Jenseits des Spessarts

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„Ihr habt da aber auch gewaltig was aufgegeben“, stellte Brunner fest.

Kerner drehte sich dem Freund zu. „Eberhard, wenn dein Kind lebensbedrohlich erkrankt, wirst du alles menschenmögliche unternehmen, um ihm zu helfen. Da ist es völlig egal, ob deine Existenz über den Jordan geht oder nicht.“

„Völlig klar“, gab Brunner zurück. „Ich meinte ja nur … Immerhin bist ja damals nach Afrika gegangen, weil du hier durch den Tod von Steffi den Halt verloren hattest und dort eine neue Existenz aufbauen wolltest. Was willst du jetzt machen? du musst doch deine Familie ernähren und die Behandlung von Clara dürfte ziemlich viel Geld verschlingen.“

Bei Erwähnung seiner ehemaligen Partnerin, die so tragisch ums Leben gekommen war, schwieg Kerner einen Moment gedankenverloren, dann riss er sich zusammen und fuhr fort: „Das ist jetzt erst mal sekundär. Wir haben einiges angespart. Im Busch kannst du ja nicht viel Geld ausgeben.“ Er atmete tief durch. „In den Staatsdienst kann ich natürlich nicht mehr zurückkehren. Aber ich habe mir überlegt, bei der Rechtsanwaltskammer in Bamberg einen Antrag auf Zulassung als Rechtsanwalt im Bereich Würzburg, Main-Spessart und des Oberlandesgerichts Bamberg zu stellen. Bei meinen Qualifikationen dürfte das eigentlich kein großes Problem sein. Ich könnte mir vorstellen, dass sich der eine oder andere noch an mich erinnert. – Aber jetzt muss erst einmal alles unternommen werden, um Clara zu helfen. Wahrscheinlich wird es darauf hinauslaufen, dass wir einen Rückenmarkspender benötigen. Aber das ist wie die sprichwörtliche Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen.“

„Wie geht es euch dabei? Ich kann mir vorstellen, dass es sehr quälend ist, wenn das eigene Kind von einer derart lebensbedrohenden Krankheit befallen wird.“

„Ja, das nimmt uns beide sehr mit! Ich möchte für die beiden da sein, bin aber jetzt erst mal gezwungen, mich um die Organisation unseres Lebens zu kümmern. Ich bin dir wirklich sehr dankbar, dass ich bei dir für einige Zeit wohnen kann.“

„Wie du bereits sagtest, sind Clara und Theresa im Augenblick in der Klinik gut aufgehoben. Wenn du bei mir wohnst, hast du den Rücken frei und kannst eine geeignete Wohnung suchen. Ich habe dir ja schon gesagt, dass diese Soko ihren Dienstsitz im Main-Spessart-Bereich haben wird. Da wird es sicher die Notwendigkeit schneller Einsätze geben. Da muss ich vor Ort sein und deshalb ist an tägliches Pendeln nicht zu denken.“ Er stellte das Gebläse eine Stufe niedriger. „Bevor du denkst, ich würde die Wohnung nur wegen dir behalten, kann ich dich beruhigen. Ich hätte sie auf jeden Fall behalten. Wie Wohnungssituation in Würzburg ist extrem schwierig. Ich bin froh, wenn sie bewohnt ist und nicht ständig leer steht. Deine ganzen Möbel etc. kannst du einlagern, bis du eine feste Bleibe gefunden hast.“

Sie fuhren eine Strecke wortlos dahin, weil der Verkehr Brunners Aufmerksamkeit beanspruchte. Plötzlich schob sich der Verkehr, trotz der Dreispurigkeit der Autobahn, zusammen und verdichtete sich.

„So ein Mist“, schimpfte Brunner. Seine Hand bewegte sich in Richtung Schalter des Sondersignals.

„Lass es gut sein“, bat Kerner. „Vielleicht dauert es nicht lange.“ Er setzte sich bequemer hin. „Deine Erzählungen über dein neues Aufgabengebiet sind etwas diffus. Was soll diese Soko bezwecken? An diesem Dienstwagen kann ich schon ersehen, dass du dich jetzt in einer höheren Liga bewegst.“

„Das ist eine Polizeiaktion, die politisch von ganz oben angeordnet wurde und natürlich weitgehend geheim ist. Wir haben im Spessart, in den Grenzgebieten zu Hessen und in Teilen Frankens ziemlichen Ärger mit zwei arabischen Clans, die sich dort wie ein Krebsgeschwür eingenistet und breitgemacht haben. Sie handeln mit allen möglichen Waren und Gütern und zahlen mit ihren legalen Geschäften auch Steuern. Das Problem ist, dass viele dieser Menschen keinerlei Interesse haben, unseren Staat anzuerkennen. Sie machen ihre eigenen Gesetze, die sich überwiegend an die Scharia halten. Die Frauen werden oftmals unterdrückt und es wird auch die Zwangsehe praktiziert. Nicht hier in Deutschland, dazu sind sie zu schlau. Die Familien lassen die Mädchen entführen und die Hochzeit findet dann in Syrien, dem Irak oder einem anderen arabischen Land statt. Es gibt natürlich auch Mädchen, die sich dieser Praxis widersetzen. Vielleicht weil sie einen deutschen Mann oder einen anderen Nichtmuslim kennengelernt haben. Diese Frauen sind in ständiger Gefahr, vom eigenen Vater oder einem Bruder oder einem Cousin zur Rettung der Familienehre ermordet zu werden.

Vor kurzem hatten wir einen Prozess vor dem Schwurgericht in Würzburg. Ein junger Moslem hatte seine Schwester erschossen, weil sie sich in einen Deutschen verliebt hatte und sich weigerte einen entfernten Verwandten, der ihr von der Familie zugedacht war, zu heiraten. Fünfzehn Jahre wegen Totschlags hat die Kammer ihm aufgebrummt.“ Brunner gab Gas, weil sich die Schlange jetzt zügiger weiterschob, dabei fuhr er fort: „Der Oberstaatsanwalt, der dieses Verfahren angeklagt hatte, ein Dr. Christian Haenisch, wurde jetzt vom Ministerpräsidenten zum Staatssekretär im Innenministerium ernannt. Spezialauftrag: Unter Federführung des Landeskriminalamtes Bekämpfung der illegalen Machenschaften der beiden Clans hier in Bayern. Zerschlagung der illegalen Untergrundstrukturen der beiden Familienclans, Schutz von verfolgten Frauen und letztlich Beweisbeschaffung zur gerichtlichen Verfolgung dieser Straftaten. Federführend durch meine Soko!“

Simon Kerner stieß bewundernd die Luft aus. „Da hat sich Bayern aber was vorgenommen!“

„Das kannst du laut sagen!“

Brunner gab mehr Gas, weil sich der Stau langsam auflöste, ohne dass ersichtlich wurde, warum er sich eigentlich gebildet hatte.

„Dir ist schon klar, das ist eine verdammt gefährliche Sisyphusarbeit!“, äußerte Kerner seine Einschätzung. „Warum hast du dir das angetan? War es dir bei der Mordkommission zu langweilig?“

„Dr. Haenisch hat mit mir in zahlreichen Strafverfahren zusammengearbeitet. Er wollte mich ausdrücklich für diesen Job haben.“

Kerner schwieg.

„Wir bekommen für die Soko jede personelle und technische Unterstützung, die wir benötigen. Da werden wirklich Nägel mit Köpfen gemacht. Der Staatssekretär wird auch nicht in München residieren. Er wird irgendwo im Spessart, im Zentrum der Bandentätigkeit, ein geeignetes Haus beziehen. Wir sind auch für seinen persönlichen Schutz zuständig. Du kannst dir ja vorstellen, wir stechen da in ein böses Hornissennest.“

Das blaue Wegweiserschild zeigte noch zwanzig Kilometer bis zur Abfahrt Würzburg – Heidingsfeld. Die restliche Strecke legten sie schweigend zurück.

Brunner fuhr zuerst bei sich zuhause vorbei, um Kerner die Möglichkeit zu geben, sein Gepäck unterzubringen und sich kurz frisch zu machen. Währenddessen räumte er selbst einige Sachen in einen Koffer zusammen, damit er sich an der neuen Dienststelle umziehen konnte. Als Kerner aus der Dusche kam, zeigte Brunner ihm seinen Kleiderschrank.

„Ich habe dir, soweit es ging, Platz gemacht.“ Er wies auf einen kleinen Tresor, der in den Schrank eingebaut war. „Der ist für meine Dienstwaffe, wenn ich nach Feierabend zuhause bin. Aber …“, er drückte in die Tastatur eine Zahlenkombination ein und die gepanzerte Tür schwang auf, „… hier verwahre ich auch meine private Zweitwaffe.“ Er griff in den Tresor und brachte einen Revolver zum Vorschein, der in einem Corduraholster steckte. „Für alle Fälle. In meinem Beruf weiß man ja nie …“ Er zog den kurzläufigen Revolver heraus und klappte die Trommel auf. „Er ist immer geladen. Munition liegt auch dabei.“ Er deutete auf eine Munitionsschachtel. „Ich werde ihn nicht mitnehmen, sondern hierlassen.“ Er legte die Waffe wieder zurück. „Falls du mal Bedarf hast … Die Kombination ist simpel.“ Er nannte ihm die Zahlenreihe.

„Besser nicht, das wäre illegal“, gab Kerner zurück. „Ich habe gerade andere Sorgen.“

Wenig später händigte Brunner seinem Freund einen Schlüssel für seine Wohnung aus, dann fuhr er ihn zur Universitätskinderklinik. Er bat Kerner, Theresa und Clara liebe Grüße auszurichten, dann verabschiedete er sich. In den nächsten Tagen würde er wohl nicht nach Hause kommen.


Die Stimme

Der Anruf mit dem speziellen Klingelton kam wieder kurz nach Mitternacht. Der Angerufene nahm das Gespräch an, wohl wissend, wer sich am anderen Ende der Leitung befand.

„Ja“, meldete er sich knapp. „Ich habe deinen Anruf schon seit geraumer Zeit erwartet.“ Seine Stimme klang streng.

Wegen der Verfremdung waren ihr keine Emotionen anzumerken.

„Du weißt, dass ich mit diesen Informationen Kopf und Kragen riskiere. Außerdem sind die aktuellen Entwicklungen noch nicht hundertprozentig abgeschlossen.“

Er nahm den Einwand zur Kenntnis, ging aber nicht weiter darauf ein. „Sprich!“

„Ihr solltet Folgendes wissen: Es muss dem Landeskriminalamt schon vor längerer Zeit gelungen sein, einen Spitzel undercover in die Familie von Mustafa al-Asmani einzuschleusen. Jedenfalls haben sie Informationen über einen Teil bestimmter Geschäfte dieser Familie. Ich vermute, dass sie das auch bei euch versuchen werden – oder vielleicht schon getan haben. Diese Information ist streng geheim, davon weiß nur ein kleiner Kreis in der Führungsspitze, da diese Menschen ihr Leben riskieren. Ich bin sicher, dabei handelt es sich um Männer mit Migrationshintergrund, da sie ja weder durch Aussehen noch durch Sprache auffallen dürfen.“

„Bis jetzt haben wir bei uns keinerlei Aktivitäten eines Spitzels festgestellt. Alle unsere Geschäfte sind reibungslos über die Bühne gegangen. Nie wurde ein Deal gestört oder verhindert.“

 

„Sie haben jetzt diese Soko eingerichtet. Dahinter steckt ein massiver politischer Wille, sonst hätten sie nicht ihre Aktivitäten auf die Ebene eines Staatssekretärs gehoben. Vermutlich warten sie auf den großen Coup, um zuzuschlagen. Sie werden sicher ihre Undercover-Leute nicht wegen einer Kleinigkeit verbrennen.“

„Gut, wir sind gewarnt“, gab der Angerufene zurück, „und werden die Augen offenhalten.“

„Ihr solltet aber jetzt nicht anfangen alle Familienmitglieder misstrauisch zu beobachten. Wenn sie merken, dass ihr gewarnt wurdet, werden sie die eingeschleuste Person sofort zurückziehen. Ach, noch etwas. Meine Quellen sind für mich nicht mehr so leicht zugänglich, ohne mich verdächtig zu machen. Es kann sein, dass der Informationsfluss ein wenig ins Stocken gerät. Es wäre daher sinnvoll, sich auch von anderer Seite Informationen zu beschaffen.“

Die Antwort ließ ein paar Sekunden auf sich warten. Dann kam sie mit aller Bestimmtheit. „Du strengst dich ganz einfach weiterhin an. Sie werden versuchen, unsere Geschäfte zu stören, das müssen wir unterbinden. Ich wiederhole mich: Vergiss nicht, was du uns zu verdanken hast!“

Er wartete keine Antwort ab, sondern legte auf. Nachdenklich betrachtete er die Muster der beiden wertvollen Wandgobelins, die das Zimmer zierten. Schließlich trank er sein Glas Tee leer und stand auf, um sich ins Bett zu legen. Die Tatsache, jemand in vorderster Spitze der Verbrechensbekämpfung zu haben, war nicht mit Gold aufzuwiegen. Dieser Mensch würde loyal bleiben, solange er wusste, dass er wirksame Druckmittel in einem Bankschließfach liegen hatte. Wann diese Schuld beglichen war, entschied er. Er wusste natürlich, dass diese Person der Familie keine echte Loyalität entgegenbrachte. Andere hätten es wahrscheinlich das Ergebnis von Erpressung genannt. Auf solche Leute konnte man sich allerdings oftmals besser verlassen als auf Familienbande. Er zuckte mit den Schultern, löschte das Licht und verließ den Raum. Er lag noch lange wach. Mittlerweile verdienten sie ihr Geld auch mit legalen Geschäften. Nicht immer, aber immer häufiger. Eine Störung auf diesem Weg zur Seriosität konnten sie absolut nicht gebrauchen. Man musste vorsichtig sein. Trotzdem war ein warnender Fingerzeig in Richtung dieser neuen Polizeitruppe angezeigt. Es war sicher nicht schwierig, herauszufinden, wo dieser Staatssekretär und der Leiter dieser Sonderkommission wohnten.


Zehn Tage später:

Simon Kerner las mit zufriedener Miene das Schreiben, das er sich an Brunners Adresse schicken ließ. Vor knapp zwei Wochen hatte er den Antrag gestellt, heute gegen Mittag wurde er bereits vom Postboten eingeworfen.

„Gratuliere, Herr Rechtsanwalt Dr. Simon Kerner“, stellte er im Selbstgespräch für sich fest. „Jetzt benötigt der Herr Rechtsanwalt ein Büro und dann vor allen Dingen Klienten.“

Mittlerweile hatte sich Kerner einen dunkelgrünen Jeep Wrangler zugelegt, um wieder mobil zu sein. In einem früheren Leben, bevor er nach Südafrika ausgewandert war, fuhr er immer einen Land Rover Defender. Nachdem aber seine damalige Lebensgefährtin in seinem Wagen auf dramatische Weise zu Tode gekommen war, lehnte er diese Marke aus emotionalen Gründen ab. Obwohl er im Augenblick natürlich kein Geländefahrzeug benötigte, hatte er sich in Afrika derart an diesen Fahrzeugtypus gewöhnt, dass er sich auch hier einen Jeep gekauft hatte.

Im Augenblick stand er mit einer Anwaltskanzlei in Karlstadt in Verhandlung, deren Inhaber aus Altersgründen aufhören wollte. Er hoffte, dass sein Ruf als Jurist in Main-Spessart noch nicht vergessen war. Von daher hoffte er, die Mandanten des ausscheidenden Anwalts übernehmen zu können und neue hinzuzugewinnen. Er machte von der Zulassung ein Foto und schickte es mittels seines Mobiltelefons an den Kanzleiinhaber. Große Erläuterungen musste er dazu nicht schreiben. Die Botschaft war selbsterklärend. Er steckte das Handy wieder ein, das er zwei Tage nach ihrer Ankunft in zweifacher Ausführung kaufte, eines für Theresa und eines für sich. Zunächst würden sie die Geräte als Prepaidhandys benutzen. Für Vertragsangelegenheiten hatte er jetzt nicht die Zeit.

Theresa würde sich freuen, wenn sie gleich erfuhr, dass sie wieder die Möglichkeit hatten, sich eine Existenz zu schaffen. Simon Kerner verließ die Wohnung seines Freundes und stieg ins Auto. Sein täglicher Besuch bei seiner Tochter lag an. Zuvor wollte er eine Kleinigkeit einkaufen, um Clara und Theresa eine Freude zu machen. Er kam an einer Buchhandlung vorbei und nahm für Theresa etwas Lesestoff mit. Wenig später fuhr er durch die Schranke an der Einfahrt zum Universitätsklinikum in der Josef-Schneider-Straße. Die Kinderkrebsstation lag nur ein paar Meter entfernt. Es dauerte etwas, bis er einen Parkplatz gefunden hatte. Da die Besuchsmöglichkeiten für Eltern ganztägig gegeben waren, konnte er direkt zu Claras Zimmer durchgehen. Er machte sich in einem dafür vorgesehenen Bereich steril, dann klopfte er leise an und trat ein. Mutter und Kind belegten im Augenblick ein gemeinsames Zimmer. Sein erster Blick ging zu seiner Tochter, die in ihrem Bett am Fenster lag. Sie schlief. Theresa, die neben dem Bett saß, legte die Zeitschrift, in der sie geblättert hatte, zur Seite und kam ihm entgegen. Sie umarmten sich kurz, dann fragte Kerner: „Wie geht es ihr heute?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Die Chemotherapie schlaucht sie schon gewaltig. Sie hat kaum Appetit. Sie schläft viel. Der Professor meint, das würde ihr helfen Kraft zu schöpfen. Wenn man ihm Glauben schenken kann, verträgt sie die Chemo ganz gut und es sei schon gelungen, das Wachstum der Krebszellen etwas zu bremsen.“

„Das ist ja schon mal eine gute Nachricht!“ Kerner musterte den Infusionsbeutel, der an einem Ständer neben dem Bett hing und über einen Schlauch eine Flüssigkeit in ihre Venen tropfte.

„Ist das …?“

Theresa verstand ihn, ohne dass er es aussprach.

„Nein, das ist keine Chemikalie. Es handelt sich um eine Lösung, die ihre Kräfte unterstützen soll.“

„Hast du schon etwas vom Typisierungsergebnis gehört?“ Da Clara mit hoher Wahrscheinlichkeit ohne einen Knochenmarkspender nicht auskommen würde, hatten sich Mutter und Vater sofort nach der Ankunft in der Klinik auf ihre Eignung als Spender untersuchen lassen. Außerdem lief eine Anfrage bei der zentralen Datenbank für Knochenmarkspender.

„Nein, leider noch nicht. Es würde im Augenblick auch noch nicht gehen, da ihr Immunsystem erst völlig heruntergefahren werden muss, damit es eine Spende nicht abstößt.“

Simon Kerner setzte sich auf einen anderen Stuhl. Gemeinsam betrachteten sie ihr Kind, das in seinen jungen Jahren schon einen Kampf ausfechten musste, den oft ein Erwachsener nicht bestand.

„Wenn du mal gerne an die frische Luft gehen möchtest, dann geh nur. Ich bin ja jetzt da.“ Er nickte Theresa auffordernd zu. Sie zögerte einen Moment, dann meinte sie: „Nicht weit von hier ist ein großer Supermarkt. Ich könnte wirklich ein paar Dinge brauchen, Hygieneartikel und so. Außerdem geht mir langsam die Wäsche aus. Das Krankenhaus wäscht mir meine Sachen gegen eine Gebühr dankenswerterweise mit, wenn ich sie entsprechend markiere.“

„Geh nur, wie gesagt, ich bin da.“

Man konnte Theresa anmerken, wie schwer es ihr fiel, sich vom Krankenbett ihrer Tochter zu entfernen. Kerner stand auf und nahm sie in den Arm. Schließlich ging sie leise zur Tür und schlich sich hinaus. Kerner setzte sich auf das zweite Bett im Zimmer, das Theresa benutzte. Er zog seine Schuhe aus und lehnte sich bequem zurück. Auf der Seite liegend versank er in der Betrachtung seines Kindes, das mit blassem Gesicht in den Kissen lag. In Gedanken sah er sie lebenslustig, laut lachend über den Hof der Rangerstation toben. Rex, verspielt wie ein Welpe, immer um sie herum. Die Ranger waren ihr alle verfallen gewesen und ließen sich von ihr herumkommandieren. Während er so sinnierte, sank ihm der Kopf auf das Kissen und er fiel in einen flachen Schlummer.

Er schreckte hoch, als es an die Tür klopfte. Er richtete sich auf. Dr. Herbert Jansen, der Oberarzt, kam herein. Er warf Clara einen aufmerksamen Blick zu. Das Kind war nicht aufgewacht.

„Guten Tag, Herr Kerner, entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie aufgeweckt habe, aber ich wollte Ihnen die positive Nachricht gleich persönlich überbringen …“

Simon Kerner sah ihn aufmerksam an. Jegliche Müdigkeit war verflogen.

„Ihre Frau ist …?“ Der Arzt sah Kerner fragend an.

„Sie ist nur mal kurz an die frische Luft“, erklärte er, „sie muss jeden Moment zurückkommen.“ Er hatte noch nicht ausgesprochen, als die Tür aufging und Theresa leise eintrat. Als sie Dr. Jansen sah, erschrak sie. Sie versuchte die Mienen der beiden Männer zu lesen. Ein besorgter Blick ging zu ihrem Kind.

„Ist etwas mit Clara?“, fragte sie, während sie ihre Einkaufstüte in der Ecke auf dem Boden abstellte.

„Nein“, gab Kerner zurück, „aber Dr. Jansen wollte uns gerade eine Nachricht überbringen.“

„Ja“, klinkte sich der Arzt ein, „wir haben soeben die Laborergebnisse der Typisierung bekommen.“ Er legte eine kleine Kunstpause ein, dann sah er Theresa direkt an und lächelte: „Ich kann Ihnen gratulieren, Frau Schönbrunn, Sie als Mutter sind mit Ihrer Tochter kompatibel und kommen daher als Spenderin in Frage!“

Für einen Augenblick herrschte in dem Krankenzimmer völlige Ruhe, die nur von dem leisen Piepsen des Infusionsapparats unterbrochen wurde. Theresa und Simon waren derartig geschockt, dass es ihnen die Sprache verschlagen hatte.

„… und da gibt es keinen Irrtum?“, wollte Theresa wissen, die ihr Glück nicht fassen konnte. Sie griff nach der Hand Simons und drückte sie mit voller Kraft.

„Nein, das Ergebnis ist definitiv positiv“, versicherte der Arzt. Er sah Simon Kerner an. „Bei Ihnen ist es leider negativ.“ Er hob bedauernd die Schultern. „Aber wir haben jetzt eine reelle Chance, Clara helfen zu können. Glauben Sie mir, so schnell einen Spender zu finden, ist wirklich nicht die Regel, eher die seltene Ausnahme.“

Als sich Theresa und Simon in die Arme nahmen, lächelte er leise und verließ das Krankenzimmer. Solche glücklichen Momente waren in seinem Beruf leider nicht die Tagesordnung.

Als sich die beiden eine Minute später wieder voneinander lösten, waren beide tränenüberströmt.

„Warum weint Ihr?“, kam die leise Stimme von Clara. Sie war offenbar aufgewacht. Sie hatte in den letzten Wochen viele Tränen ihrer Mutter erlebt, auch wenn diese sich sehr bemühte, sich nichts anmerken zu lassen.

Theresa setzte sich zu ihr ans Bett, strahlte sie an und nahm sie in die Arme. „Mein Schatz, wir haben gerade eine ganz wunderbare Nachricht von Dr. Jansen bekommen. – Stell dir vor, ich komme für dich als Knochenmarkspenderin in Frage!“

Clara sah ihre Mutter mit großen Augen an. Mittlerweile waren ihr trotz ihrem Kindsein viele Details ihrer Krankheit bekannt und sie wusste, dass das, was da in ihrem Körper wütete, eine gefährliche Krankheit war.

„Werde ich dann wieder gesund?“

„Ja, du wirst wieder gesund!“, erwiderte Kerner im Brustton der Überzeugung. Es machte keinen Sinn, das Kind mit den vielen Unwägbarkeiten, die noch auf dem Weg zu ihrer Genesung warteten, zu belasten.

Kerner blieb noch eine Stunde, dann eilte er zu seinem Wagen und machte sich auf den Heimweg zu Brunners Wohnung. Er musste jetzt einige Telefonate erledigen und dann anschließend ein paar Wohnungen ansehen, um ihre Existenz hier in der Heimat auf sichere Füße zu stellen. Er wollte seinem Freund nicht länger als unbedingt notwendig zur Last fallen. Innerlich war er sehr froh!