Das sogenannte Alte Testament

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Bevölkert die Erde!

Mose beschreibt, dass Gott die Meere mit Fischen, die Himmel mit Vögeln und die Erde mit Tieren aller Arten füllte. Himmel und Erde wimmelten von Lebewesen. Nur Adam und Eva waren alleine, als einzige Vertreter der noch zu entstehenden Menschheit. Und Gott segnete die Menschen und sagte zu ihnen: »Seid fruchtbar und vermehrt euch! Füllt die ganze Erde ...« (1. Mose 1,28). Vielleicht ist dies das einzige Gebot Gottes, das die Menschheit tatsächlich erfüllte.

Jedes Mal, wenn ein Kind geboren wird, entsteht auf der Erde eine weitere Schöpfung Gottes – unter der Mitwirkung von Menschen, den Treuhändern Gottes und Mitgestaltern seiner Geschichte. Und jedes Kind wird, so wie am Anfang Adam und Eva, als Gottes Ebenbild geschaffen, das Gott ähnlich ist (1. Mose 1,26–27). Was für ein Vorrecht und welche Verantwortung!

Der treue Schöpfer

Wer nach Gottes Willen leiden muss, der soll sich nicht davon abbringen lassen, Gutes zu tun und seinem treuen Schöpfer sein Leben anzuvertrauen (1. Petrus 4,19; Hoffnung für alle).

Gott ist der »treue Schöpfer«. Dieser Begriff kommt in der Bibel nur einmal vor und zwar in einem Zusammenhang, in dem deutlich wird, dass es im Leben nicht nur Schönes und Wunderbares gibt. Es gibt auch Leiden und Schmerzen. Es gibt sogar Leiden, die die Folge davon sind, dass Gottes Schöpfung ihrem treuen Schöpfer nicht treu blieb.

Herrschen und unterwerfen

Gottes Welt war noch nicht vollendet, als Gott sie schuf – sündlos, aber nicht vollkommen, nicht fertig. Gott schuf ein Weltall und eine Menschheit mit Potenzial. Gott beabsichtigte, mit dieser Schöpfung einen langen Weg zu gehen, bevor sie vollendet sein würde. Aber auf diesem Weg sollte Gott immer zu seiner Schöpfung stehen und dieser oft abtrünnigen Schöpfung treu sein.

Die Natur kann ohne die Kinder Gottes nicht zum Ziel kommen, schreibt Paulus (Römer 8,18–20). Unsere Rolle ist es, »zu unterwerfen« und »zu herrschen« (so wird 1. Mose 1,28 meistens übersetzt: Seid fruchtbar und vermehrt euch, bevölkert die Erde, unterwerft sie euch und herrscht über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf dem Land regen; Einheitsübersetzung).

Weil aber diese Begriffe oft schrecklich missverstanden werden und weil die Menschheit eher geneigt ist, die Schöpfung auszubeuten und auszunutzen, sollten wir diesen Auftrag etwas näher betrachten. »Herrschen« (hebräisch: radah) wird oft mit »niedertreten« oder »unterdrücken« übersetzt. Dies ist in Zusammenhängen der Fall, in denen »herrschen« mit Gewalt oder zum Selbstzweck geschieht. Wenn aber »herrschen« dem Willen Gottes entspricht, sieht es anders aus. Es wird dann als »über etwas Aufsicht haben« beschrieben. Wir finden auch oft die Warnung, »nicht mit Gewalt zu zwingen« oder »nicht zu Sklaven zu machen« (3. Mose 25,43.46.53).

»Herrschen« bedeutet Gerechtigkeit und Barmherzigkeit üben, Hilfe und Schutz anbieten, Schalom (dazu gleich mehr) schaffen. Macht soll höchstens eingesetzt werden, um Machtmissbrauch zu verhindern und gerechte und friedliche Beziehungen aufrechtzuerhalten (siehe Psalm 72).

Wenn wir die Schätze dieser Welt selbstsüchtig ausbeuten, wenn wir die zerbrechlichen und gefährdeten Teile der Schöpfung ignorieren oder missachten, wenn wir Stärke missbrauchen und Gerechtigkeit blockieren statt wiederherstellen, dann haben wir »herrschen« nicht im Sinne Gottes verstanden.

Wenn wir »herrschen« so verstehen, wie Gott es meinte, dann können wir auch das andere Wort »unterwerfen« richtig einordnen. Gott sagte: ... unterwerft sie euch und herrscht über ... sie (Einheitsübersetzung). Wenn wir diesen Schöpfungsauftrag im Kontext der ganzen Bibel verstehen, dann gilt es, alles zu unterwerfen, was den Schalom zerstört; alle Wände niederzureißen, die gerechte Beziehungen verhindern; alle Kräfte zu bekämpfen, die die Machtlosen unterdrücken; alle Systeme und Verhaltensweisen infrage zu stellen, die Gottes gute Schöpfung aus den von ihm gewollten Bahnen bringen wollen.

Die Menschheit, Adam und Eva und ihre Nachkommen, ich und du, wir sind die Krone der Schöpfung, Mitgestalter der Geschichte, Gottes Assistenten. Und Gottes Ziel soll auch unser Ziel sein. Durch Liebe und Fürsorge, durch selbstloses Aufopfern und einsichtsvolle Wachsamkeit sollen wir darauf achten, dass niemand und nichts unter die Räder gerät, sondern dass alle sich auf dem Weg zum vollen Schalom Gottes befinden.

Die Herrlichkeit des Schöpfers – die Würde des Menschen

Wir erwähnten bereits mehrmals das Wort Schalom, als wäre es ein ganz gewöhnliches deutsches Wort. In der Tat ist es noch nicht einmal ein gewöhnliches hebräisches Wort: Es ist ein ganz besonderes Wort. Es beschreibt einen Zustand, in dem alles in Ordnung ist, alle Beziehungen intakt und alle Nöte gestillt sind und wo niemand irgendjemandem irgendetwas schuldet. Schalom ist ein Traum und ein Ziel. In 1. Mose 1 wird ein Leben im Schalom beschrieben.

Und dann geschah der Sündenfall. Die Konsequenzen waren gravierend, der Schalom Gottes wurde mehr als nur angeschlagen. Aber das Abbild Gottes im Menschen wurde nicht völlig zerstört, wie manche meinen. Die Menschheit stellt immer noch die Krone der Schöpfung dar, auch wenn sie nun nicht mehr immer mit Gerechtigkeit herrscht. Weil zwei Menschen eine verbotene Frucht aßen, ist seitdem zwar alles beeinträchtigt, wurde aber nicht alles völlig zerstört. Früher sah ich, Tim, das anders. Aber dann änderte sich vor mehr als 30 Jahren in einer unvergesslichen Unterrichtsstunde in einem Seminar über »Alttestamentliche Theologie« meine Meinung. Ich erinnere mich noch genau an die Einzelheiten.

Halb im Spaß gab uns der Professor den Auftrag, alle Geschöpfe Gottes zwischen eins und zehn einzuordnen. Gott sei dabei eine Zehn, denn ihm, dem Allmächtigen gebühre die höchste Ehre. Die niedrigsten Kreaturen, zum Beispiel Würmer, sollten wir mit einer Eins versehen. Vermutlich wollte er keine Null verwenden, da sogar Würmer Teil der guten Schöpfung Gottes sind.

Ich erinnere mich noch genau, wie ein Student wie aus der Pistole geschossen antwortete: »Ich glaube, die Menschen sind bei eineinviertel – höchstens.« (Ich wusste gleich, aus welcher theologischen Ecke dieser Student kam.) Andere widersprachen ihm sofort: »Nein, ich würde die Menschheit bei fünf einstufen.« Irgendjemand nannte sogar die Zahl »sieben«. Nachdem wir nicht ganz ernsthaft debattiert hatten, schlug der Professor vor: »Warum schauen wir nicht einfach in der Bibel nach, wo wir eine ziemlich klare Antwort finden? Schlagt doch bitte Psalm 8 auf.«

Ich kannte diesen Psalm recht gut. Herr, unser Herrscher! Groß und herrlich ist dein Name. Himmel und Erde sind Zeichen deiner Macht (Vers 2; hier jeweils Hoffnung für alle). So fängt David an, der offenbar ganz deutlich ausdrücken will: »Gott ist eine Zehn.« Dann fährt er fort: Aus dem Mund der Kinder erklingt dein Lob. Es ist stärker als das Fluchen deiner Feinde. Erlahmen muss da ihre Rachsucht, beschämt müssen sie verstummen (Vers 3).

Und dann stellt der Psalmdichter die Frage: Ich blicke zum Himmel und sehe, was deine Hände geschaffen haben; den Mond und die Sterne – allen hast du ihre Bahnen vorgezeichnet. Was ist da schon der Mensch, dass du an ihn denkst? (Vers 4–5).

Das hatte ich mich auch schon manches Mal gefragt. Ich erinnere mich, wie wir als Kinder im Dorf meiner Kindheit in Kanada Schlittschuh liefen. Die Eislaufbahn war im Freien und nur mit notdürftigen Lichterketten versehen. Oft schalteten wir sie einfach aus und genossen es, im Kreis zu laufen, beleuchtet von Millionen von Sternen, der Milchstraße und wunderbaren Nordlichtern. Da stellte ich dann auch die Frage: »Ich blicke zum Himmel und sehe, was deine Hände geschaffen haben; den Mond und die Sterne – allen hast du ihre Bahnen vorgezeichnet. Was ist da schon der Mensch, dass du an ihn denkst?« Ich verstand das so: »Gott, kann es wirklich sein, dass du mich kleinen unwichtigen Menschen überhaupt bemerkst? Ich fühle mich so winzig unter all den viel herrlicheren Teilen der Schöpfung, der glanzvollen, prächtigen Sternenwelt.« Angesichts der erwähnten Skala sah ich mich bei Eineinviertel unter einem großen Himmel voller Sechser, Siebener und Achter.

Mir kamen immer sehr schnell die Bibelstellen in den Sinn, wo Menschen »wie nichts« beschrieben werden (zum Beispiel Psalm 144,4), mit Staub oder schnell verwelkenden Blumen verglichen werden (zum Beispiel Psalm 103,14–15). Die Zerbrechlichkeit, Abhängigkeit und Vergänglichkeit des Menschen verstand ich dann als Hinweis darauf, dass wir Menschen in dem großen Plan Gottes eben nur ein sehr unwesentlicher Teil seien.

Doch nun stellte unser Professor Psalm 8 auf den Kopf (oder vielleicht auf die Füße …). Er fragte: »Warum verstehen wir die Frage des Psalmdichters als den verzweifelten Versuch, mit einem Minderwertigkeitskomplex umzugehen? Vielleicht ist es ja auch eine ganze ernsthafte Frage. Was, wenn David tatsächlich fragt: ›Falls Gott eine Zehn ist, was sind wir dann?‹ Und was, wenn der folgende Satz dieses Psalms einfach die Antwort darauf ist: Du hast ihn nur wenig geringer gemacht als Gott, hast ihn mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt (Vers 6; so die Einheitsübersetzung und alle anderen Übersetzungen, die den Text wörtlich übertragen)?«

 

Bedeutet das nicht, wir sollten uns vielleicht doch bei »acht« oder sogar bei »neun« einstufen? Und welchen Platz nehmen diese herrlichen Schöpfungswerke Gottes – Sonne, Mond und Sterne – ein? Auch auf diese Frage gibt der Psalmist eine direkte Antwort: »Du hast ihn [den Menschen] als Herrscher eingesetzt über das Werk deiner Hände« (Vers 7; Einheitsübersetzung). »Das Werk deiner Hände« – dazu gehören der Mond und all die Sterne, die Gott erschaffen hat (Vers 4). Herrlicher als alles, was Gott erschuf – die Sterne, die Milchstraße, die Nordlichter – das ist die Menschheit. Herrscher über alles, was auf dieser Erde lebt, »die Schafe, Ziegen und Rinder, die Wildtiere in Feld und Wald, die Vögel in der Luft und die Fische im Wasser, die kleinen und die großen, alles, was die Meere durchzieht« (Vers 8-9) – das ist die Menschheit. Die Anspielung auf 1. Mose 1,28 ist nicht zu übersehen. Wir könnten uns tatsächlich fast bei »zehn« einstufen. Aber um davor zu warnen, wiederholt der Psalmist am Ende noch einmal, was er zu Beginn gesagt hat: Herr, unser Herrscher, groß ist dein Ruhm auf der ganzen Erde! Nur Gott allein ist eine Zehn. Uns muss es reichen, eine Neun oder vielleicht eine Neuneinhalb zu sein. Die Redakteure der Einheitsübersetzung fanden wirklich die richtige Überschrift für diesen Psalm: »Die Herrlichkeit des Schöpfers – die Würde des Menschen«.

Und jetzt kommt vielleicht das Wichtigste, worauf wir achten sollten: Dieser Psalm wurde nach dem Sündenfall geschrieben. Die Stellung der Menschheit bleibt die gleiche wie in 1. Mose 1 und 2. Unser Auftrag ist es, zu »unterwerfen«, das heißt, genau dort Gerechtigkeit zu schaffen, wo Macht missbraucht wird. Unser Auftrag ist es, zu »herrschen«, um die zerbrechlichsten und am meisten gefährdeten Geschöpfe Gottes zu beschützen. Der Schöpfungsauftrag bleibt weiterhin erhalten.

Was geschah, als Adam und Eva nicht mehr damit zufrieden waren, nur eine Neun zu sein; als sie wie Gott werden wollten? Das nennen wir den Sündenfall. Darum und um seine Auswirkungen geht es im nächsten Kapitel.

Warum sollten wir die Schöpfungsgeschichte lesen?

»Wir sind doch neutestamentliche Christen«, sagen manche Gläubige. »Warum sollen wir das Alte Testament lesen?« Die erste Antwort von vielen: Ohne das Alte Testament wüssten wir fast nichts von unserem wichtigsten Auftrag. Die Schöpfungsgeschichte beschreibt nicht die Geschichte eines anderen Volkes, sondern sie leitet die Geschichte der ganzen Menschheit ein. 1. Mose 1 und 2 zählen zu den wichtigsten Kapiteln der ganzen Bibel.

Weiterführende Fragen

1. In Bezug auf den Ursprung des Weltalls und der Erde: Welche Spannungen gibt es zwischen gängigen Meinungen vieler Wissenschaftler und den Aussagen der Bibel?

2. Wie reagieren Sie auf den Gedanken, dass es im Schöpfungsbericht der Bibel mehr um das Wesen des Schöpfergottes und seine Beziehung zur Schöpfung geht als um Zeiträume und Reihenfolgen?

3. Was bedeutet »herrschen und unterwerfen«? Vergleichen Sie nach Möglichkeit mehrere Bibelübersetzungen.

4. »Herrlicher als alles, was Gott erschuf – die Sterne, die Milchstraße, die Nordlichter – das ist die Menschheit« (Seite 22). Wenn das stimmt, was bedeutet das für unseren Umgang mit anderen Menschen?


Kapitel 2
Der Sündenfall – ist alles im Sande verlaufen? 1. Mose 3–11

Jetzt wissen wir, wer der Feind ist: wir selbst«, lässt der amerikanische Komiker Walter Kelly seine Figur Pogo sagen. Oft ist es tatsächlich so, dass wir selbst unsere schlimmsten Feinde sind. Darum geht es in den folgenden Kapiteln von 1. Mose. Schon in den ersten beiden Kapiteln wird angedeutet, dass in der guten Schöpfung Gottes nicht immer alles eitel Sonnenschein sein wird. Bereits Gottes Gebot, von einem bestimmten Baum nicht zu essen (1. Mose 3,3), weist darauf hin, dass die Menschheit nicht automatisch nach dem Willen Gottes lebt, sondern sich bewusst entscheiden muss. Wenn eine positive Entscheidung möglich ist, ist freilich auch eine negative möglich.

Von der Schlange betrogen

1. Mose 3 berichtet von der Versuchung, der Adam und Eva zu widerstehen hatten. Die Schlange fing an, Fragen zu stellen: »Was hat Gott wirklich gesagt? Was meinte er damit? Seid ihr sicher, dass er es gut mit euch meint? Will er euch vielleicht etwas vorenthalten?« Die verführende Stimme behauptete, es wäre zum Nachteil der beiden, wenn sie Gott gehorsam seien. Die verbotene Frucht sei doch einwandfrei, herrlich und gut. »Gott will euch nur unter seinem Daumen halten; euch vorschreiben, was ihr zu tun und zu lassen habt. Eine Entscheidung gegen den Willen Gottes ist also wirklich nur ein Schritt in die Freiheit, in die Selbstbestimmung …«

So verdrehte die Schlange die Wahrheit. Es stimmt, Gott wollte tatsächlich, dass die Menschen sich frei entscheiden, und dazu gehört ein gewisses Maß an Selbstbestimmung. Aber dass die Menschen direkt gegen Gottes Wort handeln, das hatte Gott zwar ermöglicht, aber keineswegs beabsichtigt. Gott war ein Risiko eingegangen, und das schlimmste, was hatte geschehen können, war tatsächlich eingetreten: Die Menschheit hatte sich entschieden, ihre eigenen Wege zu gehen.

Die Rede der Schlange war überzeugend gewesen. Aber als Eva und dann auch Adam Schritte in die Freiheit wagten, kam alles ganz anders, als die Schlange versprochen hatte. Angeblich würden sie wie Gott werden, doch die ersten Auswirkungen waren nicht sehr verheißungsvoll. Zuvor hatten sie in Harmonie mit ihrem Schöpfer und seiner Schöpfung gelebt. Jetzt wurde diese Harmonie an allen Ecken und Enden angekratzt. Gott suchte wie immer Gemeinschaft mit ihnen, aber nun versteckten sich die Menschen vor ihm (1. Mose 3,8–9). Anstelle der vorherigen intimen Beziehung herrschte jetzt Angst und der Wunsch, sich zu verbergen. Der Mann fing an, der Frau die Schuld zuzuweisen, beide begannen sich zu schämen (1. Mose 3,7.12–13).

Kurz darauf erfahren wir, dass der Auftrag Gottes, die Erde zu bevölkern, nur mit Schmerz erfüllt werden kann, und dass Gottes Auftrag, den Garten zu pflegen, als Überdruss und Kampf erlebt werden wird (1. Mose 3,16–19). Auch der Kampf zwischen dem Nachwuchs der Menschen und der Schlange wird vorausgesagt, ein Kampf, der zu den Hauptthemen der ganzen Bibel gehört. Die Menschheit lebt jetzt in einer Welt, die zwar immer noch Gottes gute Schöpfung darstellt, aber gleichzeitig auch ein Kampfgebiet zwischen Gut und Böse ist. Die Kampflinie scheint oft zwischen Menschen zu liegen, zwischen Feinden oder zwischen Religionen. Aber die Linie führt auch durch das Herz eines jeden Menschen: Wir haben ein zwiespältiges Herz und brauchen Gottes Hilfe, um wieder heil zu werden. Und das gilt nicht nur für uns persönlich, sondern auch für unsere Familien, unsere Gesellschaft, unsere Welt. »Jetzt wissen wir, wer der Feind ist: wir selbst.«

Doch nicht nur wir sind unsere Feinde: Durch die Schlange spricht eine Macht, die sich irgendwie gegen Gott und seine gute Welt stellt. Woher kam das Böse ursprünglich? Mit diesem Thema beschäftigten sich bereits die besten theologischen Köpfe, doch nur wenige Aussagen sind unumstritten. Aus unserer Sicht können wir folgende Ankerpunkte festmachen, die uns bei der Frage nach Gut und Böse weiterhelfen:

• Gott erschuf alles, was außer Gott existiert. Seit Ewigkeiten existiert nur Gott, der Schöpfer des Himmels und der Erde. Das Böse entstand irgendwann einmal und hat daher keinen gesicherten, bleibenden Platz.

• Gott ist absolut gut. Das Böse ist nicht Teil dessen, was Gott selbst ist oder was er will.

Theologische Erklärungsmodelle, die die Vorsehung und Allmacht Gottes zu sehr betonen – und zwar auf Kosten der Freiheit der Menschen und ihrer Verantwortung Gott gegenüber –, haben große Schwierigkeiten, mit den Fragen nach Gut und Böse umzugehen. Bei solchen theologischen Ansätzen sieht es so aus, als sei Gott daran schuld, wenn Böses geschieht.

Theologische Sichtweisen, bei denen die menschliche Freiheit stärker betont wird, betrachten Gott weniger als den alles kontrollierenden Gott, sondern stärker als liebenden, treuen Gott, der uns auch dann nah ist, wenn uns Böses widerfährt. Gott respektiert die Freiheit, die er uns gegeben hat, weil wir ihn nur so aus freien Stücken wiederlieben können.

Am besten errichten wir solche starren theologischen Systeme allerdings gar nicht erst, die es uns unmöglich machen, einfach auf Gottes Wort zu hören.

In 1. Mose 3 lesen wir, wie das erste Menschenpaar eine verbotene Frucht aß. Dies war der erste Schritt weg von Gott und seinem guten Plan. Wenn wir weiterlesen, ist bald von Mord und Rache die Rede (4,8.14.24). Schon im sechsten Kapitel der Bibel wird berichtet, wie das Böse die Oberhand gewann. Und so beschloss Gott, fast alles zu vernichten und neu anzufangen. Wir lesen von der Sintflut und dem Rettungsakt Gottes für Noah, dessen Familie und nur so vielen Vertretern der Tierwelt, wie in ein Schiff passen.

Was ist schief gelaufen?

Ursprünglich war die Welt »gut«, sogar »sehr gut« (1. Mose 1,10.31). Dann wurde durch den Sündenfall des ersten Menschenpaares vieles zerstört. Das Abbild Gottes wurde verzerrt. Zwischen Mann und Frau, Mensch und Mitmensch, Gärtner und Garten und vor allem zwischen Menschen und Gott bestand jetzt ein Zustand des ständigen Kampfes. Langsam verschlechterte sich die Lage, bis Gott beschloss, durch die Sintflut einen neuen Anfang zu machen. Aber auch das ging nicht lange gut und Gott verwirrte die Sprachen der Menschen, so dass diese in die weite Welt zerstreut wurden (»Babel-Geschichte« – 1. Mose 11).

Sollen wir diese Geschichten alle als historische Berichte lesen? Für manche Ausleger ist nichts wichtiger, als darauf zu bestehen, dass diese Texte wortwörtlich weitergeben, was damals geschah. Andere meinen, es gehe nur um die Bedeutung der Geschichte. Der Text wird dann als eine Erzählung verstanden, deren Geschichtlichkeit nicht wichtig ist. Oft wird behauptet, die Tierwelt führe schon seit Milliarden von Jahren einen Überlebenskampf. Es könne also kaum sein, dass alle im Garten friedlich zusammengelebt hätten, ehe die Menschen von der verbotenen Frucht aßen. Diese Ausleger behaupten, dass die ersten elf Kapitel der Bibel eher als Bildersprache und mythologische »Erklärungsgeschichten« verstanden werden sollten. Die Wahrheiten, die sie vermittelten, seien nicht so sehr »geschichtliche Tatsachen« als vielmehr Hinweise darauf, wie wir das Schicksal der Welt verstehen sollen.

Ist also die Geschichtlichkeit oder die Bedeutung wichtig? Beides! Irgendwie ist die Welt anders geworden, als Gott ursprünglich geplant hatte. Etwas ist im Lauf der Geschichte geschehen, was den Unterschied ausmachte. 1. Mose 3 erklärt, wie das geschehen ist. Aber das Ziel dieses Berichts ist, dass wir die Lektionen der Geschichte lernen und nicht nur an der Frage der Historizität hängen bleiben. Die Geschichten sind nicht erfunden, sondern Tatsachenberichte. Doch sie sind noch mehr als das: Sie erklären, wie die Welt so geworden ist, wie sie ist. Und sie geben uns Hinweise darauf, wie auch wir selbst manchmal von Gottes guten Absichten und Zielen abweichen.

An einigen Bibelstellen können wir sehen, dass die Versuchung aus dem Garten immer wiederkehrt, sogar oft mit drei ähnlichen Elementen. Eva stellte fest, dass es

1. köstlich wäre, von dem Baum zu essen,

2. dass der Baum eine Augenweide war und

3. dazu verlockte, klug zu werden (1. Mose 3,6; Einheitsübersetzung). Spätere Stellen zeigen, dass Israel in der Wüste ähnlichen Versuchungen ausgesetzt war und sie oft nicht bestand. Auch wir werden, parallel dazu, vor allem gewarnt, was in der Welt ist, die Begierde des Fleisches, die Begierde der Augen und das Prahlen mit dem Besitz (1. Johannes 2,16; Einheitsübersetzung). Die Versuchung von Jesus in der Wüste zeigt ebenfalls Parallelen: Er wurde versucht, aus Steinen Brot zu machen, Gott auf die Probe zu stellen und durch einen Schritt des Ungehorsams gegen Gott alle Reiche der Welt zu erlangen (Matthäus 4,1–11). So schreibt der Verfasser des Hebräerbriefes: [Jesus] wurde ja genau wie wir auf die Probe gestellt – aber er blieb ohne Sünde (Hebräer 4,15). Jesus wurde genauso versucht wie Adam und Eva, wie das Volk Gottes im Alten Testament und wie die Gläubigen im Neuen Testament.

 

Es ist wichtig, dass wir aus der Geschichte des Sündenfalls lernen, was dieses Ereignis uns über Gott und seine Welt lehrt (und was nicht).

• Gott schuf eine gute Welt, aber diese Welt blieb nicht gut. Es gibt zwar noch viel Gutes, aber auch Böses und Zerstörendes, das die Güte Gottes blockiert.

• Wir wurden beauftragt, Verwalter Gottes zu sein, Miterschaffende und Mitgestaltende der Geschichte. Diese Texte lehren uns, warum das notwendig ist, und auch, warum es so schwierig ist: Es ist notwendig, weil auf dieser Erde nicht alles im Einklang mit dem Willen Gottes geschieht. Und es ist schwierig, weil auch wir damit zu kämpfen haben, nach seinem Willen zu leben.

• Die Versuchung, den Willen Gottes zu missachten, kam von außerhalb des Menschen. In 1. Mose 3 ist die Rede von einer Schlange. An anderen Stellen lesen wir von einem Drachen, dem Teufel, von Satan dem Ankläger (zum Beispiel Offenbarung 12,8–10). In der Bibel wird deutlich: Die Menschen werden nicht nur von innen, von ihren eigenen Gedanken geleitet. Gott versucht, uns zu führen – ein übernatürlicher Gegner Gottes versucht dasselbe.

• Sünde hat Auswirkungen – gravierende Auswirkungen. Aber es ist nicht alles zu Ende, wenn Menschen den Plan Gottes über den Haufen werfen. Gott ist ein treuer Gott und er baut Brücken für den Weg zurück. Niemals hört er auf, Menschen einzuladen, auf den richtigen Weg zurück zu finden.