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»Vater«, rief Lenore, ihn von dem Wagen aufrichtend, »fasse dich, sprich mit Ehrenthal, fahr zu deinem Anwalt, es wird auch gegen dieses Unglück eine Hilfe geben.«

»Du hast recht, mein Kind«, sagte der Freiherr mit klangloser Stimme, »noch ist möglich, daß die Gefahr nicht so groß ist. Laß anspannen, ich will nach der Stadt. Verbirg der Mutter, was du gelesen hast, und du, liebe Lenore, begleite mich.«

Als der Wagen vorfuhr, fand er den Freiherrn noch auf derselben Stelle, wo die Nachricht in sein Herz gedrungen war. Schweigend saß er während der Fahrt in eine Ecke gedrückt.

In der Stadt brachte er die Tochter vor sein Quartier, das er immer noch nicht aufgegeben, um bei seinen Bekannten und seiner Frau nicht den Verdacht zu erwecken, als gehe es mit seinem Vermögen zurück. Er selbst fuhr zu Ehrenthal. Zornig trat er in das Kontor und hielt dem Händler nach rauhem Gruß das Zeitungsblatt entgegen. Ehrenthal erhob sich langsam und sagte mit dem Kopfe nickend: »Ich weiß, der Löwenberg hat deswegen an mich geschrieben.«

»Sie haben mich getäuscht, Herr Ehrenthal!« rief der Freiherr, mühsam nach Haltung ringend.

»Wozu«, erwiderte achselzuckend der Händler, »wozu sollte ich Ihnen verstecken, was doch die Zeitung melden muß? Das kommt vor bei jedem Gut, bei jeder Hypothek. Was ist dabei für ein Unglück?«

»Die Verhältnisse der Herrschaft sind schlecht, Sie haben lange darum gewußt«, rief der Freiherr, »Sie haben mich betrogen.«

»Was reden Sie da von Betrug?« fuhr Ehrenthal zornig auf. »Nehmen Sie sich in acht, daß nicht ein Fremder Ihre Worte hört. Ich habe mein Geld bei Ihnen stehen, wie kann ich ein Interesse haben, Sie kleiner zu machen und größer zu machen Ihre Verlegenheiten? Ich selber stecke bei Ihnen darin so tief«, er wies auf die Stelle, wo bei den Menschen das Herz zu sitzen pflegt »Hätte ich gewußt, daß diese Fabrik wird fressen mein gutes Geld, ein Tausend nach dem andern, wie ein Tier frißt, das hinten offen ist, ich hätte mich bedacht und Ihnen auch nicht bezahlt einen einzigen Taler. Ich will mit meinem Gelde füttern eine Herde Elefanten, aber ich will niemals wieder füttern eine Fabrik. Wie können Sie also sagen, daß ich Sie betrogen habe?« schloß er in steigender Hitze.

»Sie haben um den Konkurs gewußt«, rief der Freiherr, »und haben mir verheimlicht, wie es mit dem Grafen steht.«

»Bin ich es gewesen, der Ihnen hat verkauft die Hypothek?« fragte der entrüstete Ehrenthal. »Ich habe Ihnen alle halbe Jahre die Zinsen eingezogen, das ist mein Unrecht, ich habe Ihnen außerdem gezahlt noch vieles Geld, das ist mein Betrug.« – Versöhnend fuhr er fort: »Sehen Sie die Sache ruhig an, Herr Baron, ein anderer Gläubiger stellte Antrag auf den Verkauf der Herrschaft, die Gerichte haben’s uns nicht angezeigt, oder sie haben die Anzeige geschickt an eine falsche Adresse. Was tut’s? Sie werden jetzt bekommen nach der Subhastation ausgezahlt Ihr Kapital, dann können Sie bezahlen die Gläubiger, die Sie auf Ihrem Gut haben. Es sind, wie ich höre, große Güter bei dieser Herrschaft, und Sie haben nichts zu befürchten für Ihr Kapital.«

Mit dieser zweifelhaften Hoffnung mußte sich der Freiherr entfernen. Niedergeschlagen bestieg er seinen Wagen; er rief dem Kutscher zu: »Zum Justizrat Horn!«, aber mitten auf dem Wege gab er Gegenbefehl und fuhr nach seinem Quartier zurück. Es war zwischen ihm und dem alten Rechtsfreund eine Kälte eingetreten. Er hatte sich gescheut, diesem seine unaufhörlichen Verlegenheiten mitzuteilen, und er war durch einige wohlgemeinte Warnungen desselben verletzt worden, so hatte er oft die Hilfe anderer Juristen in Anspruch genommen.

Itzig war in seinem Zartgefühl aus dem Kontor gestürzt, als er die Pferdeköpfe des Barons auf der Straße erblickte, jetzt steckte er den Kopf wieder herein. »Wie war er?« fragte er Herrn Ehrenthal.

»Wie soll er gewesen sein«, antwortete Ehrenthal unwillig, »er war wie ein Fisch, welcher hat viele Gräten; er hat geschlagen mit seinem Kopf in die Luft, und ich habe gehabt meinen Ärger. Mein Geld habe ich gesteckt in das Gut, und Sorgen habe ich um das Gut so viel als Haare auf dem Kopfe, weil ich gefolgt bin Ihrem Rat.«

»Wenn Sie denken, daß ein Rittergut Ihnen geschwommen kommt wie ein Fisch mit dem Wasser, daß Sie nur dürfen ausstrecken die Hand und festhalten, so tun Sie mir leid«, entgegnete Veitel ironisch.

»Was tue ich mit der Fabrik?« rief Ehrenthal. »Das Gut ist für mich zweimal soviel wert ohne den Schornstein.«

»So verkaufen Sie die Ziegel, wenn Sie den Schornstein erst haben«, versetzte Veitel boshaft. »Ich wollte Ihnen noch sagen, daß ich morgen einen Besuch habe von einem Bekannten aus meiner Gegend. Ich kann morgen nicht kommen in Ihr Kontor.«

»Sie haben in dem letzten Jahr so oft Ihre eigenen Gänge gemacht«, erwiderte Ehrenthal grob, »daß mir nichts daran liegt, wenn Sie auch länger fortbleiben aus meinem Kontor.«

»Wissen Sie, was Sie gesagt haben?« fuhr Veitel auf. »Sie haben mir gesagt: Itzig, ich brauche dich nicht mehr, du kannst gehen. Ich aber werde gehen, wenn es mir recht ist, und nicht, wenn es Ihnen recht ist.«

»Sie sind ein dreister Mensch«, rief Ehrenthal, »ich will Ihnen verbieten, daß Sie so zu mir reden. Wer sind Sie, junger Itzig?«

»Ich bin der, welcher weiß Ihre ganzen Geschäfte, ich bin der, welcher Sie ruinieren kann, wenn er will, und ich bin der, welcher es gut mit Ihnen meint, besser als Sie selber. Und deswegen, wenn ich übermorgen in das Kontor komme, werden Sie zu mir sagen: Guten Morgen, Itzig! Haben Sie mich verstanden, Herr Ehrenthal?« Er ergriff seine Mütze und eilte auf die Straße, dort brach sein unterdrückter Zorn gegen Ehrenthal in helle Flammen aus, er schwenkte heftig die Hände und murmelte drohende Worte. Dasselbe tat Ehrenthal in seinem Kontor.

Der Freiherr fuhr zu seiner Tochter zurück, er setzte sich niedergeschlagen auf das Sofa, und die liebevollen Worte Lenorens gingen ungehört an seinem Ohr vorüber. Er hatte nichts, was ihn noch in der Stadt zurückhielt, als seine Furcht, der Baronin die traurige Nachricht mitzuteilen. Er brütete über Plänen, wie er den möglichen Verlust überwinden könnte, und malte sich wieder mit den schwärzesten Farben aus, welche Folgen dieses Ereignis haben mußte. Unterdes saß Lenore schweigend am Fenster und sah hinunter in das Getümmel der Straße, auf die Lastwagen, welche vorüberrasselten, und auf die Ströme geschäftiger Menschen, die auf dem Trottoir dahinzogen, unaufhörlich, ohne Rast, um Verdienst und Genuß. Und während Lenore sich fragte, ob wohl einer von all den Leuten, die vorübergingen, den heimlichen Kummer, die Furcht, die Mutlosigkeit gefühlt habe, die in den letzten Jahren über ihr junges Herz gekommen war, da sah zuweilen einer von unten zu den Spiegelfenstern des stattlichen Hauses auf, dann ruhte sein Auge bewundernd auf dem schönen Mädchen, und er beneidete vielleicht das Glück der Vornehmen, die so ruhig von oben herabsehen auf die Leute, die sich um den Verdienst plagen müssen.

So wurde es dunkel auf der Straße, das Licht der Laternen warf einen matten Schein in das Zimmer, Lenore sah auf die Schatten und Lichtstreifen, welche sich an der Stubenwand bewegten, und mit der steigenden Finsternis vergrößerte sich das Bangen in ihrer Brust. Vor der Haustür aber standen zwei Männer in eifrigem Gespräch, der eine trat in das Haus, die Klingel wurde gezogen, ein schwerer Tritt schallte im Vorzimmer. Der Bediente trat ein und meldete Herrn Pinkus. Bei dem Namen fuhr der Freiherr auf, forderte Licht und eilte in das Nebenzimmer.

Der Herbergsvater trat bei dem Freiherrn ein und neigte einigemal seinen großen Kopf, beeilte sich aber nicht zu sprechen; der Freiherr stützte sich auf die Tischplatte wie einer, der bereit ist, alles zu hören. »Was bringen Sie mir so spät?«

»Der Herr Baron weiß, daß morgen der Wechsel fällig ist mit zehntausend Talern.«

»Können Sie nicht erwarten, daß ich Ihnen bei der Verlängerung Ihre zehn Prozent einrechne?« fragte der Freiherr mit Verachtung. »Ich glaube erst morgen das Rechenexempel machen zu müssen.«

»Da es Ihnen nicht recht ist, das Exempel zu machen«, erwiderte Pinkus, »so bestehe ich nicht darauf. Ich komme, Ihnen anzuzeigen, daß ich plötzlich in die Lage gekommen bin, Geld zu brauchen; ich werde Sie morgen bitten um die zehntausend.«

Der Freiherr trat einen Schritt zurück. Das war der zweite Schlag, und dieser traf sein Leben. Er hatte geahnt, daß noch etwas kommen würde, ihn zu zermalmen; jetzt wußte er genau, daß alles unnütz war, was er noch sagen konnte. Sein Gesicht war fahles Gelb, als er mit heiserer Stimme begann: »Wie können Sie diese Forderung stellen nach dem, was wir miteinander besprochen haben? Wie oft haben Sie mir beteuert, daß diese Wechselform nichts als eine leere Förmlichkeit sei?«

»Es ist gewesen bis heut eine Förmlichkeit«, sagte Pinkus, »jetzt wird’s ein Zwang. Ich habe morgen zu zahlen zehntausend Taler an einen Mann, dem ich verpflichtet bin.«

»Dann sprechen Sie mit dem Mann«, sagte der Freiherr, »ich bin bereit, Ihnen neue Zugeständnisse zu machen, ich bin aber jetzt außerstande zu zahlen.«

»Dann, Herr Baron, tut mir’s leid, Ihnen zu sagen, daß man gegen Sie verfahren wird nach Wechselrecht.«

Der Freiherr schwieg und wandte sich ab.

»Wann darf ich morgen wiederkommen nach meinem Geld?« fragte Pinkus.

»Um diese Stunde«, erwiderte eine Stimme, welche hohl klang wie die Stimme eines Greises. Mit einem neuen Kopfnicken entfernte sich Pinkus, der Freiherr wankte in sein Zimmer zurück. Sein Kopf sank auf die Lehne des Sofas herab, erstarrt dachte er an das, was jetzt kommen mußte. Lenore kniete neben ihm nieder, sie faßte sein Haupt und legte es auf ihre Schulter, sie nannte ihn mit den zärtlichsten Namen und flehte ihn an, doch wieder zu sprechen. Er hörte nichts und sah nichts, in ihm schlug es wie mit einem Hammer immer stärker und schneller. Die hohlen Gebilde von buntem Glas, die er sich ausgeblasen hatte, zersplitterten in Scherben, er ahnte jetzt die schreckliche Wahrheit, er war ein ruinierter Mann.

 

So saß er bis zum späten Abend, die Tochter brachte ihn endlich dazu, einen Schluck Wein zu trinken und an die Heimkehr zu denken. »Ja, fort von hier«, rief er, »ins Freie!« Sie fuhren ab. Als die Bäume der Landstraße an ihm vorbeiflogen und die frische Luft in sein Gesicht schlug, kam seine Seele wieder in Spannung. Diese Nacht und der ganze nächste Tag gehörten ihm, in dieser Zeit mußte sich Hilfe finden. Es war nicht die erste Verlegenheit, die er empfand, und er hoffte jetzt sogar, es werde nicht die letzte sein. Er war diese Wechselschuld von ursprünglich siebentausend und einigen hundert Talern eingegangen, weil der Händler, der ihm heut das Geld kündigte, vor einigen Jahren zu ihm gekommen war und ihm das Geld angeboten, ja aufgedrängt hatte, zuerst mit den niedrigsten Zinsen. In dem sichern Mut eines glücklichen Unternehmers hatte er das Geld angenommen. Es hatte einige Wochen müßig dagelegen, dann hatte er es angegriffen, und Schritt für Schritt hatte der Gläubiger seine Forderungen gesteigert bis zum Solawechsel und einem übermäßigen Zinsfuß. Jetzt trotzte der Schurke. War er wie eine Ratte, welche den bevorstehenden Untergang des Schiffes merkt und sich zu retten sucht? Der Freiherr lachte auf, daß Lenore zusammenfuhr – aber er war nicht der Mann, sich widerstandslos dem Gauner in die Hände zu geben, er wußte, die Nacht und der nächste Tag mußten ihm Hilfe bringen. Ehrenthal konnte ihn nicht im Stiche lassen.

Er fühlte die Notwendigkeit, sich zu beherrschen, er gewann es über sich, mit seiner Tochter wieder von gleichgültigen Dingen zu sprechen. »Es sind unangenehme Geschäfte, die sich jetzt drängen«, sagte er, »und ich bin durch die vielen Ansprüche, welche man in der letzten Zeit an mich gemacht hat, auch körperlich angegriffen. Es wird vorübergehen, mein Kind. Jedem Unternehmer kommt solche Zeit; ist die Fabrik erst im Gange, so ist das Ärgste überstanden.«

Es war Nacht, als sie nach Hause kamen, der Freiherr eilte auf sein Zimmer. Er legte sich zu Bett, aber er wußte, daß das eine Szene war, die er nur seinem Bedienten vorspielte; das war wieder eine Nacht, wo der Schlaf sein Haupt nicht berühren sollte. Vom Turme der Dorfkirche schlug eine Stunde nach der andern, der Freiherr zählte jeden Schlag, und nach jeder Stunde pochte das Blut stürmischer in seinen Adern, und heißer wurde seine Angst. Wo war Rettung? Es gab für ihn keine andere als Ehrenthal. Aller Widerwille, den er dagegen empfand, morgen als Bittender vor diesen Mann zu treten, floß dahin mit dem Fieberschweiß, der von seiner Stirn rann. So lag er und rang die Hände; und wenn der Schlummer, das stille Kind der Nacht, sich seinem Lager näherte, immer erhob sich das graue Gespenst der Angst neben seinem Haupt und trieb mit drohender Gebärde den hilfreichen Gott aus seiner Nähe. Gegen Morgen erst verlor er die Empfindung seines Elends.

Schneidende Mißtöne drangen aus dem Hofe in sein Zimmer und weckten ihn; die Arbeiter der Fabrik zogen mit der Dorfmusik unter sein Fenster und brachten ihm ein Ständchen. Zu anderer Zeit hätte er sich über den gutwilligen Eifer gefreut, heut hörte er nur die unreinen Klänge, und sie quälten ihn. Hastig kleidete er sich an und eilte in den Hof. Sein Haus war bekränzt, die Arbeiter hatten sich vor der Tür aufgestellt, sie empfingen ihn mit lautem Zuruf, er mußte den Mund auftun und ihnen sagen, daß er sich dieses Tages freue und daß er viel Gutes von ihm erwarte; und während er sprach, fühlte er, wie unwahr seine Worte waren und wie gebrochen sein Mut. Er ließ anspannen, ehe er noch seine Frau und Tochter begrüßt hatte, und jagte wieder der Stadt zu. Er stand in Ehrenthals Hause und rüttelte an der Tür des Kontors; noch war die Tür verschlossen, sein Diener mußte den Händler vom Frühstück herunterholen.

Unruhig über das Außerordentliche des frühen Besuchs erschien Ehrenthal, er hatte sich diesmal nicht beeilt, den alten Schlafrock auszuziehen. Der Freiherr trug sein Anliegen so kaltblütig vor, als ihm nach der schlaflosen Nacht möglich war. Ehrenthal geriet in die größte Entrüstung. »Dieser Pinkus«, rief er einmal über das andere, »er hat sich unterstanden, Ihnen Geld zu borgen gegen einen Wechsel! Wie kann er Ihnen borgen eine so große Summe? Der Mann hat keine zehntausend Taler, er ist ein kleiner Mann ohne Mittel.« Der Freiherr gestand, daß die Summe ursprünglich geringer gewesen war, aber dies Geständnis steigerte die Unruhe Ehrenthals.

»Von sieben zu zehn«, rief er und rannte heftig auf und ab, daß der Schlafrock um ihn flog wie die Flügel einer Eule. »Fast dreitausend Taler hat er gewonnen! Ich habe immer ein schlechtes Zutrauen zu diesem Menschen gehabt, jetzt weiß ich, was er ist! Er ist ein Spion, ein Achselträger, der auf zwei Schultern trägt! Er hat auch nicht gegeben die siebentausend, sein ganzer Kram ist nicht siebentausend wert.«

Die starke Entrüstung warf einen Freudenschimmer in die Seele des Freiherrn; wie unrecht hatte er dem Mann oft in seinen Gedanken getan! »Auch ich habe Ursache, den Pinkus für einen gefährlichen Menschen zu halten«, sagte er.

Aber diese Beistimmung gereichte dem Freiherrn zum Unheil, der Zorn Ehrenthals wandte sich jetzt gegen ihn. »Was rede ich von dem Pinkus«, schrie er; »er hat gehandelt, wie ein Mann von seiner Art handeln muß. Aber Sie, der Sie sind ein Edelmann, wie haben Sie in solcher Weise an mir handeln können? Sie haben hinter meinem Rücken mit einem andern Geschäfte gemacht und haben ihn in kurzer Zeit verdienen lassen drei von sieben auf Wechsel. Auf Wechsel«, fuhr er fort, »wissen Sie, was das heißt, ein Wechsel?«

»Ich wünschte, daß die Schuld nicht nötig gewesen wäre«, sagte der Freiherr; »da aber heut der Verfalltag ist und der Mann in eine Verlängerung nicht willigt, so müssen wir versuchen, Zahlung zu schaffen.«

»Was heißt wir!« fuhr Ehrenthal zornig auf. »Sie müssen Zahlung schaffen, sehen Sie zu, wie Sie Geld schaffen für den Mann, dem Sie dreitausend haben geschrieben in seine Tasche. Sie haben mich nicht gefragt, als Sie ausgestellt haben den Wechsel, Sie brauchen mich nicht zu fragen, wie Sie werden zahlen das Geld.«

In dem Freiherrn lagen Angst und Zorn im Kampfe. »Mäßigen Sie Ihre Sprache, Herr Ehrenthal«, rief er.

»Was soll ich mich mäßigen!« schrie der Händler. »Sie haben sich nicht gemäßigt, und der Pinkus hat sich nicht gemäßigt, ich will mich auch nicht mäßigen!«

»Ich werde wiederkommen«, sagte der Freiherr, »wenn Sie die Haltung gewonnen haben, die ich mir gegenüber unter allen Umständen erbitten muß.«

»Wenn Sie Geld von mir wollen, so kommen Sie nicht wieder, Herr Baron«, rief Ehrenthal. »Ich habe kein Geld für Sie; lieber will ich werfen die Taler auf die Straße, als Ihnen noch zahlen einen einzigen in ihr Gut.«

Der Freiherr verließ schweigend das Zimmer. Sein Elend war groß, er mußte das Gezänk des gemeinen Mannes ertragen. Jetzt fuhr er in der Stadt bei seinen Bekannten umher und stand die Qual aus, alle Stunden von neuem um Geld zu bitten und immer abschlägige Antwort zu erfahren. Zum Mittag war seine Kraft gebrochen. Er kehrte in sein Quartier zurück und überlegte, ob er noch einmal zu Ehrenthal gehen oder ob er die Zahlung des Wechsels wegen wucherischer Zinsen verweigern sollte. Da schlich der in sein Haus, welcher bis dahin sein Leben in weitem Kreise umlauert hatte, er, der künftige Besitzer des Gutes, der Erbe der Rothsattel. Der Freiherr wunderte sich, als eine fremde Gestalt, die er kaum das eine oder das andere Mal gesehen hatte, in sein Zimmer trat, ein hageres Gesicht, von rötlichem Haar eingefaßt, zwei verschmitzte Augen und um den Mund ein grotesker Zug, wie man ihn auf den lachenden Larven des Karnevals sieht.

Veitel verneigte sich tief und begann: »Gnädigster Herr Baron, haben Sie die Gewogenheit zu verzeihen, daß ich mit einem Geschäft zu Ihnen komme. Ich habe den Auftrag von Herrn Pinkus, das Geld einzukassieren für den Wechsel. Ich wollte Sie untertänigst fragen, ob Sie vielleicht so gnädig sein wollen, mir zu zahlen das Geld.«

Der finstere Ernst der Stunde ging dem Freiherrn verloren, als er die lange Gestalt sah, welche sich krümmte, Gesichter schnitt und in possenhafter Artigkeit zu vergehen bemüht war. »Wer sind Sie?« fragte er mit der Würde eines großen Herrn.

»Veitel Itzig ist mein Name, gnädiger Herr, wenn ich mir erlauben darf, Ihnen das zu melden.«

Der Freiherr fuhr zusammen, als er den Namen Itzig hörte. Das war der Mann; vor dem er gewarnt war, der Unsichtbare, Erbarmungslose. Wieder schnürte ihm die Angst das Herz zusammen.

»Ich war bis jetzt Buchhalter bei Ehrenthal«, fuhr Itzig bescheiden fort. »Aber der Ehrenthal wird mir zu groß; ich habe geerbt ein kleines Vermögen, ich habe es übergeben dem Pinkus in sein Geschäft. Jetzt bin ich dabei, mich selbst zu etablieren.«

»Sie können das Geld jetzt nicht bekommen«, erwiderte der Freiherr ruhiger. Diese hilflose Gestalt konnte schwerlich ein gefährlicher Gegner sein.

»Ausgezeichnet«, sagte Veitel, »es ist mir eine Ehre, zu hören von dem gnädigen Herrn, daß Sie mir’s zahlen werden im Nachmittag. Ich habe Zeit.« – Er zog eine silberne Uhr heraus. – »Ich kann warten bis gegen Abend. Und damit ich den Herrn Baron nicht inkommodiere durch Wiederkommen zu einer Stunde, wo ich Ihnen nicht recht bin oder wo Sie nicht zu Hause sind, so will ich mir die Freiheit nehmen, mich zu stellen auf Ihre Treppe. Ich kann stehen«, sagte er, als wolle er eine Einladung des Freiherrn, sich auf die Treppe zu setzen, im voraus ablehnen. »Ich halte aus bis heut abend um fünf. Der gnädige Herr braucht sich meinetwegen nicht zu genieren.« Durch die demütige Fratze Veitels klang es wie Hohn, dem Freiherrn fiel das Schreckliche der Stunde von neuem auf das Herz. Veitel ging mit Verbeugungen an die Tür und zog sich wie ein Krebs aus der Stube. Da rief der Freiherr ihn zurück. Wie festgezaubert blieb er in gekrümmter Stellung stehen. Er sah in diesem Augenblick aus wie ein etwas schwacher und wunderlicher Mensch. Der warnende Brief hatte dem armen Teufel von Buchhalter zur Last gelegt, was vielleicht Ehrenthal selbst gesponnen hatte. Jedenfalls war mit diesem Manne bequemer zu verkehren als mit einem andern.

»Können Sie mir angeben«, fragte der Freiherr mit innerer Überwindung, »wie ich Ihnen für Ihre Forderung Deckung geben kann, ohne daß ich heut oder in diesen Tagen die Summe auszahle?«

Veitels Augen blitzten wie die eines Raubvogels, aber er schüttelte den Kopf und zuckte lange mit den Achseln, während er sich den Schein gab, nachzudenken. »Gnädigster Herr Baron«, sagte er endlich, »vielleicht gibt es ein Mittel, das letzte Mittel. Sie haben eine Hypothek von zwanzigtausend Talern auf Ihrem Gut, welche Ihnen selber gehört und welche bei Ehrenthal im Kontor liegt. Ich will machen, daß der Pinkus Ihnen läßt die Zehntausend, und ich will Ihnen noch schaffen zehn, wenn Sie meinem Freunde zedieren diese Hypothek.«

Der Freiherr horchte auf. »Wahrscheinlich wissen Sie nicht«, entgegnete er streng, »daß ich das Instrument bereits an Ehrenthal zediert habe.«

»Verzeihen Sie, gnädiger Herr, das haben Sie nicht getan, es ist keine gerichtliche Zession vorhanden.«

»Aber mein schriftliches Versprechen«, sagte der Freiherr.

Veitel zuckte die Achseln: »Wenn Sie versprochen haben, dem Ehrenthal zu stellen eine Hypothek für sein Geld, warum muß es gerade sein diese? Und was brauchen Sie eine Hypothek für Ehrenthal? In diesem Jahre erhalten Sie Ihr Kapital, das Sie haben auf der Herrschaft bei Rosmin, dann können Sie ihn bezahlen mit barem Geld. Bis dahin lassen Sie ruhig die Hypothek in seinen Händen, es braucht kein Mensch zu wissen, daß Sie uns gemacht haben eine Zession. Wenn Sie Gnade haben wollen, mit mir zu gehen zu einem Notar und meinem Freunde, vor diesem die Hypothek zu verschreiben, so schaffe ich Ihnen noch heut zweitausend Taler, und an dem Tage, wo Sie das Instrument legen in unsere Hände, zahle ich Ihnen den Rest.«

Der Freiherr hatte sich gezwungen, diesen Antrag mit einem Lächeln anzuhören. Endlich sagte er kurz: »Was Sie mir vorschlagen, kann ich nicht annehmen, denken Sie an einen andern Ausweg.«

»Es gibt keinen«, versetzte Veitel, »aber es ist erst Mittag, ich kann warten bis um fünf.« Er machte wieder seine tiefen Bücklinge und wandte sich an der Tür noch einmal um. »Was Sie, gnädiger Herr, jetzt von Geld brauchen«, sagte er ernst, »das sind nicht die zehntausend Taler allein; Sie werden in den nächsten Monaten noch nötig haben ebensoviel für Ihre Fabrik und um zu retten Ihr Kapital auf der polnischen Herrschaft. Wenn Sie mir zedieren die Hypothek, haben Sie das ganze Geld. Und noch eine Bitte habe ich an meinen gnädigen Herrn: Geruhen Sie, nicht gegen Ehrenthal zu sprechen von unserm Geschäft; er ist ein harter Mann und würde mir schaden mein Leben lang.«

 

»Seien Sie ohne Sorge«, sagte der Freiherr mit einer verabschiedenden Handbewegung. Veitel entfernte sich.

Der Freiherr ging mit großen Schritten auf und ab. Was der ehrerbietige Mann ihm vorgeschlagen hatte, wühlte sein Inneres auf. Ja, es war Rettung für ihn aus dieser und aus kommenden Verlegenheiten, aber er konnte darauf nicht eingehen, das verstand sich von selbst. Er war lächerlich, der ihm den Antrag machte, und man konnte ihm nicht einmal zürnen, er verstand’s nicht anders. Aber der Freiherr hatte sein Wort verpfändet, er durfte an die Sache gar nicht mehr denken.

Und doch, wie gering war für ihn die Gefahr. Die Dokumente blieben ruhig in Ehrenthals Hand, bis der Freiherr seine polnischen Gelder erhielt, dann zahlte er die Summe bar an Ehrenthal und löste sein Dokument ein. Kein Mensch durfte etwas von dem Geschäft erfahren, und wenn es zum Schlimmsten kam, so ließ er eine Hypothek für Ehrenthal auf sein Gut ausfertigen, er bewilligte ihm noch eine Entschädigung, und der Geldmann gab sich zufrieden. Immer wies er den Gedanken von sich ab, und unaufhörlich kam er zurück. Es schlug eins, es schlug zwei Uhr; er klingelte dem Bedienten und befahl anzuspannen und fragte gelegentlich, ob der fremde Mensch noch im Hause sei. Der Kutscher fuhr vor, der Fremde stand unten an der Treppe. Der Freiherr stieg die Stufen hinab, ohne ihn anzusehen, und setzte sich in den Wagen. Als der Diener mit abgezogenem Hut neben ihm stand und fragte, wohin der Kutscher fahren solle, da erst fiel es ihm ein, daß er es selbst nicht wußte. »Zu Ehrenthal«, sagte er endlich.

Ehrenthal hatte unterdes einen unruhigen Vormittag verlebt. Der freche Eingriff, den ein Dritter in seine Rechte gewagt, flößte ihm den Argwohn ein, daß außer ihm noch eine andere unbekannte Macht gegen den Baron spekuliere. Er schickte zu Pinkus, überschüttete diesen mit Vorwürfen und suchte auf jede Weise zu erfahren, woher das Kapital gekommen sei. Pinkus aber war aufs beste geschult, er zeigte eine eherne Stirn und war grob. Darauf schickte Ehrenthal nach Itzig. Itzig war nirgend zu finden.

So war er in unholder Laune, als der Freiherr wieder bei ihm vorfuhr; er wußte am besten, daß diese neue Schuld nicht nötig war, um den Edelmann im ruhigen Lauf der Jahre aus dem Besitz seines Gutes zu bringen, und zürnte ihm deshalb als einem Toren, der sich eine so unnütze Verlegenheit bereitete. Und er sagte ihm mit dürren Worten, daß der Tag gekommen sei, wo die Geldzahlungen aufhören müßten. Es gab wieder eine heftige Szene, der Freiherr ging erbittert aus dem Kontor, setzte sich in seinen Wagen und beschloß, noch einen letzten Versuch bei einem früheren Kameraden zu machen, der als reicher Mann bekannt war.

Es war vier Uhr vorbei, als er hoffnungslos in seinem Quartier ankam. An der Treppe lehnte eine hagere Gestalt, welche dem Vorübereilenden eine tiefe Verbeugung machte und ruhig stehenblieb. Die Kraft des Freiherrn war erschöpft. Er setzte sich in die Sofaecke, wie am Tage zuvor, und starrte vor sich hin. Es gab keine Rettung, das wußte er jetzt ganz genau, keine andere als die, welche dort unten im Schatten des Pfeilers auf ihn lauerte. In einer wüsten Abspannung erwartete er, was kommen würde. Untätig, ohne sein Haupt von der Lehne zu erheben, hörte er die Viertelstunden von vier zu fünf schlagen. Wieder schlug es in seinem Haupt wie mit einem Hammer, jeder Schlag brachte ihn dem Augenblick näher, wo sein Schicksal zu ihm hereintrat. Der letzte Schlag der fünften Stunde war verhallt, der Klingelzug im Vorzimmer zitterte, der Freiherr erhob sich von seinem Sitz. Itzig öffnete die Tür und hielt zwei Papiere in der Hand.

»Ich kann nicht zahlen«, rief ihm der Freiherr mit heiserer Stimme entgegen.

Itzig verneigte sich wieder und bot ihm das andere Papier: »Hier ist der Entwurf zu einem Vertrage.«

Der Freiherr ergriff seinen Hut und sagte, ohne den Fremden anzusehen: »Kommen Sie zu einem Notar!«

Es war Abend, als der Freiherr zu dem Schloß seiner Väter zurückkehrte. Das bleiche Mondlicht glänzte auf den Türmchen und den Vorsprüngen des Baues, schwarz wie Pech war der See, schwarz die Strebepfeiler, welche den Grund des Hauses zusammenhielten. Und farblos wie der Park und das Haus war das Gesicht des Mannes, der sich in dem Wagen zurücklehnte und die Lippen zusammenpreßte wie einer, der nach einem langen Kampfe zur Entscheidung gekommen ist. Er sah gleichgültig auf das Wasser, auf die Mauern seines Hauses und auf das kalte Mondlicht am Dach, und doch war ihm lieb, daß die Sonne nicht schien und daß er das Haus seiner Väter nicht im goldenen Licht des Tages anzusehen hatte. Er mühte sich, in die Zukunft zu denken, die ihm jetzt sicherer war, er überlegte alle Vorteile, die er von seiner Fabrik haben mußte, er dachte hinein bis in die Zeit, wo sein Sohn hier wohnen würde als ein befestigter reicher Mann, ohne die Sorgen, die den Vater in die Gemeinschaft mit niedrigen Geldleuten geführt und sein Haar gebleicht hatten. Er dachte an alles, aber auch die liebsten seiner Gedanken waren ihm gleichgültig geworden, und er mußte sich zwingen, sie festzuhalten. Er stieg ab und griff nach der gefüllten Brieftasche, bevor er seiner Gemahlin die Hand reichte und Lenore mit einem Kopfnicken grüßte, welches ihren ängstlichen Blick beruhigen sollte. Er sprach herzlich zu den Frauen, und es gelang ihm, Scherze über den unruhigen Tag zu machen; aber er fühlte, daß etwas zwischen ihn und seine Liebsten getreten war; auch sie erschienen ihm fremd. Wenn sie sich an ihn lehnten und seine Hand faßten, so zuckte er leise, als müsse er die Hand zurückziehen. Und wenn seine Frau ihn zärtlich ansah, da lag in ihrem Blick, auf den er immer, auch im größten Leid, als auf die letzte Hilfe hingesehen hatte, jetzt etwas, das er nicht ertragen konnte, und er schlug das Auge zu Boden. Er schritt zu der Fabrik, wo die Leute noch auf die Ankunft des Herrn warteten, und erblickte seinen Namenszug, der aus bunten Lampen zusammengesetzt über der Tür brannte, darüber die siebenzinkige Krone seines Geschlechts; und er wandte die Augen ab, der Glanz der Lampen stach ihn in die Seele.

Um ihn jubelte die Freude, die Arbeiter brachten ihm ein Hoch nach dem andern aus, die Dorfmusik spielte wieder lustige Tänze. Sie spielten auch denselben Marsch, unter dem er einst mit dem Regiment oft vor seinem alten General vorbeimarschiert war, der den jungen Offizier wie ein Vater geliebt hatte. Er dachte an das narbenvolle Gesicht des alten Kriegers und an seine Kameraden, er dachte auch an ein Ehrengericht, das die Offiziere des Regiments einst über einen Unglücklichen gehalten hatten, der sein Ehrenwort leichtsinnig gegeben und gebrochen. Er ging in sein Schlafzimmer, und ihm war wohl, als es um ihn finster wurde und er nichts mehr von allem sah, nicht sein Schloß und seine Fabrik, nicht den prüfenden Blick seiner Frau. Und wieder hörte er auf dem Lager eine Stunde nach der andern schlagen, und bei jedem Schlage mußte er denken: Es gibt jetzt einen andern Mann vom Regiment, der mit grauem Haar dasselbe getan hat, was damals einen Jüngling dazu brachte, sich eine Kugel in den Kopf zu schießen. Hier liegt der Mann und kann nicht schlafen, weil er sein Ehrenwort gebrochen hat.