Cyberland

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Ein Stück der Freiheit, der Befreiung von den Zwängen der Gegenwart, fände Ludwig B. allenfalls an den Rändern der Zivilisation und an den Rändern der Gesellschaft, die der dröhnenden Propaganda des Durchschnittlichen widerstehen. Der tiefste Einblick in die Zukunft gelänge ihm jedoch im amerikanischen Westen.

Über Jahrhunderte zog die Neue Welt die Menschen an, weil sie dem Einzelnen die Chance für einen klaren Neuanfang offerierte, weil sie unterdrückten Minderheiten, politischen Utopisten und religiösen Sekten, den Freiraum bot, nach ihren eigenen Regeln zu leben. Mehr als anderswo hat sich in der zerstreuten Siedlungslandschaft zwischen den Rocky Mountains und dem Pazifik etwas von diesem Pioniergeist erhalten. Hier ist die Sehnsucht nach Veränderung und Abenteuer noch stärker als der ängstliche Wunsch nach Erhalt des Erreichten, und hier bereiten in unzähligen Nischen und Subkulturen avantgardistische Hightech-Pioniere die Eroberung des letzten Freiraums vor, der auf diesem Planeten verblieben ist: des Cyberspace.

Wie alle Lifestyle-Umwälzungen in den vergangenen zweihundert Jahren wurde auch diese durch eine technische Neuerung ausgelöst, nur dass es diesmal nicht der Telegraph, das Gaslicht, die Elektrizität, das Automobil, das Radio oder der Film war, sondern der Computer.

Während die Mehrheit der Menschen das elektronische Gerät als eine banale Mischung aus klobiger Rechenmaschine und besserem Tippgerät mit Löschvorrichtung missverstand, ging es Computer-Pionieren wie Douglas Engelbart von Anfang an darum, eine »augmentation machine« (»Verbesserungs-Maschine«) zu schaffen, die den Menschen neue Wissens- und Existenzformen eröffnen sollte. Hacker und Technik-Nerds folgten dieser Grundidee. Sie erprobten das Potential des Computers als universelles Ermächtigungsmittel, das Realität kontrollierbar macht und zugleich erlaubt, neue Realitäten zu erzeugen, und so den einzelnen in den nie gekannten Stand versetzt, seine eigenen Erfahrungen sowie Teile der Wirklichkeit, die einst materiell fixiert waren – Datensammlungen, Texte, Zeichnungen, Fotos, Tonaufzeichnungen, Filmsequenzen, komplette Erlebniswelten –, nunmehr in Nullen und Einsen zu repräsentieren, sie sodann nach seinem Willen und zu seinen Gunsten zu modifizieren und das Ergebnis schließlich vom Heimcomputer via Cyberspace Gott und der Welt zuzuspielen.

Zwangsläufig avancierte ein solches Gerät binnen kurzem zur Traummaschine, die das beste und rücksichtsloseste Talent einer Generation anzog, wie es einst die Künste oder die Politik und zuletzt die Popkultur getan hatten.

Der archimedische Punkt auf der Landkarte, an den die zukünftigen Helden und Herren der Hightech-Industrien strömten - jedenfalls bevor der Cyberspace eröffnet wurde und die Notwendigkeit zu geographischer Nähe weitgehend entfiel –, lag im amerikanischen Westen, mit den wuchernden Vorstadtlandschaften der Bay Area und rund um Los Angeles als mittelpunktslosen Zentren und mit Seattle, Salt Lake City, Las Vegas, Phoenix, Santa Fe und Los Alamos als vornehmsten Satelliten.

Schon seit den zwanziger Jahren, als das gute Wetter die Film- wie die Flugzeugindustrie anzog, birgt dieser Teil der Welt eine ungewöhnliche Dichte von innovativen Technik- und Unterhaltungsproduzenten. In den vierziger Jahren führte die Atomforschung, in den Fünfzigern die Weltraumfahrt zu einer weiteren Zuwanderung von Spitzenforschungseinrichtungen und Hochtechnologie-Firmen. Im Gefolge der Microprozessor-Revolution wandelte sich der Westen dann vollends zum imaginären Zentrum der Gegenwartskultur, dessen Basiserfindungen und Produkte global dominieren.

Aus diesem immer noch recht dünnbesiedelten Stückchen Erde, kommt die Mehrheit dessen, was um die Erde und in den Weltraum fliegt. Hier nahmen die beiden mythischen Urbilder des zwanzigsten Jahrhunderts ihren Ausgang, der in den Himmel steigende Atompilz und die Außenansicht vom blauen Planeten, wie er im Weltall treibt. Hier wurden im legendären Xerox Parc die graphische Benutzeroberfläche, die Computermaus, der Laserwriter und das Netzwerk herbeigebastelt. Hier entsteht die weltweit erfolgreichste Unterhaltungssoftware - Kinofilme, TV-Serien, Popmusik, Videospiele. Hier werden die Chips entworfen, ohne die nirgendwo etwas mehr liefe, und hier werden die erfolgreichsten Betriebssysteme und Programme geschrieben. US-Firmen zeichnen für siebzig Prozent aller existierenden Computersoftware verantwortlich, Microsoft allein produziert pro Jahr mehr Code als jede andere Nation der Welt.

»Auf dem Gebiet von Hardware und Software für Computer reicht niemand an Amerika heran«, räumt Hiroshi Tanaka, Senior Managing Director der japanischen Hightech-Firma Canon, klagend ein. Weshalb seine Firma auch nicht mit japanischen Partnern zusammenarbeiten könne: »Das [Silicon] Valley ist dem Rest der Welt zehn, vielleicht sogar zwanzig Jahre voraus.«

Es war also nur logisch, dass der Cyberspace als vorderste frontier der Gegenwart ebenfalls von hier aus erschlossen wurde - als ein Stück Amerika und als ein Stück amerikanischer Vorherrschaft. Die Sprache und Kultur der Nation, die diesen utopischen Raum jenseits der Geographie entdeckt hat, formen ihn. Längst verdienen in den USA mehr Menschen ihr Geld mit Herstellung, Handel und Service von elektronischer Hard- und Software als mit irgendeinem anderen Wirtschaftsprodukt, Schwer- und Autoindustrie eingeschlossen. Von einer militärisch-industriellen Supermacht ist Amerika zu einer Supermacht in den Bereichen von Massenunterhaltung und Informationsverarbeitung geworden. Bis heute befindet sich ein Großteil der Hardware und Infrastruktur der Netze auf US-Boden, und selbst innereuropäische Verbindungen verlaufen oft schneller und billiger über den Umweg des nordamerikanischen Kontinents.

»Dieses Land ist dazu auserwählt«, sagt der Ex-Medienagent und Disney-Präsident Michael Ovitz, »weltweit die Standards für Informations- und Unterhaltungsdienste zu setzen.«

Die US-Dominanz zeigt sich besonders deutlich im Internet. Siebenunddreißig Millionen Nordamerikaner hatten Ende 1995 Zugang zu ihm, vierundzwanzig Millionen benutzten es regelmäßig, im Schnitt um die fünf Stunden pro Woche. Im Weltvergleich sind rund dreiundsechzig Prozent aller Internauten Amerikaner und lediglich einundzwanzig Prozent Europäer - obwohl die Alte Welt über erheblich mehr Einwohner verfügt. Besonders kümmerlich vertreten ist Deutschland mit höchstens zweihunderttausend regelmäßigen Internet-Nutzern. Nicht anders sieht die Situation in den kommerziellen Netzen aus. CompuServe etwa, das seine Mitgliederzahl binnen zweier Jahre vervierfachte - von einer Million im September 1993 auf rund vier Millionen im Dezember 1995 - zählt nur einhunderttausend deutsche Kunden. Noch weniger sind Mitglied bei dem derzeit mit 4,5 Millionen Mitgliedern weltweit größten kommerziellen Anbieter America Online.

Doch der Cyberspace gehört so wenig den Amerikanern allein wie einst die Pariser Nacht den Franzosen. Seine Grenzen sind offen, sein Terrain ist unerschlossen. Der multinationale Freiraum stellt das aktuelle »Register der Weltgeschichte« dar, das derzeit beste »Fernrohr der Zukunft«. In diesem globalen Laboratorium experimentiert die heutige Menschheit mit neuen Wirklichkeiten und Bewusstseinsformen.

Was dabei unzensiert zu Tage tritt, erschüttert den rückständigen Alltag als kulturelles Erdbeben und lässt langgehegte Gewissheiten und Gewohnheiten zu Bruch gehen. Wie Paris im neunzehnten Jahrhundert ist der Cyberspace heute Schauplatz der brennendsten Kontroversen und zugleich der gegenwärtig kontroverseste Ort. In den Netzen kulmiminieren die intellektuellen Strömungen, künstlerischen Tendenzen und avanciertesten Techniken der Epoche zu einer bunten multimedialen Mischung aus Chaos-Theorie und Videokunst, Genetik und Kryonik, postmoderner Theorie und Popmusik, Gruppenspielen und Science Fiction, Mythologie und Nanotechnologie, Computergraphik und Online-Sex, wobei der Unterhaltungsbranche und insbesondere den Künsten des An- und Ausziehens, Cybermoden, Cyberspielen und Cyberporn, unverändert eine Schlüsselstellung zukommt.

Ein phantastischer Umstand trennt jedoch die Gesellschaft des einundzwanzigsten Jahrhunderts, die sich an diesem explosionsartig expandierenden utopos ausformt, von allen historischen Vorgängern: Ihre neuen Kulturräume erschafft sie sich jenseits der widerständigen Wirklichkeiten der zahllosen ungleichzeitigen Zivilisationen, die gegenwärtig auf der Erde unfriedlich koexistieren, dabei die jeweilige Stufe ihrer Unterentwicklung hartnäckig verteidigend.

Als Ludwig B. damals unterwegs in seine Zukunft war, die Pariser Frühmoderne, traf er bei einem Zwischenaufenthalt in Karlsruhe eine Freundin und deren Sohn.

»Ich sah eine schönere Zeit in rosenroter Knospe. Wenn die einmal aufbricht!« schwärmte er und war zugleich voller Traurigkeit darüber, dass der Junge vorerst in der deutschen Enge aufwachsen sollte, deren Alltag keine Zukunft hatte: »Wie gerne hätte ich ihn der Mutter gestohlen und ihn mit mir über den Rhein geführt, ihn dort zu erziehen mit Schlägen und Küssen, mit Hunger und Rosinen, dass er lernte frei zu sein und dann zurückkehre, frei zu machen.«

Für eine solche Entführung des Jungen aus seinem kulturellen Gefängnis, für die Erweiterung seines Horizonts, stünden die Chancen heute besser. Anders als frühere Entdeckungs- und Bildungsreisen erfordern Exkursionen an die vorderste Front unserer Gegenwart, dorthin, wo die Freiheit am größten, der politische Diskurs am radikalsten und die Kunst verzaubert wie nie ist, keinerlei strapaziöse Ortsveränderung. Der Cyberspace umspannt den Planeten. In ihn könnten Ludwig B. und sein Schützling ganz einfach via Modem und Computer reisen, was allemal für den Preis zu haben ist, den der Freiheitshungrige damals für die mehrtägige Tortur auf dem Eilpostwagen entrichtete.

 

Cyberklopädie I:

Hacker, Cyberpunk, Cyberspace

Blöcke, Ecken, Kanten aus Licht und stählern schimmernden Strukturen. Dazwischen fallen tiefe Schattenschächte. Der Hubschrauber-Blick rast im Tiefflug durch die flickernde Skyline der Mutterplatine und der umliegenden Silicon-Türme.

Aktuelle Position: nordamerikanischer Kontinent, Westküste, Suite des Mandarin Hotel in der Bay Area. Zeit: 00:45 h vor dem ersten Kontakt.

Zum xten Mal läuft im Fernseher die Reklame für einen neuen Intel-Chip. Das TV-Bild spiegelt sich in der gläsernen Front des 45. Stockwerks. Hinter den Fenstern, draußen in der abendlichen Realität, drohen dieselben Blöcke, Ecken und Kanten aus Licht und stählern schimmernden Strukturen. Dazwischen, in den Schattenschächten, gleiten Glühwürmchen-Trecks, Leuchtreklamen blinken rhythmisch, und aus dem Datendunst am Horizont gleißt wie ein gewaltiger Halbleiter die Golden-Gate-Brücke heraus.

»Das Universum besteht aus einem Haufen digitaler Programme, die laufen, laufen, laufen«, hat Timothy Leary sein digitales Credo formuliert. Und Rudy Rucker meint im Rückblick auf seine Vercyberung: »Die mentale Transformation, der ich mich unterziehen musste, bestand darin, alles als einen Computer anzusehen« - was keinem schwerfallen kann, der auf diese Stadt des einundzwanzigsten Jahrhunderts hinunterblickt.

Den Kontakt zu R. U. Sirius wollen die Scouts in einer halben Stunde herstellen. Mein Körper wartet zusammen mit dem laufenden Fernseher in der Hotelzelle, meine Hände bearbeiten die Tastatur des Powerbook, der neben mir auf dem Bett liegt, doch mein Kopf irrt derweil durch Datenlandschaften, die Tausende von Meilen entfernt sind. Ich stöbere in amerikanischen, britischen und australischen Zeitungen, in Bibliotheken in Bern und Berkeley, in einem Dutzend Newsgroups, deren Zulieferer in zwölf verschiedenen Zeitzonen leben, ich suche im Massachusetts Institute of Technology (MIT) nach Informationen, auf einem Server in Oxford und gleich danach im kalifornischen Xerox Parc. Ich lasse das Modem neu anwählen und wechsle in CompuServe und danach in America Online. Ich könnte mich dabei mit Kochrezepten und Börsentipps versehen oder eine Einführung in die Astrologie der Mayas erhalten, ich könnte mich mit jeder Sorte von Konspirationstheorie und mit UFO-Sichtungen, mit Bodyart oder alternativen Energieformen beschäftigen. Doch ich bin diesmal lediglich an Informationen zu drei Stichworten interessiert, die mich auf die Begegnung mit R. U. Sirius vorbereiten sollen.

Die Ausbeute der Recherche, die schließlich über den Schirm des Powerbook läuft, ist mehr als ergiebig. Hacker, Cyberpunk und Cyberspace - das sind Zauberlehrlingsstichworte, die eine gewaltige Bit-Tsunami auslösen.

Hacker. »Hack« hieß einst - abgeleitet vom wilden Herumhacken auf der Tastatur - ein Lohnschreiberling, der auf seiner Schreibmaschine Textzeile auf Textzeile herunterhämmerte. Der Begriff Hacker wurde dann in den sechziger Jahren im Umkreis der Spitzenforschungseinrichtungen MIT und Stanford geprägt und bezeichnete besonders genial programmierende Elektronikbastler. Ihr »Hack« war dementsprechend die möglichst elegante Lösung eines schwierigen Problems. Diese frühen Hacker der Hippiegeneration waren berühmt für ihre bedingungslose Liebe zur Technik und berüchtigt für ihre verkehrte Lebensweise, deren hervorstechendste Merkmale der Mangel an Hygiene und Schlaf waren. Letzteres rührte vor allem daher, dass Rechenzeit an den wenigen Mainframe-Computern äußerst limitiert und meist nur nachts zu haben war - jedenfalls für avantgardistische Experimente ohne unmittelbare Nutzanwendung.

Die Erfahrung vom Computer als einer teuren Mangelware, gepaart mit dem Leiden an den vielfältigen Einschränkungen und bürokratischen Restriktionen, die sich daraus ergaben, dass ein einzelner Hacker, so er nicht Millionär war, keinen eigenen (Mainframe-)Computer besitzen konnte, veranlasste die bastelnde Suche nach billigeren Alternativen.

Hacker bauten in den siebziger Jahren folglich die ersten erschwinglichen Personal Computer. Die wiederum ließen eine neue Sorte von Teenage-Hackern aufkommen, nach dem gleichnamigen Film von 1983 allgemein die »Wargames«-Generation genannt.

Diesem Nachwuchs im Computer-Underground ging es weniger um technisches Wissen und innovative Problemlösungen als um eine radikale Appropriation von Hard- und Software. Ihnen hieß ein Hack alles, was ein Stück Technik dazu bewegte, anderes zu machen, als wofür es entworfen wurde. Gleichgültig gegenüber technischer Kunstfertigkeit und statt dessen auf tollkühne Kunststücke versessen, bedienten diese jüngeren Hacker sich der nunmehr vorhandenen Billig-Gerätschaften, um sich trickreich illegalen Zugang zu geschützten Mainframe-Systemen zu verschaffen.

Insofern sie dabei Daten änderten oder zerstörten, wurden sie von den Hippie-Hackern, gegen deren subkulturellen Ehrenkodex sie verstießen, als Cracker beschimpft. Solcher Datenvandalismus blieb allerdings eine Seltenheit. Die Mehrzahl der Computerkids betrieb das Hacken des schieren Kitzels wegen, als l’art pour l’art, und legte gesteigerten Wert darauf, die Systeme so elegant zu knacken, dass keinerlei Spur zurückblieb.

Dies änderte sich mit der dritten Generation von Hackern, die seit den späten achtziger Jahren wie andere Halbwüchsige an der Straßenecke in den Bulletinboards (BBS) und MUDs herumlungern (von Multi-User Dungeons, elektronischen Spiel-Kerkern für mehrere Personen), dabei Informationen austauschend und Pläne schmiedend, die Welt aufzuwirbeln. Wie ihre Vorgänger stammen auch diese Hacker überwiegend aus dem weißen Mittelstand. Anders als ihre Vorgänger treibt sie jedoch der Drang, die Informationsgesellschaft von innen auseinanderzunehmen, eine anarchisch-aggressive Datenbankplünderungslust. Sie verstehen sich als »Informationsbefreier«. Ihr Schlachtruf »Alle Information will frei sein« lässt sie gegen Zensur oder Geheimhaltung anhacken. Alles und jedes wollen sie jedermann zugänglich machen - die private Kreditwürdigkeit ebenso wie die Umsatzzahlen der Konzerne oder Regierungsgeheimnisse und vor allem all die vielen illegalen Tricks und Rezepte, vom kostenlosen Zugang zum Telefonnetz über den Gratis-Kabelanschluss bis zur Drogenanrühranleitung.

»In ihren Träumen (obwohl höchst selten im wirklichen Leben) hören sie Madonnas Telefongespräche ab und sogar die des Secret Service«, schreibt Gary Cartwright. »Doch eigentlich sind die meisten Hacker so harmlos wie Entlein ... Zum größten Teil handelt es sich bei ihnen um junge Männer mit ernstzunehmenden anti-sozialen Tendenzen (wenige Frauen hacken), um junge Kerle, die wie wild den Wettstreit suchen und klüger sind, als es ihnen gut tut.«

Sich selbst nennen diese Hacker der dritten Generation Cyberpunks.

Cyberpunk. Der Begriff verschmilzt Hightech-Kybernetik (engl. »cybernetics«) mit Low-life-Punk, also modernste Technik mit revoltierender Gegenkultur. Die Vorsilbe Kyber leitet sich dabei von dem griechischen Wort »kubernao« ab (ein Schiff steuern) und findet sich außer in Kybernetik - ursprünglich die Wissenschaft von Steuerungsprozessen, heute eher synonym mit Informatik verwendet - auch in modernen Worten wie Gouverneur oder dem englischen »government« (Regierung). Cyber konnotiert insofern im engeren Sinne souveräne Steuerung bei der schlingernden Fahrt über die elektronischen Wellen. Im erweiterten populären Gebrauch bezeichnet es dann schlicht alles, was mit diesem neuen elektronischen Reich in Verbindung steht.

Geprägt hat die Wortverbindung Cyberpunk Hans Bethke in der 1983 veröffentlichten Science-Fiction-Erzählung gleichen Titels. Ein Jahr später kreierte William Gibson mit seinem Roman »Neuromancer« das neue Genre der Cyberpunk-Science-Fiction. Ein zweiter Autor, der erfolgreich am Mythos des Cyberpunk mitschrieb und wie Gibson heute als literarischer Prophet des digitalen Zeitalters gilt, ist Bruce Sterling (»Schismatrix«, »Islands in the Net«). Beide fanden zahlreiche Weggefährten und Nachahmer.

Die Cyberpunk-Fiction, die sich so in den achtziger Jahren herausbildete, beschwört in einem rasant-ironischen Stil, der an die klassischen Pulp-Detektivromane der dreißiger und vierziger Jahre erinnert und mit existentialistischen Motiven und Elementen der Punk-Ästhetik gespickt ist, eine nicht sehr ferne dystopische Zukunft. In ihr prallen grelles Licht und finsterste Dunkelheit, Hightech und Aberglauben aufeinander, in ihr bewegt, schreibt »Wired«-Chefredakteur Kevin Kelly, »Voodoo genauso viel wie Supraleiter«.

Bruce Sterling nennt zwei zentrale Motivkomplexe, zum einen »das Thema der Körperinvasion: künstliche Gliedmaßen, implantierte Elektronik, plastische Chirurgie, genetische Eingriffe«; zum zweiten »das noch stärkere Thema der Verstandesinvasion: Gehirn-Computer-Interfaces, künstliche Intelligenz, neurochemische Techniken, die die menschliche Natur, die Natur des Selbst radikal redefinieren.«

Das Standard-Szenario der Cyberpunk-Erzählungen spielt irgendwann im einundzwanzigsten Jahrhundert. Gewaltige Konzerne haben die Welt in Geschäftszonen aufgeteilt. Die gleichzeitig wuchernden und zerfallenden Stadtlandschaften bevölkern Massen kleinbürgerlicher Datensklaven und eine gewalttätige Unterschicht drogenabhängiger Zombies. Ihre Slums aus Beton und nackten Stahlträgern kontrastieren mit den Palästen aus Marmor und Messing, in denen die Konzerne residieren. Das Individuum – heute schon in den Worten Jean Baudrillards »ein Terminal multipler Netzwerke« – ist in der Cyberpunk-Zukunft vollends zur Datendurchgangsstation geworden, zum Anhängsel der Maschinen. Wobei letzteres recht wörtlich zu verstehen ist: Die Helden dieser Romane, Datenguerilleros und Konsolen-Cowboys, gewiefte Einzelgänger und Einzelkämpfer, können sich dank Gehirnimplantat und Schädelstöpsel direkt in die Matrix einklinken.

»Wie viele andere prophetische Avantgarden in der Vergangenheit«, schreibt Wark McKenzie über die Cyberpunk-Autoren der achtziger Jahre, »sahen sie die Zukunft zugleich klarer und verrückter als ihre Zeitgenossen. Wie die romantischen Dichter und die dekadenten Künstler des neunzehnten Jahrhunderts, wie die Surrealisten und Futuristen und Konstruktivisten des frühen zwanzigsten Jahrhunderts wollten sie das Leben verändern. Deshalb stellten sie sich vor, wie es anders sein könnte, anders nicht nur als die Gegenwart, sondern auch anders, als die Zukunft offiziell werden sollte.«

Die Cyberpunk-Vision fand schnell eine breite Anhängerschaft, und das literarische Genre mauserte sich zu einem kunterbunten massenkulturellen Modekomplex, zu dem ältere Filme wie »Bladerunner« und neuere wie »Brazil« oder »Lawnmower Man« rechnen, TV-Shows wie »Max Headroom« oder Oliver Stones »Wild Palmes«, Musikstile wie Industrial, Rave, Acid House, Musiker und Künstler wie Brian Eno, Stelarc oder Mark Pauline und seine Survival Research Labs.

Die Vielfältigkeit der Cyberszene macht eine klare Definition schwer. R. U. Sirius bezeichnet Cyberpunk als »eine Weltsicht, eine fundamentale Beschreibung der Richtung, in die die westliche Zivilisation marschiert, wild und außer Kontrolle«. Hacker-Königin und »Mondo 2000«-Redakteurin St. Jude, laut R. U. eine »polymathematisch-perverse« Ex-Maoistin und »Hebephrenekerin im Endstadium«, beschreibt Cyberpunk als die Szene, in der die Welten von Wissenschaft und Kunst sich mischen, als Treffpunkt von Zukunft und Gegenwart. Stewart Brand, emeritierter Chefredakteur des hippiesken »Whole Earth Catalog«, meint, die Cyberpunk-Bewegung verbinde »Technologie mit Haltung« - vor allem Technologie, die es noch nicht gibt, mit einer Haltung, die dem Massenbewusstsein und seiner Konsens-Politik entgegensteht. Und das Magazin »Time« klagte, als es 1993 stellvertretend für die Bevölkerungsmehrheit die neue Gegenkultur entdeckte, die bedauerliche Vorliebe für virtuellen Sex, Smart Drugs und synthetischen Rock’n’Roll lasse die Cyberpunks die dunklen Wellenkämme des Computer-Zeitalters surfen. Keiner aber hat cyberpunkiger formuliert, worum es geht, als Rudy Rucker:

»Das Beste am Cyberpunk ist, dass er mich gelehrt hat, Einkaufszentren, die ich immer gehasst habe, entspannt zu ertragen. Jetzt bilde ich mir einfach ein, das ganze Ding läge zwei Meilen unter der Mondoberfläche und jedem zweiten Passanten sei die rechte Gehirnhälfte von stählernen Robotratten weggefressen worden.«

Literatur, die Wirklichkeit werden wollte - in dem kuriosen Umstand, dass das Leben die Kunst nachahmte, gleichen die Cyberpunks den Beatniks. Beide Jugend-Bohemes wurden von literarischen Texten ein- und angeleitet, die auf technische Innovationen der Epoche reagierten. Wie Jack Kerouac das existentielle Unterwegssein propagiert, ein rastloses Verfahren auf dem Autobahnnetz, das damals in den vierziger und fünfziger Jahren den nordamerikanischen Kontinent erschloss, so schildert Gibsons »Neuromancer« den Eintritt der Informationsgesellschaft in ihr postsymbolisches Zeitalter, den direkten Daten-Kontakt auf der gerade entstehenden Infobahn und die dabei drohende existentielle Verflüchtigung.

 

»Die Autobahn-Metapher passt«, hat R. U. Sirius einmal über die Reise der binären Beatniks in den Cyberspace erklärt. »Wie bei Jack Kerouacs ‘On the Road’: aus einer engen kleinen Gemeinschaft hinaus auf die weite offene Straße.«

Der Computer-Underground folgte nicht nur dieser breiten, von der amerikanischen Regierung durchaus empfohlenen Infobahn-Route, sondern auch den von der Science-Fiction-Literatur vorgezeichneten Abwegen. Bald war Cyberpunk keine reine Zukunftsmusik mehr. Angezogen vom Zentralthema, der Verschmelzung von Mensch und Maschine, entdeckten die Hacker das Genre und verwandelten die Literatur ein Stück weit in soziale Realität.

Cyberpunk »gab uns eine Vision der Möglichkeiten, die der Technik innewohnten«, beschreibt der legendäre Hacker Synergy, natürlich ebenfalls ein »Mondo 2000«-Autor, diese Mimesis des Lebens an die Kunst: »Plötzlich setzte sich das Konzept des Cyberspace durch und inspirierte die Hacker.«

Cyberspace. Das Wort meint den Raum (engl. »space«), in dem die vernetzten elektronischen Informationen miteinander und dem Bewusstsein der Benutzer in Wechselwirkung treten. Im Umgang mit Mitmenschen - per Einweg-Email oder in interaktiven Kontexten, Chatrooms, MUDs usw. - bietet der Cyberspace absolute Gleichheit in der Kommunikation: Unabhängigkeit vom Ort des physischen Aufenthalts und Freiheit von sozialen Einschränkungen wie Status und Klassenzugehörigkeit oder biologischen Begrenzungen wie Geschlecht, Alter und Rasse. Ein berühmter Cyber-Cartoon zeigt einen Vierbeiner, der einen Artgenossen tröstet: »Im Cyberspace weiß niemand, dass du ein Hund bist.«

Als nicht-physischer, sondern metaphorischer Raum ist der Cyberspace eine von Maschinen erzeugte Welt aus abstrakten Zeichen und fernen Stimmen, die uns nur nahe scheinen. Utopische Konzepte beschwören folgerichtig die graphische Repräsentation des unablässigen Datenflusses zwischen den Millionen Computern, die weltweit miteinander vernetzt sind. Dieses künstliche Software-Reich visualisierter Energiebündel und Signalkonstellationen soll das menschliche Gehirn dann der taktilen Realität gleich als mentale Landschaft durchstreifen können - als eine »allgemeinverbindliche Halluzination«, wie sie William Gibson in »Neuromancer« beschreibt: »Linien aus Licht, aufgereiht im Nichtraum des Verstandes, Ballungen und Anordnungen von Daten. Wie die Lichter einer Stadt, die sich langsam entfernen ...«

Den gegenwärtig bereits erfahrbaren virtuellen Alltag in den digitalen Parallel-Realitäten all denen zu schildern, die noch im analogen Exil leben, fällt ebenso schwer, wie Erlebnisse am Meeresboden oder in der Schwerelosigkeit des Alls nachvollziehbar zu machen. Bruce Sterling hat es versucht, indem er den Cyberspace als das Nirgendwo beschrieben hat, auf dessen Terrain auch jedes Telefongespräch stattfindet - also den ortlosen, allein in Photonen und Elektronen existierenden Zwischenraum zwischen den Telefonen der Gesprächspartner.

Doch natürlich macht das normale Telefonnetz nur den kleineren und vertrauteren Teil der Datenverbindungen aus, die die materielle Grundlage dieses neuen immateriellen Kommunikationsraumes bilden. Zum Cyberspace tragen wesentlicher Millionen von Hochgeschwindigkeitsverbindungen innerhalb von LANs (local area networks) und zwischen den Internet-Knotenpunkten bei, ebenso die unzähligen erdgebundenen Dauerfunkstrecken und die Verbindungen zwischen den Bodenstationen und den Hunderten von Nachrichtensatelliten, die von ihren geostationären Positionen aus den großräumigen Datentransfer bewerkstelligen.

Grateful-Dead-Songtexter und Cyber-Aktivist John Perry Barlow meint daher, wer wissen wolle, wo der Cyberspace zu finden sei, solle sich am besten die Frage stellen, wo sich sein erspartes Geld gerade herumtreibt: Im Zweifelsfall liegt es in keinem Banksafe - schon allein deshalb nicht, weil nur der geringste Teil der zirkulierenden Geldmengen durch ein Äquivalent in Münzen oder Scheinen abgedeckt ist -, sondern es jagt, den diversen Investitionsentscheidungen der Banken folgend, als digital kodierte Kolonne durch jenen Teil des Cyberspace, der die internationalen Finanzmärkte beherbergt.

Wie alle Pioniergebiete hat auch der virtuelle Cyberspace eine Besiedlungsgeschichte. Erschlossen wurde er zuerst vor einem Vierteljahrhundert, als das amerikanische Verteidigungsministerium die Nachrichtenverbindungen für den Fall eines Atomkriegs sichern wollte. Die Generäle befürchteten zurecht, die zentralistisch organisierten nationalen Kommunikationsstränge - die telefonischen Schaltstationen, die Sendezentralen der Radio- und Fernsehsender - könnten im Kriegsfall durch gezielte Bomben- oder Raketenangriffe lahmgelegt werden.

Paul Baran, ein Forscher der Rand Corporation, fand 1964 eine ungewöhnliche Lösung für dieses Problem: ein Netz von Computerverbindungen, dem im Gegensatz zu allen bekannten Kommunikationswegen die zentrale Schaltstelle fehlte. Strukturelle Redundanz und hierarchische Gleichberechtigung aller beteiligten Computer sollten stetes Umgehen von Blockierungen oder Beschädigungen in den Nachrichtenverbindungen ermöglichen. Egal, welcher Computer im Netz ausfiel oder vom Gegner ausgeschaltet wurde, alle anderen sollten weiterhin untereinander kommunizieren können.

Es war eine verrückte Idee. Die innovative nicht-hierarchische Netzstruktur widersprach dem Ordnungsdenken und den Kontrollwünschen der Militärs diametral. Doch innerhalb der atomaren Strategie des Kalten Krieges fand sich keine andere Lösung. Die Advanced Research Projects Agency (ARPA) des Pentagon baute das experimentelle Computernetz.

Seine »nomadische Architektur«, die sich von Anfang an so schnell wandelte, wie sich elektronische Zelte aufschlagen und wieder abbauen lassen, schuf in ihrer Freiheit von Kontrollinstanzen die Voraussetzungen für das zukünftige wilde Wuchern des Cyberspace. Und sie ist es auch, die bis heute der Einführung einer Zensur, wie sie viele konservative Gruppen und autoritäre Staaten befürworten, größte Hindernisse entgegenstellt.

»Das Netz«, sagt Internet-Pionier John Gilmore, »interpretiert jeden Zensurversuch als technischen Schaden und lenkt die Daten auf Umwegen zum Ziel.«

In seinen Anfängen war das Leben in ARPAnet so antiseptisch wie die Büros und Labors der Militärs und Wissenschaftler, die das Netz erschlossen hatten und sich mit seiner Hilfe nun gegenseitig Zugang zu den auf ihren Computern gespeicherten Daten einräumten. Sehr bald allerdings entdeckten einige Benutzer, dass sich die elektronischen Kommunikationswege für weniger professionelle Zwecke umfunktionieren ließen - Klatsch und Tratsch via E-Mail, Diskussionsgruppen und Newsgroups zu allen erdenklichen Themen von Science-Fiction-Literatur bis zu sadomasochistischen Praktiken, elektronische Magazine und Tauschbörsen, interaktive Gruppenspiele ...

Da ARPAnet einzig Regierungs- und Forschungsinstitutionen Zugang gewährte, entstanden parallel Hunderte von BBS sowie lokale und nationale Netze für andere Bevölkerungsgruppen. Das bedeutendste hieß NSFnet nach der National Science Foundation (NSF). Für die Erschließung des Cyberspace zeitigte NSFnet tiefgreifende Folgen, da es in den achtziger Jahren den Anschluss der amerikanischen Schulen und Colleges forcierte und so Millionen von Schülern und Studenten elektronische Kommunikation offerierte. Zwischen 1981 und 1992 explodierte die Zahl der ständig im Internet vernetzten Computer von 281 Stück auf 1,1 Millionen. Auch die nationale Beschränkung der US-Netze, die lange Auslandsverbindungen nur zu Militärbasen und Botschaften erlaubte, brach damals auf.