Tasuta

Tahiti: Roman aus der Südsee. Dritter Band.

Tekst
iOSAndroidWindows Phone
Kuhu peaksime rakenduse lingi saatma?
Ärge sulgege akent, kuni olete sisestanud mobiilseadmesse saadetud koodi
Proovi uuestiLink saadetud

Autoriõiguse omaniku taotlusel ei saa seda raamatut failina alla laadida.

Sellegipoolest saate seda raamatut lugeda meie mobiilirakendusest (isegi ilma internetiühenduseta) ja LitResi veebielehel.

Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Wie sein Fuß aber auf das Holz der Brücke trat, denn auf dem weichen Grasboden vorher hatte man seine Schritte nicht so leicht hören können, war die Unterhandlung drüben zwischen den Eingeborenen wie mit einem Schlage abgeschnitten; kein Laut ließ sich mehr vernehmen, und so überraschend schnell kam das Schweigen, daß René wirklich einen Augenblick zaudernd stehen blieb und hinüber horchte.

»An meinem besohlten Schritt auf den Planken haben sie gehört daß ich ein Europäer bin« dachte er aber auch zu gleicher Zeit – »sie werden fürchten, behorcht zu sein und sich in das Dickicht gedrückt haben. Meinetwegen, ich wäre der Letzte der sie verrathen möchte,« und ohne selbst weiter an die Leute zu denken, noch sich nach ihnen umzuschauen, schritt er rasch über die ziemlich roh aufgeführte und sehr schmale, mehr stegartige Brücke hinüber, und erreichte eben die andere Seite der Uferbank, als er etwas neben sich regen sah, und sich auch in demselben Augenblick von vier kräftigen Männern gefaßt und umspannt fühlte.

Widerstand war, wie er gleich fühlte, unmöglich, denn er vermochte keinen Arm zu rühren, sein erster Gedanke aber auch, daß hier ein Versehen statt gefunden habe und er für einen anderen der Französischen Officiere vielleicht gehalten wäre. An dem verwundeten Arm aber, an dem sie ihn so unsanft gepackt, thaten sie ihm weh und er sagte deshalb, vollkommen ruhig, und zu dem gewandt der ihn dort hielt, auf Tahitisch:

»Hab Acht Freund, Du drückst mich an der Schulter und ich habe dort eine noch nicht ganz vernarbte Wunde – laß mich los, wir können ruhig mit einander reden.«

»Aber nicht ganz los« sagte der Eine, die Stimme war René jedoch fremd.

»Und warum nicht?« frug er dagegen, während der, der ihn an der verwundeten Schulter gehalten, diese frei gab und seinen Arm nur noch unten leise hielt – »was habt Ihr gegen mich? – es ist doch wohl nur ein Versehen, daß Ihr mich gerade angefallen habt.«

»Versehen? – vielleicht« sagte der Eine vorsichtig – »nicht viel zu sehen hier überhaupt – wie heißt Du?«

»René Delavigne, und wohne schon über Jahr und Tag hier in Mativai Bai unten am Strand in dem kleinen Häuschen, das Vater O-no-so-no früher bewohnte.«

»Ist Alles in Ordnung« sagte ein Anderer der Leute.

»Nun dann laßt mich wenigstens los, was wollt Ihr von mir?«

»Müssen Dich erst noch sprechen – komm herein in das Haus hier – thun Dir Nichts« sagte der Erste wieder.

»Ich fürchte Euch nicht,« entgegnete trotzig der junge Franzose, »habe aber keine Lust mich von Euch hinschleppen zu lassen, wohin es Euch beliebt.«

»Bist Du ein Freund von Kanaka?« frug ein Dritter jetzt, der bis dahin noch nicht gesprochen.

»Wenn ich's nicht wäre hätte ich schon um Hülfe gerufen, und Euch den Französischen Posten auf den Leib gezogen, der kaum zweihundert Schritt von hier entfernt auf der Straße liegt« entgegnete mürrisch René.

»Hm, wenn das lauter Beweis ist« lautete die etwas mißachtende Antwort – »Schreien kann man einem Menschen wehren. Nein, komm mit uns hier zum nächsten Haus – gleich am Wasser dran – wollen was mit Dir sprechen.«

»Heut' Abend nicht, Freunde, ich habe Geschäfte die mich eilig nach Hause rufen« sagte René ausweichend.

»Deshalb gerade« lachte der erste Sprecher – »komm Freund, Du mußt – weißt Du, dann kann man nicht anders.«

»Da hast Du recht, Kamerad« erwiederte René, jetzt auch lächelnd über den praktischen Humor des Eingeborenen. Er sah auch wohl daß ihn keine Gefahr bedrohe, denn hätte man ihm etwas zu Leide thun wollen, wäre hier ein eben so guter Platz dazu gewesen, als irgendwo anders – aber was wollte man von ihm? – »Gut« sagte er nach kurzem Ueberlegen – »ich will Euch folgen, aber dann müßt Ihr mir auch versprechen, daß Ihr mich ungehindert wieder gehen laßt; ich habe mein Weib allein zu Hause und muß zu ihr.«

»Maitai, maitai« riefen die Eingeborenen rasch und freudig, da sie sahen daß der Gefangene ihnen die Sache so leicht und bequem machte – »soll Dir Nichts geschehn, Freund – blos warten ein Bischen blos warten« – und ihn führend, ohne aber für jetzt seine Arme noch frei zu geben, gingen sie mit ihm über die Straße hinüber und am Bach hinauf, wo etwa, zweihundert Schritt von der Brücke entfernt, ein kleines Dorf tief versteckt zwischen Fruchtbäumen und Palmen lag.

René folgte vollkommen geduldig, aus dem einzigen Grund aber nur, weil er eins seiner Terzerole, gut geladen, in der Brusttasche trug, und sich das Spiel nicht selber durch unzeitige Widersetzlichkeit verderben wollte. So, anscheinend als gute Freunde, konnte er seine Zeit abwarten, und bekam er erst einmal den rechten Arm nur auf wenige Secunden frei, daß er zu seiner Waffe gelangen konnte, dann ließ sich eher mit den Leuten sprechen. Eine Absicht hatten sie jedenfalls ihn hier aufzuhalten, und eine ihm günstige konnte es auch nicht sein, also je eher er sich wieder frei machte, desto besser.

Rasch vorwärts schreitend hatten sie jetzt das erste Haus erreicht, und die Thür öffnend, trat der Erste der Eingeborenen zurück, ließ René's Arm los und bat ihn hinein zu gehn – er habe Nichts für sich zu fürchten.

»Ich fürchte auch Nichts, Kamerad« sagte der junge Mann, seinen rechten Arm ausstreckend, den Sehnen wieder freies Spiel zu geben und die Hand dann, wie nachlässig in den vorn halb zugeknöpften Rock schiebend, »aber ich möchte Dich auch bitten mich jetzt wieder frei zu lassen, und da etwas aus dem Weg zu gehn, sonst – « und er riß das Terzerol, das er in demselben Augenblick spannte, aus der Tasche und hielt es dem Eingeborenen entgegen – »möcht' ich genöthigt sein, Gewalt mit Gewalt zu vertreiben.«

»Ah?« sagte der Insulaner ruhig, während sich die Andern etwas scheu hinter ihn zurückzogen, er selber aber, ohne eine Miene zu verziehen, in der Thür stehen blieb und auf das Terzerol sah – »hast Du so was auch in der Tasche? – hätten eigentlich nachsehen sollen, denken aber immer nicht an die kleinen Dinger; aber schadet Nichts – schießt Du mich, sind drei andere da, schneiden Dir Hals ab und werfen Dich in's Wasser.«

»Du nimmst's kaltblütig« lachte René mit einem Blick den inneren Raum der Hütte überfliegend. Am andern Ende derselben saßen fünf oder sechs Frauen und Mädchen um eine hellflackernde Cocosölflamme, dort aber konnte er keine Thür weiter erkennen, nur eine einzige starke Bambuswand umzog das Haus, und er sah recht gut ein daß hier nur ein rasches entschiedenes Auftreten ihn retten oder sein Schicksal entscheiden konnte.

»Du hast recht Kamerad – es könnte mir nicht viel helfen, wenn ich Dir eine Kugel durch den Kopf jagte – drei Andere wären noch da mich aufzuhalten – aber Dir eben auch nicht. Ihr habt mich in aller Stille hier aufgehoben und hierhergebracht, jedes auffällige Geräusch zu vermeiden; ich aber verlange jetzt augenblicklich von Euch daß Ihr mir sagt was Ihr von mir wollt oder – ich gebrauche doch hier diese Waffe, die mit donnerndem Mund durch die Nacht spricht und jedenfalls Hülfe herbeiholt von meinen Landsleuten. Also was soll ich hier? und weshalb habt Ihr mich hierher gebracht?«

Die Insulaner, die keck vielleicht der Gefahr der Waffe getrotzt, hatten in der That nicht an den Spektakel gedacht, den das kleine Ding machen würde, und den sie noch dazu mit von weit größerem Geschütz herrührend verwechselten; jedenfalls mußte ihnen diese Drohung wichtiger als die erste dünken, denn sie unterhielten sich rasch und eifrig miteinander, ohne dabei jedoch ihren Gefangenen aus den Augen zu lassen.

»Du willst nicht bei uns bleiben?« frug der Eine ihn jetzt.

»Gutwillig nicht – Ihr sagt mir denn sonst weshalb.«

Wieder steckten sie die Köpfe zusammen und die leise und flüsternd geführte Berathung war eigentlich von größerer Wichtigkeit für René, als er ihr vielleicht zutrauen mochte, denn es handelte sich dabei in der That um nichts Geringeres, als sein Leben. Die angeborene Gutmüthigkeit der Stämme aber – vielleicht auch die Vorsicht die sie bis jetzt auffällig mit den Franzosen beobachtet hatten und die sie scheu einen direkten Beginn der Feindseligkeiten vermeiden ließ, weil sie wohl fühlten wie sie auf einem Punkt standen, wo der erste Schlag, der erste vergossene Blutstropfen das Signal zu einem Kampf werden mußte auf Leben und Tod, schien hier zu René's Gunsten zu sprechen.

»Wir wollen Dir kein Leides thun« sagte der eine Insulaner, der Einzige der im Licht stand, dessen Züge ihm aber gar nicht bekannt waren, und der von einem anderen Theil der Insel hergekommen sein mußte – »unser Zweck war nur Dich eine kurze Zeit bei uns zu behalten, wenn Du das nicht willst magst Du gehn. Vorher mußt Du aber zuerst mit uns zu Nacht essen – Du sollst nicht sagen können daß wir Dich in eine unserer Wohnungen geführt, und Dich hungrig wieder hinausgelassen haben.«

René lachte laut auf über die unverhoffte und wunderliche Einladung, und doch lag aber auch wieder so viel Gutmüthiges darin daß er es, vielleicht auch besorgt dabei keine Furcht sehen zu lassen, ihnen nicht abschlagen mochte und konnte; das Terzerol aber noch immer gespannt in der Hand forderte er dann von seinem freundlichen Wirth das Versprechen, ihn augenblicklich nach eingenommenem Abendbrod ungehindert ziehn zu lassen.

»Ich verspreche Dir das« sagte der Eingeborene, »und zum Beweis daß ich Dir traue, wie Du mir trauen kannst, ist hier die Thür offen – wir halten Dich nicht mehr – aber« setzte er dann etwas leiser und mit einem eigenen Ausdruck in der Stimme hinzu – »wenn Du Freund von Kanaka bist, wirst Du's beweisen können heut'.«

»Gut denn« lachte René, sein Terzerol sorglos in Ruh setzend und in die Tasche zurückschiebend – »so kommt, meine Burschen, und Ihr sollt sehn daß ich Eurem Fisch und Poe oder was Ihr sonst haben mögt, Ehre mache.«

Die Frauen, die sich beim ersten Eintreten der Männer und den feindlichen da gewechselten Worten und Drohungen scheu zurückgezogen hatten in den entferntesten Theil der Hütte, hörten jetzt kaum die friedliche Wendung die Alles zu nehmen schien, als sie, freilich immer noch schüchtern, hervorkamen, und nur erst Leben gewannen, als ihnen die Männer zuriefen »den Tisch zu decken.« Schon bereit gehaltene Blätter wurden augenblicklich auf die Erde ausgebreitet, wo schon Matten lagen für die Neugekommenen und von zwei hellen Cocosölflammen beleuchtet saßen die, die sich noch vor wenigen Minuten auf Leben und Tod entgegengestanden und deren Leben an dem Gedanken des Einen oder Andern gehangen, sich friedlich plaudernd gegenüber, nur emsig eben bemüht die aufgetragenen Speisen zu beseitigen.

 

Und René war der Fröhlichste unter ihnen; so wild und weh ihm noch kurz vorher ums Herz gewesen, so vollkommen hatte das eben bestandene kleine Abenteuer, wie das unvorbereitete romantische seiner ganzen Lage und Umgebung, jeden trüben Gedanken abgestreift von seinem Geist; das leichte fröhliche Blut, das seinem ganzen Körper jene unendliche und nicht zu ertödtende Spannkraft verlieh, hatte wieder gesiegt und nur dem Augenblick gab er sich hin in sorglosem Muth, der dem Morgen, was er auch bringen mochte, keck und unbekümmert ins Auge sah.

Nichtsdestoweniger zögerte er nicht länger, als er nothwendig brauchte sein Abendbrod zu verzehren; an einem der noch aufgehäuften reinen Hibiscusblätter trocknete er sich Mund und Finger, und erklärte jetzt, aufstehend, den Heimweg antreten zu wollen. Fast wider sein Erwarten, denn er war nicht immer gewohnt bei den civilisirten Indianern Treu und Glauben zu finden, hinderte ihn Niemand daran, sein Wirth selber öffnete ihm freundlich und lächelnd die Thür, und nach herzlichem Abschied, als ob er hier alte Freunde gesucht und gefunden, und nicht als Gefangener vor kaum einer halben Stunde diese Schwelle betreten hätte, verließ er das Bambushaus – kopfschüttelnd dabei, was das räthselhafte Betragen der Eingebornen, ihm gegenüber, zu bedeuten gehabt.

Kaum aber fühlte er den gebahnten Weg wieder unter sich, zu dem er sich, am Ufer des Baches nieder, hatte hinunterfühlen müssen, als er so rasch den Heimweg antrat, als ihn seine Füße tragen wollten. Weshalb hatten ihn die Insulaner aufgehalten? und stand das am Ende gar in irgend einer Verbindung mit der eigenen Heimath? Es war ihm ein unheimliches fatales Gefühl, und das gespannte Terzerol in der Hand, einem etwaigen neuen Angriff nicht wieder so blind zum Opfer zu fallen, lief er mehr als er ging, den, zwar sehr betretenen, aber doch schmalen und dunklen Pfad entlang, der ihn zuerst durch einen stattlichen Palmenhain und dann durch den noch düsterern Grund eines mit Wi- und Mapebäumen besetzten Thales führte. Mit diesem Thal näherte er sich aber mehr und mehr dem eigenen Haus, dessen Licht er nun schon bald hoffte durch die Büsche schimmern zu sehn, als er plötzlich durch ein etwas barsches und gar nicht weit entferntes »Qui vive!« fast erschreckt und in seiner Bahn gehemmt wurde.

»Hallo Kamerad« sagte er aber lachend, sobald er die Antwort gegeben und durch den hier so dicht bei seinem Haus aufgestellten Posten auch jetzt so weit beruhigt war, daß dort nichts Außerordentliches konnte vorgefallen sein – »Ihr liegt ja hier förmlich im Hinterhalt und könntet nervösen Personen den Tod einjagen vor Schreck, wenn sie so plötzlich angeschrien würden; aber lieb ist mir's daß ich Euch hier finde.«

»Habt Ihr irgend etwas gesehn?« frug der Soldat rasch.

»Gesehn? – nein« sagte René nach kurzem Bedenken, er wollte nicht als Ankläger gegen die sich auch doch nur ihrer Haut wehrenden Eingebornen auftreten, »aber paßt gut auf, Kamerad – Ihr habt es mit listigen und der Waldwege gewohnten Burschen zu thun, wenn sie ja etwas unternehmen sollten in späterer Zeit.«

»Hat Nichts zu sagen« lachte der junge Soldat, »meine Augen sind frisch, Kamerad, und mein Gehör so scharf wie das ihre wohl, so leicht entgeht mir Nichts – aber, Kamerad, Ihr könntet uns hier auf der Wacht einen gewaltigen Freundschaftsdienst erweisen, wenn Ihr's nämlich bei Euch führt.«

»Und das wäre? von Herzen gern wenn ich's kann.«

»Wir sind hier vier Mann im Haus, ohne den einen, der hinunter an den Strand postirt ist, sein Auge auf dem Wasser zu halten, und haben nicht eine Pfeife voll Taback zwischen uns – alle fünf – wenn Ihr nur die geringste Quantität – «

»Nicht die Idee, Kamerad, in der Tasche gerade,« sagte René freundlich, »aber ein ganzes Pfund dicht daneben in dem Haus da, wo ich wohne. Wollt Ihr die paar Schritt mit mir hinübergehn, steht er Euch gern zu Diensten.«

»Ich selber darf nicht vom Posten« rief der Soldat fröhlich, »aber ich geb' Euch einen meiner Kameraden mit; Gott sei Dank, da ist doch Aussicht auf eine Pfeife« – und rasch der vielleicht zwanzig Schritt vom Weg abliegenden Bambushütte zueilend rief er von dort einen der da drin auf der Matte schon faul ausgestreckten Soldaten heraus, den Landsmann zu begleiten und die freundliche Gabe in Empfang zu nehmen.

René war der Schildwacht bis zum Haus gefolgt, denn von dort schnitt ein ihm wohlbekannter, etwas näherer schmaler Fußpfad durch ein weites unbebautes und mit hohen Cocospalmen bewachsenes Grundstück nach seinem eigenen Garten hinüber, der von hier kaum mehr wie fünf- oder sechshundert Schritt entfernt lag, und wohin ihn jetzt der junge Französische Soldat, ohne es selbst der Mühe werth zu halten sein Gewehr mitzunehmen, begleitete. Die Insulaner hatten sich bis jetzt nicht allein so friedlich, nein wirklich freundlich gegen sie gezeigt, daß keiner der Soldaten an einen Zusammenstoß mit ihnen auch nur dachte. All' diese Vorsichtsmaßregeln, besonders die am Strand hin aufgestellten einzelnen Posten galten auch keineswegs den Eingebornen, sondern sollten einzig und allein dazu dienen die Mannschaft der im Hafen liegenden fremden Schiffe zu verhindern an heimlichen Stellen zu landen und die Eingeborenen, was man besonders von den Engländern fürchtete, nicht allein gegen die neuen Herren des Landes aufzuhetzen, sondern ihnen auch Waffen und den fast für den Frieden der Küste ebenso gefährlichen Branntwein zuzuführen.

Rasch und schweigend, René voran, waren sie den Pfad entlang geschritten, der hier zu schmal zwischen dem dicht aufwuchernden Unkraut hinlief, zweien neben einander Raum zu geben, und René hatte eben die Einfriedigung erreicht die ihn von seinem Garten trennte, und die Hand darauf gelegt hinüber zu steigen, als er sich etwas darin regen sah, und gleich darauf eine Gestalt zu erkennen glaubte, die mit irgend einer schweren Last, rasch aber geräuschlos vom Strande aufwärts, dicht unter den Fenstern seines eigenen Hauses hin, der Straße zuschritt. Nun lag allerdings der kleine Cutter unten vor Anker, in dem er sich morgen einzuschiffen gedachte, aber er hatte noch Nichts von seinen Sachen eingeladen, also auch dort keine Diebe zu fürchten; überdies schlief einer der Eingebornen als Wächter darin. Was aber wollten die Leute da? – was trugen sie?

»Was ist da?« flüsterte jetzt der Soldat hinter ihm, der noch Nichts sehen konnte, aber ein Geräusch zu hören glaubte, »irgend etwas Verdächtiges?«

»Verdächtiges? – ja« flüsterte René zurück – »ich kann nur noch nicht recht daraus klug werden – bst – « sagte er plötzlich, den Arm des Soldaten fassend, »da kommt noch Einer.« Dieser glitt etwas weiter nach vorn, und deutlich konnten sie erkennen, daß hier im Dunkel der Nacht irgend etwas ausgeführt wurde, das das Licht zu scheuen hatte. Bei ihm im Hause brannte die Lampe, aber sein Weib schien keine Ahnung von dem zu haben was unter ihrem Fenster vorging, und wenn auch René nicht glaubte daß gerade irgend etwas Feindliches gegen ihn selber beabsichtigt wäre, sah das Ganze doch viel zu unheimlich aus, ihm hier draußen Ruhe zu lassen. Dem Soldaten also zuflüsternd daß er hinüberspringen wolle sein Gewehr zu holen, um nachher bewaffnet zu untersuchen was hier vorgehe, benutzte er den Augenblick, wo der letzte Träger hinter dem Haus verschwunden war, stieg leise über die Fenz, und glitt rasch und geräuschlos seiner Hausthür zu, während der Soldat noch eine Minute etwa auf der Lauer blieb und sich erst dann, als er wieder Schritte vom Wasser herauf hörte, so still wie er konnte zurückzog, die Mannschaft der kleinen Wache, die unbegreiflicher Weise noch nicht von dem doch zu diesem Zweck unten aufgestellten Posten alarmirt worden war, herbei zu holen.

An Bord der Kitty Clover hatte an diesem Tag, wenn auch nur unter Deck, eine besondere Thätigkeit geherrscht mit Klopfen und Hämmern, obgleich, wer das alte schmutzige Fahrzeug von außen sah, das kaum hätte vermuthen dürfen. An Deck trieben sich ein paar Matrosen schläfrig herum, oder stiegen langsam in das Takelwerk hinauf, hie und da ein Tau nachzusehn oder eine zersprengte Weveling6 auszubessern, höchst aufmerksam jedoch stets signalisirend, wenn ein Canoe oder Boot dem Schiff zu nah kam, wo dann jedesmal das Klopfen und Hämmern in seinem Bauch schwieg, und Mac Rally vielleicht selber seine steile Cajütstreppe aufkletterte, nachzusehn was die Störung oben verursacht hätte.

Mit Sonnenuntergang kam etwas regeres Leben an Deck – die Leute beschäftigten sich mit einem der zur Vorsorge mitgenommenen und über dem Hinterdeck auf einem besonders dazu hergerichteten Gestell gehaltenen Boote, und nahmen es mehr nach vorn, etwa midschips, um es nachzusehn. Hoch postirt aber und längs der Schanzkleidung hin an Backbordseit, diente es zugleich dazu den weiter in der Bai liegenden Schiffen die Aussicht auf sein Deck, die überdies in der rasch einbrechenden Dunkelheit unsicher wurde, vollkommen zu versperren; auch nach Land zu war ein Ueberblick an Deck durch dort, wie zufällig, aufgehangene Matrosenwäsche theils, theils durch ein altes Segel, versperrt, und vier Fässer waren unter dieser Schutz an Deck geschafft worden und mit Tauen umwunden, um, sobald die Nacht vollständig eingebrochen sei, über Bord gelassen zu werden.

Eine günstigere Nacht hätte sich Mac Rally aber auch gar nicht zu seinem von O'Flannagan angegebenen Unternehmen wünschen können, das in nichts Geringerem bestand als zweihundert Stück Gewehre mit der nöthigen Munition, wie eben so viele Säbel, an den durch den Iren selber bestimmten Ort zu schaffen. Da man aber wußte daß die Küste an diesem Abend schon scharf bewacht wurde, und ein hoch aus dem Wasser gehendes Boot kaum unbemerkt hätte durchkommen können, waren die Waffen in gewöhnliche Thranfässer mit hölzernen Reifen förmlich verspuntet worden, und die Fässer selber mit ihrer Fracht eben nur so weit belastet, daß sie im Wasser, kaum drei oder vier Zoll über die Oberfläche vorragend, schwammen. Mit der Ebbe war dabei nichts weiter nöthig als sie zu steuern, wozu ihnen vier, schon an Bord befindliche Indianer mitgegeben waren, die sie ebenfalls schwimmend begleiten mußten. Mit einbrechender Nacht konnte dies wunderliche Floß, das sich in der That nur durch einen ganz schmalen schwarzen Streifen von der es umgebenden Wasserfläche unterschied, unmöglich vom Ufer aus, von dem es schon durch die Korallen auf etwa hundert und funfzig Schritt abgehalten wurde, erkannt werden. Mit der Lokalität genau bekannt, war auch keine Gefahr da, daß die Landenden vorher bemerkt wurden, wenn nur Jemand an Land die Aufmerksamkeit der dicht bei der eigentlichen Landung stationirten Schildwacht ablenken wollte, und der dort wohnende Franzose, durch dessen Garten die Fracht geschafft werden mußte, entfernt oder für ihr Unternehmen gewonnen werden konnte. Das erstere hatte O'Flannagan selber, das zweite Mr. Noughton – wie er sagte »durch seine Freunde« – übernommen.

Es war gerade mit Sonnenuntergang, der in diesen Breiten ziemlich regelmäßig um sechs Uhr das ganze Jahr hindurch einfällt, und der am Strand eben abgelöste Posten schritt, sein Gewehr im Arm, langsam auf der harten sandigen Fläche auf und ab. Mißtrauisch wohl manchmal nach Westen hinüberschauend, wo über den scharfzackigen Kuppen von Imoe schwarze düstere Wolkenschleier aufstiegen, hinter denen die Sonne schon eine ganze Weile verschwunden war, fesselte das ihn umgebende prachtvolle Schauspiel der Riffe doch weit mehr seine Aufmerksamkeit, und nicht satt sehen konnte er sich an den weißen schäumenden Massen, die in dumpfem Brausen, wenn auch zurückgeschlagen, immer auf's Neue mit ungeschwächtem Muth zum Kampfe eilten und ihre blitzenden schneeigen Kronen dem Feind in's Antlitz schleuderten. Dazu die wehenden Palmen über sich, der herrliche Duft der aus den etwas rauh geschüttelten Blüthen der Orangen und Wi's zu ihm herüberwehte, das leise Plätschern des kaum erregten Binnenwassers auf dem harten Sand, wie die Fluth fiel und das Wasser weiter und weiter nach See zurückwich – es war ihm froh und leicht um's Herz, und fast vergessend daß er hier eigentlich her postirt war in dies Paradies, als ein fremder dahinein gar nicht gehörender, feindlicher Körper, summte er sich doch ein munteres Lied und athmete die kühle würzige Luft ein – der Brust ein herrliches Gefühl nach dem schwülen dumpfigen Tag.

 

In jenen Ländern kennt man die Dämmerung kaum; der letzte Gluthenstreif der Sonne ist eben hinter dem Horizont verschwunden, und im Osten treten schon die Sterne sichtbar vor; heller und heller blitzen sie uns, wie es scheint fast die Nachbarlichter an dem eigenen Strahl entzündend, weiter und weiter der Sonne nach, und mehr und mehr Kraft gewinnend wie sie oben stehn; – so nicht fünfzehn Minuten später hüllt wirkliche Nacht die Erde ein, während noch der hellere Streif im Westen die Stelle kündet wo die Sonne kaum verschwunden.

In der kurzen Dämmerung die dem scheidenden Tage folgte, war es, als ein Seemann, wenigstens der Kleidung nach, mit einem kleinen, in ein rothseidenes Tuch eingeknüpften Bündel am Strande suchend heraufkam, und seine Aufmerksamkeit ganz auf das Wasser gerichtet hielt, als ob er von dort her irgend Jemand erwarte. Die Schildwacht hatte ihn zuerst bemerkt als er über den benachbarten Gartenzaun sprang, aber wenig weiter auf ihn geachtet. Die Matrosen der verschiedenen Schiffe, besonders der Englischen, streiften in der ganzen Nachbarschaft umher und mußten doch alle mit dem um acht Uhr gefeuerten Abendschuß Papetee wieder verlassen haben, an Bord ihrer verschiedenen Schiffe zurückgekehrt zu sein; es war Zeit daß der Mann dorthin aufbrach, er verpaßte sonst die Stunde, und konnte vielleicht die Nacht, statt in seiner bequemen Hängematte, in dem Französischen Wachthaus zubringen – eine Abkühlung für die Freuden des Tages.

Der Matrose schien aber gar nicht direkt nach Papetee zurückzuwollen, denn langsam am Ufer hinschlendernd, wobei er sich der Schildwacht mehr und mehr näherte, blieb er manchmal stehn und erwartete jedenfalls ein Boot von See her, das vielleicht versprochen hatte ihn hier abzuholen. So wenigstens erklärte sich die Schildwacht die Bewegungen des Mannes.

Endlich mußte dieser – und es war fast dunkel indessen geworden – zu einem andern Entschluß gekommen sein; er stampfte erst ein paar Mal, wie ärgerlich und ungeduldig mit dem Fuß, und schritt dann, dabei alle möglichen Englischen Flüche in den Bart murmelnd, gerade auf den Franzosen zu, der jetzt, da ihm die Fernsicht doch durch die einbrechende Dunkelheit genommen war, sich gegen ihn wandte, zu sehen was der Bursche von ihm wolle.

»Hallo Mate«7 redete er den Soldaten in breitem Irisch an, als er in Sprachnähe etwa herangekommen – »kein Boot gesehen hier, seit Du da stehst und die Muskete spazieren trägst?«

»Je ne comprends pas, camarade« lachte der Franzose, mit dem Kopf schüttelnd.

»Wer ist todt?« frug der Ire, mit komischem Ernst den Franzosen erstaunt ansehend.

»Je ne comprends pas – rien du tout – notting!« erwiederte aber die Wacht halb mürrisch über die wiederholte Frage, und das einzige Englische Wort verunstaltend, das sie vielleicht konnte – »geh hinunter nach Papetee – bis Du hinunter kommen kannst wird der Abendschuß gefeuert, und nachher sitzest Du da.«

»Ahem« nickte der Ire, der nicht eine Sylbe von dem Allen verstand – »er wird's wohl nicht haben ändern können. Aber verdammt, das ist langweilige Arbeit, wenn der Bursche auch kein Wort Englisch versteht – wie mach' ich ihm da begreiflich was ich will – ist doch horndummes Volk die Wi-Wis.«

»Prenez garde!« rief der Posten drohend, der die letzten nur zu gut gekannten Sylben wohl verstanden hatte, und sich denken konnte daß der Fremde ärgerlich darüber sei sich nicht ausdrücken zu können und für sich schimpfe – »wahr' Dich wie Du das Wort hier brauchst Kamerad.«

»Dann versteht Ihr vielleicht die Landessprache« rief Jim O'Flannagan, denn er war es, jetzt rasch – »auf Tahitisch wär' es wenigstens eine Aushülfe.«

»Tahitisch nicht gerade« antwortete der Franzose ihm in einem anderen, aber doch verständlichen Dialekt – »ich bin fast ein Jahr auf den Marquesas-Inseln gewesen, und es hat Aehnlichkeit – aber was wollt Ihr?«

»Mein Boot, Mate« brummte der Ire, »mein Kamerad hat versprochen mich hier abzuholen, und jetzt läßt er mich sitzen.«

»Nebenan ist heute ein Canoe angefahren« sagte der Franzose.

»Hol' die Canoe's der Teufel« knurrte Jim – »wenn man am festesten sitzt, klappen sie um manchmal, wie die Taschenmesser – nein eine ordentliche reguläre Schiffsjölle mit rothem Segel – nichts gesehn, Kamerad?«

»Nicht die Probe.«

»Verflucht« brummte der Ire, »aber kommen muß er noch, denn er darf nicht ohne mich an Bord zurück – Wollt Ihr mir einen Gefallen thun, Kamerad?«

»Und der wäre?«

»Wollt Ihr mir erlauben mein klein Bündel hier einen Augenblick herzulegen? ich traue dem rothen Gesindel nicht recht, ich habe Geld d'rin.«

»Warum nimmst Du's nicht lieber mit?« frug der Posten.

»Ich muß doch hierher wieder zurück, wenigstens noch einmal nachzusehn ob das Boot nicht kommt – nachher geh' ich die Straße hinunter in die Stadt.«

»Und kommst zu spät zum Abfahren.«

»Bin bekannt dort« lachte der Andere – »im schlimmsten Fall find' ich Nachtquartier – ich bin gleich wieder unten,« und ohne eine halbe Einwendung des Franzosen dagegen weiter zu hören, legte er sein Bündel gleich neben den Stamm einer dicht am Strand stehenden Palme, deren faserige Wurzeln von dem Wellenschlag vollkommen bloß gespült waren, und schritt in das Gebüsch hinein, das dort allerdings der Straße zuführte.

»Diable« brummte aber auch seinerseits der Posten, »giebt einem da Aufträge ohne weitere Umstände – werde mich aber verwünscht wenig um sein Tuch kümmern. Boot? – ein Boot darf mir jetzt gar nicht mehr landen nach Dunkelwerden; verdammt unverschämtes Volk diese Englischen Matrosen.« Und wie den Aerger zu verjagen setzte er pfeifend wieder seine Wandrung am Strande auf und nieder fort.

Jim war aber nicht nach der Straße hinaufgegangen, sondern mit jedem Fußbreit Boden, den er den Tag über genau recognoscirt, vollkommen vertraut, in den Büschen, zwischen dem Posten und der oben aufgestellten Wache durchgeschlichen, und einer etwas weiter oben auslaufenden Korallenspitze zugeeilt, wo man allerdings, der fast bis an die Oberfläche reichenden Korallen wegen mit einem Boote nicht landen, die schmale Durchfahrt aber innerhalb der Riffe, desto besser übersehen konnte. Dort lag er, bis er vom Wasser aus das verabredete Zeichen der vorbeitreibenden Fässer erhielt, deren dunkle Umrisse er von hier aus kaum im Stande war zu unterscheiden. Unten, wo der Posten stand, trieben sie so viel weiter vorüber, und eine Entdeckung war deshalb kaum zu fürchten, sobald nur das Ausladen geräuschlos genug betrieben wurde.

Vollkommen befriedigt über das was er gesehn, lag er noch einige Minuten still, das eigenthümliche Floß mit seinen dunklen Geleitern erst etwa in einer Höhe mit der Schildwacht zu lassen, kroch dann den Weg den er gekommen zurück, und ging nun, in den Büschen wieder angelangt, und durch diese mit einigen halblauten, für das Ohr des Posten bestimmten Flüchen durchbrechend, gerade wieder auf die Palme zu wo sein Bündel lag.

»Kein Boot gekommen?« frug er hier, dicht bei dem Französischen Soldaten stehn bleibend, nahm dabei eine Cigarre aus der Tasche, schlug mit Stein und Stahl Feuer und zündete sie an.

»Nein« sagte der Soldat, dem der Tabacksqualm gut roch, der aber den Engländer nicht deshalb anreden mochte – »jetzt wär's auch zu spät, ich dürft' es gar nicht mehr an's Ufer lassen.«

»So hol's der Böse, ich komme auch ohne es an Bord – eine Cigarre Kamerad?«

6Die Querseile an den Wanten, die zu Strickleitern dienen.
7Kamerad.