Briefgeschichte(n) Band 1

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Georgetown, 18. Oktober 1991

Lieber Dr. Senf,

ihr Anruf war eine Überraschung, und wir freuten uns, dass Sie nun mit der Welt in Verbindung sind. In ein paar Jahren wird es zum täglichen Leben gehören. Haben Sie unterdessen die Photographien von Dover erhalten? Die Schwarz-Weiß-Photos der wachsenden Guenther-Fabrik? Sowie den ersten Teil meines 1945-Berichts?

Heute schicke ich Ihnen den zweiten Teil. Der Bruder meiner Frau war mit seiner Frau hier aus Hamburg für einige Wochen und wir unternahmen kleine Reisen mit ihnen in Kanada und den Staaten. Dadurch bin ich zu nichts gekommen und schreibe Ihnen erst heute.

Alles Gute Ihnen und Ihrer Familie

von Ulrich J. Und Gisela Sommer

Georgetown, 20. November 1991

Lieber Dr. Senf,

beiliegend eine weitere Fortsetzung meiner Nachkriegserinnerungen. Das Original habe ich vor einiger Zeit in der englischen Sprache verfasst, für unsere Freunde hier. Nun übersetze ich es ins Deutsche, was nicht ohne Schwierigkeiten abgeht. Haben Sie die zwei vorhergehenden Kapitel erhalten?

Wie geht es Ihnen in Ihrer neuen Arbeit? Ich erhielt einen Brief von Sybille und Wolfgang Martin (Sybille ist die jüngste Tochter meiner Patentante Jutta von Einsiedel). Dieser Brief war recht munter und optimistisch. Bisher leider keine Neuigkeiten aus Dover oder New York.

Wir wünschen Ihnen und Ihrer Familie ein frohes Weihnachten und ein, hoffentlich, gutes neues Jahr.

Ihr Ulrich und Gisela Sommer

Geithain, 01.12.91

Lieber Herr Sommer,

gestern erhielt ich Ihren Brief vom 20.11. d. M., zusammen mit den „Erinnerungen 1945“. Ich habe alles mit größtem Interesse gelesen. Das kurze Telefongespräch war ein echtes Erlebnis für mich. Nach Toronto! Und alles so einfach! Leider hatte ich die Zeitverschiebung nicht richtig beachtet, ich wollte Sie natürlich nicht zu nachtschlafener Zeit stören!

In meinem letzten Brief vom Juni teilte ich Ihnen mit, dass ich ab Juli beim Oberschulamt in Chemnitz eine neue Arbeit aufnehmen würde. Inzwischen habe ich mich dort gut eingearbeitet. Am Landratsamt Geithain entwickelte sich die Verwaltungsstruktur im Lauf des vergangenen Jahres, insbesondere auf den Gebieten Bildung, Kultur und Soziales in einer Weise, dass ich mit meinem eigentlichen Fachgebiet fast keine Berührung mehr gehabt hätte. Inzwischen ist auch die Strukturreform für das Land Sachsen in vollem Gange. Viele kleine Landkreise werden bis 1994 zu größeren Verwaltungseinheiten zusammengefasst. Der Kreis Geithain und Teile des Landkreises Leipzig kommen zum großen Kreis Borna mit zusammen ca. 130.000 Einwohnern.

Das Oberschulamt Chemnitz bildet mit den entsprechenden Ämtern in Leipzig und Dresden sozusagen die Mittelebene zwischen dem Sächsischen Kultusministerium und den Staatlichen Schulämtern in den Kreisen. Vieles ist auch hier noch im Fluss. So arbeiten wir gegenwärtig mit Hochdruck an der Schulnetzplanung für den Regierungsbezirk Chemnitz. Statt der bisherigen Schulen (im Wesentlichen die Polytechnischen Oberschulen mit den Klassenstufen 1 bis 10, die sog. Erweiterten Oberschulen, die zum Abitur führen und die Berufsschulen) wird es ab dem nächsten Schuljahr Grundschulen (Kl. 1 – 4), Mittelschulen (Kl. 5 – 10) und Gymnasien (Kl. 5 – 12) geben. Das System der Berufsschulen wird sehr viel differenzierter sein als bisher. Nun geht es im Prinzip darum, welche Schulart wo mit wieviel Klassen eingerichtet wird. Sie können sich denken, dass Interessen von Eltern (kleiner Schulweg, vielseitiges Bildungsangebot) mit Staatsinteressen (Bildung muss finanzierbar sein) nicht selten kollidieren. Ich bin in der Abteilung II unseres Amtes als Referent für den mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht an den Gymnasien tätig. Man könnte alles mit den Begriffen Schulaufsicht und Schulberatung umreißen. Weil dieses Schuljahr ein ausgesprochenes Übergangsschuljahr ist, lassen sich z. Z. die Aufgaben noch nicht genau abgrenzen. Es gibt nicht nur strukturell zahlreiche Veränderungen, sondern personell tut sich mehr als genug! Wir erwarten demnächst die Ausschreibungen für die Schulleiterstellen sowie die Stellvertreter an den neu sich etablierenden Schulen. Unser Amt wird an dem Verfahren der Stellenbesetzung wesentlich beteiligt sein. Es gibt jedenfalls vollauf zu tun. Ich fahre 6.15 Uhr am Morgen los und komme in der Regel nach 17.00 Uhr abends nach Hause. Es gefällt mir eigentlich, da die Arbeit die Begegnung mit sehr vielen Menschen und das Herumkommen im ganzen Regierungsbezirk Chemnitz (von Freiberg bis Plauen im Vogtland, von Rochlitz und Hainichen im Norden bis Annaberg im Süden) erfordert. Die Arbeitszeit ist nun keineswegs mehr vergleichbar mit der des Lehrers. Zeit und Muße für das Hobby Heimatgeschichte sind doch sehr beschränkt.

Sie wollen sicher wieder etwas zur allgemeinen Entwicklung in Sachsen erfahren. Natürlich kann ich nur sagen, wie ich es zur Zeit empfinde. Ich glaube, man kann im Wesentlichen die Einschätzungen von Experten (z.B. der bekannten Wirtschaftsinstitute) bestätigen. Die Wirtschaft kommt in Gang. Der Straßenbau geht in geradezu atemberaubendem Tempo vonstatten. Ich kann das durch die vielen notwendigen Dienstfahrten wirklich sagen. Mit den Telefonanschlüssen wird es merklich besser. Nach wie vor sind aber ungeklärte Eigentumsverhältnisse die Hauptursache, dass noch nicht genügend investiert wird. Das gilt für einen kleinen Gewerbetreibenden, der sich selbständig machen möchte genauso wie für große potentielle Geldgeber aus Westdeutschland oder dem Ausland. Sie verfolgen das ja auch alles, so etwa jetzt die Forderung nach Umkehr des Prinzips „Rückgabe vor Entschädigung“.

Das ganze Leben ist wesentlich hektischer – oder sagen wir es positiver – dynamischer geworden. Die Kriminalität steigt in erschreckendem Maße. Von den Großstädten mal abgesehen, hier in unserer mehr oder weniger verträumten Gegend sind Einbrüche in Verkaufsstellen und Autodiebstahl leider an der Tagesordnung. Die Jagd nach dem Geld hat alle irgendwie gepackt. Dass es nun alles in Hülle und Fülle, in feinster Qualität bei größten Auswahlmöglichkeiten zu kaufen gibt, verkraften viele Menschen nur schwer! Und die Werbung, an allen Orten und zu allen Zeiten! Die verschwenderische Verpackung, eben die ganze Konsummentalität, die Sie ja auch in Ihren Briefen immer ansprechen. Gar zu vieles ist neu für die Menschen hier und manche gebärden sich wie kleine Kinder, die alles sofort haben möchten.

Was mich eigentlich am meisten beunruhigt, ist die Entwicklung in der Sowjetunion. Ich fürchte, Jugoslawien, so schlimm es ist, wird in absehbarer Zeit als harmlos und provinziell gegen das erscheinen, was sich in Russland, der Ukraine und in den Südregionen abspielen wird. Gorbatschow wird wohl einmal in den Geschichtsbüchern als eine der tragischsten Figuren der Weltgeschichte beschrieben werden.

Lieber Herr Sommer, es gäbe sicher noch viele, viele Themen, die einem so in ruhigen Stunden durch den Kopf gehen. Vielleicht muss man sich auch dazu zwingen, alles etwas gelassener zu betrachten. Im Übrigen sorgt die tägliche Arbeit, die vielen aktuell zu lösenden Aufgaben schon dafür, das eine oder andere erst einmal gedanklich beiseite zu legen.

So hätte ich natürlich Lust, die vielen Materialien zu Paul Guenther einmal systematisch in einer kleinen Broschüre zusammenzustellen. Bisher blieb es bei Zeitungsartikeln und Vorträgen in den Veranstaltungen des Geithainer Heimatvereins. Ich kann Ihnen versichern, dass ich Ihre Mithilfe bei der Vervollständigung des Bildes von Guenther, aber auch Ihre Berichte und Erinnerungen zur Zeit um 1945 den Geithainer Heimatfreunden bekannt mache. Sie stoßen stets auf reges Interesse. Neulich schrieb mir eine Frau aus Kohren-Sahlis, die aus Plauen stammt und sich noch gut erinnerte, dass Robert Reiner nach 1945 enge Beziehungen zu ihrer Familie unterhielt und sie in den schlimmen Zeiten tatkräftig unterstützt hat.

Die drei Teile Ihrer „Erinnerungen 1945“ wären es auch wert, in schriftlicher Form einmal publik gemacht zu werden. Wenn Sie einverstanden sind, würde ich über Weihnachten eine Artikelserie (ähnlich im Umfang wie die über Paul Guenther im vorigen Jahr) erarbeiten und dabei auch Ihre Materialien als Quelle verwenden. Zu dieser Zeit in Geithain übergab mir kürzlich eine Frau ein vollständig geführtes Tagebuch (Sommer 44 bis Sommer 45). Vielleicht kennen Sie die Frau. Es ist die Tochter von Tischlermeister Zille in der Nikolaistraße in Geithain. Sie heiratete nach 1945 Herrn Neubert, der die Tischlerei weiterführte.

Ich wünsche Ihnen und Ihrer Frau ein frohes und gesundes Weihnachtsfest und viel Glück im Jahr 1992.

Ihr

Geithain, 04.01.92

Lieber Herr Sommer,

die ruhigen Tage zwischen Weihnachten und Neujahr sind nun vorbei, vorgestern begann für mich wieder die Arbeit. Wenn auch nachträglich, wünsche ich Ihnen und Ihrer Frau alles Gute für 1992, Gesundheit vor allem und Freude an vielem! Den 4. Teil Ihrer „Erinnerungen 1945“ erhielt ich vor einigen Tagen. Herzlichen Dank dafür! Meine Frau und ich, aber auch die Schwiegermutter (als alte Geithainerin) haben alles nicht nur mit Interesse, sondern auch mit großer Anteilnahme gelesen.

Ich hoffe, dass Sie inzwischen auch meinen Brief vom 1.12.91 erhalten haben. Dort deutete ich an, dass Ihre ersten drei Teile in einer Artikelserie in der LVZ publik gemacht werden sollten. Ich habe 5 Artikel fertig, gab sie aber noch nicht bei der Redaktion ab. Mir wäre es schon lieber, Sie würden alles vor der Veröffentlichung erst noch einmal selbst lesen. Deshalb lege ich sie diesem Brief bei.

 

Man ist bei solchen Zeitungsartikeln natürlich an bestimmte technische Bedingungen gebunden. Die Serie darf nicht „unendlich“ lang sein, der Einzelartikel soll 1 Seite, einzeilig geschrieben, nicht überschreiten. Hält man sich nicht daran, läuft man Gefahr, dass der Redakteur kürzt oder umstellt und u. U. die Sache so verändert, dass eine Verzerrung entsteht. Er kennt das Original ja nicht! Aber mir ging es zumindest ähnlich. Ihr Original umfasst inzwischen bald 30 Seiten. Ich war gezwungen, manches wegzulassen. Wieder anderes wurde zusammengefasst. In ganz seltenen Fällen habe ich Eigenes hinzugefügt: Teil II letzte 2 Sätze, Teil IV erste Sätze, Teil V Mitte „Die Konfrontation…“ Sie glauben nicht, wie aktuell einige Ihrer Ausführungen sind! Umbruchsituationen damals wie heute!

Ein zweites Problem taucht für mich auf. Sie schildern sehr beeindruckend auch ganz persönliche Dinge. Im Brief ist das möglich und ich bin Ihnen sehr dankbar dafür. Für einen Zeitungsartikel liegen die Dinge anders. Bitte sagen Sie mir, ob Sie mit meinen Darstellungen einverstanden sind.

Lieber Herr Sommer, es ist noch eine Sache, mit der ich die ganze Zeit schon persönlich nicht klarkomme. Sie informieren sich sehr intensiv über die Entwicklung in den neuen Bundesländern, speziell auch in Sachsen. Sie wissen, dass die Eigentumsfrage die Frage aller Fragen zur Zeit hier ist. Rückgabe vor Entschädigung oder umgekehrt? Was damals mit Ihnen und Ihrer Familie, mit Angers und Münsters gemacht wurde, war natürlich, gelinde gesagt, ungerecht. Heute sind draußen auf dem Sommerhofgelände mindestens hundert Kleingärten mit Bungalows, etliche haben ein Einfamilienhaus dort gebaut. Die meisten haben nicht die geringste Ahnung von den Einzelheiten um 1945/46 da draußen. Sie sind in der Mehrzahl so jung, dass 1945 für sie so weit zurückliegt wie sonst ein Ereignis der tiefsten Geschichte. Wie kann eine neue Ungerechtigkeit verhindert werden? Man liest schlimme Dinge über Berlin und Umgebung, wo Leute aus ihrem Haus („ihrem“, ja oder nein?) hinausgeekelt werden durch die ehemaligen Eigentümer des Grund und Bodens, meist sind es aber deren Kinder oder Enkel. Ich bin letztens mal in aller Ruhe durch das Gelände draußen auf dem Sommerhof, aber auch in Königsfeld spazieren gegangen, dabei stets Ihre Schilderungen „im Hinterkopf“! Von Schloss Königsfeld ist praktisch nichts mehr zu sehen. Und Angers Wohnhaus hatte man 1946 regelrecht zersägt in zwei Teile. Der „Sommerhof“ ist für Geithain und die Geithainer ein feststehender Begriff, aber eben als eine Geländebezeichnung, nicht als Hof der Familie Sommer. Eine Veröffentlichung in der Artikelserie führt bei den heutigen Bewohnern des Geithainer Ortsteiles mit Sicherheit zu den Fragen: „Was wird?“, „Wird Herr Sommer das Land wieder zurückhaben wollen? Müssen wir weichen oder `blechen`?“

Wie könnte eine gerechte Lösung, hier und allgemein, aussehen? Schon melden die ehemaligen Schlesier aus der DDR ihre Ansprüche an! Voriges Jahr, als ich noch auf dem Landratsamt arbeitete, erzählte ein Mitarbeiter von einem schriftlichen Antrag auf Entschädigung für ein Einfamilienhaus mit 2 ha Land, einigen Kühen und Schweinen. Der Antrag ging tatsächlich von der Tochter eines Kleinbauern aus Liegnitz in Schlesien beim Landratsamt ein. Eine Kuriosität? Wo beginnen Entschädigungsansprüche, wann werden sie anachronistisch?

Fragen über Fragen! Wie gesagt, durch Ihre Schilderungen bin ich auch selbst erst richtig mit der Problematik konfrontiert worden. Ob solche Gremien wie das Bundesverfassungsgericht jemals gerechte Lösungen finden werden, ist zu bezweifeln. Wird die Zeit Wunden heilen oder hatte sie schon Wunden geheilt, die nun wieder neu aufbrechen (oder aufgebrochen werden)?

Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir bald mitteilen könnten, ob Sie der Veröffentlichung der 5 Artikel zustimmen und wie eventuell folgende Teile für die Öffentlichkeit dargestellt werden könnten.

Mit den besten Grüßen

Ihr

Georgetown, 11.Januar 1992

Lieber Dr. Senf,

herzlichen Dank für Ihren Brief vom 11.12.91 sowie für die vielen interessanten Beilagen, die vor einigen Tagen hier ankamen. Sie leben in einer großen Umbruchzeit und sind noch jung genug, um richtig daran teilzunehmen und, durch Ihre Tätigkeit, die Entwicklung zu beeinflussen. So wie 1945 die Weichen für alles gestellt wurden, was dann später geschah, so werden die Jahre seit 1990 für die gute oder miserable Entwicklung der neuen Länder zu bürgen haben. Und all dies hängt wiederum mit der Entwicklung in Europa und der Welt zusammen. Die Welt ist jetzt so klein, dass alles von allem abhängt. Da sind große Männer und Frauen gefragt, die weiter sehen können als ihre eigenen Interessen. Leider ist es im Kapitalismus so, dass der Eigennutz der einzige Motor des menschlichen Handelns ist. Der Sozialismus als Korrektur ist also im Kapitalismus durchaus notwendig. Wenn wir im September (wie wir hoffen) nach Sachsen kommen, wäre es schon interessant, sich über diese Dinge zu unterhalten. Ich finde zum Beispiel, dass jedwede Rückgabe von Höfen und Grundstücken vorerst untersagt sein sollte. Wenn einmal die östlichen Länder auf dem wirtschaftlichen Niveau des Westens sind, dann natürlich sollten die früheren Eigentümer für den Verlust ihres Besitzes entschädigt werden, und zwar durch Steuern, die die neuen Eigentümer von ihren Gewinnen abzweigen können.

Ich lege Ihnen eine weitere Fortsetzung der 1945-Saga bei. Diese Erinnerungen habe ich vor etwa 20 Jahren zuerst aufgeschrieben. Doch ist es am Ende dieser Folge nicht mehr ganz klar, ob die Einsiedel-Töchter damals mit ihrer Mutter in Stralsund waren. Ich hätte Frau Martin im Mai 90 danach fragen sollen. Was Sie über die Frau aus Kohren-Sahlis schreiben, die nach 1945 mit Robert Reiner Verbindung hatte, ist sensationell. Darüber wüsste ich gern mehr. Ich bin ja in dieser Sache bisher nicht weitergekommen.

Meine 1945-Erinnerungen sind sehr subjektiver Art. Doch sind sie vielleicht gerade deshalb von Wert. Sie können sie als Quelle benutzen oder auch das Ganze veröffentlichen, wenn daran ein Interesse besteht. Natürlich halte ich das „Copyright“, wenn es einmal zu einer kommerziellen Veröffentlichung kommen sollte. Ich würde gern mit den Mitgliedern des Geithainer Heimatvereins zusammentreffen. Vielleicht sind auch diese daran interessiert, mich zu treffen und meine Ansichten darüber zu hören, was 1945 mit uns „im Namen des Volkes“ gemacht wurde. Das war schon ein sehr übler Trick der kommunistischen Machthaber von Moskaus Gnaden, und wenn man das nicht geistig verarbeitet, wird es auch weiterhin in Osteuropa schief gehen. Es fing damit an, dass man 1945 nach dem Sündenbock suchte, dem man die Hitler-Schweinerei in die Schuhe schieben konnte. Der Sündenbock waren wir alle, einschließlich der Kommunisten. Wie auch jetzt wieder. Es gab natürlich STASI-Agenten und Parteibonzen, die besonders wild unter dem Kommunismus agiert haben (Hilde Benjamin!), doch fing es damit an, dass 1945 den Kommunisten, wie dem Herrn Kopp, Glauben geschenkt wurde. Wie 1933 den Nazis. Man kann, was geschah, nicht ungeschehen machen, man kann aber daraus lernen und eine Wiederholung verhindern.

Heute also die 6. Fortsetzung und demnächst mehr, mindestens noch vier weitere. Ursprünglich schrieb ich das in Englisch und ich nehme das Übersetzen zum Anlass, das Ganze in etwas bessere Form zu bringen.

Was sich in Osteuropa anbahnt, weiß keiner. Vielleicht haben wir Glück, vielleicht entwickelt sich in diesen geplagten Ländern so etwas wie Demokratie. Wenn man einen Stein ins Rollen bringt, dann weiß man meist nicht, wo er wieder zur Ruhe kommt. Gorbatschow, wohl der größte Staatsmann unseres Jahrhunderts, wusste, dass das, was bestand, des Erhaltens nicht wert war. Er hatte den Mut, den Damm, hinter dem sich alles gestaut hatte, zu brechen. Nun ist es unser aller Aufgabe, ein neues Flussbett zu bauen. Unsere Nachkommen werden uns richten.

Bitte grüßen Sie Frau Thiemann und Heinrich Engert, den guten Herrn Mühlbach sowie Herrn Weise von uns.

Alles Gute und herzliche Grüße an Sie und Ihre Familie,

Ihr Ulrich J. Sommer und Frau Gisela

Georgetown, 16. Januar 1992

Lieber Dr. Senf,

gerade erhielt ich Ihren Eilbrief vom 4. Januar. Sehr herzlichen Dank dafür. Sie haben sich ja eine erstaunliche Arbeit damit gemacht, meine Erinnerungen zur Veröffentlichung in der LVZ zu kürzen. Ja, so kann man das machen. Sie haben großes Geschick darin. Doch werde ich Ihnen weiterhin meine sehr ausführlichen Erinnerungen des Jahres 1945 zukommen lassen. Als Historiker sind Sie sicherlich an denen interessiert.

Zur Veröffentlichung: Sie sollten erwähnen, dass diese Artikel sehr gekürzt und oft auch „umschrieben“ sind, also eine Bearbeitung des originalen Materials sind. Sehr persönliche Dinge und Namensnennungen lässt man für diese Veröffentlichung besser weg, es seien denn Namen, die zur Ortsbestimmung nötig sind (wie Münsters in Königsfeld). Andere wie Dr. Bernstein, Bürgermeister Müller, Angers, Wüstners usw. sollten erwähnt werden, da diese Menschen in vieler Beziehung exemplarisch waren.

Einige Fehler: In der Villa am Standpark wohnten die Eltern von Frau Magnussen. Magnussens selbst hatten eine große Wohnung an der Fabrik (im 1. Stock), und aus der kamen die Möbel, die in der Kommandantur waren.

Rochlitz hatte zu meiner Zeit eine Oberschule, kein Gymnasium.

Frau Münster? Ich finde, man sollte ihr den Titel „Gräfin“ lassen. Diese Adelsnamen gehören zur deutschen Geschichte. Es hat ja auch wenig Sinn, jetzt überall die Marx- und Lenin-Statuen herunterzureißen. Es waren ja wir Menschen, die diesen Leuten bei der Machtausübung geholfen haben.

Die Mulde war Grenzfluss? Möglicherweise haben Sie recht. Ich werde das in meinem Manuskript ändern.

„Festsetzung und Freilassung waren aber eigentlich durch Deutsche und nicht durch Russen veranlasst.“ Der eigentliche Grund meiner Festnahme war, dass wir scheinbar nicht den Befehlen des Landwirtschaftsoffiziers gefolgt waren. Das sollte erwähnt werden. Die Idiotie der solcherart geplanten Wirtschaft war unglaublich.

Was Herr Dr. Bernstein zu mir sagte, finde ich besser, weil härter und unverschönter als Ihre Umschreibung. Ich würde es so lassen, wie ich es Ihnen geschickt habe.

Persönliches: Wenn es Betrachtungen sind, die mich damals beschäftigten, die mir halfen, mit dem Erbe der Nazizeit fertig zu werden, sollten sie erwähnt werden.

Ich glaube, ich schrieb Ihnen vor einigen Tagen, was ich über „Rückgabe vor Entschädigung oder umgekehrt“ halte. Lassen Sie mich noch etwas näher darauf eingehen. Man kann die fünf Länder der früheren DDR nicht wieder so herstellen wie sie vor dem Kriege waren. Da ist etwas zerstört worden, das unwiderruflich dahin ist. Die Bodenreform war ein ganz tiefer Einschnitt, der die Struktur der Gesellschaft völlig verändert hat. Ich kann nicht sehen, wie „Rückgabe“ etwas daran ändern könnte. Alle die, die vor 46 Jahren aus den Ostländern fliehen mussten, haben sich unterdessen in anderen Ländern, mit neuen Verhältnissen und oft auch ganz neuen Kulturen, vertraut gemacht. Unsere eigentliche Heimat ist jetzt dort, wo wir ein Leben lang gelebt haben. Wollte ich wieder in Geithain leben, wäre ich dort ein Fremder. Die, die jetzt zum größten Teil auf diesen Höfen sich angesiedelt haben, wissen kaum noch, wie es dazu kam, dass sie jetzt dort leben, wo sie leben. Wie die Polen im früheren deutschen Gebiet östlich von Ihnen, sind diese Leute jetzt dort zu Hause und haben nach dieser langen Zeit ein Recht darauf, dort bleiben zu können wo sie sind.

Es ist mir unverständlich, warum Bonn das nicht ganz klar ausspricht. Wenn die Ostländer einmal wieder eine starke Wirtschaft haben, dann und erst dann, finde ich, sollten wir oder unsere Nachkommen für das Verlorene entschädigt werden. Unterdessen sollte man herauszufinden versuchen, wem was gehört hat, um dann eine Grundlage für diese zukünftigen Zahlungen zu haben. Wenn ich von „Zahlungen“ spreche, dann meine ich damit nicht, dass ich Zahlungen von den Leuten erwarte, die jetzt dort leben. Zahlungen dieser Größenordnung können doch nur aus Steuergeldern kommen. So hat man ja in Westdeutschland schon seit langem ausgebombte Flüchtlinge, Juden und überhaupt alle durch Hitlers Raubzüge Geschädigten versucht zu entschädigen, so weit das möglich war.

 

Was mich besonders freut, ist, dass der Sommerhof noch immer diesen Namen trägt. Dieser Hof wäre sowieso eines Tages ein Teil von Geithain geworden. Ich wäre dankbar, wenn dieser Teil Geithains immer „Sommerhof“ genannt würde. Es gibt keinen Grabstein für meine Eltern, dieser Ortsteil von Geithain kommt dem am nächsten. Ich werde Ihnen bald den 7. Teil zukommen lassen. Herzlichen Dank für Ihre große Arbeit und gute Wünsche Ihnen und Ihrer Familie, auch von meiner Frau,

Ihr Ulrich J. Sommer

P.S. Noch etwas: Bitte veröffentlichen Sie diese Artikel unter dem Namen Ulrich Joachim Sommer

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