Tasuta

Tahiti: Roman aus der Südsee. Dritter Band.

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Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

»Den Dichter wenigstens« entgegnete René, ihrem Blick begegnend – »den armen Dichter, dem als er das Lied schrieb, wohl recht weich und weh muß um's Herz gewesen sein. Sie sollten freundlichere Lieder singen, Miß Lewis, vor Ihnen liegt das Leben noch frei und offen in all seiner Pracht und Herrlichkeit – es wäre Sünde wenn Sie gerade, vor tausend Anderen, solchen traurigen Lamentationen Raum geben wollten. Doch – sein Sie mir nicht böse daß ich Sie gestört habe – ich will ihre Zeit nicht lange in Anspruch nehmen – ich komme Ihnen Adieu zu sagen.«

»Sie wollen fort?« sagte Susanna leise.

»Hoffentlich Morgen« erwiederte René mit einem Lächeln wenigstens, wenn es auch ein gezwungenes war.

»Der Entschluß muß Ihnen über Nacht gekommen sein« rief Madame Belard – »gestern Abend wußten Sie noch kein Wort davon.«

»Ich habe mich allerdings erst gestern dazu entschlossen.«

»Mein Mann hat uns schon auf die schmerzliche Nachricht vorbereitet, lieber Delavigne – auch hier ein Papier für Sie hergelegt, falls er Sie wirklich nicht noch – einmal sehn sollte – es thut uns recht, recht leid Sie von hier verlieren zu müssen.«

»Madame Belard« sagte René und seine Stimme zitterte.

»Aber warum haben Sie Ihre Frau nicht mit herübergebracht, soll ich sie nicht wiedersehn?«

»Sie werden sie entschuldigen müssen« sagte René das Papier mit einer dankenden Verbeugung an sich nehmend, das ihm die junge Frau reichte – »Sadie hat jetzt so viel mit Packen zu thun und – es ist besser so vielleicht – ich selber wollte brieflich von Ihnen Abschied nehmen« setzte er dann nach einer kurzen Pause hinzu, »aber meine Geschäfte zwangen mich die Stadt noch einmal aufzusuchen und – da konnte ich es doch nicht übers Herz bringen, so ganz vorbei zu gehn.«

»Wir hätten Ihnen das im Leben nicht verziehen« rief Madame Belard schnell – »aber kommen Sie, bleiben Sie nicht mit der Klinke in der Hand da stehn und setzen Sie sich zu uns – es ist ja das letzte Mal vielleicht für eine lange Zeit. Nehmen Sie den Stuhl da, neben Susannen. Sie haben auch recht eigentlich, daß Sie den politischen Wirren aus dem Wege gehn; besonders in ihren Verhältnissen hätten Sie es doch am Ende manchmal nicht vermeiden können, mit einer oder der anderen Parthei in Collision zu kommen, und hat sich erst Alles wieder regulirt, sind Sie ja noch immer Ihr freier Herr.«

»Die politischen Verhältnisse kümmern mich wenig« sagte René – »ich kann den Gewaltstreich meiner Landsleute, den sie jetzt durch spitzfindige Rechtsclauseln zu beschönigen suchen, einem schwachen harmlosen Volke gegenüber nicht billigen, und habe mich schon auf der anderen Seite auch zu sehr über das Treiben und Wesen der fanatischen Missionaire geärgert, diesen wieder das Wort zu reden; ich würde mich also weder der einen noch der anderen Parthei angeschlossen haben. Wahr ist übrigens daß man bei solcher Gelegenheit nicht immer seine Neutralität, selbst bei den besten Vorsätzen, vollständig behaupten kann, und in sofern wäre es allerdings gut selbst der Möglichkeit einer Collision entrückt zu sein. Den Eingeborenen ist übrigens jede Hoffnung genommen, sich gegen die Uebermacht vertheidigen zu können, denn eben ist noch ein neuer Französischer Kriegs-Dampfer, wenn ich nicht irre der Salamander, signalisirt worden.«

»Der Salamander lag nach den letzten Nachrichten in Havre,« rief Madame Belard rasch, »dann kommt er auch direkt von Frankreich und bringt uns Briefe aus der Heimath.«

»Aus der Heimath« sagte René leise – »es ist doch ein wunderbares Wort – ich hätte nie geglaubt daß solch ein Zauber darin liegen könnte – aber – ich habe Sie wieder in Ihrem Spiel gestört, Miß Lewis – Sie werden wahrlich erst ungestört spielen können, wenn ich fort bin.«

»Wir haben mitsammen geplaudert, und nur in Gedanken setzte ich mich an's Clavier,« sagte Susanna, in einem Buche blätternd das neben ihr lag, den Kopf von René abgewandt.

»Und was hört man draußen im Land über unsere Zustände hier?« frug Madame Belard – »Sie wohnen doch außer der Stadt, glauben Sie daß sich die Eingeborenen ohne Weiteres den Französischen Befehlen fügen werden?«

»Gott weiß was sie thun« sagte René – »soviel ist gewiß, daß die Regierung jetzt mehr den Einfluß der Missionaire, besonders des Englischen Consuls, als irgend etwas anderes zu fürchten scheint, und nur wohl auf einen wirklichen Grund wartet, ernstlich gegen ihn einzuschreiten.«

»Dieser Mr. Pritchard hat etwas recht anständiges nobles in seinem ganzen Wesen« sagte die junge Frau – »ich hätte ihn gar nicht für einen Missionair gehalten.«

»Er ist es auch wohl nur noch in dem Einfluß, den er auf die Eingeborenen ausübt – ich bin übrigens kein Freund dieser Herren, und froh besonders meine Frau aus ihrem Bereich entfernen zu können. Diese tollen Schwärmereien immer mit anzuhören ist zum Verzweifeln, und wenn irgend etwas auf der Welt, das wahrhaftig könnte mich rasend genug machen, lieber wieder an Bord eines Wallfischfängers zu springen, ehe ich einem schleichenden, tödtenden Bekehrungsversuch entgegenginge.«

Susanna lächelte und sagte mit leisem Kopfschütteln:

»Der Rückfall ist bei Ihnen nicht zu fürchten – seit Sie den Frack wieder getragen, und die Glacéhandschuh haben Sie sich den Geschmack an dem romantischen Leben der Wallfischfahrt jedenfalls verdorben.«

»Sie können mir den Frack noch immer nicht vergessen,« lachte René, rasch und willig in den lebendigeren Ton des Mädchens eingehend.

»Es war das erste was mir, mit dem Bewußtsein Ihrer Geschichte, an Ihnen in die Augen sprang« sagte schelmisch das Mädchen, »und ich malte mir Ihr Doppelbild da gar lebendig aus. Der Eindruck hat sich bei mir auch nicht wieder verwischen lassen.«

»Das also war der erste Eindruck den meine Erscheinung auf Sie hervorgebracht,« lachte René, »Frack und Glacéhandschuh – wieder ein Beweis für eine Beobachtung die ich von je gemacht, daß Frauen selten im Stande sind ein richtiges unbefangenes Urtheil über eine, ihnen zum ersten Mal aufstoßende Physionomie oder Persönlichkeit zu fällen.«

»Ei Sie grober Mensch« rief Madame Belard rasch, »wie können Sie etwas derartiges in Gegenwart von zwei Damen behaupten, noch dazu da Sie auf alle Beide vielleicht einen günstigen Eindruck gemacht haben. Der erste Eindruck ist gerade bei mir der wichtigste und entscheidendste, denn das Auge ist dabei kein Diener des Verstandes sondern des Herzens. Viele Leute wollen behaupten daß der Kopf, der kalte Verstand für das Herz denken und handeln müsse, und dabei alle Hände voll zu thun habe, aber hierbei findet gerade das Gegentheil statt. Wie oft z. B. geschieht es, daß wir fremde Menschen mit dem ersten Blick schon lieb gewinnen und uns von anderen eben so abgestoßen fühlen. Die Einen haben uns noch Nichts zu Lieb, die Anderen noch Nichts zu Leid gethan, aber das Herz streckt seine Fühlfäden aus, und was der nüchterne Verstand in Monaten vielleicht nicht herausbekommen, und sich dann am Ende doch noch getäuscht hätte, das sagt uns das Herz mit einem Schlag, und wie selten ist es daß es sich irrt.«

»Sie hätten recht,« erwiederte René, »wenn Ihr erster Blick eben ein unpartheiischer wäre, der gleich die Züge des fremden, zum ersten Mal begegneten Menschen trifft, aber der erste Blick gehört bei Ihnen stets den Kleidern des oder der Fremden, der zweite hat dann schon aufgehört unbefangen zu sein – eine falsch gewählte Farbe, eine veraltete Mode sprach das Urtheil vorher.«

»Und ich will Ihnen beweisen daß sie unrecht haben« rief Susanna wärmer werdend – »schon nach dem ersten Blick auf einen Menschen sag' ich Ihnen was er für Augen, was für Zähne hat.«

»Augen und Zähne« erwiederte René achselzuckend – »das Gesicht also abermals wieder nur als Kleidungsstück betrachtet.«

»Etwas spricht für Ihre Behauptung« sagte Madame Belard etwas pikirt – »daß wir armen Frauen so oft von Euch Männern betrogen werden – vielleicht haben Sie doch recht, und dieser Kleiderblick ist unser Fluch. Ich habe nicht geglaubt daß Sie so boshaft sein könnten.«

»Herr Delavigne will uns die Trennung leichter machen« sagte Susanna, wirklich fast böse über die etwas herbe Bemerkung.

»Gott verhüte daß ich Sie kränken sollte« fiel ihr René rasch ins Wort – »zürnen Sie mir nicht, mir ist der Kopf wirr und toll seit heute Morgen, und der Gedanke Tahiti – so viele liebe Freunde zu verlassen, noch zu neu, zu fremd – zu ungewohnt. Aber ich muß auch fort; es dunkelt schon und ich habe noch Einiges in der Stadt zu besorgen, was vor dem Abendschuß abgethan sein muß.«

»Also wirklich fort?« sagte Madame Belard.

»Ich kann nicht anders« seufzte René und fuhr dann leiser und ihre Hand ergreifend fort, »ich lasse viele liebe Freunde hier zurück – werden auch Sie manchmal meiner gedenken?«

»Wir wollen keinen großen Abschied von einander nehmen, Delavigne« sagte die kleine Frau bewegt, mit Willen und Anstrengung aber die Bewegung niederkämpfend – »Sie gehn nicht aus der Welt, und werden manchmal hier herüber kommen; es ist ja das Schönste was wir haben auf der Welt, liebe, uns theuere Freunde wieder zu sehn, deren Bild, auf dem dunklen Hintergrund der Trennung nur so viel schärfer und reiner in unserer Seele bleibt. Gehn Sie mit Gott, grüßen Sie mir Ihr Weibchen und – mögen Sie das finden was Sie suchen.«

Ihm rasch ihre Hand entziehend, denn sie hatte den jungen Mann durch sein offenes herzliches Wesen wirklich lieb gewonnen, und er sollte die Thränen nicht sehn die ihr ins Auge stiegen – verließ sie rasch das Zimmer.

Susanna machte eine Bewegung als ob sie ihr folgen wollte, besann sich aber und blieb an dem Instrument stehen, auf das sie sich mit der linken Hand stützte.

»Miß Lewis« sagte René leise – »ich glaube nicht daß wir uns wiedersehn werden – «

»Ich habe Sie ja noch eigentlich gar nicht entlassen,« unterbrach ihn die Jungfrau, gewaltsam gegen ein Gefühl ankämpfend, dem sie nicht Worte geben mochte und konnte; aber, ohne daß sie eigentlich wußte warum, einen ernsten Abschied fürchtend, fuhr sie, in den leichten Ton übergehend, freilich in gezwungener Fröhlichkeit fort – »Sie haben sich mir auf Gnade und Ungnade ergeben und müßten mich jedenfalls erst um Urlaub bitten. Wissen Sie wohl daß mir der Preis bekannt ist, den mein Vater auf Ihr Wiedereinbringen gesetzt hatte, und soll ich Sie jetzt so ohne Weiteres entlassen?«

 

»Ueben Sie Gnade vor Recht Mademoiselle« bat aber René leise und ernst – nicht im Stande in diesem Augenblick auf den leichten, scherzenden Ton einzugehn – »üben Sie Gnade meinet- Gnade eines anderen Wesens wegen.«

»Ich verstehe Sie nicht« sagte Susanna rasch, »aber ich sehe wohl ein, mir armem schwachen Mädchen wird das nicht gelingen, was der Delaware mit seiner ganzen Mannschaft umsonst versuchte – Sie zu halten. – Und was soll ich meinem Vater sagen?«

»Sagen Sie ihm,« rief René jetzt, kaum im Stande das gewaltsam zu Tag brechende Gefühl nieder zu kämpfen – »sagen Sie ihm – daß ihn die Tochter hart und schwer gerächt. Und nun – leben Sie wohl, recht wohl und – glücklich.«

Ihre Hand dabei ergreifend preßte er sie fest an seine Lippen und sprang dann mit flüchtigen Sätzen die Treppe hinunter und aus dem Haus.

»René!« wollte Susanna rufen, aber die Zunge versagte ihr den Dienst – die Worte erstarben ihr auf den Lippen, und die Hand fest und krampfhaft auf ihr Herz gepreßt, floh sie auf ihr Zimmer, und schloß hinter sich die Thür mit dem Riegel.

Capitel 6.
Jim O'Flannagan in Thätigkeit

Die Sonne war am Untergehn, die einbrechende und hier dem Verschwinden des Taggestirns fast augenblicklich folgende und eben so rasch in wirkliche Nacht übergehende Dämmerung verkündete es wenigstens, denn dichte Wolkenschleier lagen über dem Horizont, und breiteten, reckten sich höher und höher, eine stürmische Nacht versprechend in dem sich wieder erhebenden Westwind, der jedesmal fast seine Gewalt mißbraucht, wenn er den ruhigen und vernünftigen Ostpassat einmal zu verdrängen gewußt hat, auf kurze Zeit.

Sadie war in ihrem Haus allein mit dem Kind, und selbst der Mitonare Ezra, der ihr fest versprochen hatte recht früh zurückzukehren und ihr noch mit manchem zu helfen in Packen und Zurechtstellen, nicht gekommen. Auch René blieb heute so entsetzlich lange aus – aber er hatte noch viel zu thun in der Stadt. Lieber Gott der Entschluß war ja so plötzlich, so überraschend schnell gefaßt worden, sie konnte sich leicht denken wie schwer es da sein mußte Alles zu ordnen was er zurückließ, und daß er das nicht in ein oder zwei Stunden vollbringen könne. Bald, ach bald war ja das nun Alles überstanden; nach Atiu – o wie sie der Gedanke mit Glück und Seligkeit erfüllte – nach Atiu, nach ihrem lieben lieben Atiu – und wie ihr die Palmen da entgegenwinken würden und die stillen Blumen die sie gepflegt und gehegt; und das Lieblingsplätzchen am freundlichen Strand, von den Lüften gegrüßt, von den Riffen umbraust, der stille theuere Ort, mit der Erinnerung ihrer Jugend – ihrer Liebe – o es war als ob ihr das Herz springen müsse vor lauter Seligkeit, wenn sie der frohen Rückkehr gedachte nach ihrem Atiu.

Aber wo blieben die Männer? – auch Mata-oti war draußen und kehrte, trotz mehrmaligem Rufen nicht wieder; das Wetter zog dabei höher und höher herauf – und gerade heute ließ man sie so allein. Doch draußen – das waren Schritte – die Gartenthür hatte geknarrt, und gleich darauf betrat mit etwas eiligem Joranna der kleine Bruder Ezra das Zimmer; sie konnte ihn in der jetzt vollkommen eingebrochenen Dämmerung, ja Nacht, kaum noch erkennen.

»Joranna Sadie, Joranna,« sagte er und trocknete sich den Schweiß von der Stirn die er, aus den engen Frackärmeln heraus, mit den kurzen dicken eingezwängten Armen kaum erreichen konnte – »René ist noch nicht zurück?«

»Nein, Mitonare, aber er muß bald kommen, und es freut mich nur daß wenigstens Einer von Euch da ist – es ist gar so unheimlich hier so ganz allein zu sein, mit dem leeren und öden Haus Lefévres dicht daneben – ich weiß nicht jene leeren Räume haben etwas Todtes Unheimliches für mich.«

»Ist Bruder Aue hier gewesen?« frug Mitonare leise.

»Mr. Rowe? wie kommst Du auf den?« rief Sadie erstaunt, »nein.«

»Pst« sagte Bruder Ezra und sah sich scheu um und dann setzte er sich auf einen Stuhl, stützte die Ellbogen auf die Lehnen, faltete die Hände und jagte, starr vor sich niedersehend, die Daumen umeinander herum.

Sadie wurde es unbehaglich in dem dunklen Zimmer und sie zündete die Lampe an die auf dem Tisch stand.

Es war indeß vollkommen dunkel geworden, und der Wind hob sich heftiger und schleuderte die Brandung an die gegenüberliegenden Riffbänke mit immer dumpferem Brausen.

»Aber was hast Du nur, Mitonare?« rief Sadie endlich, vor ihn tretend und ihn bestürzt ansehend – »Du siehst aus, als ob irgend etwas vorgefallen. Ist ein Unglück geschehn? – Heiliger Gott, René – wo ist René – «

»Pst – pst« sagte aber der Mitonare eifrig mit der Hand winkend, und schloß die Augen dabei, schob die beiden außerdem schon etwas dicken Lippen vor, und schüttelte aus Leibeskräften mit dem Kopf – »pst, pst Pu-de-ni-a – nicht solchen Spektakel machen – haben Schildwache dicht bei – «

»Aber René – «

»Unsinn, Unsinn, der Wi-Wi läuft, so viel ich von ihm weiß ganz gesund und munter in der Stadt herum und trinkt seinen Freunden den Wein aus, zum Abschied – Mitonare hat ihn in drei Häusern gesehn, auf die Art« sagte Bruder Ezra, ergriff Sadiens Hand und streichelte sie, die arme Frau zu beruhigen – »Tolle Gedanken die sich Pudenia macht um den Wi-Wi – bah – ist wie Guiave, nicht auszurotten; stecke heute einzigen Apfel in die Erde habe im anderen Jahr ganzen Wald.«

»Aber weshalb fragst Du nach Mr. Rowe – der Mann erscheint mir nur immer vor Sorge und Trübsal und großer Noth – was soll er hier, heute noch hier wollen? und wenn ihn René hier fände, gäb' es vielleicht harte Worte zwischen den Männern. Gott wolle es verhüten.«

»Aber ich begegnete ihm doch draußen am Thor – er verließ den Garten, wie ich kam – war er nicht hier im Haus?«

Sadie faltete die Hände und sah erschreckt zu dem Mitonare auf.

»Er kam aus unserem Garten?« frug sie leise – »doch ich bin ein thörichtes Kind,« setzte sie rascher hinzu, »mir da Sorge und Kummer zu machen, vielleicht um Nichts. Es hat heut den ganzen Nachmittag fast ein fremdes Canoe an unserer Landung gelegen und zwei Männer, die darin gekommen, waren an Land. Vielleicht daß ihm das gehörte und er danach sehen wollte vor dem einbrechenden Sturm.«

»Und ist das Canoe wieder fort?« frug Bruder Ezra.

»Oh wohl vor einer Stunde, aber ein Einzelner hat es nur zurückgerudert.«

Mitonare stand auf, trat in die Thür und schaute einige Minuten still und schweigend hinaus in die Nacht.

»Haben die Wi-Wis mehr Soldaten als den einen da unten unter dem Pandanusdach, wo das Feuer ist?« frug er endlich, sich wieder umdrehend, als er eine ganze Zeitlang nach der Richtung hinausgesehen hatte.

»Es waren drei oder vier da, heute Nachmittag« sagte Sadie, »aber sie trieben sich meist oben an der Straße herum, wo Tanui der alte Lootse mit seinen Töchtern wohnt.«

»Ahem, ahem« nickte der kleine Mann, und strich sich das Kinn mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand; langsam aber auf- und abgehend im Zimmer murmelte er dann leise vor sich hin – »es ist doch eine böse Geschichte, böse, böse Geschichte.«

Sadie, die von den Worten nichts verstehen konnte, sah ihm, immer noch nicht vollkommen beruhigt zu, und horchte ängstlich dabei hinaus, denn ihr scharfes Ohr hatte einen Laut entdeckt der vom Wasser herüber zu dringen schien. Es war indeß so dunkel geworden, daß man die Hand kaum vor Augen erkennen konnte.

»Was war das?« sagte sie leise – »war das nicht als ob ein Canoe dort unten landete – ich dächte ich hätte eine Stimme gehört. René wird doch nicht in dem Wetter zu Wasser kommen?«

»Unsinn« sagte Bruder Ezra, rasch mit dem Kopf schüttelnd und die Thür zumachend – »wahrscheinlich ist es der Mann in seinem Cutter – Cutter liegt ja da gleich vor Anker. Wird nachsehn ob Alles in Richtigkeit ist, wenn das Wetter vielleicht noch ordentlich losbricht.«

»Dort draußen geht Jemand« rief aber Sadie, die nichtsdestoweniger ihre Sinne zum Aeußersten angestrengt hatte, den geringsten Laut zu erlauschen – »das ist René.«

»Possen,« sagte der kleine Mann und suchte sie von der Thüre fortzuziehn, aber deutlich hörten sie in diesem Augenblick schwere Tritte dicht unter ihrem Fenster hingehn, und es war als ob Jemand da unten flüstere.

»Heiliger Gott, was geht da vor?« sagte aber Sadie, sich entschlossen von der Hand des kleinen Mitonare befreiend – »was hast Du, Mitonare – Du glühst und zitterst selber; welch Geheimniß birgt die Nacht da draußen?«

»Pu-de-ni-a – es ist Nichts – ist nicht viel« sagte der kleine braune Missionair und fing an sich vor lauter Verlegenheit bald an seinem Frack, bald an seinen unteren Kleidern zu zupfen – gute Freunde von – keine guten Freunde von Wi-Wis – aber nicht von unserem Wi-Wi« setzte er rasch hinzu – »wollen sich – wollen sich was in die Berge tragen, daß ihnen der Wi-Wi die Berge nicht auch wegnehmen kann.«

»Was in die Berge tragen? – wie versteh' ich das?« frug die Frau erstaunt – »geschieht da etwas gegen die Gesetze?«

»Nicht gegen das dicke Buch!« rief Mitonare schnell – »im Gegentheil, das steht Alles darin; wir haben heute die ganze Geschichte abgelesen – ist Alles vorgeschrieben drinn.«

»Wer hat es abgelesen?« flüsterte Sadie leise.

»Bruder Aue und noch viele andere Männer.«

Die Frau schauderte in sich zusammen, sie wußte selber kaum warum, aber die Angst um das was da draußen vorgehe, ließ ihr auch keine Ruhe im Haus drinn, und sie schritt der Thüre zu, diese wieder zu öffnen. Mitonare verhinderte sie daran.

»Nein, nein Pu-de-ni-a« sagte er rasch – »nicht hinaussehn jetzt – brauchen gar nichts mit zu thun zu haben und was davon zu wissen wenn Wi-Wi fragen. Sind im Haus gewesen und haben Nichts gesehen, wie sie Gewehre in die Berge tragen.«

»Gewehre?« frug Sadie rasch und erschreckt – »Waffen für die Eingebornen?«

Mitonare schüttelte erst wieder rasch mit dem Kopf, dann aber sich doch besinnend daß er nicht geradezu, als besonders abgeschickter Mitonare, eine auffällige Lüge sagen könne und dürfe, hielt er mit Schütteln plötzlich ein, sah Sadie einen Augenblick an und nickte dann eben so kräftig, und mit den Augen dazu verschmitzt blinzelnd, mit dem Kopf.

»Und weiß René davon?« frug die Frau.

»Der Wi-Wi?« lachte aber Mitonare schon über einen solchen Gedanken gerad hinaus – »der Wi-Wi soll was davon wissen? aber Pu-de-ni-a – Nein das ist gerad das Komische – nehmen es durch sein eigen Haus und er weiß nicht!«

»Aber wenn er jetzt dazu käme und den Alarm gäbe?« frug die Frau, ängstlich die Möglichkeit bedenkend daß René die Hand nicht dazu bieten würde, seine eigenen Landsleute zu bekriegen.

»Bah, bah« lachte aber der Mitonare still in sich hinein – »der Wi-Wi kommt jetzt nicht, gute Freunde haben dafür gesorgt – haben ihn eingeladen bis zehn Uhr – nachher Alles vorbei – kann nachher kommen und sehn wie sie durch den Garten gelaufen sind. Sollen wir die Leute in den Bergen ohne Gewehre lassen?« setzte er dann entschieden hinzu, als er sah wie die Frau unschlüssig ihm gegenüber stand und dem Geräusch draußen horchte – »sollen sie Nichts haben womit sie die Bibel, ei womit sie ihren eigenen Brodfruchtbaum vertheidigen können, wenn fremde unverschämte Männer über das Wasser kommen und Brodfrucht mit Baum und Garten und Umgegend gleich dazu nehmen? – Bah – soviel für die Wi-Wis – sind ein paar gute darunter ja – aber nicht viel; Kanaka muß was in der Hand haben womit er sich wehren kann, sonst ziehen sie ihm die Matten unter dem Rücken fort.«

Und er hatte recht. Sadie selber, so sehr sie das auch vor dem Gatten zu verbergen suchte, fühlte tief im Herzen die ihrem Vaterland widerfahrene Schmach, ja begriff vielleicht mehr als irgend Einer ihrer Landsleute, wie gedemüthigt ihr Volk in den Augen aller anderen Nationen dastehen müsse, wenn es keinen Arm hebe, die erhaltene Beschimpfung zu rächen, und gleichgültig und feige seine Flagge in den Staub treten lasse. Seine Flagge? ein eignes, unsagbar schmerzliches Gefühl durchzuckte sie, als sie der Tahitischen Flagge, als sie jener Stunde gedachte, und nicht den Muth hatte sie gehabt, René danach zu fragen. Aber der Augenblick nahm ihre Aufmerksamkeit zu sehr in Anspruch, jetzt gerade vergangener Zeit gedenken zu können, und mit der Angst um René, was er thun, was er sagen würde wenn er erführe was hier geschehn, mischte sich auch wieder ein eignes stolzes, ja frohes Gefühl, daß die Tahitischen Männer nicht feige die Speere fortwerfen und in die Berge fliehen, sondern dem Feind, der ihr theuerstes Besitzthum angriff, herzhaft die Stirne bieten wollten. Und der Erfolg? – sie seufzte wenn sie daran dachte, aber die Berge waren steil, die Schluchten der Insel eng, das Uferland im Verhältniß schmal und dicht zum Strand gedrängt; ein Haufen entschlossener Männer, nur einigermaßen gut bewaffnet, konnte da schon einem weit zahlreicheren Feinde die Spitze bieten. – Aber Blut – Blut sollte in diesen Thälern fließen, in denen der Friede Gottes seit langen, langen Jahren ungestört geherrscht, und so im Recht die Ihren waren, ihr Vaterland zu vertheidigen, und wenn es das Leben Tausender koste, so weh und unheimlich war ihr das Gefühl dabei, jetzt selber an der Schwelle zu stehn, von der Blut und Verderben ausgehen mußte für so Viele.

 

Und der Mitonare, der stille friedliche kleine Mitonare, der sonst in seiner Bibel studirt, die Welt weiter nicht kannte, ihr Nichts bot, von ihr Nichts verlangte, als das Versprechen einstiger Seligkeit, und die selber fürchtete, wenn er sich Männer wie Bruder Aue und manche Andere dabei als leitende herrschende Wesen dachte – den kleinen friedlichen Mann jetzt dabei betheiligt zu sehn Mordgewehre in stiller Nacht in die Berge zu schaffen, dem Aufruhr gegen offene Gewalt die Hand zu bieten – sie konnte es nicht fassen, nicht begreifen.

»Aber Mitonare« sagte sie tief aufseufzend, denn ein eigenthümliches ängstliches Gefühl beklemmte ihr die Brust – »wenn die Männer zu den Waffen greifen, haben sie recht – die jungen Leute eines Stammes haben ihr Vaterland zu vertheidigen, denn Gott hat es ihnen gegeben als einen Platz ihn anzubeten und Gutes darauf zu thun, und wird es ihnen entrissen, so können sie die ihnen auferlegten Pflichten nicht mehr so vollständig erfüllen. Anders ist es jedoch mit den Lehrern eines Volks, mit denen, die Gottes Wort, das Wort des Friedens und der Liebe selber verkündigt haben, und noch verkündigen wollen; dürfen diese das Schwert auffassen und in den Kampf ziehn oder selbst die Waffen dem Bruder in die Hand drücken und sagen: Da, gehe hin und erschlage die, die Dich angegriffen haben? – ach Mitonare, ich bin vielleicht nur eine thörichte Frau, die sich mit unnützen, falschen Scrupeln und Befürchtungen quält, aber mir ist doch so gar weh zu Muth, und ich weiß nicht ob Du recht thust, auch nur um etwas derartiges zu wissen. Vater Osborne hätte das nie gethan, und Christus hat nicht gewollt daß wir unsere Religion mit der Schärfe des Schwertes vertheidigen sollten.«

»Zu Christus sind auch keine Wi-Wis gekommen und haben ihm das Land weggenommen,« rief der Mitonare schnell – »Religion – ja das ist Alles recht schön und gut – Religion ist ein sehr gutes Ding, wenn man aber keinen Platz hat wo man sich hinsetzen und beten kann, hilft Einem auch die Religion Nichts.«

Sadie blickte erstaunt, erschreckt ihn an – sprach das der kleine gottesfürchtige Mitonare aus früherer Zeit, und waren nur wenige Jahre im Stande gewesen, eine so merkwürdige gewaltige Veränderung mit seinem ganzen Wesen und Charakter vorzunehmen?

»Mi-to-na-re!« rief sie bittend.

»Ja Pu-de-ni-a, gutes Kind« sagte der kleine Mann gerührt, denn in dem einen Wort lag die ganze alte Liebe und Zärtlichkeit früherer Zeit – »Pudenia ist sehr gutes Kind, Mitonare ist aber anders geworden. Der alte Mann auf Atiu, mit dem weißen Bart sagte freilich man würde nicht anders, man würde nur klug, wenn man das Alles einsähe, und das ist auch wohl vielleicht recht hübsch und nothwendig – aber glücklich wird man nun einmal nicht dabei.«

»Und wir waren glücklich auf Atiu« sagte Sadie, in stiller Wehmuth seine Hand ergreifend.

»Ja« flüsterte der kleine Mann plötzlich und ein anderer Geist kam wieder über ihn – »recht glücklich waren wir – bis die Wi-Wis kamen – nicht der Eine, Pu-de-ni-a aber die Anderen – bis die anderen Priester kamen und uns sagten daß wir unsere alten Götter umsonst verworfen und uns dem neuen Gotte zugewendet hätten, bis sie uns sagten daß wir auch ohne das hätten selig werden können, und nun nur beten müßten, recht viel beten, unsere Eltern aus dem heißen Platz, aus dem Fegefeuer, herauszuholen. Da wurden wir irr zuletzt, da wußte man nicht mehr welcher Pfad der rechte sei, und wenn uns alte Gewohnheit auch wieder in alten Weg zurückgeführt hatte – es ist doch nicht mehr so wie früher, wir sind älter geworden und – ha – was war das? – Jemand ist an der Thüre.«

»Das wird René sein« rief Sadie.

Die Klinke draußen wurde versucht.

»Sadie – öffne schnell! ich bin es,« rief in dem Augenblick der junge Franzose vor der Pforte, die Mitonares vorsichtige Hand verriegelt hatte.

»Segne mich« sagte aber Bruder Ezra erschreckt, während Sadie rasch hinzusprang dem Gatten zu öffnen – »warum kommt er nicht oben herein von der Straße – er muß sie gesehn haben.«

»Was geht hier vor?« rief aber in diesem Augenblick René, sein Weib und den Mitonare, die Beide bestürzt vor ihm standen, erstaunt ansehend. »Was sind das für Leute hier im Garten und was tragen sie?«

»Was für Leute?« frug Mitonare, in einer noch unbestimmten Absicht dem Wi-Wi die ganze Geschichte geradezu wegzuleugnen.

»Was für Leute?« wiederholte René erstaunt – »habt Ihr denn Nichts gehört und dicht unter dem Fenster hier huschten die Gestalten vorbei? – wo ist mein Gewehr? ich muß sehn was hier vorgeht; die Wache von nebenan wird auch gleich hier sein.«

»Die Wache?« rief Bruder Ezra erschreckt – »was weiß sie von hier?«

»Einer der Soldaten kam mit herüber und sprang rasch zurück als wir die verdächtigen Gestalten bemerkten, den Alarm zu geben.«

»Alle Wetter!« rief aber der Mitonare, und in die Thür springend hielt er die hohlen Hände an den Mund, und stieß einen zwar nicht sehr lauten, aber doch weithin schallenden und ganz eigenthümlichen Schrei aus.

»Was zum Teufel, Mitonare!« schrie aber René auf ihn zuspringend und ihn zurückziehend – »was soll das heißen?« Der kleine Bruder Ezra leistete jedoch nicht den mindesten Widerstand; er schien Alles ausgeführt zu haben was er wollte, und setzte sich jetzt nur dicht zum Fenster auf einen dort stehenden niederen Schemel – mit den hohen Stühlen konnte er sich nie befreunden und horchte, das Ohr an das Fenster gedrückt, still und aufmerksam nach außen, als ob er irgend einen Erfolg hier ruhig abzuwarten gedenke.

René hatte Belards Haus in einer Stimmung verlassen, die ihn gleichgültig gegen die Bahn machte die er einschlug, und eine halbe Stunde wohl schritt er mit fest verschränkten Armen in der dunklen und jetzt fast menschenleeren Broomroad, die mitten durch die Stadt führte, auf und ab. Die kühle Nachtluft, die mit dem frisch einsetzenden Westwind herüberwehte, scheuchte das Fieber endlich von seiner Stirn und machte ihn freier, ruhiger athmen. Er fühlte sich von einer Last befreit die ihn bis dahin gequält und zu erdrücken gedroht hatte, und mit dem Bewußtsein Alles gethan zu haben was in seinen Kräften stand, kehrte auch Ruhe und Frieden in sein Herz zurück.

Das höher und höher steigende Wetter machte ihn endlich darauf aufmerksam, daß er die eigene Heimath suchen müsse, wenn er nicht von dem Sturm, den meist ein tüchtiger Regen begleitete, überrascht werden wollte. Auch Sadie hatte noch so Manches heut' Abend zu thun, und sorgte und ängstigte sich gewiß, wenn er länger ausblieb.

Rasch, mit dem Gedanken, wandte er sich und trat den Heimweg an; es war dicht vor dem Abendschuß, und als er die Brücke erreichte, die schon eine ziemliche Strecke außerhalb der Stadt, unterhalb Papetee über einen breiten jetzt aber seichten Bergstrom führte, hörte er wie eine Gruppe von Eingeborenen im eifrigen Gespräch dort zusammenstand und jedenfalls etwas höchst Wichtiges oder doch wenigstens Interessantes mitsammen verhandelte, denn sie stritten laut und heftig aufeinander ein, und René konnte schon von Weitem hören daß ihre Debatte dem Betragen einzelner ihrer Häuptlinge, vorzüglich Paofai und Hitoti gelte, die wie es schien eine, den Insulanischen Interessen ganz entgegengesetzte Richtung eingeschlagen, und sich der Französischen Parthei zugewandt hatten. Das Für und Wider wurde hier besonders debattirt und ganz vorzüglich ob es die Männer aus Eigennutz oder, wie Andre behaupteten, dem Einfluß der Mitonare's entgegenzuarbeiten, gethan haben möchten. Alle waren aber einig darüber daß es eine Schande für Tahiti sei und die frommen Mitonare's sehr kränken würde, die sich mit solcher Aufopferung um ihr Seelenheil bemüht. Dann kamen Zornesreden auf die Wi-Wis – Andeutungen über sie herzufallen, wenn der heutige Streich gelänge, und noch manche andere dunkle Worte die René, als er am Beginn der Brücke stehn geblieben war den Stimmen zu lauschen, nicht genau verstand – in der That auch nicht verstehen wollte. Ihm lag jetzt mehr als je daran, den für ihn so fatalen Wirren in deren Mitte er gerade stand, zu entgehn, und die Brücke betretend, schritt er rasch darüber hin sein Haus zu erreichen.