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Salambo: Ein Roman aus Alt-Karthago

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Das waren die punischen Götter, Nebensonnen des höchsten Gottes, die zu ihrem Herrn und Meister wallten, um sich vor seiner Macht zu demütigen und vor seinem Glanze zu vergehen.

Auf der aus feinem Purpurstoff gefertigten Sänfte Melkarths brannte eine Erdölflamme. Auf dem hyazinthenblauen Tabernakel Khamons ragte ein Phallus aus Elfenbein, rundum mit Edelsteinen besetzt. Unter den himmelblauen Vorhängen Eschmuns schlief eine zusammengerollte Pythonschlange, und die Kabiren, die von ihren Priestern im Arme getragen wurden, glichen großen Wickelkindern, die mit den Füßen die Erde streiften.

Dann kamen alle niedrigen Formen der Gottheit: Baal Samin, der Gott der Himmelsräume, Baal Peor, der Gott der heiligen Berge, Beelzebub, der Gott der Verderbnis, ferner die Götter der Nachbarländer und stammesverwandten Völker: der Jarbal Libyens, der Adrammelech Chaldäas, der Kijun der Syrer. Derketo mit ihrem Jungfrauenantlitz kroch auf ihren Flossen, und die Mumie des Tammuz ward zwischen Fackeln und Haarkränzen auf einem Katafalk vorbeigefahren. Um die Herrscher des Firmaments dem Sonnengotte untertan zu machen und zu verhindern, daß ihr besonderer Einfluß den seinen störe, schwenkte man an langen Stangen verschiedenfarbige Metallsterne. Alle waren vertreten, vom schwarzen Nebo, dem Geiste Merkurs, bis zu dem scheußlichen Rahab, der Verkörperung des Sternbilds des Krokodils. Die Abaddirs, Steine, die aus dem Monde gefallen sind, kreisten an Schleudern aus Silberdraht. Die Zerespriester trugen auf Körben kleine Brote von der Gestalt weiblicher Genitalien. Andre trugen ihre Fetische, ihre Amulette. Vergessene Götterbilder tauchten auf. Sogar von den Schiffen hatte man die mystischen Symbole genommen, als wolle sich ganz Karthago versammeln in dem einen Gedanken des Todes und der Verzweiflung.

Vor jedem Tabernakel trug ein Mann auf dem Kopfe ein großes Gefäß, in dem Weihrauch brannte. Dampfwolken schwebten über dem Zuge, über den Teppichen, den Behängen und Stickereien der heiligen Gezelte. Bei ihrer beträchtlichen Schwere kamen sie nur langsam vorwärts. Bisweilen blieb einer der Wagen wegen irgendeines Hemmnisses stehen. Dann benutzten die Gläubigen die Gelegenheit, die Götterbilder mit ihren Gewändern zu berühren, die dann selber wie Heiligtümer in Ehren gehalten wurden.

Der eherne Koloß rückte dem Khamonplatz immer näher. Die Patrizier, die Zepter mit Smaragdknäufen trugen, brachen jetzt von Megara auf. Die Alten, mit Diademen geschmückt, hatten sich in Kinisdo versammelt, und die Staatswürdenträger, die Statthalter der Provinzen, die Handelsleute, die Soldaten, die Seeleute und der ganze Schwarm, der bei Begräbnissen verwendet ward, alle mit den Abzeichen ihrer Würden oder den Werkzeugen ihres Handwerkes versehen, strömten den Tabernakeln zu, die inmitten der Priesterschaften von der Akropolis herabwallten.

Aus Verehrung für Moloch hatten die Priester ihre glänzendsten Edelsteine angelegt. Diamanten funkelten auf den schwarzen Kutten. Zu weite Ringe glitten an abgemagerten Händen hin und her. Ein trübseliger Anblick: diese schweigende Schar, deren Ohrgehänge gegen die bleichen Gesichter schlugen und deren goldene Tiaren fanatische starre Stirnen krönten.

Endlich gelangte der Baal genau in die Mitte des Platzes. Seine Priester errichteten aus Gittern eine Umzäunung, um die Menge zurückzuhalten, und stellten sich zu seinen Füßen um ihn herum auf.

Die Priester Khamons in gelbroten Wollgewändern ordneten sich unter den Säulen der Vorhalle ihres Tempels zu Reihen. Die Priester Eschmuns in leinenen Mänteln mit Halsketten, an denen Amulette hingen, und spitzen Mützen, nahmen auf der Treppe der Akropolis Aufstellung. Die Priester Melkarths in violetten Tuniken nahmen die Westseite des Platzes ein. Die Priester der Abaddirs, mit Binden aus phrygischem Stoffe umwickelt, stellten sich im Osten auf, und die Südseite wies man den Nekromanten an, die über und über mit Tätowierungen bedeckt waren, ferner den Heulern, die in geflickte Mäntel gehüllt waren, den Dienern der Kabiren und den Yidonim, die zur Erforschung der Zukunft einen Totenknochen in den Mund nahmen. Die Cerespriester in ihren blauen Gewändern hatten klüglich in der Sathebstraße Halt gemacht und sangen mit leiser Stimme ein Thesmophorion in megarischem Dialekt ab.

Von Zeit zu Zeit zogen Reihen völlig nackter Männer heran, die sich mit ausgestreckten Armen bei den Schultern hielten. Sie stießen heisere, hohlklingende Brusttöne aus. Ihre Augen, auf den Koloß gerichtet, funkelten, staubbedeckt. Alle wiegten sie ihre Körper im Gleichtakt, wie von ein und derselben Kraft getrieben. Sie waren so in Raserei, daß die Tempeldiener, um die Ordnung aufrecht zu erhalten, sie schließlich durch Stockschläge nötigten, sich flach auf den Bauch zu legen und sich damit zu begnügen, das Gesicht gegen die ehernen Gitter zu pressen.

Jetzt näherte sich vom Hintergrund des Platzes ein Mann in weißem Gewande. Er bahnte sich langsam einen Weg durch die Menge, und man erkannte einen Tanitpriester: Schahabarim. Hohngeschrei erhob sich, denn die Vergötterung der Männlichkeit herrschte an diesem Tage in aller Herzen vor. Ja, die Göttin war derart vergessen, daß man das Fehlen ihrer Priesterschaft gar nicht bemerkt hatte. Doch das Staunen verdoppelte sich, als man den Oberpriester eine der Türen der Gitter öffnen sah, die nur für solche bestimmt waren, die dem Gotte Opfer bringen wollten. Das war – so meinten die Molochpriester – ein Schimpf, den er ihrem Gotte antat. Sie versuchten ihn unter heftigen Gesten zurückzutreiben. Sie, die sich vom Fleische der Opfertiere nährten, die wie Könige in Purpur gehüllt waren und dreifache Kronen trugen, spien nach diesem bleichen, durch Kasteiungen abgezehrten Eunuchen, und zorniges Gelächter erschütterte ihre schwarzen Bärte, die sonnenförmig ihre Brust bedeckten.

Schahabarim schritt weiter, ohne darauf zu antworten. Er durchquerte Schritt für Schritt den ganzen umfriedigten Raum, kam bis zu den Füßen des Kolosses und berührte ihn mit ausgebreiteten Armen, als wolle er ihn umarmen. Das war eine feierliche Form der Anbetung. Die Mondgöttin quälte ihn schon allzu lange, und aus Verzweiflung, vielleicht auch aus Mangel an einem Gotte, der seine Gedankenwelt völlig befriedigte, ging er jetzt zu Moloch über.

Entsetzt über diese Abtrünnigkeit, stieß die Menge ein nicht endenwollendes Murren aus. Man fühlte das letzte Band zerrissen, das die Seelen an eine milde Gottheit fesselte.

Als Kastrat konnte Schahabarim nicht am Dienste des Gottes teilnehmen. Die Männer in den Purpurmänteln vertrieben ihn aus der Umzäunung. Wieder draußen, ging er um alle Priesterschaften nacheinander herum. Dann verschwand er in der Menge, der Gottesdiener, der keinen Gott mehr hatte. Man wich zurück, wo er nahte.

Inzwischen war ein Feuer aus Aloe-, Zedern- und Lorbeerholz zwischen den Beinen des Kolosses angezündet worden. Die Spitzen seiner langen Flügel tauchten in die Flammen. Die Salben, mit denen er bestrichen war, rannen wie Schweiß über seine ehernen Glieder. Um das runde Postament, auf dem seine Füße ruhten, standen die Kinder, in schwarze Schleier gehüllt, unbeweglich im Kreise. Seine übermäßig langen Arme reichten mit den Händen bis zu ihnen hinab, als wollten sie diesen lebendigen Kranz ergreifen und ihn in den Himmel emporheben.

Die Patrizier, die Alten, die Frauen und die ganze Volksmenge drängten sich hinter den Priestern, überallhin, bis auf die flachen Dächer der Häuser. Die großen bunten Sterne kreisten nicht mehr, die Tabernakel waren auf den Boden gestellt, und die Qualmsäulen der Weihrauchfässer stiegen senkrecht empor, wie riesige Bäume, die ihre bläulichen Wipfel im Äther entfalten.

Manche wurden ohnmächtig. Andre standen starr und versteinert in ihrer Ekstase. Unendliche Bangigkeit lastete auf aller Brust. Die letzten Rufe verhallten nach und nach. Das Volk von Karthago atmete schwer und lechzte nach dem Entsetzlichen.

Endlich fuhr der Oberpriester Molochs mit der Linken unter die Schleier der Kinder, riß einem eine Haarlocke von der Stirn und warf sie in die Flammen. Dann stimmten die Männer in den roten Mänteln den heiligen Hymnus an:

»Heil dir, Sonne, König beider Zonen, Schöpfer, der sich selbst erzeugt, Vater und Mutter, Vater und Sohn, Gott und Göttin, Göttin und Gott!«

Ihre Stimmen gingen unter im Schall der Instrumente, die alle auf einmal einfielen, um das Geschrei der Opfer zu übertönen. Die achtsaitigen Scheminits, die zehnsaitigen Kinnors und die zwölfsaitigen Nebals knarrten, pfiffen und stöhnten. Riesige Dudelsäcke gaben ihren scharfen rasselnden Ton von sich. Die aus Leibeskräften geschlagenen Trommeln brummten in dumpfen, wilden Wirbeln, und durch das wütende Trompetengeschmetter rauschten die Salsalim wie schwirrende Heuschreckenflügel.

Bevor die eigentliche Feier begann, prüfte man vorsichtigerweise die Arme des Gottes. Dünne Ketten liefen von seinen Fingern zu den Schultern hinauf und über den Rücken wieder hinab, wo sie von Männern gezogen wurden. Auf diese Weise stiegen seine beiden offenen Hände bis zur Höhe der Ellbogen empor, näherten sich einander und legten sich dann vor die Opfermündung seines Leibes. Man zog die Ketten mehrmals hintereinander mit kleinen ruckweisen Bewegungen und ließ dann wieder los. Dann schwieg die Musik. Das Feuer prasselte.

Die Molochpriester schritten auf dem Postament hin und her und beobachteten die Menge.

Es bedurfte eines persönlichen, gänzlich freiwilligen Opfers, das gewissermaßen die andern nach sich zog. Bisher aber zeigte sich niemand, und die sieben Gänge, die von den Schranken hin zu dem Kolosse führten, blieben leer. Da zogen die Priester, um das Volk zu ermutigen, Geißeln aus ihren Gürteln und zerfetzten sich die Gesichter. Nun ließ man auch die Geweihten, die draußen auf dem Boden hingestreckt lagen, in die Umzäunung. Man warf ihnen ein Bündel furchtbarer Marterwerkzeuge zu, und jeder wählte sich eins. Sie stießen sich Nadeln in die Brust, schlitzten sich die Wangen auf und setzten sich Dornenkronen aufs Haupt. Dann umschlangen sie einander mit den Armen und umringten die Kinder in einem zweiten großen Kreise, der sich bald zusammenzog, bald erweiterte. Sie liefen bis an das Geländer zurück, stürzten wieder vor und fingen immer von neuem an, indem sie die Menge durch den Zauber dieses blutigen, lärmvollen Schauspiels anlockten.

 

Allmählich kamen Leute bis an das Ende der Gänge. Sie warfen Perlen, goldene Schalen, Becher, Leuchter, all ihre Reichtümer in die Flammen. Die Opfer wurden immer kostbarer und massenhafter. Schließlich wankte ein Mann herein, ein bleicher, vor Entsetzen entstellter Mensch, und stieß ein Kind vor sich her. Alsbald erblickte man zwischen den Händen des Kolosses eine kleine schwarze Masse, die oben in der unheimlichen Öffnung verschwand. Die Priester neigten sich über den Rand des Postaments, und ein neuer Gesang erscholl, der die Freuden des Todes und die Wiedergeburt in der Ewigkeit pries.

Die Kinder wurden nun eins nach dem andern hochgehoben, und da der Rauch in großen Schwaden emporwirbelte, so sah es von weitem aus, als verschwänden sie in einer Wolke. Keins rührte sich. Sie waren an Händen und Füßen gefesselt, und ihre dunklen Schleier hinderten sie, etwas zu sehen oder genau erkannt zu werden.

Hamilkar, wie die Molochpriester in einem roten Mantel, stand vor dem Baal neben der großen Zehe des rechten Fußes des Kolosses. Als man das vierzehnte Kind opferte, machte er, jedermann sichtbar, eine heftige Gebärde des Abscheus. Doch sofort nahm er seine frühere Stellung wieder ein, kreuzte die Arme und starrte zu Boden. Auf der andern Seite der Bildsäule stand der Oberpriester ebenso unbeweglich wie er, eine assyrische Mitra auf dem Haupte. Er senkte den Kopf und betrachtete sein goldenes Brustschild mit den weissagenden Steinen, in denen sich die Flammen in den Regenbogenfarben widerspiegelten. Bei Hamilkars Gebärde erschrak und erblaßte er. Der Suffet sah nicht hin. Beide standen dem glühenden Ofen so nahe, daß der wallende Saum ihrer Mäntel ihn von Zeit zu Zeit streifte.

Die ehernen Arme bewegten sich schneller. Sie ruhten keinen Augenblick mehr. Jedesmal, wenn man wieder ein Kind darauf legte, streckten die Molochpriester die Hände darüber, um es mit den Sünden des Volkes zu belasten, und schrien:

»Es sind keine Menschen, sondern Tiere!«

Und die Menge ringsum wiederholte: »Tiere! Tiere!«

Die Gläubigen riefen: »Herr, iß!« Und die Priester der Proserpina, die sich aus Angst mit den Bräuchen Karthagos abfanden, murmelten die eleusinische Formel: »Gieß Regen aus! Sei fruchtbar!«

Kaum am Rande der Öffnung, verschwanden die Opfer wie Wassertropfen auf einer glühenden Platte. Und eine weiße Rauchwolke stieg jedesmal aus der scharlachroten Glut empor.

Die Gier des Gottes war unersättlich. Er verlangte immer mehr. Um ihn zu befriedigen, schichtete man mehrere Kinder auf einmal in seinen Händen auf und schlang eine Kette darüber, um sie festzuhalten. Anfangs wollten einige Gläubige die Opfer zählen, um zu sehen, ob ihre Zahl den Tagen des Sonnenjahres entspräche. Doch man legte eins auf das andre, und es war bei der raschen Bewegung der furchtbaren Arme unmöglich, die einzelnen zu unterscheiden. Das währte lange, endlos, bis zum Abend. Dann ward die Glut im Innern dunkler, und man erkannte brennendes Fleisch. Manche glaubten sogar Haare, Glieder und ganze Körper wahrzunehmen.

Der Tag ging zur Rüste. Rauchwolken schwebten über dem Baal. Der Opferherd glühte nur noch. Eine Aschenpyramide war herabgerieselt, die dem Gotte bis zu den Knien reichte. Über und über rot, wie ein blutüberströmter Riese, schien er mit seinem zurückgeworfenen Haupte unter der Last seiner Sattheit zu wanken.

Je emsiger die Priester wurden, um so mehr nahm der Wahnsinn des Volkes zu. Als nicht mehr allzuviel Opfer übrig waren, schrien die einen, man solle diese schonen, aber die andern riefen, man müsse ihrer noch mehr holen. Es war, als ob die mit Menschen beladenen Mauern unter dem Gebrüll des Entsetzens und der mystischen Wollust zusammenbrächen. Gläubige drängten sich in die Gänge und schleppten ihre Kinder herbei, die sich an sie anklammerten. Sie schlugen sie, um sie von sich loszumachen und den roten Männern zu überliefern. Die Spielleute hielten bisweilen erschöpft inne. Dann hörte man das Schreien der Mütter und das Prasseln des Fetts, das auf die Kohlen herabtropfte. Die Bilsenkrauttrinker krochen auf allen vieren um den Koloß herum und brüllten wie Tiger. Die Yidonim weissagten. Die Geweihten sangen mit zerrissenen Lippen. Man hatte die Schranken durchbrochen. Alle begehrten ihr Teil an dem Opfer. Väter, deren Kinder vordem gestorben waren, warfen wenigstens deren Bilder, Spielzeug und aufbewahrtes Gebein ins Feuer. Manche stürzten sich mit Messern auf die andern. Man brachte sich gegenseitig um. Die Tempeldiener scharrten die herabgefallene Asche in Schwingen aus Erz und streuten sie in die Luft, um die Opferwirkung über die ganze Stadt und bis in den Sternenraum zu senden.

Der laute Lärm und der helle Feuerschein hatte die Barbaren an den Fuß der Mauern gelockt. Um besser zu sehen, kletterten sie an den Trümmern der Helepolis hoch und schauten starr vor Entsetzen zu.

XIV
In der Säge

Die Karthager waren noch nicht in ihre Häuser zurückgekehrt, als sich die Wolken bereits dichter ballten. Die vor dem Koloß Gebliebenen fühlten große Tropfen auf der Stirn. Der Regen begann.

Er fiel die ganze Nacht hindurch, reichlich, in Strömen. Donner rollten. Das war Molochs Stimme. Er hatte Tanit besiegt, und die befruchtete Göttin öffnete nun droben ihren Riesenschoß. Bisweilen erblickte man sie durch zerrissene Wolken auf Nebelkissen ruhend, bald aber schlossen sich die düsteren Dunstgebilde wieder, als sei Tanit noch müde und wolle weiterschlafen. Die Karthager, nach deren Glauben das Wasser vom Monde geboren wird, schrien. Das sollte ihr die Wehen erleichtern.

Der Regen schlug auf die Terrassen und überschwemmte sie, bildete Teiche auf den Höfen, Wasserfälle auf den Treppen und Strudel an den Straßenecken. Er ergoß sich hier in schweren trüben Massen, dort in hurtigen Strahlen. Von allen Hausgiebeln plätscherten breite schäumende Fluten herunter, und an den Mauern hing der Regen wie loses graues Tuch. Die abgespülten Tempeldächer blinkten im Schein der Blitze. In tausend Rinnen stürzten Kaskaden von der Akropolis herab. Häuser brachen zusammen, und Dachbalken, Stuck und Gerät schwammen in den Bächen, die jäh über das Pflaster hinschossen.

Man hatte Schüsseln und Krüge aufgestellt und Segel ausgespannt. Die Fackeln erloschen. Man nahm glimmende Scheite aus der Glut Molochs. Auf den Straßen bogen sich die Leute hintenüber und öffneten den Mund, um den Regen zu trinken. Andre lagen am Rande schmutziger Pfützen, tauchten die Arme bis zu den Achseln hinein und schlürften sich so voll Wasser, daß sie es wie Büffel wieder ausspien. Allmählich ward die Witterung kühl und frisch. Alle sogen die feuchte Luft ein und reckten die Glieder, und diesem Wonnerausch entsprang alsbald eine grenzenlose Zuversicht. Alles Elend war vergessen. Das Vaterland mußte wieder auferstehen.

Man empfand das Bedürfnis, die maßlose Wut, die man in sich selbst nicht verarbeiten konnte, an andern auszulassen. Das Opfer durfte nicht nutzlos bleiben. Wenngleich niemand Reue empfand, so fühlten sich doch alle von jener Raserei ergriffen, die aus der Mitschuld an unsühnbarem Verbrechen ersteht.

Das Gewitter hatte die Barbaren in ihren schlecht schließenden Zelten überrascht. Noch am nächsten Tage wateten sie völlig durchnäßt im Schlamm umher und suchten ihre verdorbenen Vorräte und verlorenen Waffen zusammen.

Hamilkar begab sich aus freien Stücken zu Hanno und übergab ihm kraft seiner Machtvollkommenheit den Befehl über die Stadt. Der alte Suffet schwankte eine Weile zwischen Groll und Herrschsucht. Schließlich aber nahm er an.

Hierauf ließ Hamilkar eine Galeere auslaufen, die am Bug wie am Steuer mit je einem Geschütz ausgerüstet war. Sie ging im Golfe dem Floß gegenüber vor Anker. Sodann schiffte er seine Kerntruppen auf den noch verfügbaren Schiffen ein. Er entfloh offenbar. Nach Norden steuernd, verschwand er im Nebel.

Doch drei Tage später – man wollte eben von neuem Sturm laufen – kamen Leute von der libyschen Küste unter großem Geschrei in das Söldnerlager. Barkas sei bei ihnen gelandet, mache überall Beitreibungen und ginge immer weiter hinein in das Land.

Die Barbaren entrüsteten sich darüber, als ob Hamilkar sie verraten hätte. Die der Belagerung Überdrüssigen, besonders die Gallier, verließen ohne weiteres die Belagerungswerke, um zu ihm zu stoßen. Spendius wollte die Helepolis wieder aufbauen. Matho hatte in Gedanken eine Linie von seinem Zelte bis nach Megara gezogen und sich geschworen, auf ihr schnurstracks vorzurücken. Von der Mannschaft beider Befehlshaber rührte sich keiner vom Flecke. Die andern zogen unter Autarits Führung ab und gaben damit den westlichen Teil der Stadtmauer frei. Die Sorglosigkeit war so groß, daß man gar nicht daran dachte, die Weggegangenen zu ersetzen.

Naravas belauerte dies von fern in den Bergen. Während der Nacht ritt er mit allen seinen Numidiern auf der Seeseite der Lagune am Meeresgestade hin und zog in Karthago ein.

Hier erschien er mit seinen sechstausend Mann als Retter in der Not. Sie trugen sämtlich Mehl unter den Mänteln. Seine vierzig Elefanten waren mit Futter und getrocknetem Fleisch beladen. Man drängte sich um sie und gab ihnen Namen. Denn mehr noch als die Ankunft einer solchen Hilfe erfreute die Karthager der Anblick dieser gewaltigen, dem Sonnengotte geweihten Tiere. Sie waren ein Unterpfand seiner Gnade, ein Zeichen, daß er ihnen endlich beistehen und in den Krieg eingreifen wolle.

Naravas nahm die höflichen Worte der Alten entgegen. Dann stieg er zu Salambo die Schloßtreppe empor.

Er hatte sie nicht wiedergesehn, seit er in Hamilkars Zelt, im Schoße der fünf Heere, ihre kleine, weiche, kühle Hand in der seinen gehalten hatte. Nach der Verlobung war sie nach Karthago zurückgekehrt. Seine Liebe, die eine Weile seinen ehrgeizigen Plänen gewichen war, erwachte von neuem. Jetzt gedachte er in den Genuß seiner Rechte zu treten, die Karthagerin zu seiner Frau zu machen und sie mit sich zu nehmen.

Salambo begriff nicht, wie dieser junge Mann je ihr Gebieter werden könne. Obwohl sie Tanit alle Tage um Mathos Tod anflehte, ward ihr Abscheu vor dem Libyer doch immer geringer. Sie hatte das dunkle Gefühl, daß der Haß, mit dem er sie verfolgte, etwas beinahe Heiliges sei. Sie hätte in Naravas' Wesen einen Abglanz jener wilden Heftigkeit sehn mögen, von der sie immer noch bezaubert war. Wohl wünschte sie den Numidier näher kennen zu lernen, aber seine Gegenwart war ihr doch unangenehm. Sie ließ ihm antworten, sie dürfe ihn nicht empfangen.

Überdies hatte Hamilkar seinen Leuten befohlen, dem jungen Numidierfürsten keinen Zutritt zu Salambo zu gewähren. Er glaubte seiner Treue sicherer zu sein, wenn er die Belohnung dafür bis zum Ende des Krieges aufsparte. Naravas zog sich aus Respekt vor dem Suffeten zurück.

Gegen die punischen Behörden zeigte er sich nicht so demütig. Er änderte von ihnen getroffene Anordnungen, forderte Vorrechte für seine Leute und stellte sie auf wichtige Posten. Die Barbaren machten große Augen, als sie auf einmal Numidier auf den Türmen der Stadt erblickten.

Die allgemeine Verwunderung ward noch viel größer, als auf einer alten punischen Trireme vierhundert Karthager anlangten, die während des Krieges in Sizilien gefangen genommen worden waren. Hamilkar hatte nämlich insgeheim den Quiriten die Bemannung der latinischen Schiffe, die er vor dem Abfall der tyrischen Städte gekapert hatte, zurückgesandt, und zum Dank für dieses Entgegenkommen schickte ihm Rom die dortigen Gefangenen zurück. Auch lehnten die Römer das Anerbieten der sardinischen Söldner ab und schlugen sogar die ihnen angetragene Schutzherrschaft über Utika aus.

Hiero, der Tyrann von Syrakus, folgte diesem Beispiel. Um sein Reich zu behaupten, war ihm das Gleichgewicht beider Großmächte nötig. Es lag ihm also an der Rettung der Punier. Er erklärte sich zu ihrem Freunde und sandte ihnen zwölfhundert Rinder und dreiundfünfzigtausend Nebel reinen Weizens.

Der eigentliche Grund für diese Unterstützung Karthagos lag tiefer: man fühlte, daß bei einem endgültigen Siege der Söldner alles, was überhaupt in Sold stand, vom Soldaten bis zum Küchenjungen, aufsässig würde, und daß dann keine Regierung und kein Herrscherhaus seine Unabhängigkeit wahren könne.

Mittlerweile durchstreifte Hamilkar die östlichen Landstriche. Er trieb die Gallier zurück, und die Barbaren sahen sich nunmehr selber gleichsam wieder belagert.

 

Jetzt begann er sie systematisch zu beunruhigen. Er kam und verschwand wieder und wiederholte dieses Manöver so lange, bis er sie nach und nach aus ihren Lagern fortlockte. Spendius war genötigt, den andern zu folgen, und schließlich zog auch Matho ab.

Letzterer ging jedoch nicht über Tunis hinaus, sondern setzte sich in dieser Stadt fest. Die Hartnäckigkeit, mit der er dort verblieb, war sehr klug, denn alsbald sah man Naravas mit seinen Truppen und Elefanten zum Khamontor herausziehen. Hamilkar hatte ihn zu sich gerufen. Schon streiften die übrigen Barbaren durch die Provinzen zur Verfolgung des Suffeten.

Er hatte in Klypea eine Verstärkung von dreitausend Galliern erhalten. Aus der Kyrenaika ließ er Pferde, aus Bruttium Rüstungen kommen. Er begann den Krieg von neuem.

Noch nie war sein Genie so reg und schöpferisch gewesen. Fünf Monate lang lockte er die Söldner hinter sich her. Er hatte ein festes Ziel vor Augen. Er wollte sie nach einem bestimmten Orte verführen.

Die Barbaren hatten anfangs versucht, dem Punier im Kleinkrieg beizukommen, aber die kleinen Abteilungen hatten keine Erfolge. Nun blieben sie vereint. Ihr Heer belief sich auf etwa vierzigtausend Mann. Jetzt hatten sie in der Tat mehrmals die Freude, die Karthager zurückweichen zu sehn.

Stark belästigt wurden sie von der Kavallerie des Naravas. Oft zur heißesten Tageszeit, wenn man unter der Last der Waffen schlaftrunken durch die Ebene zog, stieg plötzlich dichter Staub am Horizont auf. Etwas Unsichtbares brauste im Galopp heran, und aus einer Sandwolke, in der eine Menge flammender Augen blitzte, schoß ein Pfeilhagel hervor. Von weißen Mänteln umflatterte Numidier stießen ein lautes Geheul aus, reckten die Arme empor, warfen ihre steigenden Hengste mit kräftigem Schenkeldruck herum und verschwanden wieder. In einiger Entfernung führten sie stets auf Dromedaren Vorräte an Wurfspießen mit. Und so kamen sie immer um so schrecklicher wieder, heulten wie Wölfe und flohen abermals wie die Geier. Die Flügelmänner der Barbaren fielen einer nach dem andern. Das währte so fort bis zum Abend, wo man ins Gebirge zu entkommen suchte.

Obwohl die Berge für die Elefanten gefährlich waren, wagte sich Hamilkar doch hinein. Er folgte der langen Kette, die sich vom Hermäischen Vorgebirge bis zum Gipfel des Zoghwan erstreckt. Seine Gegner glaubten, er wolle dadurch die Schwäche seiner Truppen verbergen. Die beständige Ungewißheit, in der er sie erhielt, erbitterte sie schließlich mehr als eine Niederlage. Entmutigen ließen sie sich allerdings nicht. Sie zogen nach wie vor hinter ihm her.

Endlich eines Abends überraschten die Söldner eine Abteilung leichten Fußvolks zwischen dem Silberberg und dem Bleiberg in einer wüsten Felsengegend am Eingang zu einem Engpaß. Ohne Zweifel marschierte das ganze punische Heer vor ihnen, denn man hörte Marschgeräusch und Trompetensignale. Die Überraschten verschwanden alsbald in den Schluchten. Der Engweg führte in einen Talkessel hinab, der rings von hohen Felswänden umgeben war, die das Aussehen einer Säge hatten und dem Ort den Namen »die Säge« verliehen. Um die Flüchtigen einzuholen, stürzten die Barbaren nach. In der Tiefe sah man noch andre Karthager, dabei eiligst vorwärts getriebene Ochsen und allerlei lärmendes Getümmel. Auch erblickte man einen Reiter in einem roten Mantel. Das sei der Marschall, hieß es. Mit um so mehr Wut und Freude stürmte man weiter. Einige waren aus Trägheit oder aus Vorsicht am Eingang des Engpasses verblieben. Doch aus einem Gehölz brachen Reiter hervor und jagten sie mit Lanzenstößen und Säbelhieben den andern nach. Bald waren alle Barbaren zwischen den Felsenwänden.

Nachdem die große Menschenmenge eine Weile weiter gewogt war, machte man Halt. Man fand vorn keinen Ausgang.

Die dem Engpaß am nächsten waren, kehrten um, doch auch der Weg dahin war wie verschwunden. Man rief den Vorderen zu, weiter zu marschieren. Diese sahen sich gegen die Bergwand gedrückt und schimpften nun auf die Kameraden hinter sich, daß sie nicht einmal den Herweg wiederzufinden wüßten.

Kaum waren nämlich die letzten Barbaren hinabgestiegen, als Männer, die sich hinter den Felsen versteckt gehalten hatten, große Blöcke mit Balken hoben und umstürzten. Da der Abhang steil war, rollten die gewaltigen Steinmassen bergab und versperrten den engen Eingang vollständig.

Am andern Ende des Felsendomes führte ein langer, vielfach von Klüften durchschnittener Gang durch eine Schlucht wieder zur Hochebene hinauf. Dort befand sich das punische Heer. In diesem Engwege hatte man im voraus Leitern an die Felswände gestellt. Durch die Windungen der Schlucht geschützt, konnte das leichte Fußvolk rasch auf den Leitern emporklettern, ehe es von den Söldnern eingeholt wurde. Einige verliefen sich bis ans Ende der Schlucht. Man zog sie an Seilen herauf, denn der Abhang bestand dort aus losem Sande und war so steil, daß man selbst auf den Knien nicht hinaufklimmen konnte. Die Barbaren langten fast unmittelbar hinter ihnen an. Doch ein sechzig Fuß hohes Drahtgitter, genau dem Hohlraum angepaßt, sauste plötzlich vor ihnen herab, wie ein vom Himmel fallender Wall.

So war die Berechnung des Suffeten geglückt. Keiner von den Söldnern kannte das Gebirge, und die Vorhut der Marschkolonne hatte die übrigen nach sich gezogen. Die Felsblöcke, die nach unten schmaler waren, hatte man mit Leichtigkeit umgestürzt, und während alles vorwärts eilte, hatte das punische Hauptheer in der Ferne ein Geschrei erhoben, als sei es in Not. Allerdings hatte Hamilkar sein leichtes Fußvolk aufs Spiel gesetzt, doch verlor er nur die Hälfte davon. Für den Erfolg einer solchen Unternehmung hätte er auch zwanzigmal mehr geopfert.

Bis zum Morgen drängten sich die Barbaren in geschlossener Ordnung von einem Ende des Talkessels zum andern. Sie betasteten die Hänge mit ihren Händen und suchten einen Ausgang.

Endlich ward es Tag. Da sah man ringsum die hohen weißen, senkrecht aufsteigenden Felswände. Und kein Rettungsmittel, keine Hoffnung! Die beiden natürlichen Ausgänge der Sackgasse waren durch das Drahthindernis und die Felshaufen gesperrt.

Sprachlos blickte man einander an. Keiner hatte noch Mut. Allen lief es eiskalt über den Rücken. Die Lider wurden ihnen schwer wie Blei. Und doch rafften sie sich wieder auf und rannten gegen die Felsen an. Aber die unteren standen durch das Gewicht der darüberliegenden unerschütterlich fest. Man versuchte daran hochzuklettern, um den Höhenzug zu erreichen, aber die bauchige Gestalt der Steinsäulen bot nirgends Stützpunkte. Man wollte den Fels zu beiden Seiten der Schlucht sprengen, aber die Werkzeuge zerbrachen. Aus den Zeltstangen zündete man ein großes Feuer an, aber verbrennen konnte man das Felsgebirge nicht.

Man wandte sich wiederum gegen das Drahthindernis. Es starrte von langen pfahldicken Nägeln, spitzer als die Stacheln eines Igels und dichter als die Borsten einer Bürste. Die Söldner wurden von einer solchen Wut ergriffen, daß sie dagegen anstürmten. Aber die Vordersten wurden bis ins Rückgrat durchstochen, die nächsten prallten zurück, und schließlich stand man allgemein davon ab, Fleischfetzen und blutige Haarbüschel an den entsetzlichen Stacheln zurücklassend.

Als sich die Aufregung etwas gelegt hatte, stellte man fest, wieviel Lebensmittel noch vorhanden waren. Die Söldner, deren Gepäck verloren gegangen war, besaßen kaum noch für zwei Tage Vorrat und die übrigen Truppen überhaupt keinen, da sie auf eine von den Dörfern des Südens versprochene Zufuhr gerechnet hatten.