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»Hier zu rasten meine ich nicht,« begann Ingram das finstere Schweigen brechend, »folgt mir aufwärts in die Berge, vielleicht erblicken wir dort von der Höhe ihr Feuer.« Wieder ritten sie weiter, der große Gebirgswald nahm sie auf, sie mußten absteigen und ihre müden Rosse führen.

Unter den Bäumen wurde es finster, immer noch lauschten sie auf den Ton von Menschenstimmen oder auf ein fremdartiges Geräusch, aber nur die alten Gebieter des Bergwaldes, die Riesenbäume, redeten zu ihnen in ihren geheimnisvollen Tönen. Endlich hielt Wolfram an, als sie in ein dunkles Waldtal gestiegen waren. »Fleisch und Bein wollen nicht mehr zusammenhalten, gefällt‘s Euch, Herr, so rasten wir, sonst verlieren wir die Pferde.«

Ingram sprang ab und sprach mit heiserer Stimme: »Unselig sei das Lager, auf dem ich diese Nacht raste; ist euch die Ruhe nötig, so erwartet mich; ich fahre zurück durch die Wildnis und suche das Feuer der Hilflosen. Hoffe nicht mich zu bereden, Wolfram«, setzte er befehlend hinzu. »Die Sorge macht mich zornig, bin ich mit dem Morgen nicht zurück, so fahrt heimwärts und erwartet mich im Hofe.«

»Was einer tun muß, soll der andere nicht hindern«, versetzte Wolfram, kummervoll seinem Herrn nachsehend. »Ich lobe nicht den Verstand eines Mannes, der bei Nacht dem Schrei der Raubtiere nachzieht. Laß uns die Rosse sichern vor dem Ungeziefer, Godes, und unseren Gürtel fester schnallen, denn schmal ist die Nachtkost. Einer schläft nach dem anderen, wer den längsten Halm zieht, hat die erste Wache.« Sie zogen, Godes setzte sich mit dem Rücken gegen einen Baumstamm, legte die Keule neben sich, Wolfram streckte sich der Länge nach in das Moos. »Trägt mich ein Bär fort, so zahle ihm den Trägerlohn«, sagte er schläfrig und war nach wenig Augenblicken entschlafen.

Durch die Nacht drang Ingram bergauf, verstört war sein Sinn, wild der Flug seiner Gedanken, und rings um ihn die Schwärze des Todes. Mit der Hand griff er vorwärts in die Finsternis, er tastete an den Stämmen und sank zu Boden zwischen Steinen und knorrigen Wurzeln, aber immer wieder erhob er sich und drang höher und immer sah er vor seinen heißen Augen das lodernde Dorf und die feurigen Zungen, welche über die Strohdächer des Ratiz flackerten. Er dachte an die Rache der Sorben, neuer Mordbrand würde in den Grenzdörfern seiner Heimat aufsteigen, und auf ihn würde die Schuld fallen. Und zwischen solchen Angstgedanken hörte er die leisen Worte des Mönches: »Rächet euch nicht, denn die Rache ist mein.« Törichte Worte für das Ohr eines Kriegers! Wie kann ein solcher tatlos seinem Gott die Sorge überlassen, den Feind zu verderben. Die Götter hatten ja auch ihn selbst nicht vor der Kunst und vor der Tücke des Ratiz bewahrt. Durch das Grauen des Waldes wand er sich dahin als ein entlaufener Knecht. Sein Angesicht wurde glühend heiß und seine Faust ballte sich, er stürmte fort und schlug mit seinem Leib an Baumstamm und Felsen, bis er keuchend zur Höhe kam, wo der Sturmwind alte Stämme gefällt hatte und der graue Nachthimmel über ihm sichtbar war. Er kletterte mühselig auf das Gewirr von Ästen und Wurzeln und suchte einen Ausblick auf die Höhen und auf das Tal davor, ob ein Feuerfunke blinke durch die Schwärze oder der Laut einer Stimme hörbar sei. Er wußte, daß es ein kindisches Hoffen war.

Alles um ihn war finstere, öde, menschenfeindliche Wildnis. Nur die Überirdischen sprachen hier, wenn die Wipfel rauschten, und unten in der Tiefe heulten die Krieger des Waldes, die wilden Tiere. Hier waren die Götter sogar dem wehrhaften Manne feindlich, würden sie Erbarmen üben gegen den Haufen, der mit dem Kreuz des Fremden dahinzog, und würden sie die Frauen retten vor Bärenklaue und Wolfsbiß, vor dem jähen Abgrund und dem fallenden Baum? Keiner konnte sagen, ob die Götter mächtig waren und von gutem Willen, sie selbst waren geworden und hatten das Geschlecht der Männererde gezeugt, und sie sollten alt werden und grämlich, wie die Weisen verkündeten, und die Götter und die Geschlechter der Menschen sollten zuletzt untergehen in bitterem Todeskampfe vor dem Weltbrand? Der Christengott aber war, wie der Fremde rühmte, ewig. Und er sollte ewig regieren hier auf der Erde und im Himmelssaal. Daher war auch der Christenmann so fest, denn er vertraute auf die Dauer und auf die Sorgfalt seines Gottes. – Sie hatte sich das Antlitz zerrissen, weil sie den Feind des Lebens nicht töten wollte. Lieber als das Wohlgefallen der Menschen war ihr das Gebot ihres Gottes. Ihr Gott hatte sie fest gemacht, weil sie ihm treu war.

Ingram seufzte tief und seinem Stöhnen antwortete aus der Tiefe das Geheul der grauen Wölfe. Er kannte solchen Gesang der Götterhunde, so schrien sie, wenn sie sich zum Leichenmahle rüsteten auf der Walstatt oder um den Pferch einer Herde. Dort unten strichen sie um ihre Beute. Und er dachte sich die schwachen Pfähle, welche Frauenhand geschlagen hatte, das Weib und die Kinder, und um sie die glühenden Augen und die aufgesperrten Rachen der Wölfe. Schreiend schwang er die Keule und sprang hinab wie ein Rasender, er fiel und er sprang wieder und fiel, und als er sich aufraffte, hörte er dicht vor sich einen Stein gleiten und eine Weile darauf in die Tiefe krachen. Er warf sich zurück und sein Haar sträubte sich, er merkte, daß vor ihm ein Abgrund gähnte. Eine Weile lag er so, kraftlos, in kaltem Schweiß gebadet, aber wieder heulten die Raubtiere, sie zankten miteinander und wie ein heiseres Lachen klang ihr Gebell. Er kletterte rückwärts und fuhr längs der Höhe dahin, bis er einen Quell rieseln hörte, er fühlte sich zu dem Wasser, schöpfte in der hohlen Hand und führte es an den brennenden Mund, dann stieg er vorsichtig in dem Rinnsal bis zur Taltiefe, in welcher ein Bach der Saale zufloß. In dem Dämmer des ersten Zwielichts sah er jenseit des Baches die grauen Schatten der Wölfe beim gierigen Fraß, die Nasen in dem Blut eines gejagten Wildes, gedrängt wie die Schafe am Brunnentrog. Tief aufatmend wich er zurück und lief den Bach abwärts der Saale zu. Es trieb ihn zu der Stelle, die sein Mann zum Lager der Weiber gewählt hatte. Ob sie dort in der Nähe rasteten? Da, wo die Waldhügel zum Saalufer abfielen, hielt er an. Vor sich sah er verglimmende Feuer, er hörte stampfende Hufe und sah eine grauröckige Gestalt neben einem Rosse stehen, den Wächter des Lagers. Die Verfolger waren auf dem Wege. Er warf sich zu Boden und wand sich im Schatten des Gehölzes entlang, angstvoll mit den Augen durch die Dämmerung nach Weibern und Kindern unter den schlafenden Feinden spähend. So lag er und wartete auf das Frühlicht.

Er, der im Buchenlaub lag mit roten Augen, und der Sorbe, welcher hundert Schritt von ihm wachte, beide Nachtgänger wußten nicht, wie nahe ihnen die Ruhestätte war, in welcher das Kreuz stand. Auf einer langgestreckten Höhe, etwa eine Wegstunde nach Westen zu hatte der Mönch seine Schützlinge gelagert. Ganz friedlich war ihre Fahrt gewesen, zwei sonnige Tage zwischen Laub und blühendem Gras, zwei stille Nächte unter dem Sternenlicht. Es hatte sie kein wildes Tier umheult und kein Nachtgespenst der Wälder geschädigt; sie waren an Sorbenhütten vorübergekommen, dort hatten die Sorben Wasser aus dem Brunnen zugetragen und die Wangen der Kinder gestreichelt, eine Slawenfrau hatte der Gertrud mitleidig einen Topf geschenkt, als wertvolle Gabe, damit sie den Kindern die Wurzeln und Pilze koche, und kleine Sorbenjungen waren mitgelaufen, den Gesang zu hören, und hatten versucht das Kyrie nachzuschreien. Von dem Feuerschein in ihrem Rücken wußten die Fahrenden nichts, und als ein Sorbenmann sie danach fragte, hatten sie das ehrlich gesagt und der Mann hatte ihnen geglaubt und sich über das feurige Zeichen am Himmel sehr gewundert. Erst am letzten Mittag, da sie zum Schwarzwasser gelangten, hatte Walburg, während der Mönch bei ihr vorüberging, den Schleier gehoben und mit Anstrengung zu ihm gesagt: »Raste nicht, wo Ingrams Mann geboten, ziehe nicht den Pfad, den er dir gewählt, vergeblich wäre es, durch hastige Fahrt die Kinder vor dem Verfolger zu retten. Laß mich absteigen, ich vermag wohl zu gehen, und jage die Rosse ohne uns nordwärts, denn sie ziehen uns die Wölfe und die Sorben nach. Lieber vertraue unser Leben dem Bannwald und den Klippen der Schwarza. Dort birg die Kinder.« Den Rat billigte Gertrud, obwohl ihr vor Ungeheuern graute, denn auch sie hatte ihre Gedanken über den Feuerschein und über das Jagdglück des Wolfram. Und als sie über das Schwarzwasser gedrungen waren, rief Gertrud einige Weiber und die Knaben und führte sie mit den Rossen auf weichem Grunde eine Wegstrecke denselben Pfad entlang, welchen Wolfram ihr vorgesungen hatte, bis dahin, wo der Boden hart wurde und die Tritte undeutlich, dann trieb sie die ledigen Rosse mit starken Schlägen nordwärts und lehrte die Kinder die Schritte hinter sich zu setzen und rückwärts zu stapfen bis an die Stelle des Baches, von der sie gekommen waren.

»Es ist eine Kinderlist,« sagte sie, »vielleicht hilft sie doch Kluge täuschen.« Darauf zogen sie im schwarzen Tal entlang, das Wasser zur Linken, bis ihnen ein Bach, der aus der Richtung ihrer Heimat in die Schwarza rann, den Weg hemmte. An dieser Wasserrinne zogen sie talauf, endlich erstiegen sie langsam und mit müden Beinen eine Bergleite und gingen auf dem Rücken noch eine Strecke dahin, während der Himmel sich rötete. Da fanden sie ein altes Verhau, das früher einmal Jäger oder flüchtige Talleute zusammengeworfen hatten, sie drängten sich hinein, suchten den Quell und zündeten im Abendlicht unter den Bäumen ihre Feuer an. Die Frauen bereiteten für Walburg ein Lager von Heidekraut und rüsteten wilde Nachtkost. Die Kinder aber lagerten sich im Kreise um Gottfried und dieser erzählte ihnen die Geschichte von einem Königsohn aus Morgenland, der Joseph hieß und den seine Brüder in eine tiefe Grube warfen, die ganze Geschichte bis dahin, wo Joseph seinen alten Vater wiederfand und küßte. Die Kinder saßen um ihn, die kleinsten drückten sich an seine Arme und hingen sich an seinen Hals, die blauen Kinderaugen blickten ihn so gespannt und so fröhlich an, daß er sich vorkam wie ein Seliger unter den Engeln. Und als er geendet hatte und alles um ihn her schwieg, rief ein kleiner Heidenknabe, den sie Bezzo nannten, indem er an ihm hinaufkletterte und seinen Hals umfing: »Ich bin Joseph, und ich will essen.« Alle lachten und sahen auf Gertrud, welche mit einem Holzstabe im Topfe rührte. Da hockten die Kinder um das Feuer, und die Frauen teilten ihnen auf Tellerlein von Rinde die Bissen zu, worauf die Frauen auch der eigenen Mahlzeit gedachten. Gottfried aber sang den Kindern das Nachtgebet vor, und ein grauer Waldvogel knarrte zu dem Amen der Gemeinde seinen rauhen Triller, gerade wie einst in der Zelle unter den Brüdern der alte Hunibert, welcher harthörig war. Dann legte Gottfried die Kinder zur Nachtruhe; aneinandergeschmiegt, die Köpfe ins Moos gedrückt, schliefen sie ein.

 

Neben ihm saß eine junge Heidenfrau, verworren hing ihr das Haar um das bleiche Gesicht, und ihre Augen starrten ausdruckslos umher. Sie war die zwei Tage schweigend unter den anderen hingewankt, und mit scheuer Teilnahme hatten die Frauen ihr gedient, wie unglücklich sie auch selbst waren. Jetzt öffnete sie zum erstenmal die Lippen: »Gut sorgst du um die Lebenden, Fremdling; aber wenig nützt deine Mühe dem toten Kinde, das zerschlagen am Wege liegt, klein waren seine Beinchen und es weinte, da es lief. Jetzt wischt wohl sein Schatten in der Nacht längs dem wilden Wege und sucht die Mutter, oder es sitzt tief unten im Brunnen, wo die weiße Frau die armen Kinderseelen hütet, kalt ist das Wasser, stumm kauert das Kind, und die Mutter sehnt sich und verhaßt ist ihr das Leben.«

Gottfried kniete zu ihr in das Moos, auch ihm rannen die Tränen vom Angesicht. »Die weiße Frau kenne ich, welche dein totes Kind behütet, und den Weg weiß ich, der zu ihr führt; denn uns ist etwas verkündet von den Kleinen, und es steht in den heiligen Büchern geschrieben: Der Kleinen ist das Himmelreich. Nicht im kalten Brunnen kauert dein Liebling, die Jungfrau Maria ist‘s, wie ich meine, welche hoch oben im Himmel über den Kindern waltet. In Wonne leben sie und schwingen ihre Flügel und hohe Engel heißen sie unter den Menschen. Selig jauchzen sie dem Frommen entgegen, der aus der Erde aufsteigt in den Himmelssaal. Harre, Frau, und vertraue, auch dir wird dein Engel entgegenfliegen in deiner letzten Stunde und wird dich hinaufführen in den Saal der ewigen Freude.«

Das Weib weinte laut, dann legte sie die Hände über die seinen und flehte angstvoll an ihm niedersinkend: »Bete deinen Sang, damit ich es wiederfinde.«

Gottfried sprach ihr die fromme Bitte vor und sie wiederholte stöhnend die Worte.

Zuletzt trat er zu Walburg, sah zu, ob ihr die Wunde genetzt war, und segnete sie. Die Kranke versuchte sich aufzuraffen und drückte ihm dankbar die Hand. Der Mönch zog seine Hand zurück, aber die Hand bebte. »Nicht mir erweise treue Gesinnung, Jungfrau,« sprach er, »denn wenn ich für dich sorge, so geschieht es nicht, um dir gefällig zu werden, sondern weil ich nach dem Befehl des großen Himmelsgottes handle. An ihn denke, ich bin nur wie der Windhauch, der dir seine Stimme zuträgt, daß sie in dein Ohr tönt. Von Vater und Mutter bin ich gewichen, und von meiner Schwester Herzen habe ich mich gerissen, keinem Menschen zuliebe darf ich handeln, nur ihm diene ich und was er mir gebietet, das tue ich, sei es mir schwer oder leicht.« So stärkte er seufzend sich selbst.

Walburg sank auf ihr Lager zurück, und Gottfried schritt mit gesenktem Haupt zum Eingang des Geheges. Die Nacht stieg herauf, die Frauen lehnten die Köpfe an die Baumstämme, und Gottfried saß lange allein mit seinen Gedanken, bis auch ihm der Schlummer die Augen schloß. Und im Schlaf machte er das Kreuz, wenn das Gebell der Waldtiere aus der Tiefe scholl und der Schrei des Uhus.

Wolfram schaute müde nach dem Morgenhimmel, als auf der Höhe Zweige brachen und Ingram herabsprang. Mit verstörtem Antlitz rief der Held: »Nur ein Zeichen sah ich, die Feuer der Sorben, mit zwanzig Pferden liegen sie an der Saale. Zwei Jägerhaufen neiden einander das Wild; neu beginnt die Suche; auf die Rosse und hinein in den Wald!«

5. Die Versammlung am Walde

Wie ein wilder Eber schnaubend in sein Lager fährt, wenn er mit Mühe das Gebiß der Hunde vermieden hat, so sprang Ingram in den Rabenhof. Er schüttelte Wunihild, die Sklavin, von sich ab, als sie ihm die Arme entgegenstreckte, auch seinen Knechten, die ihm frohen Gruß zuriefen, gab er kurze Antwort; mit brennenden Augen, sehnsüchtig nach Schlaf warf er sich auf sein Lager, aber jammervolle Gedanken rissen ihn hin und her. Ohne Schwert und Roß, als ein entwichener Knecht kehrte er in den Hof seiner Väter zurück, alles sah er noch einmal vor sich: die höhnende Miene des Sorben, das brennende Dorf, ein Weib, das sich zornig von ihm abwandte, und den fremden Knaben, vor dem sie kniete. Er ballte die Faust und schleuderte das Fell seines Lagers von sich. »Sind sie im Dorfe?« rief er dem eintretenden Wolfram entgegen.

»Unten wachten nur noch wenige, und keiner wußte von ihnen zu sagen, auch um die Hütte des Priesters war es leer und still,« versetzte sein Mann, »sind sie geflogen, wer weiß, wo sie anhalten, und sind sie in einen Berg entrückt, wer weiß, wann sie zurückkehren.« Ingram eilte zur Tür. »Wohin, Herr?« rief der Mann, ihn kräftig festhaltend. »Nach solcher Hetzjagd und vier schlaflosen Nächten ist dir der Sinn verstört, ich leide nicht, daß du noch einmal zu Rosse steigst. Wir haben getan, was in Manneskraft stand und noch mehr. Auf unserer Spur haben wir die Sorben fortgelockt; wandeln die Verschwundenen mit ihren Füßen auf der Erde, so haben wir sie dadurch vielleicht von den Feinden gelöst. Was der wilde Wald an ihnen getan, das konnten wir nicht ändern. Waghalsig sind wir den heimkehrenden Sorben wieder nachgezogen, doch spurlos blieben uns die Flüchtigen auch während dem zweiten Ritt. Wären es die Häupter unserer Brüder, wir hätten nicht tollere Jagd um sie reiten können. Jetzt ist die Kraft vertan; sorge für dich selbst.« Mit solchen Reden zwängte er den Herrn auf das Lager zurück und setzte sich zu ihm. Er erzählte ihm immer wieder von den Waldwegen, die sie kreuz und quer gemacht hatten, und wie wahrscheinlich es sei, daß Zaubergebet des Priesters die Wallenden der Gefahr enthoben habe, bis Ingrams Haupt auf den Pfühl zurücksank und ein unruhiger Schlaf ihm die Besinnung nahm. Da erst schlich Wolfram in seine Kammer.

Als Ingram spät am Morgen aus wirrem Traum auffuhr, stand Wolfram wieder an seinem Lager. »Es war unrecht, dich zu wecken, Herr, aber Unglaubliches wird dein Auge sehen, wenn es dir gefällt, vor das Tor zu treten. Das Tal ist verwandelt, viele Männer aus der Landschaft sehe ich gesammelt, auf allen Wegen ziehen die Krieger in ihrem Festkleide heran, auch Weiber darunter, was doch sonst bei einem Volksrat unerhört ist. Um das Haus des Memmo drängen sich Heiden und Christen. Herr Gerold ist selbst gekommen, der neue Graf, welchen der Frankenherr als Grenzwächter geschickt hat, und mit ihm Frau Berswind, sein Gemahl, die rundliche Frau. Ich sehe viele Speere der Häuptlinge und Männer aus allen Walddörfern. Auch in deinem Hofe stampften die Rosse guter Genossen. Dein Gesell Bruno harrt deiner, Kunibert und andere mit ihrer Freundschaft, denn große Botschaft des Frankenherrn ist angekündigt, und um den Fremden geht die ganze Bewegung.« Ingram sprang vom Lager und vor das Tor, wo ihn eine Anzahl ehrbarer Landleute mit würdigem Gruße empfing und neugierig sein verstörtes Aussehen musterte. Aber ihm wie den anderen zog es den Blick abwärts nach dem Anger und den Wiesen, die sich um das Haus des Christenmannes Memmo breiteten. Auch er sah betroffen das festliche Gewühl, stampfende Rosse, bewaffnete Reisige und zahlreiche Haufen der Landgenossen, welche wie bei einem großen Volksmarkt bis weit über das Feld standen und lagerten und sich noch unablässig durch Zuzug vermehrten. Er erkannte die Banner mehrer Edlen, welche mit ihrem Gefolge herangezogen waren, vor anderen solche, die dem Christenglauben geneigt waren, wie Asulf, einer der ersten im Lande. Auch Gundhari, Rotharis Sohn, der wohlhäbige Mann, bewegte sich rührig durch die Haufen, Godolav war da, ein großer Mann aus den Thüringen, die man Angeln nannte, weil ihre Väter vor alter Zeit von einem Nordvolk in das Land gedrungen waren, dann der Häuptling Albold, Albharts Sohn, dessen Erbgüter an die Dorfflur grenzten. Aber auch Edle der Heidenschaft schritten in der Menge einher, unter ihnen mancher, der dem neuen Glauben bitterfeind war. »Wahrlich«, rief Wolfram in neuem Erstaunen, »viel Ehre erweisen unsere Herren dem zugewanderten Fremden, daß sie ihn hier in der schlechten Hütte aufsuchen unter einem Dach, dem die Schindeln im Winde davongeflogen sind.«

»Niemals hätte ich gemeint, daß so viele in unserem Lande leben, die sich vor dem Marterholz neigen«, begann Bruno, Bernhards Sohn, ein ansehnlicher Mann aus dem freien Moor, dessen Geschlecht seit alter Zeit mit dem Hofe des Ingram befreundet war. »Der Fremde hat mit seinem Stabe die ganze Landschaft aufgerührt wie einen Ameisenhaufen, auf allen Pfaden sind die Boten geritten; er selbst war nach dem Markte Erfesfurt gewandert zum Grafen, der dort gerade Gericht hielt, und Herr Gerold hat sogleich zwei von seinem Gesinde drüben in den Meierhof gelegt, damit sie für den Fremden reiten und ihn beschirmen. Seht, dort tritt der Fremde aus dem Hause, ganz verändert ist er in Kleidung und Gebärde, und wie ein großer Herr wandelt er dahin.«

Winfried schritt aus der Hütte in bischöflichem Talar, von Seide und Gold glänzte sein Gewand, in der Hand hielt er den gekrümmten Stab, hinter ihm gingen Memmo und ein anderer Priester. »Da ist auch Bardo, der Graurock, der an dem Tische des Grafen sitzt, ein guter Trinker war er sonst, und manchen Bissen Roßfleisch sah ich ihn tilgen beim Opferfest. Heut wandelt der streitsüchtige Mann demütig hinter dem Fremden. Wahrlich, viele Nacken weiß dieser Mann zu beugen.«

»Nicht die unseren«, rief Ingram und wandte dem Tale den Rücken.

Aus der Niederung stieg Kunibert, ein älterer Mann aus der Freundschaft des Ingram, zu den Landleuten herauf. »Betört sehe ich alles Volk,« begann er; »auch du, Ingram, bist, wie ich höre, im Dienste des fremden Bischofs geritten.«

»Ich zog in meiner eigenen Sache zu den Sorben«, versetzte Ingram finster. »Ihr aber seid versammelt, wie ich sehe, euch vor dem Fremden zu beugen.«

»Du weißt nicht, was ihm vor dem Volk die Ehre gibt, er hat lateinische Botschaften in das Land gebracht, einen Brief des Frankenherrn an unsere Häuptlinge und das ganze Volk, der seinetwegen geschrieben wurde. Gerold, der Graf, ließ den Brief durch seinen Priester lesen, unverletzlich soll der Mann unter uns stehen, der Frankenherr erklärt ihn für sein Mündel, suchen wir Urteil gegen ihn, so sollen wir unsere Klage an den Frankenhof tragen, unserem Gericht ist der Fremde enthoben. Das alles stand in dem Briefe, den der Priester deutete und der Graf bestätigte. Erstaunt war der ganze Ring, als er von der Tierhaut die Worte des großen Franken hörte. Schwer ist es, dagegen das Haupt zu erheben.«

»Widerwärtiges, das zum Ohre eingeht,« rief Ingram, »weist die Zunge hinaus, und wo die Zunge nicht reicht, das Schwert.«

»Wie soll der Mann kämpfen gegen unsichtbare Mächte, welche aus der Ferne zu uns reden,« rief Kunibert, »wahrlich, die Christen verstehen manche Kunst, gegen welche wir schwach sind. Sie haben den Zauber der lateinischen Sprache, die wenige von uns kennen. In den Briefzeichen verkehren sie miteinander wie Landgenossen, wenn sie auch daheim in verschiedener Zunge reden. Da ich jung war, focht ich im Frankenheere am Rhein und darauf an der Donau und an allen Orten fand ich die lateinische Sprache und dasselbe Geheimnis ihrer Buchstaben. Sie senden einander ihre Worte auf der Tierhaut zu über Land und Meer. Mit einem Rohr schreiben sie Befehle, und die Worte stehen fest für alle Zeit, und wenn unser Wille dagegen bäumt, weisen sie auf ihr Pergament, und niemand vermag sie zu widerlegen. Was einer vor vielen Jahren geredet hat, bezeugen sie durch schwarze Buchstaben, sie schenken und begaben damit und entscheiden darnach über Mein und Dein.«

»Wahrlich,« rief Ingram, »ich hoffe, der Eid ehrenwerter Männer steht höher als ihre schwarze Schrift, und ehe ich wegen einem Brief, den sie vorweisen, hingebe, was mir gehört, kämpfe ich mit jedem von ihnen im Ringe der Landgenossen.«

»Die neuen Verkünder ziehen schwerlich das Schwert. Denn widerwärtig sind sie in ihrer unkriegerischen Art. Wären sie Helden, welche auf der Kampfheide stärker sind als die Gegner, so dürfte ein tapférer Mann sich ihnen wohl fügen, wenn auch widerwillig. Aber waffenlosem Fremdling solche Ehre zu geben, wie der Frankenherr diesem Winfried zuteilt, ist für uns alle eine Schmach, und ich entwich aus der Versammlung, weil mir der Zorn darüber in das Haupt drang.«

 

»Dennoch rate ich,« begann Wolfram, der dazugetreten war, »daß die Herren von der Höhe herabsteigen. Denn jene sind, wie ich vernehme, dabei, neue Briefe zu lesen. So viel Seltsames wurde noch nie im Ringe der Waldleute verhandelt.« Trotz ihrem Groll traten die Männer ins Freie, Ingram mit schwerem Herzen, denn ihm war die Begegnung mit Winfried unheimlich, und er barg seine Gestalt in dem Haufen der anderen.

An der Linde, wo das große Frankenbanner wehte, hielt Graf Gerold ein Pergament in die Höhe und rief über die Haufen: »Dies ist ein Brief aus Rom, welchen der ehrwürdige Papst Gregor, der dort auf goldnem Stuhle sitzt, an Häuptlinge des Volkes niedergeschrieben und gesandt hat: wer seine Worte hören will, der trete herzu.«

Da drängten sich alle um die Linde, ein Priester verlas den lateinischen Brief, und der Rufer kündete mit weit schallender Stimme die Deutung in der Landessprache, welche ihm der Priester Satz für Satz vorsprach. Die Gemeinde vernahm die Worte: »Den machtvollen Männern, seinen Söhnen Asulf, Godolav, Wilari, Gundhari, Albold und allen gottgeliebten Thüringen, welche treue Christen sind, sendet dies Papst Gregor.«

Mit gehobenem Haupte und geröteten Wangen traten die Häuptlinge, deren Name gerufen wurde, vor die anderen, und der wohlbeleibte Gundhari rief in seiner Freude laut: »Gundhari bin ich und hier stehe ich.« Scheu blickte die ganze Versammlung nach den Ruhmvollen, welche durch das weiße Pergament aus fernem Lande angesprochen wurden. Ihre Verwandtschaft drängte sich um sie, und viele streckten die Hälse, um einen Anblick der Schrift zu erhalten.

Der Rufer fuhr fort und kündigte die Briefworte des Papstes. »Uns ist berichtet eure herrliche Treue gegen Christus. Denn als die Heiden euch zum Götzendienst drängten, habt ihr in festem Glauben geantwortet, ihr wolltet lieber selig sterben als die Treue gegen Christus, die ihr einmal auf euch genommen, irgendwie verletzen. Darüber sind wir mit hoher Freude erfüllt und haben unserem Gott und Erlöser, dem Spender aller Güter, gebührenden Dank gesagt. Seine Gnade wird euch noch besseres Gedeihen schaffen, wenn ihr mit frommem Sinne bei dem heiligen Sitz der Apostel euer Heil sucht, so wie Königsöhnen und Miterben des Reiches bei dem königlichen Vater Heil zu suchen geziemt. Darum haben wir euch unseren geliebten Bruder Bonifazius zu Hilfe gesandt, wir haben ihn zum Bischof geweiht und zu eurem Prediger bestellt, damit er euch im Glauben unterweise. Wir begehren und mahnen, daß ihr ihm in allem beistimmt, auf daß euer Heil im Herrn völlig werde.«

Dieser Verkündigung folgte ehrfurchtsvolles Schweigen, endlich begann Asulf, welcher nach Geschlecht und Gütern der vornehmste war, ein stattlicher Mann, dem die grauen Locken über die breiten Schultern hingen: »Gefällt dir‘s, Herr, so laß mich die Stelle sehen, auf welche der ehrwürdige Vater in Rom meinen Namen geschrieben hat.« Winfried nahm das Pergament und wies auf die Namen, alle drängten herzu.

»Groß ist die Ehre, die du uns durch diesen Brief bereitest,« begann Godolav, »wir bitten dich, Herr, lies uns und dem Volke noch einmal die wundervolle Botschaft. Denn lieber ist sie mir als ein gutes Schlachtroß und als eine ganze Herde, die sich in meinem Walde an Eicheln mästet.«

Noch einmal las Winfried, mit gefalteten Händen hörten die Männer und nickten bei jedem Satze die Bestätigung.

»Immer habe ich gemeint,« begann Asulf aufs neue, »daß der große Gott der Christen, dem wir uns gelobt haben, sehr wohl beachtet, ob seine Mannen ihm den Treuschwur bewahren und das Roßfleisch meiden; jetzt aber sehe ich, daß sein mächtiges Auge über weite Länder reicht, da sogar der Bischof, der als Vogt der Apostel zu Rom sitzt, genau weiß, wie ich mich unter den Eichen verhalten habe. Welcher andere Gott kann aufkommen gegen ein so gutes Gedächtnis? Denn wer dies weiß, der weiß auch anderes, was ich tue, und wenn ich ihm etwas Liebes erweise, so bin ich sicher, daß er mir‘s lohnen wird in diesem oder jenem Leben, wie es ihm gefällt. Darum möchte ich dir, ehrwürdiger Vater, ein Zeichen geben, daß ich gegen den großen Himmelsherrn dankbar bin. Wir hören, daß du hierher kommst, unserem Gott, den die Heiden den neuen nennen, Heiligtümer zu bauen. Zu meinem Erblande gehört ein Gut, junge Rodung, es hat dreißig Morgen Ackerland, auch Waldweide und ein kleines Holz, du kannst den Bau dort unten im Tale sehen; nimm es, so bitte ich, von mir an als eine Gabe für den Himmelsherrn, damit du eine Kirche darauf gründest und einen Priester dazusetzest, welcher für mich und alle, die von meinem Stamme sind, bei dem großen Himmelskönig Fürbitte tut, auf daß er unser ferner gnädig gedenke.«

»Als ein kluger Mann, der für sein Wohl sorgt, hat Herr Asulf gesprochen«, rief Albold. »Und wir alle wissen, daß er von edlem Geschlecht ist. Aber ich meine doch nicht, daß er ein Vorrecht haben darf über allen Landgenossen, und daß er allein vor anderen eine Kirche hegen darf und einen geschorenen Mann, der für ihn fleht. Auch ich biete einen Acker hier ganz in deiner Nähe, denn nicht geringer ist mein Besitz als der seine, und ich hoffe, daß dem Heiligen im Himmel auch die Gabe, welche wir anderen zutragen, ehrenwert erscheinen wird.«

»Ich will dasselbe«, riefen zwei oder drei Stimmen, und die Angebote von Kirchenland folgten rasch aufeinander.

»Was ihr dem Herrn darbringt,« sprach Winfried auf den Stufen des Altars, »gleich Königskindern, welche um die Gnade des königlichen Vaters werben, das empfange ich im Namen des Himmelsherrn, damit es euch und eurem Geschlecht zur Ehre und zum Heile sei; tretet heran und bestätigt eure Gabe kniend vor seinem Angesicht zu meiner Hand in Gegenwart des Grafen und der Gemeinde, damit alles fest werde durch euer Gelöbnis.«

Die Männer knieten vor dem Altar und gelobten.

Bis dahin hatten die Heiden abseits gestanden und höhnisch über die bereitwilligen Spender von Ackerland gelacht. Als aber noch ein dritter Brief aus Rom verlesen wurde an das ganze Volk der Thüringe, der auch sie anging, da fühlten sie doch als eine Ehre, daß der große Bischof in Rom so zutraulich zu ihnen sprach wie zu guten Bekannten, und die wohlmeinende Anrede bändigte den Ausbruch ihres Grolles.

Von dem Grafenbanner schritten die Christen, durch Winfried und die Priester geführt, in langem Zuge zu dem Altar, der unter Baumesschatten erhoben war. Der Gottesdienst begann. Die Heiden wichen zurück und hörten aus der Ferne Gebet und feierlichen Gesang der Priester. Dann trat Winfried auf die Stufen des Altars und sprach zu der Gemeinde von der Botschaft des Heils: daß der große Himmelskönig seinen Sohn gesandt habe auf die Männererde, um alle zu erlösen von Übel und Sünde, und durch die heilige Taufe und ihr Gelöbnis zu binden in eine große Gefolgeschaft, damit sie hier Glück und Heil fänden und nach dem Leben im Christenhimmel wohnen könnten als selige Bankgenossen des Himmelsherrn. Und er kündete die hohen Gebote, denen jeder Christ nachleben soll, damit der Herr ihn als seinen treuen Mann beachte. Die Stimme des Predigers klang mächtig und drang tief in die Seelen, auch die Heiden lauschten mit zugeneigtem Ohr. Nie hatten die Männer so sinnvolle Rede über Himmel und Erde vernommen, welche aus einer bewegten Menschenbrust tönte, und herzerschütternd deuchte ihnen die Kraft der Worte. Als er geendet hatte und die Christen alle niederknieten, damit er sie segne, war es still unter den Heiden, und kein Hohnwort und Gelächter tönte widerwärtig in die feierliche Handlung. Auch der Wildeste scheute die Gegenwart der Edlen und vielleicht noch mehr die Reisigen des Grafen, welche zu Roß mit ihren Speeren in weitem Ringe um den Baum hielten.