Max Reinhardt in Leopoldskron

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»Jedermann«

Mitte April 1920 wurde von der Salzburger Festspielhausgemeinde feierlich beschlossen, trotz aller Ernährungsschwierigkeiten das »Sommerspiel« vorzubereiten. Man hatte sich entschlossen, auf das Schauspiel in einer Kirche zu verzichten und Reinhardts Vorschlag zu folgen, den Jedermann im Freien, auf dem Domplatz, aufzuführen. Fürsterzbischof Dr. lgnatius Rieder begrüßte dieses Vorhaben. Er schrieb am 21. Juli 1920 an Max Reinhardt:

Für das freundliche Schreiben do. 16. Juli ergebenst dankend, kann ich nur wiederholen, daß ich mich vom Herzen freue, wenn dieses tiefergreifende Spiel zur glücklichen Aufführung kommt; es wird einen mächtigen reinigenden Eindruck machen. Für alle Arbeiten, die Sie, hochgeehrter Herr, im Dienste idealer Zwecke machen, bestens dankend, bin ich

Ihr ganz ergebener

Dr. Ignaz Rieder

Fürsterzbischof von Salzburg

Als es dann im August tatsächlich dazu kam, schien sich zunächst alles gegen dieses Unterfangen zu verschwören: Unruhen in der Stadt und die Unsicherheit des Wetters, mit der man freilich in dem regenreichen Salzburg in bösen und in guten Zeiten immer rechnen musste. Max Reinhardt hat – zwanzig Jahre später – in Amerika in einem Brief geschrieben:

Die Salzburger Festspiele habe ich gegründet, als eine Hungerrevolte in der Stadt wütete und als man den Wein aus den Kellern des Hotel Europe auf die Bahnhofstraße laufen ließ. – Aber am Nachmittag brach die Sonne durch und die Leute saßen stramm auf dem Domplatz. Das ist freilich vorüber, aber es hat immerhin achtzehn Jahre gedauert, und die große Welt ist in die kleine Stadt gepilgert.

Alles, was in späteren Jahren so selbstverständlich schien, musste in diesem ersten Sommer geschaffen und erkämpft werden. Die Bühne auf dem Domplatz, die Tribünen für die Zuschauer, der Raum für Proben – in der Aula der alten Universität – die Verteilung der Schauspieler-Garderoben in die Häuser im Dombezirk, die Jedermann-Rufe von den Türmen der Stadt. In letzter Minute musste ein ansprechendes Programm für die Aufführung entworfen werden. Landeskonservator Eduard Hütter, ein fähiger Zeichner und Architekt, der auch für Reinhardt und die Festspiele tätig war, wurde mit dieser Aufgabe betraut. Aber er war in diesem ersten Festspielsommer so überanstrengt, dass ihm die Ausführung dieses Auftrags nicht leicht fiel. Ich hatte damals gerade Wilhelm Worringers »Altdeutsche Buchillustration« gelesen. Der Holzschnitt »Der reiche Narr und der Tod« aus Sebastian Brants »Narrenschiff« (Basel, Bergmann von Olpe, 1494) schien mir die Lösung des Programm-Problems zu bringen. So zeigte ich Hütter das Buch. Er sah die Reproduktion des Holzschnittes, und die Idee leuchtete ihm ein. Die Programmillustration für die erste Jedermann-Aufführung war gefunden. Eine große Erleichterung für Hütter und eine Freude für mich.

Reinhardt lag, begreiflicherweise, ungemein viel an dem Läuten der Kirchenglocken in entscheidenden Augenblicken der Aufführung. Es gab keinen Präzedenzfall dafür, und es schien hoffnungslos. Schließlich gelang es mir aber doch, es in seinem Namen bei den geistlichen Behörden durchzusetzen, und ich werde seinen Blick zu mir herüber nie vergessen, als bei der Premiere des Jedermann die Glocken zum ersten Mal zu läuten begannen.

Zum ersten Mal trat der Spielansager vor, und über die Stille der Menschen auf dem weiten Platz kam der Auftakt des » Spieles vom Sterben des reichen Mannes« –

zum ersten Mal die Stimme des Herrn von der Höhe des Domes, in seiner Zwiesprache mit dem Tod –

zum ersten Mal der Auftritt Moissis aus der Reihe der Zuschauer, wo er in dunklem Mantel gesessen hatte –

zum ersten Mal der Arme Nachbar; – Schuldknechts Weib, Tiny Senders, mit zwei Salzburger Kindern –

zum ersten Mal die vergnügten Fackelbuben, die in vielen Proben in der Aula vom Hilfsregisseur Richard Metzl abgerichtet worden waren – die Buhlschaft von Johanna Terwin, der Gattin Moissis – das Auftreten der Tischgesellschaft aus den Domarkaden, ihr marionettenhafter Tanz – die lange Tafel, und zum ersten Mal Moissis Erschauern vor der Ungeheuerlichkeit des Todes –

zum ersten Mal Krauß als Tod und als Teufel – den Hofmannsthal allerdings lieber von einem Komiker als von einem Charakterdarsteller gespielt haben wollte. Hofmannsthal hatte dies in einem an mich gerichteten Brief für Reinhardt, in dem es um Besetzungsfragen ging, ausführlich begründet. Er schrieb, dass ihn

…bezüglich der Besetzung von Jedermann alles befriedige bis auf den leidigen Punkt, daß nun abermals den Teufel ein Charakterspieler geben soll an Stelle eines Komikers; wenn auch ein sehr guter Charakterspieler, nämlich Krauß. Der Teufel ist nun aber einmal der Hanswurst, und gar in einer naiveren Sphäre, wie es das katholische und ländliche Salzburg ist, scheint mir alles darauf anzukommen, daß es in diesem Punkt stimmt. Die andere Figur, die unbedingt von einem Komiker gespielt werden müßte, ist der Dünne Vetter …

Zum ersten Mal Helene Thimig, die später den Glauben spielte, damals als Gute Werke, Dieterle, der Gute Gesell, Frieda Richard als Jedermanns Mutter – und dann der dunkle Leichenzug im Schatten des Domes, während Jedermanns Seele sich zum Himmel aufschwingt.

Zum ersten Mal die Jedermann-Rufe von den Türmen der Kirchen und, der erschütterndste von allen: der Jedermann-Ruf von der Festung, den der Wind geisterhaft herabtrug –

zum ersten Mal der Flug der Tauben, die, ihrem eigenen Stichwort folgend, unverhofft aus den Domtüren aufflogen, aber immer, so schien es, an einer Stelle des Dialoges, die ihrem Flug etwas Symbolisches gab –

zum ersten Mal das Spiel von Sonne und Wolken, von jähen Windstößen, die Todesschauer über die gebannte Menge der Zuschauer trugen –

zum ersten Mal die Dämmerung, die sich kühl über den Platz herabsenkte, so dass zuletzt nur noch die Türme des Domes im warmen Licht des Sonnenunterganges ragten. Leise vom Winde bewegt der gotische Faltenwurf des blauen Mantels des Glaubens, der aus der Dunkelheit des Domportales trat, die Engel – und schließlich der Jubel der himmlischen Chöre.

Zum ersten Mal Moissis erschütterndes Vaterunser.

Reinhardt saß in der Nähe des Fürsterzbischofs, dem in andächtigem Zuhören stille Tränen über die Wangen rollten. Als er Reinhardt nach der Vorstellung die Hand drückte, sagte er, dass diese Aufführung besser sei als eine Predigt.

So wurde am 22. August 1920 der Grundstein für ein wahres Festspiel gelegt, das, nach achtzehn triumphalen Jahren, die Okkupation Österreichs, Krieg und Nachkriegsnot überdauern sollte, um selbst heute noch weiterzubestehen.

Januskopf Salzburg

Die Stadt, in der ein Mozart geboren wurde und wirkte –

Die Stadt, deren Fürsterzbischof ein göttliches Genie, eben diesen Mozart, wie einen Dienstboten behandelte –

Die Stadt, über deren Bürger Mozart an seinen Vater 1779 den bitteren Satz schrieb: »Ich schwöre Ihnen bei meiner Ehre, daß ich Salzburg und seine Einwohner – ich rede von geborenen Salzburgern – nicht leiden kann. Mir ist ihre Sprache, ihre Lebensart ganz unerträglich.«

Die Stadt, in der ein Kirchenfürst wie Fürsterzbischof Dr. lgnatius Rieder, ein reiner Mensch von überragendem Menschentum, das Genie Max Reinhardts erkannte und die Aufführung des Jedermann auf dem Domplatz ermöglichte.

Die Stadt, in der ein verbrecherischer Bombenanschlag auf eben dieses Genie in Schloss Leopoldskron den Auftakt bildete zur Vertreibung von Max Reinhardt und Arturo Toscanini.

Die Stadt, die unter der Ägide eben dieser beiden Genies viele Jahre hindurch während der Sommerwochen die herrlichsten Festspiele veranstaltet hatte, zu denen Menschen aus aller Herren Ländern pilgerten.

Die Stadt, die alljährlich am Tage nach Festspielschluss – eben dieser Festspiele, von deren Ertrag sie dann das Jahr über lebte – Künstler, Veranstalter und Publikum beschimpfte. Der ewige Kleinstadtkampf der »Dasigen« gegen die »Zug’roasten«.

Max Reinhardt kannte den Januskopf dieser Stadt, er gab sich keinen Illusionen hin. Ungetrübt davon bestand daneben, was er an Salzburg liebte: das Ewige, Unverwüstliche, das Österreichische. Die Landschaft, die uralte Kultur, die sich in den Gebäuden so herrlich offenbart. Er hat darüber geschrieben:

Hier wuchs nichts wie sonst zufällig. Ein mächtiger Baumeister hat die ganze Stadt gebaut. Wenig oder nichts verändert. Freudige prunkvolle Ekstase der Gebäude – die barocken Linien der Kirchen, Paläste und Häuser gegen die Höhen der Berge, die in den Himmel ragten – ist Musik.

Max Reinhardt verbrachte einen großen Teil des Sommers und Herbstes 1919 in Leopoldskron. Alles war damals im Werden: Haus, Garten, Landwirtschaft, vor allem aber die Festspiele. Max Reinhardts Plan, in Salzburg Festspiele zu veranstalten, reichte Jahre zurück. Unmittelbar vor dem Krieg war er durch das Obersthofmeister-Amt an den alten Kaiser mit dem Vorschlag herangetreten, Hellbrunn zu einem internationalen Festspiel-Zentrum zu machen. Der Erlös sollte den Invaliden zugute kommen. Der Ausbruch des Weltkrieges und der Tod des Kaisers erstickte dieses Projekt im Keim.

Eine Welt lag in Trümmern, aber den »Heimkehrer« Max Reinhardt umfing in dieser Landschaft, in dieser kulturumwitterten Stadt der alte Zauber mit erneuter Kraft. In Hofmannsthal zog er einen Mitarbeiter heran, einen Dichter, dessen Wissen und Weltklugheit den Plan förderten, schwerflüssige Verhandlungen ins Rollen brachten und der Reinhardts Begeisterung teilte. Klarer denn je hoben sich Ewigkeitswerte von dem düsteren Hintergrund dieser Jahre ab. Ein Kaiserreich war untergegangen, aber die unsterbliche Seele des Landes Österreich brannte wie eine Flamme in den Berufenen. In Weihnachtsspielen, in Calderons Welttheater, im alten Mysterienspiel des Jedermann sollte, was aus der Seele des Volkes geboren war, auferstehen und dem Volke wiedergegeben werden. Nicht einigen wenigen Bevorzugten, sondern Menschen aller Stände, aller Länder, in denen die Freude am Theater, an der Erhebung durch ein Schauspiel ruhte und der Erweckung harrte.

 

Im Herbst 1919 war es vor allem ein Weihnachtsspiel, das Max Reinhardt zu verwirklichen hoffte. Eine der ersten Aufgaben in dieser Zeit war es damals, die Erlaubnis zu erwirken, dieses Weihnachtsspiel in der Franziskanerkirche aufzuführen. Im geheimnisvollen Dunkel dieser frühen gotischen Kirche, umrahmt von den hohen Säulen, vor uralten Gittern, die Einfachheit des Halleiner Weihnachtsspieles – draußen die schneeklare Winternacht! Es sollte ein Auftakt zu den sommerlichen Festspielen sein. Die Verhandlungen waren überaus schwierig, aber schließlich gelang es, die Hindernisse zu überwinden, was Reinhardt ungemein beglückte.

Er war davon überzeugt, dass noch viele unbekannte Volksschauspiele in den Salzburger Bibliotheken zu entdecken sein müssten. Beim Zusammenstellen einer Bibliographie fand sich die Comedi vom Jüngsten Gericht in der weißkühlen staubduftenden Studienbibliothek. Der Gedanke an eine Bearbeitung und Inszenierung dieses Werkes beschäftigte ihn lange. 1755 zum ersten Mal in Altenmarkt bei Radstadt aufgeführt, hatte es in seiner Bitterkeit sehr viel Zeitgemäßes, das an das bestehende Nachkriegselend anknüpfte.

Reinhardt hörte um diese Zeit auch von einem sogenannten Herbergspiel, das in Oberndorf aufgeführt worden war. Man sagte ihm, dass Grundinger, ein Briefträger in Oberndorf, der im Nebenberuf Dichter und Direktor des Oberndorfer Heimattheaters war, den Text kenne, der nur in mündlicher Überlieferung existierte. Leider wusste Grundinger nur noch das Mittelstück … Da sein Beruf es ihm nicht gestattete, ein Gespräch in seinem Hause zu führen, musste man ihn beim Austragen der Briefe begleiten, während er rezitierte, was ihm noch im Gedächtnis war. Er hatte viel gelesen, geriet aber manchmal mit schwierigen Worten in Konflikt, wie etwa Wallensteins »Trikolore«. Verzweifelt versuchte ich, etwas von dem alten Herbergspiel festzuhalten, aber ich brachte nur die Erinnerung an eines der vielen Originale, die im Salzburgischen leben und noch etwas von der uralten Kultur überliefern, mit.

Reinhardt wollte alle bodenständigen Quellen ausschöpfen, denn es war ihm bewusst, wie tief verwurzelt das Theater in diesen bajuwarischen Ländern war. Da waren Paradeisspiele, die Spiele der Laufener Schiffer, das Fischerstechen, die Küfertänze, die schönen und die wilden Perchten, der Salzburger Hanswurst in den Hanswurstspielen, die durch alle Länder gingen. Im Stein­theater von Hellbrunn waren ab 1615 Opern aufgeführt worden. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts wurde im Park des Mirabellschlosses ein Heckentheater errichtet. Hieronymus Colloredo ließ 1775 aus dem alten Ballhaus ein Theater für siebenhundert Personen bauen, wo Shakespeare, Schiller, Goethe, Lessing und auch Opern aufgeführt wurden, und schließlich zog 1780 noch Schikaneder mit einer Truppe dort ein. Das Aulatheater in der Universität war schon seit 1623 der Mittelpunkt für die Barock-Theaterwelt Süddeutschlands. Reinhardt war tief ergriffen von der Tragödie der Passionsspiele und der Marienklagen. Immer wieder hatte er gehofft, vielleicht durch einen einheimischen Dichter, eine würdige bühnenmäßige Gestaltung dafür zu finden. Der gotischen Einfachheit Helene Thimigs wollte er damals den Monolog einer der erschütternden Marienklagen anvertrauen. Seine Liebe zu den Schöpfungen mittelalterlicher Kunst stand seiner Freude an Werken des Barock nicht nach. Frühe Musik, Dichtung, Bildhauerei, vor allem aber Gemälde, hatten für ihn eine magische Anziehungskraft. Im damaligen Herbst sah er zum ersten Mal die Bilder des Meisters von Großgmain, die in der kleinen Kirche von Großgmain, fast versteckt vor der Außenwelt, Jahrhunderte überdauert haben. Immer wieder fuhr er in dieses Dorf, um sie zu sehen. Bis an das Ende seines Lebens zog er sie als Beispiel heran, wenn er eine bestimmte Absicht im Zusammenhang mit einer frühen Dichtung dieser Epoche klarmachen wollte. Ein Bild von Bartholomäus Zeitblom, der Heilige Petrus, das er ein Jahr vorher erworben hatte, war für ihn eine dauernde Quelle der Freude. Es war ein Tafelgemälde, »– auf goldenem Grunde gemalt –«, in leuchtenden Farben. Im Arbeitszimmer Max Reinhardts hat es in den langen Stunden seiner nächtlichen Arbeit auf ihn herabgeschaut, und, wenn es so etwas gäbe, müsste dieses Bild geladen sein mit der Intensität seiner andächtigen Betrachtung. Als er später die Bibliothek in das Schloss einbaute, machte er dieses Bild zum Mittelpunkt des Raumes. Es wurde dem Kamin gegenüber mit seinem dunklen Rahmen in das warme Goldbraun der Holztäfelung eingefügt. Zu den ersten Erwerbungen dieser Jahre gehörte auch noch eine geschnitzte Holzfigur: König David.

Mittelalterliche Mystik, Kirchenmusik, die gregorianischen Gesänge der Nonnen im Stift Nonnberg haben Reinhardt stets aufs Neue angezogen.

»Der Cherubinische Wandersmann« des Spätmystikers Angelus Silesius gehörte zu den Schriften, die er immer wieder las und in dessen Einfachheit er sich vertiefte.

Die Aufführung von Goethes Urfaust im Herbst 1920 im Deutschen Theater mag von seinem damaligen Aufenthalt in Salzburg beeinflusst worden sein. In Helene Thimig hatte er ein Gretchen, das sich in den gotischen Rahmen dieser Inszenierung besonders gut fügte. Der Berliner Kritik aber war dieser Rahmen zu eng, die Einfachheit zu groß.

Es wurde Ende September. Dem Plan der weihnachtlichen Aufführungen stellten sich neue Schwierigkeiten entgegen. Reinhardt hatte damit gerechnet, dass Hugo von Hofmannsthal das Halleiner Weihnachtsspiel bearbeiten würde. Doch dieser befürchtete offenbar, dass das Salzburger Grosse Welttheater, an dem er arbeitete und dessen Aufführung ursprünglich bereits für den ersten Festspielsommer vorgesehen war, dadurch beeinträchtigt werden könnte. In einem Brief an den Dichter – einem der ersten, die ich aus Leopoldskron schrieb – ließ Reinhardt durch mich mitteilen:

Von seiner letzten Unterredung mit Ihnen, sehr geehrter Herr Doktor, hatte [Reinhardt] den Eindruck mitgenommen, daß Sie einverstanden seien, das Spiel zu bearbeiten. Ohne daß natürlich etwas Bindendes darüber gesagt worden wäre. Deshalb hatte er damals gleich mit den Herren von der Festspielhausgemeinde über das Projekt gesprochen, die es mit solcher Begeisterung aufnahmen, daß es schwer wäre, die Sache jetzt direkt abzusagen. Mißtrauen gegen die späteren Unternehmungen könnte daraus allzu leicht entstehen. Aber Herr Professor Reinhardt ist überzeugt davon, daß die Sache nicht mehr zustande kommt, wenn er sie von nun an nicht mehr mit starker Energie betreibt. Von der Lyrik des Weihnachtsspiels wäre das großangelegte Welttheater wohl nicht geschädigt worden, denn die Verschiedenheiten sind doch in jeder Hinsicht so groß, daß die Gefahr einer Kollision wohl nicht zu befürchten gewesen wäre … Durch die Aufführung dieses schönen Weihnachtsspiels hätten viele Körperschaften der Stadt herangezogen, interessiert werden können. Der Festspielsache wäre – vorläufig nur in Salzburg selbst – guter Boden bereitet worden, was unter den augenblicklichen Verhältnissen gewiß nicht unrichtig ist.

Schließlich betraute Reinhardt den österreichischen Dichter Max Mell mit der Aufgabe, das Spiel zu bearbeiten, und Hofmannsthal schrieb mir:

… kurz und gut, wenn die Wintersache zustande kommt, so werde ich ihr auch alle Teilnahme schenken und meinen Freund Max Mell so beraten, als ob ich selbst die Verantwortung dafür hätte. Bitte, verehrtes Fräulein, sagen Sie das noch Max Reinhardt.

Alfred Roller sollte die Dekorationen entwerfen, und Bernhard Paumgartner, ein besonderer Kenner bodenständiger, geistlicher Musik, übernahm die musikalische Ausgestaltung. Im Oktober fand sogar eine Probe in der Franziskanerkirche statt. Im Laufe späterer Verhandlungen war auch eine Aufführung im Salzburger Dom erwogen worden. Die Zeit drängte, und die Arbeit schritt zu langsam vorwärts. Als Mells Manuskript endlich nach Berlin an Max Reinhardt gesandt werden sollte, hatten sich die Verhältnisse in Österreich und Deutschland verhängnisvoll zugespitzt. Eine Verkehrs- und Postsperre wegen Kohlenmangels wirkte lähmend. Nur Entente-Züge durften noch verkehren. Das Weihnachtsspiel musste schließlich vom österreichischen Gesandten, Ludo Hartmann, persönlich nach Berlin mitgenommen werden, um überhaupt in Reinhardts Hände zu gelangen. Die Unmöglichkeit, Festspielgäste zu Weihnachten nach Salzburg zu befördern, in geheizten Zimmern unterzubringen, geschweige denn dort zu verköstigen (obwohl das ursprünglich sichergestellt erschien), brachte schließlich den schönen Plan zum Scheitern.

In den ersten Salzburger Herbstwochen hatte Max Reinhardt nicht nur das Weihnachtsspiel vorbereitet. Die Verhandlungen mit der Salzburger Festspielhausgemeinde griffen in die Zukunft. Reinhardt wusste, dass der Bau eines Festspielhauses eine Lebensnotwendigkeit sei. Nicht zuletzt wegen der Unbeständigkeit des Salzburger Klimas, denn Salzburg gehört zu den regenreichsten Städten der Welt. Die Erfahrung späterer Jahre hat das immer wieder bestätigt, und die Festspielhausgemeinde musste für den Jedermann alljährlich eine Regenversicherung abschließen. Zunächst wurde Reinhardts ursprüngliches Projekt im Hellbrunner Park erwogen, und dort wurde dann auch tatsächlich ein Grundstein gelegt. Helene Thimig beschreibt in ihrem Beitrag zu dem Buch »Hugo von Hofmannsthal, Die Gestalt des Dichters im Spiegel seiner Freunde«, wie Reinhardt beim Weggehen von der Grundsteinlegung zu ihr und Hofmannsthal gesagt habe: »So. Das kommt niemals zustande –« und dann erklärte, dass alles Bleibende aus einem Provisorium wachse, mit einem Wort, dass es nur ein Weiterbauen, Anbauen oder Umbauen gäbe. Wie er dann gleich von der großen Winterreitschule in Salzburg gesprochen und sie in das »provisorische« Festspielhaus umzugestalten begann. Der Umbau der Reitschule sollte es ermöglichen, die Aufführung des Jedermann auch bei Regen abzuhalten. In diesem Gespräch mit Hofmannsthal lag die Keimzelle alles Künftigen, wie es sich dann tatsächlich verwirklicht hat.

Reinhardt hatte der Festspielhausgemeinde Hans Poelzig als Architekten, der die ersten Entwürfe machen sollte, vorgeschlagen. Er kannte ihn als einen genialen Schöpfer, der sich in den barocken Geist der Stadt einfühlen würde. Neben ihm wurde dann noch der berühmte österreichische Architekt Josef Hoffmann zu dem Wettbewerb herangezogen. Ein Salzburger Architekt, den die Festspielhausgemeinde vorschlug, Wunibald Deininger, durfte ebenfalls einen Entwurf einreichen. Poelzig fuhr nach Salzburg, um sich zu orientieren. Seine Pläne und ein Modell wurden 1920, eine etwas vereinfachte Fassung dann 1921 unterbreitet, aber niemals ausgeführt. Sie werden vor der Nachwelt immer als eine grandiose Lösung eines Plans für ein barock-manieristisch anmutendes Festspielhaus bestehen.

Was Max Reinhardt prophezeit hatte, erfüllte sich: durch den Umbau des ehemaligen erzbischöflichen Hofmarstalles, den Wolf Dietrich 1607 erbaut hatte, wurde ein Provisorium geschaffen. Aus diesem Provisorium hat sich dann, in Jahren vielfacher Umbauten, Anbauten und Ausgestaltungen, das Festspielzentrum, wie es 1937 bestand – der letzte Festspielsommer, den Max Reinhardt in Salzburg verbrachte –, entwickelt. Die einzelnen Phasen dieser Entwicklung waren ungemein schwierig. Geldmangel, Inflation, politische Wirren, Kurzsichtigkeit und Neid lokaler Kreise, Bürokratismus und nicht zuletzt der langsame Trott des alten österreichischen Amtsschimmels mussten überwunden werden. Es war ein dorniger Weg, der ungezählte, meist fruchtlose Begehungen einschloss, die dann zumeist in ebenso fruchtlosen Sitzungen endeten. Dem Verständnis und dem Glauben einiger weniger Einsichtsvoller, vor allem aber auch dem Kunstrat (Max Reinhardt, Richard Strauss, Franz Schalk, Hugo von Hofmannsthal und Alfred Roller) ist es zu danken, dass Reinhardts Pläne verwirklicht werden konnten. Der Umbau des Hofmarstalles, zuerst dem Architekten Eduard Hütter anvertraut, von Bürgermeister Ing. Hildmann bis an die Grenzen der Aufopferung weitergeführt, wurde schließlich unter Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl, den Reinhardt ungemein verehrte, vollendet. Durch die teilweise Überdachung wurde die unvergessliche Faust-Aufführung Max Reinhardts ermöglicht, nachdem die »Fauststadt« genau nach seinen Angaben und Entwürfen erbaut worden war. Ein bleibendes Zeugnis für das Allumfassende seines Genies, das nicht nur den Schauspieler, sondern auch Dichter, Musiker, Maler und nicht zuletzt Baumeister befruchtete.

 

In Erzbischof Dr. Ignatius Rieder hatte Reinhardt einen begeisterten, verständnisvollen Förderer, der zum Zustandekommen des Jedermann auf dem Domplatz entscheidend beitrug. In einer Zeit, in der engstirnigster Rassenhass sich bereits bedenklich verdichtete, erklärte er: »Ein guter Jude wie Reinhardt ist mir lieber als ein schlechter Christ.« Max Reinhardt sagte von ihm immer wieder: »Das ist ein Heiliger.«