Tasuta

Unter Palmen und Buchen. Zweiter Band.

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Fünftes Capitel.
Baptista

Der Capitän hatte seine Schuldigkeit gethan und sein Ziel viel rascher und vollkommener erreicht, als er je gehofft. Es drängte ihn deshalb wieder an Bord zurück. Aber so bald kam er noch nicht los, denn von allen Seiten strömten Menschen herbei, um ihm die Hand zu drücken und ihm zu erklären, daß sie gute Freunde bleiben und keinen Krieg miteinander haben wollten. Und nicht allein die Männer thaten das, sondern ganz besondere Energie entwickelten die Negerweiber, von denen die Insel ein außerordentlich starkes Contingent stellte, und wo solch eine alte würdige Dame einmal die Hand des Seemannes erwischte, ließ sie nicht sogleich wieder los. Sie versicherten ihm dabei stets mit ihrer gewöhnlich tiefen Baßstimme, daß sie sich unendlich glücklich schätzen würden, wenn er zu ihnen in das Haus kommen und eine Tasse Chocolade trinken wolle.

Er hatte Mühe sich ihrer zu erwehren, und sein Boot endlich wieder gewinnend, sprang er hinein und ließ sich an Bord zurückrudern.

Still vor sich hin mußte er freilich unterwegs lachen, wenn er sich überlegte, daß Tomaco eigentlich nur dadurch friedlich erobert und Mosquera eine neue Stadt gewonnen sei, daß sich beide Theile vor einander gefürchtet hätten, denn wie die Sachen standen, konnten sie sich gegenseitig keinen großen Schaden thun. Die List war aber gelungen; die Bewohner von Tomaco hatten sich durch eine völlig unausführbare Drohung: die Beschießung der Stadt, einschüchtern lassen, und es lag jetzt an Señor Fosca, das Weitere in Frieden und Freundschaft zu arrangiren und sich mit den Behörden zu verständigen.

Als der Capitän sein kleines Fahrzeug erreicht und den Befehl gegeben hatte, Munition und Kugeln wieder fortzuräumen und die »Geschützstücke« auf's Neue zu befestigen – ein sicheres Zeichen also, daß von einem Kampf nicht weiter die Rede war – trat plötzlich der Franzose zu seinem Admiral heran, und seinen kleinen Wachshut abnehmend, wollte er ihn eben anreden, als Señor Fosca mit triumphirendem Blick auf diesen zukam und rief:

»Ich weiß Alles! Schon ehe Sie zurückkamen war ein Fruchtboot hier. – Meine alten Freunde sind noch dieselben – der nämliche Eifer, Einer dem Andern einen Verdienst vor der Nase wegzuschnappen. – Aber ich habe auch Ihren Erfolg erfahren und – daß Señor Ramos wirklich hier mit seiner ganzen Familie lebt. Er kann uns jetzt nicht mehr entgehen und ich bitte Sie also, Almirante, mir nachher sechs Mann von Ihren Leuten zur Verfügung zu stellen, um den Verräther zu verhaften.«

»Mein bester Señor,« sagte der Seemann, dem die Sache augenscheinlich fatal war, – »ich habe den guten Leuten da drüben versprochen, sie nicht weiter zu schädigen.«

»Aber der Verräther war ausgenommen,« rief Fosca rasch, – »gehört er doch auch gar nicht nach Tomaco und geht der Stadt nicht das Geringste an. Señor Almirante, ich habe den strengen Auftrag von Sr. Excellenz, auf diesen gefährlichsten aller Staatsverräther zu fahnden und ihn nach Buenaventura zu liefern. Ich möchte nicht in des Mannes Haut stecken, der ihm Zeit und Gelegenheit ließe, zu entkommen.«

»Ach was!« brummte der Seemann verdrießlich vor sich hin, »so gefährlich wird die Sache nicht sein, Señor. Aber meinetwegen thun Sie, was Sie nicht lassen können und nehmen Sie sich von Leuten was Sie brauchen. Ich mache Sie aber dafür auch für alle Folgen verantwortlich, wenn Sie die jetzt beruhigten Einwohner wieder aufreizen und unser Aller Sicherheit dadurch gefährden.«

»Die Verantwortung übernehme ich,« sagte der Commissair, und ein boshaftes Lächeln zuckte über sein fahles Gesicht, als er sich umdrehte und wieder in die Cajüte hinunter stieg.

»Was wollen Sie?« wandte sich der Capitän nun, eben nicht in bester Laune, an den jungen Franzosen, der indessen zurückgetreten war, um sein Anliegen später vorzubringen.

»Señor Almirante,« sagte der Franzose, »wie ich zu meiner Freude sehe, ist kein Krieg mehr nöthig. Unter diesen Verhältnissen brauchen Sie aber auch keinen master at arms mehr, und da ich jetzt ein unnützes Möbel an Bord bin, so wollte ich Sie ersuchen, mir meine Entlassung zu geben. Ich möchte gern in mein eigenes Vaterland zurückkehren.«

»Thut mir leid,« sagte der Seemann barsch, »Ihre Zeit ist noch nicht um und außerdem brauche ich Sie nothwendig. Sie sind Schiffszimmermann, nicht wahr?«

»Ein sehr mittelmäßiger,« bestätigte achselzuckend der Gefragte.

»Thut nichts! Wahrscheinlich immer noch besser als unsere carpinteros in Buenaventura. – Sie müssen mit helfen, den Schooner wieder in Stand zu setzen, wenn wir zurückkommen.«

»Den Schooner?« lächelte der Franzose. – »Ach ja, es geht, wenn er einen neuen Rumpf und andere Masten bekommt und nachher frisch aufgetakelt werden kann. An den alten Kasten werden Sie aber doch keine Reparaturkosten mehr wegwerfen wollen?«

»Das ist Sache der Regierung,« brach der Capitain kurz ab. »Sie gehen jedenfalls mit zurück und dort findet sich das Weitere. Sehen Sie indessen zu, daß mir das Volk kein Unglück mit dem Pulver anrichtet – daß sie besonders da unten nicht rauchen. Haben Sie mich verstanden?«

»Vollkommen gut, Señor,« sagte der Franzose mit einer Verbeugung, als der Seemann an ihm vorüberschritt und dem Commissair in die Cajüte folgte.

»Abgeblitzt!« lachte der Engländer, der, als er auf das Quarterdeck kam die Unterredung gehört hatte. – »Hätte ich Euch auch vorher sagen wollen, Camerad, denn wenn der Alte uns paar Europäer von Bord ließe, wen behielt er denn da zurück als die Buschläufer, die ein Fallreep nicht von der Besanschote zu unterscheiden wissen. Nein, damit ist's nichts! Ich hätte selber Einsprache dagegen erhoben, also schlagt Euch die Phantasien aus dem Kopfe.«

»Wird wohl nicht anders werden, Mr. Culpepper,« stimmte der Franzose bei, indem er leise vor sich hinpfeifend, nach vorn ging.

Der Nachmittag war indessen schon ziemlich weit vorgerückt; die Sonne stand kaum noch eine halbe Stunde hoch am westlichen Himmel und die Wolken begannen schon die den Tropen eigene, violette Färbung anzunehmen, als Señor Fosca mit seinem Boot an Land fuhr. Statt der erbetenen sechs Mann Wache hatte er sich aber zwölf ausgesucht, die vollständig bewaffnet ihn begleiten sollten, und der Capitain that da auch keinen Einspruch. Er wollte augenscheinlich mit der ganzen Sache nichts zu thun haben.

Am Land wurde er von den Spitzen der Behörden empfangen, der Alkalde, der Postmeister und der Steuerbeamte – dessen Posten er selber früher einmal auf Tomaco bekleidet hatte – standen an der Landung und die Begrüßung – wenn man überhaupt auf äußere Anzeichen schließen konnte – war eine herzliche.

Am liebsten hätte Señor Fosca nun allerdings das vorgenommen, was ihm am meisten am Herzen zu liegen schien: die Verhaftung des Hochverräthers – aber das ging doch nicht – der wichtigere Act und zwar die Uebernahme der Insel und die Huldigung des neuen Präsidenten mußte vorausgehen, und die Spitzen der Bevölkerung, von den meisten dort Ansässigen begleitet, begaben sich demnach in das »Regierungsgebäude« (ein Haus, das sich vor den übrigen nur durch einen etwas größeren Umfang auszeichnete), um den feierlichen Act dort vorzunehmen.

Vorher hatte der Postmeister, der jetzt die Geschmeidigkeit selber zu sein schien und gar nicht so that, als ob er je den geringsten Widerstand gegen Mosquera's Ansprüche geleistet, eine längere und geheime Unterredung mit Señor Fosca, und dann erfolgte in ziemlich summarischer Weise die Uebergabe der Stadt und Insel an den neuen Herrscher, mit der Bestätigung der jetzigen Beamten in ihrem Dienst.

Es war unterdessen vollkommen dunkel geworden und die beiden »Kriegsfahrzeuge« in dem Canal hatten jedes an ihrem Vormast eine rothe Laterne aufgezogen. Wachen brauchte es nicht an Deck, denn die ganze Mannschaft lag zerstreut darauf herum oder saß plaudernd vorn auf der Back oder auf den Railings. Hinten auf dem Quarterdeck ging der Franzose mit verschränkten Armen auf und ab; der englische Steuermann lag bequem auf einer Bank ausgestreckt und rauchte seine Cigarre.

Der Franzose hatte seine Jacke neben sich auf dem Steuerrad hängen, jetzt ging er hin und zog sie wieder an.

»Nun, Bill,« lachte Mr. Culpepper. »Ihr friert doch nicht in der Temperatur?«

»Das nicht, Sir,« sagte der Mann gleichgiltig, »aber der Thau fängt an zu fallen, und da drüben zieht auch wieder ein Wetter herauf. Wir bekommen eine böse Nacht.«

»Ob es in dem verbrannten Lande nicht auch alle Tage vom Himmel herunterschüttet!« brummte der Engländer und rauchte ruhig weiter. – Der Franzose beschäftigte sich damit, einen Theil der noch unordentlich umherliegenden Brassen aufzurollen. Eine davon aber, ohne daß es Mr. Culpepper sehen konnte, nahm er und hing sie über Bord, dann stieg er langsam und gleichmüthig über die Railing, ließ sich an dem Tau geräuschlos hinab und verschwand im nächsten Augenblick unter Wasser.

»Heh, Bill!« rief der Engländer nach einer Weile, ohne jedoch den Kopf zu wenden. – »Wohin wolltet Ihr denn eigentlich, wenn Euch der Alte losgelassen hätte?«

Er bekam keine Antwort und sah sich jetzt erstaunt um. – Das Deck war leer.

»Hm!« brummte Mr. Culpepper vor sich hin. »Habe ihn doch gar nicht fortgehen hören – «

»Du, Juan, da schwimmt ein Fisch!« sagte einer der Leute vorn an Bord. »Wetter! Das muß ein großer Kerl sein. Ich mache meine Angel zurecht, vielleicht fangen wir ihn.«

Es hatte sich für einen Moment ein dunkler Gegenstand über Wasser gezeigt, verschwand aber sogleich wieder und einige der Leute holten ihr Angelgeräth vor. Es gab wirklich viel Fische dort in der Nähe des Landes und das aufsteigende Gewitter begünstigte den Fang.

Bill, wie ihn Mr. Culpepper alter Gewohnheit wegen nannte, hieß eigentlich weder Bill, noch Guillaume, sondern Baptiste Lecomb, und hatte unterdeß seine Flucht so keck und rasch ausgeführt, daß er als ein ganz vortrefflicher Schwimmer das Land erreichte und längst zwischen den dunklen Häusern verschwunden war, ehe er an Bord vermißt wurde. Am Land zog er sich vor allen Dingen aus, und rang seine Kleider soweit als möglich trocken, daß er sich nirgends durch die übergroße Nässe verrieth – eine Erkältung brauchte er in dem heißen Clima nicht zu besorgen – und erkundigte sich dann bei dem ersten Eingeborenen, den er antraf, ob kein Europäer, besonders ob kein Franzose in dem Orte wohne. Er befand sich nicht weit von Renard's Haus und als er zu diesem hingewiesen war, machte er keine weitern Umstände einzutreten.

 

Monsieur Renard war eben nach Hause zurückgekommen und bei der Uebergabe der Stadt an Mosquera gegenwärtig gewesen. Er stand in seinem Laden und war gerade im Begriff, seine beiden Lampen anzuzünden, da er an diesem Abend unter den obwaltenden Verhältnissen nicht ohne Grund zahlreiche Gäste erwartete, und die jetzt aufflackernde einzelne Oelflamme nur ein sehr ungewisses Licht verbreitete. Wie in aller Welt hätte man auch eine solche Festlichkeit in einem solchen Ort anders feiern wollen als durch Trinken, und Renard wußte, daß er die besten Getränke in der Stadt hielt. – Es waren wenigstens die theuersten.

Eben nicht angenehm überrascht wurde er da durch den etwas unerwarteten Besuch, der sich ihm ohne Weiteres als Deserteur von einem der neugranadiensischen Kriegsschiffe vorstellte.

Baptiste war in der That nicht der Mann, große Umstände zu machen, und nach seiner ersten Einführung setzte er nur hinzu, indem er sich im Laden umsah:

»Zuerst, Landsmann, sehe ich, Sie haben hier Getränke, also bitte ich, geben Sie mir einen tüchtigen Cognac, denn heißes Wasser zu einem Grog, der mir besser thun würde, ist gewiß nicht fertig – es ist wenigstens nie fertig, wenn es am nöthigsten gebraucht wird, und dann verschaffen Sie mir ein Canoe, damit ich nach Ecuador entkommen kann.«

»Und brauchen Sie sonst Nichts?« fragte Renard, über diese Zwanglosigkeit erstaunt.

»Ein paar Dutzend Franken baar Geld wären allerdings erwünscht, denn das Einzige, was ich von landesüblicher Münze besitze,« fuhr der junge Franzose fort, »sind zwei schlechte ecuadorische Reale, sogenannte Dimesstücke, die ich Ihnen hier nicht einmal für Ihren Cognac anbieten mag. Ich darf doch einen Landsmann nicht beleidigen.«

»Alle Wetter!« lachte Renard, den diese ganz eigene Keckheit – und er selber war sonst nicht gerade blöde – zu amüsiren anfing, »Sie trotzen nicht schlecht auf unsere Landsmannschaft, Kamerad, denn wissen Sie wohl, daß Sie mich hier – mit dem neuen Regime im Lande – durch Ihre Flucht in die furchtbarste Verlegenheit bringen können, sobald man erfährt, daß ich das Geringste damit zu thun hätte!«

»Bah!« sagte Baptiste gleichgültig. »Sie wissen recht gut, daß jeder Franzose, unter ähnlichen Umständen, das Nämliche für Sie thun würde, also ist es nicht der Mühe werth, nur ein Wort weiter deshalb zu verlieren. Oder wollten Sie mich etwa an die Bestien wieder ausliefern?«

»Aber, bester Freund,« sagte Renard, wirklich in Verlegenheit, »was hilft Ihnen selbst ein Canoe? Der Weg von hier nach dem Pailon – dem nächsten Platz in Ecuador – ist gar nicht so leicht zu finden und Sie brauchen – «

»Machen Sie sich deshalb keine Sorgen,« lachte Baptiste. – »Ich bin nicht zum ersten Male in Tomaco und kenne den Weg sowohl durch die Lagune wie um die Punta Manglares.«

»Dann, bester Freund,« sagte Renard rasch, indem er ihm ein tüchtiges Glas Cognac einschenkte, das Baptiste mit einem vergnügten »à votre santé! Apropos, haben Sie nicht ein paar Cigarren?« leerte – »kann ich Ihnen keinen bessern Rath geben als – und hier haben Sie auch einige vortreffliche Esmeralda-Cigarren – als sich das erste beste Canoe von der Landung zu nehmen und zu machen, daß Sie fortkommen, denn wenn man Sie an Bord vermißt, werden Sie auch augenblicklich verfolgt werden, und wo soll man Sie an einem Ort verbergen der nicht einmal Wände, viel weniger heimliche Verstecke hat? Nur so viel Rücksicht bitte ich Sie auf einen Landsmann zu nehmen, daß Sie mein Canoe liegen lassen. Es hat vorn am Bug einen kleinen Messingknopf mit einem Hufeisen darunter genagelt. Ein Ruder gebe ich Ihnen mit.«

»Sehr schön,« sagte Baptiste. »Ihr Canoe ist sicher, aber vorher beantworten Sie mir noch eine Frage. Lebt hier im Ort ein Señor Ramos? Apropos, haben Sie hier eine Hinterthüre, wenn Jemand vorn in den Laden kommen sollte?«

»Allerdings, aber je länger Sie zögern, desto schwieriger wird Ihre Flucht sein. Ein Señor Ramos lebt allerdings hier; kennen Sie ihn?«

»Ist er derselbe Ramos, der vor drei Jahren in Buenaventura wohnte?«

»Er zog glaube ich von dort nach Bogota.«

»Er hat Familie?«

»Eine sehr hübsche junge Frau und ein Kind, ein kleines Mädchen von etwa sechs oder sieben Jahren.«

»Peste!« rief Baptista, indem er mit dem Fuße aufstampfte, »dann kann ich noch nicht fort.«

»Und was haben Sie mit dem zu thun?« fragte der Franzose. »Er hält mit keinem Menschen Verkehr, und von ihm dürfen Sie keine Hülfe erwarten.«

»Aber er braucht sie!« rief Baptiste rasch. »Vor drei Jahren, als ich in Buenaventura todtkrank und verlassen lag, hat er mich in sein Haus aufgenommen und wie ein eigenes Kind gepflegt. – Seine Frau ist ein Engel und die kleine Adriana ein Cherub. Meine Hand soll verdorren, wenn ich die braven Leute im Stich lasse!«

»Das ist nicht übel!« rief Renard ärgerlich werdend. »Erstlich braucht Señor Ramos weder Ihre noch eines andern Menschen Hülfe, und verlangt sie auch wahrscheinlich gar nicht, und dann möchte ich wissen, was Sie ihm nützen wollten, da Sie sich selber nicht einmal auf offener Straße dürfen blicken lassen.«

»So haben Sie nichts davon gehört?« fragte Baptiste, »daß ihn der neue Commissair – diese schieläugige Canaille mit dem Körper einer Katze und der Seele eines Schakals – gefangen nach Buenaventura schleppen will, ihn und die junge Frau und den Engel von einem Kind in jene Hölle von Gefängniß, das mich, einen starken, kräftigen Mann, fast zum Selbstmord trieb?«

»Alle Wetter!« sagte Monsieur Renard halblaut und erstaunt. – »Also darauf liefen die Anfragen des Señor Fosca hinaus? – Aber wie können Sie ihm helfen?« fuhr er dann laut und kopfschüttelnd fort. »In der Stadt hat Señor Ramos wenig oder gar keine Freunde, denn er hielt mit keinem Menschen Verkehr und war immer stolz und aufgeblasen. – Gegen mich auch,« setzte er etwas gereizt hinzu, »denn ich kam ihm ganz freundlich entgegen und meine Frau hat den Leuten sogar einen Besuch gemacht, obgleich wir sie gar nicht kannten, aber nicht ein Fuß von ihnen ist über unsere Schwelle gekommen, außer den, welchen die Dienstleute darüber setzten, wenn sie Waaren holten, die sie aber schon hier holen mußten, weil sie sie sonst nirgends so gut und billig bekommen.«

»Hat er seinen Neger bei sich?« fragte Baptista rasch, und ohne auf das, was Renard sagte, zu hören, »einen flinken Mulattenjungen, der Antonio heißt?«

»Einer des Namens ist allerdings bei ihm, ein Bursche von vielleicht vierundzwanzig Jahren.«

»Wenn ich nur den wenigstens sprechen könnte, daß man ihn warnte – «

»Alle Teufel!« rief Renard schnell. – »Jetzt kommen Leute.«

»Wo ist das Ruder?« rief Baptista rasch.

»Da hier in der Ecke lehnen zehn oder zwölf.«

Der Franzose griff ohne Weiteres eins davon heraus.

»Dort hinaus! Da ist die Thüre in den Hof. – Machen Sie, daß Sie hinüber nach Ecuador kommen.«

Baptista sprang der Thüre zu, als dort ebenfalls Stimmen laut wurden.

»Caramba!« murmelte er leise vor sich hin. – »Das war zu spät.« Den Blick umherwerfend erspähte er ein leeres Brodfaß, das dicht neben der Ausgangsthüre und in einer Art von Gang stand, der aber nur durch Kisten, Nagelfässer und sonstige Waaren gebildet wurde. Ohne Renard ein Wort weiter zu sagen, oder ihn um Erlaubniß zu fragen, legte er die Hand auf den Rand desselben, stützte sich mit der Rechten auf das Ruder und sprang hinein. Das Ruder lehnte er dann daneben und hatte eben noch Zeit sich unterzuducken, als die Thüre auch schon aufging und ein paar Einwohner von Tomaco, unter ihnen der Postmeister, den Laden auf diesem ihrem Hause näher liegenden Wege betraten. Gleichzeitig kam auch, laut und leidenschaftlich mitsammen redend, ein Schwarm von Menschen von der anderen Seite und Renard, der, ehe er nur einen Entschluß fassen konnte, seinen verzweifelten Landsmann schon in seinem Versteck und dessen Flucht für jetzt wenigstens völlig abgeschnitten sah, warf nur rasch und fast unwillkürlich eine gerade dort liegende alte Matte über das Faß, und machte sich dann bereit, seine – jedenfalls in diesem Augenblick unwillkommenen – Gäste zu empfangen.

Señor Ramos hatte sich an diesem bewegten Tage, wie immer, streng abgeschlossen in der Räumlichkeit seines eigenen Hauses und inmitten seiner kleinen Familie gehalten, denn er suchte absichtlich Alles zu vermeiden, was ihn mit dem politischen Treiben Tomacos hätte in Berührung bringen können. Was half es auch, welche politische Richtung diese äußerste, vollkommen abgeschiedene Ecke des Staates verfolgte? Sie stand mit dem übrigen Lande in gar keiner Verbindung, und hatte sich dem zu fügen, was an den Hauptplätzen und im Herzen der Republik erkämpft und ausgefochten wurde.

Welchen Theil er früher an diesen Kämpfen genommen hatte – Niemand wußte es in Tomaco; Niemand kümmerte sich darum. Hier schien er nur darauf bedacht, seine Häuslichkeit so freundlich als möglich herzurichten, was ihm denn auch mit den wenigen ihm hier zu Gebote stehenden Mitteln sicher gelungen war.

Das Haus zeichnete sich vor den übrigen, wie schon früher erwähnt, allerdings nur durch seine etwas größere Sauberkeit, und die zierlich gearbeiteten Bambusjalousien, vielleicht auch dadurch aus, daß es vollkommen geschlossen stand, und nur dann einen Einblick in das Innere gewährte, sobald die Fenster in der Abendkühle weit geöffnet wurden. Im Innern aber konnte es mit keinem der übrigen verglichen werden, denn Señor Ramos hatte keine Kosten gescheut, ein kleines neu-granadiensisches Paradies daraus zu schaffen.

Den Boden deckte vollständig eine chinesische roth- und gelbgestreifte Strohmatte, ein Luxus, der sich in keinem einzigen der andern Häuser fand. Die Betten, die in einem kleinen Bambusverschlag standen, waren reinlich überzogen und mit schneeweißen Mosquitonetzen versehen, und selbst die Wände waren nicht leer und ein Spiegel hing über einem kleinen sauber polirten Tisch von inländischem Mahagoniholz, während zwei Oelgemälde in vortrefflicher Ausführung Ansichten des wunderbar schönen Innern von Neu-Granada darstellten.

Der Tisch war gerade zum Abendbrod gedeckt und die Chocolade dampfte in Tassen von feinem Porcellan, während auf den Schüsseln gebratene Bananen und Fische, frische Eier, feiner Schiffszwieback und eine dampfende Schüssel mit Reis und gekochten Austern verriethen, daß es sich die Bewohner auch in leiblichen Genüssen an nichts fehlen ließen. Auf dem Tische brannten zwei Stearinlichter in Porcellanleuchtern. Dazu standen in einem besonderen silbernen Gestell zwei junge angeschnittene Cocosnüsse auf dem Tisch, deren süßes Wasser oder Milch als kühlendes Getränk dienen sollte, und die Frau, eine reizende liebe Gestalt, mit rabenschwarzen Locken und feurigen Augen, hatte gerade der Kleinen die Serviette umgebunden und sie auf ihrem Stühlchen näher zum Tisch gerückt, als unten vor dem Hause Stimmen laut wurden, ohne daß sie jedoch Geschrei oder Toben gehört hätten. Es war als ob eine Menge von Leuten mit einander flüstere oder leise spreche.

»Was ist das?« sagte die Frau, erschreckt aufhorchend. »Hörst Du nichts, José?«

»Was wird es sein, mein Kind!« erwiderte freundlich der Mann. »Müßiges Volk, das sich noch in der Straße herumtummelt, bis es von dem Gewitter in die Häuser getrieben wird. Setz' Dich, Schatz! Die Chocolade wird sonst kalt.«

»Sie kommen die Leiter herauf!« rief die Frau ängstlich. »Was können sie in der Zeit noch von uns wollen? Es ist so viel fremdes Volk im Ort.«

»Gott weiß es!« erwiderte der Mann, jetzt ebenfalls aufstehend, denn die Frau hatte Recht. »Bleib' sitzen, Adriana, mein Kind. Laß Du Dich wenigstens nicht stören. Bleibe Du auch hier, mein Herz, ich werde selber nachsehen.«

»Ave Maria!« sagte plötzlich eine Stimme draußen an der kleinen Bambusthür, die ebenfalls nur dieses eine Haus verschloß – denn Niemand wird in einem der südamerikanischen Länder ein fremdes Haus ohne diese fromme Anrede betreten, wenn auch der Sinn derselben oft nicht mehr bedeutet als der profane Anruf bei uns, ob Jemand daheim sei.

»Purisima!« erwiderte Don Jose und öffnete die Thür, aber ein kaltes, eisiges Gefühl durchzuckte sein Herz als der Lichter Schein auf das bleiche tückische Gesicht des Commissairs fiel, der mit einem spöttischen Lächeln das kleine freundliche Gemach rasch mit den Augen überflog und dann höhnisch sagte:

 

»Ungemein erfreut, Don José, Euch nach langem Suchen endlich in Euerm stillen Asyl aufgefunden zu haben. Die Señorita doch wohl, hoffe ich? Bedauere, wenn ich vielleicht stören sollte, aber Geschäfte, wie Ihr wißt, Don José, dulden nun einmal keinen Aufschub.«

»Señor Fosca!« sagte Ramos fast tonlos – und er mußte sich zusammen nehmen, um seine Fassung zu bewahren. »Ich hatte nicht erwartet, Euch hier zu sehen, denn ich glaubte, daß – «

»Ich noch ruhig hinter den eisernen Gittern säße, hinter die Ihr die Güte gehabt, mich zu setzen, wie?« lächelte der Mann und eine fast teuflische Bosheit zuckte über sein außerdem nicht schönes Gesicht.

»Ich that nur meine Pflicht, Señor,« erwiderte Ramos.

»Natürlich, Don José, natürlich! – Mehr thun wir Alle nicht. Aber wollen Sie mich wirklich heute Abend hier an der Thüre stehen lassen? Señorita, bitte, setzen Sie sich, Sie zittern ja, als ob Sie einen Geist gesehen hätten.«

Ohne ein Wort zu erwidern schob ihm Don José einen Stuhl hin, auf den er aber, mit einer höflich dankenden Verbeugung, nur zuschritt und mit der Hand dessen Lehne ergriff, sich aber nicht niedersetzte.

»Es wird mir nicht so viel Zeit bleiben,« sagte er endlich, während er mit tückischer Schadenfreude das Entsetzen beobachtete, das sein Erscheinen unter den glücklichen Menschen angerichtet, »denn ich muß heute Abend noch an Bord zurückkehren, aber die Pflicht wird eine angenehme, da ich die Fahrt in so liebenswürdiger Gesellschaft mache. Señorita, ich möchte Sie bitten, etwas Wäsche zusammen zu packen, denn Sie werden uns begleiten.«

»Ich!« rief die Frau erbebend, und ihre Wangen überzog Todenblässe. – »Was, um der Jungfrau Willen, haben Sie vor?«

»Señor,« sagte aber Ramos, der sich die größte Gewalt anthun mußte, um ruhig zu bleiben, – »führt Sie eine Botschaft hierher, die Sie für mich haben, so bitte ich, sich direct an mich deshalb zu wenden – einen unpassenden Scherz, den Sie sich mit meiner Frau erlauben, dürfte ich nicht in der Stimmung sein, ruhig zu ertragen. Sie wissen doch, daß Sie hier in meinem Hause sind?«

»Señor Ramos,« erwiderte der Commissair mit seiner ewig lächelnden Ruhe, die dem Gegner das Blut wie Feuer durch die Adern strömen machte, »behalten Sie Ihr kaltes Blut! – Uebrigenes kann ich Ihnen die Versicherung geben, daß ich in diesem Augenblick zu nichts weniger als zum Scherzen aufgelegt bin. Als ich Ihrer Frau Gemahlin sagte, sie würde uns begleiten, sprach ich im vollen Ernst, denn ich bin hierhergekommen, Señor Ramos, um Sie und Ihre Familie im Namen Sr. Excellenz unseres hohen und berühmten Präsidenten Mosquera als Hochverräther zu verhaften und nach Buenaventura hinüber zu führen.«

»Meine Familie?« schrie Don José fast außer sich. – »Und wenn ich wirklich ein Hochverräther wäre, was hätte mein Weib – mein Kind dabei zu thun?«

»Das Kind allerdings nichts,« lächelte der Commissair, »aber die Anklage lautet gegen Sie und Ihre Frau Gemahlin, und so leid es mir thut – «

»Hund, verruchter!« stöhnte da Ramos, der seine Wuth nicht länger mäßigen konnte, indem er eins der auf dem Tisch liegenden Messer aufgriff und damit auf den Buben lossprang. Fosca aber, der mit der entschiedenen Absicht hierher gekommen war, seinen Todfeind bis zum Aeußersten zu reizen und dann erst zu vernichten, war darauf vollkommen vorbereitet und hatte nichts versäumt.

Bei der ersten Bewegung, die der Wüthende machte, stieß er die Thüre auf und in dem Moment sprangen die indessen heraufgeschlichenen Soldaten – Gesindel, das er sich selber zu dem Zweck an Bord ausgesucht – über die Schwelle und legten ihre Gewehre an. Die Frau fuhr in jähem Entsetzen nach ihrem Kind, das schreiend die Aermchen nach ihr ausstreckte, aber ihre Kräfte vermochten nicht sie länger aufrecht zu halten; sie brach ohnmächtig zusammen und ihr Mann, alles Uebrige in der Angst um die Gattin vergessend, ließ das Messer fallen und sprang zu, um sie zu unterstützen.

»Bindet den Verräther!« sagte Fosca ruhig, und ehe Ramos, mit der Ohnmächtigen beschäftigt, nur den Sinn der Worte begriff, hatten sich ein Paar der halbwilden Burschen schon auf ihn geworfen. Während ihn der Eine mit dem Kolben vor die Stirn stieß, daß er zur Seite stürzte, faßten die Andern seine Arme, zwangen sie zurück und schnürten sie fest.

Für einen Augenblick herrschte jetzt eine Scene der gräßlichsten Verwirrung in dem kleinen Gemach. Der Gefangene, der nur für einen Augenblick betäubt gewesen war, fuhr empor und suchte sich von seinen Banden zu befreien. In dem Ringen stürzte der Tisch um und das Kind kreischte so laut, daß es die Mutter damit wieder zum Leben zurückrief. – Aber auf der Straße unten sammelten sich ebenfalls Leute, und zwar Bewohner der Stadt, die den Señor Ramos immer nur als einen braven, ruhigen Mann gekannt, und jetzt nicht halb zufrieden waren, ihn so behandelt zu sehen, aber auch keinen entscheidenden Schritt gegen das bewaffnete wilde Gesindel wagen wollten.

»Nichtswürdiger Bube!« rief da Ramos, sobald er nur wieder Athem und Besinnung erlangte, das ganze Furchtbare seiner jetzigen Lage zu übersehen. – »Diebische, schuftige Canaille, aus dem Gefängniß entsprungen, um hier Deine boshafte Rache an Unschuldigen zu üben…!«

Ein Soldat kam heraufgesprungen und flüsterte Fosca einige Worte zu. – Die Stimmung unten wurde eine immer drohendere, und so gern sich der Commissair vielleicht noch eine Weile länger an den Qualen der Unglücklichen geweidet hätte, durfte er es doch nicht wagen. Er wußte genau, wie weit er gehen konnte und daß er in der Furcht der Bevölkerung vor einem Conflict seine beste Stütze hatte, war aber einmal der Damm durchbrochen, so ließen sich die Folgen nicht absehn. So lag ihm denn nur daran, der Scene so rasch als möglich ein Ende zu machen.

»Knebelt den Burschen!« sagte er finster. »Wir dürfen uns nicht länger mit ihm aufhalten – und dann an Bord.«

Den Soldaten selber war das ein erwünschter Befehl, denn sie fürchteten nicht mit Unrecht, daß er ihnen das Volk über den Hals schreien könne. Im Nu war das Knebeln geschehen, denn darin besaßen sie eine anerkennungswerthe Fertigkeit.

Ramos befand sich wenige Secunden später machtlos in der Gewalt seiner Feinde.

»Señor, um der heiligen Jungfrau Willen, was habt Ihr mit uns vor?« rief die Frau. – »Was ist geschehen, daß so Entsetzliches nöthig wurde?«

»Señorita,« sagte Fosca, dem jetzt nur daran lag, fort und an Bord zu kommen, und der deshalb vor allen Dingen die Frau beruhigen mußte, »wenn Ihr Herr Gemahl nicht nach einer Waffe gegriffen hätte, wäre das Alles unnöthig gewesen. Ertragen Sie für jetzt, was sich nicht ändern läßt, mit Geduld. Die Anklage ist allerdings erhoben und da die Regierung den Befehl zu Ihrer Verhaftung erließ, so muß derselbe auch ausgeführt werden. An Ort und Stelle finden Sie aber vielleicht Mittel und Wege, sich wirksam zu vertheidigen und Ihrer Rückreise – wenn Sie freigesprochen werden – steht dann nicht das Mindeste im Wege; jetzt fort mit ihm, Ihr Leute! – Macht rasch! Das Boot wartet. Señorita, wenn Sie noch etwas von Ihren Sachen mitzunehmen wünschen, was Sie auf der Reise brauchen, so habe ich nicht das Geringste dawider. – Alles Andere ist Staatseigenthum und wird Ihnen erst bei Ihrer Freisprechung in Buenaventura wieder eingehändigt.«

»Staatseigenthum?«

»Bitte, beeilen Sie sich ein wenig, denn so leid es mir thut, kann ich Ihnen doch nur noch fünf Minuten Zeit geben.«

So völlig machtlos die Frau bei dem ersten Begreifen dessen, was sie bedrohte, in sich zusammen gebrochen war, so vollkommen klar stand jetzt Alles vor ihrer Seele, und das Entsetzliche, anstatt sie zu beugen, hielt sie aufrecht. Sie sah den Gatten widerstandslos in der Gewalt der Feinde, sah sich und ihr Kind von einem gleichen Schicksal bedroht und fühlte, daß sie für Alle denken mußte. Mit zitternder Hand strich sie sich die herabgefallenen Locken aus der Stirn, aber ihr Blick schweifte fest und suchend in dem kleinen Gemach umher und haftete im nächsten Augenblick auf der angstvollen Gestalt Antonio's, der neben dem furchtsam zusammengekauerten Mulattenmädchen in der kleinen Hinterthüre stand.