Tasuta

Tahiti: Roman aus der Südsee. Zweiter Band.

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Capitel 6.
Ein Ball in Papetee

Es läßt sich denken, in welche Aufregung die kleine Colonie durch die erst beschriebenen Vorfälle gebracht wurde, denn während die Insulaner, viel zu sehr dem Frieden geneigt, bei weitem in der Majorität den Engländern zuhielten, und eine neue Religion wie ein neues Regiment schon deshalb fürchteten, als es wieder auf's Neue eine Umwälzung in ihren kaum regulirten Sitten und Gebräuchen hervorrufen mußte, bestand der größte Theil der in Papetee selber angesiedelten Fremden aus Franzosen, und deren heißes Blut revoltirte in Feuer und Flamme gegen einen Zwang, der ihnen plötzlich aufgelegt werden sollte, und um so drückender war, da sie die Hoffnung nicht einen Augenblick aufgaben, durch das nächst einkommende Kriegsschiff – und die von den Insulanern so gefürchtete Reine blanche kreuzte in diesen Gewässern – das ganze, durch die Missionaire jetzt nur künstlich aufgebaute System wieder umgeworfen zu sehen.

Es versteht sich übrigens von selbst, daß während dieser Zeit der von Du Petit Thouars allerdings nicht ganz auf rechtlichem Wege hergestellte und von den Häuptlingen gezeichnete Vertrag, zu dessen Unterschrift man selbst Pomare zwang, nicht allein nicht mehr beachtet, sondern vollständig anullirt wurde. Frei und offen predigten die Protestanten gegen das Pabstthum und die beabsichtigte Occupation der Franzosen, und die Römischen Priester, die ihre Kapelle auf einem kleinen reizenden Hügel in Mativaibai errichtet hatten, konnten sich in dieser Zeit nur auf einen sehr kleinen Kreis ihnen ergebener oder doch wenigstens nicht feindlich gesinnter Insulaner verlassen. Im Allgemeinen fürchteten die Indianer den Platz, der in seinen Ceremonieen etwas Geheimnißvolles für sie hatte, und ihnen von ihren Geistlichen in solchen Farben geschildert war, daß sie sich scheuten ihn nach Dunkelwerden zu passiren. Ja sie würden ihn zerstört und jene Priester wieder gewaltsam von dort vertrieben haben, hätten nicht Mr. Nelson vorzüglich wie auch die Brüder Smith, Brower und Mc. Kean ihr Möglichstes gethan sie von einem so unüberlegten und bösen Schritt zurückzuhalten, zu dem sie der Feuereifer des frommen Dennis, wie der unersättliche Ehrgeiz Rowes unaufhaltsam trieben.

Der Französische Theil der Bewohner hielt sich indessen vollkommen ruhig, und wenn auch Consul Mörenhout, in dem Gefühl seiner beleidigten Würde, im Anfang René antreiben wollte der Gewaltthätigkeit wegen Klage auf Schadenersatz einzureichen, die er, bei Vertheidigung der Französischen Flagge gelitten, weigerte sich dieser auf das Bestimmteste dagegen.

»Ich bin von den Indianern freundlich aufgenommen,« sagte er, »und wäre der Letzte einer einfachen Schlägerei wegen, bei der ich eben so viel, vielleicht mehr, ausgetheilt habe als bekommen, neuen Grund zu Streitigkeiten und Ursache zu späteren Forderungen meiner Landsleute zu geben. Ich hätte gescheuter sein sollen als mich in Sachen zu mengen die mich Nichts angehen.«

Die Franzosen in Papetee waren damit nicht ganz einverstanden – sie wollten vor allen Dingen wieder neue Haltpunkte für unter Englischem Einfluß ausgeübten Uebergriffe, und auch die Eingeborenen schienen mißtrauisch gegen den Fremden geworden zu sein, den sie, als den Gatten einer ihrer eingeborenen Mädchen, und in dem früheren Hause des alten Mr. Osborne wohnend, schon gewissermaßen als einen der ihrigen, gar nicht mehr als einen Wi-Wi betrachtet hatten, und der doch jetzt feindlich und gewaltthätig gegen sie aufgetreten war. Das so sehr freundliche Verhältniß, in dem er bis dahin mit ihnen gestanden, schien jedenfalls gelockert, wenn auch nicht ganz gelöst.

René hatte aber viel zu guten und leichten Muth, sich etwas derartiges groß zu Herzen zu nehmen; wie er auf der einen Seite fest gegen seine Landsleute blieb, und sich auf der anderen nichts Böses gegen die Insulaner bewußt war, verkehrte er nach wie vor mit beiden Theilen, und wußte sie beide wieder für sich zu gewinnen. Solche kleine Neckereien und Mißverständnisse dienten aber keineswegs dazu, ihn manches Andere was ihm störend in den Weg trat, übersehen zu lassen, und nur die Heimath, seine Sadie, sein kleines herziges Mädchen konnten ihm manchmal ganz jenen frohen fast wilden Uebermuth wiedergeben, mit dem er sich einem drückenden Verhältniß damals entzogen, und einem neuen Leben förmlich in die Arme geworfen hatte.

Nichts destoweniger blieb das gesellschaftliche Leben der Inseln unter den verschiedenen und so wenigen Franzosen, ein höchst freundschaftliches; eigene Interessen, ja eigene Gefahr verband die Leute auch schon fester mit einander, als es irgend etwas anderes im Stande gewesen wäre zu thun, und das leichte französische Blut schwamm überhaupt oben auf.

Besonders viel trug hierzu die Belardsche Familie bei, die sich wirklich unendliche und anerkennenswerthe Mühe gab in Papetee einen freundschaftlichen Ton zu erhalten, ja eigentlich erst zu schaffen, wo schon die Mischung der verschiedenen Racen etwas derartiges unendlich schwierig machte. Die Europäer hatten meistens all ihre alten Gewohnheiten, aber auch ihre Vorurtheile herübergebracht in eine ganz neue Welt, in die weder die einen, noch die anderen passen wollten, und konnten nur durch unermüdliche Ausdauer Einzelner, die sich der letzteren wenigstens entledigt hatten, dazu gebracht werden sich gemeinschaftlich zu amüsiren – man wollte weiter Nichts von ihnen.

Ein wirkliches Hinderniß aber für größere Gesellschaften blieb der Mangel an Europäischen oder vielmehr weißen Damen, von denen sich nur sehr wenige auf der Insel befanden, und zu einem wirklich gesellschaftlichen Leben doch unumgänglich nöthig, ja unentbehrlich waren. Mit den eingeborenen und mit Europäern fast durchschnittlich nur »oberflächlich getrauten« Frauen konnte man auch in solcher Art nicht gut verkehren; die Indianerinnen waren hübsch und lebendig, auch gutmüthig und liebenswürdig, paßten aber nirgends weniger hin als in Gesellschaft gebildeter Frauen, während mit der Protestantischen Bevölkerung, die in dieser Hinsicht fast nur aus den Familien der Missionaire bestand, ein näherer Verkehr ganz außer Frage blieb. Selbst den feindlichen Stand abgerechnet, den diese beiden Theile der Gesellschaft gegenwärtig einnahmen, hätten sie sich nie in dieser Beziehung vereinigen können, da die strengen orthodoxen Geistlichen jede Art von Spiel und Tanz schon als eine Sünde des Fleisches gegen den Geist ansahen, nur in ihrer zurückgezogen ernst gehaltenen Lebensart den Pfad zum Himmel zu finden glaubten, und von den, darin viel zuversichtlicheren Franzosen häufig verspottet, aber gewiß nie aufgesucht wurden.

Nun lag diesen aber auch daran den Eingeborenen sowohl, wie vorzüglich den Missionairen zu beweisen, daß sie keineswegs durch die im Englischen Interesse geschehenen Schritte eingeschüchtert, sondern im Gegentheil noch voll frischen Muthes wären, und noch mochten kaum vierzehn Tage nach den vorherbeschriebenen Vorfällen vergangen sein, als Mrs. Belard, von ihren Landsleuten dabei unterstützt, fest darauf bestand, allen politischen wie gesellschaftlichen Hindernissen zum Trotz, einen Ball zu geben, und allerdings blieb ihr dabei Nichts übrig, als sich über das, wogegen sie sich lange gesträubt, wegzusetzen und eingeborene Frauen, von denen man sich ja die geachtetsten aussuchen konnte, wirklich mit dazu zu ziehen; wenn auch der Ball dadurch einen etwas wilden Charakter bekam.

Aber die Missionaire traten ihnen selbst hierbei störend in den Weg, denn diese hatten zu großen Einfluß auf den wirklich anständigen Theil der weiblichen Bevölkerung Tahitis, auf die Frauen und Töchter der ersten Häuptlinge, denen der Tanz als etwas rein sündliches, von ihren finsteren Lehrern streng verboten und mit strengeren Strafen, wo sie im Stande waren die in Kraft treten zu lassen, belegt war. Selbst Sadie fürchtete nicht allein den Unwillen der Geistlichen zu erregen, sondern ihr religiöser Sinn, vielleicht mit einer Art Scheu vor den fremden Menschen verbunden, hielt sie zurück selbst von dem Gedanken an solche Vergnügungen.

René wollte sich aber daran nicht binden, doch erst als Sadie sah und fühlte, daß sie ihm mit einer längeren Weigerung weh thun, ja vielleicht auch Unfrieden im Hause anstiften würde, fügte sie sich endlich seinem Wunsch; aber das Herz schlug ihr dabei, als sie ihm ihre Einwilligung gab, und es war, als ob sie eine unrechte Handlung begehen solle. Aengst lich suchte sie dabei nach Entschuldigungen für ihre Zusage, und ihr gutes Herz ließ sie deren bald genug finden. René war ja doch nun einmal Europäer und er mußte gewiß gern bei seinen Landsleuten sein – wußte Sadie doch selber wie glücklich es sie machte, manchmal einen Bewohner von Atiu bei sich zu sehen, und das lag doch nur solch kleine kleine Strecke von Tahiti entfernt, und die Feranis wohnten so entsetzlich weit, sollte sie da die Ursache sein, die ihn zurückhielt?

Bei Brouards war sie deshalb auch schon, und bei Belards einmal mit René gewesen; nur noch nicht bei Mrs. Noughton, der Amerikanerin, deren kalt abstoßendes Benehmen ihrem ganzen Wesen weh that; auch René fühlte kein Bedürfniß die Leute aufzusuchen, wenn ihn nicht gerade eine Geschäftssache in ihr Haus führte.

Trotz allen ihnen in den Weg gelegten Hindernissen wußten Belards jedoch jede Schwierigkeit zu überwinden – die Franzosen wollten tanzen, und es bedurfte stärkerer Sachen als der Predigt eines Missionairs, sie daran zu verhindern. Mr. Belard gab deshalb einen Ball, und alle Franzosen Papetees wie die Officiere der noch im Hafen liegenden Jeanne d'Arc waren eingeladen.

Sadie fürchtete sich vor dem Abend, sie wußte selbst nicht warum, aber sie durfte sich nicht weigern zu gehen, denn erstlich hatte selbst Mr. Nelson seine Einwilligung gegeben, daß sie wenigstens Theil an der Gesellschaft nehmen dürfe, und dann war sogar Lefevre mit Aumama eingeladen – Monsieur Belard mußte Damen zum Tanzen haben – sie konnte sich da nicht ausschließen, durfte René nicht so kränken.

 

Der Vorbereitungen bedurfte es dabei nicht viele – ihre Tracht, wenn auch nach Europäischem Schnitt, war so schlicht und einfach wie nur möglich, und frische Blumen im Haar schmückten das liebreizende Antlitz der jungen Frau schöner als es Diamanten und Perlen vermocht hätten – vielleicht wußte sie das auch.

Monsieur Belard wohnte in einem reizenden kleinen Gartenhaus in der Broomroad, der nächsten Querstraße vom Strand ab, tief versteckt zwischen breitblättrigen Brodfrucht und Papayas, von Palmen das Dach überrauscht, und den Vorhof dicht bepflanzt mit Orangen und Bananen, des Schattens wegen. Das Haus selber war leicht und luftig gebaut, hatte aber doch schon Glasfenster und grüne Jalousieen, mit breiter hoher Verandah und einen ziemlich großen bequemen Saal, der zu dem heutigen Feste mit Blumen und Palmzweigen ganz einfach, aber höchst geschmackvoll decorirt war. Wunderlich stachen dagegen freilich einzelne Stücken aus einer civilisirten Welt ab, die ihren Weg nach der Südsee gefunden, und zu den einfach hölzernen Wänden und der tropischen Vegetation nicht so recht passen wollten. Auch die Meublen waren zusammengewürfelt, wie Glück und Zufall einzelne Stücke nach diesem entlegenen Theil der Welt herübergeführt, oder auch schon des Tischlers Hand in neuerer Zeit sie aus einheimischem Holze gefertigt hatte. So stand auf einer gelbgebeitzten Kommode eine Alabasteruhr zwischen Manila Perlmuttermuscheln und blank polirten Zähnen der Spermacetifische – einen kleinen Mahagoni-Eckschrank schmückten ein paar allerliebste französische Porcellanvasen voll duftender Orangenblüthen, und längs der einen Wand standen zwei vortrefflich gepolsterte und mit Damast überzogene Sophas, mit denen wieder ein schmaler und langer, von Tannenholz aufgeschlagener Tisch nicht harmoniren wollte, der die eine Ecke füllte, aber mit den kostbarsten Produkten dieses an Früchten erfüllten Landes bedeckt war.

Doch wunderlicher und bunter als die Geräthschaften war die Gesellschaft selbst gemischt.

Der wirklich gebildete Kreis von Bekannten reichte nämlich zu einem solchen Fest nicht aus, die Linie mußte weiter gezogen werden und in so engen Raum beschränkt auf der kleinen Insel, war man nicht einmal im Stande noch unter den Wenigen die sich hier befanden, auszuscheiden – es müßten denn sehr triftige Gründe dazu vorgelegen haben. Alles deshalb, was nur einigermaßen auf Bildung Anspruch machte und aus dem Mutterland oder überhaupt der civilisirten Welt stammte, die protestantische Geistlichkeit ausgenommen, war eingeladen, und die kleine Villa versammelte in den eigenthümlichsten Trachten dabei, ein so wunderlich gemischtes Völkchen wie sich wohl noch je, seit Papetee stand, auf einem so kleinen Raum zusammengefunden hatte.

Als René mit Sadie den Saal betrat, wo sie Mad. Belard in ihrer lebendigen aber doch herzlichen Weise empfing, waren eben die Officiere der Jeanne d'Arc eingetroffen. Das Vorstellen ging rasch und ungezwungen genug vorüber; René hatte schon einige von diesen vorher kennen gelernt und wurde auf das freundlichste von ihnen begrüßt.

Madame Brouard war noch nicht erschienen, und da Mad. Belard anderweitig und in der That überall in Anspruch genommen wurde, und René viel mit den Officieren zu sprechen hatte, blieb Sadie allein, und sah sich eben etwas verlegen nach irgend einem Bekannten um, nicht so ganz verlassen in dem fremden Zimmer zu stehen, als Mr. und Mrs. Noughton den Saal betraten, und nach der üblichen Einführung an Sadie vorüber gehen wollten.

Mrs. Noughton wandte den Kopf nach der andern Seite und sah Sadie nicht, und die arme kleine Frau stand einen Augenblick schüchtern und unschlüssig da, ob sie die, stets etwas kalt gegen sie gewesene Fremde anreden solle oder nicht; aber René ging gerade mit zweien der Officiere den Saal hinunter und ließ sie da ganz allein.

»Madame Noughton,« sagte sie leise, und berührte mit ihrer Fingerspitze den Arm der jetzt dicht an ihr Vorbeigehenden.

Mrs. Noughton drehte langsam den Kopf nach ihr um und sah sie an.

»Ich freue mich Sie auch hier zu treffen,« sagte Sadie.

Mrs. Noughton neigte höflich das Haupt gegen sie, Mr. Noughton machte eine etwas steife Verbeugung, und die beiden Gatten gingen, ohne weiter ein Wort mit ihr zu wechseln, vorbei, dem andern Ende des Saales zu.

Sadie stand wie in den Boden gewurzelt, und das Herz schlug ihr ängstlich und verlassen in der Brust.

»Sie haben Dich gar nicht erkannt in den frem den Kleidern,« murmelte sie endlich leise und halb lächelnd vor sich hin – »sie haben geglaubt es wäre Jemand ganz Anderes, Fremdes – oder – « das Blut stieg ihr in vollem Strome in die Schläfe und von da zum Herzen zurück, und sie hätte in diesem Augenblick Gott weiß was darum gegeben zu Hause, bei ihrer kleinen Sadie sein und die fremde kalte Gesellschaft verlassen zu können. Aber das ging nicht, und als sie sich, wieder etwas mehr gefaßt, nun im Saale umschaute, sah sie wie Mr. und Mrs. Noughton ganz allein und steif auf zwei Stühlen saßen und Jedes starr vor sich niedersahen. In diesem Augenblick begann das in dem Nebenzimmer aufgestellte und von der Jeanne d'Arc mit herübergebrachte Musikcorps seine fröhlichen Weisen zu spielen; mehr und mehr Gäste traten zugleich in den Saal, unter ihnen mehre bekannte Gesichter – eine Hand legte sich ihr plötzlich auf die Schulter – es war Aumama, die ihr lachend in's Auge schaute, und der trübe Schatten der sich eben angefangen über Sadies Seele zu legen, wich dem ersten freundlichen Eindruck der ihr entgegen trat.

»Was sitzen die Beiden da drüben so ganz allein und steif?« flüsterte dabei Aumama, die bemerkt hatte daß Sadie nach ihnen hinüberschaute. »Segne mich, wie still und ehrbar sie sind, als ob sie in der Kirche wären – Mr. Aue könnte nicht steifer sitzen.«

Sadie lächelte, aber sie wandte den Kopf ab von der Gruppe – es war ihr als ob sich die beiden Leute nur so steif und abgeschlossen dort hinten hingesetzt hätten, nicht mit ihr zu sprechen – und was hatte sie ihnen gethan? – »Und Aumama, Du bist auch hierhergekommen zu den Fremden?« sagte sie endlich leise – »ich glaubte Du fühltest Dich nicht wohl zwischen ihnen?« —

»Nein, das thu' ich auch nicht,« erwiederte rasch und flüsternd die junge Frau – »ich habe zu Hause geweint und gezankt – ich wollte fort bleiben, aber Lefevre – « sie wandte den Kopf ab und schwieg, und setzte endlich langsam hinzu – »es ging nicht anders.«

»Ich wäre auch lieber daheim geblieben,« sagte Sadie treuherzig.

»Und ich weiß nicht,« fuhr Aumama, auf sich selber niedersehend fort, »mir ist meine Tracht bis jetzt noch nie aufgefallen, ja im Gegentheil hab' ich das lange weite Oberkleid oft weit eher für überflüssig gehalten, nur heute – « und sie schaute halb verlegen umher – »komme ich mir hier so sonderbar so fremd selber und unbedeutend vor, als ob ich nicht hergehöre zwischen die geputzten Leute – sie mit allem um sich hergehangen was nur die fremden Kaufleute in ihren Läden haben, ich barfuß und nicht einmal ihre Sprache redend. Ob ihnen denn auch wohl so zu Muth gewesen ist, als sie zuerst unser Land betreten? Bei Dir ist es wohl anders – Du hast Dich schon ganz ihrer Tracht angepaßt.«

»Wohl ist mir's auch nicht darin,« sagte Sadie kopfschüttelnd, »aber ich fühle daß es nun einmal nicht anders geht; vielleicht fügst Du Dich auch hinein.«

»Nein,« erwiederte Aumama rasch – »nie im Leben; je mehr ich mit den Fremden in Berührung komme, desto mehr fühl' ich daß wir nicht für einander gemacht sind. Sie sind stolz dabei, und worauf? – sie tragen Schuhe, weil sie nicht mit ihren unbehülflichen dünnen Sohlen unsere Korallen betreten können – ich hab' es neulich gesehen, wie sich die Frauen badeten und nicht einen Schritt auf dem scharfen Boden zu thun vermochten. Also deshalb stecken sie die Füße in solche Hülsen, und soll ich dann mich schämen daß ich sie nicht trage, weil ich da eben gehen kann, wo sie es nicht im Stande sind?«

»Und doch thust Du es,« sagte Sadie lächelnd.

»Weil wir eben Thörinnen sind, und das Fremde höher achten wie unsere eigenen heimischen Sitten. – Aber sieh was für goldblitzende Kleider die Feranis von dem Schiff draußen tragen,« unterbrach sie sich jetzt selber, als ihr die blitzenden Uniformen der Officiere des Kriegsschiffs in's Auge fielen. »Und das sind doch nun auch Christen, Sadie, und gute Menschen vielleicht und tragen so bunten Staat, und uns verbieten die Mitonares jeden Schmuck.

»Wir wissen auch nicht ob es nicht sündhaft ist so eitel Gold und Putz zu tragen,« sagte leise Sadie – »wenigstens nicht wenn wir zu Gottes Altar gehn – die Männer dort beten vielleicht nie, da können sie dann freilich tragen was sie wollen. Aber sie drehen wieder hierher um, und dort kommt auch Mad. Belard – sie ist die freundlichste von allen fremden Frauen.«

Das Gespräch der beiden Frauen wurde hier unterbrochen, und in der That betraten auch jetzt rasch nach einander mehre andere Gäste den Saal, von denen Einige, ebenfalls mit eingeborenen Frauen, die beiden Freundinnen herzlich begrüßten, und jedes weitere Gespräch zwischen ihnen unterbrachen.

Und was für bunte Gesellschaft war da versammelt.

Die Officiere der Corvette erschienen natürlich in ihrer Uniform, und Mr. Noughton, Mr. Belard und Brouard wie René und einige Andere waren in schwarzem Frack, wie überhaupt in dem Europäischen Ballcostüm gekommen. Das besonders kam übrigens den inländischen Frauen und Mädchen wunderlich vor, und sobald es nur heimlicher Weise geschehen konnte, kicherten und flüsterten sie nicht wenig darüber.

Ein großer Theil der anderen Gäste ging jedoch in die leichte und bequeme Tracht gekleidet, die das Klima eigentlich bedingt und fordert; helle Sommerstoffe, weit und luftig gearbeitet und den Gliedern vor allen Dingen Freiheit der Bewegung lassend. Strenge Etikette konnte überhaupt an einem Ort nicht stattfinden, wo diese schon zwei Dritttheile des schönen Geschlechts unrettbar ausgeschlossen hätte, und mehr als zwei Dritttheile gehörten der eingeborenen Race an, die nur zum Theil hatte bewogen werden können Schuhe und Strümpfe anzuziehen, sonst aber nur über dem pareu das weite loose Obergewand, und darunter die nackten Füße trug.

Aumama bildete den Typus dieser, aus den schönsten Mädchen jenes wunderschönen Stammes ausgewählten Schaar. Der Pareu den sie trug bestand aus einem halbseidenen mattgrünen mit tiefrothen Fäden durchzogenen und gemusterten Stoff, in der That nur ein einfaches Stück Zeug, das um die Lenden geschlagen und an der linken Seite eingesteckt wurde; über dieses aber trug sie das, erst durch die Europäer und wahrscheinlich durch die Missionaire eingeführte Obergewand, das vorn offen, und mit langen Aermeln an den Handgelenken geknöpft, bis etwas über die Knie herunterfiel, und aus feinem französischem Stoff bestand, der durch einen rothseidenen dünnen Chinesischen Shawl im Gürtel zusammengehalten wurde, und die Formen des Körpers mehr verrieth als verhüllte. Durch das schwarze lockige und seidenweiche, mit wohlriechendem Cocosnußöl getränkte Haar wand sich ihr, von Orangenblüthen durchflochten, das Gewebe eines reizenden grünen und rothen Schlinggewächses, und die goldenen Ohrringe waren fast von den darüber niederhängenden Knospen des cape Jasmin überdeckt. Aumama, die Behende, wie sie in der bilderreichen Sprache ihres Landes hieß, war eine der schönsten Frauen der Insel, und wie bei den meisten ihres Alters, stand ihr die etwas dunklere Hautfarbe nur zu ihrem Vortheil, während die großen lichtklaren und doch so tiefschwarzen Augen Diamanten gleich, rein und feurig über den von zartem Roth angehauchten, lichtbronzenen Wangen glühten.

Mehrere andere Indianerinnen waren ähnlich wie Aumama gekleidet, wenigstens mit demselben Schnitt des Gewandes und ähnlichen Stoffen, die Capitaine von Wallfischfängern in letzterer Zeit auf Speculation, theils von Frankreich, Deutschland oder England mitgebracht. Zwei der Frauen nur hatten sich so weit civilisirt, Strümpfe und Schuhe zu tragen; aber die neue Tracht saß ihnen nicht bequem, sie scharrten beim Gehen fortwährend mit den Füßen; sie waren noch nicht gewohnt diese hoch genug zu heben die Sohlen auch frei vom Boden zu bringen, und die Strumpfbänder mochten sie auch wohl drücken, denn wie sie sich nur unbemerkt glaubten, faßten sie da hinunter den, solchen Zwanges ungewohnten Blutgefäßen Luft zu geben.

Sadie vielleicht allein von allen übrigen eingeborenen Mädchen schien sich in die fremde Tracht vollkommen gut gefunden zu haben, und bewegte sich mit solcher Leichtigkeit darin, als ob sie von Jugend auf daran gewöhnt gewesen wäre. Nichts desto weniger ging sie fast so einfach gekleidet als ihre früheren Gespielinnen, in einem schlichten Oberkleid von ungebleichter Seide, die rothe Schärpe ebenso geknüpft wie Aumama, nur anders den Schnitt des Kleides selbst, das bis auf die Knöchel hinunterging und die niedlichen in weißen Strümpfen und feinen dünnen Lederschuhen steckenden Füße eben sichtbar werden ließ. In den Haaren trug sie einen zierlich geflochtenen Kranz von Mandelblüthen, und um den Hals eine einfache Schnur rother Korallen.

 

Von den Officieren der Jeanne d'Arc waren bis jetzt nur der Capitain mit dem ersten Lieutenant und einigen Seecadetten anwesend; der zweite Lieutenant, den Geschäfte länger an Bord hielten, wie mehre andere Marine-Officiere wurden aber auch noch erwartet, und René ging eben mit dem Capitain der Corvette, mit dem er schon vor einiger Zeit bekannt und gewissermaßen befreundet geworden, im Saal auf und ab, als Monsieur Bertrand, der Name des Seconde-Lieutenants erschien und augenblicklich auf den Capitain zuging, ihm irgend eine Meldung zu machen. René trat ein paar Schritte abseits, den Rapport, der vielleicht geheim war, nicht zu überhören, aber sein Auge haftete unwillkürlich auf dem jungen Mann, dessen Züge ihm so bekannt vorkamen, und dessen er sich doch, trotz alle dem nicht deutlicher erinnern konnte.

In diesem Augenblick drehten sich die Officiere nach ihm um, und der Capitain war eben im Begriff die jungen Leute einander vorzustellen, als Beide auch fast zu gleicher Zeit, »Delavigne«, »Bertrand« riefen und einander fest umschlangen und küßten.

Schulkameraden waren es aus frühster Jugendzeit, und es läßt sich denken, mit welchem Jubel sie Beide hier, fast bei den Antipoden, die Erinnerung an die Heimath, an das Vaterland, nach so vieljähriger Abwesenheit begrüßten.

Wir mögen uns losgerissen haben von Allem was uns einst lieb und theuer gewesen, zerrissen mag das Band sein, das uns an die verlassene Küste, wo unsere Wiege gestanden, fesselte; gleichgültig hören wir wohl von fremden Menschen darüber sprechen, hören selbst ungerührt den Ort nennen der unserer Kinderspiele Zeuge war, Zeuge der heranwachsenden Kraft. Im Herzen zittert's und zuckt's dann vielleicht nur ein wenig; lang verklungene Saiten wurden berührt, und sie wollten rauschen in der alten Weise, als sich noch eben zeitig genug die Hand des Menschen stark und kräftig darauf legte, und sie verstummen machte mit dem festen Willen. Unsere Nerven mögen von Eisen sein, und das Unglaubliche ertragen, aber laß ein Bild selber auftauchen aus jener Zeit, laß uns die Züge wieder vor uns sehen, mit denen wir Freud und Leid getheilt, denen wir unsere Lust und Seligkeit entgegenjubelten, denen wir den ersten Schmerz klagten und uns ausweinten an seiner Brust, und die Hülle springt, die unsere Brust umschloß, die erstarrte Thräne schmilzt und das Heimweh rüttelt zum ersten Mal an den Stäben unserer Herzenskammer, und streckt die scharfe entsetzliche Kralle aus nach dem Heiligthum, das wir von da an wahren müssen wie unseren Augapfel, wenn sie nicht Halt gewinnen soll daran, zu unserem Leid.

Die beiden jungen Leute schienen auch in der That Alles um sich her vergessen zu haben, in dem einen seligen Gefühl des Wiederfindens, nach so langer, langer Zeit, hätte sie nicht des Capitains Stimme wieder zu sich selbst und dem Bewußtsein des Platzes gebracht, an dem sie sich befanden.

»Hallo,« lachte dieser, »wie mir scheint mag ich da die Introduction sparen, denn die Herren sind jedenfalls genauer mit einander bekannt, wie ich vermuthen durfte.«

»Das in der That,« sagte Bertrand, der sich überhaupt auch zuerst von den Beiden wieder sammelte, indem er des Freundes Hand ergriff und fest in der seinen hielt – »nicht hoffen konnt' ich, hier an der fremden Küste einen so alten lieben Jugendgefährten, ja Spielkameraden aus der Knabenzeit zu treffen, und die Ueberraschung ist um so größer, je größer die Freude ist.«

»Eh bien, Bertrand, dann unterhalten sie auch Ihren Freund ein wenig,« sagte der Capitain, »aber vergessen Sie nicht um 11 Uhr – bekommen Sie vorher Nachricht wenn er etwa noch bis dahin eingefangen sein sollte?«

»Ich erwarte den Führer der Patrouille selber hier, sobald er zurückkehrt.«

»Um so viel besser – aber da drüben sehe ich ein paar Damen eintreten, denen ich guten Abend sagen muß – ich werde Sie nachher bitten mir das Nähere dieses freudigen Wiedersehens mitzutheilen« – und mit einer leichten und freundlichen Verbeugung verließ er die jungen Leute, die jetzt Arm in Arm, kaum noch ihrer Umgebung bewußt, an eines der Fenster traten, dort erst dem ersten glücklichen Gefühl des Wiedersehens auch Worte zu leihen.

»Und so halt ich Dich denn wieder, René, nach so langer Trennung, Dich den Flüchtigen eigentlich, der uns unter den Augen fort entschwand, und keinem Freundesruf achten wollte der ihn zurückhalten sollte mit seinem wilden ungestümen Sinn. Und wo hast Du Dich nun so lange herumgetrieben? Mensch Du bist braun geworden wie ein Indianer.«

»Ich weiß nicht wo ich da anfangen soll zu erzählen,« sagte René, dem Blick in herzlicher Liebe begegnend, den jener fest auf ihn geheftet hielt, »und wahrlich, ich hatte es schon fast aufgegeben je im Leben einen Freund von über dem Wasser drüben wieder zu finden in der fremden Welt. Die Zeit die ich hier verlebt, dünkt mich in diesem Augenblick so entsetzlich lang, und ist mir doch auch wieder so rasch so unglaublich rasch verflogen. Oh Bertrand, Du mußt mir viel, viel von daheim erzählen; wie Ihr dort gelebt, wie Ihr – oder nein – nein, auch lieber nicht; die Heimath liegt hinter mir, auf nimmer Wiedersehn, und es ist vielleicht besser ich löse die Schlösser nicht muthwillig, die mir das alte Bilderbuch meiner Jugend so freundlich und fest verschlossen halten. Ich bin fertig mit Frankreich; aber von Dir möcht ich hören, wie es Dir geht, was Du treibst, was Du hoffst, denn nach der Hoffnung eines Menschen beurtheilt sich der Mensch selber meist am besten und leichtesten.«

»Und weshalb auf nimmer Wiedersehn?« sagte Bertrand erstaunt, »unsere Schiffe haben sich jetzt die Bahn gebrochen nach diesem fernen Punkt, und wenige Monden können uns wieder in der Schallweite unserer alten Kirchenglocken landen. Es mag ein Paradies sein das uns hier umgiebt, kann es uns aber je der Heimath Reiz ersetzen? Du bist unstät, ein Flüchtling auf fremdem Boden so lange Du Dich gewaltsam fern von ihm hältst, und wie das Vaterhaus dem wegemüden Wanderer als theures Ziel den langen schweren Pfad wohl vorgeschwebt, so öffnet Dir die Heimath die Arme, und grüßt Dich, ja hält Dich, mit all ihrem unendlichen Zauber, sobald Du nur erst einmal wieder das schöne Land betreten. Sieh ich bin Seemann, René, und das Meer sollte meine Heimath sein; ich weiß auch ich gehöre eigentlich nicht auf's feste Land, und die Zeit die ich dort zubringe, ist meiner Pflicht meist abgestohlen, und dennoch hängt das Herz mit allen Fasern an jenem Fleck der mir das Leben gab, und wenn ich auch, doch einmal draußen, vernünftig genug bin solchen Gedanken keinen Raum zu gönnen, ist es, als ob mir das Herz aus der Brust herausspringen wolle, sobald wir den Bug unseres Schiffes einmal heimwärts kehren. Ich habe das im Anfang für eine Krankheit gehalten und unseren Doktor gefragt, und der hat mir eine Masse unsinniges Zeug dagegen verschrieben, aber es half Nichts; das Uebel saß tief im Herzen und war im Nu gehoben sobald ich an Land sprang.«

»Und doch hab' ich recht, Bertrand,« sagte René, der mit einem leisen, fast wehmüthigen Lächeln den Worten des Freundes gelauscht hatte. »So lange Du noch frei und unstät in der Welt umherstreifst zeigt der Compaß Deines Herzens dem einen heiligen Magnet, dem Vaterlande zu, mag Dir dort Leid geblüht haben, oder Lust, aber – es giebt einen Fall, wo der Mensch selbst die Heimath vergessen kann und – glücklich sein.«