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Die verlorene Handschrift

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»Weshalb?« frug Fritz leise.

»Ich habe ein frevelhaftes Spiel getrieben,« rief Laura, »Fritz, ich möchte wieder umkehren. Was wird die Frau von mir denken? Sie hat recht gut gesehen, daß wir nicht verlobt sind.«

»Sind wir’s denn nicht?« frug der Doctor verwundert, »ich betrachte mich entschieden als Bräutigam, und die Freunde, zu denen wir reisen, werden die Sache genau so ansehen.«

»Ich beschwöre Sie, Fritz, lassen Sie mich nur jetzt allein; was ich fühle, kann ich keiner Menschenseele gestehen; bin ich ruhiger, so werde ich klopfen.«

Fritz kletterte wieder auf den Kutscherbock. Laura verlebte in der Einsamkeit ihres Wagens eine trostlose Stunde.

Sie fühlte etwas Fremdes an ihrem Mantel, sah erschreckt auf den leeren Sitz und fuhr zurück, neben ihr saß der Dämon, der Feind ihres Lebens, der rothe Hund. Er stemmte seine Vorderbeine breit auseinander und hob seinen Schnurrbart hoch in die Luft, als wollte er sagen: Jetzt entführe ich. Der Doctor ist auf den Bock gesetzt, und ich, der alte Händelmacher, der Menschenfeind, ich, der an vielem Schmerz der Dichterseele neben mir schuld ist, der in ihrem Tagebuch durch Vers und Prosa verwünscht wurde, ich, die gemeine und unwürdige Wirklichkeit, welche vor ihren Füßen lag, ich sitze hier neben der Entführten, ein düsteres Bild ihres Schicksals, Gespenst ihrer Jugend und böses Omen für ihre künftigen Tage, ich lagere an der Stelle, wo ihre kindische Poesie lange einen Andern hinträumte, und ich höhne ihre Thränen und ihre Noth. Er leckte seinen Bart und blickte unter seinen langen Haaren verächtlich auf sie. Und Laura pochte an das Fenster, um selbst den Wagen zu verlassen und sich auch auf den Bock zu setzen.

Unterdeß saßen die Mütter sorgenvoll in den feindlichen Häusern. Seit die Tochter abgereist war, zagte Frau Hummel vor dem Zorn ihres Gatten. Von Laura wußte sie, daß ihr Mann gegen die Reise nach Bielstein nichts hatte und sich nur unwissend stellte, um sein trotziges Wesen gegen die Nachbarn zu behaupten. Aber was dahinter lag, ahnte er nicht; wenn zur Entscheidung kam, was nun mit Laura und dem Doctor werden sollte, war von ihm noch Alles zu fürchten. Frau Hummel hatte die Reise befördert, um den Haustyrannen zur Einwilligung zu zwingen, jetzt wurde sie mißtrauisch gegen ihre eigene Klugheit. In ihrer Noth warf sie die Mantille über ihr Morgenkleid und eilte aus dem Hause, um bei der Nachbarin Trost zu holen.

Das Herz der Frau Hahn war durch ähnliche Sorgen bewegt, auch sie war bereit, in Morgenkleid und Mantille bei Frau Hummel vorzusprechen. Die Frauen trafen außerhalb der Häuser zusammen, ein Austausch mütterlicher Sorgen begann. Sie benützten den neutralen Boden, der zwischen den feindlichen Gebieten lag, zu leisem Wechselverkehr und vergaßen darüber, daß sie auf der Straße standen. Die Glocken läuteten, die Kirchgänger kehrten nach Hause, immer noch standen sie beieinander und sorgten um Vergangenes und Künftiges. Da näherte sich ihnen in gewähltem Gewande der Mime. Schon von weitem machte er eine dramatische Handbewegung, welche angelegentlichen Gruß ausdrückte. Heut sah Frau Hummel mit Sorge auf den geschätzten Gast, sie fürchtete seine Vermuthungen und noch mehr die scharfe Zunge. Das Gesicht des Künstlers glänzte vor Freude und seine Bewegungen wurden gefühlvoll. »Welche Ueberraschung,« rief er im Ton eines warmherzigen Onkels, »welche anmuthige Ueberraschung! Der alte Streit ist abgethan, Blumengewinde ziehen sich von einem Hause zum andern, was der Zwist der Väter verschuldet, sühnt die Liebe der Kinder. Aus warmem Herzen bringe ich meinen Glückwunsch dar.«

»Wie meinen Sie das?« frug Frau Hummel betroffen, »und was bedeuten Ihre Worte?«

»Entführung,« rief der Mime und hob seine Hand zum Segen.

Die beiden Mütter sahen einander erschrocken an. »Ich muß Sie bitten, bei Ihren Ausdrücken mehr die wirklichen Verhältnisse zu berücksichtigen,« versetzte Frau Hummel, sich an den letzten Trümmern ihres Stolzes aufrichtend.

»Entführung,« rief der Mime wieder freudestrahlend. »Ganz dem Humor dieses Hauses angemessen, es ist ein Meisterstreich.«

»Daß Sie uns nicht beleidigen wollen,« betonte Frau Hummel erregt, »nehme ich im Vertrauen auf alte Freundschaft an. Aber ich muß Sie im Ernst bitten, Ihre Ausdrücke besser zu wählen.«

Der Mime erstaunte über den Widerstand seiner Gönnerin. »Ich wiederhole nur, was mir soeben die Stadtpost gemeldet hat.« Es zog ein zierliches Briefchen aus seinem Rock. »Ich bitte die verehrten Damen, sich selbst davon zu überzeugen.« Er wies das Billet hin und las mit lauter Stimme auf der Straße vor: »Die Verlobung des Doctor Fritz Hahn mit meiner Tochter Laura und die heut morgen ins Werk gesetzte Entführung desselben aus seinem elterlichen Hause zeige ich ergebenst an. Hummel. – Dies entspricht ganz dem Charakter unseres launigen Freundes.«

Noch standen die Frauen fassungslos, da rauschte ein seidenes Kleid von den Granitplatten heran, eilig kam die Frau Pathe, ihr Gesangbuch in der Hand, und begann schon von weitem: »Was muß man erleben, ihr bösen Leute! Ist es recht, daß die Hausfreunde erst in der Kirche vom Prediger erfahren müssen, was hier vorgeht?«

»Was meinen Sie?« riefen beide Frauen völlig verwirrt.

»Daß Ihre Kinder heut in der Kirche aufgeboten sind, zum ersten, zweiten und dritten Mal. Es gab ein allgemeines Erstaunen, und wie unfreundlich Sie auch gegen uns gehandelt haben, daß Sie ein Geheimniß daraus machten, es war bei allen Bekannten eine innige Freude. Jetzt ist die ganze Stadt voll davon.«

Ohne ein Wort zu reden, flogen die beiden Mütter einander in die Arme. Mitten auf dem Fahrweg der Parkstraße, welche früher Thalgasse hieß, gerade zwischen den beiden Hausthüren, genau zwischen den beiden Gitterzäunen. Der Mime stand gerührt daneben und bewegte den Arm nach der Brusttasche, und die Frau Pathe faltete die Hände.

Auch denen vom Gut war es ein unruhiger Sonntag. Während der letzten Nacht war in den Bergen ein Wolkenbruch niedergestürzt und eine wilde Fluth wälzte sich über dem Wasserpfade dahin, den sonst der Bach zwischen Wiesen durchlief. Die ältesten Leute erinnerten sich nicht solches Wogendrangs, der Bach war ohnedies hoch angeschwollen seit dem Regen der letzten Wochen, jetzt brauste und donnerte er durch das enge Thal zwischen dem Stein und der Berglehne und übergoß die Felder, wo ihm nicht steiles Land und Fels trotzten. Jäh und zornig schoß das Wasser durch die Enge, es sprudelte über den Felsblöcken und um die Köpfe der Weiden. Auf seiner Oberfläche trug es gemähtes Gras der Wiesen, alte Rohrstengel, abgerissene Baumäste, aber auch Trümmer von Menschenwohnungen, die weiter oben von der Fluth erreicht waren. Die Leute vom Gute standen an der Hecke des Obstgartens, sahen schweigend nach dem Strom hinab und nach den Ueberresten zerstörten Lebens, die er auf seinem Rücken dahintrug. Kam etwas angeschwommen, was von Menschenhand gemacht war, ein Reisigbündel, ein Bret, eine Hausthür, dann ging ein Summen durch die Zuschauer. Aber die Kinder liefen geschäftig am Wasserrand entlang und zogen mit Stangen an sich, was sie zu erreichen vermochten. Sie erhoben lautes Geschrei, als von fern ein lebendes Thier heranschwamm, es war ein Zicklein, das auf dem Breterdach seines Stalles stand. Als das Kleine die Menschen sah, schrie es kläglich und bat um Rettung. Hans legte einen Brunnenhaken aus und faßte das Bret, das Zicklein sprang an das Land, wurde von den Kindern im großen Zuge nach dem Hofe geführt und dort gefüttert.

Ilse stand an dem neuen Steg zu der Grotte. Vor wenig Wochen war er gebaut, jetzt drohte auch ihm die Zerstörung. Schon neigten sich die Stützen zur Seite. Die Uebermacht des Wassers arbeitete an den niedrigen Enden und lockerte die Klammern. Um den vorspringenden Fuß des Felsens, welcher die Grotte wölbte, wirbelten die Wasserblasen, die Gewalt des Staues zog tiefe Furchen in der Fluth.

»Dort läuft Jemand vom Berge,« riefen die Gutsleute. Um die Grotte kam eilig ein Mädchen, ein großes Tuch mit frischgemähetem Berggras auf dem Rücken, ängstlich hielt sie auf der Felsplatte an und zagte, über den gebogenen Steg zu gehen.

»Es ist die Anna des armen Benz,« rief Ilse, »sie darf nicht drüben in der Wildniß bleiben, wirf deine Last ab, frisch Anna, schnell herüber.« Das Mädchen kam flüchtig über den Steg. »Sie soll die letzte sein,« befahl Ilse, »keines von euch betritt das Holz, es hält den Andrang nicht mehr lange aus.«

Der Landwirth kam herzu. »Die Fluth verläuft noch diese Nacht, wenn nicht neuer Regen fällt, aber des Schadens, den sie thut, werden die Leute lange gedenken. Unten um Rossau sieht’s noch ärger aus, das Wasser übergießt die Felder, Hummel ist hinabgeeilt, er sorgt um die Brücke und den Weg, den seine Tochter kommen soll. In unserm Dorf tritt das Wasser in die Stuben der letzten Häuser, die Leute schicken sich an, nach unserm Hofe zu räumen. Geht hinab zu helfen,« befahl er den Gutsleuten, und halblaut fuhr er zu seiner Tochter fort: »Der Prinz ist nach dem Dorf gegangen, dort den Schaden zu betrachten, er will dich sprechen, ist dir’s recht, ihn jetzt zu sehen?«

»Ich bin bereit,« sagte Ilse.

Sie ging mit dem Vater längs der Hecke dem Dorfe zu, dort stieg sie zu dem Friedhof hinauf. »Ich bleibe in der Nähe; wenn der Prinz zurückkommt, laß mich rufen.«

Sie stand an dem Mauerrand und sah hinüber nach dem Grabe ihrer lieben Mutter und vor sich auf die Stelle, wo der alte Pfarrer neben seiner Frau ruhte. Die Aeste der beiden Bäume, welche sie daneben gepflanzt, hingen ihr über das Haupt. Sie dachte, wie gern ihr alter Freund darüber gesprochen, daß es in der großen Welt im Ganzen genau so sei, wie in seinem Dorfe, Natur und Leidenschaften der Menschen überall gleich, und daß man in dem kleinen Thal dasselbe erleben könne, wie im Getümmel der Gewaltigen.

»Hier ist mein Vater der Herr,« dachte sie, »und wir die Herrenkinder, die Leute sind gewöhnt, uns zu gehorchen, und sich ebenso freundlich um uns zu kümmern, wie wir um jene dort im Lande. Ihre Kinder könnten auch erleben, wenn ein arggesinnter Wirth auf dem Stein wohnte, was Andere erfahren mußten. Aber sie dürfen ihr Recht suchen und sie finden Schutz zu jeder Stunde.

 

Wie wird er, der stolze Mann, ertragen, daß sein Weib nicht Recht findet und nicht den Schutz einer stärkeren Macht gegen die Kränkung, die man ihr angethan und ihm? – Wir sollen wohlthun unsern Beleidigern. Wenn der böse Herr aus dem Lande jetzt zu mir käme, krank und hilflos, darf ich ihn aufnehmen in meinem Hause, und darf ich mich an sein Lager setzen, obgleich solcher Liebesbeweis mir auf’s Neue verderblich wird? Ich habe einen weißen Mantel getragen; den Schmutzfleck, den er darauf geworfen, sehe ich jede Stunde, und keine Thräne wäscht ihn weg. Er hat mir meinen reinen Mantel genommen, soll ich ihm, wenn er heischt, auch noch meinen Rock geben? Hohes, ehrwürdiges Gebot, das der tote Freund mich lehrte, ich stehe erschrocken vor dir. Denn es ist ein Streit der Pflichten, und der Gedanke an meinen Felix sagt mir Nein.

Ich bin fertig auch mit dem Erbprinzen, wie schuldlos er ist. Ich weiß, er hat sich einst den Zuspruch der einfachen Frau mit warmem Herzen begehrt, und meine Eitelkeit hat mir oft gesagt, daß ich ihm werth bin als eine gute Freundin in seinem vornehmen, einsamen Leben. Furchtbar habe ich gebüßt für diesen eiteln Stolz. Auch er ist mir von jetzt ab ein Fremder. Was kann er noch von mir wollen? Ich ahne, daß er geradeso denkt wie ich, er will nichts, als Abschied nehmen auf immer. Wohl, ich bin dazu gerüstet.«

Den Fußpfad vom Dorfe kam der Erbprinz herauf, Ilse blieb an der Kirchhofmauer stehen und neigte sich ruhig seinem Gruß. »Nach der Residenz habe ich den Wunsch gesandt, mit meinem Vetter eine größere Reise zu machen,« begann der Prinz, »ich hoffe, meine Bitte wird gewährt. Darum wollte ich auch Ihnen ein Lebewohl sagen.«

»Ich habe Ew. Hoheit so beurtheilt, wie jetzt Ihre Rede Sie mir zeigt,« antwortete Ilse.

»Mir wurde in der Stadt wenig Gelegenheit, Sie zu sprechen,« fuhr der Erbprinz schüchtern fort, »mir würde wehe thun, wenn Sie mich des Undanks oder kalter Gesinnung für fähig hielten.«

»Ich kenne jetzt den Beweggrund, der Ew. Hoheit ferngehalten hat,« versetzte Ilse, vor sich hinsehend, »und ich bin dankbar für die gute Meinung.«

»Heut will ich Ihnen zugleich für Ihren Gemahl sagen,« fuhr der Prinz fort, »daß ich darüber arbeite, für meine Zukunft nützlich zu machen, was ich in Ihrer Nähe gelernt. Ich weiß, daß dies der einzige Dank ist, den ich Ihnen noch abstatten darf. Wenn Sie einst hören, daß man mit mir zufrieden ist, dann denken Sie, gnädige Frau, in der Stille daran, daß ich vor Allem Ihrem Hause die Stärkung meines Rechtsgefühls verdanke, ein unbefangenes Urtheil über den Werth der Menschen und ein höheres Maß für die Pflichten eines Mannes, der das Wohl Vieler besorgen soll. Ich mühe mich, der Theilnahme, die Sie mir schenkten, nicht ganz unwerth zu sein. Erfahren Sie von Andern, daß mir dies gelang, dann denken Sie an mich ohne Abneigung.«

Ilse sah ihm in das aufgeregte Gesicht, es waren die sanften, ehrlichen Züge, die sie so oft mit ängstlichem Antheil geschaut; sie sah, wie tief er fühlte, daß etwas Fremdes zwischen ihn und sie getreten war, und sie sah, wie bescheiden er sie zu schonen wußte. Dennoch ermaß sie nicht die ganze Gewalt des Schmerzes, welchen der junge Mann darum in sich trug, weil ihm der Vater die Poesie seiner Jugend gestört hatte. Sie ahnte nicht, daß die Strafe, welche dem Vater Gesetz und Urtheil der Menschen nicht auflegen konnten, an der schuldlosen Seele des Sohnes vollzogen wurde. Was ihr der Vater zu Leide gethan, das verdarb seinem Kinde das glücklichste Gefühl des jungen Lebens, die zarte Freundschaft zu der Frau, an der er mit schwärmerischer Neigung hing. Aber die warmherzige Ilse erkannte den wackeren Sinn des Mannes, der ihr gegenüberstand, ihre vorsichtige Zurückhaltung schwand, und mit der alten Offenheit sagte sie zu ihm: »Man soll nicht ungerecht sein gegen Unschuldige, und in seinem Herzen nicht untreu werden gegen Solche, deren Vertrauen man gehabt hat, wie ich das Ihre. Was ich Ew. Hoheit jetzt wünsche, das ist ein Freund; ich habe wohl gesehen, daß er Ihrem Leben fehlt, und ich habe gemerkt, wie schwer man sich vor niedriger Schätzung der Menschen bewahrt, wenn man immer nur von Dienern umgeben ist.«

An den freundlichen Worten Ilse’s brach die mühsam behauptete Fassung des Prinzen. »Ein Freund für mich?« frug er bitter. »Mich hat das Unglück früh in die Lehre genommen, mir ist’s vergällt, Freundschaft zu suchen und mich daran zu freuen. Ueber die Liebe, die ich gefühlt, ist ein Gift gegossen. Verzeihen Sie,« unterbrach er sich, »ich bin so gewöhnt, Ihnen zu klagen und bei Ihnen Trost zu suchen, daß ich mich selbst jetzt nicht enthalte, von mir zu sprechen, obgleich ich weiß, daß ich das Recht dazu verloren.«

»Arme Hoheit!« rief Ilse, »wie wollen Sie für das Wohl Anderer sorgen, wenn Ihr eigenes Leben leer ist an Licht? Wenn ich für Ew. Hoheit Zukunft ein Glück ersehne, so meine ich als Frau die Freundschaft im Hause, eine Seele, die Sie versteht, eine Gattin, welche auch eine Freundin Ihrer Gedanken ist.«

Der Prinz wandte sich zur Seite, ihr das Weh zu verbergen, das er bei dieser Rede empfand. Ilse sah ihn traurig an, sie war noch einmal die gute Beratherin von sonst geworden.

Um die Mauer des Kirchhofs schlich ein Bettelweib heran. »Darf ich heut bitten?« begann eine heisere Stimme in Ilse’s Rücken, »ist’s nicht der Vater, so ist’s doch der Sohn.« Ilse wandte sich um, wieder sah sie in die hohlen Augen der Landfahrerin und rief entsetzt: »Hinweg von hier!«

»Die Frau kann mich nicht mehr fortscheuchen,« sagte die Fremde niederkauernd, »denn ich bin müde und meine Kraft ist am Ende.« Man sah, daß sie Wahrheit sprach.

»Die Reiter haben mich gejagt von einem Grenzpfahl zum andern. Wenn die Uebrigen kein Mitleid haben, die Frau vom Steine sollte nicht so hartherzig sein, denn zwischen der Bettlerin und ihr ist alte Kameradschaft. Auch ich habe einmal mit den Vornehmen verkehrt, ich habe sie verlassen, und doch hingen meine Träume immer über den goldenen Häusern. Wer den Zaubersaft getrunken hat, wird die Erinnerung nicht los. Sie hat mich wieder in dieses Land getrieben und wieder, ich habe meine Leute hergeführt, sie liegen eingefangen wegen der alten Gedanken, die mich verfolgten.«

»Wer ist das Weib?« frug der Prinz.

Die Bettlerin hob die Hände in die Höhe. »Auf diesem Arme habe ich den Erbprinzen gehalten, da er ein Kind war und nichts von sich wußte, ich habe mit ihm gesessen auf dem Sammet in der Stube seiner Mutter, jetzt liege ich am Kirchhof der Landstraße und die Hand bleibt leer, die ich nach ihm ausstrecke.«

»Es ist das Zigeunermädchen,« sagte leise der Prinz und kehrte sich ab.

Die Bettlerin sah ihn höhnisch an und sprach zu Ilse: »Sie spielen mit uns, sie verderben uns, aber sie hassen die Erinnerung an alte Zeit und an ihr Verschulden. Lassen Sie sich warnen, junge Frau, ich kenne die Geheimnisse dieses hohen Geschlechts und ich kann Ihnen erzählen, was sie an Ihnen versucht haben und was sie einer Andern gethan, die vor Ihnen in dem Hause auf jener Höhe aufgeblüht war, und die sie auch hineingesetzt hatten in den vergoldeten Kerker, an dem die schwarzen Engel schweben.«

Ilse stand über die Bettlerin geneigt, der Prinz trat zu ihr. »Hören Sie nicht auf das Weib,« rief er.

»Sprecht weiter,« sagte Ilse tonlos, »ich höre.«

»Sie war jung und hochgewachsen wie du, sie war eingefangen wie du, und als die Mutter dieses Mannes mich aus ihrer Nähe entfernt hatte, weil ich dem Fürsten gefiel, da wurde ich zur Dienerin bestellt für die Fremde. An einem Morgen mußte ich mich frei bitten bei der eingesetzten Frau von meinem Dienst, weil sie allein sein sollte.«

»Ich flehe, hören Sie nicht auf ihre Rede,« bat der Prinz und trat abwehrend hinzu.

»Ich höre,« sprach Ilse wieder über die Alte geneigt, »sprecht leise.«

»Als ich am nächsten Morgen zurückkam, fand ich statt des blondhaarigen Weibes eine Verrückte im Hause und ich floh mit Schrecken aus dem Schloß. Willst du wissen, durch welche Thür der Wahnsinn bei der Frau einschlich?« Sie fuhr fort in leisem Gemurmel. Ilse neigte das Ohr an ihren Mund, aber sie sprang plötzlich zurück, stieß einen gellenden Schrei aus und schlug die Finger vor ihr Antlitz. Der Prinz lehnte sich an die Mauer und rang die Hände.

Von dem Fahrwege klang ein lauter Ruf, ein Mann stieg eilend herauf, er hielt einen Brief und winkte schon von weitem. »Gabriel!« schrie Ilse und eilte ihm entgegen, sie entriß ihm den Brief, las und stützte sich zusammenbrechend an die Steine des Friedhofs. Der Prinz sprang herzu, sie aber hielt den Brief wie zur Abwehr gegen ihn und rief: »Der Fürst kommt hierher.«

Der Prinz sah erschrocken auf Gabriel. »Es ist keine Meile von hier,« meldete der erschöpfte Diener, »da überholte ich die fürstlichen Wagen, erst kamen sie mir zuvor, dann wieder ich. Die Pferde arbeiten noch auf der unfertigen Straße, die Brücke aber zwischen hier und Rossau ist kaum noch für Reiter und Fuhrwerk zu überschreiten, ich mußte das Pferd mit dem Postillon zurücklassen, ich glaube nicht, daß sie noch herüberkommen, wenn nicht zu Fuß.« Der Prinz eilte, ohne ein Wort zu sagen, auf dem Wege nach Rossau hinab. Ilse flog, den Brief in der Hand, den Stein hinauf zu dem Vater, der ihr mit dem Herrn von Weidegg entgegenkam. »Gehen Sie, Ihren Fürsten zu begrüßen,« rief sie wild dem Kammerherrn zu, »mein Felix kommt,« rief sie dem Vater zu und warf sich ihm an die Brust.

Vor der Nothbrücke, welche nach der Flur von Rossau führte, sammelten sich die Leute. Auch Gabriel eilte an das Wasser zurück, er hatte dort Herrn Hummel getroffen, welcher am Uferrand auf und ab ging und unruhig über den Strom sah. »Die Welt ist erbärmlich klein,« rief Herr Hummel seinem Vertrauten zu, »man trifft sich immer wieder. Wer so gejagt ist wie Sie, sollte sich pflegen, Sie sind erschöpft und sehen mir sehr verändert aus. Setzen Sie sich auf diesen Klotz und behandeln Sie sich mit Hochachtung.« Er drückte Gabriel nieder, knöpfte ihm den Rock zu und klopfte ihm mit der großen Hand auf die Backe. »Ihnen thut eine Stärkung noth, aber das Beste, was wir hier haben, ist ein ersoffener Kaulbarsch, und ich möchte Sie nicht als einen scheußlichen Neuseeländer behandeln, der in der Meßbude um einen Groschen Eintrittsgeld rohe Weißfische verzehrt. Nehmen Sie hier die letzte Hilfe eines alten Pariser Reisenden.« Er zwang ihm eine Tafel Chocolade auf.

Wenige Schritte davon an der Brücke stand der Prinz, er sah mit verschränkten Armen in das Wasser, welches auf der Seite von Rossau den Uferrand erreicht hatte und sich schnell über den Weidegrund und die niedrigen Felder der Stadt ausbreitete, es rauschte vom Damme und spülte die Erde zur Tiefe. Schnell wurde der Riß größer, weiter dehnte sich die Wasserfläche. Auch auf der nächsten Strecke des neuen Weges, welche noch nicht gepflastert war, schimmerten Wasserlachen zwischen den Sandhäuschen und den Karren der Erdarbeiter, der Weg ragte als ein dunkler Streif aus der lehmigen Fluth. Noch kamen einzelne Leute von Rossau herüber, sie kneteten im Brei der Straße und hielten sich furchtsam an die glatten Stangen, welche das Brückengeländer ersetzten. Denn das Wasser stieß heftig an die Böcke, es floß dicht unter den Bohlen entlang, und der Ruf der Zuschauer auf der Bielsteiner Seite mahnte zur Eile. Von der Höhe eilte der Kammerherr herzu und sah ängstlich in das Angesicht seines schweigenden Herrn. Ihm folgte der Landwirth. »Dürfte ich thun, wie ich wollte, ich bräche diese wankenden Breter mit meinen eigenen Händen ab,« sagte er zornig zu Herrn Hummel.

»Die Wagen kommen,« schrieen die Leute. Aus dem Thor von Rossau fuhren in gestrecktem Trabe vier Pferde den Wagen des Fürsten heran. Neben dem Fürsten saß der Obersthofmeister. Finster hinbrütend hatte der Fürst die lange Fahrt gemacht, einzelne wilde Worte, ein Blick voll von heißem Haß, das war sein Reiseverkehr mit dem Begleiter gewesen.

Der Hofmann hatte vergebens den Fürsten zu ruhigem Gespräch veranlaßt, sogar die Rücksicht auf die beiden Diener, welche im offenen Wagen hinter den Reisenden saßen, hatte die Stimmung des Fürsten nicht gebändigt. Erschöpft von der stillen Anstrengung dieser Fahrt saß der alte Herr, ein Wächter neben dem Kranken, aber sein scharfer Blick beobachtete jede Bewegung des Nachbars. Als sie aus der Stadt ins Freie fuhren, begann der Fürst lauernd: »Sie kannten den Reiter, der so hastig uns überholte.«

»Er war mir fremd,« sagte der Obersthofmeister.

»Er trug die Botschaft unserer Ankunft in die Berge, man hat sich gerüstet, uns zu empfangen.«

 

»Dann hat er Ew. Hoheit einen Dienst geleistet, denn schwerlich hatte man im Jagdhaus eine Ahnung von Ew. Hoheit gewichtigen Entschlüssen.«

»Noch sind wir nicht am Ende unseres Dramas, Obersthofmeister,« sagte der Fürst lächelnd, »und die Kunst, das Kommende vorauszusehen, ist verloren. Auch Excellenz verstehen diese Kunst nicht.«

»Ich habe mich immer begnügt, vorsichtig zu deuten, was meine Gegenwart umgibt, ich habe dadurch zuweilen verhütet, daß die Zukunft mich unangenehm überraschte. Wenn ich durch einen Zufall verhindert würde, in dem Drama, von welchem Ew. Hoheit sprachen, meine Rolle bis zur letzten Scene durchzuführen, so ist dafür gesorgt, daß Andere meine Partie übernehmen.«

Der Fürst warf sich auf seinem Sitz zurück. Der Wagen fuhr in dem durchweichten Schutt. Die Pferde stampften und bäumten, der Kutscher sah unsicher zurück. »Vorwärts,« rief der Fürst mit scharfer Stimme.

»Der Erbprinz erwartet Ew. Hoheit zu Fuß an der Brücke,« sagte der Obersthofmeister. Im Schritt ging es vorwärts, der Kutscher bändigte mit Mühe die Pferde, welche vor der glitzernden Wasserfläche und dem Geräusch der Fluth scheuten.

»Vorwärts,« befahl der Fürst von Neuem.

»Erlauben Ew. Hoheit dem Kutscher zu halten. Der Wagen kann ohne Gefahr nicht weiter.«

»Fürchten Sie die Gefahr, alter Mann?« rief der Fürst, und der Haß verzog ihm das Gesicht. »Hier sitzen wir beide im Wasser. Gleiches Schicksal, Herr Hofmeister, ein schlechter Diener, der seinen Herrn verläßt.«

»Ich wünsche auch Ew. Hoheit zurückzuhalten,« versetzte der Obersthofmeister.

»Vorwärts,« rief der Fürst wieder.

Der Kutscher hielt. »Es ist unmöglich, gnädigster Herr,« sagte er, »wir kommen nicht mehr über die Brücke.«

Der Fürst sprang im Wagen auf und hob den Stock gegen den Kutscher. Erschreckt peitschte der Mann auf die Pferde, sie bäumten und sprangen zur Seite.

»Halt!« rief der Obersthofmeister. Die ängstlichen Lakaien sprangen bereitwillig herab und hielten die Pferde. Der Obersthofmeister öffnete den Schlag und kletterte aus dem Wagen. »Ich flehe Ew. Hoheit an, auszusteigen.«

Der Fürst sprang heraus, warf noch einen Blick finsteren Hasses auf ihn und eilte zu Fuß vorwärts. Er betrat die Brücke, um ihn rauschte die Fluth.

»Bleibe zurück, Vater,« flehte der Erbprinz. Der Fürst lächelte und ging weiter auf den wankenden Bretern. Er hatte die Mitte der Brücke und die tiefe Strömung überschritten, noch wenige Schritte, und sein Fuß betrat das Ufer von Bielstein. Da hob sich neben der Brücke eine zusammengedrückte Gestalt vom Boden und schrie ihm wild entgegen: »Willkommen in diesem Lande, durchlauchtiger Herr, Gnade für die arme Bettlerin. Ich bringe Eurer Hoheit den Gruß der blonden Frauen vom Steine.«

»Hinweg mit der Verrückten!« rief der Kammerherr.

Der Fürst sah stier auf die wilde Gestalt, er wankte und hielt sich an die Stange des Geländers, der Erbprinz flog ihm entgegen, der Fürst trat mit Widerwillen zurück, sein Fuß verlor den Halt, er glitt an der Seite des schlüpfrigen Bretes hinab in die Fluth. Ein lauter Schrei der Umstehenden, der Sohn sprang ihm nach, im nächsten Augenblick war ein halbes Dutzend Menschen im Wasser, unter den ersten Gabriel, bedächtiger folgte Herr Hummel. Die riesige Gestalt des Landwirths ragte aus der Strömung, er hielt den Fürsten, Gabriel und Hummel faßten den jungen Herrn. »Dem Fürsten ist nichts geschehen,« rief der Landwirth dem Prinzen zu und setzte den Betäubten am Uferrand nieder. Der Erbprinz warf sich neben dem Vater auf den Boden. Der Fürst saß auf dem Kies der Straße, die fremde Bettlerin hielt ihm das Haupt, er sah mit verglasten Augen vor sich hin und erkannte nicht den knieenden Sohn, und nicht das gefurchte Antlitz der Fremden, welche sich über ihn beugte. »Er lebt,« versetzte der Landwirth leise, »aber die Glieder versagen ihm den Dienst.« Auf der andern Seite des Wassers stand der Obersthofmeister, er rief dem Kammerherrn französische Worte zu, dann eilte er mit dem Wagen zurück, befahl zu wenden und nach Rossau zu fahren, um von da den nächsten sichern Uebergang zu erreichen. Mit Mühe wurden die Wagen zurückgeschafft.

Unterdeß war am Ufer von Bielstein ein Bret der halbzerstörten Brücke abgerissen und der Fürst daraufgesetzt, so gehalten und getragen wurde er dem Gute zugeführt. Die Kinder des Landwirths liefen voraus und öffneten die Thür des alten Hauses. Im Hausflur stand Ilse, farblos wie ein Bild von Stein. Der Fürst war aus dem Wasser gerettet, hatten die Brüder ihr zugerufen, er nahte dem Dach des Hauses, dem er seit zwei Geschlechtern Fluch und Entsetzen war. Sie stand im Hausflur, nicht mehr die Ilse von einst, sondern ein wildes Sachsenweib, das dem Feind ihres Stammes den Götterfluch in das Gesicht schleudert, ihre Augen glühten und die Finger ihrer Hände schlossen sich krampfhaft zusammen.

Die Männer trugen den erschöpften Mann an die Stufen der Treppe. Da trat Ilse auf die Schwelle und rief: »Nicht hier herein.« So gellend war ihr Schrei, daß die Träger anhielten. »Nicht in unser Haus,« rief sie zum zweiten Mal und hob die Hand drohend zur Abwehr.

Der Fürst hörte die Stimme, er lächelte und nickte gnädig mit dem Haupt.

»Es ist Christenpflicht, Ilse,« rief der Landwirth.

»Ich bin das Weib des Gelehrten,« rief Ilse finster gegen ihn. »Unser Dach bricht über ihm zusammen.«

»Entfernen Sie Ihre Tochter,« sagte der Erbprinz leise, »ich fordere Einlaß für den Fürsten dieses Landes.«

Der Landwirth trat auf die Stufen und faßte Ilse’s Arm. Sie riß sich los. »Du jagst deine Tochter aus dem Hause, Vater,« rief sie außer sich. »Bist du ein Diener dieses Herrn, ich bin es nicht. Hier ist nicht Raum zugleich für ihn und meinen Gatten, er kommt, uns zu verderben, seine Nähe bringt Fluch.« Sie riß die Thür des Gartens auf und flog unter den Bäumen dahin, sie brach durch die Hecke und eilte hinab nach der Tiefe. Dort sprang sie auf den Steg, von dem sie vor Kurzem die Leute des Dorfes gescheucht hatte, wild brauste unter ihr die Flut, das Holzwerk bog sich und stöhnte. Ein Riß, ein Krach, mit starkem Schwunge hob sie sich auf der andern Seite zum Felsen, hinter ihr wirbelten die Trümmer der Brücke thalab. Sie stand auf dem Felsvorsprung vor der Grotte und hob mit wildem Blick die Hände zum Himmel. Hinter ihr kam der älteste Bruder vom Garten gelaufen und schrie laut auf, als er die Bruchstücke der Brücke dahintreiben sah.

»Ich bin geschieden von euch,« rief Ilse, »sage dem Vater, er soll nicht sorgen um mich, die Luft ist rein, ich stehe im Schutz des Herrn, dem ich diene, und mir ist leicht im Herzen.«