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Unter Palmen und Buchen. Zweiter Band.

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Am Cachavi

Erstes Capitel.
In Concepcion

An dem Santiago-Flusse in Ecuador, tief im Walde drinnen, von Palmen- und Bananenhainen umgeben, liegt das kleine Binnenstädtchen Concepcion so malerisch und freundlich, wie sich nur etwas denken läßt.

Dicht unter demselben mündet der, kurz vorher den Cachavi aufnehmende Bogota in den breiteren und tieferen Santiago, und vermittelt, wenn auch nur durch Canoes, die Verbindung mit der reichsten Provinz des Innern, mit Imbaburru und deren Hauptstadt Ibarra, während der Santiago durch die Tola-Mündung mit dem Meer in direkter Verbindung steht und nach Norden hinauf sogar, durch die Taja-Lagune, einen breiten und bequemen Wasserweg nach dem Pailon und der dort neu angelegten englischen Colonie und deren Hafen bildet. Den meisten und lebendigsten Verkehr unterhielt es aber doch mit dem fast nur von Negern bewohnten Cachavi und den dortigen Golddistrikten, und wenn auch der Handel mit dem Innern nur durch Lastträger betrieben werden konnte, da nicht einmal ein Maulthierpfad durch den Wald führte, war der Umsatz doch nicht unbedeutend und die Leute befanden sich wohl und in guten Umständen.

Der Santiago sowohl, wie der Bogota fließen aber auch durch ein reiches, unendlich fruchtbares Land, und breite ausgedehnte Baumwollen- und Zuckerrohrfelder mit weiten Cacao- und Bananenanpflanzungen (sogenannten Platanaren) geben Zeugniß, welch' reichen Ertrags der Boden dort fähig ist, und wie er die geringste Arbeit tausendfältig lohnt. Sie sind auch ziemlich dicht besiedelt, wenn auch nicht von den Ureinwohnern des Landes, die sich in den feuchten und heißen Niederungen dieser Gegend nicht so wohl zu fühlen scheinen, als weiter oben in den kühleren Bergen und an den rasch quellenden Gebirgswässern. Möglich aber auch, daß sie von den Negern, mit denen sie überhaupt nicht gern Gemeinschaft halten, zurückgedrängt wurden.

Als nämlich mit der Abschüttelung des spanischen Joches die Leibeigenen der spanischen Provinzen freigegeben und für ewige Zeiten frei erklärt wurden, da zerstreuten sie sich – besonders in Ecuador und Neu-Granada – vorzugsweise über dies Terrain und wurden Herren des dortigen Bodens, dessen Sclaven sie bis jetzt gewesen waren. Ueberall am Santiago und Bogota legten sie Estancien an, rodeten den Wald aus, und pflanzten Bananen, Cacao, Kaffee und Zuckerrohr, und wenn sie jetzt auch nach ihrer Bequemlichkeit arbeiteten, und nicht mehr vom Tagesanbruch bis in die späte Nacht Hacke und Schaufel führen mußten, so dankte ihnen der Boden doch mit verschwenderischer Hand für die geringe Mühe, die sie auf seine Pflege verwandten, und wo sie nicht eben reich wurden, hatten sie doch vollauf zu leben.

Welche Bedürfnisse kannten sie denn auch, die sie nicht hier mit Leichtigkeit beschaffen mochten. Ihre Wohnungen waren um weniges besser, als die, in denen sie früher von ihren Herren einquartirt worden, ihre Kleidung – eine baumwollene Hose und ein eben solches Hemd mit einem selbst geflochtenen Strohhut blieb dieselbe, und was sie an Nahrung brauchten und wünschten, lieferte das Land.

So bildeten sie bald, in diesen Distrikten wenigstens, die große Majorität des Staates und es gab Dörfer, wo sie sich sogar ihren Alkalden aus eigener schwarzer Mitte wählten.

Nur die Stellen der Gobernadores und Friedensrichter besetzte die Regierung mit den Hijos del pais – das heißt nicht etwa den eigentlichen »Söhnen des Landes,« den Indianern, sondern mit den Abkömmlingen der spanischen Raçe, die auch solche Plätze viel besser zu verwerthen und auszubeuten verstanden.

Ecuador war allerdings eine Republik, aber es wäre deshalb der obersten Staatsbehörde doch nicht im Traum eingefallen, dem Volk in seinen eigenen Richtern eine Majorität zu gestatten.

Auch Concepcion war zu einem sehr großen Theil von Negern bewohnt. Nichts destoweniger blieben aber in dieser größeren Stadt die Weißen in der Majorität, wo sie schon durch ihre Farbe den Stand der Honoratioren vertraten. Ueberhaupt hat der Neger nur in sehr seltenen Fällen – so geschickt er oft in mechanischen Arbeiten sein mag – Talent zum Handel. Es fehlt ihm der Speculationsgeist, und die verschiedenen Läden befanden sich deshalb sämmtlich in der Hand von Weißen. Eben so waren – wie sich das von selbst versteht – der Geistliche, der Alkalde und der Schullehrer Abkömmlinge der spanischen Raçe, und selbst ein italienischer Schneider hatte sich dort etablirt; und sich – wie das gewöhnlich diese Art von Professionisten thun – zu einer der ersten politischen Größen und zu einer entschiedenen Opposition der bestehenden Regierung aufgeschwungen.

Señor Rigoli, wie der kleine, sehr lebendige Mann hieß, hing nämlich mit Leib und Seele an der Quitenischen Regierung, während der Alkalde und Geistliche besonders – Beide von dem gegenwärtigen Usurpator des Südens, dem Mulattengeneral Franco eingesetzt – für diesen nach allen Kräften zu wirken suchten.

Rigolis Feinde behaupteten allerdings, nur der Geist des Widerspruchs hätte den kleinen Italiener in diese politische Richtung geworfen, denn ohne Widerspruch konnte er nicht existiren: aber er leugnete dies vollkommen, und würde dadurch jedenfalls seine beste Kundschaft in den Honoratioren der Stadt verloren haben, wenn sie eben nicht gezwungen gewesen wären, bei ihm arbeiten zu lassen. Er hatte nämlich keinen Concurrenten im Ort, als einen Neger, der Alles verdarb, was er unter die Scheere bekam, aber dafür auch zu den leidenschaftlichsten Anhängern Francos gehörte und alle Augenblicke neue Gerüchte über die gewonnenen Siege des Mulattengenerals verbreitete.

Uebrigens war diese politische Meinungsverschiedenheit bis jetzt sehr harmlos verlaufen, denn Theil an den großen Kämpfen ihres Vaterlandes konnten die Bewohner von Concepcion nicht nehmen, dafür lagen sie von dem Hauptplatz der Action zu weit entfernt, und völlig abgeschieden und aus dem Weg in ihrem reizenden Thal. Aber es würzte doch die Unterhaltung, und wenn Rigoli Abends in der Posada eine Flasche Tschitscha getrunken und eine zweite vor sich hatte, hielt er so lange politische Reden, bis er seine Gegner – wenn auch nicht überzeugte, doch wenigstens zu Paaren trieb, und zuletzt gewöhnlich das Schlachtfeld allein behauptete.

So lebhaft aber derartige Debatten fast jeden Abend geführt wurden – und in der letzten Zeit lebhafter als je, da sich ein Franco'scher Offizier hier aufhielt, was aber nicht vermochte, den kleinen muthigen Mann der Nadel einzuschüchtern – so still lag Concepcion während der heißen Stunden des Tages, wenn die Häuser keinen Schatten mehr warfen und die breiten Bananenwipfel ihre sonst vom leichtesten Luftzug bewegten Fächerblätter still und regungslos hielten. Dann ließ sich auch kein lebendes Wesen mehr auf der Straße blicken und in den luftigen, auf Pfählen gebauten Häusern, schaukelten die Bewohner derselben in ihren Hängematten, oder lagen ausgestreckt auf dem Boden unter ihren Mosquitonetzen.

Nicht weit von der Plaza, freundlich genug gelegen und von bunt blühenden und duftigen Akazien halb versteckt, wie von einer einzelnen Cocospalme überragt, stand ein kleines, niederes und düsteres Gebäude, aus festen, eisenharten Stämmen aufgeführt, und die Fenstereinschnitte – und welches andere Haus hatte hier überhaupt Fenster, wo alle Wände offen lagen – mit dicken eisernen Gittern verwahrt.

Es war die »colabozo«, das Gefängniß Concepcions, und in der That gewöhnlich leer und offenstehend, aus dem Grund vielleicht, damit ein Jeder hinein gehen, und sich den unheimlichen dumpfigen Raum betrachten könne. Heute aber schien sie verschlossen und fest verriegelt, und draußen an der schweren Thür auch noch mit einem riesigen Vorlegeschloß gesichert, denn der »Schließer« konnte doch nicht immer davor sitzen, eines einzigen lumpigen Gefangenen wegen.

In dem Gefängniß aber, die Stirn gegen das Gitter gepreßt, lehnte ein junger, bis zum Gürtel nackter Neger, und hielt mit dem einen, durch die Stäbe hinausgestreckten Arm die Hand eines bildhübschen Negermädchens, das vor seiner Zelle stand und in der Linken ein bunt gewürfeltes Tuch mit Gaben hielt, die sie dem Gefangenen wahrscheinlich mitgebracht.

»Armer José,« klagte dabei das Mädchen, indem ihr die großen hellen Thränen in die Augen traten – »daß es dahin mit Dir kommen mußte. Oh was hast Du nur verbrochen, daß sie Dich in den schrecklichen Kerker werfen konnten!«

»Verbrochen, mi corazon – Nichts,« seufzte der junge Bursch. »Nichts auf der Welt weiter, als daß ich Dich, nach jahrelanger Abwesenheit, wieder einmal sehen wollte. – Nur deshalb nahm ich an der Tola-Mündung das Canoe, und weil ich Einzelner nicht so stark rudern konnte, als die vier starken Cajapas-Indianer, holten sie mich hier ein und ich muß jetzt büßen.«

»Aber die Sclaverei ist ja doch bei uns aufgehoben,« rief das Mädchen heftig, – »Mutter und Vater waren schon freie Menschen, und die Gesetze verbieten den Weißen, Sclaven zu halten.«

»Die Gesetze,« zischte der junge Bursch trotzig zwischen den Zähnen durch, – »wer hat die Gesetze gegeben, als nur die Weißen, und sie machen damit, was sie wollen. Was bin ich anderes als der Sclave jenes Guajaquilenen? Er hatte mir Geld geborgt, und ich muß es jetzt abverdienen.«

»Oh José,« sagte da das Mädchen mit leisem, wie schüchternem Vorwurf im Ton, aber einem gar so lieben und herzlichen Blick – »weshalb hast Du von ihm geborgt? – konntest Du denn das böse, häßliche Trinken nicht lassen, womit Du uns Beide jetzt unglücklich gemacht?«

Der junge Bursche senkte beschämt den Kopf.

»Du hast Recht, querida«, sagte er leise – »ich war schlecht und leichtsinnig, aber schon seit langen Monden trinke ich nicht mehr, und arbeite fleißig – doch was hilft es mir. Wir ziehen ununterbrochen von Ort zu Ort, und die Arbeitstage, die er mir dem Gesetz nach gestatten muß, nützen mir Nichts, denn für wen soll ich arbeiten auf der Reise?«

 

»Und wie viel bist Du ihm schuldig?« frug das Mädchen ängstlich.

»Ich weiß es nicht,« seufzte der junge Bursch – »er schreibt sich Alles auf, was er mir giebt, und soviel hat mir der Alkalde gesagt, daß ich für 40 Dollars ein ganzes Jahr für ihn arbeiten muß – «

»Und ist es soviel?«

»Ich glaube es nicht – was hat er mir denn gegeben? Die dürftigste Kleidung, ein paar Stangen Taback und schon seit langen Monden kein aguardiente mehr. – Ich trinke nicht – nie mehr – ich habe es Dir versprochen, Eva.«

»Dann laß mich dafür sorgen, daß Du frei wirst, José,« sagte das junge Mädchen, und frohe Zuversicht leuchtete aus ihren Augen. »Ich habe das letzte Jahr viel, recht viel gearbeitet. Ich habe den Leuten Lebensmittel in die Minen gefahren, und selber ein wenig Gold gegraben, auch bei unserem Alkalden in Cachavi geschafft, Tag und Nacht, wie seine Frau krank war und sich nicht selber helfen konnte. Das Geld liegt in Cachavi – ich hole es. – Was brauchen wir es auch, wir sind beide kräftig und gesund, und können uns schon auch ohne das eine Heimath gründen.«

»Aber wie willst Du nach Cachavi hinauf kommen, Herz?« frug der junge Bursch, – »der Fluß ist reißend, und allein wärst Du nie im Stande, ein Canoe über die Stromschnellen zu bringen.«

»Mein Bruder ist hier,« sagte das Mädchen – »er lernt ein Handwerk bei einem Weißen. – Der ist gut – der wird ihm erlauben, daß er mir helfen darf, und wenn wir heute Abend fortfahren, können wir morgen schon oben sein.«

»Dein Bruder ist schwächlich – «

»Aber ich bin stark,« rief das junge Mädchen lächelnd – »hab' kein Sorge, José, ich bringe Dir Hülfe, und wenn Du mir nur versprichst, nie mehr zu trinken, so können wir bald ein neues und schönes Leben beginnen.«

»Oh wie von Herzen gern verspreche ich Dir das, aber – der Weiße giebt mich nicht wieder los, und hat mir schon gesagt, daß er mich, wenn er wieder nach Concepcion zurückgekehrt, an den Padre verkaufen will, und der bekommt immer Recht. – Hält er nicht schon seit sieben Jahren drei Sclaven in seinem Haus, und sind sie je im Stande gewesen, sich frei zu kaufen?«

»Dann gehe ich zu dem Meister Rigoli,« sagte das Mädchen entschlossen – »er ist gut – er wird mir helfen und der Präsident selber nicht leiden, daß sie hier die Gesetze unter die Füße treten, die er zum Besten unseres Stammes gegeben hat. Er will ja keine Sclaven im Lande leiden – alle Menschen sollen frei und gleich sein.«

»Ach Du mein liebes Herz,« seufzte da José, »was weiß der Präsident von uns armen Schwarzen in Concepcion, und ist es nicht gerade einer seiner Offiziere, dem ich angehöre? Glaubst Du denn, daß er mir gegen den beistehen würde?«

»Laß Du mich nur machen,« lächelte aber das junge Mädchen zuversichtlich, »Señor Rigoli bringt Alles in Ordnung, und ich und mein Bruder fahren indessen, so rasch uns die Ruder treiben können, den Strom hinauf, um das Geld zu holen. Stromabwärts geht's ja nachher wie der Wind, und in einem halben Tag bin ich vom Cachavi hier unten.«

»Du treues Herz, – und Alles das meinethalben.«

»Und hier habe ich Dir indessen auch etwas mitgebracht,« fuhr das junge Mädchen fort, indem sie das Tuch zu ihm emporhob. Aber sie fand bald, daß sie es, dickgefüllt wie es war, nicht durch die Stäbe brachte, und begann deshalb rasch es auszupacken.

»Hier,« sagte sie, indem sie ihm die einzelnen Sachen hinein reichte – »sind in ihren Blättern gekochte Bananen – hier etwas geröstetes Schweinefleisch – ich konnte Dir nicht soviel bringen, sie fordern einen so hohen Preis dafür – hier hast Du Erdnüsse und rothen Pfeffer, und die Chokolade habe ich selbst für Dich gerieben und da« – fügte sie leise hinzu – »ist auch etwas Geld. – Es ist nicht viel,« lächelte sie wehmüthig, »aber ich habe ja auch immer gespart und gespart, damit wir dereinst ein kleines Häuschen bauen und uns ein Stück Vieh und ein paar Hühner anschaffen könnten. – Aber schau nicht so traurig d'rein, José – wenn wir beide zusammen arbeiten, gehts ja auch nachher so viel rascher und irgendwo am Bogota oder Santiago wird sich ja wohl noch ein Plätzchen für uns finden, wo wir uns eine Stelle urbar machen können.«

»Du wackeres, wackeres Kind, wie soll ich Dir das je danken?« sagte José gerührt.

»Und hast Du es mir nicht schon gedankt?« erwiderte wehmüthig das junge Mädchen – »lebte denn ein Mensch auf der weiten Welt, der die arme Waise nach der Eltern Tode lieb hatte, und für sie und ihren Bruder sorgte, wie Du?«

»Und was hab' ich gethan?«

»Viel – sehr viel,« sagte das Mädchen rasch – »Du hast mir die Hoffnung für dieses Leben erhalten, denn als wir die Mutter begraben hatten, war es mir, als ob ich mich auch in das stille Grab legen müßte, und nie, nie im Leben wieder froh werden könnte. – Und Alles, Alles wäre auch nachher gut gegangen, wenn nur das böse Trinken – aber ich will Dir jetzt keine Vorwürfe machen, José,« unterbrach sie sich rasch – »Du hast mir ja versprochen, daß es nie, nie mehr geschehen soll, und jetzt gilt es nur, Dich aus Deiner Sclaverei zu befreien.«

»Du willst schon fort?«

»Ich muß – die Zeit vergeht, vorher aber habe ich noch mit meinem Bruder und seinem Lehrmeister zu sprechen, und nachher muß ich suchen, daß ich ein Canoe geborgt bekomme. Aber das krieg' ich schon,« setzte sie lächelnd hinzu, »denn alle Menschen sind jetzt gut mit mir, weil sie sehen, daß ich brav und fleißig bin. Also mit Gott, José – aber ich komme noch einmal zu Dir zurück, und bringe Dir dann auch ein paar Cocosnüsse zum Trinken mit. Die Señora Bastiano hat deren viele in ihrem Garten, und erlaubt mir schon ein paar zu pflücken.«

»Mein liebes, liebes Herz.«

»Hab' guten Muth,« lachte da das Mädchen, die den Geliebten nicht wollte merken lassen, wie weh ihr selber um's Herz war, »bald bring' ich Hülfe und dann brauchen wir uns nicht mehr zu trennen – Lebe wohl José« – und mit beiden Armen sich kraftvoll an dem Gitter emporhebend, brachte sie ihren Mund über die unterste Eisenstange, drückte einen Kuß auf seine Lippen, und lief dann flüchtigen Schrittes durch die Straßen hinab.

Zweites Capitel.
Ein Besuch beim Alkalden

In einer der Hauptstraßen der kleinen Stadt, und in einem, ebenfalls auf Pfählen gebauten Eckhaus, lebte und schneiderte Meister Rigoli mit drei Lehrjungen, die er sich, wie er meinte, nur angenommen hatte, um seinen täglichen Aerger nicht zu vermissen, denn alle Arbeit mußte er doch selber thun – und that sie auch wirklich, weil ihm Niemand – weder in der Politik noch in der Schneiderei – etwas recht machen konnte.

Rigoli war aber trotzdem von Herzen ein seelensguter Mensch, der nie Jemandem wissentlich ein Unrecht gethan hätte, aber auch eben so wenig ein Unrecht an anderen Menschen leiden konnte. Ein so bescheidenes Metier er dabei trieb, so fürchtete ihn selber der Alkalde, denn er hatte – was man so im gewöhnlichen Leben zu nennen pflegt – Haare auf den Zähnen, und war dabei viel gescheuter und belesener als der Alkalde selber – wozu allerdings nicht viel gehörte.

In dieser Tageszeit schienen aber auch seine geistigen Kräfte erschöpft zu sein, denn inmitten seiner Lehrlinge, die Nadel in der Hand, ein neu zugeschnittenes Kleidungsstück vor sich auf den Knien, war er eingenickt, und als Eva geräuschlosen Schrittes die zu seiner Werkstätte aufführende Leiter hinanstieg und dabei ihr schüchternes »Ave Maria« murmelte, um ihre Gegenwart bemerkbar zu machen, hörte sie dasselbe von keiner Seele beantwortet – denn die Jungen schliefen ebenfalls.

Sie blieb einen Augenblick auf der Leiter stehen, und während sie sich mit den nackten, vollen Armen auf die niedere Schwelle stützte, von wo aus sie den ganzen inneren Raum mit den Augen überfliegen konnte, zuckte ein leichtes Lächeln über ihre wirklich schönen Züge. Aber es war auch nur ein Moment, denn rasch kam wieder das Gefühl ihrer eigenen, unglücklichen Lage über sie, und daß sie keine Zeit versäumen dürfte, wenn sie den Geliebten wirklich retten wollte.

Mit lauter Stimme wiederholte sie deshalb ihr meldendes »Ave Maria,« das der kleine Rigoli aber, noch halb im Schlaf, mit einem sehr profanen »Caracho, Señor, tres varas – no es possible – « beantwortete.

Durch seine eigenen, laut herausgestoßenen Worte erwachte er indeß vollkommen, und sich im ersten Augenblick erstaunt umsehend, – er begriff augenscheinlich nicht gleich was mit ihm vorgegangen – überzeugten ihn die schlafenden Lehrlinge an seiner Seite doch rasch genug von dem Thatbestand. Er machte sich selber und einen neben ihm sitzenden dicken und entsetzlich schwitzenden Mulattenjungen auch rasch dadurch munter, daß er diesem eine derbe Ohrfeige steckte, die ihn blitzschnell auf die Füße brachte. Die Anderen erwachten dadurch ebenfalls und griffen rasch und mechanisch nach ihrer fallengelassenen Arbeit, während der Meister kopfschüttelnd sagte:

»Ob das faule Volk nicht jede Gelegenheit benutzt! Caramba, Señores, ich werde Euch auf den Pelz kommen, wenn Ihr mir nicht besser aufpaßt! – He meine kleine Eva – entra, Schatz, entra. – Was bringst Du mir? ist der Wollkopf, Señor Bastiano, wieder nicht mit seinem Rock zufrieden?«

»Ach Señor,« sagte das junge Mädchen, indem sie der Aufforderung Folge leistete und die letzten Stufen der Leiter emporstieg, neben der sie sich dann am Boden niederkauerte – »mit einer Bitte für mich selber komm ich diesmal.«

»Mit einer Bitte, Schatz? – nun laß hören.«

»Daß Ihr mir auf zwei Tage den Bruder borgen möget, um ein Canoe nach Cachavi hinauf zu rudern.«

»Ihr Beiden? – aber wozu? was wollt ihr denn oben?« frug Rigoli kopfschüttelnd.

Eva schwieg einen Augenblick und sah still und ängstlich vor sich nieder. Endlich faßte sie sich ein Herz und erst mit leiser, dann immer festerer Stimme erzählte sie dem kleinen gutmüthigen Italiener ihre einfache Leidensgeschichte. Das Schicksal des Geliebten, den jener Francosche Offizier – trotzdem daß die Gesetze die Sclaverei verböten, als Sclave halte, und hier in das Gefängniß geworfen habe, weil er nur auf wenige Tage nach Cachavi hinauf gewollt, wo er sie selber zu finden geglaubt. Jetzt aber gedenke der Weiße den armen José wieder mit fort von hier zu nehmen, Gott nur wisse wohin, daß sie ihn vielleicht nie im Leben wieder zu sehen bekomme, und sie selber wolle jetzt nach Cachavi hinauf, um von dort ihr mühsam gespartes und bei dem Alkalden hinterlegtes Geld zu holen und den Geliebten frei zu kaufen.

Der kleine Rigoli hatte der Erzählung aufmerksam zugehört, und im Anfang wohl seine Arbeit wieder dabei aufgenommen und weiter genäht, aber je mehr er sich in die Sache hinein dachte, desto empörter wurde er, und die neben ihm liegende Scheere aufgreifend rief er, als Eva geendet:

»Da haben wir die Geschichte, und dieser Lump von Alkalden wagt es, mir von Freiheit und Gesetzlichkeit zu reden; Sclaverei, wie sie im Buche steht – Unterdrückung des Volkes, Mißbrauch der Amtsgewalt, ungerechtfertigte Einkerkerung, Veräußerung der Menschenrechte – aber ich weiß weshalb. Eben dieser selbe Señor Cerro, der hier mit seinem gelben, nichtswürdigen Gesicht herumläuft und sich einen Francoschen Offizier nennt, hat diesem hergeregneten Alkalden die Stelle verschafft, und jetzt hocken sie mitsammen unter einer Decke – der Padre nicht ausgenommen, und glauben, sie können die Herren und Meister hier im Lande spielen. Da wollen wir aber einen Riegel vorschieben,« fuhr er fort, indem er von seinem Sitz aufsprang, und sich den etwas heruntergerutschten Hosenbund wieder in die Höhe zog. »Dieser kleine blutgierige Wütherich, dieser Franco, hat uns hier oben Nichts zu befehlen, sonst wäre er längst mit seinen Soldaten hierher gekommen und gegen Quito marschirt, und dasselbe Recht, was der hat, Präsident zu sein, habe ich auch, wenn ich auch nicht schwarz bin und Haare statt Wolle auf dem Kopfe habe. – Und jetzt komm einmal, Eva – jetzt wollen wir dieser obersten Gerichtsbarkeit einmal einen Besuch abstatten, daß ihr die Augen übergehen sollen.«

Und damit hatte er seine Toilette beendet, stülpte sich seinen kleinen Panamahut auf und schritt der Leiter zu.

Das arme Negermädchen war eine bestürzte Zuhörerin des Ganzen gewesen, denn wenn sie auch die einzelnen Ausdrücke und deren Sinn nicht verstand, begriff sie doch so viel, daß der kleine Schneidermeister ihrer obersten Gerichtsbehörde zu Leibe wollte, und daß sie dabei Zeuge sein sollte. Wenn der Mann aber, der die Macht hatte, ihren Geliebten in's Gefängniß zu werfen, böse gemacht wurde, welches furchtbare Unglück konnte er über sie Alle verfügen, und mit zitternder Stimme bat sie:

»Oh Señor, macht den Herrn Alkalden nicht böse, oder er sperrt uns Alle mit einander ein, und dann hat José Niemanden in der Welt mehr, der ihm helfen kann.«

 

»Mich einsperren?« lachte aber jetzt Meister Rigoli bei dem Gedanken laut auf – »mich, den einzigen Schneider, den sie in der ganzen Stadt haben? – Das Mädchen ist himmlisch! – Nein, mein Schatz, da hab' keine Furcht. So viel Verstand hat unser Alkalde denn doch noch – wenn ich auch nicht für mehr einstehen möchte, und daß er Dir Nichts thut, das laß meine Sorge sein. Und jetzt komm, arbeiten kann ich doch nichts mehr mit den Gedanken um das allgemeine Wohl im Kopf, und nun wollen wir einmal sehen – und wo ich Euch Schlingel wieder schlafend finde, wenn ich zurück komme, statuire ich ein Exempel an Euch – ob wir die oberste Gerichtsbehörde nicht überzeugen können, daß wir in einer Republik leben, und freie Bürger sind – komm.«

Und ohne ihr weiter Zeit zu einem Einwand zu lassen, kletterte er voran die Leiter hinunter und schritt dann, von dem zitternden Mädchen dicht gefolgt, die Straße hinauf, der Wohnung des Alkalden zu.

Es war allerdings jetzt keine Besuchszeit in den Tropen, und der würdige Friedensrichter denn auch noch mitten in seiner Siesta, welche er in der, nach dortiger Landessitte kurz geschlungenen Hängematte halb sitzend, halb liegend verträumte. Rigoli schien aber nicht gesonnen, sich bei Kleinigkeiten und leeren Ceremonialformen aufzuhalten. Den Neger, der ihm unten den Aufgang verweigern wollte, schob er einfach bei Seite und hatte denn auch die Genugthuung, ihr gesetzliches Oberhaupt bald völlig erwacht, wenn auch nicht eben sehr erfreut, in der Hängematte sitzen zu sehen, um zu hören was er verlange.

»Ich habe Sie gestört, Señor Alkalde,« sagte der kleine Mann, der den Sturm allein versucht hatte, denn Eva wäre unter keiner Bedingung zu bewegen gewesen, ihm dahinauf zu folgen.

»Das haben sie allerdings, Señor Rigoli,« versicherte der Alkalde mit einem nichts weniger als freundlichen Gesicht, »und die Sache muß in der That sehr wichtig sein, daß Sie einem Manne, der ununterbrochen von schweren Geschäften geplagt ist, die einzige kleine Ruhe seiner Siesta kürzen.«

»Bitte um Verzeihung, Señor,« sagte Rigoli ohne weitere Umstände, »aber die Sache ist allerdings wichtig, denn es handelt sich hier darum, ob wir noch ein Gesetz im Lande haben, oder nicht.«

»Lieber Meister Rigoli,« sagte der Alkalde, durch die Anrede in seiner Laune eben nicht gebessert – »ich bin schon so ziemlich daran gewöhnt, daß Sie sich fortwährend um Sachen bekümmern, die Sie eigentlich gar Nichts angehen. Was ist nun wieder?«

»Die Sache, Señor,« sagte der kleine Italiener gereizt, »geht jeden Bürger an, denn wenn ich unter einer despotischen Regierung hätte leben wollen, so wäre ich lieber in meiner eigenen Heimath geblieben.«

»Sie hätten wirklich besser daran gethan.«

»Meinen Sie?« rief Rigoli ärgerlich, »aber wir wollen uns nicht wieder zanken,« setzte er ruhiger hinzu. – »Die Sache selber ist auch zu ernst, denn sie betrifft unserer Aller Freiheit – die Menschenrechte eines ganzen Volkes, die hier – vielleicht ohne Ihr Wissen – verletzt werden.«

»Da wäre ich doch begierig – aber bitte, wollen Sie nicht Platz nehmen, Señor.«

»Mit Vergnügen,« sagte Señor Rigoli, der sich um Alles nicht hätte etwas vergeben mögen. – »Und nun zur Sache: Sie wissen doch, daß hier ein Neger im Gefängniß sitzt.«

»Ich habe ihn selber einsperren lassen. Er war seinem Herrn entlaufen,« sagte der Alkalde ruhig.

»So besteht also in Ecuador, trotz den dagegen erlassenen Gesetzen, noch immer die Sclaverei?« rief Rigoli rasch.

»Bitte um Verzeihung,« erwiderte der Alkalde – »er ist nicht der Sclave, sondern nur der Diener seines Herrn, bis er diesem die schuldige Summe abgearbeitet hat.«

»Wenn ich also irgend Jemandem ein paar Thaler schuldig bin – oder umgekehrt, Señor Alkalde,« sagte der kleine Schneider, »wenn mir Jemand einen ähnlichen Betrag schuldete, so wäre ich eben so berechtigt, den besagten Herrn in Dienst zu nehmen und ihn – wenn er nicht gehorchte, einsperren zu lassen, wie?«

Der Alkalde bekam einen etwas rothen Kopf, denn die Frage war zu deutlich gestellt gewesen, als daß er sie nicht hätte auf die 52 Dollars beziehen sollen, die er selber dem vor ihm Sitzenden noch schuldete.

»Señor,« sagte er, aber doch etwas verlegen, »Sie vergessen, daß ein solches Gesetz nur für Neger und frühere Sclaven Kraft haben kann; es ist wenigstens noch nie auf einen Caballero angewandt worden, oder könnte auf ihn angewendet werden.«

»Und das nennen Sie eine Republik.«

»Bah, sein Sie vernünftig – einen Unterschied muß es nun einmal in der Welt geben, und wo man keine Schwarze hat, bildet, wie Sie mir selber erzählt haben, ein Theil der Weißen das Proletariat.«

»Aber ich habe gehört, daß jener Señor, der sich einen Francoschen Offizier nennt, und eher aussieht wie ein durchgegangener Schulmeister, die Absicht haben soll, seinen Diener, wenn Sie denn so wollen, zu verkaufen?«

»Er kann ihn nicht verkaufen,« bemerkte der Alkalde kopfschüttelnd, »das würde direkt gegen die Gesetze verstoßen, aber er mag ihn an einen Anderen, der ihm die ausgelegten Gelder zurückerstattet, abtreten.«

»Danke Ihnen – und ist das etwas Anderes als verkaufen?«

»Lieber Freund,« sagte der Alkalde, dem das Gespräch unangenehm wurde, »ländlich, sittlich – Sie sind mit unseren Gebräuchen noch zu wenig bekannt, um die inneren Triebfedern zu erkennen, durch welche die Staatsmaschine in Gang gehalten wird.«

»Und nennen Sie eine Umgehung der Gesetze eine innere Triebfeder?«

»Es war ein Irrthum, dessen sich die Gesetzgeber schuldig machten,« bemerkte der Ecuadorianer trocken, »die Sclaverei völlig abzuschaffen, und wir thun nur unsere Schuldigkeit, wenn wir den einmal begangenen und unwiderruflichen Fehler soviel als möglich gut zu machen suchen.«

»Caracho!« rief der kleine Italiener, »das heißt ehrlich gesprochen, und eigentlich hätte ich einen anderen Namen dafür. – Aber damit kommen wir nicht zur Sache. Unter welchen Bedingungen wird der gefangene Neger wieder freigegeben?«

»Sobald er seine eingegangene Schuld bezahlt,« lautete die Antwort. »Derartige Leute benutzen aber höchst selten die ihnen durch unser Gesetz verstatteten drei freien Tage in jeder Woche, um für sich selber zu arbeiten, und ihre eingegangenen Verpflichtungen abzutragen.«

»Und wie kann er arbeiten?« rief Rigoli rasch, »wenn sein Herr die ganze Zeit mit ihm im Lande umherzieht, und ihm die Feiertage nicht einmal anrechnet, um seine Heimath zu besuchen?« – Der Alkalde zuckte die Achseln.

»Das ist allerdings ein Punkt,« sagte er, »den das Gesetz nicht vorgesehen hat, denn ich sehe keine Möglichkeit um einen caballero zu zwingen, ruhig an einer Stelle zu bleiben, damit der ihm verschuldete Diener Geld in der Nachbarschaft verdienen kann.«

»Und wie viel beträgt des Burschen Schuld jetzt?«

»Soviel ich weiß einige vierzig Thaler,« erwiderte der Richter – »jedenfalls über ein Jahrlohn – und wenn es nur ein und vierzig sind, hat er ein Recht ihn zur Arbeit anzuhalten.«

»Und wenn das Geld in einigen Tagen bezahlt wird?«

»Ich weiß doch nicht recht,« sagte der würdige Richter etwas verlegen, »ob der Señor damit gezwungen werden kann, seine Rechte auf die Jahresarbeit des Burschen aufzugeben, denn er hat keine weiteren Zinsen von dem ausgelegten Capital.«

»So? – das wollen wir denn aber einmal sehen,« rief der kleine Italiener, in vollem Ingrimm von seinem Stuhl emporspringend. – »Wenn das die neuen Gesetze sind, die der verdammte Mulattengeneral in unserem Lande geben will!«

»Señor Rigoli,« unterbrach ihn der Alkalde erschreckt, »wissen Sie, daß Sie von unserer höchsten Obrigkeit sprechen, und ich eigentlich gezwungen wäre – «

»Zum Henker mit unserer ganzen Obrigkeit,« beharrte aber der unverbesserliche kleine Schneider, der nicht den geringsten Respekt, weder vor dem Präsidenten noch vor dem Alkalden zeigte. – »Wenn es denn so mit uns steht, dann will ich doch sehen, ob nicht das Volk einmal gelegentlich die Sache in die Hand nehmen kann, und wo Sie dann bleiben, Señor, und der Padre mit Einschluß Ihres Franco'schen Generals, darauf bin ich nachher selber neugierig.«