Erich Glaubmirnix

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

DER FAST ALLTÄGLICHE WAHNSINN!

Punkt sechs Uhr rempelte Heidi ihren Ehemann an und sagte: „Guten Morgen Schatz, wolltest du nicht aufstehen?“ Und Erich war somit unsanft aus seiner wohlverdienten Nachtruhe gerissen.

Verschlafen schaute er auf seine Armbanduhr und murmelte: „Ich hab doch noch soooo viel Zeit. Wir haben’s doch erst um Sechse und ich muss erst um Zehne zum Dienst!“

„Ich steh schon mal auf und koche Kaffee, kannst ja nachkommen, wenn du so weit bist.“

„Jetzt, wo du mich munter gemacht hast, kann ich auch aufstehen!“

Erich quälte sich aus dem Bett und ging widerwillig ins Bad, um sich zu waschen. Kurze Zeit später hatte er den Duft von frischem Kaffee in der Nase und das trieb ihn natürlich an und er beeilte sich. Kurze Zeit später saßen beide am Frühstückstisch.

Nach dem Frühstück, war die Zeitung dran.

„Heidi, wenn ich so in die Zeitung gucke, hab ich das Gefühl, dass wir kurz vor dem 3. Weltkrieg stehen! Ich hoffe nur, dass ich mich mit meiner Meinung irre!“

„Wie kommst du denn da drauf?“

„Schlag doch mal die Zeitung auf! Man liest doch nur noch was von Mord und Totschlag! Da ist die Ukraine-Krise! Hier wurden ehemalige Brüder zu Feinden und beschießen sich gegenseitig! Und das in unmittelbarer Nachbarschaft zur EU. Jetzt halten amerikanische Soldaten Manöver an der russischen Grenze ab und die Russen fühlen sich dadurch provoziert! Weißt du was das für ein Pulverfass für Europa ist?

Da ist Boko Haram in Afrika! Dort werden Mädchen entführt und zwangsverheiratet oder gleich umgebracht!

In der Arabischen Welt kämpft und tötet die Terrormiliz „Islamischer Staat“!

Überall sterben Menschen! Man macht nicht mal vor Frauen und kleinen Kindern halt!

Da gibt es Menschen, die schnallen sich einen Sprengstoffgürtel um und opfern sich, nur um andere zu töten! Da gibt es Menschen, die bringen voll besetzte Passagierflugzeuge zum Absturz! Das Leid der Hinterbliebenen ist unermesslich!

Da werden Milliarden für Rüstung ausgegeben und auf der anderen Seite verhungern die Kinder! Und wenn ich drüber nachdenke, kann ich nur sagen: Der Mensch ist nicht intelligent, der Mensch ist wahnsinnig! Am besten ist’s wohl, wenn man die Zeitung abbestellt!“

„Aber in unserem Land ist es doch ruhig!“

„Heidi, bei uns ist es schon lange nicht mehr ruhig! Fast jedes Wochenende gibt’s die Fußballeinsätze! Und wenn das nicht reicht, sind irgendwo politische oder religiöse Demonstrationen! Wir haben Hooligans, Salafisten, IS-Kämpfer, Links- und Rechtsradikale. Da werden auch schon mal Brandbomben geworfen und sich mit der Polizei geprügelt! Die armen Jungs werden von einem Einsatz zum nächsten gejagt und das kreuz und quer durch die Bundesrepublik! Das Schlimme dabei ist, dass es den meisten Leuten am A… vorbeigeht! Sie reden sich eine heile Welt ein! Aber die existiert schon lange nicht mehr! Vielleicht irgendwann in der Zukunft!“

Da sich Erich am frühen Morgen die Laune nicht restlos verderben wollte, wurde gleich weitergeblättert.

„Ach, hier steht was über Griechenland.“

Erich las nur die Überschrift: Erst wenn Griechenland alle Forderungen der EU erfüllt, fließt neues Geld nach Athen!

Das ist eigentlich ein sehr schönes Land. Erich war auch schon mal da. Er hatte sympathische Menschen kennengelernt, wie zum Beispiel die freundliche und kompetente Reiseleiterin, den Busfahrer, den Museumsmitarbeiter und den Kellner im Restaurant, alle hatten ihren Job einwandfrei gemacht! Er konnte nichts anderes sagen! Und er war sich auch sicher, dass diese Menschen nicht an der Krise schuld sind!

Erich blätterte weiter und war nun auf der Seite mit den Todesanzeigen.

„Heidi, da will ich mal gucken, wer so alles gestorben ist!“, und Erich murmelte so vor sich hin: „Kenn ich nicht, … kenn ich nicht, … oh, die ist ja 87 Jahre alt geworden, schönes Alter! Kenn ich nicht, … und den hat es mit 34 ausgehebelt. War bestimmt ein Autounfall!“ Beim nächsten Namen schmunzelte Erich: Adelheide Blütenstaub. Die hieß ja ulkig.

Und bei der nächsten Annonce stand dem Erich fast das Herz still:

Plötzlich und unerwartet verstarb mein geliebter Ehemann, Vater, Großvater und Bruder

Erich Glaubmirnix

Geboren am: 28. 06. 1964 in Eichenfeld

Gestorben am: 16. 06. 2017 in Erfurt

Die trauernde Frederike von U.

Die Beerdigung findet am 20. 06. 2017 auf dem Hauptfriedhof statt.

„Oh Sch…!“ Erich war kreidebleich!

„Das ist aber ein schlechter Scherz! Oder sollte es noch einen Erich Glaubmirnix geben? Ich war bis jetzt der Meinung, dass ich der Einzige bin!“

Die Stimmung war im Keller und Erich schlug die Zeitung zu! Er wollte auf andere Gedanken kommen, grübelte aber immer noch über die Annonce nach und sagte zu sich: „Es gibt ja auch unheimlich viele Thomas Müller. Warum sollte es nicht auch zwei Erich Glaubmirnix geben?“ Da fiel ihm ein, dass es in seiner Schule auch zwei Doris Eber gab.

Um sich abzulenken gingen seine Gedanken nach Berlin. Das war seine schönste Zeit, welche er im Dienst bei der Polizei erleben durfte. Hier war er in Stadtteile und Kneipen gekommen, wo er als Tourist niemals hingekommen wäre. Jetzt kennt er auch das Parlamentsleben im Bundestag und hat seinen Politiker besser kennengelernt. Unter anderem auch die Frau Glaser.

Also Licht und Schatten.

Frau Glaser

„Heidi, über folgende Geschichte habe ich lange Zeit nicht sprechen können. Du kannst dich doch noch an die Zeit erinnern als ich für zwei Jahre zur „Polizei im Deutschen Bundestag“ abgeordnet war. Während dieser Zeit lernte ich die Frau Glaser kennen. Frau Glaser war eine Angestellte in der Bundestagsverwaltung und koordinierte die Anfahrt der Versorgungsfahrzeuge. Ab und zu hatte ich dienstlichen Kontakt zu ihr. Wie soll ich das beschreiben? Sie war eine höfliche Person, circa dreißig Jahre alt und mir gegenüber aufgeschlossen. Leider weiß ich noch nicht mal ihren Vornamen. Nun gut, ich kann das jetzt nicht mehr ändern.

Im Laufe meiner Abordnung entwickelte sich ein freundschaftliches Verhältnis zu ihr. Ich war ungefähr ein halbes Jahr im Bundestag, als Frau Glaser krank wurde. Später erfuhr ich, dass sie Krebs hatte. Es hat fast ein Jahr gedauert, bis Frau Glaser wieder gesund wurde und zur Arbeit zurückkam. Ich habe mich wirklich für sie gefreut und ihr das auch mit den besten Wünschen mitgeteilt.

Der Alltag kehrte wieder ein und die Zeit verstrich. Halt, einmal sagte sie mir ganz stolz, dass sie einen Freund kennengelernt habe. Sie schmiedete mit mir ihre Zukunftspläne. Wenige Schichten später stellte sie mir ihren Freund persönlich vor. Ich sah eine wirklich glückliche Frau!

Nun dauerte es nicht mehr lange und meine Abordnung war zu Ende. Es war genau meine letzte Schicht, eine Frühschicht, und ich sollte noch mal mit Frau Glaser zusammenkommen. Es war um die Mittagszeit, als Frau Glaser aufstand, ihre Tasche nahm und zu mir sagte: „Ich möchte mich jetzt von dir verabschieden. Das war meine letzte Schicht!“

Ich dachte, die will mich veralbern und sagte: „Nein, das ist meine letzte Schicht! Die Abordnung ist vorbei und ich gehe jetzt zurück nach Hause!“

„Nein, das ist meine letzte Schicht gewesen, denn der Krebs ist zurückgekommen!“

Ihr Kopf senkte sich. Sie nahm mich dann noch mal in den Arm und drückte mich fest an sich. Als sie ging, konnte ich noch einen Blick erhaschen und sah die Tränen in ihren Augen. Ich schaute fassungslos hinterher und stand wie versteinert da, bis sie aus meinem Sichtfeld verschwand.

Kurze Zeit später kam meine Ablösung und zwei Stunden später wurde ich verabschiedet!

Es war die Nacht vom siebten auf den achten November. Ich lag im Bett und schlief, Frau Glaser war im Traum bei mir und sagte: „Ich möchte mich jetzt endgültig von dir verabschieden!“

Dann ging sie genau so wieder los, wie damals im Reichstag und ich schaute genauso wieder hinterher, bis sie sich, wie im Nebel, auflöste! Ich erschrak und war putzmunter! Das war so unheimlich realistisch, dass ich am gleichen Tag noch meinen Kumpel in Berlin anrief und ihn bat, dass er sich nach der Frau Glaser erkundigen sollte.

Am 09. 11. 2006 war folgende Nachricht in meinem Postfach:

„Die Dienstgruppe III aus dem Deutschen Bundestag lädt Dich zu unserer Weihnachtsfeier, am 06.12. um 15.00 Uhr ein. Die Feier findet im Biertempel in der Konradistr. 13, Berlin-Tempelhof statt. Treffpunkt am 06.12. gegen 13.45 Uhr vor der Leitstelle im Reichstag. Gruß Dienstgruppe III

Frau Glaser von der Wache Nord ist am 08.11. verstorben.“

Also, genau in der Nacht, wo sie im Traum bei mir war!

Diese Mail konnte ich nicht löschen und sie kann zu jeder Zeit eingesehen werden.

Ist das nun Zufall oder gibt es wirklich was Unerklärliches zwischen Himmel und Erde? Ich weiß es nicht!

Jetzt schweiften Erichs Gedanken zurück in die Kindheit. Er hatte etwas wirklich Lustiges im Kopf.

Der Kondomautomat

Es war meine erste Klassenfahrt. Dort gab es ein Erlebnis, an das ich mich bis heute genau erinnern kann. Wir waren damals 31 Kinder und in der 2. Klasse. Ich denke mal, es war nicht einfach für unsere Klassenlehrerin, so eine Rasselbande, wie wir es waren, im Griff zu haben. Üblich war zu jener Zeit, dass auch zwei Elternteile zur Unterstützung mitfuhren. Während die Schulkasse am Bahnhof auf den Zug wartete, spaltete sich eine kleine Gruppe ab. Ich war natürlich mit dabei. Bei unserer eigenen kleinen Entdeckungstour wurde ein Automat gefunden. Petra, eine Schülerin aus unserer Klasse, stand neugierig davor und begutachtete diesen. Es standen Worte drauf, mit dem ein so junges Mädchen eigentlich nichts anfangen konnte. Petra gab sich dennoch alle Mühe und las unter anderem: „Naaaa…tuuuuuur … guuuu … mmmiii.“

 

Ihre Schlussfolgerung: Das ist „Naturkaugummi“ und kostet fünfzig Pfennig. Natürlich wollten alle die Kaugummis haben. Petra steckte fünfzig Pfennig in den Geldschlitz, drückte auf einen Knopf und es kam eine kleine runde Plastikdose raus. Sie wurde geöffnet und wir alle stellten fest, dass zwei „Kaugummis“ drin waren! Petra griff sich gleich eins, steckte es in den Mund, kaute darauf rum und spuckte es gleich wieder aus. „Das schmeckt ja gar nicht!“ Nun wurde das zweite Kaugummi untersucht und dabei festgestellt, dass es sich um einen „Luftballon“ handelte. Na, das war doch eine tolle Sache, alle Jungs und Mädels aus unserer Gruppe opferten fünfzig Pfennige, ich auch!

Später im Zug wurden mehrere „Luftballons“ aufgeblasen und sich gegenseitig zugeworfen.

Heute kann ich’s mir vorstellen, wie sich damals die Lehrerin erschrocken haben musste, als ein Luftballon in ihre Richtung flog und sie feststellen musste, dass es sich um ein Kondom handelt. Petra rief: „Geben Sie mir bitte meinen Luftballon zurück!“

Sie hat ihren „Luftballon“ nicht wiederbekommen! Stattdessen ging die Lehrerin los und sammelte alles ein, egal ob „Luftballon“ oder Dose. Ich versteckte meine in der Hosentasche, so hat sie meine Dose nicht bekommen.

Zu Hause zeigte ich ganz stolz die Errungenschaft meiner Mutter. Das war mein Fehler! Denn Mutter griff zu und ich war meine „Luftballons“ auch los!“

„Heidi, ich muss jetzt los! Mach’s gut, bis heute Abend!“

„Ja Erich, bis heute Abend! Krieg ich denn kein Pusselchen mehr?“

„Schatzi, heute Abend bekommst du dein Pusselchen!“

„Ich warte auf dich!“

„Kann die Zeit nicht abwarten!“

Erich ging zum Auto und fuhr zur Dienststelle.

Der Fußballeinsatz

Als Erich auf die Dienststelle kam, war gerade die Hölle los. Kurt, ein Kumpel vom Erich, stolperte genau in dem Moment über seinen Rucksack, als Erich in den Aufenthaltsraum kam. Unglücklicherweise passierte es mitten in der versammelten Truppe. Das Unglück, welches seinen Lauf nahm, sah zum Schießen aus. Das linke Bein von Kurt verhedderte sich im Schulterriemen eines Rucksacks, welcher am Boden lag. Der Rucksack wurde kurz mitgeschleift, verfing sich am Tischbein und Kurt verlor das Gleichgewicht. Der Oberkörper stürzte nach vorn. Mit den Händen versuchte er sich noch am Tisch festzuhalten, griff aber daneben und landete mit dem Kopf genau im Schoß vom Herbert! Herbert reagierte schnell: „Mach dich ab oder soll ich meinen Hose aufmachen?“ Und dann reagierte Achim: „Komm zu mir, ich mach die Hose auf!“ Das Gelächter wurde lauter. Und dann konnte sich Jutta nicht zurückhalten. Sie saß genau neben Herbert: „Mich brauchst du gar nicht erst anzugucken, ich mach meine Hose nicht auf!“

Kurt rang nach Luft: „Wer hat denn diesen verdammten Rucksack hier hingeschmissen?“

„Na, du selbst! Ist doch deiner oder nicht?“, kam es aus der Menge und alle hielten sich den Bauch.

Die Truppe hatte gute Laune. Nur einer nicht und der hieß: Kurt.

Und es ging weiter. Kurt schnappte sich seinen Rucksack warf ihn sich auf die Schulter und wollte zum Spind.

„Kurti, dein Rucksack tröpfelt! Der ist wohl undicht?“ Alle lachten wieder. Der Rucksack wurde vor Wut auf den Tisch geschmissen und geöffnet. Als Kurt reingriff, holte er nur noch Glasscherben von seiner Trinkflasche raus. Der zweite Griff galt seiner Verpflegung. Auch die war durchgeweicht und flog zusammen mit den Glasscherben in den Mülleimer.

„Ist ja nicht so schlimm“, versuchte sich Kurt zu beruhigen. „Ich hab doch noch mein Geld mit. Damit komme ich schon über die Runden.“ Sicherheitshalber griff Kurt in seine Hosentasche und der nächste Schreck war da: „Scheiße, das Geld liegt zu Hause auf dem Wohnzimmertisch!“

„Komm her, ich borge dir was. Kannst es mir ja die Tage wiedergeben.“ Erich griff in sein Portemonnaie und gab ihm zwanzig Euro. „Wenn es nicht reicht, gebe ich dir noch was.“

Kurt nahm das Geld und beruhigte sich langsam. Die Truppe war einsatzbereit!

Das war auch gut so, denn der DGL kam rein und sagte: „Wir müssen sofort nach Jena rüber, denn die ersten 100 Fußballfans sind schon mit dem Regionalexpress 79581 losgefahren, also einen Zug früher!“

In Jena angekommen, dauerte es nicht lange und die Truppe stand auf dem Bahnsteig.

„Ich muss noch mal kurz für kleine Mädchen! Bin gleich wieder da!“ Jutta verschwand in Richtung Toilette.

„Das gibt’s doch gar nicht, Jutta kommt ja nicht wieder! Die ist schon fast zehn Minuten weg!“

„Das ist bei Frauen halt so! Da dauert alles ein bisschen länger!“

„Sei still Manni“, rief Klaus, „wenn du ’ne Anzeige schreibst, dauert’s auch ein bisschen länger!“

„Ich schau mal nach, wo die bleibt!“, rief Erich und ging los.

„Du willst doch nur aufs Damenklo!“

„Blödkopf, du Dämlicher!“

Erich beeilte sich vom Bahnsteig runterzukommen und lief um die Ecke. Hier sah er schon, was passiert war!

Jutta war von zehn Hooligans umzingelt. Sie stand wie ein Mann und zeigte keine Spur von Angst! In der rechten Hand hielt sie den Schlagstock und in der linken Hand das Reizgas. Sie war bereit jeden Angriff abzuwehren. „Das hätte ich ihr nicht zugetraut“, dachte Erich.

Die Hooligans standen drumherum und trauten sich nicht so richtig ran. Hatten wohl doch ein bisschen Respekt vor dieser Frau.

Jetzt ist guter Rat teuer. Zurücklaufen und Hilfe holen? Nein! Erich setzte einen Funkspruch ab, aber keiner reagierte, weil zwischenzeitlich der Zug am Bahnsteig eingefahren war. Erich hörte die Schlachtrufe: „Hool-, Hool-, Hooligans!“

Erich wusste, dass er jetzt auf sich allein gestellt war. Er musste doch seiner Kollegin helfen! Da blieb nur noch eins! Er nahm seinen Schlagstock in die Hand, ließ einen ordentlichen Brüller los und ging mit zügigen Schritten auf die Hooligans los!

Damit hatten die wohl nicht gerechnet, denn mehrere Hooligans drehten sich zu ihm um und das nutzte Jutta aus. Sie sprang blitzartig los, schlug einem den Schlagstock ins Kreuz und nutzte die entstandene Lücke aus, um durchzubrechen. Ein anderer versuchte sie noch aufzuhalten und wollte nach ihr greifen. Aber das bereute er sofort, denn der Schlagstock sauste ein zweites Mal nieder und Jutta rannte los.

Dann zogen sich die Hooligans zurück.

Erich war froh, dass er noch rechtzeitig da war, denn das war sprichwörtlich eine Rettung in letzter Sekunde! Als beide zum Bahnsteig zurückwollten, verspürte Erich einen dumpfen Schlag am Hals und es folgte ein lauter Knall. Erich fasste sich an den Hals und seine Hand war blutig. Ihm wurde schwarz vor Augen und er brach zusammen. Das letzte was Erich noch hörte war: „Hilfe, die haben auf Erich geschossen!“

Im Krankenhaus

Am nächsten Tag war eine gedrückte Stimmung auf der Dienststelle. Klaus, Kurt und Jutta wollten ins Krankenhaus, um sich nach Erich zu erkundigen. Vom DGL kam das Okay und sie machten sich in die Spur. Erst zum Blumenladen und dann ins Krankenhaus.

„Ja, der Herr Glaubmirnix liegt auf der Intensivstation, Zimmer 312!“, sagte die Schwester am Eingang. „Sprechen sie aber bitte erst mit dem Stationsarzt, ich kann ihnen nicht garantieren, ob sie ins Zimmer dürfen!“

Sie nahmen den Lift und fuhren in die dritte Etage. Es war ein weiträumiger Flur. Riesige Glasscheiben dienten hier als Trennwand zwischen dem Flur und den einzelnen Zimmern. Dadurch war der freie Blick in jedes der Patientenzimmer gewährleistet. Am Ende des Flurs war eine Sitzecke und hier saß Heidi mit Kerstin und Wolfgang. Heidi war am Boden zerstört und den Kindern sah man die schreckliche Situation auch an.

Der Arzt stand bei ihnen und machte Hoffnung.

„Grüß dich Heidi, wir wollten den Erich besuchen und uns erkundigen, wie es ihm geht?“

Heidi zeigte mit dem Arm nach links und sagte: „Hier liegt er!“ Dabei rannen ihr die Tränen übers Gesicht.

„Sie können kurz mal reinschauen, wenn sie wollen“, sagte der Arzt und öffnete die Tür. Schweren Herzens gingen Klaus, Kurt und Jutta rein.

Hier lag er nun, an einer Maschine angeschlossen. Der Hals war verbunden und überall sah man Kabel.

„Grüß dich Erich, wir wollten dich mal besuchen und ganz liebe Grüße aus der Dienstschicht überbringen! Wir haben dir auch Blumen mitgebracht!“

Von Erich kam keine Reaktion. Nur der Brustkorb hob und senkte sich.

Jutta schaute auf den Monitor, hier war der Herzschlag zu sehen und sie hörte ein Piepsen. Klaus und Kurt nahmen den Ton auch wahr: Piiip … piiip … piiip … piiip … piiip … piiip … piiip … piiiiiiiiiiiiiiiiip … piiiiiiiiiiiiiiiiiiiiip …… piiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiip, klack.

ZWEI MONATE SPÄTER

Der Besuch

„Heidi, gehst du mal zur Tür? Es hat geklingelt!“

„Kannst du nicht selber gehen?“

„Geht nicht, liege gerade so schön auf dem Sofa und lese die Zeitung!“

„Und ich bin gerade in der Küche und wasche ab!“

„Oh, bitte!“

„Heidi, wenn du nicht bald zur Tür gehst, dreht sich der Besuch wieder um und geht!

Sind doch eh nur deine Tratschweiber!“

„Na gut, ich geh ja schon!“

„Danke Heidi, bist ’n Schatz!“

Heidi staunte nicht schlecht, als sie die Tür öffnete und zwei bekannte Gesichter sah: „Kommt rein, Erich liegt im Wohnzimmer und kann sich mal wieder nicht bewegen!“

„Heidi, nun sei mal nicht so streng mit deinem Mann! Der hat doch in letzter Zeit viel durchgemacht!“

„Ja, ja, der ist voll im Stress, der muss vom Bett auf die Couch und wieder zurück ins Bett, nur um sich wieder auf die Couch zu quälen!“

„Nun aber ab ins Wohnzimmer!“ Heidi öffnete die Tür, zeigte mit dem Finger auf Erich und rief: „Da liegt er!“

Erich war außer sich vor Freude, als er seine Kollegen Klaus und Jutta sah. Diese Überraschung riss ihn von der Couch hoch. Bei dem ruckartigen Aufspringen verspürte er aber einen stechenden Schmerz im Hals und er setzte sich langsam wieder hin.

„Was macht ihr denn hier? Kommt rein und setzt euch. Heidi, koch mal Kaffee für meine Gäste! Aber ’nen Guten!“

„Klaus, siehst du das, wie Erich schon wieder herumkommandiert? Dem geht’s schon wieder viel zu gut!“ Mit den Worten ging Heidi in die Küche und warf die Kaffeemaschine an.

„Nun setzt euch doch endlich!“, mahnte Erich zum zweiten Mal. Nachdem Jutta alle Genesungswünsche übermittelt hatte, setzten sie sich. „Bevor ich’s vergesse, ich soll auch noch Grüße vom Inspektionsleiter überbringen! Wir haben für dich gesammelt und alle haben reichlich gegeben!“ Dann wurde ein Geschenk ausgepackt und dem Erich mit einer Umarmung überreicht.

„Nun Erich, erzähl mal, wie geht’s dir denn?“

„Was soll ich sagen, bis auf die Schmerzen, die ich immer mal im Hals habe, gut! Das sind nur noch die Nachwehen von meinem Kopfschuss. Wird aber langsam besser.“

„Kopfschuss?“

„Na gut, dann eben in den Hals!“

„Und wie war’s im Krankenhaus?“

„Hör mir ja auf! Der Chefarzt hat mich aufgeklärt! Nach meinem Herzstillstand hatte doch der blöde Stationsarzt, das A…loch, die Maschine abgestellt! Er war halt der Meinung, dass ich tot bin. Und jetzt hatte ich verdammt großes Glück gehabt. Im selben Moment kommt der Chefarzt vorbei und sieht das. Mit einem Satz sprang der ins Zimmer, schmeißt den Schalter wieder rum und hat mir mit der Faust einen kräftigen Schlag verpasst! Genau aufs Herz! Und siehe da, es schlug wieder. Für den Faustschlag gibt es wohl einen Fachbegriff, aber den konnte ich mir nicht merken. Ansonsten hab ich immer nach den jungen Schwestern geguckt. Wäre ja sonst langweilig gewesen!“

„Das hab ich gehört!“, kam es aus der Küche.

„Das, was die Frauen nicht hören sollen, hören’se garantiert!“

„Erich, weißt du eigentlich, dass du deine Rettung der Jutta zu verdanken hast? Wir sind nämlich dabei gewesen, als dein Herz stehen blieb! Jutta hatte vor Schreck die Blumen fallen lassen und der Stationsarzt hat uns rausgeschickt! Im Flur haben wir zufällig den Chefarzt gesehen und Jutta ist gleich hin und hat ihn angebrüllt: ‚Bitte helfen Sie uns! Unser Kollege stirbt!‘ Daraufhin ist er losgestürzt und in dein Zimmer rein.“

 

„Ja, so ist das gewesen!“, bestätigte sie.

Erich wusste nicht mehr, was er sagen sollte. Aber eins wusste er jetzt ganz genau: Jutta gehörte ab sofort zu den besten Kolleginnen, die er je hatte. Er blickte sie dankbar an und sie verstand den Blick.

Nun kam Heidi ins Zimmer und es duftete gleich nach frischem Kaffee. Während Heidi einschenkte, wurden dienstliche Probleme gewälzt. Wie immer, wenn Polizisten zusammen sitzen. Bis Erich eine Frage stellte: „Was macht denn eigentlich mein Kumpel Leo?“

Und es war augenblicklich Ruhe im Raum. „Nun sagt schon! Wie geht’s ihm?“ Wieder Schweigen. „Was ist denn los? Ist was mit Leo? Mir könnt ihr es ruhig sagen!“ Jutta schüttelte mit dem Kopf und Klaus schwieg. Sie wollten nicht darüber reden. „Können wir nicht das Thema wechseln? Wir haben noch so viel zu besprechen!“, warf Klaus ein.

„Nein, können wir nicht! Ich will jetzt wissen, was mit Leo ist!“

„Na gut!“, sagte Jutta. „Leo ist zu Hause und es geht ihm gut!“

„Jutta, du verschweigst was! Ich kenne dich! Raus mit der Sprache!“

Jutta schaute Klaus an und fragte: „Sollen wir? Er erfährt es sowieso irgendwann!“

Klaus nickte und sie erzählte mit schwerem Herzen, was passiert war.

„Wie soll ich anfangen! Leo ist zu Hause, weil sie ihm die Pistole weggenommen haben.“

„Das glaube ich nicht! Welcher Ganove bringt es fertig, dem Leo die Pistole wegzunehmen? Und habt ihr wenigstens den Halunken?“

„Nein Erich, kein Halunke, es war der Dienstherr! Sage jetzt nichts und lass mich weiterreden!“ Jutta fiel es sehr schwer darüber zu sprechen und sie machte eine kurze Pause. Erich hielt es nicht mehr aus. „Erzähl weiter!“

„Leo, … der wollte sich erschießen!“

Nun rang Erich auch nach Luft und spürte wieder das Stechen im Hals. Die Schmerzen waren fast unerträglich. Er wollte sich nichts anmerken lassen. Er konnte es aber nicht mehr verbergen. „Los, mach schon, erzähl weiter!“

„Es war am letzten Freitag, wir hatten Nachtschicht. Nach Mitternacht ist Martin noch mal zu seinem Spind gegangen, um sich was zu trinken zu holen und da sah er Leo. Sein Spind stand sperrangelweit offen und er hatte sich reingesetzt! Genau zwischen seine Sachen. Er hatte die Pistole im Mund und den Finger am Abzug. Martin musste lange auf Leo einreden, bis der endlich seine Pistole runtergenommen hat. Ja, nun sitzt er zu Hause.“

Erich musste hart schlucken. „Ausgerechnet Leo, das begreife ich nicht! Was hat der gesagt, als ihr ihn gefunden habt?“

„Leo hat nichts gesagt! Hat nur noch seine Pistole übergeben und wollte zu seiner Frau! Aber so einfach geht das ja nicht, wie du weißt. Hat sehr lange gedauert, bis wir ihn nach Hause fahren durften.“

„Ich muss ihn unbedingt besuchen. Am besten gleich morgen!“

„Erich, das hat keinen Zweck, der macht nicht auf, haben wir auch schon versucht!“

„Aber mir macht der auf, garantiert!“

„Erich, warte noch ein paar Tage, dann kommen wir mit! Außerdem hast du mit dir zu tun! Werde erst mal selber gesund!“

„Na gut, ich warte!“

Im Gedanken sagte er sich: „Lass die erst mal weg sein, dann mach ich mich auf die Beine!“ Erich wollte zu Leo, koste es was es wolle.

„Wisst ihr eigentlich, wie ich Leo kennen gelernt habe?“

„Also, hört mal zu! Bevor ich zur Polizei kam, war ich beim Militär. Da gab es ein geflügeltes Sprichwort und das lautete so: Das ist ein Kerl wie Leo! (Leo steht dabei für Löwe.) Leo haben die Enten zerlatscht!

So, und ich bin hier als neuer und junger Polizist auf die Dienststelle gekommen. Ich kannte keine Menschenseele und wollte zur besseren Eingliederung als cooler Typ rüberkommen. Aber die alten Hasen saßen zusammen und schwatzten über Themen, bei denen ich beim besten Willen nicht mitreden konnte. Ich war in der Runde ein Ahnungsloser. Bis das Thema auf einen Bahnhofspenner kam. Den sollte ich später auch noch kennenlernen. Es war ein stinkender und dreckiger Kerl, nur unter Strom und barfuß. Der war so dreckig, dass er drohte, beim Laufen mit den Füßen auf dem Kopfsteinpflaster festzukleben. Ich lauschte den Geschichten und wartete auf eine passende Gelegenheit. Und sie kam. Ich konnte meinen Spruch loswerden: „Das ist ja ein Kerl wie Leo!“ Alle schauten mich an. Ich wollte die Leute auch nicht länger auf die Folter spannen und ließ gleich den zweiten Teil los: „Leo haben die Enten zerlatscht!“

Ich hatte den Satz noch nicht ganz richtig ausgesprochen, als ein Hüne aufsprang und mich anbrüllte: „Was hast du gerade gesagt?“

Im selben Maß wie der Hüne wuchs, schrumpfte ich. Glaubt es mir, ich hatte einen totalen Erklärungsnotstand! Aber aus dieser Situation erwuchs eine meiner besten Männerfreundschaften!“

Jutta grinste und zwinkerte mit den Augen.

„Nicht das was du denkst! Wir sind nicht schwul!!!“

Mit dem Satz: „Weiß ich doch, Erich!“, versuchte Jutta von ihren hinterlistigen Gedankengängen abzulenken.

Nun war die Situation wieder aufgelockert und die Runde ging weiter mit dem Thema:

Was ist ein Bundespolizist?

„Weißt du Jutta, dass wir einen guten Job haben, mir macht der Dienst so richtig Spaß!“, sagte Klaus. „Ich kann den Leo immer noch nicht verstehen!“

„Ja!“, sagte Erich. „Wir prügeln uns mit Hooligans! Sind bei fast jedem Fußballeinsatz dabei und wenn andere feiern, gehen wir zum Dienst und schieben Nachtschicht!“ Das konnte Jutta nur bestätigen: „Ich war letzte Weihnachten auch im Dienst und meine Kinder saßen zu Hause und zu Ostern war ich auch wieder in der Nachtschicht. Genau wie letztes Jahr!“

„Aber dafür liegst du doch im Bett, wenn andere arbeiten! Hat doch auch was!“, war die Meinung von Klaus.

„Und glotze die Decke an, nur weil ich nicht einschlafen kann und muss am Abend trotzdem wieder los!“, konterte Jutta.

„Dafür kriegst du aber ’nen Haufen Kohle! Beschwere dich ja nicht!“

„Und du opferst deine Gesundheit! Das lässt sich mit Geld nicht wieder aufwiegen!“

„Es gibt aber auch schöne Momente im Dienst! Da ist man doch stolz dabei zu sein, wenn man zum Beispiel einen Taschendieb gefangen hat, oder?“

„Ja, das ist richtig! Aber da gibt es auch Situationen, bei denen ich heute noch dran zu kauen habe, wie zum Beispiel den letzten Selbstmörder, der sich einfach vor den Zug geschmissen hat! Oh Entschuldigung, ich wollte mit dem Thema nicht anfangen!“

„Macht nichts Jutta! Kannst ruhig weiterreden! Den letzten, den ich hatte, kannte ich sogar. Das habe ich aber erst festgestellt, als ich den Ausweis in der Hand hatte. Ich will jetzt nicht erzählen, wie der ausgesehen hat, nach dem der Zug drüber weg war!“

„Erich, ich war mit dabei!“

„Ja Klaus, so ist das und du musst dich zusammenreißen und die Sache durchziehen bis zum Schluss. Dafür bist du bei der Polizei!“

„Versetz dich mal in den Lokführer. Du sitzt ganz vorne im Steuerabteil, fährst hundert und plötzlich steht ein Mensch auf den Gleisen. Der sieht dir in die Augen und winkt mit beiden Armen. Das ist dann immer das Gleiche. Schnellbremsung, Signalhorn, wegschauen und darauf warten, dass es knallt! Und dann kommen wir und wollen vom Lokführer jede Kleinigkeit wissen! Und ich kenne einen Lokführer, der hatte ein kleines Mädchen totgefahren. Er sagte später zu mir: Erich, das kannst du dir nicht vorstellen, wie das ist, wenn ein Mädchen mitten auf dem Gleis steht und mit ihrem Teddy im Arm. An dem Tag wollte ich alles wegschmeißen und nie wieder auf die Lok steigen.“

„Ich möchte euren Job nicht machen!“, sagte Heidi und verschwand wieder in der Küche.

„Liebe Heidi, das ist nun mal so! Da, wo sich andere umdrehen und wegschauen, fängt unsere Arbeit an!“

„Es mag jetzt lächerlich klingen, aber als ich vorgestern einer alten Frau die Koffer zum Bahnsteig trug und ihr noch beim Einsteigen in den Zug half, sagte sie zu mir: Ich danke dir, meine Tochter! Dabei reichte sie mir ihre Hand. Auch wenn sie kalt war, so fühlte sich der Händedruck warm an. Das sind auch solche Situationen, auf die man mal stolz sein kann, so einen Beruf zu haben!“

Olete lõpetanud tasuta lõigu lugemise. Kas soovite edasi lugeda?