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Unter Palmen und Buchen. Zweiter Band.

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»Caracho,« murmelte Señor Cerro leise zwischen den Zähnen durch, indem er den Fuß unwillig auf den Boden stampfte, »ob man sich auch noch auf einen Menschen in der Welt verlassen kann.«

»Kein Boot da, Señor?« frug der eine Mulatte, »nun wartet nur ein klein Weilchen, den Bogota fahren immer Canoes hinunter und hinauf.«

»Aber ich will weder hinunter noch hinauf.«

»Weiß schon, Señor,« grinste der Mulatte, »aber wenn wir erst Hand auf Bug haben, fährt es uns hin, wohin wir wollen, auch gerad' über den Strom.«

»Und glaubt Ihr gewiß, daß Ihr den Weg nach Alto Tambo finden könnt?«

»Sicher wie was,« nickte der Gelbe, »Señor hat doch das kleine gelbe Messingding?«

»Den Compaß? Ja!«

»Schön – der zeigt genau die Richtung an, und wenn wir fortgehen, wie die Trocha läuft, immer gerade aus, so treffen wir auf Camino real, können ihn gar nicht verfehlen; läuft gerade quer durch von Cachavi nach Malbucho hin.«

»So wollen Sie nicht zurück nach Concepcion, oder hinauf nach Cachavi, Señor?« frug José erschreckt.

»Du, mein Bursche,« sagte der Mulatte tückisch, »gehst hin, wohin man Dich schickt, und wenn Dein Herr weder Lust nach Concepcion noch Cachavi hat, so schleppst Du Deinen Bambuskorb eben durch den Wald. Was kann's Dich kümmern.«

»Und ist der Wald nicht zu dicht?« fragte noch einmal der Ecuadorianer, ohne von des Negerburschen Frage die geringste Notiz zu nehmen.

»Si, un poco!« lachte der Andere, »aber wir kommen schon durch. Nero geht mit der Macheta vorweg und Señor hinterher, und sagen nur immer nach dem Compaß, rechts oder links, oder gerad aus – dauert zwei Tage, sind wir im Weg.«

»Und Lebensmittel?«

»Bah, Menge von Palmen und wildem Honig und Kastanien. Kommen schon durch – besser wie durch Cachavi.«

»Ich weiß nicht – ich wäre doch lieber erst nach Cachavi gefahren, um dort frische Lebensmittel einzunehmen.«

»Da geht Nero aber nicht mit,« sagte der erste Mulatte trocken.

»Caramba,« rief der Ecuadorianer, »glaubst Du, es würde Einer der schwarzen Schufte dort wagen dürfen, Hand an Dich zu legen, so lange Du in meinen Diensten stehst? Den wollte ich sehen.«

»Quien sabe,« brummte der Mulatte achselzuckend – »besser ist besser, und wir sparen dabei noch außerdem eine lange Strecke Weg.«

»Wenn nur mein Gewehr nicht zerbrochen wäre.«

»Machen wir wieder,« lachte der Mulatte – »gar nicht weit von hier am Fluß – glaube ein Stückchen weiter oben, wohnt ein Schmied, der legt ein Blech darum. Der hat auch großen Platanar, nehmen wir Lebensmittel und gehen dann gerad' durch, durch den Wald.«

»Wenn nur erst ein Canoe käme.«

»Hallo, was ist das?« rief der Mulatte rasch, und drehte den Kopf der Richtung zu, von der sie eben hergekommen – »dort geht ein Mensch.«

»Ein Mensch?« rief der Ecuadorianer emporfahrend, denn allerdings war es etwas Außerordentliches, in dieser Wildniß noch ein lebendes Wesen zu finden – »Caramba – ein Mädchen?« fuhr er aber noch überraschter fort, als im nächsten Augenblick Eva aus den Büschen trat. Aber diese achtete weder auf ihn noch einen der beiden Mulatten; nur José hatte ihr fernsehender Blick gesucht, nur auf diesen sprang sie zu, und seine Hand ergreifend rief sie freudig aus:

»Gott sei Dank, José! Gott sei Dank, so war mein langer einsamer Weg doch nicht umsonst, und ich bin noch zur rechten Zeit gekommen.«

»Meine Eva!« rief der junge Bursch bewegt – »aber wie um Gottes Willen kommst Du in diese Wildniß – Von Concepcion in einem Canoe?«

»Hat das Mädchen ein Canoe bei sich?« frug der Ecuadorianer rasch und erfreut.

»Nein, Señor,« sagte die junge Negerin, langsam dabei den Kopf schüttelnd – »derselben Trocha bin ich gefolgt wie Sie – «

»Allein?« rief Nero erstaunt.

»Wie ich hier stehe.«

»Mein armes, armes Mädchen,« sagte José gerührt, »aber hier sind wir am Bogota-Fluß, und das nächste Canoe kann und wird Dich wieder zwischen die Ansiedlungen bringen. Wenn Dich nun eine Schlange gebissen, oder ein wildes Thier gefaßt hätte.«

»Die Thiere des Waldes sind barmherziger als die Menschen,« sagte das Mädchen leise.

»Und wo willst Du hin, Muchacha?« frug sie der Ecuadorianer, indem sein Blick die tadellosen Formen des Mädchens überflog – »Du kannst bei uns bleiben, wenn Du Lust hast – es soll Dein Schade nicht sein.«

»Ich wollte zu Euch, Señor?«

»Zu mir? Caramba!« lachte der Ecuadorianer vergnügt auf, »das trifft sich ja herrlich, denn in dem vermaledeiten Wald ist das Leben langweilig und öde genug.«

»Zu Euch – José's – Eures Dieners wegen,« fuhr aber die junge Negerin fort, ohne den Doppelsinn der Worte zu verstehen oder zu beachten.

»José's wegen? In der That, und was hast Du mit dem zu thun, wenn man fragen darf?«

Eva antwortete nicht gleich. Sie knüpfte von ihrem Gürtel das kleine Säckchen mit Silber los, das sie sorgfältig da vorne verwahrt hatte, und es dann in der Hand dem weißen Mann entgegenhaltend, sagte sie bittend:

»Nehmt das, Señor, ich bin einen weiten, mühsamen Weg gekommen, um es Euch zu bringen, und ich habe lange, sehr lange hart arbeiten müssen, bis ich so viel zusammenbringen konnte, aber es ist mit Freuden geschehen, wenn ich mir damit José's Freiheit erkaufen kann. Nehmt, es ist mehr, wie sein jährlicher Lohn beträgt; es sind sechsundvierzig Dollars, und laßt uns dann mitsammen in die Heimath ziehen.«

»Eva, mein braves, wackeres Mädchen!« rief José.

Der Ecuadorianer aber, während des armen Kindes Blicke in Angst und Hoffnung an ihm hingen, nahm lächelnd das Geld und wog es in der Hand.

»Also das ist Dein Schatz,« sagte er höhnisch, »und nur seinet-, nicht meinetwegen bist Du hier in den Wald gekommen?«

Des Mädchens Blick hing zitternd an den kalten, spöttischen Zügen des Weißen.

»Und gebt Ihr ihn jetzt frei?«

»Frei?« lachte dieser, »wenn das Alles wäre, was er mir schuldete! Aber glaubst Du denn, Du albernes Ding, daß ich ihn die zwei Jahre nur dafür genährt und gekleidet und mit agua ardiente versorgt habe? Hundertundzwanzig Dollars ist er mir schuldig, und wenn die entrichtet werden – «

»Hundertundzwanzig, Señor,« rief da José erschreckt, »und wofür die Summe? Für die baumwollene Hose und Jacke, und den alten Hut?«

»Halte Dein Maul, Bursche, bis Du gefragt wirst,« unterbrach ihn finster der Weiße, »in meinem Buch ist Alles eingetragen, und wenn Du einmal Deine Schulden abverdient hast, kannst Du meinethalben Deiner Wege gehen, ich will froh sein, wenn ich mich nicht mehr mit Dir zu plagen brauche.«

»Aber Señor,« – bat das Mädchen.

»Das Geld hier werd' ich ihm aber zu Gute schreiben,« lächelte der Ecuadorianer tückisch. »Sind es wirklich sechsundvierzig Dollars, denn jetzt habe ich keine Lust sie nachzuzählen, so bleibt er dann nur noch mit 74 in meiner Schuld, und wenn er fleißig ist, und Du ihm dabei hilfst, so kann er immer in Jahr und Tag frei kommen,« und er schob den Beutel dabei in seine Brusttasche.

»Aber jetzt – jetzt soll er nicht mit mir gehen?« bat das Mädchen in Todesangst: »Oh, treibt nicht Euren Scherz mit uns, Señor, wir sind arm und unglücklich genug in der Welt, und haben Nichts, Nichts weiter als einander. Seid barmherzig!«

»Laß mich zufrieden mit Deinen Quängeleien,« unterbrach sie der Ecuadorianer ungeduldig. »Du hast es jetzt gehört – genug damit. Wir haben noch einen weiten Weg vor uns, und da kann ich den Diener, wenn ich ihn gerade am Nöthigsten brauche, nicht fortschicken. – Alle Wetter, Burschen, kommt da nicht ein Canoe?«

»Von unten herauf, Señor,« grinste Nero, »eben biegt es um die Landspitze – gerade zur rechten Zeit, um uns hier fortzubringen. Wohin wir gehen, folgt uns das alberne Ding doch nicht.«

»Señor,« sagte José, der mit fest zusammengebissenen Zähnen dem Urteilsspruch des Weißen gelauscht hatte – »wenn Ihr mich nicht wollt frei lassen – wenn ich noch fort muß in den Wald mit Euch, und die Gesetze Euch darin beschützen, dann gebt dem armen Kinde auch das Geld wieder – dann will ich selber abverdienen, was ich Euch schulde.«

»Du sprichst, wenn Du gefragt wirst, mein Junge,« lachte der Ecuadorianer, »denn ich weiß selber gut genug, was ich zu thun habe. Und jetzt pack' Deinen Korb auf, trag' ihn zum Ufer hinab, und ruf' das Canoe heran, daß wir weiter kommen.«

»Nicht einen Schritt, bis Ihr Eva das Geld zurückgegeben habt,« rief José, und sein Auge leuchtete von einem unheimlichen Feuer. – »Ich weiß, daß Ihr unter Euren Gesetzen mit uns Negern noch schalten wollt, wie es Euch gefällt, aber beim ewigen Gott – «

»Rebellion?« zischte der Weiße zwischen den zusammengebissenen Zähnen durch – »aber dafür giebt's ein Mittel, Nero, wenn sich der Hund widersetzt, klopfe ihn einmal mit Deiner Macheta auf den Schädel.«

»Den wollen wir schon kriegen,« lachte der riesige Mulatte, indem er die Macheta ergriff – »fort mit Dir, Caracho!« rief er dabei, indem er den Neger mit der Faust in den Nacken griff, und ihn vorwärts stoßen wollte – »hinunter die Bank da, oder ich mache Dir Beine.«

José hatte sich, der rohen Uebermacht gegenüber, bis jetzt so schwach und willenlos gezeigt, daß die beiden Mulatten ihn schon auf dem ganzen Weg zur Zielscheibe ihres Spottes gemacht. Was er aber auch ertragen und geduldet, so lange er sich allein und hülfslos wußte, und vielleicht selber dabei fühlte, wie große Schuld er an seiner eigenen Knechtschaft trage, jetzt in Eva's Gegenwart kochte sein Blut auf, und jäh emporfahrend stieß er den Mulatten vor die Brust, daß dieser zurücktaumelte, in einer Wurzel hängen blieb und mit schwerem Schlag, der Länge nach, zu Boden stürzte.

»Caracho,« rief der andere Mulatte, und sprang dem Neger nach der Kehle, und dieser konnte sich seines Gegners kaum erwehren, als Nero mit einem wahren Wuthgeheul vom Boden emporschnellte.

»Negerbestie,« schrie er dabei, und mit der schweren und scharfen Macheta ausholend, sprang er von hinten auf José zu.

 

»Mörder!« kreischte da Eva, die in zitternder Todesangst Zeuge des beginnenden und so ungleichen Kampfes gewesen. Sie wußte dabei kaum, was sie that, aber die Lanze, die sie noch immer hielt, mit beiden Händen fassend, rannte sie die Spitze derselben dem Mulatten, gerade als er den Stich gegen José führen wollte, in die Achselhöhle hinein, daß er mit einem gellenden Aufschrei zusammen brach.

Mit einem gotteslästerlichen Fluch riß in diesem Augenblick der Ecuadorianer einen Revolver aus seiner Tasche und drückte ihn drei vier Mal auf das Mädchen ab; aber Du lieber Gott, er trug die Waffe schon wochenlang in der Tasche, und in diesem ewigen Regen, und ununterbrochenen feuchten Dünsten, die dem Boden entsteigen, versagt ja schon nach zwölf Stunden jedes frisch geladene Gewehr, und machtlos schlug der Hahn auf die Hütchen nieder.

Aber jetzt war auch José's Blut in Wallung gerathen, und die Macheta aufgreifend, die der Hand des zusammenbrechenden Mulatten entfallen war, warf er sich in blinder Wuth auf seinen bisherigen Herrn, der es indessen nicht für gerathen fand, den Angriff abzuwarten. Auch der Mulatte hatte mit Entsetzen seinen Kameraden stürzen sehen, und Beide – er wie der Weiße, stoben vor den gegen sie gehobenen Waffen des zur Verzweiflung getriebenen Negerpaars in die nächsten Büsche hinein, und aus Sicht.

José wäre nun am liebsten dem Weißen gefolgt, und dessen Leben war dann verloren, aber Eva ergriff seinen Arm, und in der Angst, daß noch irgend ein unglücklicher Zufall ihre Flucht hemmen könne, rief sie bittend:

»Komm José – o komm – da naht das Canoe – es führt uns der Heimath entgegen – «

»Er wird uns verfolgen und anklagen.«

»Lass' ihn – dann flüchten wir in den Wald hinein, und die Wildniß sei unsre Heimath, wohin sie nicht wagen dürfen, uns zu folgen – Komm José – es ist Blut genug geflossen,« setzte sie schaudernd hinzu, »oh vermehre nicht die Schrecken dieser Stunde – aber ich konnte nicht anders.«

»Du rettest mein Leben!« rief José.

»Fort von hier – ich sterbe selber, wenn ich das Blut noch länger sehen muß, das ich vergoß« – und schaudernd vor dem Entsetzlichen, sprang sie die steile Uferbank hinab.

Es war ein einzelner Neger, der hier in seinem Canoe vorüberruderte, und von Concepcion kommend, wollte er nach Hause – nach Cachavi zurückkehren. Er lenkte den Bug seines Fahrzeugs rasch dem Lande zu, als er das Mädchen am Ufer stehen und winken sah, und wenige Minuten später hatte er Eva wie José in seinem Fahrzeug aufgenommen, das jetzt, von sechs kräftigen Armen getrieben, die Fluth unter dem Bug aufschäumen machte, und jede neue Gefahr hinter sich ließ.

Siebentes Capitel.
In Cachavi

In Cachavi herrschte große Aufregung, und Niemand dachte heute an's Arbeiten. Die Männer mußten nämlich einen wichtigen Fall berathen, über den indeß die Frauen schon lange einig waren, und – während sich die Ehegatten in dem breiten Gerichtsgebäude sammelten, überall auf den Straßen in kleinen Gruppen standen.

Die Sache betraf aber auch in der That nichts Geringeres, als die Flucht José's von seinem weißen Herrn, und die Ermordung des Mulatten, denn Eva wie José hatten bei ihrer Ankunft in Cachavi dem Alkalden die ganzen Vorgänge treu und einfach erzählt, und um seinen Schutz gebeten, wenn sie bis hierher verfolgt werden sollten.

Der Fall kam übrigens zu einer höchst ungünstigen Zeit, denn erst gestern war ein Canoe von der Tolamündung eingetroffen, wo sie Nachricht von Esmeraldas gehabt haben wollten, daß General Franco von Guajaquil aufgebrochen wäre, Bodegas genommen hätte, und jetzt gegen Quito marschire, um sich das ganze Land zu unterwerfen. Wenn er Sieger blieb – und die Berichte, die seine Anhänger hierher gesandt, ließen kaum einen Zweifel darüber – so schickte er einen Theil seiner Schwärme auch jedenfalls in diesen entlegenen Theil des Landes, und was hatten sie dann zu hoffen, wenn sie gegen einen seiner eigenen Offiziere Partei genommen?

Die Frauen sind in der ganzen Welt über solche Combinationen erhaben. Bei ihnen spricht das Herz das erste Wort, und nur der Augenblick entscheidet ihre Handlungen. Die Frauen deshalb waren auch fest entschlossen, den armen jungen Burschen nicht wieder auszuliefern, und was Eva betraf – ei! den hätten sie sehen wollen, der ihr in ihrer eigenen Vaterstadt ein Leides that, und daß sie dem pockennarbigen Mulatten einen Lanzenstich versetzt – der hatte den Strick verdient, zehnmal und hundertmal, und war ja schon einmal bei Nacht und Nebel von Cachavi in einem gestohlenen Canoe geflüchtet, um der gerechten Strafe für seine Missethaten zu entgehen.

In dem Gerichtssaal tagten indeß die Männer, und eine wunderliche Versammlung war es, der der Alkalde präsidirte. Aber kein Mulatte fand sich unter ihnen, lauter ächte, rabenschwarze Söhne Aethiopiens, wenn auch wohl Alle auf diesem Grund und Boden geboren, saßen, lagen und standen in dem Raum umher und rauchten ihre Papiercigarre. Sie Alle, ohne Ausnahme, waren nackt bis auf den Gürtel, und selbst das dichte, fest zusammengekräußte Wollenhaar verschmähte einen Hut.

Eva und José waren erst diesen Morgen vernommen worden, und Keiner der hier Anwesenden zweifelte, daß sie mit jedem Wort Wahrheit gesprochen. Der Alkalde selber hatte ja auch das Geld für Eva in Verwahrung gehabt, und ihr es erst vor wenigen Tagen ausgehändigt. Er wußte genau, wie viel es gewesen, und was sie damit gewollt.

Der Alkalde, eine schlanke, muskulöse Gestalt, mit schon grauem Wollkopf und etwas Cavalièrem in seinem ganzen Wesen, wie denn überhaupt die freien Neger – selbst in den Sklavenländern die Sklaven, wenn sie sich am Sonntag ihre eigenen Herren wissen – sehr gern die Bewegungen und Manieren der Weißen nachahmen, hatte den Leuten jetzt eine lange Rede gehalten, worin er beide Seiten der Frage beleuchtete, und seine Zuhörer dadurch in völliger Ungewißheit ließ, zu welcher Seite er sich eigentlich schlug, und welche Meinung sie haben sollten. Es war dabei schmählich warm geworden; die Sonne stand im Zenith, und kein Lüftchen regte sich, das die Temperatur hätte nur in etwas abkühlen können.

Ein kleiner dicker Neger, in Cachavi sehr geachtet, weil er die besten und festesten Dächer flechten konnte, nahm da endlich das Wort und sagte:

»Was zerbrechen wir uns denn den Kopf über ungelegte Eier. Das Wettermädel hat dem schuftigen Nero eine Lanze in den Leib gerannt, weil er den José mit der Macheta todtschlagen wollte – soweit ist Alles in Ordnung. Wenn wir uns hier im Walde nicht selber helfen, wer soll es sonst thun? und daß sie dem schurkischen Mulatten einen Denkzettel gegeben, oder ihn auch meinetwegen todt gestochen hat, ist nur ein Gewinn für die Colonie. – Daß aber der José ein Recht hatte wegzugehen, wenn sein Jahresgeld bezahlt worden, das mein' ich, ist außer aller Frage, und wenn ihn der Señor zurückhaben will, mag er einfach herkommen und beweisen, daß er ihm noch etwas schuldig ist. Nachher kommen wir wieder zusammen, was sollen wir uns jetzt bei der Hitze abquälen.«

Der Vorschlag klang viel zu vernünftig, als daß ihm nicht alle Uebrigen hätten beistimmen sollen. Der Alkalde schüttelte zwar mit dem Kopf; im Grunde genommen war's ihm aber vielleicht auch recht, die Sache vor der Hand auf sich beruhen zu lassen; alle diese Menschen leben ja doch nur dem Augenblick. Die Sitzung war also damit geschlossen, und die Frauen erfuhren wenige Minuten später zu ihrer Genugthuung, daß José und Eva vor der Hand in Cachavi bleiben könnten. – Wenn noch etwas in der Sache geschehen solle, so möchten's die Herren in Concepcion anfangen. Sie wollten weiter nichts damit zu thun haben.

So vergingen zwei Tage, ohne daß man etwas von dem unteren Strom gehört hätte, und den Bewohnern von Cachavi lag auch jetzt eine andere Sache am Herzen. Die schon lange von Ibarra erwarteten Indianer, welche neue Waare bringen sollten, waren nämlich immer noch nicht eingetroffen, und allerlei dumpfe Gerüchte und Vermuthungen durchliefen die kleine Stadt. Waren sie verunglückt? – böse Ströme hatten sie unterwegs zu passiren – oder sollte sich der Krieg schon bis dort in die entlegene Provinz Imbaburru gezogen haben, daß sie dem Feinde in die Hände gefallen? Es wäre ein harter Schlag für das kleine Städtchen gewesen, denn viele der Einwohner würden unter dem Verlust gelitten haben.

Man beschloß endlich, ihnen einen Boten entgegen zu senden – oder vielmehr zwei, denn ein Einzelner würde nie den Wald auf irgend eine Entfernung betreten – um sich Gewißheit zu verschaffen, und zwei der Männer wurden gemiethet, und noch an dem nämlichen Tage in die Wildniß hinein gesandt, die Cachavi vom Malbucho auf reichlich vier Tagereisen trennte.

An demselben Nachmittag langte aber eine andere Kunde an, die ihr Interesse wieder an das Schicksal der beiden jungen Leute fesselte.

In Concepcion war nämlich der Weiße mit Nero's Leiche und dem anderen Mulatten eingetroffen, und hatte die Auslieferung seines Dieners und der Mörderin verlangt, und der Alkalde von Concepcion sandte jetzt einen Boten nach Cachavi, um die beiden Verbrecher mit einer dort beizugebenden Wache überliefert zu bekommen.

Der Bote kehrte aber unverrichteter Sache zurück. Der Alkalde hielt es nach der neulich zusammenberufenen Versammlung nicht einmal für nöthig, auf's Neue bei den Einwohnern anzufragen – oder seine Frau entschied vielmehr für ihn, denn sie fertigte den Boten, einen Gerichtsdiener von Concepcion, gleich so energisch ab, und auf ihr Schreien sammelten sich rasch so viele dunkle, drohende Gestalten, daß der arme Teufel froh war, wie er wieder in seinem Canoe saß, und ungeschädigt das Negerdorf im Rücken hatte.

Das war nun allerdings ein ganz entschiedener Akt der Widersetzlichkeit gegen die bestehende Autorität gewesen, und der Alkalde selber hätte vielleicht gewünscht, seine eigene Ehehälfte etwas weniger leidenschaftlich dabei zu sehen, aber die Sache war einmal geschehen, und ließ sich nicht mehr ändern, und da das ganze Dorf der Abfertigung beistimmte, brauchte er auch die Verantwortung nicht allein zu tragen.

Herrschte denn überhaupt in Ecuador ein gesetzlicher Zustand? – war das Land nicht in Aufruhr und offenem Bürgerkrieg begriffen, und wußte denn irgend Einer von Allen – in Cachavi sowohl wie in Concepcion – wer jetzt Präsident im Lande sei – und wenn er es sei, wie lange? War es Franco noch, dann allerdings hatte der Alkalde von Concepcion den Schutz desselben, um sich den Rücken zu decken, und konnte in dem Fall auch wohl eine Rechtsverletzung in seinem Sinne strafen, falls Franco's Truppen in der That das Land besetzten, oder der Mulattengeneral Geld genug schickte, um Soldaten hier für ihn anzuwerben – war das aber nicht der Fall, so hätte es ihm schwer werden sollen, sich von der Negercolonie Gehorsam zu erzwingen, und den Zeitpunkt konnten sie eben ruhig abwarten.

Wer aber dadurch in die grimmigste Verlegenheit gerieth, war der Alkalde von Concepcion. Dieser Señor Cerro, der hier als Franco'scher Offizier auftrat, verlangte, wie er erklärte, nicht mehr als sein Recht, und da er selber von Franco'schen Behörden in seine Stelle eingesetzt worden, konnte er das nicht gut vernachlässigen, ohne die Franco'sche Regierung auf den Fuß zu treten. Jetzt aber weigerten ihm die verwünschten Neger da oben ganz direkt den Gehorsam, und was blieb ihm da anders übrig, als seinen Willen mit Gewalt durchzusetzen? Der mußten sie sich ja dann auch fügen, oder offene Rebellion erklären, was derartige Leute aber nicht sogleich thaten, da die Negeremancipation, wie sie von der einen Regierung eingesetzt worden, von einer andern auch eben so leicht wieder umgestoßen werden konnte.

Es galt also, einen raschen und entschiedenen Entschluß zu fassen, denn dieser Señor Cerro drohte mit einem Bericht an den General Franco, und der mußte vermieden werden. Also überraschte denn der Alkalde die Bewohner Concepcions am nächsten Morgen mit einem Aufruf an die Nationalgarde, und verbreitete dabei – um sich den Rücken zu decken – die Kunde in dem kleinen Ort, daß General Franco Quito genommen habe, jetzt gegen Ibarra vorrücke, und einen Theil seines Heeres über San Pedro und Malbucho an den Bogota senden werde, um sich von der Loyalität seiner Unterthanen zu überzeugen.

Das wirkte wie ein Donnerschlag aus heiterem Himmel für Viele, die bis jetzt geglaubt hatten, der Revolution des übrigen Landes viel zu fern zu sein, um je darunter leiden zu können, und deshalb auch, obgleich im Herzen vollkommen Quitenisch gesinnt, doch General Franco's Partei anerkannten – nur eben der Bequemlichkeit wegen. Aber was ließ sich thun? – Gehorchten sie dem Aufruf nicht, und überschwemmten die Franco'schen Banden wirklich das Land, dann durften sie sich auch fest darauf verlassen, als Mißliebige denuncirt, und von den Freibeutern nach Herzenslust gebrandschatzt zu werden. Wohl oder übel holten sie also alle ihre halbverrosteten Waffen herbei, und um zehn Uhr Morgens lagen vier Canoes mit Bewaffneten, und das fünfte mit dem Alkalden, Señor Cerro, und sämmtlichen Dienern der Gerechtigkeit reisefertig an der Landung, und setzten sich zusammen in Bewegung stromauf.

 

An ihnen vorbei aber glitt ein anderes, leichtes Canoe, von vier stämmigen Negern gerudert, und am Steuer saß der kleine italienische Schneider, der die Aufforderung, zur Nationalgarde zu stoßen, mit Hohn zurückgewiesen hatte, und jetzt auf eigene Faust die Reise machte.

Als ihn der Alkalde bemerkte, schien er nicht übel Lust zu haben, den kleinen contrairen Fremden zu arretiren, denn es ahnte ihm, daß der Bursche, wenn er vor ihnen einträfe, da oben böses Blut machen würde. Ehe er aber mit seinem Entschluß völlig im Reinen war, passirte das Canoe schon das vorderste des Zuges, und an ein Einholen desselben war nicht mehr zu denken. Daß der kleine, nichtswürdige Italiener aber nicht warten würde, wenn er ihn anriefe, wußte er vorher, und durfte sich auch deshalb nicht einmal mit einem solchen Versuch blamiren.

Des Alkalden Befürchtung war aber auch sehr gerechtfertigt, denn Rigoli hatte kaum von der Anklage und dem Unternehmen der tapferen Ecuadorianer gehört, als er auch augenblicklich beschloß, dem entgegen zu arbeiten. Seine Neger entwickelten dabei einen wahren Feuereifer, ihn vorwärts zu bringen, und am nächsten Morgen mit Tagesanbruch landete er schon in Cachavi, während die schweren Canoes der Bewaffneten, obgleich sie ebenfalls die halbe Nacht gearbeitet hatten, doch endlich beilegen, und Tageslicht abwarten mußten.

Es mochte elf Uhr Mittags sein, als sie das Negerdorf in Sicht bekamen, und sie sahen sich dabei eben nicht angenehm überrascht, die Landung Mann an Mann mit den herkulischen, halbnackten Einwohnern besetzt zu finden, die dabei noch Lanzen, Machetas, Musketen und eine Masse anderer gefährlicher Werkzeuge in Händen hielten.

Was jetzt thun? – der Alkalde wäre am liebsten gleich wieder umgekehrt, und hätte sich damit begnügt, einen Bericht an die Regierung in Guajaquil abzufassen, daß das Land im Aufstande wäre, und General Franco eine Armee zum Schutz der beleidigten Autorität herbeisenden möge – aber Señor Cerro ließ ihn nicht.

»Glauben Sie doch nur nicht,« rief er ihm zu, »daß sich diese sclavischen Hunde ernstlich widersetzen werden – lassen Sie uns hier unten landen, und in geschlossenen Colonnen hinaufmarschiren, und zeigen sie den geringsten Widerstand, so schießen wir das ganze Nest in Brand.«

»Ja, Señor,« sagte der Alkalde verlegen, »aber sie haben nur schon gezeigt, daß sie Widerstand leisten können. Ihre eigene Erfahrung – «

Der Ecuadorianer knirschte die Zähne zusammen, wenn er an den Moment dachte, wo er vor einem Mädchen die Flucht ergriffen, und die Erinnerung daran diente wahrlich nicht dazu, ihn zu besänftigen.

»Vorwärts,« rief er; »bei der geringsten Widersetzlichkeit feuert Ihr zwischen den nackten Trupp hinein – wir wollen ihnen die schwarzen Felle pfeffern, und ich übernehme jede Verantwortung, die daraus für Sie entstehen könnte.«

Der Nationalgarde von Concepcion blieb in der That weiter nichts übrig, als wenigstens zu landen, wenn sie sich nicht auf ewige Zeiten lächerlich machen, und dem Gespött der Neger aussetzen wollte. Die Canoes wurden deshalb an das steinige Ufer gelenkt, und die Besatzung derselben sprang, ohne daran im Geringsten verhindert zu werden, auf trockenen Boden.

Etwas unterhalb der Stadt, und gerade der Kirche gegenüber befanden sie sich hier; als sie aber das eigentliche und hohe Ufer erklommen, waren sie auf's Aeußerste erstaunt, auch nicht einen der Feinde mehr zu sehen. Wie in den Boden hinein schienen diese verschwunden, und Señor Cerro rief triumphirend aus:

»Nun, Señor, habe ich es Ihnen nicht vorher gesagt? Wo sind die feigen Canaillen jetzt geblieben? Zeigen Sie ihnen Ernst, und Keiner von Allen wagt auch nur, Ihnen frech in's Auge zu sehen.«

»Da kommt der Alkalde.«

»Der alte Wollkopf?«

»Er wird wahrscheinlich unterhandeln wollen.«

»Fertigen Sie ihn kurz ab, das ist das Beste; keine Unterhandlungen mit Rebellen.«

Der Alkalde dachte anders darüber; der alte Neger war aber jetzt schon zu dicht herangekommen, um ein weiteres Gespräch zu gestatten, und wie er sich auf etwa zehn Schritte genaht hatte, sagte er ruhig:

»Señor Alkalde, können Sie mir vielleicht erklären, weshalb die Boote mit den Bewaffneten hier an unserer friedlichen Stadt landen? Ich hoffe doch nicht, daß der Bürgerkrieg bis in unser stilles Asyl gedrungen ist.«

»Señor Alkalde,« erwiderte der Ecuadorianer sehr förmlich, »die Ursache kennen Sie wahrscheinlich. Es handelt sich hier um die Auslieferung einer Mörderin, und die Zurückgabe eines entlaufenen und contractbrüchigen Dieners. Machen Sie keine Schwierigkeiten, amigo, denn die Gesetze müssen in Kraft gehalten werden, und es sollte mir wahrhaft leid thun, wenn ich gezwungen würde, von der mitgekommenen Macht Gebrauch zu machen.«

»Señor Alkalde,« erwiderte der alte Neger da, aber vollkommen ruhig – »ich glaube fest, daß wir noch Alles in Frieden beilegen können, wenn Sie nicht eben zu sehr auf Ihre Macht trotzen, und Recht und Gesetz auch für uns gelten lassen.«

»Das versteht sich von selbst,« rief der Alkalde aus Concepcion rasch.

»Schön,« sagte der Alte, der übrigens keine Waffe in den Händen trug, »dann können wir Ihnen den Beweis liefern, daß das arme Mädchen, welches Sie eines Mordes anklagen, nur in einem Akt der Nothwehr handelte, als sie jenen nichtsnutzigen Mulatten, der den Tod schon zehnmal verdient hatte – «

»Sie stach ihn meuchelmörderisch nieder,« schrie Señor Cerro dazwischen. —

»Ueber den Haufen stieß,« fuhr der alte Neger ruhig fort. »Und was den weggelaufenen Diener betrifft, für den jener Herr da die Auslösungssumme schon in der Tasche hat, und nicht wieder herausgeben wollte, so braucht er uns nur die Beweise zu liefern, wofür ihm José 120 Dollars schuldet, und wenn die Belege alle richtig sind, soll ihm entweder das noch fehlende Geld ausgezahlt werden, oder er seinen Diener zurückbekommen. Finden Sie das nicht in der Ordnung?«

»Gegen das Letzte ließe sich allerdings nichts – «

»Und glaubt Ihr Canaillen,« schrie der Ecuadorianer in voller Wuth heraus, »daß ich mich zwingen ließe, einem Neger Contracte vorzulegen? Beim ewigen Gott, es ist weit in Ecuador gekommen, aber dem wollen wir ein Ende machen. – Gebt Ihr die beiden Verbrecher gutwillig heraus oder nicht?«

Der alte Neger antwortete ihm gar nicht – er hob beide Hände trichterförmig an den Mund, und stieß einen eigenthümlichen, aber durchdringenden und lauten Ton damit hervor. – Und überall umher wurde es lebendig – den Fluß herunter, den sie von hier aus deutlich übersehen konnten, kamen plötzlich noch vier Canoes mit bewaffneten Negern – selbst den Strom herauf ruderten zwei mit Anstrengung aller ihrer Kräfte, und aus allen Häusern quollen – jedenfalls dem verabredeten Zeichen gehorchend – Massen von dunklen, drohenden Gestalten, ohne sich jedoch im Geringsten feindlich zu gebehrden. Nur den Platz schlossen sie in einem weiten Bogen vollständig ein, wo die Canoes von Concepcion gelandet waren, und der dortige Alkalde bemerkte zu seinem Entsetzen, daß ihre eigenen Fahrzeuge unten im Fluß von den beiden stromauf kommenden Canoes vom Ufer gelöst, und an die andere Seite hinüber geführt wurden, was ihnen natürlich jeden Rückzug abschnitt.

Zu gleicher Zeit ertönte aber aus dem Walde des anderen Ufers ein gellender, langgezogener Schrei, der jedoch nicht in Verbindung mit den hier getroffenen Vorbereitungen zu stehen schien, denn die Neger selber stutzten und horchten dort hinüber, aber nicht lange.