Max Reinhardt in Leopoldskron

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Schlösser – Häuser – Wohnungen

In diese ersten längeren Aufenthalte in Salzburg fielen aber auch noch andere Pläne, die Reinhardt verfolgte. Er wollte seinen Bruder Edmund, von dem er sich nie lange trennte, in seiner Nähe haben. So suchte er für ihn einen kleinen Besitz, der Edmunds Lebensweise mehr entsprach als die Weitläufigkeit von Leopoldskron. Man erzählte ihm von einem kleinen Schloss Ursprung, auf einer Art Hochebene, oberhalb von Hallwang. An einem schwülen Tag fuhr er hinaus. Er wunderte sich über den merkwürdig grauen, bedeckten Himmel. »Schneeblüat«, sagte der Kutscher, während der Wagen auf der sanft ansteigenden Straße hinaufknarrte. Zwischen uralten Bäumen stand ein kleiner Bau, der Reinhardt entzückte. Einfaches, heiteres Barock. Innen watteauartige Sopraporten, alte Öfen und schöne Parkettböden, die Reinhardt später für die Ausgestaltung der Bibliothek in Leopoldskron erwerben konnte. Unter den mächtigen Bäumen stand ein barocker Steintisch, in den sich Reinhardt ebenfalls sofort verliebte. Erst viele Monate später, nach allerhand fruchtlosen Versuchen, gelang es, ihn vor dem Verfall dort oben zu retten und für Leopoldskron zu kaufen, wo er einen Ehrenplatz auf der »Zwergelwiese« erhielt.

Bei einer Jause unter den hohen Bäumen kam Reinhardt mit einem alten Bauern ins Gespräch, und der Kutscher stimmte in dessen Jammer über die schweren Zeitläufte ein. Über der Salzburger Ebene stiegen der Untersberg, der Hohe Göll und das feingestreckte Tennengebirge in den Abendhimmel Dieses Schloss Ursprung, der Ausblick über das gesegnete Land, die Stimmung dieses Spätherbstabends haben Reinhardt ebenfalls sein Leben hindurch begleitet. Es kam nicht zu dem Kauf, aber Schloss Ursprung blieb für ihn ein Begriff, an dem er im Lauf der Jahre immer wieder vieles maß.

Ein anderes Schloss noch hat Reinhardts Phantasie jahrelang beschäftigt: Kleßheim. Der unvollendete Prachtbau Fischer von Erlachs hatte etwas von einem verwunschenen Schloss. Eine Mauer umgab den ganzen Besitz; dunkel standen Baumgruppen in den moosigen Wiesen und im alten Fasangarten. Ludwig Viktor, ein Bruder des Kaisers Franz Joseph, war dort den größten Teil seines Lebens in einer Art Exil gewesen, wenn er auch offiziell immer wieder an verschiedenen Ereignissen in Salzburg teilnahm. So erinnerte sich Max. Reinhardt immer daran, dass Schauspieler bei Benefizvorstellungen goldene Dukaten vom Erzherzog erhielten. Die Einrichtung des Schlosses war eine Orgie in blau-weiß. An den Wänden der unwohnlichen Zimmer hingen zahllose Stiche und Photographien in Tannenholzrahmen. Am wertvollsten war das – ebenfalls blauweiße – Porzellan verschiedenster alter Marken. Das Ganze ein sonderbares Gemisch von Echtem und Geschmacksverirrungen, die für das Ende des 19. Jahrhunderts und besonders für habsburgische Schlösser dieser Epoche so charakteristisch sind.

Nun sollte dieser Besitz aufgelöst werden. In einem der Nebengebäude residierte der alte Baron Gautsch, in dessen Händen die Verwaltung des Schlosses lag. Auch er eines der zahlreichen Originale, mit denen gerade Salzburg so reich gesegnet war. Reinhardt, der damals nach Kleßheim fuhr, um alles zu besichtigen, interessierte diese altösterreichische Type nicht weniger als das E.-T.-A.-Hoffmann-Milieu, in dem sie wie eine unförmige Qualle herumschwamm. Er wurde niemals müde, Menschen zu beobachten, und wenn er seiner Sammlung eine neue Spezies hinzufügen konnte, war der Tag für ihn nicht verloren. Sein brennendes Interesse an Menschen war von Güte und Humor durchsetzt. Sein Gedächtnis für Physiognomien war unfehlbar. Er konnte sogar nach vielen Jahren noch rekonstruieren, wo er den Betreffenden gesehen hatte.

Reinhardt erwarb damals in Kleßheim keine Antiquitäten. Hingegen engagierte er im Lauf der nächsten Jahre einige der erzherzoglichen Angestellten für Leopoldskron. Unter ihnen war Franz, einstiger Kammerdiener und Vorleser Ludwig Viktors, vielleicht die interessanteste Erscheinung. Die Rolle, die er in Reinhardts Diensten spielte, war immer etwas chargiert. Auch er eine sonderbare Blüte in Reinhardts Menschensammlung. Sein Tod in Venedig war ein tragisches Ende dieses Kammerdieners par excellence. Was Reinhardt damals noch ganz besonders erschütterte, war das Sterben eines Menschen in dieser strahlenden Sonne, dieser unfasslich grausame Kontrast.

Im Lauf des Jahres sah Max Reinhardt Schloss Kleßheim immer wieder an, denn der Gedanke, es in das Festspielzentrum zu verwandeln oder Aufführungen dort zu veranstalten, tauchte stets aufs Neue auf. Erst dreizehn Jahre später, im August 1932, sollte sich dieser Traum, die Schönheit Kleßheims in eine Inszenierung zu verweben, verwirklichen: in einer der reizvollsten Sommernachtstraum-Aufführungen, einstudiert mit Schülern seines Wiener Schauspielseminars. Die Zuschauer wanderten von Schauplatz zu Schauplatz, Wiesen, Wald und Schloss spielten mit. Der große Prunksaal war der Rahmen für den letzten Akt, und ein unbeschreiblicher Zauber lag über dem Raum, als die letzten Worte Oberons in der Dämmerung verklangen. Schöner und würdiger hat sich Fischer von Erlachs Bau nie erfüllt als an diesem Abend.

Zu den Festspielprojekten in diesem Herbst 1919 gehörte auch der Plan, eine der Wiesenmulden auf dem Mönchsberg für den Bau eines Theaters zu benützen. Die amphitheatralische Form war gegeben und damit die Hoffnung, Baukosten zu verringern. Der Berg mit seinen sanften Wiesen, der Ausblick auf Stadt, Ebene und Berge, die herrlichen alten Bäume – alles schien dafür geschaffen, den Mönchsberg in einen Festspielberg zu verwandeln. »Es is’a freudigs Umanandschaun – « hieß es in einem alten Buch (über die Aussicht vom Mönchstein). »Begehungen« fanden statt, mit viel Kopfschütteln einschlägiger Behörden, Reden und »Anberaumen« von Sitzungen – manches schien auch Max Reinhardt, der den Mönchsberg liebte, einleuchtend, aber schließlich musste, aus vielerlei Gründen, doch von diesem Projekt abgesehen werden.

Reinhardt war immer auf der Suche nach alten Häusern oder kleinen barocken Schlössern. Anfangs war es eher ein Spiel, denn er hatte ja Leopoldskron und in Berlin die Wohnung im Schloss Bellevue, nachdem er vom Kupfergraben ausgezogen war. Als er Bellevue 1933 aufgeben musste, wurde die Wohnungssuche in Wien wirklich akut.

In den frühen Jahren seiner Tätigkeit in Wien war es gelungen, nach endlosen Verhandlungen mit den verzopften Behörden, ihm eine Wohnung in der Hofburg zu verschaffen. Zuerst auf der Adlerstiege, später auf der Zuckerbäckerstiege.

Der Traum, in Schönbrunn zu wohnen, wo er ja später in seinem Seminar im Schönbrunner Schlosstheater unterrichtete, hat sich nie erfüllt. Verhandlungen mit einem Wiener Anwalt, Dr. Dechant, wurden geführt. Reinhardt gab mir – es muss in den Jahren 1924/25 gewesen sein – in einem langen Brief, den ich an Dr. Dechant schreiben musste, die Unterlagen für eine Eingabe, die der Anwalt an das Bautenministerium und das Unterrichtsministerium richten sollte. Es geht daraus hervor, dass Reinhardt damals neben seiner Tätigkeit am Theater ein Filmunternehmen plante, das Amerikaner finanzieren würden. Er wollte in den staatlichen Schönbrunner Ateliers Filme mit einem Ensemble künstlerischer Kräfte und der Heranziehung österreichischer Dichter und Musiker ins Leben rufen. Richard Strauss hatte sich verpflichtet, die Musik für einen Film zu komponieren. Aber alles scheiterte an dem Bürokratismus der Behörden. Reinhardts Konzept für den Brief an Dr. Dechant lautete folgendermaßen:

Für die Eingabe an das Bautenministerium und das Unterrichtsministerium empfiehlt Prof. R. den ausdrücklichen Hinweis auf folgende Punkte: Schon im vergangenen Frühjahr ist ihm (auf besondere Verwendung des damaligen Vizekanzlers und Ministers Dr. Breisky, des Ministers Dr. Grünberger, des Präsidenten der Bundestheaterverwaltung Dr. Vetter u. a.) eine von ihm besichtigte Wohnung in Schönbrunn (rechtsseit. Trakt II. St.) mündlich und brieflich von den entscheidenden Instanzen bestimmt in Aussicht gestellt worden.

Prof. M. R. hat daraufhin alle Dispositionen für eine endgültige Übersiedlung seines gesamten Haushaltes von Berlin nach Wien getroffen. Leider ist die ihm zugesicherte Wohnung in der Folge einem anderen Reflektanten zugewiesen worden, der seine Ansprüche zwar viel später geltend machte, aber trotzdem bevorzugt werden mußte.

Die damals entstandene Mißlichkeit für Prof. R. wiegt um so schwerer, als einerseits auch alle anderen damals in Betracht kommenden Wohnungen inzwischen vergeben sind, andererseits vor allem deshalb, weil er bisher in Berlin (seit mehr als zwölf Jahren) ein von Friedrich dem Großen gebautes historisches Palais in nächster Nachbarschaft des Königl. Schlosses mit einem ganz großen Garten ausschließlich allein mit seiner Familie bewohnt hat.

Dieses dem Staat gehörende Palais wurde ihm für einen Anerkennungszins von ursprünglich zehntausend Mark pro Jahr, zuletzt fünfzehntausend p.a., überlassen, trotzdem Prof. R. niemals Staatsangestellter war. Die maßgebenden Stellen gingen bei diesem Entgegenkommen von der Erkenntnis aus, daß die Wirksamkeit des Prof. R. in besonderem Maße als in öffentlichem und allgemeinem Interesse gelegen zu betrachten sei, daß seine Tätigkeit im Ausland als die fruchtbarste Propaganda, im Inland als ein Kulturfaktor hohen Ranges und eine künstlerische Attraktion von Bedeutung zu bewerten sei. Diese Stellung wurde unter dem alten Regime eingenommen, unter dem neuen aufrechterhalten und auch in der Zeit der Wohnungsnot nicht verändert.

In viel bescheidenerem Umfang glaubt nun Prof. R. erwarten zu dürfen, daß ihm auch von den entscheidenden Behörden dieses Landes jenes Entgegenkommen erwiesen wird, das er bisher überall gefunden hat. Tatsächlich haben sich auch die Herren Minister, die sich bisher mit der Frage der Wohnungszuteilung befaßten, ohne weiteres entschieden auf diesen Standpunkt gestellt. Prof. R. ist in Wien geboren und erzogen worden, er ist seit 7 Jahren Besitzer von Schloß Leopoldskron bei Salzburg, wo er die internationalen Sommerfestspiele (ohne jeglichen Entgelt für seine Person) leitet, und ist im Begriffe, seine gesamte künstlerische Tätigkeit nach Wien zu verlegen.

 

In Betracht zu ziehen ist ferner auch der Umstand, daß Prof. R. besonders aus dem Grunde in Schönbrunn zu wohnen wünscht, weil er unter Benützung der dem Staate gehörenden Schönbr. Ateliers ein umfangreiches, von Amerikanern finanziertes Filmunternehmen ins Leben zu rufen gedenkt, das große, auf künstlerischer Basis stehende Lichtbildwerke (zum ersten Mal mit einem wirklichen Ensemble erster künstlerischer Kräfte, unter Heranziehung der österreichischen Dichter und wertvoller Musik – Richard Strauss hat sich z. B. verpflichtet, Musik dafür zu komponieren) ausführen will. Dieses Unternehmen würde die von der staatlichen Lichtbildstelle bisher angestrebte Propaganda in breiter Form und in wirkungsvollster Weise übernehmen können, denn das Niveau österreichischer Filmleistung vermag keinen Vergleich mit den ausländischen Filmen auszuhalten und steht auch der reichsdeutschen Arbeit auf diesem Gebiet erheblich nach. Wenn man dabei in Erwägung zieht, daß die Filmindustrie in Deutschland an dritter, in Amerika an fünfter Stelle unter allen Industrien steht, so ergibt sich ein Moment, das auch in wirtschaftlicher Beziehung in die Waagschale fällt und alle Förderung verdient.

Was nun die angeforderten Räume selbst anbelangt, so sind sie auf die persönliche Anregung des Herrn Ministers für Bauten etc. Dr. Kraft (?) besichtigt und als nunmehr einzig übriggebliebene Wohnung gewählt worden. Sie entspricht im wesentlichen genau der korrespondierenden Wohnung im Südwesttrakt von Schönbrunn, die dem Fabrikanten M? … zugewiesen wurde, und bedarf ganz gewiß des Denkmalschutzes in keinem höheren Maße als diese, die nicht nur geräumiger, sondern auch um vieles reicher und schöner ist. Augenblicklich dient die in Frage stehende Wohnung, die sich in demselben Trakte wie die Räume der Kinderfreunde befindet, der Aufbewahrung von Betten, Matratzen und anderem Gerät des täglichen Haushalts.

Da Prof. R. beruflich gezwungen ist, einen Teil des Jahres im Ausland zu verbringen, in den Sommermonaten mit seiner Familie auf seiner Besitzung in Leopoldskron lebt, ist überdies die Gefahr einer Abnutzung durch Verwohnen auf ein kaum nennbares Minimum beschränkt. Dazu kommt, daß Prof. R. aus Leopoldskron, das er in furchtbarer Verwahrlosung und Baufälligkeit übernommen hat, eine Sehenswürdigkeit für Kenner gemacht hat und das Schloß, wie der Landeskonservator von Salzburg, Dr. Hütter, der Direktor des Kunstgewerbemuseums, Hofrat Prof. Roller, und der Geheimrat(?) Dr. Erhardt ohne weiteres bezeugen werden, mit strengster wissenschaftlicher Wahrung der historischen Denkmalwerte erhält und konserviert, also nach der ausdrücklich geäußerten Meinung dieser und anderer Fachleute als der beste Custode jeder Wohnung angesprochen werden darf. Die auf beiliegendem Plan besonders bezeichneten Parterreräume in Schönbrunn stellen einen zusammenhängenden, in sich geschlossenen Complex dar, der mit Leichtigkeit gegen die nach dem Park gehenden Vorderzimmer entsprechend abzumauern ist. Die Wohnung hat einen eigenen Zugang vom Hofe aus, schließt eine bereits vorhandene Küche in sich ein, sie genügt gerade mit ihren fünf heizbaren Wohnräumen, den entsprechenden Nebenräumen und Korridoren den Ansprüchen einer fünfköpfigen Familie mit Dienerschaft und entspricht auch gewissen repräsentativen Anforderungen, die der Person des Mieters auferlegt sind. Durch die vom Minister für Bauten etc. selbst angeregte Zuteilung dieser heute als provisorisches Magazin benützten Wohnung würde es Prof. R. nach langem Harren endlich ermöglicht sein, die geplanten künstlerischen und privaten Dispositionen zur Ausführung zu bringen, und die p.p. Behörden ihrerseits würden damit nicht nur eine durch Zusicherungen eingegangene Verpflichtung erfüllen, sie hätten auch die Gewissheit, durch eine individuelle Behandlung des vorliegenden Falles, keinem Unwürdigen entgegenzukommen und die ihm anvertrauten Räume in die denkbar beste Hut und Pflege zu geben.

1934 suchte Reinhardt ein Standquartier in Wien, nicht nur, weil er des Wohnens in Hotels überdrüssig war, sondern auch, weil damals schon die Geldschwierigkeiten begannen, die sich bis zum Jahr 1937 immer mehr steigern sollten.

Eine Zeitlang dachte Reinhardt an einen kleinen Hof in Grinzing. Zahllose andere Häuser wurden besichtigt, die ihm zum Teil angeboten wurden: das Gomperzhaus, die Villa Bunzel, die Karpeles-Villa auf der Hohen Warte, aber auch das Pötzleinsdorfer Schloss, Schloss Hetzendorf, das Palais Rainer, das DeTornahaus in der Argentinierstraße, das Hertzhaus im Kaasgraben und viele andere Wohnungen. Im Heiligenkreuzerhof in Wien hatte das Ehepaar Coudenhove-Roland eine entzückende Wohnung. Sie waren nicht vollkommen entschlossen, sie aufzugeben, aber ich durfte sie anschauen, als sie erfuhren, dass Reinhardt dafür Interesse hätte. Es wurde aber nichts aus all diesen Plänen, und Reinhardt wohnte bis zuletzt in Hotels, auch am Cobenzl, abgesehen von einer kurzen Zeit, die er im Hause von Hugo Thimig verbrachte.

Selbst kurz vor seinem Tode in Amerika, als seine pekuniären Verhältnisse auf dem größten Tiefstand seines Lebens waren, sah er sich noch bei New York Häuser an, beschrieb sie in langen Telegrammen und Briefen und verschloss sich dem Gedanken, dass es hoffnungslose Träume seien.

Inszenierung Leopoldskron

Der Abschied von Salzburg fiel Max Reinhardt immer schwer. Er beneidete jeden, der nach dem Sommer noch dort bleiben konnte. Das Ausgestalten von Leopoldskron war eine Inszenierung, die nicht wie bei einem Stück in einem Regiebuch zusammengefasst werden konnte. Zwei Jahrzehnte lang hat er an dieser Inszenierung gearbeitet. Sie wuchs wie eine Pflanze und trieb bis zuletzt immer neue Blüten. So glichen die Weisungen, die er vor jeder Abreise zurückließ, die Briefe, die er dann noch schrieb, Regiebemerkungen. Sie waren bis ins letzte durchdacht. Meist in der Nacht vor der Abreise geschrieben. Diese Nacht zog sich fast immer bis in die frühen Morgenstunden. Es war die letzte Möglichkeit, längst Geplantes noch festzuhalten, in konzentrierter Form Dinge zu besprechen, die, bis dahin hinausgeschoben, der Erledigung harrten.

Reinhardt saß dann – inmitten von Reisetaschen und Koffern – in seinem damaligen Arbeitszimmer, bei seinem großen Schreibtisch, auf dem sich Bücher, Manuskripte und Mappen türmten. Ihm gegenüber der wundervolle alte Sakristeischrank, der aus Firmians Zeiten stammte. In der Zimmerecke einer der kostbaren farbigen barocken Kachelöfen, die zum besonderen Schmuck der großen Zimmer von Leopoldskron gehörten. Launische Prunkstücke, von Wind und Wetter abhängig: föhnige Luft oder Sturm drückte den Rauch durch die weiten Kamine zurück, und dieser bläuliche Dunst, der Geruch der ungeheuren Holzscheite (die Öfen mussten von außen geheizt werden) ist mit diesen frühen Zeiten, in denen das Schloss noch keine Zentralheizung hatte, untrennbar verwoben. Reinhardts Weisungen für die kommenden Monate hatten eine große Spannweite. Sie umfassten das Schloss, die Handwerker, die darin arbeiteten, den Garten, vor allem aber auch die uralten Orangen- und Zitronenbäume, die aus der Orangerie des Schlosses Schönbrunn stammten.

Schönbrunn unterstand nach dem Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen Monarchie von 1918 mit seinen Gärten dem Ministerium. Reinhardt hatte durch einen Zufall erfahren, dass diese Bäume (manche waren über hundert Jahre alt) verkauft werden müssten, da es dem Staat in der Nachkriegszeit unmöglich sei, das Heizmaterial aufzutreiben, um sie in strengen Wintern vor Kälte zu schützen. Es war eine einmalige Gelegenheit, solche wertvollen, gepflegten Bäume zu erwerben, und Reinhardt nahm sie unverzüglich wahr. Die Entscheidung musste sehr schnell erfolgen, da Präsident Masaryk ebenfalls Orangenbäume kaufen wollte. Ich fuhr damals auch nach Schloss Laxenburg, um zu ergründen, ob vielleicht dort Bäume zu günstigeren Bedingungen abgegeben werden könnten. Aber es blieb bei Schönbrunn. Ich kaufte 21 Orangenbäume, die 70 Jahre alt waren, und sechs zweieinhalb Meter hohe Bäume um 15.200 Kronen. Außerdem einige vier bis fünf Meter hohe Bäume mit einem Durchmesser von zwei Metern. In späteren Jahren wäre es schwer gewesen, sich die Terrasse zum See hin ohne diese duftenden Bäume in ihren großen Holzkübeln vorzustellen.

Der Transport von Wien nach Salzburg war nicht einfach. 1898 hatte der letzte ähnliche Transport von Orangenbäumen nach Ischl und Gmunden (anlässlich der Verlobung einer Erzherzogin) stattgefunden. Ein Angestellter, der ihn geleitet hatte, konnte die besten Ratschläge für das schwierige Unternehmen geben. Ein Schönbrunner Gärtner fuhr auf dem Loriwagen mit und instruierte dann den Gärtner in Leopoldskron in allem, was die Pflege dieser Bäume anlangte. Die Sorge um die Orangen- und Zitronenbäume kehrte in allen Reinhardtschen Briefen im Laufe der Jahre immer wieder:

Die Orangenbäume sind (nach Anordnung des Gärtners) noch einmal (bei gutem warmen Wetter) auf die Terrasse zu stellen, später in dem besprochenen Eckzimmer, nach Weisung des Gärtners aufzustellen und die Blätter sorgfältig und sachgemäß zu putzen. Das Zimmer soll später schwach geheizt und dauernd etwas temperiert gehalten werden.

Das Überwintern in den Parterreräumen des Schlosses, das Putzen der Blätter, das Regulieren der Temperatur – mitten in Probenarbeit, Direktionssorgen, auf Tourneen: allgegenwärtig, gleichsam im Terzenschritt, begleitete die Welt von Leopoldskron, dieses kleine Reich seiner Phantasie und der Erfüllung so vieler heißer Träume, sein übriges großes Leben. Zum Beispiel beschäftigte ihn der Gedanke, die Halle im Erdgeschoß des Schlosses noch besonders auszugestalten. Die Leere der Wände oberhalb der beiden Kamine missfiel ihm. Er hatte in Wien, in der Bäckerstraße, an der Fassade eines uralten Hauses eine barocke Madonna gesehen, die ihm wie geschaffen dafür schien, in einer Nische oberhalb des einen Kamins angebracht zu werden. So beauftragte er mich, den Kunsthändler Nebehay in Wien aufzusuchen und ihn zu bitten, die Madonna zu erwerben. Wie es sich herausstellte, hatte das Haus, dessen Eingang sie zierte, einen üblen Ruf. Eine groteske Tatsache, die Reinhardt später oft seinen Gästen erzählte. Die Verhandlungen mit Nebehay zogen sich lange hin, aber schließlich gelang es ihm, die entzückende Statue für Reinhardt zu erwerben. Reinhardt entwarf selbst die Nische, in der sie oberhalb des Kamins ihren Platz finden sollte. Der bewährte alte Salzburger Stukkateur Strasser führte Reinhardts Entwurf aus. Niemand, der die »Freudenhaus-Madonna« dort sah, ahnte, dass sie nicht seit der Erbauung des Schlosses durch den Fürsterzbischof Firmian dort gestanden habe.

In diese ersten Zeiten in Salzburg fiel auch die Suche nach Steinfiguren für den Park. Es begann mit den Seepferden, die heute noch am Seeufer vor dem Schloss stehen. Reinhardt hatte sie in Seewalchen gesehen und wollte sie erwerben. Die Verhandlungen mit dem Besitzer, der sich von den Skulpturen nicht trennen wollte, waren schwierig. Der Transport nach Salzburg musste mit allen Vorsichtsmaßnahmen bewerkstelligt werden, um das Moos, das den Seepferden einen besonderen Reiz verlieh, nicht zu gefährden. Fundamente und eine Treppe zum See hinunter wurden beim Baumeister bestellt, der sie genau nach den Angaben Reinhardts ausführte. Dann begann das Aufspüren der Zwergeln. Diese grotesken barocken Sandsteinfiguren standen ursprünglich im Zwergelgarten von Schloss Mirabell. Eine Erzherzogin, die Angst hatte, sich während ihrer Schwangerschaft zu »verschauen«, veranlasste ihre Entfernung. So wurden diese Figuren in alle Winde verstreut und gingen vielfach in Privatbesitz über. Es war keine leichte Aufgabe, sie wieder ausfindig zu machen und dann die Besitzer zu bewegen, sich davon zu trennen. Meistens waren es selbst schrullenhafte ältere Menschen, die sich in die verschrobenen Figuren verliebt hatten, mit denen sie ein geheimes Band zu verknüpfen schien. Im Park von Leopoldskron entstand eine »Zwergelwiese«, auf der die lange getrennten phantastischen Gestalten sich nun wieder zusammenfanden. Manche hatten Lanzen, andere alte Laternen, und Reinhardt ruhte nicht, ehe ihnen alle diese Attribute (die von den Besitzern oft gering geachtet wurden) wiedergegeben worden waren. Da standen sie nun im Schatten der Thujen, besonders geheimnisvoll in feuchtnebligen Mondscheinnächten, als Teil eines Reinhardtschen Sommernachtstraumes.

Die Ausgestaltung des Parkes war in diesen ersten Jahren eine der Hauptsorgen Max Reinhardts. Eine Sorge, der er sich mit viel Freude und leidenschaftlicher Ungeduld hingab. Versumpftes, verwildertes Terrain umgab damals das Schloss. Zunächst musste eine Allee geschaffen werden, die zu dem Teich führte, in dem im nächsten Jahr – als point de vue – eine große barocke Herkulesstatue aufgestellt wurde. Diese stand ursprünglich vor dem Arenberg-Schloss, das damals von Hermann Bahr bewohnt wurde, und schien wie geschaffen für eine kleine Insel in einem Teich im Park von Leopoldskron. Nach langen Verhandlungen gelang es mir, sie zu erwerben. Was mir diesen Kauf erschwerte, war der Zwiespalt zwischen meiner Freundschaft mit Bahr, dem ich damit etwas raubte, was er aus seinen Fenstern sah, und der Wunsch, Reinhardts Traum zu erfüllen. Der Abtransport der Herkulesstatue hatte etwas von einem Kondukt. Die Figur wurde auf einen langen Lastwagen verladen, den »unsere« Ochsen zogen. Ich ging, einer Leidtragenden gleich, im Ochsenschritt, den ganzen Weg von Parsch nach Leopoldskron, hinter dem Wagen her. Der Herkules wurde auf der Teichinsel im Park aufgestellt. Als Bahr und Anna Bahr-Mildenburg später kamen, um sich die Statue auf ihrem neuen Standort anzusehen, waren sie entzückt und verziehen den Raub.

 

Bäume und Sträucher mussten gepflanzt werden, und innerhalb der folgenden Jahre wurde die Konglomeratmauer gebaut, die den ganzen Besitz umgab und heute ebenfalls nicht mehr wegzudenken wäre. In dem Obergärtner Köpl fand Reinhardt einen treuen, überaus fähigen und verständnisvollen Mitarbeiter, der alle seine Wünsche zu erfüllen trachtete. Nur eines vermochte er nicht: das Wachstum jung gepflanzter Bäume zu beschleunigen! Es wurde zu einer großen Geduldprobe für Reinhardt, dem das endgültige Bild des Geplanten vorschwebte.

Nicht allein die Erfüllung eines Wunsches war bei Reinhardt ausschlaggebend, sondern auch die Geschwindigkeit, mit der dies geschah. Ob es sich um die Erlaubnis von Behörden handelte, irgendeinen sonst unzugänglichen Raum, eine Straße zu benützen, die abgesperrt werden musste, eine bestimmte Antiquität zu erwerben, ein Konzert in Leopoldskron in letzter Stunde zustande zu bringen oder – an einem Weihnachtsabend – Lämmer für seine damals noch kleinen Söhne zu kaufen und nach Leopoldskron zu bringen … Dieser Gedanke kam ihm spät am Nachmittag im Café Tomaselli, wo jede Expedition in Salzburg endete. Sein Vertrauen, dass es an diesem Weihnachtsabend noch gelingen müsse, war unwiderstehlich. Und es gelang: der »Petererhof«, dem Stift St. Peter gehörig, lag etwas außerhalb der Stadt. Der »Moar« war überrascht, als so spät am Nachmittag ein Einspänner über Schnee und vereiste Straßen durch die Winterdämmerung geholpert kam und bei ihm vorfuhr. Kopfschüttelnd ging er aber trotzdem in den warmen Stall und verkaufte mir zwei seiner Lämmer. Diese unruhige Last wurde unter dem Spritzleder des halboffenen Wagens zu meinen Füßen verstaut und nach Leopoldskron verfrachtet. Reinhardt freute sich, fand es aber vollkommen selbstverständlich, dass das scheinbar Unmögliche in dieser kurzen Zeit gelungen war – und die Kinder bekamen ihre Lämmer …

Reinhardt liebte Tiere. Er wurde nicht müde, sie zu beobachten, mit ihnen zu spielen. Eine besondere Freude waren für ihn exotische Vögel. » … aber vergessen Sie nicht die chinesischen Nachtigallen!«, das war sein Stoßseufzer bei einem Telefongespräch, in dem ich mich von Reinhardt verabschiedete, als er mich nach Cuxhaven schickte, um Lillian Gish abzuholen. Vorher sollte ich zu Hagenbeck in Stellingen bei Hamburg gehen, um Vögel für seinen Tierpark in Leopoldskron zu kaufen. Die chinesischen Nachtigallen waren ihm in diesem Augenblick zum mindesten ebenso wichtig wie die Ankunft des amerikanischen Filmstars.

Viele Tiere wurden im Laufe der Jahre nach Leopoldskron gebracht. Da waren in einem barocken Pavillon drei Pelikane, über deren gravitätischen Ernst er immer wieder lachen konnte. Befrackte Herren einer Varieténummer, in einem langsamen Pas de trois, vollkommen aufeinander abgestimmt. Kraniche und Kronenreiher führten ein bewegteres Leben. Sie tanzten! Reinhardt konnte einen von ihnen, der besonders an ihm hing, durch Armschwenken und Zurufen zu einer Leidenschaft der Bewegungen steigern, die an afrikanische Tänzer erinnerte. Und dann die Flamingos: eine rosige Wolke, zartgetönt, feingliedrig, immer in Gruppen, zurückhaltend und von einer eigenartigen Schönheit.

Der Herkulesteich gehörte den weißen und den schwarzen Schwänen, während Mandarinenten und andere kleinere Enten auf sumpfigen Kanälen schwammen. In Volieren wurden Wellensittiche gezüchtet. Sie teilten ihre Käfige mit Reisvögeln, chinesischen Nachtigallen und vielen kleinen bunten Vögeln. Raimund von Hofmannsthal hatte von einer Weltreise zwei Affen mitgebracht und sie Reinhardt für seinen Tiergarten geschenkt. Sie bewohnten ein Glashaus, wo Reinhardt sie oft besuchte und fütterte.

Ein Morgenspaziergang durch den Park, zu den Tieren, bis zur barocken Nepomukstatue am äußersten Ende seines Besitzes, war die einzige Erholung, die sich Reinhardt während der Festspiele gönnte. Aber nur selten vermochte er mit Helene Thimig diese kurze Stunde ungestört zu genießen: Ferngespräche, Telegramme, dringende Anfragen zwangen ihn nur allzuoft, halb laufend zum Schloss zurückzukehren. Von diesem Augenblick an war er dann hoffnungslos an den neuen Tag verloren, im Netz der Festspiele eingefangen. Doch der Garten klang nach, das Haus klang nach.

In späteren Jahren hatte er sich allerdings noch eine Zuflucht geschaffen: das Sonnenbad auf dem Dach des Schlosses. Ein Lift war eingebaut worden, der ihn aus seiner Wohnung hinauftrug. Da die Arbeitsleistung, die ihm während der Festspiele auferlegt war, alljährlich immer größere Dimensionen annahm, konnte sie nur noch in angestrengter Nachtarbeit bewältigt werden. So gönnte sich Reinhardt, wenn Zeit für einen Spaziergang fehlte, dann wenigstens eine kurze Atempause im Sonnenbad, wo er frühstücken, lesen und wieder arbeiten konnte.

Leopoldskron war für ihn wie ein Instrument, aus dem er die vielfältigsten Tonschwingungen hervorzaubern konnte. Die großen festlichen Abende rauschten vorbei, bis ins letzte wie Schauspiele inszeniert, und doch Improvisationen, weil Menschen darin agierten, deren Dialog sich nicht auf geschriebene Rollen stützte. Wie in der Commedia dell’arte spielte jeder seinen Part, und Max Reinhardt, der einzigartige Menschenkenner, wusste und erfühlte, was jeder einzelne Vertreter einer bestimmten Menschengattung zu sagen hatte und wie er es ausdrücken würde. Er schaute in dieses Kaleidoskop, freute sich daran und lauschte, unersättlich in seinem Trieb, die menschliche Seele zu ergründen, immer tiefer in sie einzudringen.

Ein Gedicht Richard Beer-Hofmanns, in ein Fremdenbuch geschrieben, das er 1923 Max Reinhardt schenkte, klingt einer Fanfare gleich in die Zukunft, die damals vor ihm lag:

Leopoldskron

Geschwundener Geschlechter stolze Wiege –

Der Dich erbaut, war Tausenden Dynast,

Die in Dir wurden, wuchsen, westen

Fern, fremd war ihnen Menschenmüh’ – und Last.

Hoch schwang ihr Weg sich! Drunten tief die Menge –

Sie selbst erlesen, irdisch, auserwählt

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