Guy de Maupassant – Gesammelte Werke

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Er frag­te:



»So … sie ist ver­hei­ra­tet! Und was tut ihr Mann?«



Frau Fo­res­tier zuck­te leicht mit den Ach­seln und er­hob die Au­gen­brau­en mit ei­ner ein­zi­gen, viel­sa­gen­den Be­we­gung.



»Oh! Er ist In­spek­tor der Nord­bahn. Er ver­bringt im Mo­nat acht Tage in Pa­ris, das, was sei­ne Frau die Ar­beits­wo­che oder auch die hei­li­ge Wo­che nennt. Wenn Sie sie bes­ser kenn­ten, wür­den Sie se­hen, wie klug und nett sie ist. Ma­chen Sie ihr doch nächs­tens mal einen Be­such.«



Du­roy dach­te über­haupt nicht mehr ans Fort­ge­hen. Ihm war zu­mu­te, als müss­te er im­mer hier­blei­ben, als wäre er hier zu Hau­se.



Da ging die Tür ge­räusch­los auf und ein großer Herr trat un­an­ge­mel­det ein. Er stutz­te, als er den Mann sah. Ma­da­me Fo­res­tier schi­en einen Au­gen­blick ver­le­gen zu sein; dann sag­te sie mit na­tür­li­cher Stim­me, trotz­dem eine leich­te Röte von ih­ren Schul­tern zum Ge­sicht em­por­stieg:



»Kom­men Sie doch nä­her, mein Lie­ber. Ich will Ih­nen einen gu­ten Freund von Charles vor­stel­len; Herr Ge­or­ges Du­roy, auch ein zu­künf­ti­ger Jour­na­list.« Dann setz­te sie mit et­was an­de­rem Ton hin­zu:



»Un­ser bes­ter und in­tims­ter Freund, Graf de Vau­drec.«



Die bei­den Män­ner grüß­ten sich und be­trach­te­ten sich ge­nau. Du­roy ver­ab­schie­de­te sich gleich dar­auf. Sie hielt ihn nicht zu­rück.



Er stot­ter­te noch ei­ni­ge Dan­kes­wor­te, drück­te die hin­ge­streck­te Hand der jun­gen Frau, ver­beug­te sich vor dem Gra­fen, der das küh­le und erns­te Ge­sicht ei­nes Man­nes aus der bes­ten Ge­sell­schaft be­wahr­te, und ging in höchs­ter Ver­wir­rung fort, als ob er eben eine Dumm­heit be­gan­gen hät­te.



Auch auf der Stra­ße fühl­te er sich be­drückt und un­be­hag­lich und hat­te die dunkle Emp­fin­dung ei­nes ver­bor­ge­nen Kum­mers. Er schritt vor sich hin und frag­te sich nach dem Grund die­ser plötz­li­chen Schwer­mut. Er fand kei­nen, aber die erns­te Ge­stalt des schon et­was al­ten Gra­fen de Vau­drec mit dem grau­en Haar und dem ru­hi­gen, an­ma­ßen­den Ge­sicht ei­nes un­ab­hän­gi­gen, sehr rei­fen Man­nes, trat ihm im­mer wie­der vor die Au­gen.



Es wur­de ihm klar, dass der Ein­tritt die­ses Frem­den nicht bloß das rei­zen­de Zu­sam­men­sein ge­stört hat­te, an das sein Herz sich schon zu ge­wöh­nen be­gann, son­dern in ihm auch die­sen Ein­druck von Käl­te und Verzweif­lung her­vor­ge­ru­fen hat­te, wie es oft ein auf­ge­fan­ge­nes Wort oder der flüch­ti­ge An­blick von Elend oder sonst ir­gend­ei­ne Klei­nig­keit in uns aus­löst.



Au­ßer­dem schi­en ihm auch, ohne dass er sa­gen konn­te, warum, als ob die­ser Mann un­zu­frie­den ge­we­sen sei, ihn dort zu tref­fen.



Bis drei Uhr hat­te er nichts mehr zu tun, und es war noch nicht Mit­tag. Er hat­te noch 6 Fran­cs 50 in der Ta­sche. Er ging in die Bouil­lon Du­val früh­stücken. Dann trieb er sich auf dem Bou­le­vard her­um und Punkt drei Uhr stieg er die große prunk­haf­te Trep­pe zur Vie Françai­se hin­auf. Die Lauf­bur­schen sa­ßen mit ge­kreuz­ten Ar­men auf ei­ner Bank und war­te­ten, wäh­rend hin­ter ei­nem klei­nen Ka­the­der ein Be­am­ter die so­eben an­ge­kom­me­ne Post sor­tier­te. Die gan­ze Auf­ma­chung war vor­treff­lich und muss­te je­dem Be­su­cher im­po­nie­ren. Al­les hat­te Hal­tung und Wür­de, wie es sich für den War­te­raum ei­ner großen Zei­tung ge­bührt.



Du­roy frag­te:



»Ist Herr Wal­ter zu spre­chen?«



Der Die­ner ant­wor­te­te:



»Der Herr Di­rek­tor hat eben eine wich­ti­ge Kon­fe­renz. Wenn der Herr einen Au­gen­blick Platz neh­men will.«



Und er wies auf ein War­te­zim­mer, das schon vol­ler Men­schen war.



Man sah dort erns­te, wür­di­ge Män­ner mit Or­dens­band, und auch et­was ver­nach­läs­sig­te Ge­stal­ten mit un­sicht­ba­rer Wä­sche, de­ren bis zum Hal­se zu­ge­knöpf­te Rö­cke eine wah­re Land­kar­te von Fle­cken zeig­ten.



Zwi­schen den War­ten­den be­fan­den sich drei Frau­en; eine von ih­nen war hübsch, ele­gant und lä­chel­te freund­lich; es schi­en eine Ko­kot­te zu sein. Ihre Nach­ba­rin blick­te düs­ter, ihr Ge­sicht war vol­ler Run­zeln; auch sie war bes­ser ge­klei­det, doch sie hat­te et­was Ver­brauch­tes, künst­lich Er­hal­te­nes, wie man es manch­mal bei al­tern­den Schau­spie­lern sieht, eine Art falscher, ab­ge­stan­de­ner Ju­gend, die an ran­zig ge­wor­de­nes Par­füm d’A­mour er­in­nert.



Die drit­te Frau trug Trau­er und saß in der Ecke, mit der Hal­tung ei­ner un­tröst­li­chen Wit­we. Du­roy hielt sie für eine Bitt­stel­le­rin.



In­des­sen wur­de nie­mand vor­ge­las­sen, ob­gleich über zwan­zig Mi­nu­ten ver­stri­chen wa­ren.



Da hat­te Du­roy eine gute Idee; er ging noch­mals zum Die­ner hin­aus und sag­te:



»Herr Wal­ter hat mich um drei Uhr her­be­stellt. Se­hen Sie bit­te nach, ob mein Freund Fo­res­tier hier ist?«



Man führ­te ihn jetzt durch einen lan­gen Flur in einen großen Saal, in dem vier Her­ren um einen großen grü­nen Tisch sa­ßen und schrie­ben.



Fo­res­tier stand vor dem Ka­min, rauch­te eine Zi­ga­ret­te und spiel­te Bil­bo­quet (Fang­ball). Er war ein vor­treff­li­cher Spie­ler und fing die Ku­gel aus gel­bem Buchs­baum mit der klei­nen Holz­spit­ze fast je­des Mal rich­tig auf. Er zähl­te: »22 … 23 … 24 … 25.«



»26!« rief Du­roy.



Da blick­te sein Freund auf, ohne sei­ne re­gel­mä­ßi­ge Arm­be­we­gung ein­zu­stel­len.



»Ah, da bist du ja«, rief er. »Ges­tern habe ich sie­ben­und­fünf­zig­mal hin­ter­ein­an­der ge­trof­fen. Nur Saint-Po­tin kann es noch bes­ser als ich. Hast du den Chef ge­spro­chen? Nichts ist ko­mi­scher, als die­sen al­ten Nor­bert Fang­ball spie­len zu se­hen. Er reißt den Mund auf, als woll­te er die Ku­gel run­ter­schlu­cken.«



Ei­ner der Re­dak­teu­re dreh­te den Kopf nach ihm um.



»Weißt du, Fo­res­tier, ich ken­ne ein aus­ge­zeich­ne­tes Bil­bo­quet aus An­til­len­holz, das zu ver­kau­fen ist. Es soll der Kö­ni­gin von Spa­ni­en ge­hört ha­ben. Man ver­langt da­für sech­zig Fran­cs, das ist nicht teu­er.«



»Wo ist es zu ha­ben?« frag­te Fo­res­tier.



Da er sei­nen 37. Wurf ver­fehlt hat­te, öff­ne­te er den Schrank, in dem Du­roy ge­gen zwan­zig wun­der­ba­re Bil­bo­quets sah, die alle ge­ord­net und num­me­riert wa­ren, wie Kost­bar­kei­ten aus ei­ner Kunst­samm­lung. Fo­res­tier stell­te das In­stru­ment auf sei­nen rich­ti­gen Platz und wie­der­hol­te die Fra­ge:



»Wo steckt die­ses Klein­od?«



Der Jour­na­list ant­wor­te­te:



»Bei ei­nem Bil­lett­händ­ler beim Vau­de­ville-Thea­ter. Wenn du willst, brin­ge ich dir das mor­gen mit.«



»Ja gut. Wenn es wirk­lich schön ist, nehm’ ich es. Man kann nie zu viel Bil­bo­quets be­sit­zen.«



Dann wand­te er sich zu Du­roy.



»Komm jetzt, ich füh­re dich zum Chef, sonst kannst du hier war­ten bis zum spä­ten Abend.«



Sie gin­gen wie­der durch den War­te­saal, wo die­sel­ben Per­so­nen ge­nau in der­sel­ben Rei­hen­fol­ge sa­ßen. Als Fo­res­tier er­schi­en, er­ho­ben sich die jun­ge Dame und die alte Schau­spie­le­rin und gin­gen schnell auf ihn zu. Er führ­te eine nach der an­de­ren in die Fens­ter­ni­sche, und trotz­dem sie sich ganz lei­se un­ter­hiel­ten, hör­te Du­roy, dass er bei­de duz­te.



Dann stie­ßen sie zwei Pols­ter­tü­ren auf und ka­men zum Di­rek­tor.



Die wich­ti­ge Kon­fe­renz, die schon eine Stun­de dau­er­te, be­stand in ei­ner Par­tie Écar­té mit ei­ni­gen Her­ren, die Du­roy ges­tern we­gen ih­rer fla­chen Zy­lin­der­hü­te auf­ge­fal­len wa­ren.



Herr Wal­ter spiel­te mit an­ge­spann­ter Auf­merk­sam­keit und vor­sich­ti­gen, ab­ge­mes­se­nen Be­we­gun­gen, wäh­rend sein Geg­ner die leich­ten, bun­ten Blät­ter mit Ge­wandt­heit, Ge­schick­lich­keit und An­mut ei­nes ge­üb­ten Spie­lers nahm, aus­spiel­te und durch sei­ne Fin­ger glei­ten ließ. Nor­bert de Va­ren­ne saß im großen Lehn­stuhl des Di­rek­tors und schrieb einen Ar­ti­kel, Jaques Ri­val lag mit ge­schlos­se­nen Au­gen lang aus­ge­streckt auf ei­nem Sofa und rauch­te eine Zi­gar­re.



Es roch hier in dem ab­ge­schlos­se­nen Zim­mer nach dem Le­der der Mö­bel, nach al­tem Ta­bak und nach Drucker­schwär­ze. Man spür­te den ei­gen­ar­ti­gen Duft der Re­dak­ti­ons­zim­mer, der je­dem Jour­na­lis­ten be­kannt ist.



Auf dem schwar­zen, kup­fer­be­schla­ge­nen Tisch lag ein ge­wal­ti­ger Pa­pier­hau­fen, Brie­fe, Kar­ten, Zei­tun­gen, Rech­nun­gen der Lie­fe­ran­ten, Druck­sa­chen al­ler Art. Fo­res­tier schüt­tel­te den Wet­ten­den, die hin­ter den Spie­lern stan­den, die Hand und sah dann schwei­gend der Par­tie zu. So­bald Va­ter Wal­ter ge­won­nen hat­te, stell­te er vor:



»Hier ist mein Freund Du­roy.«



Der Chef warf über die Glä­ser sei­ner Bril­le einen ra­schen Blick auf den jun­gen Mann und frag­te:



»Sie brin­gen mir mei­nen Ar­ti­kel? Er kommt heu­te ge­ra­de recht zur Dis­kus­si­on Mo­rel.«



Du­roy zog die zu­sam­men­ge­fal­te­ten Blät­ter aus der Ta­sche.



»Hier, Herr Wal­ter.«



Der Chef schi­en ent­zückt und sag­te lä­chelnd: »Sehr schön, sehr schön. Sie hal­ten Wort. Sie müs­sen mir das wohl durch­se­hen, Fo­res­tier.«



»Das ist nicht not­wen­dig, Herr Wal­ter,« er­wi­der­te schleu­nigst Fo­res­tier, »ich habe den Be­richt mit ihm zu­sam­men ge­schrie­ben, um ihm eine An­lei­tung zu ge­ben. Der Ar­ti­kel ist ta­del­los.«



Der Di­rek­tor er­hielt eben die Kar­ten von ei­nem großen, ma­ge­ren Herrn, ei­nem Ab­ge­ord­ne­ten des lin­ken Zen­trums. Er füg­te gleich­gül­tig hin­zu:



»Dann ist also al­les in Ord­nung.«



Noch ehe er die neue Par­tie be­gin­nen konn­te, beug­te sich Fo­res­tier zu ihm hin­ab und sag­te:



»Sie wis­sen, Sie ha­ben mir zu­ge­sagt, Du­roy an Stel­le von Ma­ram­bot zu en­ga­gie­ren. Soll ich un­ter den­sel­ben Be­din­gun­gen mit ihm ab­schlie­ßen?«

 



»Ja na­tür­lich.«



Der Jour­na­list nahm sei­nen Freund beim Arm und zog ihn fort, wäh­rend Herr Wal­ter wei­ter­spiel­te.



Nor­bert de Va­ren­ne hat­te nicht den Kopf er­ho­ben; er schi­en Du­roy nicht ge­se­hen oder nicht wie­der­er­kannt zu ha­ben. Jaques Ri­val da­ge­gen hat­te ihm de­mons­tra­tiv die Hand kräf­tig ge­schüt­telt, um zu zei­gen, dass. er ein gu­ter Ka­me­rad sei, auf den man sich, ver­las­sen kön­ne.



Sie gin­gen wie­der durch das War­te­zim­mer. Alle blick­ten auf, und Fo­res­tier sag­te zu der jun­gen Frau so laut, dass auch die an­de­ren War­ten­den es hö­ren könn­ten:



»Der Di­rek­tor wird Sie so­gleich emp­fan­gen. Er hat jetzt ge­ra­de eine Kon­fe­renz mit zwei Mit­glie­dern der Bud­get­kom­mis­si­on.«



Dann ging er rasch wei­ter mit wich­ti­ger und ei­li­ger Mie­ne, als woll­te er eine De­pe­sche von äu­ßers­ter Wich­tig­keit re­di­gie­ren.



Als sie wie­der in dem großen Re­dak­ti­ons­saal an­lang­ten, griff Fo­res­tier so­fort wie­der zu sei­nem Bil­bo­quet, ver­tief­te sich in das Spiel und sag­te zu Du­roy, in­dem er zwi­schen den Wor­ten die Tref­fer zähl­te:



»Also: du kommst je­den Tag um drei Uhr hier­her und ich wer­de dir sa­gen, wel­che Gän­ge und Be­su­che du am Tage, am Abend und am nächs­ten Mor­gen ma­chen musst. — Eins. — Zu­nächst wer­de ich dir ein Emp­feh­lungs­schrei­ben für den ers­ten Bü­ro­chef in der Po­li­zei­prä­fek­tur ge­ben. — Zwei. — Der wird dich zu ei­nem sei­ner Be­am­ten wei­sen. Mit ihm setzt du dich in Ver­bin­dung über alle wich­ti­gen — drei — Po­lizein­ach­rich­ten, of­fi­zi­ell und halb­of­fi­zi­ell. Ver­stan­den? We­gen al­ler Ein­zel­hei­ten wen­dest du dich an. Saint-Po­tin, der Be­scheid weiß. — Vier. — Du wirst ihn gleich oder mor­gen ken­nen­ler­nen. Vor al­len Din­gen kommt es dar­auf an, die Leu­te, die du be­suchst, zum Re­den zu brin­gen — fünf — und über­all Zu­tritt zu fin­den trotz ver­schlos­se­ner Tü­ren. — Sechs. — Da­für be­kommst du ein mo­nat­li­ches Ge­halt von zwei­hun­dert Fran­cs, au­ßer­dem zwei Sous pro Zei­le für alle Neu­ig­kei­ten, die du selbst ent­deckt hast. — Sie­ben. — Eben­so zwei Sous pro Zei­le für alle Ar­ti­kel, die du über ver­misch­te Nach­rich­ten zu schrei­ben hast. — Acht.«



Dann küm­mer­te er sich nur noch um sein Spiel und fuhr lang­sam fort zu zäh­len. Neun — zehn — elf — zwölf — drei­zehn. Den vier­zehn­ten Wurf ver­fehl­te er, und er be­gann zu flu­chen: »Die ver­fluch­te Drei­zehn bringt mir im­mer Pech. Ver­dammt noch ein­mal, am 13. st­er­be ich si­cher.«



Ei­ner der Re­dak­teu­re, der mit sei­ner Ar­beit fer­tig war, nahm jetzt eben­falls ein Bil­bo­quet aus dem Schrank. Es war ein win­zi­ger Mensch mit ei­nem Kin­der­ge­sicht, ob­gleich er schon 35 Jah­re zähl­te. Meh­re­re an­de­re Jour­na­lis­ten ka­men auch her­ein und gin­gen ei­ner nach dem an­de­ren zum Schrank, um das Spiel­zeug zu ho­len, das ih­nen ge­hör­te. Bald wa­ren es sechs, die mit den Rücken ge­gen die Wand ne­ben­ein­an­der stan­den und mit der glei­chen re­gel­mä­ßi­gen Be­we­gung die je nach der Holzart ro­ten, gel­ben und schwar­zen Ku­geln in die Luft war­fen. Es be­gann ein Wett­kampf, und die bei­den an­de­ren Re­dak­teu­re, die noch ar­bei­te­ten, stan­den auch auf, um als Schieds­rich­ter die Tref­fer zu zäh­len. Fo­res­tier ge­wann mit 11 Points. Der klei­ne Mann mit dem Kin­der­ge­sicht hat­te ver­lo­ren. Er klin­gel­te und rief dem ein­tre­ten­den Bo­ten zu: »Neun Bier!«. Dann be­gan­nen sie wie­der zu spie­len, in Er­war­tung des er­fri­schen­den Ge­tränks.



Du­roy trank ein Glas Bier mit sei­nen neu­en Kol­le­gen und dann frag­te er sei­nen Freund:



»Was soll ich jetzt tun?«



»Heu­te habe ich nichts mehr für dich,« er­wi­der­te der an­de­re, »du kannst ge­hen, wenn du willst.«



»Und … un­ser … un­ser Ar­ti­kel, wird er noch heu­te Abend ge­druckt?«



»Ja, aber du brauchst dich dar­um nicht zu küm­mern, ich wer­de die Kor­rek­tur le­sen. Ma­che mor­gen den zwei­ten Ar­ti­kel fer­tig und sei, wie heu­te, um drei Uhr hier.«



Du­roy schüt­tel­te al­len die Hän­de, ohne die Na­men der dazu ge­hö­ren­den Per­so­nen zu ken­nen und stieg dann wie­der mit fro­hem. Mute und leich­tem Her­zen die schö­ne Trep­pe hin­ab.




IV.



Ge­or­ges Du­roy hat­te schlecht ge­schla­fen. Die Sehn­sucht, sei­nen Ar­ti­kel ge­druckt zu se­hen, gab ihm kei­ne Ruhe. Schon bei Ta­ge­s­an­bruch stand er auf und ging in den Stra­ßen her­um, lan­ge be­vor die Zei­tungs­trä­ger von ei­nem Kiosk zum an­de­ren die großen Pa­pier­bün­del her­um­tru­gen. Dann ging er zum Bahn­hof, denn er wuss­te, dass die Vie Françai­se dort eher ein­tref­fen wür­de als in sei­nem Vier­tel. Aber es war im­mer noch zu früh und wie­der muss­te er in den Stra­ßen auf und ab wan­dern.



Er sah die Zei­tungs­händ­le­rin an­kom­men und ihr Glas­häus­chen auf­schlie­ßen, und dann be­merk­te er auch einen Mann mit ei­nem di­cken Zei­tungs­bün­del auf dem Kopf. Er stürz­te dar­auf­los; es war der »Fi­ga­ro«, der »Gil Blas«, der »Gau­lois«, das »Evé­ne­ments« und noch ein paar an­de­re Mor­gen­blät­ter, aber die Vie Françai­se war nicht da­bei.



Da er­griff ihn eine Furcht: »Wenn man die ›Erin­ne­run­gen ei­nes afri­ka­ni­schen Jä­ger­s‹ auf den nächs­ten Tag ver­scho­ben hät­te oder wo­mög­lich hät­ten sie im letz­ten Au­gen­blick Va­ter Wal­ter miss­fal­len?«



Als er nach dem Kiosk zu­rück­kehr­te, sah er, dass man jetzt das Blatt ver­kauf­te, ohne dass er es hat­te brin­gen se­hen. Er stürz­te dar­auf, warf drei Sous hin, ent­fal­te­te die Zei­tung und las das In­halts­ver­zeich­nis auf der ers­ten Sei­te rasch durch. — Nichts. — Sein Herz be­gann hef­tig zu klop­fen. Er schlug die zwei­te Sei­te auf und las in hef­ti­ger Er­re­gung un­ter ei­ner Spal­te dick ge­druckt: »Ge­or­ges Du­roy.« Also doch. Wel­che Freu­de!



Ganz ver­wirrt, den Zy­lin­der aufs Ohr ge­drückt, die Zei­tung in der Hand, ging er los. Er fühl­te ein Ver­lan­gen, die Passan­ten an­zu­hal­ten und ih­nen zu er­klä­ren: »Kau­fen Sie sich das, kau­fen Sie sich das. Da steht ein Ar­ti­kel von mir!« — Am liebs­ten hät­te er wie die Stra­ßen­händ­ler abends auf den Bou­le­vards aus vol­ler Keh­le ge­schri­en: »Lest die Vie Françai­se, lest den Ar­ti­kel von Ge­or­ges Du­roy, Erin­ne­run­gen ei­nes afri­ka­ni­schen Jä­gers«.



Und plötz­lich emp­fand er das Be­dürf­nis, selbst den Ar­ti­kel zu le­sen, und zwar öf­fent­lich in ir­gend­ei­nem Café, wo alle es se­hen konn­ten. Er woll­te ein be­such­tes Lo­kal fin­den; er muss­te aber lan­ge su­chen, bis er end­lich an eine Wein­schen­ke kam, wo sich schon ei­ni­ge Gäs­te be­fan­den. Er be­stell­te sich einen Rum in ei­nem Tone, als ob er einen Ab­sinth be­stellt hät­te, ohne an die Ta­ges­zeit zu den­ken. Dann rief er: »Kell­ner, ge­ben Sie mir die Vie Françai­se.«



Ein Mann mit wei­ßer Schür­ze eil­te her­ein. »Wir ha­ben sie nicht, mein Herr, wir be­kom­men nur ›Le Rap­pel‹, ›Le Sie­cle‹, ›La Lan­ter­ne‹ und ›Le Pe­tit Pa­ri­si­en‹.«



Du­roy er­wi­der­te wü­tend und ent­rüs­tet: »Das ist eine net­te Bude; kau­fen Sie mir das Blatt so­fort.«



Der Kell­ner lief hin­aus und brach­te die Zei­tung. Du­roy be­gann sei­nen Ar­ti­kel zu le­sen, ein paar­mal sag­te er da­bei ganz laut: »Vor­treff­lich, aus­ge­zeich­net«, um die Auf­merk­sam­keit sei­ner Nach­barn auf sich zu len­ken und ih­nen den Wunsch ein­zu­flö­ßen, auch zu wis­sen, was im Blat­te stand. Dann ließ er es auf dem Tisch lie­gen und ging fort. Der Wirt merk­te es:



»Mein Herr, mein Herr, Sie ha­ben Ihre Zei­tung ver­ges­sen.«



Du­roy ant­wor­te­te: »Ich las­se sie Ih­nen, ich habe sie schon ge­le­sen. Üb­ri­gens steht heu­te et­was sehr In­ter­essan­tes drin.«



Er nann­te sei­nen Ar­ti­kel nicht, aber er sah, als er fort­ging, wie ei­ner der Gäs­te die Zei­tung vom Tisch nahm.



Er dach­te nach: »Was soll ich jetzt an­fan­gen?« Und er ent­schloss sich, auf sein Büro zu ge­hen, sich sein Ge­halt zu ho­len, und sei­nen Ab­schied zu neh­men. Er zit­ter­te im Voraus vor Freu­de bei dem Ge­dan­ken an das Ge­sicht, das sein Chef und sei­ne Kol­le­gen ma­chen wür­den. Vor al­lem freu­te ihn die Aus­sicht, sei­nen Vor­ge­setz­ten wü­tend zu ma­chen.



Er ging lang­sam, um nicht vor halb zehn an Ort und Stel­le zu sein, denn die Kas­se wur­de erst um zehn ge­öff­net.



Sein Büro war ein dunkles, großes Zim­mer, in dem man im Win­ter fast den gan­zen Tag Gas bren­nen muss­te. Die Fens­ter gin­gen auf einen en­gen Hof, ge­gen­über la­gen an­de­re Bü­ros. In dem sei­nen ar­bei­te­ten acht An­ge­stell­te und der Vor­ge­setz­te, der in der Ecke hin­ter ei­nem Wand­schirm saß.



Du­roy ging zu­erst, sei­ne 118 Fran­cs und 25 Cen­ti­mes ab­zu­ho­len, die in ei­nem gel­ben Brief­um­schlag in der Schub­la­de des Kas­sie­rers be­reit­la­gen. Dann trat er über­mü­tig und tri­um­phie­rend in den Ar­beits­raum, wo er so man­chen Tag ver­bracht hat­te. Kaum war er ein­ge­tre­ten, da rief ihn sein Vor­ge­setz­ter, Herr Po­tel:



»Ach, Sie sind es, Herr Du­roy? Der Chef hat­te mehr­fach nach Ih­nen ge­fragt. Sie wis­sen doch, dass es nicht ge­stat­tet ist, zwei Tage nach­ein­an­der krank­heits­hal­ber ohne ärzt­li­ches At­test fort­zu­blei­ben.«



Du­roy stand mit­ten im Zim­mer und be­rei­te­te sei­ne Über­ra­schung vor. Er ant­wor­te­te mit lau­ter Stim­me:



»Ich pfei­fe dar­auf, wahr­haf­tig!«



Un­ter den Be­am­ten schlug das wie eine Bom­be ein, und das ver­blüff­te Ge­sicht des Herrn Po­tel tauch­te über dem Wand­schirm auf, der ihn wie ein Kas­ten um­gab. Er litt an Rheu­ma­tis­mus und hat­te sich aus Furcht vor Zug­luft da­hin­ter ver­baut. Er hat­te nur zwei Lö­cher durch das Pa­pier ge­bohrt, um sein Per­so­nal zu über­wa­chen.



Es war so still, dass man die Flie­gen sum­men hör­te. End­lich frag­te der Vor­ste­her zö­gernd:



»Was sag­ten Sie?«



»Ich sag­te, ich pfei­fe dar­auf. Ich kom­me heu­te nur, um mei­ne Ent­las­sung zu neh­men. Ich habe eine Stel­lung als Re­dak­teur der Vie Françai­se an­ge­nom­men mit 500 Fran­cs mo­nat­li­chem Ge­halt und be­son­de­rem Zei­len­ho­no­rar. Heu­te früh wur­de schon mein ers­ter Ar­ti­kel ver­öf­fent­licht.



Er hat­te sich zwar vor­ge­nom­men, das Ver­gnü­gen in die Län­ge zu zie­hen, konn­te je­doch nicht dem Dran­ge wi­der­ste­hen, ih­nen al­les auf ein­mal an den Kopf zu wer­fen. Üb­ri­gens war die Wir­kung groß­ar­tig; nie­mand wag­te einen Ton von sich zu ge­ben.



Da­rauf er­klär­te Du­roy:



»Ich wer­de Herrn Per­thuis be­nach­rich­ti­gen und mich dann ver­ab­schie­den.«



Da­mit ging er zum Bü­ro­chef. Als die­ser ihn er­blick­te, rief er aus:



»Ah, da sind Sie, Sie wis­sen doch, ich wün­sche nicht …«



Du­roy un­ter­brach ihn:



»Sie kön­nen sich Ihr Ge­schrei er­spa­ren …«



Herr Per­thuis, ein di­cker Mann, des­sen Ge­sicht rot wie ein Hah­nen­kamm wur­de, er­stick­te fast vor Über­ra­schung. Du­roy fuhr fort:



»Ich habe ge­nug von Ih­rer Bude, heu­te Mor­gen habe ich mich als Jour­na­list ein­ge­führt und be­reits eine glän­zen­de Stel­lung ge­fun­den. Ich emp­feh­le mich!«



Er ging hin­aus. Er war ge­rächt.



Er ging dann wirk­lich hin, um sei­nen bis­he­ri­gen Kol­le­gen die Hand zu schüt­teln. Sie wag­ten üb­ri­gens kaum mit ihm zu spre­chen, aus Angst, sich zu kom­pro­mit­tie­ren, denn sie hat­ten durch die of­fe­ne Tür sei­ne gan­ze Un­ter­hal­tung mit dem Chef ge­hört.



Nun stand er wie­der auf der Stra­ße mit sei­nem Ge­halt in der Ta­sche. Er leis­te­te sich ein üp­pi­ges Früh­stück in ei­nem gu­ten Re­stau­rant zu mä­ßi­gen Prei­sen, das er kann­te. Dann kauf­te er sich wie­der die Vie Françai­se und ließ sie auf dem Tisch lie­gen, an dem er ge­ges­sen hat­te. Er ging in meh­re­re Lä­den und kauf­te sich Klei­nig­kei­ten, nur um sie sich schi­cken zu las­sen und sei­nen Na­men an­zu­ge­ben — »Ge­or­ges Du­roy«. Dann füg­te er hin­zu: »Ich bin Re­dak­teur der Vie Françai­se. Dann nann­te er Stra­ße und Haus­num­mer und ver­gaß nie, zu be­mer­ken:



»Ge­ben Sie die Sa­chen beim Con­cier­ge ab.«



Da er noch ge­nü­gend Zeit hat­te, ging er in eine li­tho­gra­fi­sche An­stalt, wo Be­suchs­kar­ten in ein paar Mi­nu­ten an­ge­fer­tigt wur­den, wäh­rend man dar­auf war­te­te. Er ließ sich so­fort 100 Stück her­stel­len, die sei­nen Na­men und sei­ne neue Wür­de tru­gen.



Dann be­gab er sich in die Re­dak­ti­on.



Fo­res­tier emp­fing ihn wie einen Un­ter­ge­be­nen et­was von oben her­ab.

 



»Ah! da bist du, das ist sehr gut. Ich habe ge­ra­de ein paar Sa­chen für dich. War­te zehn Mi­nu­ten. Ich muss noch mei­ne Ar­beit be­en­den.«



Er schrieb einen be­gon­ne­nen Brief zu Ende. Am an­de­ren Ende des Ti­sches saß ein klei­ner, sehr di­cker Mann mit ganz fla­chem, auf­ge­dun­se­nem Ge­sicht. Sein Kopf war völ­lig kahl und glänz­te. Er war sehr kurz­sich­tig und schrieb, die Nase dicht ans Pa­pier ge­drückt.



Fo­res­tier frag­te ihn:



»Sag’ mal, Saint-Po­tin, um wel­che Zeit willst du un­se­re Leu­te in­ter­view­en?«



»Um vier Uhr.«



»Dann kannst du hier den jun­gen Du­roy mit­neh­men und ihn in die Ge­heim­nis­se des Be­ru­fes ein­wei­hen.«



»Sehr gern.«



Nun wand­te sich Fo­res­tier zu sei­nem Freund und fuhr fort:



»Hast du die Fort­set­zung über Al­gier mit­ge­bracht? Der An­fang hat heu­te einen großen Er­folg ge­habt.«



Du­roy stot­ter­te ver­le­gen: »Nein … ich dach­te, es hät­te Zeit bis heu­te Nach­mit­tag … ich hat­te die Hän­de voll zu tun … ich bin noch nicht dazu ge­kom­men …«



Der an­de­re zuck­te miss­ver­gnügt die Ach­seln.



»Wenn du nicht zu­ver­läs­si­ger bist als jetzt, wirst du dir dei­ne Zu­kunft ver­der­ben. Va­ter Wal­ter rech­ne­te auf dein Ma­nu­skript. Ich sage ihm, du bringst es mor­gen. Du bist sehr im Irr­tum, wenn du glaubst, du wirst hier be­zahlt, um nichts zu tun.«



Nach ei­ner Pau­se setz­te er hin­zu. »Zum Teu­fel, man muss das Ei­sen schmie­den, so­lan­ge es heiß ist.«



Saint-Po­tin stand auf.



»Ich bin fer­tig!« sag­te er.



Dann lehn­te sich Fo­res­tier in sei­nen Stuhl zu­rück, nahm eine fei­er­li­che Hal­tung an, um sei­ne Wei­sun­gen zu ge­ben und be­gann, sich an Du­roy wen­dend:



»Also: wir ha­ben in Pa­ris seit zwei Ta­gen den chi­ne­si­schen Ge­ne­ral Li-Theng-Fao, der im Ho­tel Con­ti­nen­tal ab­ge­stie­gen ist, und den Ra­jah Ta­po­sa­hib Ra­ma­derao Pali, der im Ho­tel Bris­tol wohnt. Ihr wer­det die bei­den um eine Un­ter­re­dung er­su­chen.«



Dann wand­te er sich zu Saint-Po­tin:



»Ver­giss nicht die haupt­säch­lichs­ten Punk­te, die ich dir an­ge­ge­ben habe. Fra­ge den Ge­ne­ral und den Ra­jah nach ih­rer Mei­nung über die po­li­ti­sche Hal­tung Eng­lands im fer­nen Os­ten, nach ih­rer Auf­fas­sung über das Re­gie­rungs­sys­tem und die Ko­lo­ni­sa­ti­on, und nach ih­ren Hoff­nun­gen auf ein Ein­grei­fen Eu­ro­pas, ins­be­son­de­re Frank­reichs, in ihre An­ge­le­gen­hei­ten.«



Er schwieg, dann setz­te er, ins Lee­re spre­chend, hin­zu:



»Für un­se­re Le­ser wird es na­tür­lich un­ge­heu­er in­ter­essant sein, zu er­fah­ren, wie man in Chi­na und In­di­en über die­se Fra­gen denkt, die au­gen­blick­lich bei uns die öf­fent­li­che Mei­nung so leb­haft be­schäf­ti­gen.«



Und zu Du­roy ge­wen­det:



»Ach­te ge­nau auf al­les, was Saint-Po­tin tut; er ist ein aus­ge­zeich­ne­ter Re­por­ter, und von ihm kannst du ler­nen, wie man in fünf Mi­nu­ten aus ei­nem Men­schen al­les her­aus­holt, was man wis­sen will.«



Dann be­gann er wie­der höchst wür­dig zu schrei­ben, mit der of­fen­ba­ren Ab­sicht, die Di­stanz zu wah­ren und sei­nem ehe­ma­li­gen Ka­me­ra­den und jet­zi­gen Kol­le­gen den rich­ti­gen Platz an­zu­wei­sen.



Kaum wa­ren sie über die Schwel­le, so sag­te Saint-Po­tin la­chend zu Du­roy:



»Das ist ein Wich­tig­tu­er. Er spielt uns Thea­ter vor, als ob wir sei­ne Le­ser wä­ren.«



Sie gin­gen den Bou­le­vard hin­ab und der Re­por­ter frag­te:



»Trin­ken Sie et­was?«



»Ja, gern, es ist sehr heiß heu­te.«



Sie gin­gen in ein Café und lie­ßen sich et­was Er­fri­schen­des brin­gen; und Herr Saint-Po­tin be­gann zu re­den und wuss­te über die Zei­tung und über je­der­mann eine Fül­le er­staun­li­cher Ein­zel­hei­ten zu er­zäh­len.



»Der Chef? Der rich­ti­ge Jude! Die Ju­den kann man nie um­mo­deln. Das ist eine Ras­se!« Und er führ­te die merk­wür­digs­ten Bei­spie­le von sei­nem Geiz an, die­sen ei­gen­tüm­li­chen Geiz der Kin­der Is­raels, der sich um zehn Cen­ti­mes strei­tet, mit der Kö­chin scha­chert, in scham­lo­ses­ter Wei­se Ab­zü­ge bei Zah­lun­gen durch­setzt und auf Pfän­der leiht und wu­chert.



»Da­bei ist er ein pfif­fi­ger Kopf, der an nichts glaubt und alle Welt übers Ohr haut. Sei­ne Zei­tung ist of­fi­zi­ös, ka­tho­lisch, li­be­ral, re­pu­bli­ka­nisch und or­lea­nis­tisch zu­gleich, ein Kram­la­den für al­les; er hat sie nur ge­grün­det, um sei­ne Bör­sen­spe­ku­la­tio­nen und sons­ti­gen Un­ter­neh­mun­gen zu stüt­zen. Da­rin ist er groß­ar­tig; er ver­dient Mil­lio­nen durch Ge­sell­schaf­ten, die nicht vier Sous Ka­pi­tal ha­ben.«



So ging es wei­ter, wo­bei er Du­roy im­mer »Mein lie­ber Freund« nann­te.



»Und da­bei hat die­ser Geiz­hals Aus­drücke wie Balzac. Den­ken Sie, neu­lich war ich in sei­nem Ar­beits­zim­mer, mit dem al­ten Nar­ren de Nor­bert und die­sem Don Qui­chot­te Ri­val; da kommt Mon­te­lin, un­ser Ver­wal­ter, mit sei­ner Ak­ten­map­pe aus Saf­fi­an­le­der, die ganz Pa­ris üb­ri­gens kennt. Wal­ter hob die Nase und frag­te: ›Was gibt es Neu­es?‹ Mon­te­lin er­wi­der­te ganz harm­los: ›Ich habe ge­ra­de die sieb­zehn­tau­send Fran­cs be­zahlt, die wir dem Pa­pier­lie­fe­ran­ten schul­de­ten.’ Da sprang der Chef wü­tend in die Höhe:



›Was sag­ten Sie?‹



›Ich habe eben Herrn Pri­vas be­zahlt.‹



›Sie sind wohl ver­rückt?‹



›Wie­so?‹



›Wie­so … wie­so … wie­so!‹ Er nahm sei­ne Bril­le ab und putz­te die Glä­ser. Dann ver­zog er das Ge­sicht zu ei­nem son­der­ba­ren Lä­cheln, das je­des Mal sei­ne di­cken Ba­cken um­spielt, wenn er ein bos­haf­tes oder kräf­ti­ges Wort sa­gen will, und dann sag­te er mit spöt­ti­schem, über­zeug­tem Ton: ›Wie­so? Wir hät­ten dar­auf noch einen Ra­batt von vier­tau­send bis fünf­tau­send Fran­cs er­zie­len kön­nen!‹



Mon­te­lin ent­geg­ne­te er­staunt: ›A­ber Herr Di­rek­tor, sämt­li­che Rech­nun�