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Die verlorene Handschrift

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»Nun,« entgegnete der Doctor, »daß die alte Handschrift zerstört sei, dafür haben wir doch keinen Beweis. Es ist immer noch möglich, daß sie ganz oder in Trümmern irgendwo zum Vorschein kommt. Wer weiß, auf welchen Bücherrücken ihre Streifen kleben.«

»Auf den Büchern, welche der Schwede mit Flammenschrift in Rossau geschrieben hat,« versetzte der Professor mit trübem Lächeln. »Wir sind fertig mit der Handschrift, Fritz, die Quälgeister sind uns gründlich gebannt.«

In der frühen Morgenstunde des nächsten Tages fuhr eine Reihe Hofwagen von der Oberförsterei ab; der erste war dicht geschlossen, in ihm lag der kranke Fürst, behütet von seinen Aerzten, ein aufgegebener Mann. Vor der Fahrt winkte der Erbprinz den Oberförster an seinen Wagen. »Gibt es einen andern Weg nach Rossau als durch den Hof jenes Gutes?«

»Ueber die lange Höhe, durch den Wald, es ist ein Umweg,« erwiederte der Oberförster.

»Wir fahren den Waldweg,« befahl der Erbprinz. Unterwegs begann er zu seinem Begleiter: »Ich erwarte von Ihrem Charakter, Weidegg, daß Sie bei jeder Gelegenheit den Menschen, welche dort wohnen, achtungsvolle Zuneigung beweisen werden. Ich bin der Sohn des kranken Fürsten, welchem dort von einer Stimme die Aufnahme versagt wurde. Ich werde die Schwelle jenes Hauses nicht wieder betreten, und ich wünsche, daß Sie den Namen der Frau in meiner Gegenwart niemals erwähnen.«

Der traurige Zug bewegte sich nahe bei der Stelle vorüber, wo einst der Blitzstrahl die Fichte zerschlagen. Im Schritt fuhren die Wagen auf dem Holzwege des Bergrückens. »Fahren Sie voraus,« sagte der Prinz, »ich gehe eine Strecke zu Fuß«. Er trat auf den Gipfel des Berges, das junge Tageslicht färbte die düstern Büschel des Haidekrauts mit goldigem Grün. Von derselben Höhe, wo einst eine frohe Gesellschaft gerastet hatte, sah der Prinz hinab auf den Bielstein, welcher aus dem weißen Frühnebel ragte, auf Dach und Erker des alten Hauses. Lange stand der Prinz regungslos, von dem Thurm der Dorfkirche klang das Glöckchen in die Bergluft hinauf, er neigte sein Haupt, bis der leise Ton verhallt war, dann streckte er grüßend die Hand nach dem Steine aus, wandte sich schnell ab und schritt den Waldweg entlang.

Auf dem Hofe des Bielsteins aber krähten zu derselben Stunde die Hähne, die Sperlinge schrien im Weinlaub, die Leute rüsteten sich zur Arbeit des Tages. Da pochte die Faust des Herrn Hummel dreimal an die Stubenthür, hinter welcher seine Tochter Laura schlief. »Steh auf, entführtes Wurm,« brummte er, »wenn dir noch lohnt, von deinem verlassenen Vater Abschied zu nehmen.« Es fuhr im Zimmer umher und klapperte mit den Pantoffeln, Laura’s Kopf guckte durch einen Thürritz.

»Vater, du willst uns doch nicht verlassen?«

»Du hast mich verlassen,« versetzte Hummel, »wir wollen noch schnell die letzten Redensarten miteinander abmachen. Zieh dich ordentlich an, du sollst mich den Berg hinab begleiten, ich warte unten im Hausflur.« Er mußte eine gute Weile seiner Tochter harren, ging ungeduldig auf und ab und sah nach der Uhr. »Glauben Sie mir, Gabriel,« versicherte er dem Diener, der in seinem besten Staat zu ihm trat, »vieles Unglück kommt von den langen Haaren der Weiber. Deshalb können sie nie zu rechter Zeit fertig werden, darin liegt ihr Vorrecht, womit sie uns vexiren, und darum behaupten sie, das schwächere Geschlecht zu sein. Ordnung und Pünktlichkeit werden nie erreicht, wenn nicht dem ganzen Frauenvolk an einem Tage der Zopf abgeschnitten wird.«

Laura schwebte die Treppe herab, hing sich an den Arm des Vaters und streichelte ihm mit der kleinen Hand die Wange.

»Komm in den Garten, Theaterprinzessin,« brummte er, »ich habe mit dir noch einige Augenblicke allein zu reden. Entführt wärst du, den Skandal hast du durchgesetzt. Wie ist dir zu Muth?«

»Bangsam, lieber Vater,« sagte Laura kleinlaut. »Ich weiß, daß es eine Thorheit war, und Ilse sagt es auch.«

»Dann wird’s schon richtig sein,« bestätigte Hummel trocken. »Und was soll jetzt mit dir werden?«

»Was du willst, mein Vater,« erwiederte Laura. »Fritz und ich sind der Meinung, daß wir dir unbedingt zu folgen haben. Ich habe durch meine Thorheit jedes Recht verloren, dir einen Wunsch auszusprechen. Wenn ich noch bitten darf,« setzte sie furchtsam hinzu, »ich möchte einige Zeit hier bleiben.«

»Also du willst deinen Entführer wieder loswerden?«

»Er geht zu seinen Eltern zurück, und wir warten, mein Vater, bis er einen Ruf bekommt an eine Universität, er hat Aussichten.«

»So?« sagte Hummel kopfschüttelnd, »das alles wäre vor der Entführung verständig gewesen; jetzt ist es zu spät. Ihr seid bereits miteinander in der Kirche aufgeboten, einmal für dreimal.« Laura trat zurück. »Das thaten die Leute nicht anders,« fuhr Hummel fort. »Als bekannt wurde, daß ihr ausgerissen seid, hat sich die Geistlichkeit nicht nehmen lassen, euch aufzubieten; ihr wart noch nicht lange zum Thor hinaus, als dieses Unglück vor sich ging.«

Laura stand erschrocken, ein heißes Roth fuhr ihr über die Wangen. In der Waldkirche unten läutete das Glöckchen. Herr Hummel zog ein Papier aus der Tasche. »Das sind diese verdammten alten Pathenhandschuhe, ich wünsche dies Zeug endlich los zu werden. Hier hast du deine Ausstattung, weiter kann ich dir nichts mitgeben. Zieh sie schnell an, damit die Leute wenigstens an deinen Fingern merken, daß für dich heut ein Festtag ist. Bei der Geschichte mit dem Trauringe kannst du sie schnell wieder abziehen.«

»Vater!« rief Laura und rang die Hände.

»Du wolltest ja keinen Baumkuchen leiden,« spottete Hummel, »da muß das Hochzeitskleid und manches Andere auch entbehrt werden. Dieser Schrecken wäre passender gewesen vor der Entführung, jetzt wird unweigerlich geheiratet, entweder zur Stunde oder gar nicht. Meinst du, daß man nur zum Spaß in die Welt zieht?«

»Meine Mutter!« rief Laura, und die Thränen stürzten ihr aus den Augen.

»Du hast ja deiner Mutter entlaufen wollen, und wenn dein Vater nicht aus guter Meinung zu den fremden Leuten gekommen wäre, so hättest du das Geschäft ganz allein abgemacht. Unsern hausbackenen Bürgergefühlen wolltest du ja aus dem Wege gehen.«

Laura hielt sich mit zitternder Hand an einem Baum und sah den Vater flehend an. »Du bist doch nicht so kühn, als ich dachte, jetzt kommt der Banghase bei dir zum Vorschein.«

Laura warf sich an die Brust des Vaters und schluchzte an seinem Herzen, er streichelte ihr die Locken. »Kleine Hummel,« sagte er herzlich, »Strafe muß sein, und es ist keine harte Strafe; mir ist recht, daß du ihn heiratest. Er ist ein braver Mann, das habe ich gemerkt, und wenn es dein Glück ist, ich will schon mit ihm auskommen, du mußt nur nicht gleich summen und schwärmen, wenn ich einmal auf meine Art bürste. Es ist mir auch recht, daß du ihn heut heiratest, das ist jetzt für alle Theile gut, deine Brautgefühle kannst du später haben, mache nachher deine Rührung durch, wie du willst. Jetzt sei mein tapferes Kind, wir dürfen die Andern nicht warten lassen. Bist du bereit?«

Laura weinte, aber es klang leise wie ein Ja.

»Dann wollen wir den Bräutigam wecken,« entschied Hummel, »ich glaube, dies Opferlamm schläft noch ohne Ahnung seines Schicksals.«

Er verließ seine Tochter, eilte zur Thür des Doctors und sah in das Zimmer. Fritz lag in festem Schlummer. Hummel ergriff die Stiefeln, welche vor der Thür standen, und setzte sie hart vor das Bett.

»Guten Morgen, Don Juan,« brummte er. »Haben Sie die Güte, sich sogleich in dieses Leder hineinzubemühen. Dies sind Ihre Brautstiefeln. Meine Tochter Laura läßt Sie ersuchen, sich zu beeilen, der Geistliche wird ungeduldig.«

Der Doctor sprang mit beiden Beinen aus dem Bett. »Ist das Ernst?« frug er.

»Greulicher Ernst,« sagte Hummel.

Auf den Doctor brauchte er nicht lange zu warten. Er trat in den Garten, wo Laura noch immer allein in der Laube saß, ängstlich wie ein eingesperrter Vogel, der sein Bauer nicht zu verlassen wagt. Hummel führte den Doctor zu ihr. »Da habt ihr euch,« begann er feierlich. »Es ist ein schöner Morgen, gerade wie damals, wo ich als Wanderbursch auszog. Heut schicke ich mein Kind in die Welt, und das ist eine andere Sorte von Gefühlen. Ich habe nichts dagegen, wenn ihr glücklich miteinander lebt, bis zuerst eure Kinder von euch in die Welt laufen, dann die Enkel. Denn der Mensch ist wie ein Vogel, er müht sich und trägt die Halme zusammen für sein Haus, aber die junge Brut achtet das Nest der Eltern nicht. So wird der alte Rabe jetzt allein sitzen und Wenige finden, die sich über sein Krächzen ärgern. Nehmen Sie meinen Dickkopf hin, lieber Fritz, lassen Sie ihr nicht zu viel Willen. Ich habe Sie mir einige Zeit angesehen, und ich will Ihnen jetzt etwas im Vertrauen sagen, bei der Geschichte mit den Katzenpfoten fiel mir ein, daß Sie doch am Ende kein übler Mann für diese Hummel wären. Daß Sie Hahn heißen, ist zuletzt auch nur ein Unglück.« Er küßte Beide recht herzlich. »Jetzt kommt, ihr Ausreißer, denn die Andern warten.« Hummel schritt vor seinen Kindern nach dem Hause, er öffnete die Thür der Wohnstube, die ganze Familie war versammelt. Laura flog zu Ilse und verbarg ihr heißes Gesicht an der Brust der Freundin. Diese nahm den Brautkranz, den die Schwestern herzutrugen, und setzte ihn auf Laura’s Haupt. Gabriel öffnete die Thür. Vor Jahren hatte der Doctor den Freund von den Brombeerranken an der Mauer in die Kirche gezogen, jetzt schritt auch er, die Geliebte an der Hand, in die kleine Dorfkirche, wieder streuten die Kinder Blumen. Als der Geistliche die Hände des Brautpaars zusammengab, faßte auch Ilse die Hand ihres Gatten.

»Die Mutter fehlt,« sagte Hummel zu der Neuvermählten, als diese ihm nach der Trauung um den Hals fiel. »Und des Doctors Wirthschaft auch. Ihr aber seid Bürgerkinder, und wie erhaben eure Gefühle sind, ihr werdet euch unserm Brauche fügen. Ihr reist von hier nach eurer Vaterstadt zurück. Dort werden die Mütter euch Nachhochzeit halten, und du, Landläuferin, sollst den schlechten Gedichten nicht entgehen. Ihr werdet mich entschuldigen, wenn ich an diesem Tage nicht zu Hause bin, ich mache meine Geschäftsreise, und zweimal in einer Woche sein Kind zu verheiraten, schickt sich nicht.« Leise erklärte er der Tochter: »Unter uns, ich mag nicht mit der Hühnerfamilie zusammen in den bewußten Brautkuchen picken.«

 

»Ihr sollt nicht bei mir wohnen und nicht in dem Hause drüben, das hat die Freundin hier gerathen, und es ist mir ganz recht. Nach dem Hochzeitessen mögt ihr einige Wochen reisen, dann aber kehrt ihr in die Heimat zurück.«

»Die Brautreise macht ihr allein,« sagte der Professor, »nicht mit uns. Ilse und ich sind entschlossen, nach kurzer Rast zur Stadt zurückzukehren. Ich habe noch einige Monate dieses Sommers vor mir, ich will sie wenigstens für einen engern Kreis von Zuhörern nützlich machen. Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.«

Es war um die Osterzeit des folgenden Jahres, da standen Herr Hummel und Gabriel, beide in festliches Schwarz gekleidet, vor der Thür des Hauses Nr. 1 in der Parkstraße.

»Ich war bei ihr,« begann Herr Hummel vertraulich zu Gabriel, »ich habe ihr diesmal das Geld selbst gebracht, weil Sie das wollten. Bei den Wirthsleuten und Nachbarn habe ich mich nach ihr erkundigt. Sie hält sich ordentlich, und das Wesen ist verändert. Viel Wasser, Gabriel,« er wies auf die Augen.

»Sie waren doch freundlich zu ihr?« frug Gabriel finster.

»Wie ein Lamm,« versetzte Hummel, »und sie gleichfalls. Die Stube war dürftig, ein einziges Bild hing darin ohne Rahmen, Gabriel, als eine Erinnerung an ihren glücklichen Stand in jenem Hause. Es war ein Hahn mit goldenen Federn.«

Gabriel wandte sich ab.

»Zuletzt wurde der Aufenthalt für meine trockene Constitution zu feucht. Aber es wird für sie gesorgt. Sie soll in ein anständiges Geschäft als Verkäuferin, und für den illegitimen Knips werden die Frauen sorgen. Ich habe mit Madame Hummel gesprochen und diese mit der Hahnfrau drüben, die beiden werden ihren wohlthätigen Kohl zurecht kochen. Denn was Sie betrifft, Gabriel, allen Respect, aber was zu viel ist, das ist zu viel.«

Herr Hummel faßte achtungsvoll einen Westenknopf Gabriels und drehte das abgewandte Antlitz mit dem Knopf wie durch eine Schraube auf sich zu. Dann sah er eine Weile in die trüben Augen, ohne ein Wort zu sprechen. Aber die beiden verstanden einander. »Es war eine schwere Zeit, es war eine tolle Zeit, Gabriel, in jeder Hinsicht,« begann Herr Hummel endlich kopfschüttelnd, »was wir mit Souveränen ausgeführt haben, war keine Kleinigkeit.«

»Er hatte wenig Gewicht,« sagte Gabriel, »und trug sich wie eine Feder.«

»Darauf kommt’s gar nicht an,« erwiederte Herr Hummel, »die Sache war verdienstlich. Denken Sie, was das heißt, einen jungen Fürsten retten, das machen uns Wenige nach. Und mir kamen einen Augenblick ehrgeizige Gedanken. Nämlich der Kammerherr, kein übler Mann, und ein alter Bekannter von uns, rührte mich auf, als er neulich vorsprach.«

»Er hat auch mich rufen lassen,« unterbrach ihn Gabriel mit Selbstgefühl. »Der Prinz Victor hatte ihm aufgetragen, er sollte mir seine Grüße ausrichten und sagen, der Prinz würde jetzt die Prinzessin heiraten.«

»Auch diese Art von Hofbesitzern wird häuslich,« nickte Herr Hummel, »das ist doch wenigstens ein Anfang. Also der Kammerherr versicherte mich höchster Dankbarkeit, machte so seine Redensarten und stichelte endlich auf ein Prädikat, wissen Sie, was das ist?«

»Hm,« entgegnete Gabriel, »wenn es etwas ist, was man bei diesem Hofe verschenkt, so wird es sich wohl mit einer bunten Schweinsblase vergleichen, in welcher kein Tabak ist, es wird wohl ein Titel sein.«

»Getroffen,« entschied Herr Hummel. »Was meinen Sie zu Herr Hofhutfabrikant und Hausbesitzer Heinrich Hummel?«

»Schwindel,« antwortete Gabriel.

»Richtig, es war eine Schwäche, aber ich kam noch zu rechter Zeit dahinter. Denn ich fragte diesen Kammerherrn: welche Zumuthung würden Sie dafür an mich richten? Gar keine, sagte er, als daß Sie ein ansehnliches Geschäft darstellen. Das ist mein Fall, sagte ich. Aber was für Hüte wird man bei mir suchen? Denn wer Erfahrungen gemacht hat wie ich, der wird mißtrauisch. Und sehen Sie, Gabriel, da kam der Schwindel heraus. Denn was war seine Ansicht und Zumuthung? Ich war in seinen Augen ein Mann, bei dem auch Strohhüte umgingen. Da dankte ich für die Ehre und drehte ihm den Rücken.«

»Nun,« wandte Gabriel ein, »bei diesem Stoff muß eine Milderung eintreten. Wir sind ja jetzt gute Freunde mit Den drüben, und wenn Sie Ihre Tochter dem Hause verwilligt haben, warum nicht auch einen Artikel in das Geschäft?«

»Mengen Sie mir nicht diese Dinge durcheinander,« wehrte Herr Hummel ärgerlich. »Es ist schlimm genug, daß ich als Vater und gewissermaßen auch als Nachbar meinen alten Zorn verloren habe. Worüber soll man sich jetzt noch ärgern, wenn hier die Hand gedrückt und dort unter der verdammten Muse Familienpunsch getrunken wird? Nein, ich war ein schwacher Vater, ich war als Nachbar ein unverantwortlich leichtsinniger Mann. Aber, Gabriel, auch der Wurm, welcher getreten wird, behält noch seinen Stachel. Und mein Stachel ist das Geschäft. Darin bleibt die Feindschaft. Jedes Frühjahr die Rachsucht und bei der Winterkälte mein Triumph. Mein Kind habe ich verloren, mein Geld habe ich diesen Phantasten hinübergetragen, aber ich bin immer noch Manns genug, um es mit Dem da drüben aufzunehmen.« Er sah auf die leere Stelle der Freitreppe, wo sonst sein Hund Speihahn zu sitzen pflegte. »Dieser fehlt mir,« fuhr Herr Hummel fort, nach der Tiefe zeigend.

»Er ist dahin und aus der Menschheit ausgewischt,« sagte Gabriel.

»Er war ein Hund nach meinem Herzen,« betheuerte Hummel, »und ich habe daran gedacht, was meinen Sie, Gabriel, wenn ich ihm im Garten ein Denkmal setzte? Hier an der Straße, nur ein niedriger Stein, und darauf nur das eine Wort Speihahn. Wenn die Pforte offen steht, würde man’s über die Straße lesen können. Es wäre ein Gedächtniß für das arme Thier und außerdem an die gute Zeit, wo man einem Hahn noch die Federn rupfen konnte, ohne wegen Kindesmord angeschrieen zu werden.«

»Es geht nicht,« versetzte Gabriel, »was würden die Schwägersleute drüben dazu sagen?«

»Pfui Teufel!« rief Herr Hummel und wandte sich ab.

Ja, Speihahn war der Menschheit entwischt. Seit jener Stunde, wo er im dämmerigen Morgengrauen den goldenen Chorrock des seligen Bachhuber als Halskrause um sich geschlagen hatte, war er verschwunden. Keine Forschung, kein Geldgebot des Herrn Hummel vermochten seine Spur zu ermitteln, vergebens wurden die Schäfer und Gutsarbeiter der Umgegend, sogar die Behörden von Rossau in Bewegung gesetzt, er war entwischt wie ein Geist. Die Stelle an der Freitreppe blieb leer. Die Lücke, welche er in der bürgerlichen Gesellschaft zurückließ, wurde durch jüngeres Hundegeschlecht der Parkstraße ausgefüllt; die Nachbarschaft fühlte bei jedem Gange auf der Straße ein Behagen, welches sie lange entbehrt hatte, der Cigarrenhändler stellte seine Bank wieder an Herrn Hummels Garten, und die weißgekleideten Fräulein, welche nach dem Stadtpark zogen, entsagten allmählich der Gewohnheit, vor dem Hause des Herrn Hummel abzubiegen und auf die Strohseite hinüberzuflüchten. Speihahn wurde von Vielen ohne Bedauern vergessen, nur bei alten Insassen der Straße blieb die Erinnerung an ihn als finstere Sage. Gabriel allein dachte jeden Abend an den Verlorenen, wenn er die kleinen Knochen für gleichgültige Nachbarhunde zurückstellte. Aber er wunderte sich über das Verschwinden des Hundes nicht. Er hatte längst gewußt, daß es mit dieser Kreatur so oder so kommen müsse.

Dieser Ansicht war eine Bestätigung geworden, an welche Gabriel sein ganzes Leben hindurch dachte. Denn als er im Herbst mit seiner Herrschaft wieder den Bielstein besuchte, hatte er sich einmal einen freien Nachmittag erbeten und war, wie er jetzt öfter that, allein mit seinen Gedanken dahingeschritten. Er ging im Wald weit über die Oberförsterei hinaus, zwischen dicken, bemoosten Buchenstämmen, zwischen Farnkraut und Heidelbeeren. Es wurde Abend, graue Dämmerung legte sich um den Wanderer, er war über seine Richtung unsicher geworden und suchte unruhig den Weg nach Hause. Ganz in der Ferne rollte der Donner, und zuweilen fuhr ein gelber Schein über den Himmel und erhellte für einen Augenblick die Baumstämme und den Moosgrund. Bei solchem hellen Schein sah er sich plötzlich an einem Kreuzweg; er fuhr zurück, denn wenige Schritte von ihm schritt quer über den Pfad eine große dunkle Gestalt, einen breitkrempigen Filzhut auf dem Haupt, ein Gewehr auf der Schulter, ohne Gruß und lautlos glitt sie vorüber. Gabriel stand und staunte. Wieder ein Schein, und denselben Weg liefen zwei Hunde, ein schwarzer und ein röthlicher Köter mit dickem Kopf und gesträubtem Haar; plötzlich blieb der rothe stehen, wandte sich gegen Gabriel, und dieser sah deutlich an dem Ende des Hundes eine Quaste, welche sich wedelnd regte. Im nächsten Augenblick tiefe Finsterniß, Gabriel hörte vor seinen Füßen ein leises Winseln, und ihm war, als ob etwas seine Stiefeln lecke. Noch ein leises Rauschen, dann war Alles still.

Die auf dem Gute behaupteten, es sei ein Wilddieb oder der große Waldbelaufer jenseit der Grenze gewesen; Gabriel aber wußte, wer der Nachtjäger war und wer der Hund war. Der den Hund einst in Hummels Haus geschickt, ohne Geld und ohne Namen, der hatte ihn auch abgerufen. Der Hund bellte jetzt wieder durch die Nacht, wenn der Sturm wie ein Hifthorn blies, wenn die Wolken unter dem Monde dahinflogen und die Bäume ihre Gipfel ächzend zur Erde neigten. Dann lief er über die Berge von Rossau, durch die Gründe des Bielsteins, er heulte, und der Mond lachte spöttisch auf die Stelle herab, an welcher Tobias Bachhuber seinen Schatz deponirt hatte, darunter die Deckel der verlorenen Handschrift.

Aber wenn keinem Beobachter zweifelhaft sein konnte, was es mit diesem Hunde für ein Ende nehmen mußte, weit unsicherer ist das Urtheil der Gegenwart über eine andere Schattengestalt, welche um die Höhle schwebt.

Was kann dein Schicksal sein, unseliger Frater Tobias Bachhuber? Dein Benehmen gegen die Handschrift war so, daß es Alles übersteigt, was man von einem Tobias erwarten konnte. Es stand sehr zu befürchten, daß dein Leichtsinn gegen die höchsten Angelegenheiten der Menschheit auch deiner gesellschaftlichen Stellung im Jenseits geschadet habe. Gegen deine Seligkeit, Bachhuber, mußten schwere Zweifel entstehen. Denn das Unrecht, das du an uns begangen, war so groß, daß es auch einem Engel Thränen auspressen mußte. Uns Sterblichen ist unmöglich, deiner noch mit dem Vertrauen zu denken, zu dem uns deine treuherzigen Worte verführten: »haec omnia deposui,« dies alles habe ich niedergelegt. Das war eine Unwahrheit, Bachhuber, und die Wunde getäuschter Zuversicht wird stets auf’s Neue brennen.

Antworte auf die Frage, Tobias, was waren deine Ansichten über den Zusammenhang des Menschengeschlechts? über die Verbindung der vergangenen und lebenden Geister? oder über das große Netz der Menschheit, in welchem du eine Masche warst? Deine Ansichten waren erbärmlich, du stopftest die große Handschrift, die Sehnsucht unserer Tage, in einen Sack, und da der Sack zu voll wurde, rissest du den Text heraus und bewahrtest für spätere Geschlechter die Deckel! Dreimal pfui!

Und dennoch schwebtest du ruhelos um die Höhle, und dennoch poltertest du seit der Schwedenzeit in den Kammern des alten Hauses umher! Wozu diese Geschäftigkeit, thörichter Mönch? Solltest du vielleicht doch etwas bedacht und behütet haben, was zum Wohle der Enkel gereicht und dem erwähnten Zusammenhange des Menschengeschlechtes dient?

In der That, es wurde ein Schatz gehoben. Er sieht freilich anders aus als die Forscher vermutheten, da ihr Auge zuerst auf den undeutlichen Buchstaben deines Verzeichnisses ruhte. Der Schatz, den die beiden Gelehrten gehoben, hat kleine geballte Fäuste, runde Wänglein und liebe Augen. Er ist lebendig geworden, aber er verhält sich keineswegs schweigsam. Bachhuber, solltest du deine Ordensregel leichtsinnig behandelt haben? hast du diesen Schatz in zwei Wohnungen an der hohlen und trocknen Stelle deponirt, welche in unserer Laiensprache Wiege heißt?

Heut ist große Taufe in der Wohnung des Professors, es ist eine Doppeltaufe. Des Professors Sohn heißt Felix und des Doctors junge Tochter Cornelia. Die Kinder haben fast zu gleicher Zeit den Entschluß gefaßt, durch ihr Erscheinen diese überfüllte Welt zu verengen. Die Pathen des Knaben sind Raschke und Frau Struvelius, die Pathen des Mädchens Struvelius und Frau Raschke, Herr Hummel aber ist Doppelpathe und steht in der Mitte, er schwenkt bald den einen, bald den andern Täufling.

 

»Es ist mir lieb, daß Ihres ein Sohn ist,« sagt er zum Professor, »er wird blond, und er wird lustig. Denn das weibliche Geschlecht nimmt über Hand und wird uns zu kräftig, wir müssen uns durch Zuwachs stärken, sonst findet ein völliges Unterbuttern statt. Es ist mir lieb, daß deines ein Mädchen ist,« sagt er zu seiner Tochter, »das Ding ist schwarz und borstig, es wird kein Hahn, sondern eine Hummel.«

Die Taufe ist vorüber und Professor Raschke erhebt das Glas: »Zwei neue Menschenseelen im Reich der Bücher, zwei Gelehrtenkinder mehr in unserer doctrinären, wunderlichen, pedantischen, grilligen Zunft. Ihr Kinder werdet eure ersten Reitübungen auf Folianten anstellen, euren ersten Helm und eure erste Schürze werdet ihr aus Correcturbogen eurer Väter anfertigen, früher als Andere werdet ihr mit heimlichem Bangen auf die Bücher schauen, die eure rosige Jugend umstehen. Wir aber wünschen, daß auch ihr dazu helft, einem späteren Geschlecht den stolzen Sinn zu bewahren, mit welchem eure Väter das eigene Leben hingeben als Suchende, Denkende, Gestaltende. Auch ihr, ob Mann, ob Weib, sollt treue Bewahrer der idealen Habe unseres Volkes sein. Ihr werdet ein Volksthum finden, das stärker die Flügel regt und höhere Forderungen an seine geistigen Führer stellt. Wie die Gegenwart uns, wird auch euch eure Zeit zuweilen mit einem Lächeln betrachten; sorgt dafür, daß es ein herzliches Lächeln sei. Und sorgt dafür, daß dem Volke dies Amt werth bleibe, das ihr von euren Vätern überkommt, und das auch ihr verwalten sollt als ehrliche Arbeiter im Reiche der Wissenschaft, treu im Glauben an den guten Geist unseres Lebens.«

Raschke sprach’s und schwenkte das Glas. »Bitte, es ist mein Glas,« rief die Struvelius, »trinken Sie meine Handschuhe nicht, sie liegen darin.«

»Richtig,« entschuldigte sich Raschke, »es ist Leder.« Er goß bedächtig den Wein aus seiner Flasche über die Handschuhe und rief sein Hoch!

Aber in der dämmrigen Ecke am Bücherschrank, wo das kleine Notizbuch des Fraters lag, erschien, von Jedermann unbeachtet, die demüthige Gestalt Bachhubers, einer Kindermuhme ähnlich, sie grüßte und verneigte sich dankend.

Als die Freunde geschieden waren, saß Ilse am Lager, das Kind vor sich auf dem Schoß; Felix kniete an ihrer Seite, und beide sahen herab auf das junge Leben, das zwischen ihnen lag. »Es ist so klein, Felix,« sagte Ilse, »und doch macht Alles, was war, und Alles, was ist, die Mutter nicht so glücklich, als der leise Herzschlag in seiner Brust.«

»Ruhelos ringt der denkende Geist nach dem Ewigen,« rief der Gelehrte, »wer aber Weib und Kind am Herzen hält, der fühlt sich der hohen Gewalt unseres Lebens einig verbunden in seligem Frieden.«

Die Wiege schaukelte, wie von Geisterhand berührt. – So also sieht der Schatz aus, verewigter Bachhuber, den du einem spätern Geschlecht durch hilfreiche Thätigkeit vermittelt hast? Es ist wahr, du hast an uns Uebles gethan. Jedoch, wenn man wieder erwägt, wie sorglich du in dem alten Hause und anderswo bedacht warst, als Ehestifter späteren Menschen gutherzige Dienste zu leisten, so kann man dir am heutigen Tauftage auch nicht böse sein. Eins ins Andere gerechnet, darf man wohl sagen: du warst ein Unglückspilz, aber dein Herz war nicht schlecht. Und am Ende, Tobias Bachhuber, bist du doch nach vielen Bedenken aus alter Barmherzigkeit unter die Seligen aufgenommen, aber allerdings mit einem Fragezeichen: du trägst am Rücken deiner himmlischen Kutte als Nota für ewige Zeiten ein höllisches Schwänzchen – wegen der verlorenen Handschrift des Tacitus.