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Unter Palmen und Buchen. Zweiter Band.

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Zweites Capitel.
Die erste Crinoline

Jetzt herrschte wieder Ruhe auf Tomaco. Fünf Tage waren vergangen, seit Capitän King von der Anna die Nachricht gebracht hatte, daß die Mosqueraflotte unterwegs sei. Sie fand aber durch Nichts eine Bestätigung, im Gegentheil war sogar eben ein Canoe von Irapiche eingelaufen, das Gummi geladen hatte, und dafür Aguaardiente mitnehmen wollte, und dessen Leute aussagten, an der ganzen nördlichen Küste wisse man Nichts von einem Einbruch der Mosquera-Truppen. Bonaventura sollten sie allerdings besetzt haben, von dort aber seien die Schiffe wieder nach Norden gegangen, um zuerst Panama zu nehmen, und dadurch die Regierung des ganzen Landes in die Hand zu bekommen.

Der leichte, sorglose Sinn der Bevölkerung verlangte nicht mehr, denn schon die gehabte Aufregung war ihnen unbequem gewesen. Die Fischer schaukelten schon lange wieder draußen in ihren Canoes, während die Landeigenthümer hinaus in ihre Platanare gingen, um die schweren Fruchttrauben derselben an den Strand zu tragen, oder hinauf in die Cocospalmen zu steigen, um die erst halbreifen, aber mit erquickendem Wasser gefüllten Früchte abzupflücken und mit einer geschickten Schwingung der Hand so hinabzuwerfen, daß sie sich in der Luft drehten und dann mit ihrer Spitze in den Sand fielen. Schlugen sie breit auf, so platzten sie leicht durch ihr Gewicht, denn die Nuß ist so mit Milch angefüllt, daß diese herausspritzt, sowie man nur mit einem Messer hineinsticht.

In dem kleinen Städtchen herrschte wieder ganz das alte Leben. Nur die Frauen waren in einer etwas ungewöhnlichen Bewegung, denn »Señor Renard« hatte mit dem Dampfer von Panama einen Gegenstand bekommen und eben ausgepackt, der ihr Interesse wunderbar fesselte, und zu den lebhaftesten Debatten Veranlassung gab.

Der Gegenstand war in der That von großer Wichtigkeit, nämlich nichts Geringeres als – eine Crinoline, und zwar die erste, die in diesem entlegenen Theil der Welt je gesehen worden.

In einem Ort, wo es so viel müßige Leute gab, wie in Tomaco, verstand es sich von selbst, daß die wenigen Kaufleute beim Auspacken ihrer eben angekommenen Waaren immer eine Menge von Zuschauern hatten. Es lag das ja auch mit in ihrem eigenen Interesse, denn es machte eine Ankündigung derselben unnöthig, sobald das schöne Geschlecht Stück für Stück derselben in Augenschein nahm, und dann sicherlich schon an dem nämlichen Abend Stück für Stück einzeln besprach und kritisirte. Selbst schon beim Auspacken wurde manches Stück verkauft, denn darin bleiben sich die Menschen überall in der ganzen Welt gleich, ob sie nun in einer braunen oder weißen Haut herumgehen: daß sie nämlich gern das Neueste haben und sich besonders bei der Auswahl solcher Dinge zu dem hingezogen fühlen, was ihnen aus fremden Ländern gebracht wird.

Auch diesmal hatte sich ein Theil Neugieriger eingefunden, als Renard seine neuen Waaren öffentlich – wie er es stets that – auspackte, und allerdings wäre es nicht leicht gewesen, etwas Derartiges in diesen offenen Häusern heimlich zu thun. Renard kam freilich selbst in Verlegenheit, als er diese erste und einzige Crinoline aus ihrem Versteck hervorzog und entfaltete, denn wenn ihm auch der Verkäufer in Panama angezeigt hatte, daß er ihm in Kiste so und so, einen aus Paris erhaltenen Artikel neuer Damenmoden mitschicke, so war der Franzose, der früher Kellner, dann Matrose auf einem Walfischfänger gewesen und später in Chile desertirt war, doch keineswegs in die Toilettengeheimnisse der Damen soweit eingeweiht, um selbständig gleich an Ort und Stelle beurtheilen zu können, wie dieser höchst durchsichtige Gegenstand zu einer Damengarderobe verwandt werden könne. Den Nutzen begriff er nicht, und als Zierrath oder Schmuck schienen ihm die Drahtreifen nicht elegant genug, um gerade aus Paris zu kommen.

»Que es esta?« (Was ist das?) riefen die Damen wie aus einem Munde, als er das wunderliche Ding entpuppte. – »'donde viene, (wo kommt es her?) Señor?«

»No se,« (Ich weiß nicht) sagte Monsieur Renard achselzuckend, indem er den fraglichen Gegenstand selbst mißtrauisch betrachtete, »alguna cosa por las Señoritas« (Etwas für die Damen).

»Por las Señoritas? Impossible! Que barbaridad!« stöhnte eine dicke Negerin entrüstet, als ihr vielleicht einfiel, wie sie in einem solchen Kleidungsstück aussehen würde.

Das wunderbare Fabrikat ging nun von Hand zu Hand; während aber die jungen Mädchen errötheten und unter einander kicherten, die älteren Damen mißbilligend den Kopf schüttelten, sammelten sich immer mehr Leute vor dem Hause des Herrn Renard, und mit wenigen Ausnahmen fehlte, kaum eine Viertelstunde später, keine von Evas Töchtern – hoch oder gering – um den neuen Putz in Augenschein zu nehmen.

Aber zu einem Resultat kamen sie nicht. Selbst das Wort Crinolina blieb ihnen ein Räthsel, denn Niemand wußte, was es bedeuten solle, obgleich es spanisch klang. Es waren nämlich weder Pferdehaare, noch Leinwand daran, was es allenfalls hätte bedeuten können, sondern nur Baumwolle und Eisendraht.

Endlich machte Señora Ramos' Schwarze, die bei der Versammlung nicht fehlen durfte, den Vorschlag, ihre Herrin zu fragen. Diese hatte sich in Bogota – wenn sie auch hier außerordentlich einfach ging, stets nach der neuesten Mode gekleidet, und ihr Herr bekam immer Zeitungen, in denen lauter Neues stand. Vielleicht wußten die es.

Das war ein Vorschlag zur Güte, und Renard's Frau – eine Eingeborene – wurde augenblicklich abgesandt, um eine Aufklärung, wenn irgend möglich, zu erbitten, indessen die Damen in äußerster Spannung auf dem Posten blieben. Sie mußten doch erfahren, wie dieses neue Kleidungsstück getragen würde.

Nach einer Viertelstunde endlich – und wie lang ihnen diese wurde! – kehrte sie zurück und das Räthsel war gelöst. Dies Drahtgeflecht stellte nur einen Unterrock vor – die anderen Kleider wurden darüber gezogen, um recht hübsch und weit auszublähen. – Das war das ganze Geheimniß, aber die Lösung befriedigte die Damen noch nicht, denn nun wollten sie auch einmal sehen, wie das wunderliche Ding getragen würde, und ob es praktisch wäre – das heißt, ob es vornehm aussähe.

Hier aber fand sich eine andere Schwierigkeit, denn Niemand wollte es anfangs anprobiren – selbst Señora Renard weigerte sich hartnäckig. Eine alte Negerin erbot sich endlich – gegen angemessene Vergütung natürlich – die Probe an sich machen zu lassen. Sie trotzte allen Schrecken. Renard aber war klug genug, darauf nicht einzugehen, denn er wollte die neue Mode, von der er später einen erklecklichen Profit hoffte, nicht gleich von vornherein lächerlich und dadurch unmöglich machen. Endlich bewog er ein junges allerliebstes Mädchen von Halbblut durch das Opfer eines buntseidenen Tuches, die Crinoline unter ihr Kleid zu ziehen. Die Toilette wurde im Laden selber, unter der Beihülfe von Renard's Frau, gemacht, die Thüre indeß verhangen, und die rings versammelten Frauen hielten schon unberufene Neugierige ab, daß sich nicht ein oder der andere junge Bursche gelüsten ließ, durch die allerdings zahlreichen Ritzen des Hauses zu schauen, denn im Stande wären die es gewesen.

Es war ein großer Moment im Leben dieses einfachen Naturvolkes, als Juanna, wie das junge Mädchen hieß, endlich im vollen Staat und Glanz aus der Mattenthür des Ladens trat, denn da sich ihr Kleid als zu kurz und eng erwiesen, hatte ihr Madame Renard für die Probe ihr bestes Sonntagskleid geborgt, das mit seinen rothen und grünen Blumen ordentlich glänzte und funkelte. Verschämt und kichernd ging die junge Dame ein paar Mal vor dem Laden auf und ab, immer dann und wann selbst staunend auf die Pracht niederzuschauen, die sie umgab. Wen störte es, daß sie bloße Füße hatte, und daß ihr das volle lockige schwarze Haar wild und ungeordnet um die Schläfe hing?

Die Damen fingen wirklich schon an, Geschmack an der Sache zu finden. Wie viel schöner sah man das Muster auf einem Kleid, wenn man es so ausgespannt tragen konnte, und wie vornehm schaute das arme einfache Ding, das Mädchen, in dem Gestell aus – und wie viel Zeug brauchte man für einen einzigen Rock.

Juanna selbst wünschte sich in ihrem ungewohnten Staat auch der kranken Schwester zeigen, die daheim lag und Nichts von all den Herrlichkeiten zu sehen bekam. Leichtsinniger Weise erlaubte es ihr Renard – wohnte sie doch nur schräg gegenüber – und Juanita flog der eigenen Wohnung zu, an der – wie bei allen übrigen Häusern, nur eine schmale Leiter – oft nur ein eingekerbter Baumstamm – lehnte, um an diesem auf und ab zu steigen.

Die Meisten der Neugierigen folgten ihr, kaum aber war sie drei oder vier Stufen hinauf gestiegen, als die Zuschauer unten in ein schallendes Gelächter ausbrachen. Das arme Kind merkte jetzt, daß ihr Kleid, das ihr sonst glatt am Körper niederhing, weit auf der Leiter ausblähte. Aengstlich drückte sie es zusammen, aber die elastischen Reifen wichen aus – was sie auf der einen Seite niederdrückte, stand auf der anderen um so viel weiter ab. Vor Scham tief erröthend, sprang sie endlich von der Leiter mit einem Satz hinab, um die häßlichen Reifen so rasch als möglich los zu werden.

Das gab der Crinoline den Todesstoß, denn daran hatte bis jetzt noch Niemand gedacht. Welche Frau oder welches Mädchen hätte mit einem solchen Putz ihr Haus je verlassen oder wieder dahin zurückkehren können? Es war rein unmöglich, denn an allen Häusern lehnten diese Leitern, und Monsieur Renard that das Einzige, was er mit der Crinoline überhaupt thun konnte – denn kaufen wollte sie jetzt Niemand – er hing sie in seinen Laden unter Siebe, eiserne Töpfe, Besen und andere dergleichen im Handel vorkommende Dinge, an der Decke auf, und nahm sich vor, mit dem nächsten Dampfer nach Panama an seinen Correspondenten zu schreiben, ihm doch um Gottes Willen keine weitere Nachsendung derartiger Moden zu machen.

Juanna hieß aber von dem Tag an nur La Crinolita in der ganzen Stadt, und lange noch standen die Leute vor dem Hause und lachten und plauderten mit einander, bis endlich ein tüchtiger Regenschauer sie in ihre Häuser trieb, und sie von dort aus, über die Straße hinüber und unter einander, aber doch unter Dach, das höchst interessante Gespräch über die merkwürdige Neuigkeit fortsetzen konnten. An Mosquera's Flotte dachte Niemand mehr.

 

Drittes Capitel.
Der Alarm

So rückte der Abend heran. Der Regen hatte aufgehört und am westlichen Horizont wurde eben noch ein rother Gluthstreifen sichtbar, den die untergehende Sonne auf ihrer Bahn nach sich zog, als plötzlich ein Canoe um die nördliche Landzunge bog und, von den Rudern der darin Sitzenden getrieben, wie ein Pfeil über das Wasser dahin und der Landung zuschoß.

»Mosquera!« hieß der Schreckensruf, der gleich darauf durch die kleine, noch ebenso ruhige Stadt zuckte – »Mosquera! – Draußen segeln die Schiffe an und Tomaco ist vom Feinde bedroht.«

Das war ein Durcheinanderlaufen, und wie sich Alles noch vor wenigen Stunden lachend und jubelnd um Renard's Laden gedrängt hatte, so rannten die Leute jetzt nach dem Strande, um von den eingelaufenen Fischern das Nähere über die beunruhigende Kunde zu hören. Selbst Señor Ramos befand sich diesmal unter den Neugierigen. Aber der Bericht, den die Seeleute geben konnten, lautete immer noch unbestimmt, wenn er auch das Schlimmste fürchten ließ.

Sie hatten draußen an der Punta Mariana gefischt, und befanden sich schon wieder auf dem Heimweg, als sie zwei Fahrzeuge bemerkten, die gegen den Wind aufkreuzten und augenscheinlich auf Tomaco zuhielten. Das eine war ein Schooner gewesen, das andere eine Galeotte. Wie sie näher kamen, hatten sie auf dem Schooner eine Flagge aufgezogen, da sie aber von ihnen fortwehte, konnten sie die Farben nicht erkennen, und wahrscheinlich sollte das ein Zeichen sein, daß man sie an Bord verlangte, um dort vielleicht als practicos oder Lootsen zu dienen.

Aus Furcht davor hatten sie sich in die Ruder gelegt und waren geflohen, während das kleinere Fahrzeug, die Galeotte, sobald sie das an Bord merkte, versuchte, ihnen den Weg abzuschneiden. Aber das ging freilich nicht; sie selbst hielten sich in seichtem Wasser, wohin ihnen das tiefer gehende Segelschiff nicht folgen durfte, wenn es nicht auf den Grund gerathen wollte, und als es wenden mußte, trieb es der ungünstige Wind viel mehr zurück, als daß es Fortgang gemacht hätte.

»Und wann könnten sie hier sein?«

Keinen Falls vor morgen früh, denn von der letzten Punta aus hatten sie die beiden Kriegsfahrzeuge nur noch in weiter Ferne gesehen, und ohne Lootsen an Bord durften sie nicht wagen, in dunkler Nacht hier einzulaufen.

Das war der einzige Trost, den sie mitbrachten, aber am nächsten Morgen konnten die Bewohner von Tomaco darauf rechnen, den unwillkommnen Besuch der Feinde da zu haben.

Was nun thun? Ihr erster Nationalitätseifer war schon merklich abgekühlt, und sollten sie wirklich all' ihr Hab' und Gut daran wagen, um der Regierung in Panama, die bis dahin noch gar Nichts für sie gethan, die Insel in treuer Botmäßigkeit zu erhalten? Wer vergütete ihnen den Schaden, wenn die Stadt in Brand geschossen wurde? – Aller Wahrscheinlichkeit nach Niemand, und die Stimmung der Bevölkerung fing an, eine entschieden friedliche zu werden. Selbst Renard, der keine verkäuflichen Waffen mehr an der Hand hatte, hütete sich, ein einziges aufregendes Wort fallen zu lassen, ja er wußte sogar einige Beispiele von andern Städten Neu-Granadas zu erzählen, wo Mosquera – weil er keinen Widerstand gefunden – vollkommen friedlich eingezogen war und Niemanden belästigt hatte.

Nur der Postmeister blieb Feuer und Flammen und war wieder emsig beschäftigt, die Landwehr zu organisiren, die er am liebsten die ganze Nacht durch hätte exerciren lassen. Dazu brachte er die Leute nun allerdings nicht, aber sein Beispiel diente doch dazu, sie wenigstens in etwas aufzuregen. – Schämten sie sich doch, so gar kalt zu bleiben, wo es die Vertheidigung des Vaterlandes und des eigenen Heerdes galt. Sie verstanden sich also dazu, am nächsten Morgen, noch vor Tag, den Strand zu besetzen, die Kanonen zu richten und – wie es der Postmeister verlangte – »mit Gut und Blut ihre Ehre und ihre Rechte zu vertheidigen.«

Der Postmeister sorgte auch dafür, daß sie nicht zu lange schliefen, denn kaum tauchte der Morgenstern über den Baumwipfeln des festen Landes auf, so rasselte, von ihm selber bearbeitet, eine alte Trommel durch die stillen Straßen der Stadt, um in einer Art von verzweifeltem Generalmarsch die Bevölkerung zu wecken, die jungen Männer herauszurufen und die Frauen und Kinder durch den ungewohnten Lärm fast zu Tod zu ängstigen.

Er unterließ auch keine Vorsichtsmaßregeln. Ein Canoe wurde, als noch tiefe Nacht auf dem Meere lag, an die nördliche Punta hinaufgeschickt, um dort auf Wacht zu liegen, bis der Tag anbreche, und dann ungesäumt genaue Kunde zu bringen. Ebenso wurden auf den Felsen hinauf Posten geschickt, und ihnen eine kleine Fahne mitgegeben, durch welche sie bestimmte Botschaften auf eine vorher bestimmte Art herabwinken sollten – was sie aber natürlich vergaßen, ehe sie nur oben waren.

Unterdessen ließ er die beiden Kanonen an die äußerste Spitze der Insel schaffen, von wo er aus beide Canäle – wenn auch nicht gerade beschießen, doch jedenfalls bedrohen konnte, und ebenso mußten die Leute mit Spitzhacken und Schaufeln arbeiten, um eine Art Schanze aufzuwerfen, hinter der sie gedeckt gegen das Feuer der Schiffe stehen konnten. In dem lockeren Sande war leicht zu arbeiten und sie hatten bald eine Brustwehr ausgegraben, die hinreichend schien, sie zu verbergen, wenn sie auch einer wirklichen Kanonenkugel kaum einen Widerstand geboten hätte.

Bis Tagesanbruch waren sie richtig damit fertig. Der Postmeister blickte mit Stolz auf das vollendete Werk, und als der Tag graute, hingen Aller Blicke mit Spannung an dem westlichen Horizonte, den noch ein duftiger Nebel deckte. Kaum aber hob sich die Sonne, so preßte sie auch diese leichten Schwaden auf die Oberfläche der See nieder, von der sie rasch aufgesogen wurden, und »dort sind sie! dort sind sie!« lief der Ruf von Mund zu Mund und fand bald sein Echo in der Stadt, der die geängstigten Frauen und Kinder entströmten, um den Feind mit eigenen Augen zu schauen.

Zu gleicher Zeit winkten die Posten auch auf den Hügeln mit ihren Fahnen, und kam das nach der Punta ausgesandte Canoe in voller Eile zurück. – Sie Alle hatten den Feind zu gleicher Zeit bemerkt, und die Richtung, welche die kleinen Fahrzeuge mit der schwachen Morgenbrise nahmen, ließ keinen Zweifel mehr, daß Tomaco wirklich ihr Ziel sei. – Aber waren es auch wirklich Kriegsschiffe?

In dem breiten weißen Streifen, der um den Rumpf herum lief, zeigten sich allerdings die schwarzen viereckigen Portlöcher – aber ob es gemalte oder wirkliche Porte waren, ließ sich in der Entfernung noch nicht erkennen, und solche gemalte Porte führten fast alle Kauffartheischiffe, während die wahren Kriegsschiffe gewöhnlich ganz schwarz angestrichen waren und nicht die geringste Abzeichnung trugen.

Der Postmeister selber, der eine Art von Telescop besaß, das er einmal einem Walfischfänger um ein Billiges abgekauft, bemühte sich vergebens, etwas Genaueres zu erkennen – das verwünschte Glas hatte so viel gekratzte Risse! – Nicht einmal eine Flagge zeigten sie, und suchten nur mit sämmtlichen beigesetzten Segeln den schwachen Wind zu fassen und dadurch vorwärts und auf Ankergrund zu kommen. Mit der Seebrise, die den Nachmittag etwa um drei Uhr einsetzte, durften sie sicher darauf rechnen, die Einfahrt des Hafens in ihrer Gewalt zu haben.

Es war jetzt in der That nichts weiter zu thun als diesen Zeitpunct eben abzuwarten, denn ein verzweifelter Plan, den der Postmeister entwarf, mit Canoes und Booten nämlich in die offene See hinauszufahren, und die Kriegsschiffe zu entern und zu nehmen fand auch nicht den geringsten Anklang. Die Leute meinten ganz vernünftig: wenn sie das wollten, könnten sie ja nur ruhig warten, bis die beiden Fahrzeuge zu ihnen hereinkämen; dann hätten sie es doch jedenfalls weit bequemer.

Indessen ging der Alkalde, dem nicht wohl bei der Sache wurde, zu Señor Ramos hinüber, um dessen Meinung zu hören; er staunte aber nicht wenig, als ihm dieser ganz ruhig sagte, er würde an seiner Stelle nicht den geringsten Widerstand leisten, denn einem ordentlichen Angriff hielten seine Leute doch nicht Stand, und Widersetzlichkeit würde den Feind nur erbittern, aber nie etwas an der Sache – der Besetzung Tomacos durch Mosquera's Truppen – ändern.

»Wenn Sie das nur dem Postmeister gesagt hätten!« entgegnete, etwas bestürzt, der Alkalde. »Der ist ganz Feuer und Flamme.«

»Der Postmeister ist ein Bramarbas,« sagte Señor Ramos ruhig. – »Lassen Sie den da draußen maneuvriren, er wird nicht den geringsten Schaden thun.«

Dabei blieb es, und die Einwohner von Tomaco beobachteten mit ängstlicher Spannung das zwar langsame, aber doch unverkennbare Näherrücken der »Flotte«.

Den stolzen Namen Flotte verdienten die beiden kleinen Fahrzeuge allerdings nicht. Es waren ein paar ganz gewöhnliche Schooner, wie sie überhaupt an der Küste kreuzten, um Tauschhandel zu treiben und selten größere Reisen als nach Panama und wieder zurück zu machen. Noch dazu wurden zu diesen Fahrten gewöhnlich die ältesten und schlechtesten Schiffe benutzt, da sie in dieser Breite nie eine schwere See oder gar einen Sturm zu fürchten hatten. Das Schlimmste, womit sie kämpfen mußten, waren Windstillen, die ihre Reise oft um das Dreifache verlängerten. Uebrigens fanden sie überall an der Küste kleine Häfen, wo sie einlaufen und frische Provisionen kaufen konnten – Wassermangel fand in einer Gegend nie statt, wo wenigstens einmal an jedem Tag ein kleiner Wolkenbruch fiel, so daß man an Deck, mit einem ausgespannten Segeltuch, leicht auffangen konnte, was man über Tag brauchte.

Die beiden kleinen Fahrzeuge schienen nun auch nicht um einen Grad besser zu sein, als alle anderen derartigen gleichen Gelichters, und möglich, daß der Postmeister, der lange Jahre seines Lebens an der Küste zugebracht, auch der festen Ueberzeugung war, er hätte es nur mit friedlichen Küstenfahrern zu thun und könne, in sehr billiger und gefahrloser Weise, seinen Muth zeigen und seinen Landsleuten imponiren. Mosquera, noch nicht im Besitz Panamas oder irgend eines anderen bedeutenden Hafens, war aber in der That genöthigt gewesen, ein paar ganz gewöhnliche Schooner, wie er sie an der Küste genommen oder aufgekauft hatte, zu bemannen und zu armiren, und da die Bewohner dieser kleinen Hafenplätze auch wohl noch nie ein wirkliches Kriegsschiff gesehen hatten, so konnten sie, seiner Meinung nach, recht gut Alles erfüllen, zu was er sie brauchte – und erfüllten es auch in vielen Fällen.

Die Spannung am Lande hatte ihren Höhepunct erreicht, als beide Schooner, etwa Mittags um 12 Uhr, draußen vor dem Eingange des Canals, neben einander ankerten, und gleich darauf ein kleines Boot in See gelassen wurde – was man mit bloßen Augen deutlich erkennen konnte – in das einige Mann hineinstiegen und dann dem Lande zuruderten. Hinten im Heck des Bootes stand ein Offizier, und als er näher kam, hob er eine kleine weiße Fahne empor – es war richtig ein Parlamentairboot, und da die Leute recht gut wußten, daß sie von den paar Mann keinen Ueberfall zu fürchten hatten, drängten sie mehr und mehr der Landung zu, um dort gleich an Ort und Stelle das Schlimmste zu erfahren.

Selbst der Postmeister, der aber seinen Leuten streng anbefahl, auf ihren Posten zu bleiben, den sie bis auf den letzten Mann vertheidigen wollten, näherte sich der Stelle, um bei dem Kriegsrath zugezogen zu werden.

Still und schweigend ruderte indeß das Boot heran, und die vier Leute an den Riemen – ruppig genug aussehende Burschen, wenn sie wirklich zu einem Kriegsschiff gehörten – warfen bei ihrer Arbeit etwas scheu den Kopf zurück nach den Leuten am Strande, und schienen keineswegs eines ganz freundlichen Empfanges gewiß zu sein.

Vollkommene Ruhe bewahrte indeß der Offizier selber, der, als das Boot den Sand scheuerte, von seinem Sitze aufstand und die weiße Fahne emporhob. Da aber gerade Ebbe war, lag das Boot, wenn auch schon festgefahren, noch immer wohl zehn oder zwölf Schritte von dem seichten Strande ab, und Einer der Leute sprang ohne Weiteres hinaus und in's Wasser, um ihn auf seinen Schultern auf trockenen Boden zu tragen, denn er hatte Stiefeln an, die er nicht naß machen durfte.

Der Offizier nahm das auch an, und zwar als eine Sache, die sich von selbst verstand, wenn es ihm auch in der Würde seiner Stellung und europäischen Augen gegenüber vielleicht Eintrag gethan hätte, so huckepack und nichts weniger als graziös, an's Land geritten zu kommen. Hier aber war man etwas Aehnliches schon so gewöhnt, daß Niemand nur eine Miene deshalb verzog und der Alkalde, in etwas steifer und gezwungener Haltung ihm entgegentrat, um zu erfragen, was er wünsche und was die Schiffe da draußen beabsichtigten.

 

Der Offizier grüßte freundlich, ohne sich dann aber bei weiteren Höflichkeiten aufzuhalten, sagte er ruhig:

»Señores, ich komme hierher im Namen meines Capitäns und Admirals, des ehrenwerthen Don Juan Salcantra, um Sie aufzufordern, Sr. Excellenz, dem geliebten und tapferen Präsidenten Mosquera, den Huldigungseid zu leisten und zu schwören, daß Sie diesen Platz gegen alle Feinde Sr. Excellenz vertheidigen und ihm überhaupt treue Unterthanen sein wollen.«

Todtenstille folgte dieser Aufforderung, und selbst der Alkalde war in Verlegenheit, was er darauf erwidern solle. Mit der Schlauheit und Geschmeidigkeit der ganzen spanischen Race ließ er aber doch nicht lange auf eine Antwort warten und erwiderte freundlich:

»Señor, wir sind ruhige und friedliebende Bürger auf Tomaco, die mit treuer Anhänglichkeit an ihrer Regierung hängen und erst vor ein paar Tagen erfahren haben, daß eine Revolution im Lande ausgebrochen sei. Daß der neue Präsident in Panama Mosquera heißt, wußten wir noch gar nicht, und wenn Sie uns von dort den schriftlichen Befehl zu dem eben Verlangten bringen, sind wir mit Vergnügen bereit, Ihrem Wunsche zu willfahren.«

»Die Regierung in Panama,« sagte nun der Offizier finster, »ist gestürzt – General Mosquera regiert jetzt allein im Lande, und deshalb haben die verschiedenen Hafenplätze auch von ihm allein Befehle entgegen zu nehmen, die er aber nie schriftlich, sondern nur mündlich giebt.«

»Bitte um Entschuldigung, Señor,« nahm der Postmeister das Wort. »Die Regierung von Panama ist nicht gestürzt, wenigstens nicht, daß Sie etwas davon wissen könnten, denn der englische Dampfer, der direct von Panama kam, hat erst nach Ihnen Buenaventura verlassen, und uns noch Depeschen unserer Regierung mitgebracht.«

»Señor,« erwiderte der Offizier kalt, »die Regierung von Panama ist im ganzen Lande gestürzt, und in Panama eingeschlossen, Sie können dieselbe also nicht mehr Regierung nennen. Aber ich bin nicht hier, um mich mit Ihnen in einen Wortstreit einzulassen. Meine Aufforderung an Sie ergeht nur dahin, ob Sie sich den rechtmäßigen Behörden unterwerfen wollen, wo nicht, werden wir mit unseren Schiffen Ihren Gehorsam zu erzwingen wissen, und die Folgen – haben Sie sich dann selber zuzuschreiben. – Ich bitte um Antwort.«

»Und die soll Ihnen werden,« rief der enragirte Postmeister, ehe der Alkalde selber das Wort ergreifen konnte. – »Kommen Sie nur so nahe, daß wir Sie mit unseren Kanonen erreichen können, so wollen wir Ihnen eine Antwort hinüberschicken, daß Ihnen die Köpfe brummen.«

»Ist das Ihr letztes Wort?« frug der Offizier finster.

Der Alkalde wollte etwas erwidern, aber die Umstehenden, denen die kecke Rede ihres Postmeisters imponirte, brachen in ein donnerndes Hurrah aus, und die Leute im Boote griffen erschreckt nach ihren Rudern, weil sie sich nicht sicher fühlten, daß die übermüthigen Burschen am Ende über sie herfallen könnten. – Was wußten sie von Völkerrecht oder Parlamentairflagge!

Der Offizier mochte etwas Aehnliches fürchten, denn er trat dicht zum Rand des Wassers zurück und sah sich nach seinen Leuten um. Dadurch gewannen die Bewohner von Tomaco nur neuen Muth. Der Alkalde wollte etwas sprechen, aber er kam nicht zu Worte – wieder gaben die Hurrahschreier eine volle Salve, und der Offizier, mit gänzlicher Mißachtung seiner blanken Stiefeln und trockenen Beinkleider, trat in das Seewasser hinein, war mit wenigen Schritten bei seinem Boote, schwang sich hinein, und während sich die Ruderer mit aller Macht in die Riemen legten, glitt die etwas plumpe Jolle wieder in tiefes Wasser zurück und dem Schiffe zu.