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Königsmark lachte und legte vertraulich die Hand auf die Schulter des Leutnants. »Ihr wißt, daß der Feldherr nicht so schnell zum Beuteritt blasen kann, als der Soldat sattelt. Mir selbst liegt alles daran, euch aus dem Gezänk herauszubringen, aber ich bin nicht der, bei dem die letzte Entscheidung steht.« —

Von der Straße klangen Schreie und eilige Tritte. Wieder trat der meldende Offizier ein: »Die Regimenter des Obersten Penz sind in Tumult, die Reiter laufen nach dem Alarmplatz, dort stehen sie in Haufen zusammen.«

»Was fordern sie?« fragte der General, das Haupt erhebend.

»Noch wird‘s nicht laut; sie klagen über den Tod ihres alten Führers und verhandeln finster und mißtrauisch untereinander.«

»Der wilde Stier ist unsicher, gegen wen er die Hörner heben soll«, sagte der Feldherr. »Also ohne Ehre und Kondukt ist der Tote bestattet worden? Das kränkt auch mich; denn euch ist bewußt, ich hatte ihn ehrenvoll aufgenommen, soweit ich vermochte. Das Leben kann ich ihm nicht wiedergeben, aber die nachlässige Bestattung gedenke ich nicht zu leiden, und ich muß durchsetzen, daß er aus dem Boden gehoben und in einem zinnernen Sarge in ansehnlicher Kirche beigesetzt wird, wie einem schwedischen Obersten gebührt; mein eigener Feldprediger soll ihm die Gedächtnisrede halten, und Deputierte der Regimenter sollen zu der Bestattung geladen werden. Ich hoffe, das wird den gemeinen Mann soweit kontentieren, daß er meine gute Gesinnung erkennt. – Und ihr seid der Meinung, daß den Völkern willkommen wäre, wenn ich sie nach Böhmen führe? – Eilt, ihr Herren,« fuhr er zu den beiden Offizieren fort, »noch ist es Zeit, die Unruhe zu stillen, seid schnell und rührig, damit uns nicht neues Unheil erwachse.«

Mit Mühe wurden die zornigen Soldaten beschwichtigt, der General ritt selbst unter sie, versprach scharfe Untersuchung und Genugtuung, ja er gab den Rat, daß Abgeordnete der Regimenter ihre Klagen den schwedischen Kommissaren im Lager vortragen sollten, und sagte dabei in guter Laune zu Bernhard: »Ich rate aber, das Prager Phantom, welches den Herren in Gedanken liegt, durchaus nicht zu erwähnen.« Zuletzt setzte er durch, daß der Getötete aus der Erde gehoben und nochmals feierlich beigesetzt wurde. Als Bernhard an dem Sarge des Freundes kniete, gedachte er traurig der Stunde, in welcher der Tote um die Schwester geworben hatte und des stolzen Vertrauens auf die eigene Klugheit. »Er sollte nicht erleben, daß unsere Soldaten die deutsche Not an dem Kaiser rächen, aber ich merke, sein Tod soll dazu helfen.«

Diese Erwartung wurde erfüllt. Denn auch die Schweden erkannten, daß die deutschen Reiter des Königsmark an der Donau mehr Verlegenheit als Vorteil bereiteten. Und als sich die Bäume mit Laub bekleideten und das junge Grün der Wiesen und Saatfelder einem reisigen Zuge Futter bot, erhielt der General die Erlaubnis, nach Böhmen aufzubrechen.

Dort zog er von dem schwedischen Stützpunkt Eger aus scheinbar planlos umher, dem Raubvogel gleich, der in hoher Luft seine Kreise zieht, aber sein spähender Blick haftete unverrückt auf der alten Kaiserstadt an der Moldau. Geheime Boten gingen und kamen, und Leutnant Stange wurde oft als Vertrauter in das Zelt des Feldherrn gerufen. Endlich fand sich ein unzufriedener Böhme, bis dahin kaiserlicher Offizier und in der Festung Prag wohlbekannt, welcher bereit war, Führer eines Überfalls zu werden.

Es war am Ende des Juli, als der General, ohne Geschütz und Troß, durch einen Eilmarsch bis nahe vor Prag rückte. In einem Walde an der Landstraße erwartete der Heerhaufe die Abenddämmerung, dann zog er, das Fußvolk voran, dahinter die weimarischen Reiter mit dem General, verstohlen der Stadt zu. Um Mitternacht hielt der Schwede auf dem weißen Berge, im ersten Morgengrau drang der Vortrupp zwischen den schlecht bewachten Werken ein, bewältigte die nächste Wache, schlug das Tor auf und ließ die Zugbrücke herunter; hinter ihm brachen die Eroberer, wie eine Wasserflut in die Straßen der schlafenden Stadt, während das erste Frühlicht die Spitzen der Türme vergoldete, und die Glocken zum Morgengebet läuteten. Die kaiserliche Burg, der vornehme Stadtteil der großen Festung, geriet fast ohne Blutvergießen durch ein keckes Reiterstück in die Gewalt der Schweden. Jauchzend und brüllend warfen sich die Sieger in die Häuser und Paläste, welche schon vor der Einnahme mit ihrem Inhalt als Kriegsbeute verteilt waren. Alles, was die alten Reiter an ihren Lagerfeuern ersehnt hatten, wurde ihnen zuteil, reichlicher und völliger als sie geträumt. Denn die Beute, welche sie gewannen an adligen Gefangenen, an Gold, Edelgestein und Prachtgerät, schien ihnen selbst unermeßlich.

In einem großen Herrenhause, das mit fürstlicher Pracht eingerichtet war, lag Rittmeister König mit seiner Kompanie. Den Besitzer hatte sein gutes Glück in Wien zurückgehalten, aber der zitternde Hausmeister wies den Eindringlingen die Silberkammer, die gefüllten Schränke und den Weinschatz des Kellers. In den unteren Räumen hausten die Soldaten; sie saßen auf Stühlen, die mit vergoldetem Leder bespannt waren, und tranken einander spanischen Sekt aus silbernen Bechern zu. In den Ställen des weiten Hofraumes stampften ihre Pferde, auch sie wohlgenährt und übermütig durch maßlos eingeschütteten Hafer. Als oberster Vogt des Hauses aber schritt Leutnant Stange einher, neben seinem Degengehenk ein großes Schlüsselbund, um der Trunkenheit und unsinnigen Verschwendung zu wehren.

In einem Prachtgemach des Oberstocks saß Judith über das Bett des jungen Sohnes gebeugt. »Sie haben dich in eine Wiege gelegt aus Silber und Elfenbein, du heimatloser Knabe; von Marmor sind die Wände deines Schlafgemachs und aus den großen Bildern sehen gerüstete Männer mit Purpurmantel und Ehrenketten am Halse hochmütig auf dich herab, als wollten sie fragen: Wer ist das fremde Kind und wo gehört es hin? Niemand weiß es. Wenn du einst heranwächst, so wirst du vergebens fragen, wer deine Mutter war; da, wo einst ihr Haus stand, ist jetzt ein schwarzer Brandfleck. Kommst du in das Land, wo man sie kannte, wirst du einen wilden Fluch hören, so oft jemand ihrer gedenkt; hüte dich, in die Dorfkirche mit den zerschlagenen Fenstern zu treten, daß die Leute nicht von dir wegrücken und dich hinausweisen als einen Gezeichneten.«

Sie hob das Kind aus der Wiege, als sie einen schnellen Schritt hörte. »Hier ist Euer Sohn, geliebter Herr«, rief sie dem eintretenden Gatten zu. »Ihr habt Euer Weib, das sie bereits in den feurigen Sarg gelegt hatten, auf die Erde zurückgeführt, mein Dank war, daß ich Euch dies junge Leben gab. Jetzt müßt Ihr uns beide tragen. Nehmt ihn in Eure Arme und mich dazu, denn Ihr seid alles, was wir auf Erden besitzen, die letzte Heimat der Verstoßenen.«

»Er wird ein wackerer Knabe,« sagte Bernhard, das Kind freudig betrachtend, »hilf, Kleiner, der lieben Mutter mutig zureden. Sieh, er öffnet die Augen und wird zur Stelle in seiner Sprache fordern, daß du dir nicht in Schwermut den Segen verdirbst, den er in unser Leben gebracht hat.«

Das Kind schrie; Pieps lief herbei, nahm es an sich, lachte ihm vertraulich zu und trug es, die Arme schwenkend, unter gutem Zureden in der Nebenstube auf und ab.

Der Rittmeister sah sich im Zimmer um. »Wir sind den Herren dort an der Wand ungeladene Gäste, laß dir‘s gefallen, daß die Hochmütigen als stumme Trabanten dir dienen. Die stolzen Feinde sind gedemütigt, von der Höhe der Kaiserburg sehen der Thüringer und Sachse herab auf die alte Stadt, aus welcher vor dreißig Jahren die Kriegsfurie aufflog; jetzt schwingen wir siegreich die Fackel und unsere Reiter, welche das Schicksal des Krieges lange gezaust, können als Sieger über die Moldau trotzig ihr altes Schlachtgeschrei rufen: Hie Deutschland! Jetzt dürfen auch sie hoffen, sich im Frieden ihres Sieges zu freuen.«

»Und wenn der Friede kommt, was bringt er für Euch, Herr?« fragte Judith. »Wo läutet die Kirchenglocke, die uns mit guten Nachbarn zum Gottesdienst ladet?«

»Das deutsche Land ist groß,« versetzte der Gatte, »und der teuflische Argwohn vergeht.«

»Er vergeht und er wird wieder laut gerade dann, wenn die Angst geschwunden ist. Ich höre sein Geflüster wie das Geräusch des Waldbachs unter der grünen Eisdecke, auf der ich stehe.«

Bernhard sah ihr besorgt in das Antlitz und ergriff ihre Hand: »Wer hat dir, Geliebte, die du seither so tapfer warst, den Sinn verstört?«

»Oh, übet Nachsicht, Herr«, bat das Weib. »Die zweite Warnung hat das Schicksal mir gesandt. Ihr wißt, wie ungern ich an Kranken die alte Kunst übe; heut, als Ihr mit dem Obersten ausgeritten wart, kam Gottlieb und erzählte von einem kranken Reiter aus anderem Regiment, der nebenan in tödlichem Siechtum und hilflos lag. Da ging ich mit Eurem Kameraden an das Lager des Sterbenden. Der Mann war aus Thüringen und erkannte mich. Er weigerte die Arznei zu nehmen, die ich ihm bot, und kehrte sich mit einem Fluche der Wand zu. Euer Freund aber sagte mir darauf zu meinem Trost, daß der Kranke verschieden sei.«

Bernhard fühlte tief den Schmerz der Geliebten, aber er antwortete mutig: »Harre aus, Judith. Um alles Leben schleicht der Tod, niemand kann sagen, was ihm in der nächsten Stunde beschieden ist. Wie darf dich und mich die Furcht verwirren, weil die Gefahr, in der wir stehen, vielleicht ein wenig größer ist, als die manches anderen. Beschied der Himmel uns mehr Gefahr, so verlieh er uns dafür ein festes Herz und er gab uns auch ein größeres Glück. Daß wir der Not entronnen, miteinander als wackere Ehegatten leben, das ist ein gutes Erdenlos, und wie ein Panzerhemd gegen alle Gefahr trage ich diese stolze Freude.«

»Haltet Ihr mich an Eurem Herzen und höre ich die Zuversicht Eurer Rede,« sprach Judith, sich von seiner Brust erhebend, »so schwindet die Angst und aus Euren Augen dringt ein Strahl der Hoffnung in mein Herz. Segen über Euch! Denn nur in Eurer Nähe finde ich Mut und Vertrauen. Dann wage ich zu bitten, daß der Himmel mich noch unter den fremden Menschen dulde.«

 

»Nicht alle sind fremd«, tröstete Bernhard und wies nach außen, wo die Stimme des Leutnants in kräftigen Scheltworten laut wurde. »Mancher von den Kameraden setzt für die Frau Rittmeisterin durch das Feuer. Hier in diesem Schloß, in das die Göttin Bellona uns versetzt hat, hausest du sicher unter treuen Gesellen. Aus Schlesien zieht uns Sukkurs heran, die Wege werden frei und die Straße dorthin kommt in unsere Hände, vielleicht wird uns Gelegenheit, von hier den Ritt nach deiner Heimat zu unternehmen.«

Über das Antlitz der Frau zog ein Schimmer von Freude, sie zog ihn an das Fenster: »Seht dort in der Ferne die grauen Berge, dort liegt unser Hof. Seit ich den Knaben habe, träumt mir wieder von der Kinderzeit. Dann erfaßt mich die Sehnsucht. Ich sehe die Höhen im Morgenlicht und das Haus des Vaters, und ich hoffe, was mich jetzt krank macht und zur Last für meinen lieben Herrn, das wird schwinden, wenn ich dahin komme. Im Hof der Eltern sitzt wohl längst ein Fremder und er könnte uns rauhen Gruß bieten, wenn wir ihm in sein Heimwesen eindringen. Dennoch ruft mir eine innere Stimme zu, daß ich dort den Frieden wiederfinden werde.«

»So höre ich dich gern reden«, sagte der erfreute Bernhard.

»Und wisset, Herr,« fuhr Judith fort, »die Hoffnung ist nicht ungereimt. Ein Böhme meines Glaubens, den Euer Bube hier erkundete, hat mir Nachricht aus unserer Gegend gebracht. Ach, viele wurden getötet oder verjagt, und von den Bekennern sind nur wenige übrig. Aber einer der Alten lebt noch, der nächste Freund meines seligen Vaters, zu ihm begleitet mich, Bernhard. Dort wird die bittere Ausgeschiedenheit mich nicht mehr quälen, ich komme unter Landsleute, und«, setzte sie leise hinzu, »auch beim Gottesdienst wäre mir wohl, denn unsere Brüder halten fest zusammen und ihnen würde ich nicht verdächtig sein.«

Die Ähren waren gereift und der Herbst begann, die Blätter zu färben, als reitende Boten die Kunde nach Prag trugen, daß zwischen Schweden und dem Kaiser endlich der Friede vereinbart sei. Da übergab Bernhard die Kompanie der Sorge seines alten Freundes und führte sein Weib den Bergen zu. Die Heerstraße war bis in das Riesengebirge durch schwedische Posten gesichert und die Feindseligkeiten der Armeen hatten aufgehört. Als Judith mit ihrem Kind und der Dienerin im Sonnenlicht auf der Landstraße dahinfuhr, geleitet von dem Gemahl und bewaffneten Knechten, und vor ihr die blaue Kette des Gebirges immer höher aufstieg, da glänzte ihr Auge, und der Mund lachte, wenn sie sich hinausbeugte und dem Vater sein Kind zum Kusse bot.

In der Nähe von Braunau übernahm sie selbst die Führung der Reise. Sie richtete die Fahrt nach einem Bauernhof, der abseits der Straße lag und trotz der Verwüstung verriet, daß er bewohnt sei. Und als in dem Hofe ein alter Mann mit schneeweißem Haar auf die Schwelle trat, da bat sie den Gemahl, sie allein zur Unterredung mit dem Greise zu lassen. Am nächsten Morgen begleitete der böhmische Bauer die Reisenden über die Grenze in das Schlesierland. Bernhard hielt scharfe Umschau, doch nirgends war Feindliches zu sehen, ringsum menschenleere Täler und bewaldete Berggipfel, und in den Dörfern die Trümmerhaufen, welche der Krieg zurückgelassen hatte. Als sie eine Höhe erreicht hatten, von welcher der Weg in die Ebene führte, ließ der Böhme den Wagen halten und mahnte zur Vorsicht, weil sich die Kunde verbreitet hatte, daß die Schweden ihre Quartiere längs der Grenze räumten und kaiserliche Völker einrückten. »Begnüge dich heut, meine Tochter, wie Moses dein gelobtes Land von ferne zu betrachten,« sprach er tröstend, »bis die Freunde dir den Zugang zu deinem Hofe geöffnet haben.« Da stieg Judith aus, kniete vor dem Alten nieder und bat: »Mein Vater, segnet mich! Lange hat keines Priesters Hand mein Haupt berührt, wie eine Ausgestoßene habe ich gelebt, und mir war zuweilen, als sei ich von unserm lieben Gott geschieden. Das nehmet heut von mir. In Frieden und Freude will ich das Haus meines Vaters wiedersehen.« Und als der Alte über ihrem Haupt gebetet hatte, reichte sie Bernhard die Hand und sagte: »Kommt mit, wir gehen zu Fuße nur so weit, daß ich die Schwelle erkenne, die Tür und die Bank, auf der ich als Kind gesessen.«

So gingen sie beide vorwärts, in geringer Entfernung gefolgt von dem Reiterbuben, der den Karabiner seines Herrn trug. Es war ein klarer Herbstmorgen, überall feierliche Stille, auf den Wiesen in der Tiefe lag noch dämmeriger Nebel, aus der nahen Stadt klang das Glockengeläut. »Sie läuten den Frieden ein,« sagte Judith, »das bedeutet auch für Euch und mich ein besseres Glück. Könnte ich mit Worten danken für alles, was Ihr an mir getan, heut müßtet Ihr mich anhören, denn, geliebter Herr, mein Herz ist übervoll von Liebe und Zärtlichkeit für Euch.« Sie drückte sich an ihn. »Seht, dort steht die Steinbank; von dort hob mich die Alte in den Wagen, als die Eltern flohen.« Aber während er mit den Augen der Richtung folgte, nach der sie ihn wies, fühlte er, wie sich ihre Finger krampfhaft in seinen Arm preßten, im nächsten Augenblick warf sie sich mit wildem Schrei an seinen Hals.

Hinter der Hofmauer jagte ein Beritt kaiserlicher Reiter heran, darunter ein Offizier mit roter Feldbinde. Bernhard erkannte, daß er wehrlos vor seinem Todfeinde stand, und Reinbold schrie: »Was mir lange geträumt, ist wahr geworden; heut bin ich‘s, der Euch der Kompanie entledigt und des Weibes dazu.« Er gebot: »Feuer!«, und als die Reiter zögerten, rief er mit einem Fluch: »Vorwärts! Es ist die Hexe aus Thüringen!« Die Schüsse krachten, Bernhard sank dahin, sein totes Gemahl im Arme.

Und noch ein Blitz und ein Knall aus einem Rohre, das ein Knabe mit gesträubten Haaren hob. Die Pferde der Reiter stoben auseinander, der Gaul des kaiserlichen Offiziers schleifte den erschossenen Mörder am Bügel.

So kam den Liebenden der Friede. Und wer von ihnen erzählt, der weiß nicht, soll er sie glücklich preisen oder beklagen.

10. Schluß

In einem Kirchdorfe, nahe bei Gotha, war die Getreideernte beendigt. Nicht alle Äcker der großen Dorfflur hatten Frucht getragen, und nicht in jeder Hofstätte wohnten Landleute, welche sich der Ernte freuen konnten, aber die Gemeinde saß doch wieder um ihre Kirche, mancher war aus der Stadt zurückgekehrt mit den geretteten Rindern und dem Ackergerät, und mancher war aus der Fremde zugezogen. Zum ersten Male seit langen Jahren hatten die Leute in Frieden ihre Garben gebunden und, wenn sie auf dem Felde schafften, in leidlicher Sicherheit auf die kleine Turmglocke gehört, welche ihnen Mittag- und Abendruhe ankündigte. Auch im Pfarrhofe stand der Wagen mit der letzten Mandel, die am Abend noch nicht abgeladen war, und über ihm schwebte der Erntekranz. Das Hoftor war verschlossen, der Hofhund saß achtsam neben seiner Hütte und murrte zuweilen, wenn ein Käuzlein schrie oder ein später Fußtritt auf der Dorfgasse schallte. Die Frau Pfarrerin sah am Fenster nach der runden Mondscheibe, welche, umsäumt von einem Strahlenkranze, den Hof und die Türschwelle mit grellem Licht überzog, als wären sie mit weißem Sande bestreut. Ihr Gatte trat herzu, um den Laden zu schließen und sein stilles Heimwesen vor dem Gesindel zu wahren, welches obdachlos durch das Land zog. »Alle Abende steht mein liebes Weib am Fenster, sieht hinaus auf die Straße und horcht auf fernes Geräusch.«

Regine sah bittend zu ihm auf. »Alle Abende hofft die Schwester, daß der Verlorene kommen wird. Bei Tage bin ich ruhig in der Arbeit und meinem Glück, aber wenn der Mond auf die Dächer scheint und die Wolken an ihm vorüberfahren, dann ergreift mich Angst und Sehnsucht. Zürnt nicht, lieber Herr.«

»Das ist der jungen Frau zurückgeblieben aus der Zeit, wo sie mit hellen Worten träumte.«

»Die Traumreden sind zu Ende, seit ich einen Hausherrn habe, den ich nicht aufwecken darf«, sagte sie und barg ihr Haupt an seiner Brust. »Schließt das Fenster,« sprach sie nach einer Weile, »es ging vorüber.«

Da bellte der Hofhund laut und zornig und die Rassel am Hoftor erklang. Regine fuhr zusammen und rief: »Er kommt!« Doch im nächsten Augenblick faßte sie ängstlich den Arm des Gatten. »Weckt die Leute.«

Der Pfarrer ergriff den Hut. »Ich sehe, bevor ich öffne«, tröstete er.

Regine eilte ihm nach bis auf die Hausschwelle. Er schob den Riegel zurück, die Pforte sprang auf, niemand war im Eingang zu sehen. Doch zur Seite im Schatten des Zaunes kauerten zwei dunkle Gestalten, und eine Knabenstimme fragte leise: »Wohnt hier jemand, der einst zu Alt-Rosen gehört hat?«

»Ich bin‘s, Knabe«, schrie Regine und sprang an das Tor. Der Knabe trat heran, ein Bündel in den Armen; ihm folgte ein Mann, den Hut tief in die Augen gedrückt. Der Fremde sah vorsichtig hinter sich und schloß das Tor, dann nahm er den Hut ab, und im Mondlicht erkannte Regine das gefurchte Antlitz eines alten Freundes.

»Wir bringen der Schwester das Erbteil, welches ihr Bruder auf Erden zurückließ. Der Rittmeister und sein Weib sind dahin, ich denke, es war die letzte Kugel, welche sie traf, als der Friede eingeläutet wurde. Was der Knabe im Arm hält, trugen wir vom Riesengebirge heran, eine Frau des Trosses, die ihm Nahrung gab, der Knabe und ich.«

Regine stand regungslos und ihr Gatte sagte, sie festhaltend: »Tretet in das Haus!« – Der Alte schüttelte den Kopf. »In diesem Lande bringt es den Leuten Unglück, uns zu beherbergen. Wir ziehen bei Nacht weiter dahin, wo uns niemand kennt. Denkt insgeheim der Toten und der Lebenden.« Gottlieb winkte grüßend mit der Hand, öffnete die Pforte, und sein eiliger Schritt verklang auf der leeren Straße. Der Knabe trug seine Bürde hinter der wankenden Pfarrerin in die Stube und legte sie auf einen Stuhl. »Der Feldprediger hat es getauft, es heißt, wie mein Herr hieß«, sagte er und wandte sich zum Gehen.

»Du aber bleibst bei uns«, rief der Pfarrer.

Doch Pieps sah von der Schwelle stolz in die Stube zurück: »Ein Reiterjunge von Alt-Rosen wird kein Küster. Adjes! Ich werde manchmal nachsehen, wie es diesen geht.«

Er wies auf Regine, welche vor dem Kind kniete.

Der Freikorporal bei Markgraf-Albrecht

1. Zum Jahre 1721

Wenn Herr Bernhard Georg König mit seiner Frau Liebsten über den Marktplatz der kursächsischen Stadt lustwandelte, in welcher er während des Winters wohnte, so zogen die Bürger mit Hochachtung die Hüte, und ihre Bemerkungen hinter dem Rücken des Ehepaares waren nicht selten beifällig. Denn die Königschen Eheleute wurden zu den Honoratioren der Stadt gezählt, sie waren rechtschaffen, und sie waren wohlhabend, da ihnen nicht nur ein Rittergut in der Nähe gehörte, sondern auch in Zukunft der Besitz des besten Hauses am Markte gar nicht entgehen konnte. Man wußte, daß dies Vermögen von dem Vater der Frau herkam, welcher zu seiner Zeit ein reicher Kaufmann in Leipzig gewesen war und sein einziges Kind mit dem genannten König verheiratet hatte.

Aber auch Herr König war kein gewöhnlicher Mann. Als Sohn eines Thüringer Pfarrers hatte er Theologie studiert und war Geistlicher eines deutschen Regiments geworden, welches König Wilhelm von England in seinen Kriegen mit den Franzosen gebrauchte. Im Felde behauptete er sich als ein stattlicher Mann von festem Charakter, der den Tod nicht fürchtete, dem Teufel kräftig zu Leibe ging und seinen Soldaten eine heilsame Scheu vor dem breiten Pfade zur Hölle beibrachte. Und da er auch ein guter Gesellschafter und beim Glase Wein ehrbarer Fröhlichkeit nicht abhold war und leichter Französisch und Englisch lernte als die meisten Offiziere, so wurde er ein guter Freund seines Obersten und diesem bei schriftlichen Verhandlungen ein vertrauter Helfer. Er selbst lernte in Holland ein großartigeres Leben kennen, als in der deutschen Heimat zu finden war, und unterhielt, seinen Horaz in der Tasche, geselligen Verkehr mit berühmten holländischen Gelehrten, welche sich seines festen Lateins freuten.

Beim Regiment hatte er einem kursächsischen Kaufmann, welcher in das Kriegsgetümmel geraten war, wichtige Dienste geleistet, er hatte ihn nicht nur vor Ausplünderung behütet, sondern auch durch sorgsame Pflege aus schwerer Krankheit wiederhergestellt. Der Sachse erbat vor seiner Abreise die Ehre eines Briefwechsels und bewahrte fortan seinem Retter eine herzliche Dankbarkeit. Als nun der Feldprediger nach Jahr und Tag in die Heimat zurückkehrte, folgte er einer dringenden Einladung des Kaufmanns nach Leipzig. Dort wurde ihm unter dem Dache des Gastfreundes die aufblühende Tochter über alle Maßen lieb, und er offenbarte in seiner ehrlichen Weise dem Vater, daß er dies gastliche Haus verlassen müsse, weil er der Demoiselle Susanne gegenüber eine große Beunruhigung in seinem Herzen spüre und wegen mangelnden Reichtums, und zudem als Landfremder wegen mangelnder Hoffnung auf eine gute kursächsische Pfarre, nicht daran denken dürfe, die Tochter von den Eltern zur Frau zu erbitten. Da kamen dem Kaufmann die Tränen in die Augen über die Redlichkeit seines Erretters, und er bat diesen, es sich noch drei Tage in seinem Hause gefallen zu lassen. Und nach drei Tagen lud er ihn feierlich in die gute Stube, aus welcher die Hausfrau alle Leinwandkappen des seidenen Möbelbezugs weggenommen hatte, und dort verlobte der edle Mann den Gastfreund mit der herbeigerufenen Tochter, welche dem glücklichen Bräutigam leise gestand, daß auch sie ihn seit seiner Ankunft insgeheim im Herzen trage.

 

Jetzt bemühte sich Herr König ernsthaft um eine Pfarre in der Nähe, machte Reisen und suchte Gönner zu gewinnen. Aber das wollte sich nicht so leicht schicken, da ihm die Orthodoxen mißtrauten und auch die Stillen im Lande an seiner Erweckung zweifelten. Dagegen wurde er dem Kaufmann bald in anderer Weise unentbehrlich. Denn er verstand als Sohn eines Landpfarrers die Gutswirtschaft und wußte dem Amtmann des Gutes, welches der Kaufmann besaß, besser auf die Finger zu sehen als der Leipziger selbst. Auch der Handlung wurde er durch seine holländischen Bekanntschaften ein wertvoller Beirat.

Als sich vollends nach einigen Jahren begab, daß der Kaufmann aus diesem Leben schied, erwies sich der Schwiegersohn als die Stütze der Familie; die Handlung wurde aufgehoben, und er hatte jahrelang den Vorteil seiner Schwiegermutter wahrzunehmen. Endlich verließ die Familie Leipzig, Herr König zog mit seiner jungen Frau auf das Gut in der Lausitz, und die Schwiegermutter erwarb Haus und Garten in einer nahen Stadt, welche ihr seit ihrer Kindheit wohlbekannt war, da sie selbst aus einer adligen Familie der Umgegend stammte und in der Nähe Verwandtschaft und Anhang hatte.

War das Gut auch nicht groß, es bot der Familie als Sommeraufenthalt doch viele Annehmlichkeit; ganz zu geschweigen von dem Eingeschlachteten, den Säcken mit Weizenmehl und den Stoppelgänsen. Das Wohnhaus war ein alter Bau mit dicken Mauern und unregelmäßigen Fenstern, der Unterstock durch eiserne Gitter verwahrt wegen des immer noch stark umherschweifenden Gesindels, im Garten ein sorgfältig geschnittener Heckengang, ja sogar ein Weingeländer und ein Quartier mit Blumenbeeten, in welchem der Hausherr kostbare Tulpen und Narzissen zog, deren Zwiebeln ihm ein Freund aus Holland zusandte.

Doch wie wohl es dem Herrn König in weltlichen Dingen gelungen war, in seinem Gemüt trug er es als eine Entbehrung und zuweilen als ein Unrecht, daß er dem Predigtamt entsagt hatte, und es gereichte ihm fast zu einer Befriedigung, daß sein Dorf keine eigene Pfarre bildete; denn wenn einer der Dorfleute in Jammer und Gewissensnot lag, so war er der nächste, ihn zu trösten und zu ermahnen; auch der Schullehrer wurde eifriger in seinem Amt, da er merkte, daß das Auge des geistlichen Gutsherrn scharf auf ihn gerichtet war und daß ihm löblicher Pflichteifer Gutes in die Küche und in den Stall brachte.

Jeden Winter aber zog Herr König nach der Stadt in das große Haus der Schwiegermutter. Die Stadt war ein alter namhafter Ort mit Mauern und Türmen, an denen man noch die Löcher wies, welche feindliche Kugeln im Dreißigjährigen Kriege geschlagen hatten. Einst war der Ort stolz auf seinen Handel gewesen, jetzt sah er ein wenig heruntergekommen aus, aber es lagen doch nur wenige Häuser in Trümmern. Seine Bürger hatten viel Landbesitz, und wen das Handwerk nicht nährte, der konnte sich‘s vom Acker holen. Es saßen angesehene Beamte des Landesherrn darin, auch eine lateinische Schule war vorhanden, und einige Häuser gehörten Edelleuten der Umgegend, welche die vornehmste Sozietät bildeten, sooft sie in der Stadt wohnten. Unter ihnen fanden sich einzelne Herren mit polnischen Namen, da der Kurfürst von Sachsen zugleich König von Polen war; und wenn die Länder auch nicht zusammenhingen und die polnische Wirtschaft unter den Deutschen übel beleumdet blieb, so hatten sich doch mancherlei Fäden von einem Lande zum andern gezogen. Unternehmende Sachsen suchten an der Weichsel leichten Gewinn, und junge Polen kamen an die Elbe, um Geld zu borgen und unter den adligen Familien Edukation zu erhalten. Denn die Kursachsen galten dafür, gute Lebensart zu besitzen, der Hof zu Dresden war der prächtigste im ganzen römischen Reiche, und die Kunstwerke italienischer Köche und französischer Modisten verbreiteten sich aus der Residenz in die kleineren Städte. Auch das bücherdruckende Leipzig sandte beflissen seine literarischen Erzeugnisse durch das Land, und der Gelehrte stand an der Pleiße und Elbe in höherem Ansehen als anderswo. Sogar der Landadel verachtete nicht ganz das literarische Wesen und fühlte sich in einnehmender Redekunst und in jeder Art von wohlbedachten Komplimenten seinen Genossen aus der deutschen Nachbarschaft überlegen, er verstand, beim Beginn einer Mahlzeit stets das große Wort zu führen, doch wurde er im Verlauf der Festivität oft durch die stärkere Trinkkunst der anderen zum Schweigen und unter den Tisch gebracht.

So fand Herr König in der Stadt wohltuenden Verkehr. Auch seiner Schwiegermutter, die ihn nicht weniger verehrte als die eigene Frau, blieb er ein treuer Berater gegenüber großen und kleinen Versuchungen, zum Beispiel als der neue ungeschickte Kopfputz aufkam und danach die Erbauungsstunden, in denen fern von der Kirche das Lämmlein auf eigentümliche Weise verehrt wurde. Vollends, als es in dem eigenen Hause der Schwiegermutter zu poltern anfing, entdeckte er mit überlegener Ruhe, daß es zuerst nur Ratten hinter dem Holzverschlage gewesen waren und dann eine liederliche Köchin, welche mit ihrem Liebhaber das Geräusch eigennützig fortgesetzt hatte. Wenn er sich gerade und stolz gegen die vornehme Verwandtschaft hielt, so tat das zuweilen den Frauen wehe, doch trugen sie es schweigend, da sie merkten, daß ihm gerade deshalb von den Anspruchsvollen die gebührliche Hochachtung nicht versagt wurde.

Seine Gattin beschenkte ihn mit zwei Söhnen, und die Erziehung der beiden Knaben ward allmählich sein größtes Glück. Beide wuchsen kräftig heran, im Alter nur um ein Jahr verschieden. Der ältere, Georg Friedrich, ein Abbild des Vaters, blond, breitbrustig und gestreckt; der jüngere, Bernhard August, zierlich von Gliedern, mit braunem krausem Haar, der Mutter ähnlicher. Auf dem Hofe behaupteten sie als junge Gutsherren zuerst mit einer Gerte und unsicheren Beinchen ihre Herrschaft über das Federvieh, dann zausten sie den großen Hofhund, welcher ihnen mit seiner Nase liebkosend ins Gesicht stieß, endlich kletterten sie auf die Pferde und wurden Freunde des Großknechts. Im Hause aber legte ihnen die Mutter ihre kleinen Finger zum Gebet zusammen, dann lehrte der Vater den Tischsegen, und der Frau König traten die Tränen in die Augen, als Friedrich zum ersten Male, genau mit dem Anstande und Tonfall des Vaters, vor seinem Stuhle den lieben Gott zu Gaste bat. Nicht lange darauf mußten die Kinderlippen sich mühen, lateinische Vokabeln nachzusprechen; doch lernten die Knaben willig, weil der Vater die Fleißigen mitnahm, wenn er durch die Felder ging.

Auch den Kindern wandelte der Winter das ganze Tagesleben. Denn sobald sie nach der Stadt zogen, erhielten sie andere Wämser und Höslein, sie mußten einen kleinen Hut tragen, jeder Schmutzfleck wurde strenger gerügt, und ein artiges Händegeben hörte gar nicht auf. Sie standen erstaunt in den Putzstuben fremder Häuser, wo ihnen sehr verdacht wurde, wenn sie Bindfaden aus der Tasche zogen oder ungebärdig aufjauchzten; dagegen konnten sie auch alle Tage beim Laden des Pfefferküchlers vorbeigehen, sie sahen rings um sich geputzte Menschen, buntgetünchte Häuser und bei den Kaufleuten ausgestellte Spielwaren, erhielten oft Konfekt und süßen Wein und erkannten bald, daß in der Stadt alles prächtiger war; im Hause der Großmama schöngemusterte Wandbehänge, blanker Fußboden, große Fensterscheiben und ein Schoßhündchen mit langem Seidenhaar.