Autobiografie von Alice B.Toklas

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Kapitel Drei: Gertrude Stein in Paris 1903–1907

Während Gertrude Steins letzten beiden Jahre an der Johns Hopkins Medical School, Baltimore, 1900–1903, lebte ihr Bruder in Florenz. Dort hörte er von einem Maler namens Cézanne und sah Bilder von ihm die Charles Loesser gehörten. Als er und seine Schwester sich im folgenden Jahr in Paris niederließen gingen sie zu Vollard dem einzigen Gemäldehändler der Cézannes zu verkaufen hatte, um diese anzusehen.

Vollard war ein großer dunkelhaariger Mann der ein wenig lispelte. Sein Laden war in der Rue Lafitte nicht weit vom Boulevard. Etwas weiter diese kurze Straße entlang war Durand-Ruel und noch etwas weiter fast an der Kirche der Märtyrer war Sagot der ehemalige Clown. Weiter oben in Montmartre in der Rue Victor Massé war Mademoiselle Weil die ein Sammelsurium aus Bildern, Büchern und Nippes verkaufte und in einem ganz anderen Teil von Paris in der Rue Faubourg Saint-Honoré war der ehemalige Cafébesitzer und Fotograf Druet. Ebenfalls in der Rue Lafitte war die Konditorei Fouquet wo man sich mit köstlichen Honigkuchen und Nusspralinen trösten und sich hin und wieder anstatt eines Bildes Erdbeermarmelade im Glas kaufen konnte.

Der erste Besuch bei Vollard hat einen unauslöschlichen Eindruck bei Gertrude Stein hinterlassen. Es war ein unglaublicher Ort. Er sah nicht aus wie eine Gemäldegalerie. Im Inneren waren einige Bilder zur Wand gekehrt, in einer Ecke war ein kleiner Haufen großer und kleiner Bilder in heillosem Durcheinander eins auf das andere geworfen, in der Mitte des Raumes stand ein großer dunkelhaariger Mann mit trauriger Miene. Das war der heitere Vollard. Wenn er wirklich trübsinnig war lehnte er seine riesige Gestalt gegen die Glastür die auf die Straße führte, die Arme über dem Kopf, eine Hand auf jeder oberen Ecke des Türrahmens und blickte mit trauriger Miene in die Straße. Niemand wagte dann einzutreten.

Sie baten Cézannes sehen zu dürfen. Er sah weniger düster aus und wurde ziemlich höflich. Wie sie später herausfanden war Cézanne für Vollard die große Liebe seines Lebens. Der Name Cézanne war für ihn ein Zauberwort. Er hatte von Cézanne zuerst durch Pissarro den Maler gehört. Pissarro war in der Tat der Mann durch den alle frühen Cézanne-Liebhaber von Cézanne erfuhren. Cézanne lebte damals traurig und verbittert in Aix-en-Provence. Pissarro erzählte Vollard von ihm, erzählte Fabry, einem Florentiner, der es Loesser erzählte, erzählte Picabia, erzählte tatsächlich allen von ihm die damals von Cézanne wussten.

Da waren Cézannes bei Vollard zu sehen. Später schrieb Gertrude Stein ein Gedicht mit dem Titel Vollard and Cézanne, und Henry McBride veröffentlichte es in der New York Sun. Das war das erste flüchtig hingeworfene Werk von Gertrude Stein das so veröffentlicht wurde und es bereitete beiden ihr und Vollard große Freude. Als Vollard später sein Buch über Cézanne schrieb, schickte Vollard auf Gertrude Steins Vorschlag hin ein Exemplar des Buches an Henry McBride. Sie erzählte Vollard dass eine ganze Seite einer der großen New Yorker Tageszeitungen diesem Buch gewidmet sein würde. Er hielt es nicht für möglich, so etwas war noch keinem in Paris geschehen. Es geschah und er war tief bewegt und unaussprechlich glücklich. Doch zurück zu jenem ersten Besuch.

Sie sagten Monsieur Vollard sie wollten einige Cézanne-Landschaften sehen, sie seien von Herrn Loesser aus Florenz zu ihm geschickt worden. Oh, ja, sagte Vollard und sah ziemlich heiter aus und er fing an im Raum herumzuräumen, schließlich verschwand er hinter einer Trennwand im Hintergrund und man hörte ihn schwerfällig Stufen hinaufgehen. Nach ziemlich langem Warten kam er wieder herunter und hatte ein winziges Bild von einem Apfel in der Hand wobei der größte Teil der Leinwand unbemalt war. Sie alle betrachteten es eingehend, dann sagten sie, ja aber wissen Sie eigentlich wollten wir eine Landschaft sehen. Ah ja, seufzte Vollard und er sah noch heiterer aus, kurz darauf verschwand er wieder und kam diesmal zurück mit einem Gemälde von einem Rücken, es war ein wunderbares Gemälde daran besteht kein Zweifel aber der Bruder und die Schwester wussten Cézannes Akte noch nicht in vollem Umfang zu schätzen und so machten sie einen weiteren Vorstoß. Sie wollten eine Landschaft sehen. Dieses Mal kam er nach noch längerem Warten mit einer sehr großen Leinwand und einem sehr kleinen Fragment einer Landschaft darauf zurück. Ja das sei es, sagten sie, eine Landschaft aber was sie wollten sei eine kleinere Leinwand aber eine ganz und gar bemalte. Sie sagten, sie glaubten sie würden gern eine sehen wie diese. Um diese Zeit brach der frühe Pariserische Winterabend herein und genau in diesem Augenblick kam eine sehr betagte Putzfrau dieselbe hintere Treppe herunter, murmelte, bon soir monsieur et madame und ging leise aus der Tür, kurz darauf kam eine weitere alte Putzfrau dieselbe Treppe herunter, murmelte, bon soir messieurs et mesdames und ging leise aus der Tür. Gertrude Stein begann zu lachen und sagte zu ihrem Bruder, es ist alles Unsinn, es gibt keinen Cézanne. Vollard geht nach oben und sagt diesen alten Frauen was sie malen sollen und er versteht uns nicht und sie verstehen ihn nicht und sie malen etwas und er bringt es herunter und es ist ein Cézanne. Sie beide begannen hemmungslos zu lachen. Dann fassten sie sich wieder und erklärten noch einmal was mit der Landschaft gemeint war. Sie sagten was sie suchten sei eine jener herrlich gelben sonnigen Aix-Landschaften von denen Loesser einige Exemplare habe. Wieder verschwand Vollard und dieses Mal kam er mit einer wundervollen kleinen grünen Landschaft zurück. Sie war schön, sie bedeckte die ganze Leinwand, sie kostete nicht viel und sie kauften sie. Später erklärte Vollard allen er sei von zwei verrückten Amerikanern besucht worden und sie hätten gelacht und er sei sehr verärgert gewesen er habe aber allmählich herausgefunden dass sie wenn sie am meisten lachten gewöhnlich etwas kauften also wartete er natürlich bis sie lachten.

Von da an gingen sie ständig zu Vollard. Sie hatten schon bald das Privileg seine Haufen von Bildern zu durchstöbern und aus dem Haufen herauszusuchen was ihnen gefiel. Sie kauften einen winzig kleinen Daumier, den Kopf einer alten Frau. Sie begannen sich für Cézannes Akte zu interessieren und sie kauften schließlich zwei winzige Bilder mit Gruppen von Nackten. Sie fanden einen sehr sehr kleinen Manet gemalt in Schwarz und Weiß mit Forain im Vordergrund und kauften ihn, sie fanden zwei winzig kleine Renoirs. Sie kauften häufig zwei auf einmal denn einer von ihnen mochte gewöhnlich eins mehr als der andere, und so verging das Jahr. Im Frühling kündigte Vollard eine Gauguin-Ausstellung an und sie sahen zum ersten Mal einige Gauguins. Sie waren ziemlich schrecklich aber schließlich mochten sie sie, und kauften zwei Gauguins. Gertrude Stein mochte seine Sonnenblumen aber nicht seine Figuren und ihr Bruder zog die Figuren vor. Das klingt heute nach einem guten Geschäft aber damals kosteten diese Dinge nicht viel. Und so verging der Winter.

Nicht viele Leute gingen bei Vollard ein und aus aber einmal hörte Gertrude Stein dort ein Gespräch das ihr ungeheuer gefiel. Duret war eine bekannte Persönlichkeit in Paris. Er war jetzt ein sehr alter und ein sehr schöner Mann. Er war ein Freund von Whistler gewesen, Whistler hatte ihn im Frack gemalt mit einem weißen Operncape über dem Arm. Er war bei Vollard und sprach mit einer Gruppe junger Männer und einer von ihnen Roussel, einer von der Vuillard, Bonnard, der postimpressionistischen Gruppe, beklagte sich über die fehlende Anerkennung seiner selbst und seiner Freunde, dass man ihnen nicht einmal gestatte im Salon auszustellen. Duret sah ihn gütig an, mein Freund, sagte er, es gibt zwei Arten von Kunst, vergessen Sie das nie, es gibt Kunst und es gibt offizielle Kunst. Wie können Sie, mein armer junger Freund, hoffen offizielle Kunst zu sein. Betrachten Sie sich doch nur selbst. Angenommen eine wichtige Persönlichkeit käme nach Frankreich, und wollte die repräsentativen Maler kennenlernen und sich porträtieren lassen. Mein lieber junger Freund, betrachten Sie sich doch nur selbst, Ihr bloßer Anblick würde sie erschrecken. Sie sind ein netter junger Mann, freundlich und intelligent, aber der wichtigen Persönlichkeit würden Sie nicht so vorkommen, würden Sie schrecklich erscheinen. Nein sie brauchen als repräsentativen Maler einen mittelgroßen, etwas untersetzten Mann, nicht zu gut gekleidet aber gekleidet wie es unter seinesgleichen Mode ist, weder kahlköpfig noch mit sorgfältig gekämmtem Haar und zu alledem eine respektvolle Verbeugung. Sie sehen selbst dass Sie dem nicht entsprechen. Also sagen Sie nie wieder ein Wort über offizielle Anerkennung es sei denn Sie schauen in den Spiegel und denken an wichtige Persönlichkeiten. Nein, mein lieber junger Freund es gibt Kunst und es gibt offizielle Kunst, die hat es immer gegeben und wird es immer geben.

Bevor der Winter vorüber war, nachdem sie so weit gegangen waren beschlossen Gertrude und ihr Bruder noch weiter zu gehen, sie beschlossen einen großen Cézanne zu kaufen und dann wollten sie aufhören. Danach wollten sie vernünftig sein. Sie überzeugten ihren älteren Bruder dass diese letzte Ausgabe notwendig sei, und sie war notwendig wie sich bald erweisen sollte. Sie sagten Vollard dass sie ein Cézanne-Porträt kaufen wollten. In jenen Tagen waren praktisch noch keine Cézanne-Porträts verkauft worden. Vollard besaß sie nahezu alle. Er war ungeheuer erfreut über ihren Entschluss. Sie wurden jetzt in den Raum geführt die Stufen hinauf hinter die Trennwand wo wie Gertrude Stein überzeugt gewesen war die alte Putzfrau die Cézannes malte und dort verbrachten sie ganze Tage damit sich zu entscheiden welches Porträt sie haben wollten. Es gab ungefähr acht zur Auswahl und die Entscheidung war schwer. Sie mussten oft gehen und sich stärken an Honigkuchen bei Fouquet. Schließlich verringerten sie die Auswahl auf zwei, ein Porträt eines Mannes und ein Porträt einer Frau, aber dieses Mal konnten sie es sich nicht leisten zwei auf einmal zu kaufen und schließlich wählten sie das Porträt der Frau.

 

Vollard sagte natürlich ein Porträt von einer Frau sei gewöhnlich immer teurer als ein Porträt von einem Mann aber, sagte er und sah das Bild sehr genau an, ich denke bei Cézanne macht es keinen Unterschied. Sie stellten es in eine Droschke und sie fuhren damit nach Hause. Es war dieses Bild von dem Alfy Maurer zu erklären pflegte es sei fertig und man könne sagen dass es fertig sei weil es einen Rahmen habe.

Es war ein wichtiger Kauf, denn indem sie dieses Bild ansah und immer wieder ansah schrieb Gertrude Stein Three Lives.

Sie hatte kurz davor begonnen als literarische Übung Flauberts Trois Contes zu übersetzen und dann hatte sie diesen Cézanne und sie sah ihn an und von ihm angeregt schrieb sie Three Lives.

Das nächste Ereignis geschah im Herbst. Es war das erste Jahr des Herbstsalons, des ersten Herbstsalons der je existierte in Paris und sie gingen, sehr erwartungsvoll und aufgeregt, hin ihn zu sehen. Dort fanden sie Matisses Bild später bekannt als La Femme au Chapeau.

Dieser erste Herbstsalon war ein Schritt in Richtung einer offiziellen Anerkennung der Außenseiter des Salon des Indépendants. Ihre Bilder sollten im Petit Palais gegenüber dem Grand Palais gezeigt werden wo der große Frühlingssalon stattfand. Das heißt, diejenigen Außenseiter sollten dort gezeigt werden die erfolgreich genug waren dass sie bereits in bedeutenden Galerien verkauft wurden. Diese hatten in Zusammenarbeit mit einigen Rebellen aus den alten Salons den Herbstsalon ins Leben gerufen.

Die Ausstellung hatte viel Frische und war nicht beunruhigend. Da waren eine ganze Anzahl reizvoller Bilder aber da war eins das nicht reizvoll war. Es machte das Publikum wütend, sie versuchten die Farbe abzukratzen.

Gertrude Stein mochte das Bild, es war das Porträt einer Frau mit einem langen Gesicht und einem Fächer. Es war sehr sonderbar in seinen Farben und in seiner Struktur. Sie sagte sie wolle es kaufen. Ihr Bruder hatte inzwischen eine weiß gekleidete Frau auf einem grünen Rasen entdeckt und er wollte es kaufen. So beschlossen sie wie gewöhnlich beide zu kaufen und sie gingen zum Büro des Sekretärs des Salons um sich nach den Preisen zu erkundigen. Sie waren noch nie in dem kleinen Raum eines Sekretärs eines Salons gewesen und es war sehr aufregend. Der Sekretär schlug die Preise in seinem Katalog nach. Gertrude Stein hat vergessen was es kostete und sogar wem es gehörte, das weiße Kleid mit Hund auf dem grünen Gras, aber der Matisse kostete fünfhundert Francs. Der Sekretär erklärte, dass man natürlich nie das bezahle was der Künstler verlange, man schlage einen Preis vor. Sie fragten welchen Preis sie vorschlagen sollten. Er fragte sie was sie bereit seien zu zahlen. Sie sagten sie wüssten es nicht. Er schlug vor sie sollten vierhundert anbieten und er würde ihnen Bescheid geben. Sie willigten ein und gingen.

Am nächsten Tag bekamen sie Nachricht vom Sekretär dass Monsieur Matisse sich geweigert habe das Angebot anzunehmen und was sie nun zu tun gedächten. Sie beschlossen hinüberzugehen zum Salon und das Bild noch einmal anzusehen. Sie taten es. Die Leute lachten schallend über das Bild und kratzten daran herum. Gertrude Stein konnte nicht verstehen weshalb, das Bild erschien ihr ganz natürlich. Das Cézanne-Porträt war ihr nicht natürlich erschienen es hatte einige Zeit gedauert bis es ihr natürlich vorkam aber dieses Bild von Matisse erschien ihr vollkommen natürlich und sie konnte nicht verstehen warum es alle wütend machte. Ihr Bruder war weniger davon angezogen aber trotzdem stimmte er zu und sie kauften es. Daraufhin ging sie zurück um es zu betrachten und es betrübte sie zu sehen wie sich alle darüber lustig machten. Es kränkte und ärgerte sie weil sie nicht verstand warum weil es für sie so richtig war, genauso wie sie später nicht verstand warum man sich wo doch das Schreiben so klar und natürlich war darüber lustig machte und empört war über ihre Arbeit.

Und dies war also die Geschichte des Kaufs von La Femme au Chapeau aus der Sicht der Käufer und nun die Geschichte aus der Sicht des Verkäufers wie Monsieur und Madame Matisse sie einige Monate später erzählten. Kurz nach dem Erwerb des Bildes wollten alle einander treffen. Ob Matisse schrieb und darum bat oder ob sie schrieben und darum baten erinnert Gertrude Stein nicht mehr. Jedenfalls kannten sie einander bald darauf und kannten einander sehr gut.

Die Matisses wohnten am Quai ganz in der Nähe des Boulevard Saint-Michel. Sie waren im obersten Stockwerk in einer Dreizimmerwohnung mit einem herrlichen Blick über Notre-Dame und den Fluss. Matisse malte ihn im Winter. Man stieg und stieg die Stufen hinauf. Damals stieg man ständig Treppen hinauf und Treppen hinab. Mildred Aldrich hatte eine erschreckende Art ihren Schlüssel mitten im Treppenhaus hinunterfallen zu lassen wo ein Fahrstuhl hätte sein können, wenn sie jemandem unten, von ihrem sechsten Stock aus, Lebewohl zurief und dann musste man oder sie den ganzen Weg hinaufgehen oder den ganzen Weg wieder hinuntergehen. Zwar rief sie dann, keine Sorge, ich breche meine Tür auf. Nur Amerikaner taten das. Die Schlüssel waren schwer und entweder vergaß man sie oder man ließ sie fallen. Sayen sagte am Ende eines Pariser Sommers wenn man ihn beglückwünschte dass er so wohl und sonnengebräunt aussah, ja, das kommt vom Treppen hinauf- und hinuntersteigen.

Madame Matisse war eine wundervolle Hausfrau. Ihr Heim war klein aber makellos. Sie hielt das Haus in Ordnung, sie war eine ausgezeichnete Köchin und Ernährerin, sie saß Matisse für all seine Bilder. Es war sie, die La Femme au Chapeau war, die Dame mit Hut. Sie hatte ein kleines Hutmachergeschäft betrieben um sie alle in ihrer schwierigsten Zeit über Wasser zu halten. Sie war eine sehr aufrechte dunkelhaarige Frau mit einem langen Gesicht und einem festen vollen lose hängenden Mund wie ein Pferd. Sie hatte eine Fülle schwarzen Haars. Gertrude Stein mochte immer die Art mit der sie ihren Hut an ihrem Kopf feststeckte und Matisse machte einmal eine Zeichnung von seiner Frau wie sie diese ihr eigene Geste machte und schenkte sie Miss Stein. Sie trug immer Schwarz. Sie hielt immer eine große schwarze Haarnadel genau über die Mitte des Hutes und über die Mitte ihres Kopfes und dann mit einer großen festen Geste, hinein damit. Sie hatten eine Tochter von Matisse bei sich, eine Tochter die er vor seiner Ehe gehabt hatte und die Diphtherie gehabt hatte und eine Operation gehabt hatte und viele Jahre ein schwarzes Band um ihren Hals tragen musste mit einem Silberknopf. Dies verwandte Matisse in vielen seiner Bilder. Das Mädchen war genau wie ihr Vater und Madame Matisse tat, wie sie einmal in ihrer melodramatisch einfachen Weise erklärte, mehr als ihre Pflicht gegenüber diesem Kind weil sie nachdem sie in ihrer Jugend einen Roman gelesen hatte in dem die Heldin so gehandelt hatte und folglich ihr Leben lang sehr geliebt worden war, beschlossen hatte das Gleiche zu tun. Sie selbst hatte zwei Jungen gehabt aber keiner von beiden lebte damals bei ihnen. Der jüngere Pierre war im Süden von Frankreich an der spanischen Grenze bei Madame Matisses Vater und Mutter, und der ältere Jean bei Monsieur Matisses Vater und Mutter im Norden von Frankreich an der belgischen Grenze.

Matisse hatte eine erstaunliche männliche Ausstrahlung die einem immer wieder außerordentliche Freude bereitete wenn man ihn länger nicht gesehen hatte. Weniger wenn man ihn zum ersten Mal sah als später. Und man verlor nicht diese Freude an seiner männlichen Ausstrahlung solange man mit ihm zusammen war. Aber er hatte bei aller männlichen Ausstrahlung nicht viel fürs Leben übrig. Madame Matisse war sehr anders, sie hatte für jeden der sie kannte sehr viel fürs Leben übrig.

Matisse hatte damals einen kleinen Cézanne und einen kleinen Gauguin und er sagte er brauche beide. Der Cézanne war mit der Mitgift seiner Frau erworben, der Gauguin mit dem Ring der das einzige Schmuckstück war das sie jemals besaß. Und sie waren glücklich denn er brauchte diese beiden Bilder. Der Cézanne war ein Bild von Badenden und einem Zelt, der Gauguin der Kopf eines Knaben. Später im Leben als Matisse ein sehr reicher Mann wurde, kaufte er weiter Bilder. Er sagte er kenne sich aus mit Bildern und habe Vertrauen in sie und er kenne sich nicht aus in anderen Dingen. Und so kaufte er zu seinem eigenen Vergnügen und als bestes Erbe für seine Kinder Cézannes. Picasso kaufte auch später als er reich wurde Bilder nur waren es seine eigenen. Er glaubte ebenfalls an Bilder und will seinem Sohn das allerbeste Erbe hinterlassen und so behält und kauft er seine eigenen.

Die Matisses hatten eine harte Zeit gehabt. Matisse war als junger Mann nach Paris gekommen um Pharmazie zu studieren. Seine Angehörigen waren kleine Getreidehändler im Norden von Frankreich. Er hatte Interesse an Malerei gefunden, hatte angefangen die Poussins im Louvre zu kopieren und war Maler eher gegen den Willen seiner Angehörigen die ihm aber weiter die sehr kleine monatliche Summe gewährten die er als Student gehabt hatte. Seine Tochter wurde damals geboren und das machte sein Leben noch schwieriger. Er hatte zunächst einen gewissen Erfolg. Er heiratete. Unter dem Einfluss der Malerei von Poussin und Chardin hatte er Stillleben gemalt die einen beachtlichen Erfolg im Champ-de-Mars-Salon hatten, einem der beiden großen Frühjahrssalons. Und dann geriet er unter den Einfluss Cézannes, und dann unter den Einfluss von afrikanischen Skulpturen. All das formte den Matisse der Periode der Femme au Chapeau. Im Jahr nach seinem beträchtlichen Erfolg im Salon malte er den Winter über ein sehr großes Bild von einer den Tisch deckenden Frau und auf dem Tisch war eine herrliche Schale mit Obst. Es hatte das Budget der Matisse-Familie belastet dieses Obst zu kaufen, Obst war in jenen Tagen schrecklich teuer in Paris, sogar gewöhnliches Obst, man stelle sich vor wie viel teurer dieses sehr außergewöhnliche Obst war und es musste sich halten bis das Bild fertig war und das Bild würde lange Zeit brauchen. Um es so lange wie möglich frisch zu halten hielten sie den Raum so kühl wie möglich, und das war unter dem Dach und in einem Pariser Winter nicht schwierig, und Matisse malte in Mantel und Handschuhen und er malte daran den ganzen Winter. Es wurde endlich fertig und zum Salon geschickt wo Matisse im Jahr davor beträchtlichen Erfolg gehabt hatte, und dort wurde es abgelehnt. Und jetzt fingen Matisses ernste Probleme an, seine Tochter war sehr krank, er führte einen qualvollen geistigen Kampf um sein Werk, und er hatte jede Möglichkeit verloren seine Bilder zu zeigen. Er malte nicht länger zu Hause sondern in einem Atelier. Es war billiger so. Jeden Morgen malte er, jeden Nachmittag arbeitete er an seiner Skulptur, spät an jedem Nachmittag zeichnete er in den Klassen für Aktzeichnen, und jeden Abend spielte er auf seiner Geige. Das waren sehr dunkle Tage und er war sehr verzweifelt. Seine Frau eröffnete ein kleines Hutmachergeschäft und sie konnten davon leben. Die beiden Jungen wurden fortgeschickt aufs Land zu seiner und ihrer Familie und so ging das Leben für sie weiter. Die einzige Ermutigung erfuhr er im Atelier wo er arbeitete und wo viele junge Männer sich um ihn zu versammeln begannen und von ihm beeinflusst wurden. Unter ihnen war der bekannteste damals Manguin, der bekannteste heute Derain. Derain war damals ein sehr junger Mann, er bewunderte Matisse außerordentlich, er fuhr mit ihnen aufs Land nach Collioure nahe Perpignan, und er war ein großer Trost für sie alle. Er begann Landschaften zu malen wobei er seine Bäume rot umriss und er hatte ein Raumgefühl das nur ihm eigen war und das sich zum ersten Mal in einer Landschaft zeigte mit einem Karren der einen Weg hinauffährt der von rotumrandeten Bäumen gesäumt ist. Seine Bilder wurden allmählich bei den Indépendants bekannt.

Matisse arbeitete jeden Tag und jeden Tag und jeden Tag und er arbeitete schrecklich hart. Einmal besuchte Vollard ihn. Matisse erzählte immer gern die Geschichte. Ich habe ihn sie oft erzählen hören. Vollard kam und sagte er wolle das große Bild sehen das abgewiesen worden sei. Matisse zeigte es ihm. Er sah es nicht an. Er sprach mit Madame Matisse und hauptsächlich über Kochen, er liebte Kochen und Essen wie ein echter Franzose, und das tat auch sie. Matisse und Madame Matisse wurden beide sehr nervös auch wenn sie es nicht zeigten. Und diese Tür, sagte Vollard interessiert zu Matisse, wohin führt die, führt sie in den Hof oder führt sie ins Treppenhaus. In den Hof, sagte Matisse. Ah ja, sagte Vollard. Und dann ging er.

 

Die Matisses verbrachten ganze Tage diskutierend ob da irgendetwas Symbolisches in Vollards Frage war oder ob es pure Neugier war. Vollard empfand aber nie irgendwelche pure Neugier, er wollte immer wissen was alle über alles dachten weil er auf diese Weise herausfand was er selber dachte. Das war allseits bekannt und deshalb fragten die Matisses einander und all ihre Freunde, warum stellte er diese Frage über diese Tür. Auf jeden Fall hatte er noch im selben Jahr das Bild zu einem sehr niedrigen Preis gekauft aber er kaufte es, und er stellte es beiseite und niemand sah es, und das war das Ende davon.

Von diesem Zeitpunkt an erging es Matisse weder besser noch schlechter und er war entmutigt und aggressiv. Dann kam der erste Herbstsalon und er wurde aufgefordert auszustellen und er schickte La Femme au Chapeau und es wurde gehängt. Es wurde verspottet und angegriffen und es wurde verkauft.

Matisse war damals ungefähr fünfunddreißig Jahre alt, er war deprimiert. Nachdem er am Tag der Eröffnung zum Salon gegangen war und gehört hatte was über sein Bild gesagt wurde und gesehen was man versuchte diesem anzutun ging er nie wieder hin. Seine Frau ging allein. Er blieb zu Hause und war unglücklich. Auf diese Weise pflegte Madame Matisse die Geschichte zu erzählen.

Dann kam vom Sekretariat des Salons eine Nachricht die besagte dass ein Angebot gemacht worden sei für das Bild, ein Angebot von vierhundert Francs. Matisse malte gerade Madame Matisse als Zigeunerin die eine Gitarre hielt. Diese Gitarre hatte eine Vorgeschichte. Madame Matisse erzählte mit Vorliebe die Geschichte. Sie hatte viel zu tun und sie saß ihm außerdem, und sie war sehr gesund und schläfrig. Eines Tages saß sie ihm, er malte, sie begann einzunicken und als sie einnickte machte die Gitarre Geräusche. Hör auf, sagte Matisse, wach auf. Sie wachte auf, er malte, sie nickte ein und die Gitarre machte Geräusche. Hör auf, sagte er, wach auf. Sie wachte auf und dann nach kurzer Zeit während sie wieder einnickte machte die Gitarre sogar noch mehr Geräusche. Matisse ergriff wütend die Gitarre und zerbrach sie. Und fügte Madame Matisse reuevoll hinzu, wir taten uns damals sehr schwer und wir mussten sie reparieren lassen damit er weiter an seinem Bild malen konnte. Sie hielt gerade dieselbe reparierte Gitarre und saß ihm als die Nachricht vom Sekretär des Herbstsalons eintraf. Matisse war froh, natürlich werde ich akzeptieren, sagte Matisse. Oh nein, sagte Madame Matisse, wenn diese Leute (ces gens) interessiert genug sind ein Angebot zu machen sind sie auch interessiert genug den Preis zu zahlen den du gefordert hast, und sie fügte hinzu, die Differenz würde Winterkleider für Margot ergeben. Matisse zögerte war aber am Ende überzeugt und sie schickten eine Nachricht die besagte er fordere seinen Preis. Nichts geschah und Matisse war in einer schrecklichen Verfassung und sehr vorwurfsvoll und dann nach ein oder zwei Tagen als Madame Matisse ihm wieder saß mit der Gitarre und Matisse malte, brachte Margot ihnen ein kleines blaues Telegramm. Matisse öffnete es und er verzog das Gesicht. Madame Matisse war entsetzt, sie dachte das Schlimmste sei geschehen. Die Gitarre fiel herunter. Was ist denn, sagte sie. Sie haben es gekauft, sagte er. Warum machst du so ein gequältes Gesicht und erschrickst mich so und zerbrichst vielleicht die Gitarre, sagte sie. Ich habe dir zugezwinkert, sagte er, um es dir zu sagen, weil ich so bewegt war dass ich nicht sprechen konnte.

Und daran, pflegte Madame Matisse die Geschichte triumphierend abzuschließen, können Sie sehen ich war es, und ich hatte recht auf dem ursprünglichen Preis zu bestehen, und Mademoiselle Gertrude, die darauf bestand es zu kaufen, die die ganze Sache arrangierte.

Die Freundschaft mit den Matisses wuchs rasch. Matisse arbeitete damals an seiner ersten großen dekorativen Komposition, Le Bonheur de Vivre. Er machte kleine und größere und sehr große Studien dazu. Es war in diesem Bild dass Matisse erstmals klar seine Absicht erkannte die Zeichnung des menschlichen Körpers zu verformen um die Farbwerte aller einfachen nur mit Weiß gemischten Farben zu harmonisieren und zu intensivieren. Er benutzte seine verzerrte Zeichnung wie eine Dissonanz in der Musik benutzt wird oder wie Essig oder Zitronen benutzt werden beim Kochen oder Eierschalen im Kaffee um ihn zu klären. Ich nehme zwangsläufig meine Vergleiche aus der Küche denn ich liebe Essen und Kochen und verstehe etwas davon. Jedenfalls war das der Gedanke. Cézanne war notgedrungen zu seiner Unfertigkeit und Verzerrung gekommen, Matisse tat es absichtlich.

Nach und nach begannen die Leute in die Rue de Fleurus zu kommen um die Matisses und die Cézannes zu sehen, Matisse brachte Leute mit, jeder brachte irgendjemanden mit, und sie kamen zu jeder Zeit und es begann eine Plage zu werden, und auf diese Weise begannen die Samstagabende. Es war auch zu dieser Zeit dass Gertrude Stein sich angewöhnte nachts zu schreiben. Erst nach elf Uhr konnte sie sicher sein dass keiner mehr an die Ateliertür klopfen würde. Sie plante damals ihr langes Buch, The Making of Americans, sie kämpfte mit ihren Sätzen, jenen langen Sätzen die so exakt ausgeführt werden mussten. Sätze nicht nur Worte sondern Sätze und immer wieder Sätze sind Gertrude Steins lebenslange Leidenschaft gewesen. Und so hatte sie damals und es hielt gut und gern bis zum Krieg an, der so viele Gewohnheiten zum Erliegen brachte, sie hatte damals die Gewohnheit ihre Arbeit um elf Uhr nachts zu beginnen und bis zur Morgendämmerung zu arbeiten. Sie sagte sie habe immer versucht aufzuhören bevor die Morgendämmerung allzu hell sei und die Vögel allzu lebendig seien weil es ein unangenehmes Gefühl sei dann zu Bett zu gehen. Da waren Vögel in vielen Bäumen hinter hohen Mauern in jenen Tagen, heute sind es weniger. Aber oft ertappten die Vögel und die Morgendämmerung sie und sie stand im Hof und wartete darauf sich daran zu gewöhnen bevor sie ins Bett ging. Sie hatte damals die Gewohnheit bis mittags zu schlafen und das Teppichklopfen im Hof, denn alle taten das in jenen Tagen, sogar ihr Haushalt tat es, war eines ihrer schlimmsten Ärgernisse.

So begannen also die Samstagabende.

Gertrude Stein und ihr Bruder waren oft bei den Matisses und die Matisses waren ständig bei ihnen. Madame Matisse lud sie gelegentlich zum Essen ein, das geschah meistens dann wenn irgendein Verwandter den Matisses einen Hasen schickte. Hasenpfeffer zubereitet von Madame Matisse à la Perpignan war etwas ganz Besonderes. Sie hatten auch außergewöhnlich guten Wein, ein wenig schwer, aber hervorragend. Sie hatten auch eine Art Madeira namens Roncio der wirklich sehr gut war. Maillol der Bildhauer stammte aus derselben Gegend Frankreichs wie Madame Matisse und einst als ich ihn bei Jo Davidson traf, viele Jahre später, erzählte er mir von all den Weinen. Er erzählte mir damals wie gut er in seiner Studentenzeit in Paris von fünfzig Francs im Monat gelebt habe. Nicht zu glauben, sagte er, die Familie schickte mir jede Woche hausgemachtes Brot und wenn ich kam brachte ich genug Wein mit für ein Jahr und ich schickte meine Wäsche jeden Monat nach Hause.

Derain war bei einem dieser Essen in jenen frühen Tagen anwesend. Er und Gertrude Stein stritten sich heftig. Sie diskutierten über Philosophie, er gründete seine Ansichten darauf dass er den zweiten Teil des Faust in französischer Übersetzung gelesen hatte während er seinen Militärdienst ableistete. Sie wurden nie Freunde. Gertrude Stein war nie interessiert an seiner Arbeit. Er hatte Raumgefühl aber für sie hatten seine Bilder weder Leben noch Tiefe noch Dichte. Sie sahen sich danach kaum noch. Derain war damals ständig bei den Matisses und war von allen Freunden Matisses derjenige den Madame Matisse am liebsten mochte.