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Madame Bovary

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Einmal streckte der Bettler seinen Hut während der Fahrt durch das Wagenfenster herein. Er war draußen auf das kotbespritzte Trittbrett gesprungen und hielt sich mit einer Hand fest. Sein erst schwacher und kläglicher Gesang ward schrill. Er heulte durch die Nacht, ein Klagelied von namenlosem Elend. Das Schellengeläut der Pferde, das Rauschen der Bäume und das Rasseln des Wagens tönten in diese Jammerlaute hinein, so daß sie wie aus der Ferne zu kommen schienen. Emma war tieferschüttert. Empfindungen brausten ihr durch die Seele wie wilder Wirbelsturm durch eine Schlucht. Grenzenlose Melancholie ergriff sie.

Inzwischen hatte Hivert bemerkt, daß eine fremde Last seinen Wagen beschwerte. Er schlug mit seiner Peitsche mehrere Male auf den Blinden ein. Die Schnur traf seine Wunden; er fiel in den Straßenkot und stieß ein Schmerzensgeheul aus.

Die Insassen des Wagens waren nach und nach eingenickt. Die einen schliefen mit offenem Munde; andern war das Kinn auf die Brust gesunken; der lag mit seinem Kopfe an der Schulter des Nachbars, und jener hatte den Arm in dem Hängeriemen, der je nach den Bewegungen des Wagens hin und her schaukelte. Der Schein der Laterne drang durch die schokoladenbraunen Kattunvorhänge und bedeckte die unbeweglichen Gestalten mit blutroten Lichtstreifen. Emma war wie krank vor Traurigkeit. Sie fror unter ihren Kleidern. Ihre Füße wurden ihr kälter und kälter. Sie fühlte sich sterbensunglücklich.

Zu Hause wartete Karl auf sie. Donnerstags hatte die Post immer Verspätung. Endlich kam sie. Das Essen war noch nicht fertig, aber was kümmerte sie das? Das Dienstmädchen konnte jetzt machen, was es wollte.

Es geschah oft, daß Karl, dem Emmas Blässe auffiel, sie fragte, ob ihr etwas fehle.

»Nein!« antwortete sie.

»Aber du bist so sonderbar heute abend?«

»Ach nein, nicht im geringsten!«

Manchmal ging sie sofort nach ihrer Ankunft in ihr Zimmer. Oft war gerade Justin da und bediente sie stumm und behutsam, besser als eine Kammerzofe. Er stellte den Leuchter und die Streichhölzer zurecht, legte ihr ein Buch hin und das Nachthemd und deckte das Bett auf.

»Gut!« sagte sie. »Du kannst gehn.«

Er blieb nämlich immer noch eine Weile an der Türe stehen und blickte Emma mit starren Augen wie verzaubert an.

Der Morgen nach der Heimkehr war ihr immer gräßlich, und noch qualvoller wurden ihr die folgenden Tage durch die Ungeduld, mit der sie nach ihrem Glücke lechzte. Sie verging fast vor Lüsternheit, unter wollüstigen Erinnerungen, bis alle ihre Sehnsucht am siebenten Tage in Leos zärtlichen Armen befriedigt wurde. Seine eigne, heiße Sinnlichkeit verbarg sich unter leidenschaftlicher Bewunderung und inniger Dankbarkeit. Seine anbetungsvolle stille Liebe war Emmas Entzücken. Sie hegte und pflegte sie mit tausend Liebkosungen, immer in Angst, sein Herz zu verlieren.

Oft sagte sie ihm mit weicher, melancholischer Stimme:

»Ach du! Du wirst mich verlassen! Du wirst dich verheiraten! Wirst es machen wie alle andern!«

»Welche andern?«

»Wie alle Männer, meine ich.«

Ihn sanft zurückstoßend, fügte sie hinzu:

»Ihr seid alle gemein!«

Eines Tages führten sie ein philosophisches Gespräch über die menschlichen Enttäuschungen, als sie plötzlich, um seine Eifersucht auf die Probe zu stellen oder auch aus allzu starkem Mitteilungsbedürfnis, das Geständnis machte, daß sie vor ihm einen andern geliebt habe.

»Nicht wie dich!« fügte sie schnell hinzu und schwor beim Haupte ihres Kindes, daß es »zu nichts gekommen« sei.

Der junge Mann glaubte ihr, fragte sie aber doch, wo der Betreffende jetzt sei.

»Er war Schiffskapitän, mein Lieber!«

Log sie das, um jede Nachforschung zu vereiteln oder um sich ein gewisses Ansehen zu verleihen, dieweil ein kriegerischer und gewiß vielumworbener Mann zu ihren Füßen gelegen haben sollte?

In der Tat empfand der Adjunkt etwas wie das Bewußtsein der Inferiorität. Am liebsten hätte er gleichfalls Epauletten, Orden und Titel getragen. Alle diese Dinge mußten ihr gefallen, das sah er deutlich an ihrem Hang zum Luxus.

Dabei verschwieg ihm Emma noch einen großen Teil ihrer ins Großartige gehenden Wünsche; zum Beispiel, daß sie gern einen blauen Tilbury mit einem englischen Vollblüter und einem Groom in schicker Livree gehabt hätte, um in Rouen spazieren zu fahren. Diesen Einfall verdankte sie Justin, der sie einmal flehentlich gebeten hatte, ihn als Diener in ihren Dienst zu nehmen. Wenn die Nichterfüllung dieser Laune ihr auch die Seligkeit des Wiedersehns nicht weiter trübte, so verschärfte sie doch zweifellos die Bitterkeit der Trennung.

Oft, wenn sie zusammen von Paris plauderten, sagte sie leise:

»Ach, wenn wir dort leben könnten!«

»Sind wir denn nicht glücklich?« erwiderte Leo zärtlich und strich mit der Hand liebkosend über ihr Haar.

»Doch! Du hast recht! Ich bin töricht. Küsse mich!«

Gegen ihren Gatten war sie jetzt liebenswürdiger denn je. Sie bereitete ihm seine Lieblingsgerichte und spielte ihm nach Tisch Walzer vor. Er hielt sich für den glücklichsten Mann der Welt. Emma lebte in völliger Sorglosigkeit. Aber eines Abends sagte er plötzlich:

»Nicht wahr, du hast doch bei Fräulein Lempereur Stunden?«

»Ja!«

»Merkwürdig! Ich habe sie heute bei Frau Liégeard getroffen und sie nach dir gefragt. Sie kennt dich gar nicht.«

Das traf sie wie ein Blitzstrahl. Trotzdem erwiderte sie unbefangen:

»Mein Name wird ihr entfallen sein.«

»Oder es gibt mehrere Lehrerinnen dieses Namens in Rouen, die Klavierstunden geben«, meinte Karl.

»Das ist auch möglich!«

Plötzlich sagte Emma:

»Aber ich habe ja ihre Quittungen. Wart mal! Ich werde dir gleich eine bringen.«

Sie ging an ihren Schreibtisch, riß alle Schubfächer auf, wühlte in ihren Papieren herum und suchte so eifrig, daß Karl sie bat, sich wegen der dummen Quittungen doch nicht soviel Mühe zu machen.

»Ich werde sie schon finden!« beharrte sie.

In der Tat fühlte Karl am Freitag darauf, als er sich die Stiefel anzog, die bei seinen Kleidern in einem finsteren Gelaß zu stehen pflegten, zwischen Stiefelleder und Strumpf ein Stück Papier. Er zog es hervor und las:

»Quittung.

Honorar für drei Monate Klavierstunden, nebst Auslagen für verschiedene beschaffte Musikalien: 65, – Frkn.

Dankend erhalten

Friederike Lempereur,

Musiklehrerin.«

»Zum Kuckuck! Wie kommt denn das in meinen Stiefel?«

»Wahrscheinlich«, erwiderte Emma, »ist es aus dem Karton mit den alten Rechnungen gefallen, der auf dem obersten Regal steht.«

Von nun an war ihre ganze Existenz nichts als ein Netz von Lügen. Sie hüllte ihre Liebe darein wie in einen Schleier, damit niemand sie sähe. Aber auch sonst wurde ihr das Lügen geradezu zu einem Bedürfnis. Sie log zu ihrem Vergnügen. Wenn sie erzählte, daß sie auf der rechten Seite der Straße gegangen sei, konnte man wetten, daß es auf der linken gewesen war.

Eines Donnerstags war sie früh, wie gewöhnlich ziemlich leicht gekleidet, abgefahren, als es plötzlich zu schneien begann. Karl hielt am Fenster Umschau, da bemerkte er Bournisien in der Kutsche des Bürgermeisters. Sie fuhren zusammen nach Rouen. Er ging hinunter und vertraute dem Priester einen dicken Schal an mit der Bitte, ihn seiner Frau einzuhändigen, sobald er im »Roten Kreuz« angekommen sei. Bournisien fragte im Gasthofe sogleich nach Frau Bovary, erhielt aber von der Wirtin die Antwort, daß sie das »Rote Kreuz« sehr selten aufsuche. Abends traf er sie in der Postkutsche und erzählte ihr von seinem Mißerfolge, dem er übrigens keine sonderliche Bedeutung beizumessen schien, denn er begann alsbald eine Lobrede auf einen jungen geistlichen, der in der Kathedrale so wunderbar predige, daß die Frauen in Scharen hingingen.

Wenn sich auch Bournisien ohne weiteres zufrieden gegeben hatte, so konnte doch ein andermal irgendwer nicht so diskret sein. Und so hielt es Emma für besser, fortan im »Roten Kreuz« abzusteigen, damit die guten Leute aus Yonville sie hin und wieder auf der Treppe des Gasthofes sahen und nichts argwöhnten.

Eines Tages traf sie Lheureux, gerade als sie an Leos Arm den Boulogner Hof verließ. Sie fürchtete, er könne schwatzen; aber er war nicht so töricht. Dafür trat er drei Tage später in ihr Zimmer und erklärte, daß er Geld brauche.

Sie erwiderte ihm, sie könne ihm nichts geben. Lheureux fing zu jammern an und zählte alle Dienste auf, die er ihr erwiesen.

In der Tat hatte Emma nur einen der von Karl ausgestellten Wechsel bezahlt, den zweiten hatte Lheureux auf ihre Bitte hin verlängert und dann abermals prolongiert. Jetzt zog er aus seiner Tasche eine Anzahl unbezahlter Rechnungen für die Stores, den Teppich, für Möbelstoff, mehrere Kleider und verschiedene Toilettenstücke, im Gesamtbetrag von ungefähr zweitausend Franken.

Sie ließ den Kopf hängen, und er fuhr fort:

»Aber wenn Sie kein Geld haben, so haben Sie doch Immobilien.«

Und nun machte er sie auf ein halbverfallenes altes Haus in Barneville aufmerksam, das sie mit geerbt hatten. Es brachte nicht viel ein. Es hatte ursprünglich zu einem kleinen Pachtgute gehört, das der alte Bovary vor Jahren verkauft hatte. Lheureux wußte genau Bescheid über das Grundstück; er kannte sogar die Anzahl der Hektare und die Namen der Nachbarn.

»An Ihrer Stelle«, sagte er, »versuchte ich, es loszuwerden. Sie bekämen dann sogar noch bar Geld heraus!«

Sie entgegnete, es sei schwer, einen Käufer zu finden, aber Lheureux meinte, das ließe sich schon machen. Da fragte sie, was sie tun müsse, um das Haus zu verkaufen.

»Sie haben doch die Vollmacht«, antwortete er.

Dieses Wort belebte sie.

»Lassen Sie mir die Rechnung hier!« sagte sie.

»O, das eilt ja nicht!« erwiderte Lheureux.

In der kommenden Woche stellte er sich wiederum ein und berichtete, es sei ihm mit vieler Mühe gelungen, einen gewissen Langlois ausfindig zu machen, der schon lange ein Auge auf das Grundstück geworfen habe und wissen möchte, was es koste.

 

»Der Preis ist mir gleichgültig!« rief Emma aus.

Lheureux erklärte, man müsse den Käufer eine Weile zappeln lassen. Die Sache sei aber schon eine Reise dahin wert. Da sie selbst nicht gut verreisen könne, bot er sich dazu an, um das Geschäft mit Langlois zu besprechen. Er kam mit der Mitteilung zurück, der Käufer habe viertausend Franken geboten.

Emma war hocherfreut.

»Offen gestanden,« fügte der Händler hinzu, »das ist anständig bezahlt!«

Die erste Hälfte der Summe zählte er ihr sofort auf. Als Emma sagte, damit solle ihre Rechnung beglichen werden, meinte Lheureux:

»Auf Ehre, es ist doch schade, daß Sie ein so schönes Sümmchen gleich wieder aus der Hand geben wollen!«

Sie sah auf die Banknoten und dachte an die unbegrenzte Zahl der Stelldichein, die ihr diese zweitausend Franken bedeuteten.

»Wie? Wie meinen Sie?« stammelte sie.

»O,« erwiderte er mit gutmütigem Lächeln, »man kann ja was ganz Beliebiges auf die Rechnung setzen. Ich weiß ja, wie das in einem Haushalte so ist.«

Er sah sie scharf an, während er die beiden Tausendfrankenscheine langsam durch die Finger hin und her gleiten ließ. Endlich machte er seine Brieftasche auf und legte vier vorbereitete Wechsel zu je tausend Franken auf den Tisch.

»Unterschreiben Sie!« sagte er, »und behalten Sie die ganze Summe!«

Sie fuhr erschrocken zurück.

»Na, wenn ich Ihnen den Überschuß bar auszahle,« sagte Lheureux frech, »erweise ich Ihnen dann nicht einen Dienst?«

Er schrieb unter die Rechnung:

»Von Frau Bovary viertausend Franken erhalten zu haben, bescheinigt

Lheureux.«

»So! Sie können unbesorgt sein. In sechs Monaten erhalten Sie die weiteren zweitausend Franken für Ihre alte Bude! Eher ist auch der letzte Wechsel nicht fällig.«

Emma fand sich in der Rechnerei nicht mehr ganz zurecht. In den Ohren klang es ihr, als würden Säcke voll Goldstücke vor ihr ausgeschüttet, die nur so über die Diele kollerten. Lheureux sagte noch, er habe einen Freund Vinçard, Bankier in Rouen, der die vier Wechsel diskontieren wolle. Die überschüssige Summe werde er der gnädigen Frau persönlich bringen.

Aber statt zweitausend Franken brachte er nur eintausendachthundert. Freund Vinçard habe »wie üblich« zweihundert Franken für Provision und Diskont abgezogen. Dann forderte er nachlässig eine Empfangsbestätigung.

»Sie verstehen! Geschäft ist Geschäft! Und das Datum! Bitte! Das Datum!«

Tausend nun erfüllbare Wünsche umgaukelten Emma. Aber sie war so vorsichtig, dreitausend Franken beiseite zu legen, womit sie dann die ersten drei Wechsel prompt bezahlen konnte.

Der Fälligkeitstag des vierten Papieres fiel zufällig auf einen Donnerstag. Karl war zwar arg betroffen, wartete aber geduldig auf Emmas Rückkehr. Die Sache würde sich schon aufklären.

Sie log ihm vor, von dem Wechsel nur nichts gesagt zu haben, um ihm häusliche Sorgen zu ersparen. Sie setzte sich ihm auf die Knie, liebkoste ihn, umgirrte ihn und zählte ihm tausend unentbehrliche Sachen auf, die sie auf Borg hätte anschaffen müssen.

»Nicht wahr, du mußt doch zugeben: für so viele Dinge ist tausend Franken nicht zuviel?«

In seiner Ratlosigkeit lief Karl nun selber zu dem unvermeidlichen Lheureux. Dieser verschwor sich, die Geschichte in Ordnung zu bringen, wenn der Herr Doktor ihm zwei Wechsel ausstelle, einen davon zu siebenhundert Franken auf ein Vierteljahr. Daraufhin schrieb Bovary seiner Mutter einen kläglichen Brief. Statt einer Antwort kam sie persönlich. Als Emma wissen wollte, ob sie etwas herausrücke, gab er ihr zur Antwort:

»Ja! Aber sie will die Rechnung sehen!«

Am andern Morgen lief Emma zu Lheureux und ersuchte ihn um eine besondre Rechnung auf rund tausend Franken. Sonst käme die ganze Geschichte und auch die Veräußerung des Grundstücks heraus. Letztere hatte der Händler so geschickt betrieben, daß sie erst viel später bekannt wurde.

Obgleich die aufgeschriebenen Preise sehr niedrig waren, konnte die alte Frau Bovary nicht umhin, die Ausgaben unerhört zu finden.

»Gings denn nicht auch ohne den Teppich? Wozu mußten die Lehnstühle denn neu bezogen werden? Zu meiner Zeit gabes in keinem Hause mehr als einen einigen Lehnstuhl, den Großvaterstuhl! Die jungen Leute hatten keine nötig. So war es wenigstens bei meiner Mutter, und das war eine ehrbare Frau! Das kann ich dir versichern! Es sind nun einmal nicht alle Menschen reich. Und Verschwendung ruiniert jeden! Ich würde mich zu Tode schämen, wenn ich mich so verwöhnen wollte wie du! Und ich bin doch eine alte Frau, die wahrlich ein bißchen der Pflege nötig hätte…. Da schau mal einer diesen Luxus an! Lauter Kinkerlitzchen! Seidenfutter, das Meter zu zwei Franken! Wo man ganz schönen Futterstoff für vier Groschen, ja schon für dreie bekommt, der seinen Zweck vollkommen erfüllt!«

Emma lag auf der Chaiselongue und erwiderte mit erzwungener Ruhe:

»Ich finde, es ist nun gut!«

Aber die alte Frau predigte immer weiter und prophezeite, sie würden alle beide im Armenhause enden. Übrigens sei Karl der Hauptschuldige. Es sei ein wahres Glück, daß er ihr versprochen habe, die unselige Generalvollmacht zu vernichten….

»Was?« unterbrach Emma ihre Rede.

»Jawohl! Er hat mir sein Wort gegeben!«

Emma öffnete ein Fenster und rief ihren Mann. Der Unglücksmensch mußte zugeben, daß ihm die Mutter das Ehrenwort abgenötigt hatte. Da ging Emma aus dem Zimmer, kam sehr bald wieder und händigte ihrer Schwiegermutter mit der Gebärde einer Fürstin ein großes Schriftstück ein.

»Ich danke dir!« sagte die alte Frau und steckte die Urkunde in den Ofen.

Emma brach in eine rauhe, scharfe, andauernde Lache aus. Sie hatte einen Nervenchok bekommen.

»Ach du mein Gott!« rief Karl aus. »Siehst du, Mutter, es war doch nicht recht von dir! Du darfst ihr nicht so zusetzen!«

Sie zuckte mit den Achseln. Das sei alles »bloß Tuerei!«

Da lehnte sich Karl zum ersten Male in seinem Leben gegen sie auf und vertrat Emma so nachdrücklich, daß die alte Frau erklärte, sie werde abreisen. In der Tat tat sie das andern Tags. Als Karl sie noch einmal auf der Schwelle zum Bleiben überreden wollte, erwiderte sie:

»Nein, nein! Du liebst sie mehr als mich, und das ist ja ganz in der Ordnung! Wenn es auch dein Nachteil ist. Du wirst ja sehen…. Laß dirs wohl gehn! Ich werde ihr nicht sogleich wieder – sozusagen – zusetzen!«

Nicht weniger als armer Sünder stand er dann vor Emma, die ihm erbittert vorwarf, er habe kein Vertrauen mehr zu ihr. Er mußte erst lange bitten, ehe sie sich herabließ, eine neue Generalvollmacht anzunehmen. Er begleitete sie zu Guillaumin, der sie ausstellen sollte.

»Sehr begreiflich!« meinte der Notar. »Ein Mann der Wissenschaft darf sich durch die Alltagsdinge nicht ablenken lassen.«

Karl fühlte sich durch diese im väterlichen Tone vorgebrachte Weisheit wieder aufgerichtet. Sie bemäntelte seine Schwachheit mit der schmeichelhaften Entschuldigung, er sei mit höheren Dingen beschäftigt.

Am Donnerstag darauf, in ihrem Zimmer im Boulogner Hofe, in Leos Armen war sie über die Maßen ausgelassen. Sie lachte, weinte, sang, tanzte, ließ sich Sorbett heraufbringen und rauchte Zigaretten. So überschwenglich sie ihm auch vorkam, er fand sie doch köstlich und bezaubernd. Er ahnte nicht, daß es in ihrem Innern gärte und daß sie sich aus diesem Motiv kopfüber in den Strudel des Lebens stürzte. Sie war reizbar, unersättlich, wollüstig geworden. Erhobenen Hauptes ging sie mit Leo durch die Straßen der Stadt spazieren, ohne die geringste Angst, daß sie ins Gerede kommen könnte. So sagte sie wenigstens. Insgeheim erzitterte sie freilich mitunter bei dem Gedanken, Rudolf könne ihr einmal begegnen. Wenn sie auch auf immerdar von ihm geschieden war, so fühlte sie sich doch noch immer in seinem Banne.

Eines Abends kam sie nicht nach Yonville zurück. Karl war außer sich vor Unruhe, und die kleine Berta, die ohne ihre »Mama« nicht ins Bett gehen wollte, schluchzte herzzerreißend. Justin wurde auf der Poststraße entgegengesandt, und selbst Homais verließ seine Apotheke.

Als es elf Uhr schlug, hielt es Karl nicht mehr aus. Er spannte seinen Wagen an, sprang auf den Bock, hieb auf sein Pferd los und langte gegen zwei Uhr morgens im »Roten Kreuz« an. Emma war nicht da. Er dachte, vielleicht könne der Adjunkt sie gesehen haben, aber wo wohnte er? Glücklicherweise fiel ihm die Adresse des Notars ein, bei dem Leo in der Kanzlei arbeitete. Er eilte hin.

Es begann zu dämmern. Er erkannte das Wappenschild über der Tür und klopfte an. Ohne daß ihm geöffnet ward, erteilte ihm jemand die gewünschte Auskunft, nicht ohne auf den nächtlichen Ruhestörer zu schimpfen.

Das Haus, in dem der Adjunkt wohnte, besaß weder einen Türklopfer noch eine Klingel noch einen Pförtner. Karl schlug mit der Faust gegen einen Fensterladen. Ein Schutzmann ging vorüber. Karl bekam Angst und ging davon.

»Ich bin ein Narr!« sagte er zu sich. »Wahrscheinlich haben Lormeaux' sie gestern abend zu Tisch dabehalten!«

Die Familie Lormeaux wohnte gar nicht mehr in Rouen.

»Vielleicht ist sie bei Frau Dübreuil. Die ist vielleicht krank…. Ach nein, Frau Dübreuil ist ja schon vor einem halben Jahre gestorben…. Aber wo mag dann Emma nur sein?«

Plötzlich fiel ihm etwas ein. Er ließ sich in einem Café das Adreßbuch geben und suchte rasch nach dem Namen von Fräulein Lempereur. Sie wohnte Rue de la Renelle des Maroquiniers Nummer 74.

Als er in diese Straße einbog, tauchte Emma am andern Ende auf. Er stürzte auf sie los und fiel ihr um den Hals.

»Was hat dich denn gestern hier zurückgehalten?« rief er.

»Ich war krank.«

»Was fehlte dir denn? … Na und wo … Wie?«

Sie fuhr mit der Hand über die Stirn und antwortete:

»Bei Fräulein Lempereur.«

»Das dachte ich mir doch gleich. Ich war auf dem Weg zu ihr.«

»Die Mühe kannst du dir nun ersparen. Sie ist übrigens schon ausgegangen. In Zukunft rege dich aber nicht wieder so auf! Du kannst dir denken, daß ich mich nicht gar frei fühle, wenn ich weiß, daß dich die geringste Verspätung dermaßen aus dem Gleichgewicht bringt!«

Das war eine Art Erlaubnis, die sie sich selbst gab, in Zukunft mit aller Ruhe über den Strang hauen zu können, wie man zu sagen pflegt. In der Tat machte sie nunmehr den ausgiebigsten Gebrauch davon. Sobald sie Lust verspürte, Leo zu sehen, fuhr sie unter irgendeinem Vorwand nach Rouen. Da dieser sie an solchen Tagen nicht erwartete, suchte sie ihn in seiner Kanzlei auf.

Die ersten Male war ihm das eine große Freude, aber allmählich verhehlte er ihr die Wahrheit nicht. Seinem Chef waren diese Störungen durchaus nicht angenehm.

»Ach was, komm nur mit!« sagte sie.

Und er verließ ihretwegen seine Arbeit.

Sie sprach den Wunsch aus, er solle sich immer in Schwarz kleiden und sich eine sogenannte Fliege stehen lassen, damit er aussähe wie Ludwig der Dreizehnte auf dem bekannten Bilde. Er mußte ihr seine Wohnung zeigen, die sie ziemlich armselig fand. Er schämte sich, aber sie achtete nicht darauf und riet ihm, Vorhänge zu kaufen, wie sie welche hatte. Als er meinte, die seien sehr teuer, sagte sie lachend:

»Ach, hängst du an deinen paar Groschen!«

Jedesmal mußte ihr Leo genau berichten, was er seit dem letzten Stelldichein erlebt hatte. Einmal bat sie ihn um ein Gedicht, um ein Liebesgedicht ihr zu Ehren. Aber die Reimerei lag ihm nicht, und er schrieb schließlich ein Sonett aus einem alten Almanach ab.

Er tat das keineswegs aus Eitelkeit. Er kannte kein andres Bedürfnis, als ihr zu gefallen. Er war in allen Dingen ihrer Ansicht und hatte stets denselben Geschmack wie sie. Mit einem Worte: sie tauschten allmählich ihre Rollen. Leo wurde der feminine Teil in diesem Liebesverhältnisse. Sie verstand auf eine Art zu kosen und zu küssen, daß er die Empfindung hatte, als sauge sie ihm die Seele aus dem Leibe. Es steckte, im Kerne ihres Wesens verborgen, eine eigentümliche, geradezu unkörperliche Verderbnis in Emma, eine geheimnisvolle Erbschaft.