitel 10.
Der Abschied

Die Lage der Dinge war aber jetzt eine so mißliche geworden, daß René selber fürchtete außerhalb der Befestigungen, und in der That gerade in einem Distrikt wohnen zu bleiben, der mitten zwischen dem Hauptsitz der Europäer und den Strecken lag, auf denen sich die Insulaner schon an zu sammeln und zu verbarrikadiren fingen, und von wo aus sie auch jedenfalls Streifzüge gegen Papetee selber unternehmen würden. Welche Parthei nun auch Sieger blieb, die Unannehmlichkeit, ja die Gefahr einer solchen Lage blieb dieselbe. Aber Sadie wollte nicht nach Papetee – Monsieur Belard hatte ihnen schon ein kleines Gebäude, das auf seinem Grundstück lag und leer stand, anbieten lassen; der Gedanke aber was sie dort gesehn, die Angst selber dann vielleicht gezwungen zu sein länger zwischen den Fremden wohnen zu bleiben, und wieder in einen Umgang gezogen zu werden, dessen Gefahren ihr Herz mit einer ihr selber unbegreiflichen Furcht erfüllten, trieben sie zu wirklich entschlossener Weigerung, und sie fand einen Bundesgenossen der sie darin unterstützte in dem ehrwürdigen Mr. Nelson.

Dieser war längere Zeit unten in Papara gewesen, und ganz kürzlich erst wieder von da nach Papetee zurückberufen, eine andere noch nicht fest bestimmte Station auszufüllen. Sadie hatte dem würdigen Mann ihr ganzes Herz ausgeschüttet, Alles geklagt was ihr fehle, Alles gestanden was sie bei einem längeren Aufenthalt unter den Fremden fürchte, und in dem Geständniß, während sie sprach, und Worte fand für das, was ihr bis dahin still und schwer im Herzen gelegen und ihr so weh gethan, war es auch fast als ob sich Manches, was ihr bis dahin selber noch nicht klar gewesen und ihr mit finsterer unbegriffener Ahnung die Brust erfüllte, von selber löse und zu fester Form gestalte. Sie öffnete dem alten ehrwürdigen Mann ihr ganzes Herz, und erfuhr dabei erst selber wie dunkel doch die Welt jetzt um sie lag, und wie sie nur in der That noch durch eine Flucht nach Atiu dem Allen wieder entgehen, und glücklich werden könne. René liebte sie noch wie in früherer Zeit, sein Herz war gut und brav und edler Regung, Handlung rasch geöffnet, – nur der Verführung mußte er hier entzogen sein – nur erst wieder vergessen was er Alles aufgegeben für sie, dann würde auch Alles wieder gut wie in früherer Zeit, und der Himmel wieder blau, der jetzt wohl recht lange trüb gewesen – recht trüb und traurig.

Ein erster Sonnenblick in dieses Dunkel war die Berufung des alten wackeren Missionairs Nelson nach Atiu, die er, wie er Sadie versicherte, der freundlichen Verwendung des Mr. Rowe, der überhaupt jetzt Einer der leitenden Missionaire geworden war, zu danken hatte. Ein Englischer Wallfischfänger, der hier vor einigen Tagen erst eingelaufen Erfrischungen einzunehmen, hatte sich dabei, von den Geistlichen der Inseln aufgefordert, erboten, den Missionair mit seinen Habseligkeiten an den neuen Ort seiner Bestimmung zu schaffen, und Mr. Nelson kam jetzt Sadie und René den Vorschlag zu machen, ihre Sachen und Mobilien einzupacken, und Sadie mit dem Kinde ihm anzuvertrauen. Er hatte schon die Versicherung erhalten daß man Bruder Ezra erlauben würde ihn zu begleiten, und zweifelte sogar nicht daran, auch vielleicht René seines Worts entbunden zu sehn, der dann gleich Schiffsgelegenheit wie Alles geordnet hatte, seine längst besprochene Uebersiedelung auszuführen. Günstigeren Zeitpunkt dazu gab es nicht für ihn, und verzögerte sich selbst jetzt noch, durch Französische Weitläufigkeit aufgehalten, seine Abreise, so wußte er nicht allein, wenn der Kampf hier wirklich losbrach, Weib und Kind in Sicherheit, sondern er selber war auch durch Nichts mehr behindert, frank und frei nachzukommen sobald er sich nur selber dieser trostlosen Untersuchung entzogen.

Sadie erschrak anfänglich bei dem Gedanken sich von René, und wenn auch nur auf kurze Zeit, zu trennen, so sehr ihr auch das Herz freudig pochte in wenigen Tagen vielleicht ihr liebes Atiu dann wieder zu sehn. Sollte – durfte sie den Gatten hier allein zurücklassen, wo ihm vielleicht noch Gefahr für seine Freiheit, und wie sich der Kampf gestaltete, für sein Leben drohte? Und allein nach Atiu zurückzukehren? – sie hatte sich das so ganz anders gedacht – so lieb und glücklich sich das ausgemalt wenn sie, an die Brust des Gatten geschmiegt, ihr Kind am Herzen, von fern die ersten Kuppen der lieben Insel wieder erschauen würde – wenn die Thäler und Hänge dem Meer entstiegen – rechts und links das niedere Palmenbewachsene Land austräte von den Gebirgen, und höher und deutlicher würde, und sie sich dann jeden felsigen Vorsprung zeigen konnten, jedes Thal, jede Schlucht und zuletzt – Ach sie seufzte recht schwer und schmerzlich auf wenn sie daran dachte, daß sie das Alles jetzt allein nur schauen sollte, wo die Freude über den Anblick doch das Bewußtsein halb ertödten müßte – er, durch den Dir die Plätze und Thäler ja so lieb gewesen, er der Dir dies Land ja erst zum Paradies geschaffen, ist nicht bei Dir, und wenn er kommt, muß er das Alles auch allein nur wiedersehn, und hat seine Sadie, hat sein Weib und Kind nicht bei sich, dem seligen Gefühle Wort und Laut zu geben.

Ging sie aber jetzt nach Atiu, so bot ihr das auch einen Ausweg nicht hinein in die Stadt, nicht nach Papetee zu ziehn, fort fort zu dürfen aus der Nähe der Menschen, die sie nicht verstanden, die zu ihr niederblickten, mit ihrer Haut und Bildung, die ihr nie das Bedürfniß stillen konnten und – mochten, ein Herz zu finden dem sie sich anschlösse, eine Brust in die sie ausschütten konnte was sie quäle, der sie zujubeln durfte was sie freue.

René sträubte sich Anfangs ebenfalls gegen den Gedanken Frau und Kind vorausziehn zu lassen, so lieb es ihm auch sonst war, sie jeder hier aufsteigenden Gefahr enthoben zu sehn; er wußte aber auch recht gut, wie schwer es in jetziger Zeit sei eine so günstige Gelegenheit zu finden auf einem großen sicheren Schiff die Seinen an den Ort ihrer Bestimmung zu schaffen, und nur einen letzten Versuch wollte er machen, von dem jetzigen Gouverneur die Erlaubniß zu erhalten die Frau begleiten zu dürfen. Trotz einer unausgesetzten Untersuchung jenes Falles, bei dem sich die Französischen Behörden ganz besonders solche Mühe gaben, irgend etwas Gravirendes gegen die Protestantischen Geistlichen oder die auf der Insel überhaupt wohnenden Engländer zu finden, hatte sich nicht das Geringste herausgestellt, was auch nur den Schatten eines Verdachts auf seine Betheiligung werfen konnte; ausgenommen vielleicht daß sein Ueberfall an dem Abend, René wußte selber nicht wie, bekannt geworden, und man ihm das gewissermaßen zum Vorwurf machte, es gegen die seine Untersuchung leitende Behörde verschwiegen zu haben. Anderseits sprach das aber wieder um so mehr für seine Unschuld, von dem beabsichtigten Verbrechen, verbotene Waffen auf die Insel zu führen, Nichts gewußt zu haben; was hätte den Insulanern sonst an seiner Person gelegen. Die Sache schien überhaupt keinen Erfolg zu versprechen und man wurde ihrer müde. Bruder Ezra hatte dabei wirklich die Erlaubniß erhalten nach Atiu zurückzukehren, mit der Bedingung jedoch, gleich aus dem Gefängniß an Bord geschafft zu werden, und mit weiter Niemandem an Land auch nur den geringsten Verkehr zu haben.

René ging denn auch ohne Weiteres zur Wohnung des Gouverneurs, diesem die Sache noch einmal, wie seine ganzen Verhältnisse vorzutragen, und ihn zu bitten ihn seines Worts zu entbinden. Sei denn später seine Gegenwart wirklich noch einmal nöthig, was aber jetzt sehr zu bezweifeln stand, so lag ja Atiu auch nicht aus der Welt, und er wäre jeden Augenblick bereit gewesen sich zu stellen.

Aber auch hier sollte er sich wieder in seiner Hoffnung getäuscht sehen; Gouverneur Bruat war gar nicht in Papetee, sondern mit einer Dampf-Fregatte selber hinunter nach Tairabu gegangen, von wo der, im Bureau befindliche Secretair glaubte, daß der Oberbefehlshaber der Inseln wahrscheinlich eine Rundreise nach der benachbarten Gruppe hinübermachen wollte, da besonders von Huaheina und Bola Bola ebenfalls bedenkliche Nachrichten über den Zustand der dortigen Verhältnisse eingelaufen waren. Der Secretair konnte natürlich Nichts in der Sache beschließen, die nur der Gouverneur zu erledigen vermochte, und er bat den jungen Mann nur noch höchstens zehn oder zwölf im allerlängsten Fall vierzehn Tage zu warten, wo Mons. Bruat unter jeder Bedingung zurück sein müßte, und dann der Entbindung von seinem Wort auch sicher nichts weiter im Wege stände, da er ihm die Beruhigung allerdings geben könne, daß sich der Gouverneur selber dahin geäußert habe die Untersuchung als trostlos fallen zu lassen. Nur einen definitiven Beschluß vermochte er selber nicht zu geben.

Das schlug zwar alle seine Hoffnungen zu Boden mit dem, schon am nächsten Morgen zum Auslaufen bestimmten Wallfischfänger in See gehn zu können, beruhigte ihn doch aber auch so weit, daß seinem raschen Nachfolgen nichts mehr im Wege stehn würde. Ohne Weiteres beschloß er nun aber auch in die Abreise seiner Frau und seines Kindes mit dem bequemen Wallfischfänger, dessen Capitain er gleich selber aufsuchte, zu willigen, besprach mit diesem das an Bordschaffen der verschiedenen Güter, das am nächsten Morgen mit Tagesanbruch durch die vier Wallfischboote des Schiffes selber geschehen sollte, wie denn Mr. Nelsons Effecten schon eingenommen waren, und schritt nun langsam nach Hause zurück, die letzte Nacht unter dem Dache an Mativaibai, wo er so manche frohe und glückliche Stunde verlebt, mit seiner Sadie zuzubringen.

Die letzte Nacht – es liegt ein eigener, wehmüthiger Zauber in dem Wort, wenn wir einen lang bewohnten, wohl gar lieb gewonnenen Platz verlassen sollen; trifft uns ja doch schon die Bedeutung des Worts bei selbst gleichgültigen Stellen, bei einem Ort vielleicht, aus dem wir uns fortgesehnt haben mit aller Kraft unserer Seele. Wir drängten und trieben, bis wir das Ziel erreicht, bis wir das Haus, den Platz zuletzt verlassen konnten, wo uns der Boden vielleicht schon Monate lang unter den Füßen gebrannt, und wenn wir fort dürfen, wenn die Welt frei und offen vor uns liegt, und die Schranken fielen, die uns bis dahin hielten, dann faßt uns ein eigenes, unerklärbares, unbegreifliches Gefühl von Weh und Reue fast die Brust – wir stehn und zögern, wenden uns zum Gehn, und der Fuß ist schwer geworden, der uns in Gedanken schon oft im Fluge weiter trug. Und frägst Du Dich warum? – zum letzten Male bewohn ich diesen Platz, sagst Du Dir leise – zum letzten Mal betret ich ihn vielleicht – dazwischen liegt die Ewigkeit, und der Gedanke an jenes unbestimmte Sein, dem wir mit diesem neuen Schritt schon wieder so viel mehr entgegen gehn, klopft und regt sich Dir in der Tiefe des Herzens, und mahnt und warnt, und Dein Zögern ist nicht mehr die Anhänglichkeit an den vielleicht verhaßten Platz – es ist die Furcht, die kaum gefühlte Scheu der Zukunft gegenüber.

 

Und wie viel stärker muß das Gefühl da sein, wo sich das Herz noch mit allen Fasern an die Erinnerung lieber Plätze klammert, und nicht loslassen will und mag, der ersten Forderung; was uns da fern liegt stößt uns noch zurück, und das Gewohnte, dem sich das Herz ja so gern zu eigen giebt, wahrt und behauptet seinen alten Raum.

In ernstem Schweigen blieb René stehn, als er den freien offenen Platz erreicht, von dem aus er die kleine friedliche Heimath, die er seit Jahren nun sein eigen genannt, überschauen konnte, und trübe schmerzliche Gedanken waren es, die ihm das Hirn durchzuckten. Manches Andere gesellte sich noch dazu – er war gealtert seit er sich einst hier angebaut, gealtert an Leib und Seele – und mehr noch an Seele wie an Leib. Und hatte sich Alles das erfüllt was er hier einst gehofft? – war das Wahrheit geworden, was ihm die Phantasie in seinem leichten Herz da vorgemalt mit bunten blitzenden, schimmernden Farben? bot ihm die Zukunft noch, was sie ihm einst in schöner Zeit versprochen? – doch fort, fort mit den Gedanken, die ihm die dunklen Zweifel durch die Seele jagten, fort – sein Leben lag vorgezeichnet mit klarer Schrift – für ihn gab es kein Abweichen von der geraden Bahn; weshalb das Herz da noch mishandeln erst und quälen.

Und als er noch so da stand und, erst die düsteren Geister gebannt, aus dem Schatz seiner Erinnerungen all die lieben seligen Bilder herauf beschwor; das Glück in dem er geschwelgt, den süßen Frieden den er hier gefunden, als ihn die ganze Welt zurück gestoßen und das Herz verschmäht das er ihr bot, da schoß das Blut ihm wieder auf in Wange und Stirn. Seine Augen belebten sich, seine Brust hob sich höher, freier – seine Lippen lächelten und jetzt? – der laute fröhliche Jubelruf des glücklichen spielenden Kindes traf sein Ohr; dort in die Winden umrankte Thür des freundlichen Häuschens trat sein Weib, das herzige Mädchen auf dem Arm, auszuschaun nach dem so lange bleibenden bösen Vater, und mit einem Satz war er drüben, über der Einfriedigung, hatte sein treues Weib umfaßt und an sein Herz gedrückt, das sich an ihn schmiegende Kind auf dem Arm, und die Stunden verflogen dem Glücklichen wie in alter Zeit.

Jetzt erzählte René auch der, darüber fast wieder traurig werdenden Frau, von der Verabredung die er mit dem Capitain getroffen, und wie der Gouverneur den lächerlichen Proceß wolle fallen lassen, wegen dem Mord der Schildwacht, bei dem er ja doch wahrlich nicht betheiligt gewesen, so daß er nun gleich nachfolgen könne, sobald Jener zurückgekehrt – und lange durfte er ja gar nicht wegbleiben, wie jetzt die Sachen standen, und jeder Tag den Aufstand bis dicht nach Papetee zu bringen vermochte.

So sollte denn Sadie morgen endlich zurück kehren nach ihrem lieben Atiu, und bis sie dort Alles mit Mr. Nelsons und des kleinen Mitonare Hülfe in Ordnung gebracht, konnte René auch schon wieder eine Gelegenheit gefunden haben nachzukommen – die wenigen Tage oder selbst Wochen gingen rasch vorüber. Und Sadie lachte und jubelte, und war wieder ganz das fröhliche heitere Kind der Palmeninsel, und die Kleine schrie und jauchzte vor lauter Lust, als sie die Mutter so lachen sah und fröhlich sein.

Den Abend plauderten sie noch bis spät in die Nacht hinein und am anderen Morgen, als Sadie traurig werden wollte daß es nun bald an den Abschied ging, hatte sie so viel zu thun, daß sie gar nicht Zeit bekam daran zu denken, und die Boote wohl eine halbe Stunde liegen und warten mußten bis Alles zusammengerollt und eingeschnürt zum niedertragen fertig lag. Nur das Nothdürftigste behielt René zurück, jetzt durch so wenig als möglich belästigt zu bleiben, und das Wenige dann mitzubringen, wenn er selber käme.

Um zehn Uhr, wenn die Landbrise ordentlich einsetzte, sollte das Boot wieder da sein, und Frau und Kind gleich von hier aus, wenn der Wallfischfänger in Sicht käme, hinaus in See und an Bord bringen.

Eben waren die Boote mit dem Gepäck abgefahren und um die nächste Landspitze verschwunden, und René und Sadie standen noch und schauten ihnen nach, denn es war fast als ob sie sich scheuten nach dem leeren Haus zurück zu gehn, da hörten sie Schritte hinter sich und Sadie stieß einen leisen Angstschrei aus, während sich Renés Brauen finster und drohend zusammenzogen, als durch den Garten zu ihnen nieder die lange düstere Gestalt des Missionairs Rowe feierlich und ernst herunter schritt, und unbekümmert um den wohl nicht ganz herzlichen Empfang, die beiden jungen Leute mit einem frommen Blick nach oben und vorgestreckten, nach unten gedrehten Händen, wie segnend grüßte. Seine Lippen lispelten dazu ein leises Gebet, und der tief aus innerster Brust geholte Seufzer, der das kaum hörbar geflüsterte Amen begleitete, verrieth das Mitgefühl, das sein Herz bewegte bei den Leiden derer, die um ihn her sündigten und litten.

»Und welchem glücklichen Zufall habe ich die Ehre dieses in der That unerwarteten Besuchs zu danken?« sagte René kalt, als der Geistliche noch einige Schritte auf sie zu kam, und dann dicht vor ihnen stehen blieb, ohne jedoch irgend ein Wort als sonstigen Gruß oder Anrede zu sagen; »oder hat Mr. Rowe sich im Haus geirrt und ist, das wahrscheinlichere, ein paar Thüren zu weit gegangen, wo er dann freilich mitten hinein ist gerathen in die »papistischen Gräuel« und den »Baalsdienst«.

»René« bat Sadie, und drückte leise und bittend des Gatten Arm, aber das Herz war ihr selber fast wie zugeschnürt, denn jedem entscheidenden Schritt ihres Lebens voran, trat ihr der Mann entgegen so ernst und finster wie er jetzt da vor ihr stand; und hatte nicht immer sein Kommen ihr Leid gebracht, und viele viele Thränen? Wie eine dunkle Ahnung, der sie nicht Worte geben konnte und wollte, füllte ihr sein Anblick die Brust, das Herz in dieser Stunde, und sie mußte sich zwingen den leisen Gruß auch freundlich zu erwiedern. Aber der Geistliche verlangte weder Gruß noch Freundes Wort; nein, aus sich selber heraus quoll ihm des heiligen Wortes Spruch und Vers mit der salbungsvollen Rede, die Trost und Frieden in ihrem Aeußeren in Wort und Bild wohl brachte, aber das Herz kalt ließ dabei und unbefriedigt.

»Nicht Zufall, mein Bruder, oder ein Irrthum gar, hat mich auf Deine Schwelle geführt« erwiederte Bruder Rowe jetzt der etwas frostigen Anrede des Katholiken, »aber Du und die Gattin die Du Dir erwählt, Ihr Beide steht an einem Abschnitt Eures Lebens, an dem Euch das fromme Wort eines Mannes, der es gut und redlich mit Euch meint, nicht fehlen sollte.«

»Herr Rowe ich dächte daß Sie mir davon den Beweis gegeben« unterbrach ihn rasch René, der sich nicht helfen konnte dem Gedächtniß des Geistlichen mit früherer Zeit zu Hülfe zu kommen, ihn vielleicht in Verlegenheit zu bringen; darin aber hatte er sich bei dem frommen Mann geirrt.

»Lasset die Zeit die hinter uns liegt und hebet Euer Auge zu Gott und Seinen Werken« sagte er ernst und feierlich, aber keineswegs erzürnt über die finstere Mahnung des jungen Mannes. »Was ich gethan und wie ich gehandelt liegt offen vor Gott; Er nur prüfet die Herzen und Nieren, und siehe da, vor Seinem Auge ist kein Verbergen noch Hehl. Seine Wege sind aber wunderbar, und Er führet Alles zum Besten hinaus, und Ihm deshalb sei Ehre und Preis in der Höhe; unsere Herzen sollen da nicht hochmüthig selber richten wollen.«

René wollte reden, aber der leise Druck von Sadieens Hand lag bittend auf seinem Arm, und er biß nur die Unterlippe ein und wandte sich halb ab von dem Geistlichen; er wollte sich die Abschiedsstunde nicht verbittern, und dann auch wieder lag eine Art halben Triumphs für ihn darin, wie er jetzt dem, dieser Verbindung so feindlich gesinnt gewesenen Priester gegenüber stand. Mr. Rowe übrigens, unbekümmert um Alles was in der Brust des Franzosen, dessen Gesinnung gegen ihn er vollkommen gut begriff, vorgehn mochte, schritt auf Sadie zu, nahm die Hand der jungen Frau die sie ihm widerstandlos und zitternd überließ und mit den Worten – »lasset uns beten, daß Gott sein Gedeihen gebe zu dieser Reise und seinen Segen Dir schenke, meine Tochter, für und für«, führte er die etwas erstaunte Frau von der Seite ihres Gatten fort in das Haus, dort, wie er ihr sagte, ungestört ihre Augen und Herzen zu Gott erheben zu können.

René blieb wirklich erstaunt über diese fabelhafte Ruhe – und er hatte noch einen anderen Namen dafür – zurück, und sah ihnen nach, dann aber mit dem Kopf schüttelnd und halb lachend, halb ärgerlich nahm er sein Kind auf den Arm und sprang und spielte damit am Strand herum, die Rückkunft des frommen Mannes mit seinem Weib zu erwarten.

»Eine Zuversichtlichkeit haben die Burschen« murmelte er dabei vor sich hin, indem er zuletzt ungeduldig werdend am Strande auf und ab ging, und durch die rasche Bewegung seinen Unmuth zu beschwichtigen suchte, »ein Selbstvertrauen das in's Graue geht; und mit dem frommen Gesicht tritt mir der Mensch da keck und salbungsvoll entgegen, und thut wahrhaftig nicht als ob er sich schämen müsse mir in's Auge zu sehn, nein, als ob er mir verziehen hätte, Alles was ich ihm gethan und an ihm verschuldet. Hahahaha, es ist wahrhaftig zum Todtschießen solche Fragezeichen der Schöpfung unter uns herumlaufen und ganz bescheiden sich die Krone des Menschengeschlechts aufsetzen zu sehn. Es gehört aber Geduld dazu, und verdenken kann ich's meinen Landsleuten gerade nicht, wenn sie die in diesen Tagen einmal darüber verlieren und mit Kanonenkugeln hinein donnern in den Kram. Und wer leidet nachher darunter? sicher nicht diese Schleicher, die sich wohlweislich einzudrücken verstehn und mit einem frommen dankbaren Blick nach oben Nachbars Haus darüber zu Grunde gehn sehn – hol' sie Alle der Henker. – Und wo er nur bleibt?« – setzte er dann nach einer Pause, mit einem ungeduldigen finsteren Blick nach seiner Thür hinzu – »es gehört bei Gott die Geduld eines Heiligen dazu, mit diesen – Heiligen fertig zu werden.«

Mr. Rowe mochte aber wohl ahnen, ja er wußte das sogar ganz genau, wie gern ihn der Franzose bei sich sah, hielt es aber für unumgänglich nothwendig, seinen Halt an das Herz und die Religion der Frau nicht ganz aufzugeben, und hatte schon lange und ungeduldig eine Gelegenheit gesucht, mit dem ihm, nicht gerade zum Dank verpflichteten Katholiken wieder auf etwas freundschaftlichere Weise anzuknüpfen; jedenfalls aber eine Entschuldigung zu finden sein Haus in seiner Gegenwart zu besuchen, um dann weiter zu bauen auf dem gewonnenen Vortheil. Der Zeitpunkt war ein Abschied von Tahiti, wie er sich vielleicht nicht wieder bot, und der Erfolg bewies daß er recht gehabt; misbrauchen durfte er das aber auch nicht, wenn er den errungenen Vortheil nicht wieder verlieren wollte, und deshalb das Gebet vielleicht rascher beendend, als er es unter anderen Umständen gethan haben würde, erhob er sich wieder, stäubte sich die Knie ab, küßte Sadie inbrünstig auf die Stirn, legte seine Hände einen Augenblick auf ihr Haupt und führte sie dann wieder mit einem freudigen Blick nach oben dem Gatten zu, der ihnen schon an der Thür entgegen kam, Sadiens Arm erfaßte und in den Seinen zog, und dann den Geistlichen ansah, als ob er seiner Entfernung nicht das mindeste in den Weg zu legen wünsche.

Bruder Rowe war aber auch nicht der Mann, der einen Ort verlassen hätte ehe er es selber für Zeit hielt, und ohne jedenfalls den Samen des göttlichen Wortes nach Kräften ausgestreut zu haben; fiel der dann auf unfruchtbares Land, so war das nicht seine Schuld, und er hatte sich selber keine Vorwürfe darüber zu machen. In einer ziemlich langen Anrede, die halb Gebet halb Unterhaltung war, wandte er sich dann noch einmal an den jungen Mann, der nur die Frau nicht kränken mochte und sonst dem für ihn höchst langweiligen Gespräch wohl bald ein Ende gemacht hätte, ermahnte ihn auf der beschrittenen Bahn des Guten, die er hier auf Tahiti, als eine schätzenswerthe Ausnahme von seinen Landsleuten jedenfalls betreten, ruhig fortzuschreiten, wobei nur Gott ihm in seiner Allbarmherzigkeit die eine schwere Missethat des Mordes verzeihen wolle, und verkündigte ihm dann, als er merkte wie René jetzt wirklich ungeduldig wurde und schon den Mund öffnete zum trotzigen Einwurf, daß er dafür gesorgt habe ihre alte früher innegehabte Wohnung in Atiu wieder für sie herrichten zu lassen; daß das Dach neu gedeckt, das Haus gereinigt und gelüftet sei – eine nicht ganz unnöthige Vorsicht des sonst sehr leicht darin nistenden Ungeziefers der Centipeden wegen – und daß es Sadie nach ihrer Ankunft dort gleich beziehen könne, als ob sie es nie verlassen habe.

 

»Das Haus uns hergestellt?« rief René allerdings im höchsten unbegrenzten Erstaunen, da er erst gestern Abend ja den Entschluß gefaßt, und Wochen dazu gehört haben mußten das anzuordnen und auszuführen – »und wer, mein Herr, hat Sie darum gebeten?«

»Aber René« beschwor ihn seine Frau.

»Gebeten? – Niemand – « erwiederte jedoch in voller Ruhe der Geistliche, »aus freiem Antrieb hab' ich das gethan. Seit jener Nacht« fuhr er dann mit einem wehmuthvollen Blick nach oben fort, »wo jene fatale Sache mit der Französischen Schildwacht hier geschah, wußt' ich daß es sowohl Ihr, wie besonders Prudentias Wunsch war, sich wieder zurück nach Atiu zu ziehn. Es war das Beste auch für sie, sie konnte dort ungestörter ihrem Gotte leben, nicht abgelenkt durch sünd'gen Wandel mehr, und alle Reize der Verführung die hier in Papetee des Satans Macht zu gold'nem Netze auslegt – es war die höchste Zeit für sie, zurückzukehren zu dem stillen Frieden jener Insel die ihre Heimath nun doch einmal ist.«

Renés Blut kochte, denn recht gut fühlte er, wie der Geistliche zum ersten Mal wieder die Hand ausgestreckt, in sein Familienleben einzugreifen, und wie er jetzt gleich entschieden auftreten müsse, ihn von allen derartigen Versuchen zurückzuschrecken. Sadie dagegen sah in dem freundlichem Wort, ihr Herz ja selber kein anderes Gefühl bergend, nur Liebe und Versöhnung, und mit Freude strahlenden Blicken die Hand des Geistlichen ergreifend, drückte sie diese in frommer dankbarer Inbrunst an ihre Lippen, René aber, ihren Arm erfassend, zog sie zurück und sagte finster:

»Laß das Sadie; der Herr da meint's vielleicht recht gut, und ich will gern Vergangenes auch vergessen, doch damit, hochwürdiger Herr hab' ich auch Alles gethan was ich vermag, und muß Sie ernstlich bitten sich nicht um irgend etwas mehr zu kümmern, was mich, Sadie oder mein Haus betrifft.«

»Herr Delavigne« rief der Geistliche auffahrend, und ein Blitz aus seinem kleinen lebendig grauen Auge traf den Franzosen in nichts weniger als christlicher Demuth – »Sie gehn zu weit – Prudentia ist Protestantin, und ihrer Seele Heil fordert der Herr einstens vielleicht von mir.«

Ein spöttisches Lächeln zuckte um des Franzosen Lippe als er erwiederte: »Genug und über genug, ich habe keine Lust mich jetzt noch in religiöse Spitzfindigkeiten einzulassen; Sie wissen daß Sadie mich bald verläßt und Manches hat sie mir wohl noch zu sagen, Manches ich ihr – ich hoffe doch Sie werden mich verstehen.«

»René« bat die Frau mit leiser flehender Stimme.

»Ei beim Teufel« zürnte aber der junge Mann mit dem Fuß stampfend – »der Herr hier weiß wie wir zusammen stehn und sollte es vermeiden Scenen zu erneun, die nur für beide Theile unangenehm sein können. Ich bedarf seiner Einmischung in meine Angelegenheiten nicht – ich verlange sie nicht und, beim Himmel, ich will sie nicht dulden.«

»Herr Delavigne – Sie trotzen auf die Macht die Ihre Landsleute in diesem Augenblick gerade hier besitzen« rief der Geistliche aber jetzt auch gereizt.

»Ich trotze auf die Macht die mir mein Hausrecht giebt« rief aber der junge Mann.

»Ich glaubte Sie mir zum Dank verpflichtet zu sehn« sagte der Missionair da, der seine ganze Ruhe wieder gewonnen – »und bedaure, mich geirrt zu haben.«

»Er hat es so gut gemeint, René« bat die Frau.

»Die Minuten verfliegen« rief aber der junge Mann, »und wenige nur sind noch die unseren – in kurzer Zeit kann das Boot hier sein, Sadie, das Dich mir entführt.«

»Ich sehe wie es steht« sagte der Missionair ernst und fast traurig – »Gottes Wort wird überflüssig wo der Welt Stolz die Zügel faßt und dem ewigen Verderben mit raschen flüchtigen Schritten entgegeneilt. So lebe denn wohl Prudentia – die Stunde schlägt die Dich jenem stillen freundlichen Insellande wieder zuführen soll – möge es dieselbe sein, die Dich auch wieder zu Gottes Vaterhuld zurückführt. So bete zu ihm, daß er Dir gnädig Deine Sünden vergeben möge und behalte und wahre ihn in Deinem Herzen, der das Licht ist und Heil und die Hoffnung der Gläubigen in aller Ewigkeit – Amen.«

Und mit diesen Abschiedsworten hob er das Kind, das Sadie indessen wieder an sich genommen, zu sich auf, küßte und segnete es, gab es der Mutter zurück, neigte noch einmal die Hand gegen sie, und den finster dabei stehenden, den Gruß kalt erwiedernden Gatten und schritt dann langsam durch den Garten, durch dessen Pforte er bald darauf verschwand.

Sadie aber lehnte ihr Haupt leise an des Gatten Brust und flüsterte mit weherfüllter Stimme:

»Oh René, Du hast mir weh, recht weh gethan, mit Deinen heftigen, undankbaren Worten – «

»Undankbar Sadie?«

»Er hatte es so gut um uns gemeint, und Du hast ihn so kalt und heftig abgewiesen.«

»Täusche Dich nicht, mein Lieb,« sagte René, sie fest an sich pressend – »der stolze Priester meint's mit Niemand gut, und wenig Dank werd' ich ihm, vor allen Andern schulden. Er weiß das selber auch am Besten und kann nichts Anderes erwartet haben. Ach Sadie, es war mir ein gar so wehmüthiges, ja bitteres Gefühl, daß sich der finstere Gesell gerad' in der letzten Stunde noch zwischen uns stellte und die Herzen auseinander hielt. Ich weiß nicht mir schnürt's die Brust noch jedesmal zusammen in seiner Nähe.«

»Ach mir ist's auch ein wehes, wunderlich Gefühl« flüsterte Sadie, »und doch wär's Sünde, denn er meint es treu, und wenn er auch mit strengem starren Sinn den Weg verfolgt, den er nun einmal für den einzig wahren hält, so dürfen wir ihn doch darum nicht tadeln. Er ist im Zorn von uns gegangen.«

»Laß ihn gehn« rief aber René, hochaufathmend, und den Blick dorthin zurückwerfend, wo der ehrwürdige Herr verschwunden, als ob er der wirklichen Entfernung desselben noch immer nicht traue – »mir ist ein Stein vom Herzen daß er fort ist.«

»Ist er's auch wirklich?« flüsterte da eine Stimme dicht neben ihnen, und als sie überrascht dorthin umschauten glitt Aia, das wilde schöne Mädchen hinter einem dichten Orangenbusch vor, und trat zu den Beiden.

»Aia!« rief Sadie erfreut und doch auch vorwurfsvoll – »Du böses, böses Kind, wo hast Du so lang Dich herumgetrieben in der Welt, daß Du gar nicht mehr an Deine Sadie gedacht?«

»Und ich wollte ich müßte auch jetzt nicht an Dich denken« sagte das Mädchen leise und sie kämpfte dabei hart mit sich, eine aufsteigende, ihr sonst fast fremde Rührung zu verbergen.

»Und weshalb, Aia?« frug Sadie.

»Mach ihr das Herz nicht wieder schwer, Du wunderliches Kind« sagte aber René jetzt, ihr leise mit dem Finger drohend, »bist solch ein tolles Ding wenn Du da draußen herumtobst, unter den wilden die wildeste, und wie ein anderer Geist scheint es über Dich zu kommen, wenn Du diese Schwelle betrittst.«