Guy de Maupassant – Gesammelte Werke

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Als er, blei­cher fast wie sei­ne Toch­ter, zu­rück­kam, er­griff der Pfar­rer aber­mals das Wort: »Was soll man ma­chen? Sie sind alle so hier zu Lan­de. Es ist zum jam­mern, aber man kann es nicht än­dern und muss et­was Nach­sicht mit der Schwä­che der Na­tur ha­ben. Sie hei­ra­ten nie­mals, Ma­da­me, ohne nicht schon gu­ter Hoff­nung zu sein. Man könn­te das so als eine Lan­des­sit­te be­zeich­nen,« füg­te er lä­chelnd hin­zu. »Selbst bei den Kin­dern fängt es schon an,« sag­te er, dann erns­ter wer­dend. »Fand ich doch neu­lich auf dem Kirch­hof ein Pär­chen, das noch die Schu­le be­sucht! Ich teil­te es den El­tern mit. Wis­sen Sie, was ich zur Ant­wort er­hielt? »Was soll man ma­chen, Herr Pfar­rer? Wir ha­ben ih­nen die­se Schmut­ze­rei nicht bei­ge­bracht; wir kön­nen nichts da­für.« Se­hen Sie, Herr Baron, Ihr Mäd­chen hat es ge­macht, wie die an­de­ren auch …«

»Ach die?« un­ter­brach ihn der Baron, noch wut­zit­ternd, »die ist mir ganz gleich­gül­tig. Es ist Ju­li­us, der mich so wü­tend macht. Es ist schänd­lich, was er da ge­macht hat und ich will mei­ne Toch­ter mit mir neh­men.«

Sich im­mer mehr in die Hit­ze re­dend, ging er auf und ab. »Es ist in­fam, mei­ne Toch­ter so zu hin­ter­ge­hen, in­fam! Er ist ein Lump, die­ser Mensch, eine Ca­nail­le, ein Elen­der; aber ich wer­de es ihm sa­gen, ich wer­de ihn züch­ti­gen, ihn mit mei­nem De­gen um­brin­gen!«

Der Pfar­rer nahm, ne­ben der trost­lo­sen Baro­nin ste­hend, be­däch­tig eine Prie­se und such­te sei­nes Am­tes als Frie­dens­spen­der zu wal­ten. »Se­hen Sie, Herr Baron, er hat es, un­ter uns ge­sagt, ge­macht wie alle Welt. Ken­nen Sie vie­le Ehe­män­ner, die treu sind?« Und mit et­was bos­haf­ter Harm­lo­sig­keit füg­te er hin­zu: »Si­cher, ich wet­te, dass Sie selbst auch so Ihre klei­nen Scher­ze ge­habt ha­ben. Schau­en Sie, Hand aufs Herz, ob ich nicht recht habe.«

Der Baron war über­rascht ste­hen ge­blie­ben und schau­te dem Pries­ter ins Ge­sicht, der ru­hig fort­fuhr:

»Nun ja, Sie ha­ben es ge­macht wie alle an­de­ren. Wer weiß, ob Sie nicht auch mal so eine le­cke­re Frucht ge­kos­tet ha­ben, wie die­se da. Ich sage Ih­nen, alle Welt treibt es so. Ihre Frau ist dar­um nicht we­ni­ger glück­lich und we­ni­ger ge­liebt ge­we­sen, nicht wahr?«

Der Baron wuss­te wirk­lich nicht, was er ant­wor­ten soll­te.

Wahr­haf­tig, in der Tat, er hat­te es eben­so ge­macht und recht oft so­gar, so hin­ge er ge­konnt hat­te. Auch er hat­te sein ei­ge­nes Haus nicht rein ge­hal­ten. Wenn die Zo­fen sei­ner Frau halb­wegs hübsch wa­ren, so hat­te er sich nicht lan­ge be­dacht. War er des­halb ein schlech­ter Mensch? Wa­rum be­ur­teil­te er Ju­li­us’ Auf­füh­rung so streng, wäh­rend er für die sei­ni­ge doch stets eine Ent­schul­di­gung ge­fun­den hat­te?

Der Baro­nin schweb­te mit­ten zwi­schen ih­rem krampf­haf­ten Schluch­zen doch ein Lä­cheln auf den Lip­pen, wenn sie an die klei­nen Ver­ge­ss­lich­kei­ten ih­res Gat­ten dach­te. Sie war eine von je­nen sen­ti­men­ta­len, schnell er­reg­ba­ren und zu­gleich nach­sich­ti­gen Na­tu­ren, für wel­che Lie­bes-Aben­teu­er das hal­be Le­ben aus­ma­chen.

Jo­han­na lag in­des­sen mit of­fe­nen Au­gen, die Arme un­ter dem Kopf ge­kreuzt, auf ih­rem Kis­sen und starr­te, in schmerz­li­ches Nach­den­ken ver­sun­ken, vor sich hin. Ein Wort Ro­sa­li­ens kam ihr im­mer wie­der in den Sinn, das sie tief ver­letzt hat­te und ihr einen Stich ins Herz gab: »Ich woll­te nichts sa­gen, er war so nett und gut.«

Auch sie hat­te ihn nett und gut ge­fun­den und nur des­halb hat­te sie sich ihm er­ge­ben, sich ihm fürs gan­ze Le­ben ver­bun­den, auf jede an­de­re Hoff­nung, auf alle ihre Ju­gendträu­me, auf alle un­be­kann­ten Er­war­tun­gen ver­zich­tet. Sie hat­te sich in die­se Ehe ge­stürzt, in die­ses grund­lo­se Loch, um in die­ses Elend zu ge­ra­ten, in die­se trost­lo­se, ver­zwei­feln­de Lage, weil sie, wie Ro­sa­lie, ihn so nett und gut ge­fun­den hat­te.

Die Türe flog mit ei­nem hef­ti­gen Stos­se auf und Ju­li­us trat ein, das Ant­litz vor Wut ent­stellt. Er hat­te Ro­sa­lie jam­mernd auf der Trep­pe ge­fun­den und woll­te sich nun selbst über­zeu­gen. Er ahn­te, dass ir­gen­det­was vor­ge­fal­len war, dass das Mäd­chen ohne Zwei­fel ge­plau­dert hat­te. Der An­blick des Pries­ters bann­te ihn auf sei­nen Platz.

»Was ist los? Was gibts?« frag­te er mit zit­tern­der Stim­me, aber im Üb­ri­gen ru­hig. Der Baron, vor­hin noch so hef­tig, wag­te nichts zu sa­gen; es war ihm bei den Wor­ten des Pfar­rers und dem Hin­weis auf sein ei­ge­nes Bei­spiel nicht recht wohl zu Mute ge­wor­den. Die Mama wein­te wie­der stär­ker. Jo­han­na hat­te sich auf die Hän­de ge­stützt und be­trach­te­te schwer at­mend den, der ihr so grau­sa­mes Weh ver­ur­sacht hat­te.

»Was es gibt?« stam­mel­te sie. »Nun, dass wir al­les wis­sen, dass wir Ihre gan­ze Schänd­lich­keit ken­nen seit … seit dem Tage, wo Sie die­ses Haus be­tre­ten ha­ben … dass das Kind die­ser Zofe Ih­nen ge­hört … wie … das mei­ni­ge, … dass es Ge­schwis­ter sein wer­den.« Und vom Über­mas­se des Schmer­zes be­wäl­tigt, barg sie das Ge­sicht in die Kis­sen und wein­te bit­ter­lich.

Er blieb ver­blüfft ste­hen und wuss­te nicht, was er tun und sa­gen soll­te.

»Nun ja, mei­ne jun­ge Dame«, misch­te sich der Pfar­rer ein, »grä­men wir uns nicht so sehr; sei­en Sie ver­nünf­tig.« Er stand auf, nä­her­te sich dem Bet­te und leg­te sanft sei­ne Hand auf die Stirn der Verzwei­fel­ten. Die­se mil­de Berüh­rung stimm­te sie selt­sam weich; sie fühl­te sich als­bald sprach­los, als ob die­se ein­fa­che star­ke Hand, ge­wohnt Ver­zei­hung zu spen­den, Trost zu brin­gen, ihre See­le mit ei­nem ge­heim­nis­vol­len Frie­den er­füllt habe.

»Ma­da­me«, be­gann der wa­cke­re Mann, bei ihr ste­hen blei­bend, aufs Neue, »man muss stets Ver­zei­hung üben. Se­hen Sie, ein großes Un­glück hat Sie be­trof­fen; aber Gott hat in sei­ner Barm­her­zig­keit ihm ein großes Glück zur Sei­te ge­stellt, in­dem Sie sich Mut­ter füh­len. Das Kind wird Ihr Trost sein. In sei­nem Na­men fle­he ich Sie an; ich be­schwö­re Sie, Herrn Ju­li­us zu ver­zei­hen. Es wird ein neu­es Band zwi­schen Ih­nen bil­den, ein Un­ter­pfand sei­ner zu­künf­ti­gen Treue. Kön­nen Sie sich von dem Her­zen des­sen los­sa­gen, des­sen Lie­bes­pfand Sie un­ter dem Her­zen tra­gen?«

Sie ant­wor­te­te nicht; sie war ge­knickt, von Schmerz zer­ris­sen und zu er­schöpft jetzt. Sie hat­te selbst für Zorn und Ab­scheu kei­ne Kraft mehr. Ihre Ner­ven wa­ren ab­ge­spannt, wie lang­sam zer­schnit­ten; sie fühl­te kaum noch, dass sie leb­te.

»Ja, sieh nur mal, Jo­han­na!« sag­te die Baro­nin, der je­der Groll zu­wi­der war, und de­ren See­le ei­ner an­dau­ern­den Er­re­gung un­fä­hig blieb.

Da nahm der Pfar­rer die Hand des jun­gen Man­nes, zog ihn nahe an das Bett her­an, und leg­te sie in die Hand sei­ner Frau. Er drück­te bei­de Hän­de mit der sei­ni­gen, als woll­te er sie end­gül­tig ver­ei­nen, und sei­nen ge­wöhn­li­chen sal­bungs­vol­len Ton bei Sei­te las­send, sag­te er mit zu­frie­de­ner Mie­ne:

»So, das wäre in Ord­nung; glau­ben Sie nur, es wird al­les gut ge­hen.«

Die bei­den Hän­de, eben erst mit­ein­an­der ver­eint, lös­ten sich so­fort wie­der. Ju­li­us wag­te es noch nicht, sei­ne Frau zu um­ar­men und küss­te nur sei­ne Schwie­ger­mut­ter auf die Stirn. Dann dreh­te er sich auf dem Ab­satz um und nahm den Arm des Barons, der es sich gern ge­fal­len ließ, froh im Grun­de ge­nom­men, dass die Ge­schich­te so ab­ge­lau­fen war. Bei­de gin­gen fort, um draus­sen eine Zi­gar­re zu rau­chen.

Die Kran­ke schlum­mer­te vor Er­schöp­fung ein, wäh­rend der Pries­ter mit der Mama noch eine lei­se Un­ter­hal­tung hat­te.

Der Abbé führ­te das Wort und ent­wi­ckel­te sei­ne Ide­en, wäh­rend die Baro­nin zu­wei­len durch ein leich­tes Kopf­ni­cken ih­ren stum­men Bei­fall zu er­ken­nen gab.

»Das wäre also ab­ge­macht«, sag­te er zum Schlus­se. »Sie ge­ben dem Mäd­chen den Pacht­hof Bar­ville, und ich neh­me es auf mich, ihm einen Mann, einen bra­ven or­dent­li­chen Bur­schen zu ver­schaf­fen. Ach, bei ei­nem Ver­mö­gen von zwan­zig­tau­send Fran­cs wird es an Lieb­ha­bern nicht feh­len. Die Wahl wird uns noch schwer ge­nug wer­den.«

Die Baro­nin lä­chel­te glück­lich, wäh­rend noch zwei Trä­nen auf ih­rer Wan­ge haf­te­ten, de­ren feuch­te Spur je­doch be­reits ein­ge­trock­net war.

»Das ist si­cher«, be­stä­tig­te sie; »Bar­ville ist zum Min­des­ten sei­ne zwan­zig­tau­send Fran­cs wert. Aber wir wol­len den Hof auf den Na­men des Kin­des schrei­ben las­sen. Die El­tern sol­len die le­bens­läng­li­che Nutz­nies­sung ha­ben.«

Der Pfar­rer er­hob sich und drück­te der Baro­nin die Hand:

»Be­mü­hen Sie sich nicht, Frau Baro­nin, bit­te, be­mü­hen Sie sich nicht. Die­ser Gang war schon der Mühe wert.«

Beim Her­aus­ge­hen be­geg­ne­te er Tan­te Li­son, die nach der Kran­ken se­hen woll­te. Sie hat­te von al­lem kei­ne Ah­nung; nie­mand sag­te ihr et­was und sie wuss­te, wie im­mer, nichts.

*

VIII.

Ro­sa­lie hat­te das Haus ver­las­sen und Jo­han­na ging lang­sam der Zeit ent­ge­gen, wo sie Mut­ter wer­den soll­te. Sie emp­fand kei­ne wah­re Her­zens­freu­de über ih­ren Zu­stand; da­für hat­te sie zu viel Kum­mer er­lebt. Ohne Sehn­sucht war­te­te sie auf ihr Kind, weil sie im­mer noch von der Furcht vor end­lo­sem Un­glück ge­pei­nigt war.

Der Früh­ling war lang­sam her­bei­ge­kom­men. Noch schüt­tel­ten zwar die Bäu­me ihre kah­len Äste im küh­len Win­de, aber in dem feuch­ten Gra­se am Ran­de der Grä­ben, in de­nen die herbst­li­chen Blät­ter ver­faul­ten, be­gan­nen be­reits die ers­ten Pri­meln ihre Köpf­chen her­vor­zu­stre­cken. Auf der gan­zen Ebe­ne, von den Hö­fen der Pächt­er­häu­ser, wie von den auf­ge­weich­ten Fel­dern stieg ein Hauch von Feuch­tig­keit, eine Art Gä­rungs­duft auf. Zahl­lo­se grü­ne Spit­zen tauch­ten aus dem brau­nen Bo­den her­vor und er­glänz­ten in der Son­ne.

 

Eine di­cke, kräf­tig ge­bau­te Frau war an Ro­sa­li­ens Stel­le ge­tre­ten und stütz­te die Baro­nin bei ih­ren ein­sa­men Spa­zier­gän­gen in der Al­lee, wo die Spur ih­res schlep­pen­den Fus­ses stets feucht und schmut­zig er­schi­en.

Papa führ­te Jo­han­na am Arme, die jetzt sehr stark ge­wor­den war und viel zu lei­den hat­te. Tan­te Li­son, sehr be­un­ru­higt und be­sorgt we­gen des zu­künf­ti­gen Er­eig­nis­ses, hat­te auf der an­de­ren Sei­te ihre Hand ge­fasst. Die­ses Ge­heim­nis, von dem sie selbst nie et­was er­fah­ren hat­te, ver­ur­sach­te ihr viel Kopf­zer­bre­chen.

So gin­gen sie stun­den­lang, ohne dass je­mand ein Wort ge­spro­chen hät­te. Ju­li­us durch­streif­te in­des­sen die Ge­gend zu Pfer­de; das war der neues­te Ge­schmack, den er sich an­ge­wöhnt hat­te.

Im Üb­ri­gen floss ihr ein­sa­mes Le­ben un­ge­stört da­hin. Der Baron, sei­ne Frau und der Vi­com­te mach­ten einen Be­such bei den Four­vil­les, die Ju­li­us schon sehr gut zu ken­nen schi­en, ohne dass man recht wuss­te wo­her. Mit den Bri­se­vil­les, die im­mer noch ver­steckt in ih­rem schlum­mern­den Schlos­se sas­sen, wur­de eben­falls ein An­stands­be­such aus­ge­tauscht.

Ei­nes Nach­mit­tags ge­gen 4 Uhr trab­ten ein Herr und eine Dame hoch zu Ross in den Vor­hof des Schlos­ses.

»Geh schnell her­un­ter, bit­te, schnell!« stürm­te Ju­li­us sehr er­regt in das Zim­mer sei­ner Frau. »Die Four­vil­les sind da. Sie kom­men ganz ein­fach als Nach­barn, da sie Dei­nen Zu­stand ken­nen. Sag ih­nen, ich wäre aus­ge­gan­gen, käme aber bald zu­rück. Ich will mich nur schnell um­zie­hen.«

Jo­han­na, er­staunt über sei­ne Er­re­gung, be­gab sich nach un­ten. Eine jun­ge, hüb­sche Frau, mit ei­nem lei­den­den Zug in dem blei­chen Ge­sich­te, leb­haf­ten Au­gen, und Haa­ren von so mat­tem Blond, als hät­te sie nie­mals ein Son­nen­strahl um­schmei­chelt, stell­te ihr höf­lich ih­ren Mann vor, einen Rie­sen, eine Art Wau­wau mit großem röt­li­chen Schnurr­bart. »Wir tra­fen Herrn de La­ma­re schon öf­ters«, füg­te sie dann hin­zu, »und er­fuh­ren von ihm, wie un­wohl Sie sei­en. Aber wir woll­ten Ih­nen doch so ger­ne un­se­ren nach­bar­li­chen Be­such ma­chen, durch­aus ohne jede Förm­lich­keit. Sie se­hen ja, wir sind zu Pfer­de. Üb­ri­gens hat­te ich schon frü­her ein­mal die Ehre, den Be­such Ihres Herrn Va­ters und Ih­rer Frau Mut­ter zu emp­fan­gen.«

Sie sprach aus­ser­or­dent­lich an­ge­nehm, da­bei herz­lich und vor­nehm zu­gleich. Jo­han­na fühl­te sich so­fort aufs wärms­te zu ihr hin­ge­zo­gen. »Das wäre eine Freun­din für Dich«, dach­te sie bei sich. Der Graf Four­ville da­ge­gen war wie ein Bär, den man in einen Sa­lon ge­bracht hat. Nach­dem er sich ge­setzt hat­te, leg­te er den Hut auf den nächs­ten Stuhl, blieb einen Au­gen­blick un­schlüs­sig, was er mit sei­nen Hän­den ma­chen soll­te, stütz­te sie bald auf sei­ne Knie, bald auf die Leh­nen sei­nes Stuhls und fal­te­te sie schliess­lich auf sei­nem Schos­se wie zum Ge­bet.

Plötz­lich trat Ju­li­us her­ein; Jo­han­na hät­te ihn fast nicht wie­der­er­kannt. Er war glatt ra­siert, gut an­ge­zo­gen und sah vor­nehm und be­zau­bernd aus wie einst­mals. Er schüt­tel­te die kräf­ti­ge Faust des Gra­fen, der bei sei­nem Ein­tritt aus sei­ner Lethar­gie er­wacht schi­en und küss­te ga­lant die Hand der Grä­fin, de­ren El­fen­bein-Wan­gen sich ein we­nig rö­te­ten, wäh­rend ihre Au­gen auf­blitz­ten.

Ju­li­us riss die Un­ter­hal­tung an sich, plau­der­te lie­bens­wür­dig wie ehe­mals, und sei­ne großen Au­gen hat­ten wie­der den eins­ti­gen Glanz an­ge­nom­men, wenn lei­den­schaft­li­che Lie­be sich in ih­nen wi­der­spie­gel­te. Sei­ne Haa­re, sonst so rau und strup­pig, hat­ten mit Hil­fe der Bürs­te und wohl­rie­chen­den Öles ihr wei­ches glän­zen­des Ge­lock wie­der­ge­fun­den.

Als die Four­vil­les sich ver­ab­schie­de­ten, wand­te sich die Grä­fin zu ihm:

»Wol­len Sie Don­ners­tag einen Spa­zier­ritt mit uns ma­chen, lie­ber Vi­com­te?«

»Mit dem gröss­ten Ver­gnü­gen, Frau Grä­fin«, sag­te er, sich ver­beu­gend, wäh­rend Jene Jo­han­nas Hand er­griff und zärt­lich lä­chelnd mit ih­rer wei­chen be­zau­bern­den Stim­me sag­te:

»Ach, wenn Sie ge­sund sind, wer­den wir zu Drei­en durch das Feld ga­lop­pie­ren. Das wird präch­tig wer­den. Wol­len Sie?«

Mit ei­ner an­mu­ti­gen Be­we­gung schürz­te sie ihr Reit­kleid und schwang sich mit der Leich­tig­keit ei­nes Vo­gels in den Sat­tel; ihr Ge­mahl grüss­te lin­kisch, klet­ter­te schwer­fäl­lig auf sei­nen großen nor­man­ni­schen Brau­nen und plumps­te wie ein Cen­taur in den Sat­tel.

»Welch präch­ti­ge Leu­te!« rief Ju­li­us be­geis­tert, als sie bei der Bar­riè­re um die Ecke bo­gen. »Das ist eine sehr wert­vol­le Be­kannt­schaft für uns.«

»Die klei­ne Grä­fin ist be­zau­bernd«, stimm­te Jo­han­na bei, die sehr zu­frie­den war, ohne recht zu wis­sen warum, »aber der Mann hat ein sehr rau­es Äus­se­re. Wo hast Du sie denn ken­nen ge­lernt?«

»Ich traf sie zu­fäl­lig bei Bri­se­vil­les!« sag­te Ju­li­us, sich ver­gnügt die Hän­de rei­bend. »Der Mann ist frei­lich et­was un­ge­ho­belt. Er ist ein lei­den­schaft­li­cher Jä­ger; aber ein sehr vor­neh­mer Mann.«

Das Di­ner ver­lief in sehr ver­gnüg­ter Stim­mung, als wenn ein ver­bor­ge­nes Glück im Hau­se ein­ge­zo­gen wäre.

Bis zu den letz­ten Ta­gen des Juli er­eig­ne­te sich wei­ter nichts Be­son­de­res.

Ei­nes Diens­tags abends, als sie un­ter der großen Pla­ta­ne um einen höl­zer­nen Tisch sas­sen, der zwei klei­ne Glä­ser und eine Brannt­wein-Kar­af­fe trug, stiess Jo­han­na plötz­lich einen lei­sen Schrei aus und press­te bei­de Hän­de ge­gen die Hüf­ten. Ein hef­ti­ger ste­chen­der Schmerz hat­te sie plötz­lich er­grif­fen und war eben­so schnell wie­der ver­schwun­den.

Aber nach zehn Mi­nu­ten fühl­te sie einen zwei­ten län­ge­ren, wenn auch we­ni­ger hef­ti­gen Stich. Nur müh­sam konn­te sie mit Hil­fe ih­res Va­ters und ih­res Man­nes ins Haus zu­rück­keh­ren. Der kur­ze Weg von der Pla­ta­ne bis in ihr Zim­mer schi­en ihr end­los lang. Sie seufz­te un­will­kür­lich und hät­te sich am liebs­ten alle Au­gen­bli­cke hin­ge­setzt. In ih­rem In­nern spür­te sie ein ei­gen­tüm­lich un­er­träg­lich drän­gen­des Ge­fühl.

Ihre Zeit war ei­gent­lich noch nicht da; sie er­war­te­te ihr Wo­chen­bett erst im Sep­tem­ber. Aber da man mit Recht ein aus­ser­ge­wöhn­li­ches Er­eig­nis be­fürch­te­te, so wur­de ein Wä­gel­chen be­spannt und Papa Si­mon fuhr im Ga­lopp da­von, um den Arzt zu ho­len.

Als die­ser ge­gen Mit­ter­nacht an­kam, er­kann­te er auf den ers­ten Blick alle An­zei­chen ei­ner Früh­ge­burt.

Die Schmer­zen hat­ten zwar im Bett et­was nach­ge­las­sen; aber eine un­nenn­ba­re Angst schnür­te Jo­han­na die Keh­le zu­sam­men, eine ent­setz­li­che Schwä­che lag ihr in al­len Glie­dern; es be­rühr­te sie et­was wie eine Vorah­nung, wie das ge­heim­nis­vol­le We­hen des To­des. In sol­chen Au­gen­bli­cken spürt man sei­nen Hauch so nahe, dass das Herz zu Eis er­star­ren möch­te.

Alle mög­li­chen Leu­te wa­ren in dem Zim­mer. Mama ächz­te atem­los und be­küm­mert in ei­nem Ses­sel. Der Baron rann­te mit zit­tern­den Hän­den über­all her­um, brach­te al­les mög­li­che her­bei und be­riet sich, völ­lig den Kopf ver­lie­rend, mit dem Arz­te. Ju­li­us mar­schier­te im Zim­mer auf und ab. Sei­ne Mie­ne drück­te Be­sorg­nis aus, aber sein Herz war ru­hig. Die Witt­we Den­tu stand am Fus­sen­de des Bet­tes mit er­war­tungs­vol­ler Mie­ne; ihr Ge­sicht war das ei­ner er­fah­re­nen Frau, die nichts mehr in Er­stau­nen setzt. Kran­ken­wär­te­rin, Heb­am­me und Lei­chen­frau in ei­ner Per­son, war sie die­je­ni­ge, in de­ren Hän­den zu­erst das an­kom­men­de Men­schen­kind lag, die sei­nen ers­ten Schrei ver­nahm, es zu­erst ab­wusch und es in die ers­ten Win­deln leg­te. Mit der­sel­ben Ruhe hör­te sie die letz­ten Wor­te, das letz­te Rö­cheln, sah sie die letz­ten Zu­ckun­gen der Ster­ben­den. Und eben­so mach­te sie de­ren letz­te Toi­let­te, wusch den ent­seel­ten Kör­per mit Es­sig, und hüll­te ihn in das To­ten­kleid. So hat­te sie sich für alle Er­eig­nis­se von der Wie­ge bis zur Bah­re einen un­er­schüt­ter­li­chen Gleich­mut an­ge­wöhnt.

Die Kö­chin Lu­di­vi­ne und Tan­te Li­son stan­den et­was ver­steckt an der Fl­ur­tü­re.

Von Zeit zu Zeit stiess die Kran­ke einen lei­sen Kla­ge­laut aus.

In den ers­ten zwei Stun­den schi­en es, als ob das Er­eig­nis lan­ge auf sich war­ten ließ. Aber, als der neue Tag an­brach, nah­men die Schmer­zen eine im­mer hef­ti­ge­re Ge­stalt an und wur­den bald ge­ra­de­zu furcht­bar.

Wäh­rend ihr un­will­kür­lich ein­zel­ne Schreie zwi­schen den zu­sam­men­ge­press­ten Lip­pen ent­schlüpf­ten, muss­te Jo­han­na im­mer an Ro­sa­lie den­ken, die fast gar nicht ge­lit­ten, fast nicht ein­mal ge­seufzt hat­te, und de­ren Kind, der Ban­kert, ohne Mü­hen und Qua­len zur Welt ge­kom­men war.

Unauf­hör­lich stell­te sie in ih­rem ar­men ge­quäl­ten Her­zen Ver­glei­che an. Sie ha­der­te mit Gott, an des­sen Ge­rech­tig­keit sie so fest ge­glaubt hat­te. Sie zürn­te über die ei­gen­mäch­ti­ge Be­vor­zu­gung des Schick­sals und ta­del­te im Stil­len das Wort de­rer, die Recht und Ge­rech­tig­keit pre­dig­ten.

Zu­wei­len wur­den die An­fäl­le so hef­tig, dass sie bei­na­he die Be­sin­nung ver­lor. Sie hat­te kei­ne Kraft, kei­nen Le­bens­mut mehr; sie fühl­te nur noch ihre furcht­ba­ren Schmer­zen.

In den Au­gen­bli­cken der Ruhe muss­te sie stets den Blick auf Ju­li­us rich­ten. Dann drang ein an­de­rer Schmerz, ein geis­ti­ger, ihr durch die See­le. Sie er­in­ner­te sich des Ta­ges, wo ihre Zofe zu Füs­sen eben die­ses Bet­tes ge­le­gen hat­te, ihr Kind im Schos­se, den Bru­der des klei­nen We­sens, das so grau­sam jetzt ihr In­ne­res zer­riss. Vor ih­ren Au­gen stan­den noch leb­haft alle Bli­cke, alle Be­we­gun­gen alle Wor­te ih­res Gat­ten beim An­blick die­ses Mäd­chens. Und jetzt las sie auf sei­nem Ge­sich­te, als wä­ren sei­ne Ge­dan­ken dar­auf aus­ge­prägt, den­sel­ben Ver­druss, die­sel­be Gleich­gül­tig­keit ge­gen sie wie ge­gen die an­de­re, die­sel­be Un­zu­frie­den­heit ei­nes Egois­ten, den der Ge­dan­ke är­gert, Va­ter zu sein.

Aber ein neu­er furcht­ba­rer Krampf er­griff sie, ein Krampf so grau­sig, dass sie sich sag­te: »Ich muss ster­ben; das ist der Tod.« Dann er­füll­te ihre See­le eine wil­de Er­re­gung, ein Be­dürf­nis zu schimp­fen, ein gren­zen­lo­ser Hass ge­gen die­sen Mann, der sie ins Un­glück ge­stürzt hat­te, und auch ge­gen das Kind, das sie tö­te­te.

Sie quäl­te sich mit furcht­ba­rer An­stren­gung die­se Bür­de los­zu­wer­den. Plötz­lich schi­en es ihr, als ob ihr gan­zes In­ne­re sich ge­walt­sam er­wei­ter­te. Dann ließ der Schmerz nach.

Die Wär­te­rin und der Arzt hat­ten sich über sie ge­beugt, und tas­te­ten an ihr her­um. Sie nah­men ir­gen­det­was fort und das­sel­be kol­lern­de Geräusch, wel­ches sie da­mals schon ge­hört hat­te, ließ sie er­schau­dern. Dann drang ihr die­ser schmerz­li­che Schrei, die­ses schwa­che Wim­mern ei­nes neu­ge­bo­re­nen Kin­des durchs Herz, ihr gan­zer er­mat­te­ter Kör­per er­beb­te da­von. Mit ei­ner fast un­be­wuss­ten Ge­bär­de brei­te­te sie die Arme aus.

Sie emp­fand plötz­lich eine in­ni­ge Freu­de, eine Sehn­sucht nach ei­nem neu­en Glück, das ihr ent­stan­den war. Sie fühl­te sich in ei­nem Au­gen­blick wie um­ge­wan­delt, be­ru­higt; so glück­lich, wie sie noch nie ge­we­sen war. Geist und Kör­per leb­ten wie­der auf; sie fühl­te sich Mut­ter!

Nun woll­te sie auch gern ihr Kind se­hen. Es hat­te noch kei­ne Haa­re und kei­ne Nä­gel, da es viel zu früh ge­kom­men war. Aber als sie sah, wie die­ses Würm­chen sich be­weg­te, wie es den Mund öff­ne­te und sein Ge­wim­mer aus­stiess, als sie die­ses häss­li­che runz­li­ge ver­küm­mer­te We­sen be­rühr­te und Le­ben in ihm spür­te, da wur­de sie von ei­ner un­wi­der­steh­li­chen Freu­de er­grif­fen. Sie fühl­te sich ge­ret­tet, ge­si­chert vor je­der Verzweif­lung; denn sie hielt da et­was in ih­ren Hän­den, über des­sen Lie­be sie al­les an­de­re ver­ges­sen wür­de.

Von da an hat­te sie nur noch einen Ge­dan­ken! Ihr Kind. Sie wur­de plötz­lich eine schwär­me­ri­sche Mut­ter; umso schwär­me­ri­scher, als sie vor­her in ih­rer Lie­be ver­letzt, in ih­ren Hoff­nun­gen ge­täuscht wor­den war. Die Wie­ge muss­te im­mer ganz nahe an ih­rem Bett ste­hen; dann, als sie auf­ste­hen durf­te, konn­te sie ta­ge­lang am Fens­ter sit­zen ne­ben sich das leich­te Bett­chen, das sie schau­kel­te.

 

Sie war ei­fer­süch­tig auf die Amme und wenn das klei­ne We­sen durs­tig die Ärm­chen nach der großen blau­ge­ader­ten Brust aus­streck­te und die dunkle fal­ti­ge War­ze zwi­schen sei­ne gie­ri­gen Lip­pen nahm, schau­te sie bleich und zit­ternd, die ro­bus­te ru­hi­ge Bäue­rin an, mit ei­nem Ge­füh­le, als müs­se sie ihr das Kind ent­reis­sen und mit ih­ren Nä­geln die­se Brust zer­flei­schen, an der es so be­gie­rig sog.

Dann be­gann sie selbst zu nä­hen, um es in fei­ne sorg­fäl­tig« aus­ge­wähl­te Kleid­chen zu ste­cken. Es be­weg­te sich in ei­nem Meer von Spit­zen und trug die kost­bars­ten Häub­chen. Sie sprach nur von die­sen Sa­chen, hielt in der Un­ter­hal­tung inne, um ein Wi­ckel­band, ein Lätz­chen oder eine zier­lich ge­stick­te Schlei­fe be­wun­dern zu las­sen. Sie hör­te nichts von al­lem, was um sie vor­ging; sie be­geis­ter­te sich über ir­gend ein Wä­sche­stück, das sie lan­ge in der er­ho­be­nen Hand hin und her­wand­te, um es bes­ser se­hen zu kön­nen. Dann frag­te sie plötz­lich: »Glaubt Ihr, dass ihm das gut ste­hen wird?«

Der Baron und die Mama lä­chel­ten über die­se über­mäs­si­ge Zärt­lich­keit. Ju­li­us da­ge­gen, der sich in sei­nen Ge­wohn­hei­ten ge­stört und in sei­nem Herr­scher-An­se­hen durch die­sen schrei­en­den und all­mäch­ti­gen Ty­ran­nen her­ab­ge­setzt fühl­te, war von un­be­wus­s­ter Ei­fer­sucht auf die­ses Stücken Mensch er­fasst, das ihn von sei­nem Platz im Hau­se ver­dräng­te: »Sie wird wirk­lich läs­tig mit ih­rem Wurm« wie­der­hol­te er stets zor­nig und un­ge­dul­dig.

All­mäh­lich be­herrsch­te die­se Lie­be sie so sehr, dass sie die Näch­te an der Wie­ge sass, um den Schlaf des Klei­nen be­wa­chen zu kön­nen. Da sie sich bei die­ser lei­den­schaft­li­chen krank­haf­ten Nei­gung so auf­rieb, dass sie sich selbst kei­ne Ruhe mehr gönn­te und ab­ma­ger­te und hus­te­te, ord­ne­te der Arzt an, dass man sie von ih­rem Söhn­chen tren­nen möge.

Sie war aus­ser sich; sie bat und fleh­te; aber man blieb taub ge­gen ihre Bit­ten. Je­den Abend wur­de das Kind zu sei­ner Amme ge­bracht. Und jede Nacht stand die Mut­ter auf, schlich bar­fuss an die Tür und lausch­te durch das Schlüs­sel­loch, ob der Kna­be auch ru­hig schlief, ob er nicht auf­wach­te, oder ir­gen­det­was nö­tig hät­te.

Als Ju­li­us ein­mal spät von ei­nem Di­ner bei den Four­vil­les heim­kehr­te fand er sie dort. Seit­dem wur­de sie nachts in ihr Zim­mer ein­ge­schlos­sen, um sie zu zwin­gen ins Bett zu ge­hen.

Ge­gen Ende Au­gust fand die Tau­fe statt. Der Baron war Pa­the und Tan­te Li­son Pa­thin. Das Kind er­hielt den Na­men Pe­ter, Si­mon, Paul; letz­te­rer war sein Ruf­na­me.

In den ers­ten Ta­gen des Sep­tem­ber reis­te Tan­te Li­son in al­ler Stil­le ab; ihre Ab­we­sen­heit wur­de eben­so­we­nig be­merkt wie ihre An­we­sen­heit.

Ei­nes Abends nach dem Di­ner er­schi­en der Pfar­rer. Er mach­te einen et­was ver­le­ge­nen Ein­druck als habe er ir­gend ein Ge­heim­nis auf dem Her­zen; und nach ei­ner Wei­le all­ge­mei­ner Re­dens­ar­ten bat er den Baron und die Baro­nin, ihm eine Be­spre­chung un­ter sechs Au­gen zu be­wil­li­gen.

Alle drei gin­gen hin­aus und wan­del­ten lang­sa­men Schrit­tes in leb­haf­tem Ge­spräch bis an’s Ende der Al­lee; Ju­li­us blieb mit Jo­han­na al­lein. Er war er­staunt, be­un­ru­higt und ge­är­gert über die­se Ge­heim­nis­tue­rei.

Als der Pries­ter sich ver­ab­schie­de­te, schloss er sich ihm an, um ihn bis zur Kir­che zu be­glei­ten, auf der es ge­ra­de zum An­ge­lus läu­te­te.

Es war frisch, bei­na­he kalt draus­sen, und man zog sich bald in den Sa­lon zu­rück. Alle wa­ren bei­na­he ein­ge­nickt, als Ju­li­us plötz­lich er­schi­en, das Ge­sicht von Zorn ge­rötet.

»Sie müs­sen ver­rückt ge­wor­den sein«; schrie er schon in der Tür sei­ne Schwie­ger­el­tern an, ohne auf Jo­han­na’s An­we­sen­heit zu ach­ten. »Wer, um Got­tes­wil­len, wirft denn zwan­zig­tau­send Fran­cs an ein sol­ches Mäd­chen her­aus?«

Nie­mand ant­wor­te­te; so groß war für den Au­gen­blick die Über­ra­schung. »So dumm kann man doch nicht sein«; fuhr er keu­chend vor Zorn fort. »Sie wol­len uns wohl kei­nen Sou mehr hin­ter­las­sen?«

»Schwei­gen Sie! den­ken Sie, dass Ihre Frau zu­ge­gen ist,« fiel ihm jetzt end­lich der Baron ins Wort, der sei­ne Selbst­be­herr­schung wie­der­ge­won­nen hat­te.

»Ich ma­che mir den Teu­fel dar­aus!« stiess je­ner zor­nig her­aus. »Sie weiß üb­ri­gens ja, wie die Sa­chen ste­hen. Es ist ein Raub an ih­rem zu­künf­ti­gen Ei­gen­tu­me.«

»Um was han­delt es sich ei­gent­lich?« frag­te Jo­han­na, ih­ren Mann über­rascht und ver­ständ­nis­los an­bli­ckend.

Da wand­te sich Ju­li­us zu ihr und nahm sie zur Zeu­gin, wie eine Teil­ha­be­rin, die gleich ihm um einen er­hoff­ten Vor­teil ge­bracht wer­den soll­te. Er er­zähl­te ihr ohne Rück­halt die Ver­ein­ba­rung, um Ro­sa­lie zu ver­hei­ra­ten, die Be­schen­kung der­sel­ben mit dem Pacht­hof Bar­ville, der min­des­tens zwan­zig­tau­send Fran­cs wert sei.

»Aber Dei­ne El­tern sind von Sin­nen«; wie­der­hol­te er, »to­tal von Sin­nen. Zwan­zig­tau­send Fran­cs! Zwan­zig­tau­send Fran­cs! Sie ha­ben den Kopf ver­lo­ren! Wer gibt denn zwan­zig­tau­send Fran­cs für einen Ban­kert?«

Jo­han­na hör­te ihm ru­hig und ohne je­den Zorn zu. Sie war selbst er­staunt über die­se Ruhe und Gleich­gül­tig­keit ge­gen al­les, was nicht ihr Kind be­traf.

Der Baron at­me­te schwer, er fand nicht so­gleich eine Ant­wort.

»Be­den­ken Sie, was Sie sa­gen!« brach er schliess­lich mit dem Fuss stamp­fend los. »Das ist doch wirk­lich un­er­hört! Wer trägt denn die Schuld, dass man die­ses ver­führ­te Mäd­chen mit ei­ner Mit­gift aus­stat­ten muss? Von wem ist die­ses Kind? Sie hät­ten es wohl ein­fach ver­leug­net?«

Von der Hef­tig­keit des Barons über­rascht, sah Ju­li­us ihn scharf an. »Aber fünf­zehn­tau­send Fran­cs wä­ren doch auch ge­nug ge­we­sen«, be­gann er dann, wie­der in ru­hi­ge­rem Tone. »Sie ha­ben ja alle Kin­der vor der Ehe. Ob es die­sem oder je­nen ge­hört, das macht nichts aus. Statt ihr eine Farm im Wer­te von zwan­zig­tau­send Fran­cs zu ge­ben, soll­ten Sie lie­ber an das Ge­re­de den­ken, in das sie uns brin­gen. Das heisst doch al­ler Welt auf die Nase bin­den, was ge­sche­hen ist. Sie hät­ten doch auf un­se­ren Na­men und un­se­re Stel­lung Rück­sicht neh­men sol­len.«

Er sprach in erns­tem Ton, wie ein Mann, der auf sei­nem Recht be­steht und des­sen Grün­de un­wi­der­leg­lich sind. Der Baron war be­trof­fen durch die­se zu­tref­fen­de Be­weis­füh­rung und stand ver­le­gen vor ihm.

»Glück­li­cher­wei­se ist noch nichts aus­ge­macht«; schloss Ju­li­us, sei­nen Vor­teil wahr­neh­mend sei­ne Aus­füh­run­gen »ich ken­ne den Bur­schen, der sie hei­ra­ten will. Er ist ein bra­ver Mensch und es lässt sich al­les mit ihm aus­glei­chen. Ich wer­de das auf mich neh­men.«

Und er ging so­fort hin­aus; ohne Zwei­fel fürch­te­te er eine Fort­set­zung die­ses The­mas und war froh über das all­ge­mei­ne Schwei­gen, das er für eine Zu­stim­mung auf­nahm.

»Oh, das ist stark, es ist zu stark!« rief der Baron aus­ser sich vor Zorn und Über­ra­schung, nach­dem sich die Türe hin­ter Ju­li­us ge­schlos­sen hat­te.

Jo­han­na hin­ge­gen, die ihre Au­gen auf das ent­setz­te Ge­sicht ih­res Va­ters ge­hef­tet hat­te, brach plötz­lich in ein Ge­läch­ter aus, in je­nes hel­le La­chen von ehe­mals, wenn sie Zeu­gin ir­gend ei­ner spa­ßi­gen Sze­ne war.