Tasuta

Unter Palmen und Buchen. Zweiter Band.

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Viertes Capitel.
Nach dem Pailon

Eva's Herzblut stockte bei der furchtbaren Kunde. – So war alle Mühe und Aufopferung umsonst gewesen und José – der unglückliche José auf's Neue für sie verloren. Im ersten Augenblick stand sie auch wirklich regungslos und keines Gedankens fähig an derselben Stelle, nur von dem Gefühl ihres Unglücks, ihrer Verlassenheit erfüllt, und der alte Pedro war lange in den Schatten seiner eigenen Wohnung zurückgekehrt, ehe sie einen neuen Entschluß fassen konnte, was nun zu thun – wie zu handeln.

Rigoli – der kleine freundliche Weiße – er blieb jetzt ihre einzige Hoffnung, und wenige Minuten später stand sie in seiner Wohnung.

Der Italiener war allerdings auf's Aeußerste überrascht, sie schon wieder in Concepcion zu sehen, und wollte es kaum glauben, daß sie in der Zeit nach Cachavi hinauf und wieder zurückgerudert sein könne. Aber das mitgebrachte Geld, das sie ihm zeigte, ließ keinen Zweifel mehr, und Rigoli, der indessen den Gefangenen nicht aus den Augen verloren, erging sich nun erst für kurze Zeit in einer Reihe der lästerlichsten Verwünschungen gegen den schuftigen Guajaquilenen, jenen Francoschen Offizier, und gegen den Alkalden selber, der mit ihm jedenfalls unter einer Decke stecke. Eva, die ihn dabei mit keiner Sylbe unterbrach, erfuhr nun, daß er gestern noch einmal bei dem Alkalden gewesen sei, und dort einen heftigen Auftritt mit diesem gehabt habe, als er hörte, daß sich der angebliche Offizier zur Abreise bereit mache. Er verlangte, daß dieser die Rückkunft des abgesandten Boten erwarten solle, der abgegangen wäre um die Summe für den Loskauf des Gefangenen herbeizuholen – ja er erbot sich sogar selber Bürgschaft für die Zahlung des Geldes zu leisten – Alles aber vergebens. Der Guajaquilene behauptete, daß er seinen Diener jetzt gerade nothwendig brauche, da er an den Pailon hinüber und von dort durch den Wald wieder nach Concepcion zurückkehren wolle. Er wisse aber nicht, ob er dort sicher einen Träger bekommen könne. Wenn er zurückkehre und das Geld wirklich bezahlt werde, so ließe sich weiter über die Sache sprechen.

»Und kehrt der Weiße wirklich hierher zurück?«

»Der Teufel trau' ihm!« rief Rigoli heftig aus – »möglich ist's, aber sicher in keinem Fall, denn was ich mir über die Sache denke, so ist dieser vorgebliche Franco'sche General weiter Nichts als ein ganz gewöhnlicher Landspeculant, der die Gegend hier abschnüffeln will, ob er irgendwo einen vortheilhaften Kauf machen kann, ohne Schwielen dabei in die Hände zu bekommen. Wenn er den José aber hier nicht an den Padre abtreten darf, so verkauft er ihn unterwegs, wo er die erste beste Gelegenheit bekommt, und ein paar hundert Dollars daran verdienen kann. Die nöthigen Papiere sind ja leicht genug fabricirt, und wenn er dem armen Jungen, der natürlich weder schreiben noch lesen kann, etwas von baldiger Freiheit vorschwatzt, malt der sein Zeichen unter irgend einen Wisch, den er ihm vorlegt.«

»Armer José,« hauchte das zitternde Mädchen.

»Wenn wir einen anderen Alkalden hätten, als diesen Holzklotz von einem Menschen,« zürnte der kleine Italiener, »so wäre so etwas ganz unmöglich gewesen. Aber mache einmal etwas gegen diesen – ich hätte bald was gesagt. Er blieb dabei, daß kein Gesetz des ganzen Staates irgend einen weißen und freien Mann zwingen könne, seine Reise aufzuschieben, und fort ist er jetzt an den Pailon – ich hab' ihn nicht halten können.«

»Und wenn ich ihm dort das Geld für José brächte,« rief das Mädchen plötzlich, von einem neuen Gedanken ergriffen, »müßte er ihn dort nicht frei geben?«

»Hm,« sagte Rigoli – »aber Du kannst nicht allein an den Pailon gehn – Du kennst ja Niemand dort.«

»Die Señora Bastiano fährt heute oder morgen dorthin ab. Sie befahl mir ihr Canoe rasch zurückzubringen, weil sie es für die Reise brauchte. – Sie nimmt mich mit – und ist auch bekannt dort und geachtet – «

»Geachtet? – hm,« sagte der kleine Schneider, der seine ganz eigene Idee darüber hatte, wie geachtet die dicke Negerin wohl in der, jetzt von lauter Fremden besetzten Ansiedlung sein würde. Aber er mochte dem armen Kinde auch das Herz nicht unnöthiger Weise vielleicht schwer machen und sagte endlich:

»Nun, versuchen kannst Du's immer, Schatz – Schaden wird's nicht thun, ob's Dir aber hilft – Gott weiß es. Säßen wir hier nur nicht so weggesetzt aus der Welt, ich ginge – straf mich dieser und jener, meiner Seel' selber zum Präsidenten, und wenn es selbst dieser blutige Franco wäre, und schenkte ihm einmal ein Glas reinen Wein ein; aber von hier aus müßte ich erst nach Tomaco in Neu-Granada, und dort auf das Dampfboot passen, und wo das Geld dazu hernehmen, wo keiner der hiesigen Lumpe Geld genug im Sack hat, auch nur den Stoff für seine Hosen zu bezahlen.«

»Lebt wohl, Meister Rigoli,« sagte Eva herzlich – »und habt Dank – vielen Dank für die Mühe, die Ihr Euch meinetwegen gegeben. Ich werde es Euch nie vergessen.«

»Bah Mädel,« sagte der kleine gutmüthige Mann, »reden wir nicht weiter davon. Ich wollte ich könnte Dir mehr helfen. Aber laß gut sein, jetzt – geh erst mit Deiner dicken Señora an den Pailon, und wenn Du dann zurückkommst und Nichts ausgerichtet hast – «

»Aber sie müssen ihn doch freilassen, wenn ich das Geld für ihn bezahle.«

»Na ich setze ja nur den schlimmsten Fall – gewiß müßen sie, wenn ihre Gesetze nicht lauter Lügen sein sollten – aber ich meine ja nur so – wenn Du trotz alle dem Nichts ausrichten solltest, dann komm wieder zu mir hierher und – ich weiß dann freilich selber noch nicht, was ich gleich thun werde, aber einen Skandal giebts, darauf kannst Du Dich verlassen – einen Mordskandal, und das Andere – wollen wir dann eben abwarten. Schon gut, Mädel, schon gut, – mach' jetzt, daß Du zu Deiner Señora Bastiano hinüber kommst. Apropos, wo ist denn Dein Bruder eigentlich – ah, da kommt er eben angekrochen. Na! der wird schön müde sein von der Parforcetour. Du hast den Teufel im Leibe. Nun er mag heute schlafen und sich ordentlich ausruhen, daß er mir morgen wieder frisch bei Kräften ist.«

Wie in einem Traum stieg das arme Mädchen die Leiter hinab und eilte dem Hause der Patronin zu, von der allein sie jetzt noch Hülfe und Unterstützung hoffte. Die alte würdige Dame war übrigens den Augenblick bereit, sie mitzunehmen, aber für heute Abend war an den Aufbruch nicht mehr zu denken. Sie hatte das Canoe gar nicht so rasch zurück erwartet – sie mußte ja damit geflogen sein – einige Provisionen mußten auch noch eingelegt, und einige Abschiedsbesuche gemacht werden – Morgen früh aber jedenfalls – je früher desto besser, um die Morgenkühle noch zu benutzen, und dann wollten sie den Señor schon kriegen, der einen freien Mann zum Sclaven herabwürdigte. Sie kannte alle Familien am Pailon – brave ehrenwerthe Leute, mit denen sie in intimster Verbindung stand – die ließen sie nicht im Stich, und Eva konnte ganz ruhig sein, auf dem Rückweg hätten sie ihren José mit im Canoe.

Das Mädchen brannte vor Ungeduld, aber die Señora Bastiano war nicht aus ihrem Gleis zu bringen, und es blieb eben bei der Abfahrt auf den nächsten Morgen.

Schon vor Tag war Eva munter und unten an der Landung, um das kleine Canoe in Stand zu setzen und ja keine Zeit zu versäumen – aber es half ihr Nichts. Eine Reise nach dem Pailon war für die würdige Dame, die nur selten aus ihren vier Pfählen kam, eine viel zu wichtige Begebenheit, um sie so leichthin anzutreten. Die dazu nöthigen Vorbereitungen mußten mit der ihrem Stande würdigen Ordnung getroffen werden. Dabei hatte sie sich überlegt, daß das kleine Canoe ein solches Auftreten aber unmöglich mache, und deshalb beschlossen, ein größeres zu miethen.

Dem lagen nun allerdings keine Schwierigkeiten entgegen, denn große Canoes gab es in Concepcion genug, und ein solches war bald herbeigeschafft, aber es erforderte einige Zeit, ehe eine hübsch und vollständig schattige Laube in dem Heck desselben aufgebaut werden konnte, und wenn auch Eva unermüdlich Bananenblätter und Stäbe herzutrug, und die Arbeiter zur Eile antrieb, so wurde es doch fast zehn Uhr, ehe sie Alles in Stand hatten, und die Señora gerufen werden konnte.

Und jetzt kam sie. Señora Bastiano war wirklich eine Persönlichkeit in Concepcion, – unter der farbigen Raçe wenigstens. Ihr Mann besaß ein nicht unbedeutendes Grundeigenthum und hielt eine Menge Leute in seinen Diensten. Außerdem spielte er ganz vortrefflich die Marimba oder Holzharmonika, und da die alte Señora wirklich ein gutes Herz hatte und viele Arme unterstützte, so war sie gewißermaßen ein Orakel der Neger geworden, die sich bei ihr und ihrem Gatten in schwierigen Verhältnissen gern Rath, und wenn es sein mußte, auch Hülfe holten.

Es ist dabei wunderbar, mit welcher Würde solche alte Negerdamen aufzutreten pflegen, wenn sie einen gewissen Rang in der Gesellschaft einnehmen, oder doch einzunehmen glauben. Keine Fürstin mag es ihnen an huldreicher Herablassung gleich thun, wo sie mit minder Glücklichen zusammen kommen, und da sie sich außerdem sehr gewählt kleiden und fast immer eine sehr tiefe Baßstimme haben, so kann sich der Europäer, wenn er ihnen begegnet, selten eines Lächelns erwehren – aber ich wollte es ihm nicht rathen, daß es die Señora bemerkte. Ein völlig vernichtender Blick würde ihn gewiß dafür strafen.

Señora Bastiano war der Typus dieser Negerfrauen. Wohlbeleibt, wenn auch nicht übermäßig stark, aber sehr voll gebaut, und mit zurückgebogenem Kopf einherschreitend, trug sie ein carrirtes Seidenkleid; darüber, trotz der niederbrennenden Sonne, einen papageygrünen chinesischen Shawl, eine dicke Kette von Bernsteinkugeln um den braunen Hals, und glanzlederne Schuhe aber ohne Strümpfe, und einen hellgelben, seidenen Sonnenschirm oder Knicker, den sie aber nur als Fächer benutzte.

Die Begleitung Eva's war ihr dabei ganz angenehm, denn wenn sie auch selbstverständlich ein Mädchen zur Bedienung mitnahm, sahen zwei doch besser und anständiger aus, und Eva dankte Gott, als sie endlich im Canoe saßen, das von zwei starken Negern gerudert wurde, und sie nun unterwegs waren. Rückten sie doch nun auch mit jedem Ruderschlage ihrem Ziele näher. Sie selber wollte auch gleich mitarbeiten, aber das litt die Señora nicht.

 

»Laß Du das nur die Leute thun, mein Kind,« sagte sie freundlich, aber bestimmt. »Die haben Mark in den Knochen und bringen uns schon rasch genug vorwärts, ob wir ein paar Stunden früher oder später an den Pailon kommen, bleibt sich doch vollkommen gleich. Du kriegst Deinen José.« Damit war die Sache abgemacht.

Das Canoe war ein breites, sehr bequem hergerichtetes Fahrzeug, aus dem Stamm eines der mächtigen Waldriesen dieser Gegend ausgehauen, mit flachem Boden, daß es nicht so leicht umschlug, und um ihm noch größere Sicherheit zu geben, mit ein paar schwachen Balsastämmen2 an beiden Seiten. Den dritten Theil des ganzen Canoes deckte dabei eine laubenartige Hütte, gerade hoch genug, daß man bequem, und ohne anzustoßen, darunter sitzen konnte. Sie war einfach durch gebogene und am Canoe befestigte Bambusstäbe hergestellt, über welche die breiten Blätter der wilden und keine Frucht tragenden Banane gelegt und festgesteckt wurden, und so dicht, daß sie nicht allein die Sonnenstrahlen verhinderten durchzubrechen, sondern auch einen recht tüchtigen Regenschauer abhalten konnten, – und auf beides mußte man in diesem Klima gefaßt sein.

In der Mitte der Laube nun, auf einer Anzahl von weichen Matten, saß die Señora, zu ihren Füßen kauerte die mitgenommene Dienerin, und wenigstens des Steuers hatte sich Eva bemächtigt, um doch etwas beitragen zu können, zur Beschleunigung ihrer Reise.

So ruderten sie mit der nicht unbedeutenden Strömung – nachdem der Abschied am Ufer von einer Anzahl anderer würdiger Damen auch noch einige Zeit in Anspruch genommen – rasch vorwärts, und wie ein wechselndes Bild von Palmen, Bananen und mächtigem Urwald, der seine Riesenzweige bis weit über das Ufer hinausstreckte, glitt die Landschaft an ihnen vorüber.

»Siehst Du das Haus dort, an der rechten Uferbank, Eva?« frug da die alte Dame, nachdem sie etwa eine Stunde so gefahren waren, »wo die vielen Orangen stehen?«

»Si Señora.«

»Fahre dort an die Landung.«

»Wollen wir halten?«

»Ja mein Kind; die Señora Piedra würde es mir sehr übel nehmen, wenn ich vorbeiführe, ohne ihr einen guten Morgen zu sagen. – Es sind gar achtbare Leute die Piedras.«

Eva gehorchte seufzend, und eine volle Stunde ihrer kostbaren Zeit wurde damit verschwendet, daß sich ein paar alte Frauen leere Höflichkeiten sagten, und Chokolade dazu tranken.

Und das war nur der Anfang einer vollkommenen Kette von Besuchen gewesen, denn Señora Bastiano schien es mit einem höchst empfindlichen Gefühl von Schicklichkeit ganz unversöhnbar zu halten, daß sie auch nur ein einziges Haus vorbeifuhr, in welchem eine, selbst flüchtige Bekanntschaft wohnte. Und was für Zeit brauchte sie nicht allein zum Ein- und Aussteigen, und dem vorläufigen Anfragen im Hause, wohinauf immer erst einer der Ruderer mußte, um sich zu erkundigen, ob die »Señora« daheim und geneigt sei, den Besuch zu empfangen. Wie sie aber den vierten solcher Besuche gemacht und glücklich beendet hatten, trat die Fluth ein, in deren Bereich sie sich schon befanden, und um ihre Leute nicht unnöthig anzustrengen, wie auch den dringenden Anforderungen einer anderen dicken Mulattin nachgebend, dort zu übernachten, wurde das Boot noch am hellen lichten Tag an Land gezogen und Halt gemacht. Bei Nacht wäre Señora Bastiano überhaupt nicht gefahren – ihre Nerven vertrugen das nicht.

So versäumten sie die Ebbe, und mußten bis zur zweiten Ebbe warten, die erst um neun Uhr Morgens eintrat. Dann erst gingen sie wieder unterwegs, aber auch nur, um diese unglücklichen Besuche zu erneuern, mit denen wieder ein Theil der günstigen Zeit nutzlos vergeudet wurde.

Eva hätte blutige Thränen der Ungeduld weinen mögen, aber selbst ihre Bitten fruchteten Nichts bei der alten Dame.

»Kind, das verstehst Du nicht,« sagte sie leutselig, »wenn Du einmal älter bist, wirst Du auch einsehen, daß man Rücksichten im Leben zu nehmen hat, und daß wir uns selber damit ehren, wenn wir Anderen eine Ehre erweisen.«

Es blieb auch dabei, und als sie endlich die Gegend der Manglaren erreichten, wo die Ansiedelungen seltener wurden, und zuletzt ganz aufhörten, war es zum zweiten Male nöthig geworden, in dem letzten Hause zu übernachten.

Von da an nahmen die Visiten ein Ende; nur im Garcero sprach die Señora am nächsten Morgen noch einmal vor, traf aber glücklicher Weise Niemand zu Hause, da die Bewohner der Ansiedelung sämmtlich nach dem Pailon und San Lorenzo hinaufgefahren waren, und jetzt endlich faßten undurchdringliche Manglaren das sumpfige Ufer ein, Lagune schloß sich an Lagune und bildete Inseln und Küstenland, an dem zur Fluthzeit das Wasser in den Zweigen und wunderlichen Wurzelbildungen der Mongrove wusch, und zur Ebbezeit den von Millionen von Krabben bevölkerten Schlamm offen legte.

Bald fuhren sie auch in den breiten und tiefen Canal des Pailon ein, der in einem rechtwinkeligen Arm erst von dem nördlich gelegenen Ocean nach Süden hineinläuft, und hier von der Mündung der Tolita-Lagune direkt nach Osten einmündet. An dem Süd-Ufer dieses breiten Armes lag das kleine Fischerdorf San Lorenzo.

Es hatte die Nacht über wieder gegossen, was vom Himmel herunter wollte – wie denn überhaupt in diesem Himmelsstrich und inmitten der weiten, waldbewachsenen Niederungen selten eine Nacht ohne Regen vorüber geht – aber jetzt, nachdem sie die Morgennebel niedergedrückt, stand die Sonne frei und klar am Himmel, und beleuchtete die wunderschöne Bai, und blitzte von den Millionen Regentropfen des Waldmeeres nieder.

Vor dem Canoe her strichen ein paar große braune Pelikane, und ein Fregattenvogel stand hoch, mit zitterndem Flügelschlage in blauer Luft, bis er sich einen Fisch zur Beute ersehen, auf den er dann wie ein Pfeil herunter schoß, tief unter Wasser tauchte, und wenige Momente später wieder mit tropfenden Schwingen ordentlich aus der Fluth emporschnellte, um seine Beute hoch in dem eigenen Element zu verzehren.

Bis hierher hatten sie die Ebbe günstig für sich gehabt, von da an aber kam sie aus dem Pailon heraus gegen sie an, und wenn sie auch schon ihre größte Kraft verloren, mußten die beiden Schwarzen nun doch tüchtig rudern, um gegen sie anzuarbeiten. Ein Beilegen in den Manglaren war unmöglich, denn dort hätten sie Mosquitos und eine kleine nichtswürdige Art von Stechfliegen, Jejen genannt, zu Tode gepeinigt, und Señora Bastiano kannte jene Stellen zu genau, um sich vom Ungeziefer mißhandeln zu lassen. Da mochten die Neger lieber schwitzen.

Es war etwa drei Uhr Nachmittags, als sie San Lorenzo endlich erreichten – leider in voller Ebbe, wo das ganze Ufer von einem vielleicht vierzig Schritt breiten Schlammgürtel so vollständig eingefaßt war, daß an ein Landen gar nicht gedacht werden konnte. Die Neger sprangen allerdings über Bord, und schoben das Canoe so weit es nur möglicher Weise ging, auf den Schlamm hinauf und dem Ufer um etwa zehn Schritt näher – dann aber arbeitete ihnen das solide Gewicht der Señora so entschieden entgegen, daß sie es auch keinen Zoll breit weiter vorrücken konnten, und die Señora hatte jetzt die Wahl, bis zur wachsenden Fluth hier draußen sitzen zu bleiben – was immer noch vier volle Stunden dauern konnte, oder das allerdings nicht ganz würdevolle Entree nach San Lorenzo hinein zu wählen, und mit hochaufgeschürzten Röcken durch den etwa knietiefen Schlamm an Land zu waten.

Beides schien ihr gleich unangenehm, so entschloß sie sich denn endlich zu der kürzeren, wenn auch schmerzlicheren Procedur, zog ihre Schuhe aus, die sie Eva zu tragen gab, packte ihrer anderen Dienerin den Sonnenschirm und eine Anzahl anderer Kleinigkeiten mit einem Korb Backwerk auf, das sie den Kindern ihrer Freunde mitgebracht, und – stieg über Bord.

Es war allerdings ein höchst komischer Anblick, die alte würdige Dame in dieser Situation, und dabei mit dem ernsthaftesten Gesicht von der Welt, durch den tiefen Schlamm waten zu sehen, und ein paar Fremde, die am Ufer standen, wollten sich auch halb todt darüber lachen – aber um so viel finsterere Falten zog das braune Gesicht der alten Dame, die ihre Kleider in der Angst, sie im Schlamm zu verunreinigen, noch weit höher aufnahm als eigentlich nöthig gewesen wäre. Aber muthig watete sie vorwärts, und hatte endlich die Genugthuung, eine kleine Quelle zu erreichen, die während der Ebbe in ein paar Steinlöchern frisches Wasser hielt, und wo sie im Stande war, sich von ihrem Mädchen die Füße waschen zu lassen.

Dort aber mußte sie noch immer eine Weile in der bisher behaupteten Stellung verharren, bis ihre Dienerin die ihr anvertrauten Sachen abgelegt hatte, und dann im Stande war, ihre Señora mit Hülfe eines Spahns erst von dem gröbsten Schlamm zu säubern, und dann reinzuwaschen. Erst jetzt durfte sie wagen, ihre Kleider fallen zu lassen, und ihre Schuhe anzulegen, um, wie es ihrem Stande zukam, in der Stadt zu erscheinen.

Darauf aber hatte Eva schon nicht mehr gewartet. Leicht und flüchtig, war sie nur wenig in den Schlamm eingesunken, und wie sie nur die Schuhe am Ufer auf einen trocknen Platz gestellt, eilte sie flüchtigen Laufes in die Stadt hinauf, um sich dort nur erst die Gewißheit zu holen, daß José in San Lorenzo angekommen sei und dort weile. Mehr verlangte sie ja nicht – in allem Uebrigen würde ihr die Señora Bastiano gewiß schon helfen.

Armes Kind, auch dieser Weg schien vergebens gewesen, denn gleich im nächsten Haus erfuhr sie, daß gestern allerdings ein »Señor Ecuadoriano,« der ihrer Beschreibung entsprach, mit einem Canoe und einem schwarzen Diener eingetroffen sei, und Verkehr mit den Fremden gehabt habe, dann aber, und zwar noch gestern Abend, oder jedenfalls heute Morgen vor Tagesanbruch zu Lande aufgebrochen sei, denn er habe das Canoe an die Fremden verkauft. Zu Lande konnte er aber keinen anderen Weg eingeschlagen haben, als die erst kürzlich durch die Wildniß ausgehauene »Trocha«.3 Ob er auf der aber beabsichtige bis zum Bogota, und dann hinauf nach Quito zu gehen, oder ob er nach Concepcion zurückkehren wolle, wußte Niemand anzugeben.

Der gutmüthige Ecuadorianer, dem das junge, in Thränen fast zerfließende Mädchen leid that, ging sogar selber zu den dort eingetroffenen Engländern hinüber, um sich zu erkundigen, ob sie etwas über den Fremden und sein nächstes Ziel wüßten, erfuhr aber auch keine bestimmte Antwort. Er hatte nur, ihnen gegenüber, geäußert, daß er den Weg durch die Trocha einschlagen wolle, um das Land kennen zu lernen. Sein Geschäft war, wie er angab, Juwelenhandel, und er hatte ihnen eine Anzahl von kostbaren Steinen zum Verkauf angeboten. Die Leute aber, die hierher gekommen waren um das Land zu cultiviren, brauchten keine Diamanten und Saphire, und als er fand, daß er hier keine Geschäfte machen konnte, war er ohne Weiteres wieder aufgebrochen.

Als Diener hatte er die Leute mitgenommen, die ihn hierher gerudert, einen jungen Negerburschen und zwei alte Mulatten.

2Die Balsa ist ein vollkommen korkähnliches, außerordentlich leichtes weißes Holz – nicht wie der Kork nur die Rinde des Baumes. Der Balsabaum wächst oft zu zwei- und dritthalb Schuh Stärke und eignet sich, seiner fabelhaften Leichtigkeit wegen, ganz vorzüglich zum Wassertransport. Er hat nicht viel mehr Gewicht, als das Mark unseres Ahorns, ist aber fester.
3Trocha ein Pfad, nicht mit geebnetem Weg, sondern nur eine Bahn durch den Wald – durch angekerbte Stämme bezeichnet.